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Die Erwerbstätigenlücke

Seit geraumer Zeit gehen in der Schweiz mehr Menschen in Rente als junge Erwerbstätige in den Arbeitsmarkt eintreten. Diese Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren weiter zuspitzen. So werden dieses Jahr rund 104 000 Personen das Referenzalter der AHV erreichen, in fünf Jahren werden es 130 000 sein, die den Arbeitsmarkt verlassen. Auf der anderen Seite werden dieses Jahr rund 87 000 Personen 20 Jahre alt und gehören so zu den Menschen im erwerbsfähigen Alter. Fünf Jahre später werden es mit einer Kohorte von rund 84 000 etwas weniger junge Erwachsene sein. In der kommenden Dekade werden der Wirtschaft also, konservativ geschätzt, im Schnitt Jahr für Jahr zwischen 30 000 und 50 000 Erwerbstätige fehlen. Schaffen die Unternehmen oder der Staat weiter Stellen, wird die Erwerbstätigenlücke noch grösser.

Verfolgt werden unterschiedliche Strategien, um dieser Schieflage auf dem Arbeitsmarkt zu entkommen. Naheliegend ist, diese Diskrepanz durch die Zuwanderung von Arbeitskräften aufzufangen. Im Moment gelingt es der Schweiz sogar, sehr gut qualifizierte Erwerbstätige aus dem Ausland zu gewinnen. Doch die Frage stellt sich, wie lange dies zu überschaubaren Kosten noch möglich sein wird. Denn praktisch alle Länder, aus denen die Arbeitsmigrant*innen stammen, stecken im gleichen demografischen Dilemma.

Darum versuchen Politik und Wirtschaft, mehr Erwerbsarbeit aus den vorhandenen Arbeitskräften herauszuholen, so etwa durch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Karriere und Betreuung der jüngeren und älteren Familienangehörigen oder durch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Auch dieser Strategie sind jedoch Grenzen gesetzt, es hapert bei der Vereinbarkeit. Die Kita­Plätze sind noch immer für viele zu teuer und die steuerlichen Regelungen bestrafen einen zusätzlichen Verdienst. Zudem wird die Lebensarbeitszeit eher kürzer denn länger, selbst wenn es gelingt, das Rentenalter zu erhöhen, wie dies unlängst für die Frauen in der Schweiz durchgesetzt wurde. Dieser «Gewinn» an Arbeitsjahren wird durch die längeren Ausbildungszeiten überkompensiert.

Ein dritter Weg besteht darin, Asylsuchende sowie anerkannte Geflüchtete als zukünftige Arbeitskräfte wahrzunehmen. Die Integrationsagenda des Bundes weist den Weg. Bis sich diese Menschen auf dem Arbeitsmarkt entfalten können, dauert es allerdings noch ein paar Jahre. Schneller könnte es gehen, wenn der Status S, der für die Geflüchteten aus der Ukraine aktiviert wurde, auf alle Betroffenen ausgedehnt würde. So wäre die Aufnahme einer Erwerbsarbeit sofort möglich.

Schliesslich zeichnet sich eine vierte Strategievariante ab, die dank der fortschreitenden Digitalisierung immer weitere Kreise zieht. Wir alle werden zu «Prosument*innen» umfunktioniert. Wer von Firmen oder vom Staat eine Dienstleistung konsumieren will, muss diese selbst produzieren – unbezahlt. Man denke an das Frühstücksbuffet zur Selbstbedienung, den elektronischen Antrag auf Prämienverbilligung, die unbediente Tankstelle oder an das Selbststudium an den Hochschulen.