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Klaus Petrus

Mariä Unbefleckte Empfängnis – es ist kompliziert

TEXT KLAUS PETRUS

Es gibt wohl keinen anderen Festtag, der mit einem grösseren Missverständnis verknüpft ist, als die Feier der unbefleckten Empfängnis der Mutter Gottes. Die Katholik*innen freilich wissen Bescheid – was kein Wunder ist, ist ihre Marienverehrung bekanntlich unermesslich gross. Ja, Gottvater, der Heilige Geist und natürlich Jesus. Die Mutter Gottes jedoch, Himmelskönigin, Gnadenmutter, Heilige Jungfrau, Madonna, Mater dolorosa, Patronin voller Güte, die ihren Mantel ausbreitet, die Schirm und Schild daraus macht, damit wir darunter sicher stehen, bis alle Feinde vorübergehen–sie ist eine ganz Besondere, denn sie ist die Begnadete. Schon im Lukasevangelium steht geschrieben: «Sei gegrüsst, du Begnadete, der Herr ist mit dir.»

Aber nun zum Missverständnis, das durchaus mit Gottes Gnade zu tun hat. Auch wenn es genau danach klingt: Das Hochfest am 8. Dezember zu Ehren von Mariä Empfängnis hat mit der Geburt Jesu nichts zu tun. Dass er, der Sohn Gottes, von Maria, einer immerwährenden Jungfrau, geboren wurde, ist ein Wunder der eigenen Sorte. Bei Mariä Empfängnis geht es vielmehr um die Geburt der Mutter Gottes selbst. Ihre Eltern hiessen Joachim und Anna. Zwei Jahrzehnte lang versuchten die beiden Kinder zu bekommen, aber vergebens. Dann endlich verkündete ein Engel Joachim, seine Frau Anna werde schon bald ein Mädchen gebären. Maria, die künftige Mutter Gottes, wurde also auf ganz natürliche Weise gezeugt und empfangen.

Was aber ein Problem ist. Denn nach christlicher Auffassung ist der Mensch mit der Erbsünde belastet – jede und jeder, ausnahmslos, befindet sich in diesem fürchterlichen Unheilzustand, an dem Adam und Eva schuld sind und an dem seit diesem Sündenfall ihre Nachfahren teilhaben müssen. Sie und ich –wir Normalsterblichen sind also schon von Geburt an mit dieser Last befleckt. Und Maria? Das durfte nicht sein. Sie, die Heiligste unter allen, die einzige, die als Jungfrau einem Sohn das Leben schenkte, musste vom ersten bis zu ihrem letzten Atemzug ohne Sünde, «unbefleckt», sein.

Spätestens im 12. Jahrhundert wurde der Status von Maria als «Unbefleckte» auch kirchlich gefestigt. Der Erzbischof und Philosoph Anselm von Canterbury führte den Feiertag «Tag der Empfängnis der Allerheiligsten Gottesmutter durch Anna» ein, Papst Sixtus IV. machte daraus jeweils am 8. Dezember des Jahres ein Hochfest mit Messe und Papst Pius IX. verkündigte 1854 das Dogma, Maria sei vom Moment ihrer Geburt durch Gottes Gnade «von jedem Schaden der Erbsünde bewahrt» geblieben – eine Begnadete eben. An jenem Tag begehen auch die orthodoxe und koptische Kirche das Fest von Mariä Unbefleckter Empfängnis.

Der Islam übrigens hat das Problem des Unbefleckten nicht – und das, obschon Maria ein hohes Ansehen geniesst. Ihr ist im Koran eine eigene Sure gewidmet und Jesus wird insgesamt 22-mal als «Sohn der Maria» angesprochen, als Īsā ibn Maryam, was ungewöhnlich ist, wird Männern für gewöhnlich doch der Name des Vaters hinzugefügt. Von der Erbsünde muss Maria im Koran schon deswegen nicht freigesprochen werden, weil Jesus nicht als Gottessohn verehrt wird, sondern als grosser Prophet – in der Folge aller Propheten ist er der letzte vor Mohammed.

Maria, in den Worten des Korans, ist also ein Mensch wie andere auch. Natürlich nicht ganz und gar. Ihren Sohn Jesus hat sie, wie in der Bibel, als Jungfrau geboren. Doch im Koran wird darum kein grosses Aufsehen gemacht: Als der Botschafter Allahs Maria verkündet, sie werde einen «reinen Knaben» gebären, erwidert diese: «Wie soll das möglich sein, da ich doch gar nicht mit einem Mann in Berührung gekommen bin?» Daraufhin sagt der Gesandte: «Nichts leichter als das.»