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Verkäufer*innenkolumne

Ein schlechter Begleiter

Seit Mitte März 2020, seit dem CoronaLockdown, sind die Medien nur noch damit beschäftigt, Angst zu verbreiten. So scheint es mir jedenfalls. Surprise ist aber nicht dazu da, die gleichen Schlagzeilen zu publizieren wie sämtliche Tageszeitungen, Radio, Fernsehen und Internet.

Als kleines Kind, bei ersten Gehversuchen, lernte ich, Gedanken an die Angst wegzulassen. Angst ist für mich der schlechteste Begleiter. Einmal sagte meine Mutter: «Hans, berühr die Herdplatte nicht, sie ist noch heiss.» Genau deshalb berührte ich die Herdplatte natürlich mit dem Finger, es schmerzte sehr. Hätte Mutter mich nicht extra gewarnt, ich wäre nie auf eine solche Idee gekommen. Die Pandemie war für mein Lebensgefühl einschneidend. Die Plakate, die Massnahmen, die Masken, die Impfung: Ich fühlte mich als Mensch der Planung ausgeliefert. Da war die Frage, wie die Menschen das Heft mit Bargeld bezahlen sollen. Ob sie das Heft überhaupt noch kaufen. Ob es noch genügend Passant*innen geben würde. Die Angst vor Kontakten. Wir haben aber täglich mit Menschen zu tun. Als Surprise-Verkäufer habe ich die Situation, die Hilflosigkeit, die Angst sehr direkt wahrgenommen. Das hat mir ein Stück Urvertrauen in die Welt genommen.

Kriege gibt es nur unter Menschen. Es sollte keine Autokraten geben können, die eine Diktatur führen. Corona, Kriege. Ich kann daran nichts ändern, aber ich fühle mich ausgeliefert. Ich wünsche mir wieder vermehrt positive Weltgeschehnisse. Manchmal steht für mich auch im Surprise zu viel Negatives, Problematisches. Das kann Angst machen. Aber Angst ist ein schlechter Begleiter. Das gilt im Kleinen, Persönlichen, wie im Grossen, für eine Gesellschaft. «Hans, die Herdplatte ist heiss!» Es stimmte, aber ich habe falsch darauf reagiert.

HANS RHYNER, 68, Surprise-Stadtführer in Zürich und Verkäufer in Schaffhausen und Zug, ist ein fröhlicher Mensch. Aber als Beobachter auf der Strasse nimmt er Grundstimmungen sehr direkt wahr. Und er merkt, dass es etwas mit ihm macht.

Die Texte für diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die Illu- stration zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration.