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Diana Frei

«Alles Schwierige verbockseln»

TEXT DIANA FREI

Der 3. Dezember wurde von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen erklärt. Als Gedenk- und Aktionstag soll er das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Probleme von beeinträchtigten Menschen wachhalten und den Einsatz für ihre Würde, Rechte und ihr Wohlergehen fördern.

Wir besuchen heute Theater Hora mitten in der Probephase des Tanzstücks «Sacre!» nach «Le sacre du printemps» von Igor Strawinsky. Seit seiner Gründung 1993 durch den Regisseur und Theaterpädagogen Michael Elber hat Hora dazu beigetragen, die oftmals defizitorientierte öffentliche Wahrnehmung von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung zu verändern, indem es in der Arbeit an Theaterproduktionen auf ihre Fähigkeiten fokussiert.

Mit Jérôme Bels Produktion «Disabled Theater» wurde die Gruppe 2012 als eine der zehn besten Inszenierungen zum Berliner Theatertreffen eingeladen. 2016 erhielt sie vom Bundesamt für Kultur die höchste Theaterauszeichnung der Schweiz, den «Schweizer Grand Prix Theater/HansReinhart-Ring». Die Erfolge wurden nicht nur als künstlerische Leistung gefeiert, sondern auch als starkes Zeichen für die Inklusion gewertet. Theater Hora ist davon überzeugt, dass einzig die Förderung der grösstmöglichen Autonomie der Weg sein kann, mit den Ensemblemitgliedern zu künstlerisch interessanten Resultaten zu gelangen, die zu einer echten Bereicherung der regulären Theaterlandschaft führen. Nicht die künstlerische «Normalisierung» und Anpassung der Ensemblemitglieder an die Normen und Konventionen des Theaterbetriebs sei der Weg zu ihrer Inklusion, sondern die Wahrnehmung, Wertschätzung und Förderung ihrer künstlerischen und menschlichen Einzigartigkeit.

Am Gespräch sind die Ensemblemitglieder Andy Böni, Frank Häusermann und Matthias Brücker, die künstlerische Co-Leiterin Yanna Rüger und die Co-Regisseurin von Sacre! , Annina Machaz, anwesend. Auf expliziten Wunsch bleiben die Wortmeldungen bei der Verschriftlichung möglichst nah am Original-Wortlaut der Teilnehmer*innen.

Ihr von Theater Hora bringt ein Ballett auf die Bühne. Wie ist das für euch, Andy?

Andy Böni: Einfach probieren. Balletttanzen einfach probieren.

Wie habt ihr da angefangen?

Andy: Zuerst haben wir geguckt Fernsehen. Yanna Rüger: Genau. Wir haben als Erstes viele andere Inszenierungen geschaut. Annina Machaz: Als «Le sacre du printemps» 1913 in Paris aufgeführt wurde, war es ein Skandal. Es war das erste Mal, dass auf der Bühne ganz anders getanzt wurde. Das war sehr radikal für diese Zeit. Deswegen fängt unser Stück auch mit einem Skandal an. Die Zuschauer*innen sind unzufrieden mit dem, was sie sehen, und tanzen das Stück dann selbst. Wir haben viel darüber geredet, dass man sich etwas zu eigen machen kann, das vielleicht anders erwartet wird. Yanna: Auch die Kostüme spiegeln diesen Ansatz wider. Die Kostümbildnerin Sophie Reble hat die Performer*innen mit einbezogen, und jede Person hat ihr eigenes Kostüm mitgestaltet. Und Andy Böni hilft als Assistent bei allen mit, er ist in dieser Produktion vor allem als Kostümmitarbeiter dabei.

Und ihr zwei spielt und tanzt?

Matthias Brücker zu Frank Häusermann: Du erklären. Frank: Der Anfang ist so, dass wir im Kreis zusammensitzen und den Balletttänzerinnen zusehen. Wir als Zuschauer haben Sachen an, die wir selbst genäht haben. Wir spielen Brian und Kevin.

Was sind denn das für Kostüme, die ihr anhabt?

Andy: Schön. Ich habe Gold. Und viele Haare. Eine Perücke mit langen Haaren.

«Ich wünsche mir, dass es keinen Krieg mehr gibt. Und dass noch mehr geknüpft wird in der Welt.»

ANDY BÖNI, ENSEMBLEMITGLIED

Theater Hora

Theater Hora ist eine freie Tanz-, Theater- und Performance-Gruppe aus Zürich und in der etablierten Theaterszene lokal wie international verankert. Gleichzeitig ist Hora eine (Kultur-)Werkstatt für Menschen mit einer IV-zertifizierten «geistigen Behinderung» (gemäss Wortlaut Hora) und als solche seit 2003 Teil der Stiftung Züriwerk, die sich für Menschen mit mehrheitlich kognitiver Beeinträchtigung engagiert. hora.ch

Und deines, Frank?

Frank: Also oben eine Krone. Auch mit Haaren. Hinten ein Gewand. Und vorne ein Tuch. Und eine Kette und ein Schild.

Und deines, Matthias?

Matthias: Mein Kostüm ist alles in Karton. Und alles bunt. Am Kopf auch Karton mit Papier. Roboter.

Das hört sich für mich nach einer lustvollen Befreiung aus Normen an. Geht es darum, Erwartungen zu brechen?

Yanna: Uns ging es vor allem um die Interpretation des Opferbegriffs. In «Le sacre du printemps» ist das Opfer das schwächste Glied. Eine Jungfrau, ein zartes Wesen, das von der Gemeinschaft zum Opfer bestimmt wird und sich zu Tode tanzen muss. In unserer Interpretation haben wir es umgedreht und uns überlegt: Wenn man sich etwas wünscht und etwas verändern möchte für sich oder die Menschen, die man liebt, oder für die Welt – was wäre man bereit zu geben? Wir haben versucht herauszufinden, wann ein Opfer etwas Heldenhaftes haben kann.

Ich denke bei einem Opfer auch erst mal eher an Ohnmacht. Habt ihr das von Anfang an umgedeutet?

Yanna: Als Stephan Stock und ich uns das als künstlerische Leiter*innen auf dem Papier ausgedacht haben, dachten wir: Als Opfer werden oft Leute bezeichnet, die ausgegrenzt werden. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus? Aber wir haben dann gemerkt, als wir über diese Bedeutung von Opfer gesprochen haben – also wenn jemandem etwas Schlimmes widerfährt –, dass es für euch in der Gruppe auch schwierig war, darüber zu reden, weil es in eurem Alltag ja auch ab und zu mal als Schimpfwort benutzt wird. Und deswegen haben wir ziemlich schnell gesagt: Wir machen diese Umdeutung.

Andy, die Art, wie ihr über die Themen redet und nachdenkt, findest du das spannend?

Andy: Einfach schön.

Und gibt es etwas, das man verbessern müsste in der Welt?

Andy: Ja, dass es keinen Krieg mehr gibt. Dass wir es in der Schweiz schön haben. Dass noch mehr geknüpft wird. Yanna: Dass sich die Welt noch mehr verknüpft? Dass sich die Menschen noch mehr verbinden? Andy: Ja. Yanna: Das ist schön. Du willst immer, dass alle miteinander zu tun haben. Dass sich alle verbinden. Frank: Ich würde wollen, dass es auf der Welt keine Drogen mehr gibt. Keine Zigaretten,

«Auch andere Theater beginnen sich zu überlegen, Menschen mit kognitiver Einschränkung ins Ensemble aufzunehmen.»

YANNA RÜGER, KÜNSTLERISCHE CO-LEITUNG THEATER HORA

was ungesund ist. So müsste es aussehen. Keine alkoholischen Getränke. Kein Ha schisch oder Cannabis. Das dürfte es nicht geben. Ich mache mir Sorgen um die Menschen. Ich will mich für die Menschen einsetzen.

Matthias, was hast du für Vorstellungen einer besseren Welt?

Matthias zögert. Yanna: Matthias, du hattest uns nicht gesagt, was du verändern willst. Du hast nur gesagt, für wen. Matthias: Richtig. Yanna: Dass du so voller Liebe bist für deine Freundin. Matthias: Ja, richtig. Yanna: Dass du für sie alles tun würdest. Alle schwierigen Sachen zerdrücken und verbockseln. Matthias: Ja, richtig! Annina: Da hast du ein Wort gefunden, das wir beide noch nicht gekannt haben. Verbockseln. Yanna: Und trotzdem nochmal die Frage: Gibt es für dich in der ganzen Welt etwas, das du gerne verändern möchtest? Matthias: Schwierig! Annina: Du denkst lieber über deine Freunde nach, im kleinen Rahmen, als über die ganze Welt? Matthias: Ja!

Beim Theater Hora geht es ja darum, kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Wo stehen wir mit dem Thema Inklusion im Theater?

Yanna: Man merkt einen krassen Umschwung an Offenheit und Interesse an inklusiveren Theaterformen. Ein Schritt dazu waren wohl die anderen Diversitätsfragen, die zuerst angestossen wurden. Ich denke, dass die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen der nächste Schwerpunkt wird. Wir arbeiten auch mit anderen Theatern zusammen und sehen, dass sie sich zu überlegen beginnen, was es bedeuten würde, Menschen mit kognitiver Einschränkung in ihr Ensemble aufzunehmen. Wir hatten eine Kooperation mit den Münchner Kammerspielen. Sie sind das erste Stadttheater dieser Grösse, das ein inklusives Ensemble aufgebaut hat. Das ein super Lernfeld. Aber man merkt auch, wie anders getaktet alles ist, viel schneller, als es für beeinträchtigte Menschen machbar ist. Es ist sehr kompliziert, etablierte Abläufe so umzudenken, dass die Strukturen inklusiver werden. Annina: Zurzeit ist Inklusion fast ein bisschen hip. Aber oft fehlt der zweite Schritt. Dass man auch bereit ist, zu fragen: Was heisst denn das konkret? Vielleicht kostet es halt ein bisschen mehr, weil auch einige Leute mehr mitkommen müssen. Vielleicht kann man nicht drei, vier, fünf Vorstellungen hintereinander einplanen, vielleicht braucht es mal eine Pause. Yanna: Ich denke immer, dass es für alle nur hilfreich wäre, wenn wir beeinträchtigte Menschen mehr dabeihätten. Da soll es nicht um Charity gehen, sondern um ein Geschenk an uns alle. Im Grunde ist es ein ganz grundsätzliches Missverständnis in unserer Gesellschaft, dass der menschliche Austausch weniger hoch gewertet wird als Dinge wie etwa Leistung. Eine Folge davon ist, dass man sich die Zeit füreinander nicht nimmt.

«SACRE!», ein Tanzstück von Theater Hora / Teresa Vittucci / Annina Machaz nach «Le sacre du printemps» von Igor Strawinsky, Fr, 9. Dez., So, 11. Dez., Mo, 12. Dez., Do, 15. Dez., Fr, 16. Dez., je 20 Uhr ausser Sonntag 18 Uhr, Tanzhaus Zürich, Wasserwerkstrasse 127a. tanzhaus-zuerich.ch

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