the urban fakenger - Die Geschichte von krassen Typen und ihren Mitläufern

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Wie werden subkulturelle Individuen (ungewollt) zu richtungsweisenden Trendsettern?? NONKONFORM, 5



trends wachen aus den r채ndern der gesellschaft in die mitte hinein !!



ACHTUNG Diese Seite dient zum Reinigen der H채nde vor Dreck, Fett und allem anderen was unseren Fahrr채dern anhaftet.


Die vorliegende Arbeit wurde zur Erlangung des Titels Master of Arts eingereicht, an der Hochschule f체r Technik, Wirtschaft und Gestaltung, Konstanz (HTWG), in den Studieng채ngen Kommunikationsdesign der Fakult채t Architektur und Gestaltung. Betreut von Prof. Andreas Bechthold und Prof. Valentin Wormbs. Verfasserin Nicole Wiggenhauser nicele@gmx.net Wintersemester 2011/2012 Matrikelnummer: 285786



INHALT 0.

Abstract / Hypothesen

20 - 27

1.

Soziologie

29 - 118

1.1.

Einleitung

30

1.2.

Kultur

31 - 32

1.3.

Die postmoderne Gesellschaft

33 - 35

1.4.

Subkultur

35 - 49

1.4.1. Allgemeine Definition

38 - 41

1.4.2. Das Wesen von Subkulturen

42 - 46

1.4.3. Fazit

47 - 49

Abgrenzung zum Sport

50 - 59

1.5.1. Was bedeutet Sport in der heutigen postmodernen Gesellschaft

51 - 54

1.5.


Freestyle - eine forschungsrelevante Abgrenzung

55 - 57

1.5.2.1. Freestyle und seine charakteristischen Merkmale

57 - 58

1.5.2.2 Fazit

58 - 59

Szene nach Hitzler und Niederbacher

60 - 87

1.6.1.

74 - 87

1.5.2.

1.6.

Beispiel f체r eine subkulturelle Sportszene

1.7.

Lifestyle

88

1.8.

Stil / Stilisierung

89 - 90

1.9.

Der soziale Raum

90 - 91

1.10.

Individualit채t

92 - 93

1.11.

Der soziale Wandel

94 - 97

1.12.

Individualisierung

97 - 102

1.12.1. Bezogen auf den Sport

101 - 102


1.13

Die Erlebnisgesellschaft

102 - 106

1.14

Die Habitustheorie

107 - 109

1.15.

Kapitalbegriff

110 - 118

2.

Trend

121 - 185

2.1.

Allgemein

123 - 126

2.2.

Die Trendebenen

126 - 129

2.3.

Trendformen

129 - 133

2.4.

Trendentwicklung

133 - 134

2.5.

Trendforschung

134 - 139

2.6.

Methoden der Trendforschung

139 - 149

2.7.

Zwischenfazit

150 - 152


2.8.

Kritik an der Trendforschung

152 - 155

2.9.

Trendmarketing

156 - 163

2.9.1. Trendsetter

156 - 158

2.9.2. Der Trendframe

158 - 162

2.9.3. Was bedeutet die f端r den Kreativen?

162 - 163

Abgrenzung hin zum Sport

163 - 184

2.10.1 Was ist Trendsport?

164

2.10.2. Trendforschung im Sport

165 - 166

2.10.3. Merkmale von Trendsportarten nach Schwier

167 - 176

2.10.4. Die Entwicklungsstufen von Trendsportarten

176 - 178

2.10.

2.10.5 Kommerzialisierung und Medien 2.11

Fazit

178 - 184 185


3

Szene

187 - 292

3.1.

Was bisher geschah

188 - 193

3.2.

Intension

194 - 197

3.3.

Urbanit채t

198 - 200

3.4.

Prinzip Fixie

200 - 208

3.5.

Die geschichtliche Entwicklung der Szene

209 - 210

3.6.

Fahrradkuriere

211 - 228

3.7.

Das Lebensgef체hl

229 - 232

3.8.

Die Fahrweise

232 - 236

3.9.

Die Rebellion

236 - 241

3.10.

Wettk채mpfe

242 - 254


3.11

Struktur der Szene

254 - 260

3.12.

Die Protagonisten

261 - 273

3.13.

Trendpotenzial nach Schwier

274 - 281

3.14.

Medien und szeneninterne Kommunikation

282 - 283

3.15.

Kommerzialisierung

284 - 286

3.16.

Fahrraddiebstahl

286

3.17.

Das Kapital und die Szene

287 - 289

3.18.

Fazit

289 - 293

4

Methoden

294 - 335

4.1.

Wissenschaftliche Forschung

295

4.2.

Qualitative Forschung

295 - 321


4.2.1 Der Interviewleitfaden

301 - 303

4.2.2. Das Experteninterview

304 - 310

4.2.3. Das „fakenger“-Interview

311 - 321

4.3.

Feldforschung / Monitoring

321 - 323

4.4.

Unkonventionelle Forschung

324 - 335

Fazit

336 - 343

Literatur

344 - 352

Eidesstattliche Erklärung

353



0 ABSTRACT Oft werden subkulturelle Individuen ungewollt zu richtungsweisenden Trendsettern, die mit ihren Werten, ihren Einstellungen aber auch mit ihren Lebenskonstrukten Veränderungen in der Gesellschaft auslösen. Dies zeigte sich bereits an den Studentenbewegungen der wilden 68er. Hier löste eine Minderheit – ein kleiner Teil der Jugend, erfasst vom Aufbruchsgeist- echte Modernisierungsschübe aus, indem sie die Sehnsüchte einer ganzen Generation mit dem Brennglas konzentrierte. Ein weiteres Beispiel ist die Punkbewegung der 70er - gefärbte Haare und Tattoos sind mittlerweile derart salonfähig geworden, dass dies zu einem wahren Massenphänomen avanciert ist. So war es auch mit der ausgeflippten Szene der Dance- und Ravekultur in den 90ern. Die Anfänge der Loveparade löste bei Aussenstehenden nicht viel mehr als ein Kopfschütteln aus. Daraus wurde letztendlich ein Millionengeschäft. Auch im Sport, gesehen als Teilgebiet typisch moderner Lebenswelten, gibt es immer wieder subkulturelle Bewegungen, die zu regelrechten Lifestyle-Phänomenen werden. So wie die Skateboard-Bewegung, die seit ihren Anfängen in den späten 50er Jahren mittlerweile zu einer akzeptier20


ten urbanen Subkultur geworden ist, hinter der ein riesiger Kommerzialisierungs-Apparat steht. Durch Kleidung, Verhaltensweisen und spezifischen Konsumverhalten unterscheiden sich ihre Anhänger vom Mainstream, also von der dominierenden Hauptkultur. Immer wieder wachsen Trends von den Rändern der Gesellschaft in die Mitte herein. Was einst im Untergrund begann wird allgegenwärtig. Aber wie geschieht dies? Warum werden vermeintliche Aussenseiter der Gesellschaft zu Trendsettern? Die Alternativkultur als wegweisendes Lifestyle-Phänomen der Gesellschaft? Welche auslösende Ereignisse liegen Phänomenen zu Grunde? Um dies herauszufinden muss man in die tiefen Strukturen einer solchen subkulturellen Bewegung vordringen und lernen deren Zeichen und Symbole zu deuten, zu verstehen und zu interpretieren. Genau hier knüpf nun diese Masterarbeit an. Welche Mechanismen sind für die Entstehung von Trends verantwortlich? Gibt es eine allgemein gültige Formel, die einem hilft Phänomene mit Potenzial frühzeitig zu entdecken? 21


Was sind die Kriterien die eine subkulturelle Bewegung mitbringen muss, damit sie zum Massenphänomen wird? Letztendlich geht es darum zu lernen sinnvoll zu selektieren. Um diese Fragestellung hinreichend klären zu können, werde ich das Thema abgrenzen und mich vorwiegend mit subkulturellen Sportphänomenen, genauer mit dem urbanen Radsport beschäftigen, um meine Thesen und Fragestellungen an einem exemplarischen Beispiel festzumachen. Ziel dieser Arbeit ist es zu klären, ob subkulturelle Bewegungen mit Potenzial Selbstläufer sind, oder ob der Kreativschaffende aktiv in den Entwicklungsprozess eingreifen kann, um sie an die Oberfläche zu befördern. Davor muss der Kreative diese Bewegungen als solche jedoch erkennen können und wissen welche Aspekte hierfür in den „Rahmen der Zeit und des Trends“ passen.

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Mittlerweile hat sich die Faszination Fixie zu einer massenphänomenale Bewegung entwickelt. Fixies sind insbesondere in den trendigen, gentrifizierten Stadteilen angekommen. Was einst im Untergrund begann ist nun allgegenwärtig und zu einer eigenen Kultur, die „urbane Fahrradkultur“ herangereift. An diesem exemplarischen Beispiel werde ich nun diesen massenphänomenalen Entwicklungsprozess verdeutlichen. Ich werde mit dieser Informationsverdichtung aufzeigen, dass sich Trends zwar spontan entwickeln aber nie ohne Grund. Es steht immer ein Bedürfnis dahinter. Grundlegend basiert die Arbeit auf vier Säulen. Die erste Säule umfasst die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unserer Zeit. Es geht primär um die soziologisch theoretischen Gesichtspunkte, die eine Subkultur des Sportes entstehen lassen. Diese Säule stellt die Basis für die gesamte Arbeit dar, da ich im späteren Verlauf immer wieder auf Teilaspekte, insbesondere in Bezug auf den Freestyle-Sport und dessen charakteristische Merkmale, zurück kommen werde. Desweiteren zeigt dieses Kapitel auf, 23


dass alle meine Überlegungen vor dem Hintergrund des sozialen Wandelsanzusiedeln sind. Der soziale Wandel ist der Motor unserer heutigen Gesellschaft mit all ihren Ausprägungen, wie auch immer geartet. Auf der zweite Säule dieser Arbeit beruht der Trendbegriff. Das Thema Trend wird hinreichend beleuchten. Es geht darum, die Mißverständnisse die dieser Begriff aufwirft zu klären. Auch hier zeigt sich, dass der Trendbegriff stets an den gesellschaftlichen Wandlungsprozess geknüpft ist, wobei hier speziell die fortschreitende Individualisierung immer wieder hervorgehoben wird. Im dritten Teil wird der Forschungsgegenstand „die urbane Fahrradkultur“ genaustens beleuchtet und eventuell unbekannte Begrifflichkeiten geklärt, um erstens eine Basis für das allgemeine Verständnis zu schaffen und zweitens tief in die Strukturen der Szene vorzudringen. Es geht vorrangig darum die Leidenschaft, das Lebensgefühl, die Herkunft und die ästhetischen 24


Anforderungen zu ergründen, um die Zeichen und Mechanismen dieses Phänomens zu verstehen und diese auch deuten zu können. Woran man dann gegebenenfalls auch Tendenzen für einen Trend festmachen kann. In diesem Kapitel werden die bisherigen Ergebnisse, Erkenntnisse und Hypothesen miteinander verzahnt, um sie dann in den Kontext Forschungsgegenstandes, die „urbane Fahrradkultur“ zu setzten. Die vierte Säule beleuchtet die Methoden die im Zuge dieser Arbeit angewandt wurden. Diese Kapitel bietet eine allgemeine Transparenz meiner Forschungsarbeit. Hier werden die verschiedenen Forschungsmethoden vorgestellt. Im wesentlichen soll dieses Kapitel dazu dienen, meine Hypothesen argumentierbar und diskutierbar zu machen.

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0 Hypothesen Ich behaupte, dass eine Subkultur zum Mainstream wird, aufgrund der „Identifikationsgeilheit“ der Mitläufer.

Damit sich das Phänomen Subkultur zu einem Trend etabliert und in das Aufmerksamkeitsfeld der Mitläufer rückt , muss es folgende Eigneschaften mit sich bringen: Es muss evolutionär zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen passen. Genauer, es muss die Bedürfnisse ausgelöst durch den sozialen Wandlungsprozess stillen und ihnen gerecht werden. Beispielsweise der Wunsch nach freiem autonomen Handeln abseits jeglicher Reglungen. * Erlebnisangebote müssen demnach den Ansprüchen wie schön, spannend, stilvoll, interessant etc. entsprechen, um zunächst einmal wahrgenommen und dann auch noch angenommen werden.

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Es muss der selbstinitiierte Ästhetisierung* der eigenen Existenz gerecht werden, das heißt diese Phänomene haben stets auch hohe ästhetische Anforderungen.


Das Phänomen muss authentisch sein. Hierbei zählt weniger der Inhalt als viel mehr die Herkunft und der Entstehungsprozess. Zudem müssen Phänomene die sichtbar sind auch immer benennbar sein um in das Aufmerksamkeitsfeld der Mitläufer zu gelangen. Denn erst was benennbar ist, ist auch kommunizierbar. Und erst was kommunizierbar ist kann an die Oberfläche gelangen.

Ich behaupte, wenn subkulturelle Phänomene diese vier Kriterien besitzen haben sie ein maximal hohes Trendpotenzial.

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1 SOZIOLOGIE Gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen


1 SOZIOLOGIE 1.1. EINLEITUNG

Das erste Kapitel ist vollends den, für diese Arbeit relevanten, soziologischen Aspekten gewidmet. Dieses Kapitel stellt die Basis für spätere Rückschlüsse und Überlegungen dar. Es wird sich eng mit den anderen Kapiteln verzahnen, da ich im Laufe der Arbeit immer wieder auf Teilaspekte dieses Kapitels eingehen werde. Dieser Teil in dem die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beleuchtet werden, ist daher das Herzstück der Arbeit, worauf im späteren Verlauf Überlegungen, Schlussfolgerungen und auch die Methoden beruhen. Es gilt unter soziologisch theoretischen Gesichtspunkten die verschiedenen relevanten Begrifflichkeiten zu skizzieren und diese darauffolgend logisch miteinander zu verknüpfen und gegebenenfalls sinnvoll abzugrenzen.

30


1.2. KULTUR

31

Kultur ist ein sehr oft verwendetes Wort. Durchaus ist nicht immer klar was damit gemeint ist. Je nach Kontext und Benutzer variiert die Bedeutung – auch in der Wissenschaft. Folglich sollte jeder der über Kultur redet auch recht präzise festlegen, was darunter zu verstehen ist (vgl. Maletzke, 1996, S. 15). Der Begriff Kultur stammt ursprünglich von dem lateinischen Wort corele (deutsch = pflegen) ab und bezog sich zunächst auf den Ackerbau. Später entwickelte sich daraus der Begriff cultura, dessen Bedeutung sich auf materielle sowie geistige Produkte und Fähigkeiten erweitert. „Heute versteht man unter Kultur die räumlich-zeitlich eingrenzbare Gesamtheit gemeinsamer materieller und ideeller Hervorbringungen, internalisierter Werte und Sinndeutungen sowie institutionalisierter Lebensformen von Menschen“ (vgl. Schäfer, 1986, S. 169). Das Verhalten, die Religion, die literarischen/wissenschaftlichen/künstlerischen Leistungen, die Symbole, die Wertvorstellungen und Ideen werden den künftigen Generationen übermittelt. Schäfer gibt an, dass sich der Begriff auf Teile einer Kultur, beschränkte Geltungsbereiche (Subkulturen), auf


1 die Geschellschaft als Ganzes beziehen oder auch mehrere nahestehenden Gesellschaften (abendländische Kultur) umfassen kann (vgl. B. Schäfer, 1986, S. 169f.). „Gesellschaft ist ein Aggregat von sozialen Beziehungen Kultur (ist) der Inhalt dieser Beziehungen“ (Schäfer, 1986, S. 169) Für meine Arbeit beziehe ich mich vorwiegend auf den Kulturbegriff Maletzkes (1996, S. 16). Dieser besagt, dass wenn von Kultur die Rede ist, dann im Sinne der modernen Kulturanthropologie. In der Kulturanthropologie ist Kultur im wesentlichen als ein System von Konzepten, Überzeugungen, Einstellungen und Werteorientierungen zu verstehen, die sowohl im Verhalten und Handeln der Menschen als auch in ihren geistigen und materiellen Produkten sichtbar werden. Vereinfacht kann gesagt werden: „Kultur ist die Art und Weise, wie die Menschen leben und was sie aus sich selbst und ihrer Welt machen“. (Maletzkes, 1996, S. 16)

32


1.3. DIE POSTMODERNE GESELLSCHAFT

Zunächst ist es wichtig die allgemeinen Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft zu erklären, um verstehen zu können inwieweit die Strukturen unserer heutigen Gesellschaft eine prägende Rolle für unser Leben spielen. Es gilt diese Erkenntnisse wiederum auf meinen Forschungsgegenstand zu übertragen. Eine Gesellschaft ist eine Gruppe von Individuen mit gemeinsamer Kultur (Wertesystem, Tradition etc.) und bestimmten gemeinsamen Organisationsformen. Rahmengebende Faktoren wie Normen, Institutionen und Organisationen wirken als Struktur, die den Mitgliedern der Gesellschaft Orientierung geben, Ordnung schaffen und sie Regel und Sinnhaftigkeit erfahren lassen (vgl. Weiß, 1999, S.29). Unsere heutige Gesellschaft hat beim Versuch, sie zu charakterisieren und zu definieren zahllose Etikettierungen verpasst bekommen. Unter vielen anderen Bezeichnungen war auch von der „aktiven Gesellschaft“, der „postindustriellen Gesellschaft“, der Risikogesellschaft“ (Beck, 1986) oder der „Erlebnisgesellschaft“ (Schulze, 1992) die Rede. Doch keine dieser

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1 Benennungen kann in ihrer Bedeutung die Komplexität unserer heutigen Gesellschaft abdecken, sondern zeigt immer nur einen kleinen Teilbereich. Die postmoderne Gesellschaft ist gekennzeichnet durch ihre Pluralisierung und gleichzeitige Individualisierung der Lebensformen und Lebensstile (vgl. Ferchhoff, 2007, S.10). Es entstehen neue Zeit- und Lebensrhytmen durch erhöhte Mobilitätsanforderungen. Bei gleichzeitiger Verkürzung der Arbeitszeit und Zunahme der Freizeit, kommt der Mensch der Industriegesellschaft mehr in Zeitnot, Hektik und Stress. Das Leben wird entsinnlicht, die Lebensverhältnisse rationalisiert, mediatisiert, virtualisiert und kommerzialisiert. Traditionelle soziokulturelle Kollektive erleben eine Aufweichung und soziale Beziehungen werden fragil. (vgl. Ferchhoff, 2007, S. 9-10). Der Individualisierungsprozess hat traditionelle Rollenzuweisungen aufgehoben (vgl. Beck, 1986, S.164). Demnach werden heute Wahlmöglichkeiten immer mehr zu Wahlzwängen und jeder „bastelt an seiner eigenen Biographie.“ (Beck, 1986, S.217) 34


Unter anderem hat auch die Kirche, als Institution zur Vermittlung und Wahrung traditioneller Werte, an Wichtigkeit und Überzeugungskraft verloren. In der Postmodernen stellen Minderheiten und Subkulturen erstmals Werte und traditionelle Konzepte in Frage.

1.4. SUBKULTUR

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Die Subkulturdiskussion ist ein sehr komplexes und umfangreiches Thema. Es ist unglaublich schwer aus der Vielzahl dieser komplexen und mehrdimensional erscheinenden Subkulturdefinitionen die einzig wahre und zutreffende zu finden beziehungsweise diese trennscharf zu formulieren. Das weitere Problem einer punktgenauen Definition des Subkulturbegriffs sehe ich in der inflationären Verwendung dieses Begriffes. Jede noch so kleine und marginale Abweichung von „der Norm“ nennt sich mittlerweile „Subkultur“. Dies wurde mitunter durch die enorme Kom-


1 merzialisierung subkultureller Einflüsse gestärkt. Daher sind subkulturelle Grenzen sehr diffus und verlieren sich dann letztendlich im Mainstream. Sie sind kaum noch benennbar und definierbar.

* Diese Gesamtgesellschaft beinhaltet auch jegliche Formen von Teilgesellschaften im Sinne von Subkulturen

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Im nun Folgenden werde ich einige (die für mich und meine Arbeit am relevantesten erscheinenden) dieser zahlreichen Subkulturdefinitionen und -theorien in ihren groben Zügen und ihren Mechanismen skizzieren. Hierbei liegt das Hauptaugenmerk stark auf dem Differenzierungsaspekt (eine Differenzierung hinsichtlich der Werte, Einstellungen, Bedürfnisse und Wünsche) einer Subkultur zu den sozialen als auch den konventionellen Normen der dominierenden Gesamtgesellschaft, also dem Mainstream. Dabei beziehe ich mich auf die Gesamtgesellschaft* der westlichen Industriestaaten. Die daraus gewonnen Rückschlüsse übersetze ich in den Kontext einer Abgrenzung hin zum Sport. Ziel ist es zu belegen, dass es auch im Sportbereich Teilkulturen im Sinne von Subkulturen gibt, die ähnliche Wesenszüge wie die einer gesamtgesellschaftlichen Subkultur aufweisen.


Innerhalb dieser Kontextualisierung werde ich die besonderen Rahmenbedingungen des Sportes, gesehen als Teilgebiet typisch moderner Lebenswelten, unter der Berücksichtigung der spezifischen Anforderungen einer Subkultur beleuchten und miteinander in Verbindung bringen. Dabei ist es notwendig, innerhalb des Sportbegriffes klare und forschungsgegenstandsrelevante Abgrenzungen zu ziehen. In diesem Fall eine Abgrenzung hin zum Freestyle-Sport, in dem sich mein Forschungsgegenstand, die „Urbane Fahrradkultur“, bewegt. Dies ist erforderlich um die gewonnenen Erkenntnisse innerhalb der Spate Freestyle-Sport, gleichzusetzen als „sportliche Subkultur“, auch auf andere Ausrichtungen (in diesem Fall „urbane Fahrradkultur“) adaptieren zu können. Dabei stellt sich die Frage, wo und wie solche „spotlichen“ Subkulturen in Erscheinung treten? Was sind die entscheidenden Elemente, die eine Teilkultur des Sportes zu einer Subkkultur des Sportes machen? 37


1 1.4.1 Allgemeine Definition Laut der Brockhaus-Enzyklopädie ist Subkultur eine allgemeine Bezeichnung für „Lebensformen, die sich als Teil- oder Gegenkultur von der Gesamtkultur einer Gesellschaft unterscheidet. Träger von Subkulturen sind mehr oder weniger große Gruppen von Menschen, die sich durch gemeinsame Merkmale (Einstellungen, Werte, Normvorstellungen, Bedürfnisse, Wünsche oder Lebensstile) von kulturellen und sozialen Normen der jeweiligen Gesellschaft abheben“. (vgl. http://www.brockhausenzyklopaedie.de/be21_article.php#3 14.11.2011 _ 15:34)

Das Lexikon zur Soziologie definiert eine Subkultur als eine „mehr oder weniger abweichende Kultur einer Teilgruppe. Die Abweichungen bestehen dabei unter anderem hinsichtlich von Lebensstilen, Wertevorstellungen, Gesellungsformen und expressiven Eigenheiten“. (Fuchs-Heinritz, Lautmann, Rammstedt & Wienold, 1995, S. 591)

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Für Rolf Schwendter, den Autor des Buches „Theorie der Subkultur“, „ist die Subkultur ein Teil einer konkreten Gesellschaft, der sich in seinen Institutionen, Bräuchen, Werkzeugen, Normen, Weltordnungsystem, Präferenzen, Bedürfnissen [...] in einem wesentlichen Ausmaß von den herrschenden Institutionen etc., der jeweiligen Gesamtkultur unterscheidet.“ (Schwendter 1993, S.10)

*Subkultur wird oft auch mit dem Begriff Gegenkultur gleichgesetzt

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Desweiteren schreibt er, dass man zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Subkulturen unterscheiden muss. Unfreiwillige Subkulturen sind solche, deren Akteure zwar an Integration in die Gesellschaft orientiert sind, aber wie Kriminalisierte, Obdachlose oder Drogenabhängige von dieser ausgegrenzt werden. Freiwillige Subkulturen dagegen zielen auf einen andere, der dominierenden Gesellschaft entgegengesetzte Lebensführung („Gegenkultur“*) (vgl. Schwendter 1993, S. 137). In meiner Arbeit werde ich mich lediglich auf die freiwilligen Subkulturformen konzentrieren.


!! Eine Subkultur ist eine soziale Gruppe, die sich um ihre geteilten Interessen und Praktiken herum organisiert

1

40

Allgemein kann gesagt werden, dass der Grad der Abweichung solcher Sonderkulturen dabei vom übergreifenden Gesamt (also dem Mainstream) von bloßen Modifikationen bis hin zur ausdrücklichen Gegenposition reichen kann (vgl. Fuchs; Klima, Wienold, Lautmann & Rammstedt, b) 1988, S.757). Die Soziologin und Kunsthistorikerin Sarah Thornton, die Herausgeberin des Buches „Subcultures Reader“, konstatiert, dass die Autoren der zahlreichen Subkulturdefinitionen alle in einem Punkt übereinstimmen: Eine Subkultur ist eine soziale Gruppe, die sich um ihre geteilten Interessen und Praktiken herum organisiert. „Subcultures come in many, varied and diputed forms, and although there is no consensus about definition of a „subculture“ amongst the constributors to the reader, most would agree that subcultures can be broadly defined as a social group organized around shared interests and practices.“ (Thornton 1997, S.1)

Der zweite wesentliche Aspekt von Subkulturen ist nach Thornton, dass es sich um eine Gruppe handelt, die sich von einer anderen Gruppe oder vom Mainstream absetzt.


!! Subkulturen sind Gruppen, die sich bewusst und freiwillig von anderen Gruppen oder vom Mainstream absetzt 41

„While some subcultures are secretive, others are spectaculary public in their clothes, music and behaviour. Subcultures often distinguish themselves against others - workers, achievers, „squares“ or the „mainstream“. (Thornton, 1997, S. 1)

Dies ist der wesentliche theoretische Ansatz worauf ich mich im Zuge meiner Arbeit stütze und worauf meine weiteren Überlegungen, Rückschlüsse und gegebenenfalls meine Hypothesen beruhen. Es geht darum, dass sich eine Gruppe von Menschen bewusst und freiwillig vom Mainstream absetzt um sich klar zu differenzieren. Dieser Ansatz soll mir dabei helfen meinen Forschungsgegenstand abzugrenzen, ihn vergleichbar und adaptierbar zu machen.


1 1.4.2 Das Wesen von Subkulturen

* „Hangers-on“ (auf Deutsch Anhang), sind jene, die erst später der Subkultur beitreten. „Originals“ (zu Deutsch Originale), sind der „authentische“ Kern der ersten Stunde der Subkultur (vgl. Reinecke 2007, S. 108)

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In vielen Subkulturtheorien werden der Musikkonsum und die Kleidung als relevantes Mittel beschrieben, womit sich Subkulturen von anderen Gesellschaftsformen differenzieren und somit die Identität der eigenen Subkultur prägen und bestimmen. Jede Subkultur verfügt über einen eigenen Stil, der sich aus folgenden Komponenten zusammensetzt und Rückschlüsse über die Intensität der Bindung von Mitgliedern sowie deren Position zulässt. Das ist das Image also das äußeres Erscheinungsbild, die Haltung (körperlicher Ausdruck und Körpersprache) und der Jargon, das spezielle Vokabular oder Slang dieser Subkultur. Diese Komponenten dienen zum einen der Selbstdarstellung der Gruppe nach aussen, aber auch der Selbstdarstellung jedes einzelnen innerhalb der Gruppe. Besonders im Bezug zur Selbstdarstellung und der Intensität gibt es auch in einer Subkultur klare Hierarchien. So unterscheidet Dick Hebdige in seinem Buch „Subculture. The meaning of style“ zwischen „hangers-on“ und „originals“*.


Hierbei befasst sich Hebdige mit der Authentizität von Subkulturen. Demnach trennt er die Nachahmer oder nur halbherzig der Subkultur Angehörige von den „Authentischen“, die von Anfang an dabei waren (vgl. Hebdige 1979, S. 122). Die Nachahmer werden nie eine Chance haben zum Kern der Subkultur zu werden, da ihr gesamtes Auftreten aufgesetzt und nicht authentisch ist. Hierbei werden subkulturintern klare Unterschiede gemacht und zum Teil mit Ausgrenzung sanktioniert. Wahre Akzeptanz wird erst durch das Erkennungsmerkmal Lifestyle (als gelebte und nicht nur modisch dargestellte Einstellung) erlangt (vgl. Ferchhoff, 2007, S. 241). Hier spielt die Habitustheorie von Bourdieu eine zentrale Rolle, sie wird auf Seite 101 näher erläutert. Da Subkulturen in den komplexen modernen Gesellschaften jedoch nicht komplett von der Außenwelt isoliert sind, spielen äußere soziale wie auch kulturelle Einflüsse eine große Rolle bei der Entstehung, Veränderung und später auch bei der Annäherung der Subkulturen an den Mainstream. 43


1 Doch auch wenn die so genannten „Gegenkulturen“ immer größten Wert auf Authentizität und Glaubwürdigkeit legen, so lässt sich jedoch auch immer eine anschließende Kommerzialisierung in gewisser Weise nicht leugnen. Hin und wieder kann sogar der Vorgang beobachtet werden, dass sich bestimmte, in der Gesellschaft zunächst als zentral angesehene kulturelle Mustern sich so weit verlieren, dass die sie befolgenden Menschen schließlich zu Angehörigen einer Subkultur werden können, während sich umgekehrt bestimmte Verhaltensweisen, die zunächst nur im Rahmen einer Subkultur gelebt werden konnten, zu kulturellen Selbstverständlichkeiten der Gesellschaft entwickeln können. Beispielhaft dafür ist die heute weitgehend akzeptierte Form des eheähnlichen Zusammenlebens nicht verheirateter Paare, diese trat in den vergangenen Phasen bürgerlicher Gesellschaft lediglich in der Boheme oder in den ländlichen Unterschichten in Erscheinung. Andererseits wird die vormals zentrale Vorstellung vom Verbot vorehelicher sexueller Beziehungen heute nur noch von einer Minderheit gelebt (vgl. http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/be21_article.php#3 // 14.11.2011 _ 15:34). 44


Demnach kann also gesagt werden, dass in bestimmten Situationen Subkulturen zu Veränderungen der Gesamtgesellschaft führen können (wie beispielsweise auch die Arbeiter-, Jugend-, Lebensreform-, Frauen-, Studenten- oder Ökologiebewegungen). So verweisen bestimmte Gruppenzusammenhänge auf möglicherweise zukunftweisende, in späteren Zeiten die Gesamtgesellschaft prägende Lebens- und Verhaltensformen, die aber zunächst in der Form einer Subkultur in Erscheinung treten; z. B. kann so der »Wandervogel« der Jahrhundertwende 1900 als subkulturell entwickelter Vorbote späterer Jugendund Freizeitvorstellungen gesehen werden (vgl. Brockhaus-Enzeklopädie_Stichwort: Subkultur).

Die Entstehung von Subkulturen ist stets stark vom allgemeinen sozialen Wandel bis hin zu gesellschaftlichen Strukturierungsprozessen wie etwa die Individualisierung und die Pluralisierung geprägt. Daher ist ein zentrales Thema bei der Beleuchtung von Subkulturen auch der Begriff der Individualisierung. Dieser wird in Kapitel 1.12 näher vorgestellt. 45


!! Eine subkultur ist immer Abhängig von dem Bestehen einer dominierenden Gesellschaft, also dem mainstream

1

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Dass eine Subkultur immer von dem Bestehen einer dominierenden Gesamtgesellschaft, also dem Mainstream, abhängig ist zeigt die Definition des „Penguin Dictionary of Sociology“. Sie beinhaltet, dass die Abgrenzung eines gruppenbezogenen Wertesystems etc. nur in Bezug zu einer dominanten Kultur vonstatten gehen kann (Abercromie. in „The Penguin Dictionary of Sociology, 1988, S.245). Genauer bedeutet dies, dass es immer eine dominierende Kultur geben muss, von der man sich klar und autonom distanzieren und abgrenzen kann damit man seine eigene „Untergrundwelt“ erhalten kann. Um dies zu gewährleisten, entgegen der Annäherung der dominierenden Gesellschaft an die Subkultur, erfinden sich Subkulturen immer wieder neu, sie modifizieren sich und sie reaktivieren sich man kann sagen sie sind in ständiger Bewegung.


1.4.3 Fazit Eine Subkultur ist frei von den konventionellen Ansichten der dominierenden Gesellschaft. Es kann gesagt werden, dass eine Subkultur stets ein Ausdruck des sozialen Wandels ist. Aufgrund dieser Tatsache, unter anderem, hingehend zum Individualismus haben sich subkulturelle Bewegungen zu einer anerkannten Freizeitwelt gewandelt und werden von der übrigen Gesellschaft nicht mehr als Bedrohung angesehen. Dies zeigt, dass Subkulturen nicht mehr unbedingt mit Rebellion gleichzusetzen sind. Was einst mit Rebellierenden wie den Jugend- und Studentenbewegungen begann ist heute durch den Aspekt der subkulturellen Freizeitgestaltung zu einer allgemein anerkannten Form der Differenzierung geworden. Die (allgemeine) negative Belastung des Begriffs Subkultur hat sich meiner Meinung dadurch stark verändert. Meines erachtens nach sind Subkulturen aufgrund der Tatsache, dass sie gesamtgesellschaftliche Veränderungen herbeiführen können, zukunfts47


1 weisende Triebfedern unserer Gesellschaft, da sie den Fortschritt (wie auch immer geartet) vorantreiben und allgemeine Bedürfnisse der Gesellschaft aufzeigen. Aber gerade aus diesem Grund sind Subkulturen von enormer Kurzlebigkeit bedroht. Sie sind nur so lange durchsetzungskräftig und als solche im Untergrund aktiv, solange sie autonom und nonkonform abseits der allgemeinen Anerkennung durch den Mainstream agieren können. Geschieht es, dass sie vom Mainstream erkannt werden, werden sie von der Gesellschaft übernommen und kommerzialisiert (vgl. http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/be21_article.php#3 // 14.11.2011 _ 15:34). Es kommt mehr und mehr dazu, dass Subkulturen aus ihren subkulturellen Nischen heraustreten und über weite Strecken mehrheitsfähig und vor allem konsumfähig werden. Es gibt kaum noch eine subkulturelle Bewegung, die nicht von der Industrie und den Massenmedien vereinnahmt wurde. Dadurch wird die Ideologie der subkulturellen Szene für die Masse zugänglich und vor allem verträglich gemacht. 48


* Der Mainstream (engl. für wörtlich „Hauptstrom“) bzw. Massengeschmack spiegelt den kulturellen Geschmack einer großen Mehrheit wider, im Gegensatz zu Subkulturen oder dem ästhetischen Underground** (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/ Mainstream 14.01.2012_23:46)

** Beim Underground spielt häufig die starke Orientierung an der Idee des ästhetischen Fortschritts eine Rolle (Avantgarde), seine Formen werden später im Mainstream aufgegriffen, dabei aber auch ihres rebellischen Gehalts beraubt und auf rein formal-ästhetische Elemente reduziert. Der Underground ist nicht von vornherein an einen besonderen Stil gebunden, aber er stellt in der Regel eine Minderheiten-Kultur in der Gesellschaft dar. Der Underground ist der Gegenpol ist der so genannte Mainstream. .

49

Demnach bedeutet SUBKULTUR für mich,

FREIWILLIG (ALSO BEWUSST) NONKONFORM,

UNKONVENTIONELL,

AUTONOM, TRENDSETZEND UND NICHT MAINSTREAM˙

ZU SEIN


1 1.5. ABGRENZUNG ZUM SPORT

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Wie schon erwähnt werden Subkulturen in allen möglichen Zusammenhängen diskutiert. Um jedoch das Phänomen Subkultur genau beschreiben zu können ist es sinnvoll, dies an einem konkreten Beispiel fest zu machen. Daher bringe ich die Subkulturdiskussion in den Kontext des Sportes und versuche an diesem Beispiel die relevanten Mechanismen einer Subkultur in Bezug zum Sport, als Teilgebiet typisch moderner Lebenswelten, zu erforschen, zu erörtern und gegebenenfalls zu interpretieren. Im weiteren Verlauf werde ich eine konkrete, logisch sinnvolle Abgrenzung ziehen um diese explizit auf meinen Forschungsgegenstand, die „urbane Fahrradkultur“, anwenden zu können. Doch was bedeutet der Subkulturbegriff für den Sport? Um herauszufinden was Subkultur für den Sport bedeutet, müssen zunächst die allgemeinen Rahmenbedingungen des Sportes der heutigen Zeit betrachtet werden um folgerichtig innerhalb dieses Sektors abgrenzen zu können. Dabei stellt sich die Frage wie und wo nimmt der Sport subkulturelle Züge an?


1.5.1. Was bedeutet Sport in der heutigen postmodernen Gesellschaft? - Sport, gesehen als Teilgebiet typisch moderner Lebenswelten Hierbei geht es mir nicht vordergründig um die etymologisch genaue Definition des Begriffes „Sport“. Vielmehr möchte ich aufzeigen, dass auch der Sport den allgemeinen soziokulturellen Wandlungsprozessen unterliegt und, dass dies auch direkte Auswirkungen auf das Sporttreiben in der heutigen Zeit hat. Daraus erschließen sich neue Aspekte. Mitunter sind die neuen soziokulturellen Rahmenbedingungen des Sportes Triebfedern für die Entwicklung neuer Sportarten bis hin zur Entstehung von „sportlichen“ Subkulturen. Hierbei geht es darum, zu begreifen unter welchen Umständen sich diese neuen (subkulturellen) Teilgebiete des Sportes entwickeln. Sport und Sportlichkeit haben aufgrund der soziokulturellen Entwicklungstendenzen (also den sozialen Wandlungsprozessen), auch über den Bewegungsaspekt hinaus, an Bedeutung gewonnen: Sie sind zu sinnstiftenden 51


1 * Entnommen aus der Magisterarbeit: Die Situation von Frauen im Snowboard Freestyle eine biografische Analyse von Simone Unterrainer

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Aktivitäten geworden, die neben einer offensichtlichen Selbstdarstellung auch mit einer Selbst-Suche, Ich-Findung oder der Ausbildung der eigenen Identität einhergehen (vgl. Geisler, 2004, S.10f)*. Mit der wachsenden Unsicherheit der Menschen in postmodernen Gesellschaftsformen wächst die Suche nach Selbstgewissheit (Identität). Der Mensch braucht Bedeutung, Bestätigung und Anerkennung durch andere (vgl. Weiß, 1999, S. 70, 141). Hier kommt dem Sport eine entscheidende Bedeutung zu, wird er doch zu einem „Bereich kommunikativer Nutzung, in dem Identität aufgebaut und aufrechterhalten werden kann (vgl. Weiß, 1999, S. 153). Der Sport beziehungsweise der Körper (mit dem der Sport ausgeübt wird) wird so zum Interaktionsinstrument mit der Welt, durch welches Erkenntnis und Identität gewonnen wird. Diese individualisierten lebenstilgerecht aufbereiteten Bewegungsvorstellungen und -ansprüche vereinen laut Geisler (2004, S.19) Körperästhetik, Virtuosität, Risikobereitschaft, Modebewusstsein und individuellen Ausdruck zu einem außersportlichen Idealbild des modernen Menschen.


In der (post-) modernen Gesellschaft ist der Sport aber auch ein sinnstiftendes Kulturobjekt. Wenn der Sport „die Gesellschaft reflektiert“, er somit „ein Mikrokosmos der Gesellschaft“ ist, dann müsste der Umkehrschluss gelten, das Phänomene, die sich im Sport manifestieren, auch in anderen kulturellen Feldern aufzufinden sind (vgl. Weiß, 1990, S. 49). Daher kann man sagen, dass Sport sehr wohl subkulturelle Züge annehmen kann, da er auch als eine Art Kulturobjekt angesehen wird: „Der „Sport“, verstanden als Kulturobjekt, ist an das materielle Substrat „Bewegung“ gebunden, dennoch steht Bewegung hier immer auch in Verbindung mit Sinn und wird zum Ausdruckshandeln, d.h. sportliche Aktivität ist als Ausdrucksform immer auch Träger von Bedeutung und offen für sehr unterschiedliche Sinnzuweisungen.“ (Breuer & Sander, 2004, S. 44)

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Sport ist eng an gesellschaftliche Wandlungsprozesse gebunden

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Doch welche Auswirkungen hat das für den Sport? Wie erläutert ist Sport eng an gesellschaftliche Wandlungsprozesse gebunden. Demnach gestaltet sich der Sport nach den neuen gesellschaftlichen Anforderungen und Bedürfnissen um. Es entwickelt sich ein ganzes Feld von neuen Sportarten (Trendsportarten), durch die der Mensch im unsicheren Individualisierungsprozess „echte“ Erfahrungen auf dem Weg zur eigenen Identität erlangt. Diese Bewegungsformen sind den veränderten Bedürfnissen angepasst und verschaffen auch außersportlich ein individuelles Idealbild des modernen Menschen. „Die sozialen Strukturen im Sport und die sich daraus entwickelnden Anforderungen, denen der Sporttreibende gerecht werden muss, existieren nicht unabhängig von gesamtgesellschaftlichen Gegebenheiten. Sport wird durch gesellschaftliche Prozesse geformt; er besteht nicht autonom, sondern wird durch die Beziehung zur Gesellschaft bewahrt, verändert und neu gestaltet.“ (Heinemann, 2007, S. 174-175)


Freestyle-Sportarten drücken den gesellschaftlichen Zeitgeist der Individualisierung in einer pluralisierten Welt aus 55

1.5.2. Freestyle – eine forschungsgegenstandrelevante Abgrenzung Und an diesem Punkt kommen nun die Freestyle-Sportarten ins Spiel. Im nun Folgenen werde ich erläutern, warum gerade die Freestyle-Sportarten relevant für meinen Forschungsgegenstand sind, wie sie punktgenau auf die veränderten Bedürfnisse reagieren und inwieweit sie subkulturelle Züge aufweisen. Die Freestyle-Sportarten drücken den gesellschaftlichen Zeitgeist der Individualisierung in einer pluralisierten Welt aus, deren Ungewissheit nur mit der aktiven Identitätsfindung begegnet werden kann. Sie sind die Folge dieser neuen gesamtgesellschaftlichen Gegebenheiten, Anforderungen und Bedürfnisse. Freestyle-Sportarten sind nicht nur bewegungskulturelle, sondern vor allem auch soziokulturelle und identitätsschaffende Phänomene. Da in diesen Sportarten der Lifestyle, Habitus und die Selbstinszenierung im Vorder-


1 grund stehen. Sie bringen den Sporttreibenden demnach dem Idealbild des modernen Menschen näher. „Die gesteigerte Bedeutung ästhetischer und individueller Bewegungsausführung steht… mit dem traditionellen Verständnis von sportlicher Technik und Perfektion in Opposition.“ (Botros, 2007, S. 64) Ausdruck, Virtuosität und Ästhetik sind die neuen maßgebenden Bestandteile der Bewegungsausführung. Ästhetisch akzentuierte Bewegungen werden im Freestyle den normierten Bewegungen des traditionellen Sportes gegenübergestellt (vgl. Botros, 2007 , S. 61, 64-65, 68). So gesehen stellt der Freestyle-Sport eine Gegenbewegung zu den traditionellen Wettkampfformen im Sport, wie Zeitminimierung, Distanzmaximierung / -minimierung, Treffermaximierung / -optimierung, dar. Er verweigert sich Normen, Regeln und organisatorischen Rahmungen und bietet selbst einen Rahmen, der individuelle Gestaltungsmöglichkeiten erleichtert und eine neue Freiheit im Bereich der Bewegung ermöglicht (vgl. Botros, 2007, S. 59). 56


Man kann sagen: Freestyle-Sportarten „verweigern sich“ der Institutionalisierung. Dies hat die Folge, dass Vorschriften und Leistungskriterien von Freestylern grundsätzlich abgelehnt werden.

1.5.2.1 Freestyle und seine charakteristischen Merkmale Freestyle-Sportarten sind Individualsportarten mit spielerisch-kreativen Bewegungs- und Ausdrucksformen. Botros (2007, S. 59) unterstreicht bei der Beschreibung der Bewegungsmerkmale von Freestyle-Sportarten die Begriffe Freiheit und Stil. „Freiheit im Sinne von Befreiung von Normen, Regeln, organisatorischen Rahmungen etc.“. Hier besteht ein klarer Bezug zum gesamtgesellschaftlichen Subkuturbegriff. Die Freiheit in Bezug auf neue individuelle Gestaltungsmöglichkeiten (siehe Individualisierung) (Botros, 2007, S. 59). Als Stil/Style beschreibt er die Bewegungsausführung, die mit einer persönlichen Note virtuos und ästhetisch ausgedrückt werden muss (vgl. Botros, 57

2007, S. 61).


1 Löst man diese Beschreibungen jetzt von ihrem Sportbezug und setzt sie in einen allgemeineren Rahmen, so ist „Freiheit von“ ein (sich) Lösen von auferlegten Zwängen und Regeln und „Freiheit zu“ die Hinwendung zu selbstbestimmten Tun. Dies sind typische subkulturelle Verhaltensweisen.

1.5.2.2. Fazit Da Freestyle eng mit den gesellschaftlichen Wandlungsprozessen verbunden ist und „die Gesellschaft reflektiert“, so kann dies als eine größere soziokulturellen Dimension verstanden werden. Freestyle ist ein komplexes bewegungskulturelles Phänomen. Die grundlegenden Bedürfnisse nach Freiheit und Beachtung, ausgelöst durch die Individualisierung, werden hier befriedigt. Die Bewegungscharakteristik in Freestyle-Sportarten mit ihren Merkmalen Freiheit und Style ist ein Korrelat zur heutigen Gesellschaft. In diesem Fall 58


kann die Individualisierung und Selbstinszenierung lustvoll (spielerischkreativ) ausprobiert werden. Der Freestyler will mit seinem sportlichen Handeln ausschließlich seine eigene Person mit Style präsentieren. Freestyle formt das Idealbild des modernen Menschen. Der Freestyle-Sport ist eine Gegenbewegung zu den traditionellen Sportarten. Diese typisch charakteristischen Merkmale weisen starke Ähnlichkeiten zu dem, von mir zuvor definierten Subkulturbegriff auf. Somit wurde gezeigt, dass es auch im Sportbereich subkulturelle Phänomene gibt. Die allgemeinen Ergebnisse bei dieser Abgrenzung zum Freestyle gelten natürlich auch für die Auseinandersetzung mit der „urbanen Fahrradkultur“, was genauer in Kapitel 3 erläutert wird.

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1 1.6. SZENE nach Hitzler und Niederbacher

Wenn man von Subkulturen spricht, kommt man um den Ausdruck „Szene“ nicht herum. Die Szene ist ein weit verbreiteter Ausdruck für die verschiedenen Ausrichtungen von Subkulturen. Das Leben der Subkulturen spielt sich in deren jeweiligen Szene ab. Dementsprechend ist es wichtig sich mit den Strukturen und Mechanismen von Szenen auseinanderzusetzen. Der Wandel der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hingehend zu Globalisierung, Individualisierung, Pluralisierung, Subjektivierung etc. hat zur Folge, dass sich die Menschen wieder extremer vergemeinschaften. Durch diese gesellschaftlichen strukturellen Veränderungen gibt es auch eine Veränderung der bisherigen klassischen Vergemeinschaftungsformen wie beispielsweise Familie, Nachbarschaft, Kirchengemeinden, Vereine, Verbände, Parteien, Bürokratien etc. (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010, S.11). Demnach halten sich die Akteure des gesellschaftlichen Lebens nicht an die analytisch abgesteckten Milieugrenzen. Sie nehmen vielmehr auch ganz woanders im sozialen Raum Kontakte auf, suchen Anschlüsse, gehen Beziehungen ein, schließen Freundschaften, finden sich zurecht, gewöhnen

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sich - und zwar mehr oder weniger an alles, außer daran, atomisiert, solitär, schlicht: einsam, insbesondere mental und emotional einsam zu sein (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010, S.14). Denn gerade die Konfrontation mit einer immer komplexeren „Realität“ verunsichert den Einzelnen. Diese Verunsicherung wiederum erhöht sein Bedürfnis nach kollektiven „Vorgaben“ (vgl. Schulz, 1992, S. 35), hingehend zu Vergemeinschaftung in Szenen etc. Dabei werden die „Antworten“ herkömmlicher Agenturen der Sozialisation - wie kirchliche und im weiteren Sinne, politische Organisationen bzw. Jugendverbände, Ausbildungsstätten oder die Familie - unter den gegebenen Bedingungen (drastisch) erhöhter Komplexität diesem Bedürfnis jedoch immer weniger gerecht. Es entwickeln, verstetigen und vermehren sich neuartige Vergemeinschaftsformen, deren wesentlichstes Kennzeichen darin besteht, dass sie eben nicht mit den herkömmlichen Verbindlichkeitsansprüchen einhergehen, welche üblicherweise aus dem Rekurs auf (wie auch immer geartete) Traditionen und/oder auf ähnliche soziale Lagen resultieren, sondern dass sie auf der Verführung hochgradig individualitätsbedachter Einzelner zur (grundsätzlich partiellen) habituellen, 61


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intellektuellen, affektuellen und vor allem ästhetischen Gesinnungsgenossenschaften basieren (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010, S. 14). Es geschieht eine Loslösung von traditionellen und lebenslangspezifischen Bindungen (Hitzler/Niederbacher 2010, S. 15). Daher entwickelt sich vor diesem Hintergrund eine Art „individualisierende Vergemeinschaftung. Demnach kann auch eine Szene als eine Art ‘individualisierte’ Vergemeinschaftung betrachtet werden (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010, S. 15). In eine Szene wird man nicht hineingeboren oder hineinsozialisiert, sondern man sucht sie sich aufgrund irgendwelcher Interessen selber aus und fühlt sich in ihr eine Zeit lang mehr oder weniger „zu Hause“. Gerade aus dem Aspekt des Interesses heraus sind Szenen thematisch fokussierte Netzwerke, in denen sich unbestimmt viele beteiligte Personen und Personengruppen vergemeinschaften. Jede Szene hat ein zentrales Thema, auf das hin die Aktivitäten der Szenegänger ausgerichtet sind. Dieses Thema kann zum Beispiel ein bestimmter Musikstil sein, eine Sportart, eine politische Idee, eine bestimmte Weltanschauung, spezielle Konsumgegenstände (Autos, Filme etc.) oder auch ein Konsum-Stil-Paket (die „angesagtesten“ Dinge) sein (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010, S. 16 u. 17).


Der Begriff Szene markiert vor allem die zentrale Bedeutung von Kommunikation und Interaktion 63

Szenegänger teilen das Interesse am jeweiligen Szene-Thema. Sie teilen auch typische Einstellungen und entsprechende Handlungs- und Umgangsweisen. Selbstverständlich ist der Szene-Alltag nicht ausschließlich vom zentralen Thema bestimmt. Skater führen nicht ständig ihre Kunststücke vor und Writer (Graffiti) haben nicht unentwegt die Spraydose in der Hand. Thematische Fokussierung meint vielmehr die Vorfindlichkeit eines mehr oder weniger präzise bestimmten thematischen Rahmens, auf den sich Gemeinsamkeiten von Einstellungen, Präferenzen und Handlungsweisen der Szenegänger beziehen (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010, S. 17). Der Begriff Szene markiert vor allem die zentrale Bedeutung von Kommunikation und Interaktion. Damit ist der Gebrauch szenetypischen Symbolen, Zeichen und Rituale, die zur ständigen kommunikativen Erzeugung gemeinsamer Interessen dienen und die Zugehörigkeit der Szenegänger „inszenieren“, gemeint. Beiläufig wird dadurch zugleich die Szene konstituiert. Vor allem in diesem Sinne lässt sich eine Szene mithin als Netzwerk von Personen verstehen, die bestimmte materiale und/oder mentale Formen der kollektiven (Selbst-) Stilisierung teilen und diese Gemeinsamkeiten kommu-


1 nikativ und stabilisieren, modifizieren oder transformieren. Daher sind Szenen „Inszenierungsphänomene“ und dienen der sozialen Verortung. Denn sie manifestieren sich für Szenegänger und für Außenstehende nur insofern, als dass sie „sichtbar“ sind - an Orten, an denen Kommunikation und Interaktion stattfinden. Partizipation an einer Szene bedeutet also vor allem kommunikative und interaktive Präsenz des Akteurs. Kommunikation und Interaktion ist insoweit wichtig, als dass Szenen allgemein wahrgenommen werden müssen, also auch durch das Publikum, ohne das Szenen nicht existieren können, da sie letztendlich erst dadurch existieren, dass sie nicht nur von den Szenegängern selber, sondern eben auch von Außenstehenden wahrgenommen werden. Auch konstituieren sich Szenen nicht im individuellen Erleben, sondern über die Kommunikation (also über die individuellen Erlebnisse) beziehungsweise in der darauf basierenden Interaktion (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010, S.18 und 19). Orte der Kommunikation und Interaktion sind die Szenetreffpunkte. Sie sind von großer Bedeutung, dort manifestiert und reproduziert sich nicht nur die 64


Kultur der Szene, sondern auch das subjektive Zugehörigkeitsgefühl des Szenegängers. Die jeweiligen Treffpunkte kennt der Szenegänger in der Regel genau, und weiß auch, wer dort (wann) konkret anzutreffen ist. Neben diesen jeweiligen Treffpunkten ist ein essentielles, strukturell unverzichtbares Element des Szene-Lebens das Event. Ein Event ist eine vororganisierte Veranstaltung bei der unterschiedliche Unterhaltungsangebote nach szenetypischen ästhetischen Kriterien ausgeübt werden. Die Funktion eines Events ist es, den Teilnehmern ein „totales“ Erlebnis zu bieten. Doch vor allem dient es der Aktualisierung, Herstellung und Intensivierung des „Wir“-Gefühls. Diese Events werden vor allem von den so genannten „Organisationseliten“ innerhalb der Szene produziert. Diese „Organisationseliten“ rekrutieren sich größtenteils und essentiell aus langjährigen Szenegängern, welche auf der Basis ihres umfangreichen Wissens um ästhetische und andere Kriterien der Szene kommerzielle Chancen bei der Eventplanung nicht nur (er-)kennen, sondern auch nutzen. Die Mitglieder einer so verstandenen Organisationselite sind sowohl mit der 65


1 Strukturierung von Szenetreffpunkten als eben auch mit der Produktion von Veranstaltungen befasst. Durch diese Organisationsarbeit ergeben sich überregionale Kontakte zu anderen Organisatoren, dabei entsteht ein von geografischen Kriterien weitgehend losgelöstes Eliten-Netzwerk (vgl. Hitzler/ Niederbacher 2010, S.22). Die Mitglieder dieses Netzwerkes sind gegenüber den „normalen“ Szenegängern relativ privilegiert beziehungsweise nehmen sich im Zuge der weiteren Ausbildung organisationselitärer Strukturen immer mehr Privilegien heraus. Organisationseliten bilden eine Art „Szenemotor“ insofern, als die Rahmenbedingungen szenetypischer Erlebnisangebote dort produziert werden und auch Innovationen sehr oft ihren Ursprung dort haben. Szenen haben eine vergemeinschaftende Kraft. Es ist bereits deutlich geworden, dass Szenen ihre Kohäsion aus ästhetisch-stilistischen Gemeinsamkeiten im Hinblick auf einen bestimmten thematischen Fokus beziehen (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010, S.27). Jedenfalls begründet sich diese vergemeinschaftende Kraft nicht mehr essentiell auf gemeinsame Lebens66


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lagen. Dementsprechend erscheinen Szenen mehr und mehr als individuell ausgesuchte „Orte“ im sozialen Raum in dem Identitäten, Kompetenzen und Relevanzhierarchien aufgebaut und interaktiv stabilisiert werden. Szenen sind als Sozialisierungsinstanzen zu verstehen, die in eigener Regie fungieren. Vereinfacht ausgedrückt erweisen sich Szenen als individualisierungssymptomatische Gesellungsgebilde (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010, S.26). Von herausgehobener Bedeutung für die Beschreibung von Szenen sind Erlebnis-Elemente, an denen die jeweils typischen Möglichkeiten, Formen und Inhalte von Kommunikation und Interaktion erfahrbar (und wie schon erwähnt sichtbar) werden. Dadurch kann man Szenen beschreiben, beobachten und auch miteinander vergleichen. Solche Erlebnis-Elemete sind: • der thematische Fokus • die Einstellung • der Lifestyle • die Symbole und Rituale • die Treffpunkte und Events • die Medien


1 Wichtig für eine systematische, übersichtliche und anschauliche Darstellung der Szenelandschaft sind, über die genannten - an die Konstitutionsbedingungen von Szenen angelehnten - Kriterien hinaus, folgende Aspekte: • • • •

der geschichtliche Hintergrund (History) die Facts und Trends die Strukturen die Szeneüberschneidungen

- Der geschichtliche Hintergrund Dabei werden die historischen Entwicklungslinien aufgezeigt, welche die derzeitige gesellschaftliche Verortung der jeweiligen Szene durchsichtiger, Ursprünge deutlicher und eventuelle Querverbindungen zu anderen Szenen verständlicher machen sollen. Welche herausgehobenen Ereignisse, Persönlichkeiten oder gesellschaftliche Entwicklungen haben die Szene in ihrer Geschichte besonders beeinflusst? 68


- Facts und Trends Hier geht es um die aktuelle Größe und um zukünftige Entwicklungstendenzen der jeweiligen Szene. Da Szenen keine statischen Gebilde sind, sondern offene und dynamische Formationen, bleiben solche Daten bleiben jedoch grobe (Ein-)Schätzungen. Szenen entziehen sich einer exakten quantitativen Erfassung sozusagen grundsätzlich.

- Fokus Sei es Feiern, Skaten, eine bestimmte Art von Musik hören oder anderes: Eine Szene konstituiert sich kraft der zentralen Relevanzen der Szenegänger. Die Szene konstituiert sich wesentlich über die Interaktion und Kommunikation dieser szenetypischen Aktivitäten.

- Symbole und Rituale Als das augenfälligstes Zugehörigkeits- und Distinktionsmerkmal von sozialen Formationen gilt nach wie vor der jeweilige Kleidungsstil. Das Outfit fungiert als Kommunikationsinstrument. 69


1 Jedoch sind die Arrangements der visuellen Selbstpräsentation sehr vielschichtiger und subtiler geworden. Auch bedienen sich häufig mehrere Szenen des gleichen modischen Stils. Daher sind es für Außenstehende kaum erkennbare Details, welche über „in“ oder „out“ über Szenennähe oder Szenendistanz entscheiden. Hierbei ist jedoch nicht nur zu fragen, welche Kleidungsstile wo vorherrschen beziehungsweise welche szeneninterne Differenzierungen zu finden sind, sonder auch, welchen „Stellenwert“ Kleidung überhaupt in der jeweiligen Szene hat. Ein weiterer wichtiger Aspekt sind ritualisierte Handlungsformen, die insbesondere der Vergemeinschaftung dienen und Zugehörigkeit signalisieren.

- Treffpunkte und Events Treffpunkte und Events sind maßgeblich für die Intensivierung, (Re-)Produktion und Stabilisierung von „Wir“- Bewusstseins bei Szenegängern. Während der Treffpunkt jedoch ein sozusagen szenealltäglicher Rahmen des Zusammenseins ist, stellt das Event einen außeralltäglichen, sozusagen, „festlichen Kristallisationspunkt“ im Szeneleben dar. 70


Die Treffpunkte sind für das Szeneleben von existentieller Bedeutung. Als Treffpunkt fungieren in manchen Szenen speziell für deren Zweck gestaltete Räumlichkeiten, in anderen Szenen trifft man sich an mehr oder weniger öffentlichen Plätzen und eignet sich diese sozusagen für die eigenen Belange an.

- Medien Die Veränderung von lokalen und organisationsbedingten Gruppen hin zu überregional strukturierten Szenen geht einher mit der Entwicklung neuer Kommunikationsmedien. Von besonderem Interesse im Hinblick auf Szenenunterschiede sind daher Fragen wie: Welche Medien werden in welchem Verhältnis wozu genutzt? Von wem werden diese gestaltet? Und vor allem: In welchem Ausmaß beteiligen sich die Rezipienten beziehungsweise Szenegänger z.B. in Form von Blogs, E-Mails oder sonstigen interaktiven Mitteln an der medialen Kommunikation?

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1 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Szenen für Menschen immer wichtiger werden – und zwar in dem Maße, in dem die großen traditionellen Institutionen wie Familie, Kirche und Politik an Bedeutung verlieren. Kein Wunder, denn Szenen sind Orientierungssysteme, die für eine „soziale Heimat“ in einer immer unüberschaubar werdenden Welt stehen. Szenen schaffen nicht nur eine attraktive Freizeitgestaltung, sie stehen auch für ein unverwechselbare Lebensgefühl. Für den Sport bedeutet dies, dass die leidenschaftliche Auseinandersetzung von spezifische Sportpraktiken ein klarer Indikator innerer Haltung ist. Die jeweilige nonkonforme Sportart wird in einer eigenen Szene betrieben und szenenintern stets modifiziert, bis sie den Bedürfnissen innerer Akteure, den bereits oben genannten „originals“, angepasst ist. Sie manifestieren die Grundlagen dieser subkulturellen sportlichen Bewegung. Sie schaffen quasi die Rahmenbedingungen. Der Zusammenhalt innerhalb einer Szene geht weit über das Sporttreiben hinaus. Häufig handelt es sich um einen Freundeskreis, mit dem der Großteil der Freizeit verbracht wird. 72


Kurz und knapp: Die 12 Grundannahmen der Szenenforschung (nach Hitzler, Niederbacher, 2010)

1. Szenen sind Gesinnungsgemeinschaften. 2. Szenen sind thematisch fokussierte soziale Netzwerke. 3. Szenen sind kommunikative und interaktive Teilzeit-Gesellungsformen. 4. Szenen dienen der sozialen Verortung. 5. Szenen haben ihre je eigene Kultur. 6. Szenen sind labile Gebilde. Man kann sie jederzeit wieder verlassen. 7. Szenen haben typische Treffpunkte. 8. Szenen sind Netzwerke von verschiedenen Gruppen. 9. Szenen sind vororganisierte Erfahrungsräume. Sie sind alle von szenetypischen Events geprägt. 10. Szenen strukturieren sich um Organisationseliten. 11. Szenen sind dynamisch 12. Szenen liegen quer zu bisherigen Gesellungsformen und groĂ&#x;en gesellschaftlichen Institutionen. 73


1 1.6.1. Beispiel einer subkulturellen Sportszene Im nun Folgenden werde ich eine subkulturelle Sportszene nach den zuvor genannten Gesichtspunkten skizzieren. Dabei war es wichtig, dass es sich bei dieser Sportart auch um eine Freestyle -Sportart handelt, um sie mit der „urbanen Fahrradkultur“ vergleichbar zu machen. Dabei ist eine vollständige beziehungsweise ganzheitliche Darstellung dieser Sportart, des jeweiligen dahinterstehenden Phänomen also auch eine präzise Beschreibung der jeweiligen Akteure nicht angestrebt. Da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Ich werde dies lediglich unter den von Hitzler und Niederbacher aufgeführten Kriterien eine systematische, übersichtliche und anschauliche Darstellung geben, um dann Rückschlüsse auf subkulturelle Merkmale ziehen zu können. Mein Beispiel Skateboarden weist starke Parallelen zu meinem Forschungsgegenstand auf. Dieses sportliche Phänomen stammt auch aus dem subkulturellen Bereich, wurde anfangs belächelt, hat sich im Untergrund entwickelt, macht sich den urbanen Raum zu eigen, wurde 74


stark gepr채gt von den Individuen, wurde kreativ modifiziert, hat klare szeneninterne Strukturen und wurde letztendlich kommerzialisiert, so dass Skaten zu einem regelrechten Lifestyle-Ph채nomen der heutigen Zeit wurde, hinter dem ein riesiger Kommerzialisierungs-Apparat steht. Hitzler und Niederbacher untersuchten die unterschiedlichsten Szenen mithilfe eines Szenesteckbriefes. Dabei spielen Aspekte wie der geschichtliche Hintergrund (History), die Facts und Trends, die Strukturen, die Szene체berschneidungen eine erhebliche Rolle. Ich werde mein Beispiel anhand dieses Steckbriefes skizzieren und unter Umst채nden in den subkulturellen Kontext bringen.

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1 1.6.1.1. Skaten Das Ziel beim Skaten Ziel ist die Beherrschung möglichst vieler und möglichst schwieriger Tricks an unterschiedlichsten ‚Spots‘ im urbanen Raum bzw. in ‚Skate-Hallen‘ oder ‚Skate-Parks‘. Skateboarding bedeutet für Skater jedoch weitaus mehr als ‚nur‘ Sport: Für sie ist Skateboarding notwendig verknüpft mit einem bestimmten ‚Lifestyle‘, der alle Lebensbereiche betrifft. Somit bildet für Skater die Zugehörigkeit zur Szene ein wesentliches sinnund identitätsstiftendes Element. Die kulturelle Synthese aus Leistungsbereitschaft, Kreativitätsanspruch, dem Willen zur Aneignung urbaner Räume und der Adaption des ‚skatespezifischen‘ Lebensstils macht dementsprechend den besonderen Reiz dieser Szene aus. (vgl. Hitzler, Niederbacher, 2010, S. 133).

- Herkunft Die ersten Skateboards tauchten bereits Ende der 1950er Jahre in Kalifornien auf, konnten sich damals aber aufgrund ihrer technischen Unaus76


gereiftheit nicht durchsetzen. Erst als Anfang der 1960er Jahre die ersten maschinell gefertigten Skateboards auf den Markt kamen, hat sich diese Sportart zunächst in den USA verbreitet. Die Boards fanden reißenden Absatz und es kam zu einem ersten großen ‚Skatboard-Boom‘. Durch technologische Innovationen, wie z. B. die Entwicklung einer neuen Rollentechnologie, die Erfindung des ‚Kicktails‘, die Einführung der Rampe in ihren verschiedenen Formen oder die Modifikation der Brettform, breitete sich Skateboarding allmählich über die ganze Welt aus und ist mittlerweile zu einer eigenständigen, hochgradig ausdifferenzierten Sportart geworden. Mitte der 1970er Jahre schwappte die ‚Skateboard-Welle‘ nach Europa über – nach Deutschland zunächst durch Angehörige der US-Army. Da zu dieser Zeit in München besonders viele US-Amerikaner kalifornischer Herkunft stationiert waren, entwickelte sich diese Stadt zur ersten ‚SkateHochburg‘ in Deutschland. Zu Beginn der 1980er Jahre trat Titus Dittmann erstmals in Erscheinung: Er hat den Sport und das zugehörige Material im Anschluss an einen USA-Aufenthalt in seine Heimatstadt Münster gebracht und dort populär gemacht. Auch heute noch zählt Münster – nicht zuletzt 77


1 aufgrund der anhaltend vielfältigen Aktivitäten von Titus Dittmann – zu den Zentren der (deutschen) Skater-Szene (vgl. Hitzler, Niederbacher, 2010, S. 133).

- Facts

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Die Skater-Szene stellt aktuell die größte sportzentrierte Szene in Deutschland dar. In Deutschland gibt es etwa eine Million Skateboardfahrer, darunter gut zweihunderttausend, die den Sport so betreiben, dass sie, auch um ihr Niveau zu halten, (fast) täglich fahren. Die meisten Skater steigen zwischen dem zwölften und vierzehnten Lebensjahr in die Szene ein. Eine Altersuntergrenze kann jedoch nicht ausgemacht werden. Die Teilhabe am Szeneleben mit all seinen Facetten, also auch Parties, Reisen zu Contests etc., beginnt allerdings in der Regel erst im Teenager-Alter. Eine Altersobergrenze lässt sich ebenfalls nicht ziehen. Grundsätzlich ist es möglich, bis ins hohe Alter hinein zu skaten. Die meisten Szenegänger sind jedoch zwischen 14 und 21 Jahren alt. Die Skater-Szene ist eindeutig männlich dominiert. Mädchen oder Frauen nehmen meist die Rolle von Zuschauerinnen ein. Eher selten sieht man Mädchen selber aktiv Skateboard fahren oder als Teilnehmerin bei einem Contest antreten (vgl. Hitzler, Niederbacher, 2010, S. 133f.).


- Fokus Skaten ist eine voraussetzungsvolle sportliche Aktivität, deren Ziel darin besteht, möglichst viele und möglichst schwierige Tricks stehen und diese miteinander zu kombinieren. Die Erreichung dieses Ziels erfordert – neben einem außerordentlichen Maß an Ausdauer und Disziplin – sehr viel Körper- und damit einhergehende Boardbeherrschung. Das Erlernen eines neuen Tricks kann manchmal Wochen oder sogar Monate in Anspruch nehmen. Deshalb macht das Beherrschen dieser Sportart Skater in ihrer Selbstwahrnehmung zu etwas ‚Besonderem‘, zu jemandem, der etwas tut, was nicht jeder ohne weiteres tun kann – wie es im Gegensatz etwa beim Inline-Skaten der Fall ist. Wie bei anderen Sportarten auch, spielt Leistung in der Skater-Szene eine wichtige Rolle. Angesehen sind diejenigen, die besonders schwierige Tricks beherrschen oder miteinander kombinieren können. Dennoch gibt es zu klassischen Sportarten Unterschiede: Gegenüber z. B. der Leichtathletik ist die Leistung des Skaters nicht eindeutig messbar, denn hier sind Kreativität und Ästhetik der Bewegungen wichtige Kriterien. Gegenüber beispielsweise dem Fußball besteht der Reiz des 79


1 Skatens nicht in der direkten Auseinandersetzung mit einem Gegner, sondern in der Vervollkommnung des eigenen Bewegungskönnens. Hierbei sind ganz klar, die bereits aufgeführten, Züge einer Freestyle-Sportart in einer postmodernen Gesellschaft zu erkennen. Skaten besteht aber nicht nur im Nachvollzug von Kunststücke. Ein wesentliches Merkmal ist darüber hinaus die Entwicklung neuer Tricks und der kreative Umgang mit der Architektur des urbanen Raumes sowie der möglichen Kombination bzw. Anordnung von Tricks darin. Es ist die Eroberung bzw. Aneignung urban-anonymer Räume, die das Skaten vom reinen Sport zu einem künstlerischen Gestalten macht (vgl. Hitzler, Niederbacher, 2010, S. 134f.). Dies sind mitunter auch das Merkmal des Kreativ-Spielerischen, das Hauptmerkmale einer Freestyle-Sportart.

- Einstellung Die Motivation beim Skaten besteht darin, etwas ‚Besonderes‘ zu können, was nicht allen möglich ist. Es ist eine komplexe, schwierige und nur mit sehr viel Zeitaufwand zu erlernende Angelegenheit. Skaten wird somit zu 80


einer täglichen Aufgabe und Herausforderung, der man sich jedoch freiwillig, selbstbestimmt und mit Freude stellt. Skateboarding ist keine einsame Angelegenheit – man trifft sich an Spots und hat Spaß daran, gemeinsam (neue) Tricks auszuprobieren und zu erlernen. Man unterhält sich, hört die gleiche Musik und fährt gemeinsam durch die Stadt. Kommunikation und Gemeinschaft sind wichtige Bezugspunkte der Szene. Der typische Skater lebt in einer urbanen Welt, die ihm aber keineswegs als zu verändernder Missstand erscheint, sondern als Möglichkeitsraum. Hier eröffnet sich dem Skater die Gelegenheit, eigene Erfahrungen zu machen, wobei er sich jedoch nicht von gesellschaftlichen Zwängen einengen lassen möchte. Das heißt Skater wollen machen, was sie wollen und was ihnen Spaß macht – wann immer, wo immer und auf welche Art und Weise auch immer. Nur so kann ihrer Meinung nach die Chance gewahrt werden, sich (weiter) zu entwickeln und einen eigenen Weg zu finden (vgl. Hitzler, Niederbacher, 2010, S. 135).

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1 -Lifestyle Intensives Skaten erweist sich dabei als ausgesprochen kostenintensive Angelegenheit: Die Boards bei täglicher Benutzung nach etwa einem Monat ersetzt werden, wie auch die Schuhe. Nicht nur kostet Skaten viel Geld, es erfordert auch einen sehr hohen – aber von einem ‚echten‘ Skater gerne erbrachten – Zeitaufwand. Skaten betrifft alle Lebensbereiche eines typischen Skaters. Freundschaften bestehen zum Großteil innerhalb der Szene, und auch Liebesbeziehungen werden dort gesucht beziehungsweise haben mitunter stark unter dem Sport zu leiden. Der ‚echte‘ Skater sieht Skaten folglich als wesentlichen Bestandteil seiner Identität (vgl. Hitzler, Niederbacher, 2010, S. 135).

-Symbole Musik ist in der Skater-Szene allgegenwärtig. Häufig bringen Skater transportable Abspielgeräte mit zu den Spots . Musik gehört einfach zum Fahren dazu, da sie den Skatern ein synthetisches Gefühl von Brett, Umgebung, Spot und ihren eigenen Bewegungen vermittelt. Die Kleidung in der Skater-Szene kann man als Street-Wear beschreiben. Man legt dabei 82


sehr viel Wert auf Funktionalität und Bequemlichkeit aber auch auf Ästhetik. Bevorzugt werden sehr weite Hosen, die aus einem stabilen Stoff sind und gleichzeitig Bewegungsfreiheit garantieren. Die T-Shirts sind meinst unifarbenen bzw. mit einfachen Aufdrucken. Dem Schuhwerk kommt eine zentrale Bedeutung zu, denn dieses muss die optimale Reibung zwischen Skateboard und Skater sichern, einen Sturz abfedern und zudem festen Halt bieten. Schuhe sind neben den Boards auch das meistbeworbene Produkt in Magazinen – zahlreiche Firmen konkurrieren hier auf einem Markt, der als unberechenbar und schnelllebig gilt. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich Skater sehr markenbewusst geben und ästhetische Kriterien bei der Wahl des Outfits eine große Rolle spielen (vgl. Hitzler, Niederbacher, 2010, S. 136).

-Rituale

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Die Zusammenkünfte von Skatern zeichnen sich durch eine Vielzahl ritualisierter Verhaltensweisen aus: Sei es das ‚richtige‘ Aufnehmen des Boards, die Begrüßung an den Spots oder die Einhaltung der Abstände beim Fahren von Figuren an den Spots. Das Wissen um und die Einhaltung derlei Rituale markiert die Zugehörigkeit zur Szene (vgl. Hitzler, Niederbacher, 2010, S. 136).


1 -Events Das Hauptevent der Skater-Szene ist der Wettkampf, der so genannte ‚Contest‘ (wichtige Contests sind z. B. der ‚C. O. S.-Cup‘ oder der ‚World Cup Skateboarding‘), bei dem es jedoch nicht in erster Linie um Platzierungen geht, sondern auch um Gespräche, das Treffen von Kollegen also um die Gemeinschaft. Jeder Contest hat auch ein umfangreiches Rahmenprogramm – von Rampen zur Benutzung für das Publikum bis hin zu diversen Musikeinlagen von szenen-bedeutsamen Acts. Am wichtigsten ist jedoch die abendliche Party, welche typischerweise nicht in geschlossenem Rahmen stattfindet, sondern jedem offen steht, der sie besuchen möchte (vgl. Hitzler, Niederbacher, 2010, S. 136).

-Treffpunkte Spots sind die Treffpunkte der Szene, meist im urbanen Raum, der in besonderer Weise für das Skaten geeignet ist. Die Eignung eines Spots hängt im Wesentlichen aber auch davon ab, wie viele Tricks dessen bauliche Struktur möglich macht. Als Treffpunkte zunehmend wichtiger werden 84


Skate-Hallen, die sich in jüngster Zeit flächendeckend ausbreiten. Bislang waren Hallen – außer bei Vert-Skatern, die auf das Vorhandensein einer Halfpipe angewiesen sind – eher unpopulär, da man dort beim Skaten sehr stark festgelegt ist. Der kreativ-aneignende Aspekt des Skatens und das Spiel mit der urbanen Umgebung fallen dabei weg. Treffpunkte an denen nicht geskatet wird und dennoch ein Szeneleben stattfindet sind die SkateShops. Hier halten sich Skater häufig über einen längeren Zeitraum auf, verschaffen sich einen Überblick über das Warenangebot, unterhalten sich über örtliche oder überregionale Spots, über die Qualität von Kleidung und von Skateboards, über andere Skater, anstehende Events u. ä. Solche Shops werden in der Regel von Skatern geführt (und werden dann als ‚Skater-owned-Shops‘ bezeichnet) bzw. kommt zumindest das Personal aus der jeweiligen lokalen Szene (vgl. Hitzler, Niederbacher, 2010, S. 137).

-Strukturen Besonders gute Fahrer wirken an den Spots vor Ort gleichsam wie Magneten, andere Skater kommen dorthin, um sich Tricks abzuschauen oder 85


1 zu plaudern. Diejenigen, die regelmäßig bei Contests anwesend sind und dadurch über ein überregionales Netzwerk verfügen und eingebunden sind unterscheiden sich dadurch von jenen, die nur vor Ort skaten. Neben diesen Differenzierungen nach sportlichen Gesichtspunkten und Netzwerken kann man zwischen ‚New-School-Skatern‘ und ‚Old-SchoolSkatern‘ unterscheiden. Im Wesentlichen lässt sich festhalten, dass sich Old-School-Skater in Bezug auf Outfit, Material und Tricks an den in den Anfängen des Skateboardings vorherrschenden ‚Szene-Standards‘ orientieren und, im Gegensatz zu New-School-Skatern, Neuerungen und Innovationen, die längst Einzug in die Szene gehalten haben, ignorieren bzw. bewusst nicht nutzen. Musikalisch favorisieren Old-School-Skater eher Punk-Musik, die ursprünglich bevorzugte Musikrichtung der Skateboarder, aus der dann später auch die spezielle Richtung des ‚Skate-Punk‘ hervorgegangen ist, während New-School-Skater häufig Hip-Hop Musik vorziehen. In jüngster Zeit gewinnt Punk jedoch auch bei jüngeren Szenegängern wieder stark an Popularität. Aus dem Skateboarding entwickelten sich zudem 86


auch neue, inzwischen eigenständige Disziplinen. Zu nennen ist hier das Snowboarden, das von vielen Skatern im Winter betrieben wird, und eine recht neue Sportart, das Wakeboarden (vgl. Hitzler, Niederbacher, 2010, S. 138).

-Relations Überschneidungen beispielsweise existieren zur Hip-Hop-Szene, deren Konzerte zum Teil im Rahmen von Skating-Contests stattfinden. Ebenso werden reine Hip-Hop- Veranstaltungen vielfach auch von Skatern besucht. Von Inline-Skatern distanzieren sich die Skater aus zwei verschiedenen Gründen: Erstens zielt Inline-Skating aus der Sicht von Skatern vor allem in Richtung Fitness, ist leicht(er) zu erlernen und stellt deswegen in ihrer Wahrnehmung nur eine Pseudo-Szene dar; zweitens kommt es an Rampen immer wieder zu Konflikten zwischen Skatern und Inline- Skatern, da es an Abstimmung, beziehungsweise an Kenntnis der zeitlichen Abläufe von Tricks und somit des parallelen Fahrens in einer Rampe (nach Ansicht der Skater) vor allem auf Seiten der Inliner mangelt (vgl. Hitzler, Niederbacher, 2010, S. 138). 87


1 1.7. Lifestyle˚ ˚ Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff Lifestyle, aber auch die Begriffe Stil beziehungsweise Stilisierung und „soziale Heimat“ sehr oft verwendet, viele Schlussfolgerungen beruhen auf diesen Begriffen und deren Auslegungen. Um etwaige Fehlinterpretationen zu vermeiden und eine Basis des Verständnisses zu schaffen werden diese Begriffe nun folgend erläutert.

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„Wahre Akzeptanz wird in subkulturellen Szenen erst durch das Erkennungsmerkmal Lifestyle (als gelebte und nicht nur modisch dargestellte Einstellung) erlangt“. (Ferchhoff, 2007, S. 241) „Mit Hilfe des Lebensstils schließt man sich mit bestimmten Individuen zu einer Gruppe zusammen, während man sich gegenüber Anderen abgrenzt.“ (Schroer 2000, S.319 aus Abels, 2010, S. 180)

Lifestyle meint die thematische übergreifende „ästhetische“ Überformung des Lebensvollzugs schlechthin. Ein Lebensstil zu haben heißt demgemäß, die verschiedenen Lebensbereiche und damit auch Zugehörigkeiten zu sozialen Formationen im Lebensvollzug „zusammmenzubasteln“ und so ein individuelles Gesamtarrangement zu erzeugen. Styles und Lables können zwar den Zugang zu bestimmten Subkulturen (Jugendkulturen) beziehungsweise Szenen ermöglichen und erleichtern, jedoch wird wahre Akzeptanz erst durch das Erkennungsmerkmal Lifestyle (als gelebte und nicht nur modisch dargestellte Einstellung erlangt (vgl. Ferchhoff, 2007, S. 241).


1.8. Stil / Stilisierung

„Ein Stil ist Teil eines umfassenden Systems von Zeichen, Symbolen und Verweisungen für soziale Orientierung: Er ist Ausdruck, Instrument und Verweisung für soziale Orientierung. Dementsprechend zeigt der Stil eines Individuum nicht nur an, wer <wer> oder <was> ist, sonder auch wer <wer> für wen in welcher Situation ist. Stil zu haben beinhaltet die Fähigkeit, bewusst für andere ebenso wie für das eigene Selbstbild eine einheitliche Interpretation seiner Person anzubieten und zu inszenieren.“ ( Schwier, 1998b, S. 31) Stilisierung ist die Antwort auf die postmoderne Freiheit der Lebensgestaltung. Stil ist die Protestform der Subkultur, weil sich in ihm auch eine Haltung widerspiegelt (Ablehnung der Vernunftwelt) (vgl. Schwier, 2000 S. 81-82 und Fuchs, 2007, S. 53, 59). Stilisierung bedeutet die Demonstration der Zugehörigkeit zu einer mehr oder weniger klar abgegrenzten Gruppe (vgl. Abels, 2010, S.204).

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1 Doch was bedeutet dies für den Sport beziehungsweise den Freestylesport ? Der Trend zur Stilisierung ist ein wesentliches Merkmal zahlreicher Trendsportarten. Er zeugt von dem Bedürfnis nach Selbstdarstellung und Identifikation. Stilisierung ist das zentrale Element des Freestyle-Sports (Freiheit und Style als bewegungscharakteristische Merkmale). Den Stil als Protest gegen die vorherrschende Lebensordnung zu interpretieren, findet seine Entsprechung im zweiten Freestyle-Merkmal der Lebensgestaltung, dem Gegenentwurf.

1.9. der soziale raum - die soziale „heimat“

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Die sozialen Räume (Bourdieu nennt sie auch Felder) sind die Räume in denen sich die Akteure (hier der subkulturellen Szenen) bewegen. Soziale Räume bestehen aus Gemeinschaften, die sich dadurch auszeichnen, dass sie über gemeinsame kulturelle Vorstellungen verfügen, die sie naiv als kollektive Wahrheit definieren. Über diese kollektive Wahrheit


erzielen die Individuen permanent einen Konsens. Das erfolgt über die wechselseitige Beobachtung und Anerkennung ihres Handelns. Über die typische Sprache, die sich in solchen Räumen ausbildet, werden die kollektiven Vorstellungen des richtigen Verhaltens immer wieder bestätigt, sodass sie schließlich normativ werden. Indem sich alle auf sie einlassen und sie verinnerlichen, entsteht eine soziale Identität, die letztlich auch den Rahmen seiner Individualität vorgibt (vgl. Abels 2010, S. 210-211). Der soziale Raum ist der Rahmen, in dem erstens gesellschaftliche Positionen der Individuen und zweitens ihre Lebensstile verortet werden (vgl. Schlicher, 2005, S.10).

Laut Bourdieu sind soziale Räume „als intelligibele Orte sozialer Praxisformen aufzufassen“, in denen spezifische theoretische Regeln herrschen. In diesem Sinne vergleicht Bourdieu den sozialen Raum mit einem Spielfeld. Die Regeln, in deren Rahmen die Spielzüge vonstatten gehen, werden durch die im Feld aktiven Akteure und die Verteilung der vorhandenen Kapitalien bestimmt (vgl. Reinecke, 2007, S. 128). 91


1 1.10. Individualität ˚ Individualität ist in dieser Arbeit ein zentraler Begriff. Er liegt den Strukturen unserer heutigen Gesellschaft zu Grunde, daher ist es sinnvoll diesen Begriff näher zu erläutern.

„Individualität meint einerseits das Bewusstsein des Menschen von seiner Besonderheit und das Bedürfnis, diese Einzigartigkeit auch zum Ausdruck zu bringen, und andererseits die von ihm selbst und den Anderen objektiv festgestellte Besonderheit und Einzigartigkeit.“ (Abels, 2010, S.43) Die Individualität lebt von dem Bewusstsein des Individuums (das Individuum bildet die kleinste soziale Einheit), sich von Anderen zu unterscheiden und gerade wegen dieses Unterschieds eine Einheit zu sein. Uwe Schimank konstatiert lapidar „Individualität ist selbstbestimmte Einzigartigkeit“. (Schimank, 2002a, S. 165 aus Abels, 2010, S.153) Des Weiteren schreibt Schimank: „Bereits im Sprachgebrauch des Alltags heißt Individualität zum einen, dass eine Person in ihrem Auftreten unverwechselbar und dadurch einzigartig auf uns wirkt. Zum anderen zeigt sich uns die Individualität einer Person darin, dass diese uns in ihrem Handeln trotz aller sozialen Einflüsse selbstbestimmt erscheint. Manche Personen sind unverwechselbarer und selbstbestimmter als andere.“ (vgl. Abels, 2010, S.154 aus Schimank, 2002a, S.165).

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Identität „Eine dauernde Sorge um seine Identität führt entweder zum Prahlen oder zum Klagen; man prahlt damit, dass man genau weiß wer man ist (…), oder man beklagt sich darüber, dass man nicht weiß, wer man ist.“ (Erikson 1974, S. 140) „Wer bin ich?“, Wie bin ich geworden, was ich bin?“, „Wer will ich sein?“ und „Wie sehen mich die Anderen?“ Identität ist die Antwort auf diese Fragen. Identität ist demnach das Selbstverständnis.

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Mancher fällt uns sofort auf, manchen nehmen wir erst wahr, wenn er sagt „Ich bin auch noch da!“. Jedoch gibt es das gleichzeitige Bedürfnis nach „Gleichheit“ (wenn man sich zu einer Gruppe, im Falle dieser Arbeit einer subkulturellen Szene anschließt) und nach „Besonderheit“. Individualität ist das Gefühl der Einzigartigkeit, doch diese Einzigartigkeit, so haben wir gesehen, muss sichtbar gemacht werden. In dem Maße, wie sie dann auch von anderen wahrgenommen und anerkannt wird, geht sie in das Bild, das wir von uns haben, - Identität* – ein und prägt das Muster unseres Handelns. „Individualität ist der einzigartige Stil, der allein schon durch die einzigartige objektive Verortung des Individuums in Raum und Zeit bedingt ist. Identität, so kann man den Gedanken weiterführen, ist das Bewusstsein dieses Stils des Lebens.“ (Abels, 2010, S.165)


1 1.11. Der soziale wandel

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Der bereits aufgeführte Wandel hin zu neuen Vergemeinschaftungsformen muss auch vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Wandlungsprozessen und den neuen gesellschaftlich-soziologischen Rahmungen, wie vornehmlich der Individualisierung, Pluralisierung, Differenzierung, Mediatisierung, Kommerzialisierung und Globalisierung beleuchtet werden. Allerdings werde ich, bis auf die Individualisierung, die anderen Prozesse lediglich verallgemeinern und skizzieren, da dies sonst den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würde. Wir leben in einer durch fortschreitende Prozesse der Differenzierung, Pluralisierung, Individualisierung und Lebensstilästhetik, der Enttraditionalisierung, Entstrukturierung, der Entsolidarisierung, der Globalisierung und Normdiffusion zu charakterisierenden Zivilisation (Ferchhoff, 2011, S. 73). Der gesellschaftliche Strukturwandel ist die Antwort auf die Komplexität der sozialen Wirklichkeit. Die Grundthese für die gesellschaftlichen Strukturveränderungen hingehend zu einer tendenziell individualisierten Gesellschaft lautet:


Es werden Optionen, Zuwächse und Ansprüche an Autonomie, Freiheit, Selbstentfaltung, Sinnerfüllung und Gerechtigkeit produziert, ihre Verwirklichung dagegen gleichzeitig erschwert. Es ist die „Ablösung konventioneller industriegesellschaftlicher Lebensformen durch andere globale, weltgesellschaftliche Lebenszusammenhänge, in denen die Biographien im Zentrum des eigenen Lebens tendenziell selbst herzustellen, zu inszenieren und zusammenzuschustern sind“. Dies findet statt ohne die stabilen sozial-moralischen Milieus der Industriemodernen (vgl. Ferchhoff, 2011, S. 14-15). Dadurch haben sich bislang unbekannte individuelle Spielräume zur Lebensgestaltung, Lebensplanung und Selbstverwirklichung eröffnet und ein entgrenzter kultureller Pluralismus der Lebensstile hat sich breitgemacht (vgl. Ferchhoff, 2011, S. 84). Der gesellschaftliche Strukturwandel ist die Folge drastischer Veränderungen in der „Ersten Welt“ • Veränderungen in der Arbeitsorganisationen und -formen, sowie in den Berufstrukturen. 95


1 • • • • • •

insgesamte Veränderungen in Familien-, Nachbarschafts- und Lebensformen merkliche Einkommensverbesserungen großer Teile der Bevölkerung Wirkung der Massenmedien tendenziell strukturelle Separation der Generationen (Verschulung der Jugendphase, Verkleinerung der Haushaltsformen) die Ausweitung und Ausdifferenzierung wohlfahrtsstaatlicher Sicherungssysteme und Leistungen sowie die insbesondere für gesellschaftlich strukturell ausgegrenzte Problemgruppen gerade nicht anwachsenden Mobilitäts- und Bildungschancen.

(vgl. Ferchhoff, 2011, S. 22)

Besonders der Prozess der Individualisierung spielt in den veränderten Vergemeinschaftungsmechanismen, gerade im subkulturellen Bereich, eine große Rolle. 96


„ Die Individualisierung ist die Grundlage für die Veränderung des Zusammenlebens in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen“. (Beck, 1997, S. 32 aus Ferchhoff, 2011, S.11)

Die Individualisierung wird immer wieder als zentraler epochaler sozialstruktureller Prozess genannt. Daher wird im nun Folgenden der Individualisierungsprozess näher erläutert.

1.12. Individualisierung

Die Geschichte der Individualisierung ist die Geschichte eines Prozesses, in dem sich das Individuum seiner selbst und in seiner Bedeutung für das soziale Gebilde, in dem es lebte, bewusst wurde. Dies erfolgte in Individualisierungsschüben (vgl. Abels, 2010, S. 45). „Sie sind nicht Folgen einer plötzlichen Mutation im Inneren einzelner Menschen oder einer zufälligen Zeugung von besonders vielen begabten Menschen, sondern gesellschaftliche Ereignisse, etwa Aufbrechen älterer

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1 Verbände oder einer Veränderung in der sozialen Position (eines Berufsstandes), folgen, kurz gesagt, einer spezifischen Umlagerung in der Struktur der menschlichen Beziehungen“. (Elias, 1939, S. 43 aus Abels, 2010, S. 45). Ein entscheidender Grund für das erwachende Bewusstsein der Individualität und demnach auch für den Prozess der Individualisierung liegt in demographischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, die weite Teile Europas betrafen (vgl. Abels, 2010, S. 45-46). Motor des Prozesses der Individualisierung, laut Roland Hitzler und Arne Niederbacher, waren zunächst sozialstrukturelle Veränderungen wie der Anstieg des durchschnittlichen Einkommens, die Zunahme an frei verfügbarer Zeit, die Bildungsexpansion und der immer weitere Lebensbereiche umfassende Ausbau des Rechtssystems. Solche strukturellen Veränderungen haben einen erheblichen – und ambivalenten – Einfluss auf individuelle Handlungsbedingungen, -möglichkeiten und -konsequenzen: Einerseits wird das Individuum aus überkommenen Bindungen freigesetzt, wodurch 98


es mehr Entscheidungschancen und Lebensoptionen erlangt. Andererseits verliert es nicht nur – wie sozusagen „schon immer“ im Zuge von Modernisierungsprozessen – gemeinschaftlichen „garantierte“ Verlässlichkeiten (vgl. Hitzler, Niederbacher, 2010, S. 11). Individualisierungsprozesse führen zwar zu einer enormen Komplexitätssteigerung der gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktionen, münden aber, entgegen mancherlei kulturpessimistischen Dauerprognosen, allem Anschein nach nicht in Strukturlosigkeit, sondern führen eher zu (mitunter fundamentalen) Um-Strukturierungen des sozialen Lebens (Hitzler, Niederbacher, 2010, S. 13). „Durch den Prozess der Individualisierung kommt es zu einer Zunahme automer Verhaltensweisen.“ (Schlicher, 2005. S.5) Die Grundthese von Ferchhoff lautet: Die tendenziell individualisierte Gesellschaft produziert Optionen, Zuwächse und Ansprüche (Autonomie, Freiheit, Selbstentfaltung, Sinnerfüllung, Gerechtigkeit) und erschwert gleichzeitig ihre Verwirklichung. Individualisierung meint sowohl die Aufweichung, ja sogar die Auflösung als auch die „Ablösung konventioneller industriegesellschaftlicher Lebensformen durch andere, in denen die ein99


1 zelnen ihre – globale, weltgesellschaftliche Lebenszusammenhänge geworfenen – Biographie im Zentrum des eigenen Lebens tendenziell selbst herstellen, inszenieren und zusammenschustern müssen. Ferchhoff nennt dieses Phänomen „Bastel-Biographien.“ (vgl. Ferchhoff, 2007, S. 14-15) Laut Beck heißt Individualisierung, die eigene Biographie kontinuierlich selbst herzustellen und zu inszenieren (vgl. Abels, 2010, S. 228). Dadurch wird Identität zu einem riskanten Projekt. Zwar hat man durch die zahlreichen Wahlmöglichkeiten die Chance seine Biographie selbst zu inszenieren, aber eben auch das Risiko hat falsche Entscheidungen zu treffen. „Der Mensch nimmt die gesellschaftliche Ordnung und ihre Institutionen nicht mehr einfach hin, sondern reflektiert ihren Sinn für sich. Er nimmt sich als ein besonderes Individuum an seinem spezifischen Ort der Gesellschaft und in seiner besonderen Funktion wahr. Individualisierung bedeutet in diesem Sinne, gegen die Dominanz der Gesellschaft den Anspruch des Individuums auf eigenes Denken und Handeln zu erheben“. (Abels, 2010, S. 45) 100


-Fazit: Als wesentliche Ursache für den Individualisierungsschub könnte der wirtschaftliche als auch materielle Wohlstand gesehen werden, der eine zunehmende Pluralisierung an Handlungsmöglichkeiten und persönlichen Stilen zur Folge hatte. Dazu kam, dass traditionelle Werte, Institutionen aber auch Verpflichtungen ihre Wichtigkeit in der Gesellschaft verloren.

1.12.1. Bezogen auf den Sport Wie bereits erwähnt ist die Individualisierung in allen Bereichen der Gesellschaft aufzufinden. So ist die Individualisierung auch für die Sportentwicklung prägend. Besonders Sportarten, bei denen das individuelle Handeln betont wird, könnte man als Indikator nehmen um den Individualisierungsprozess in den Kontext des Sportes zu setzen. Dabei dominieren Sportaktivitäten, in denen der Spaß, als Teil der zunehmenden Innenorientierung des Handelns, im Vordergrund steht. Besonders Freestyle-Sportarten drü101


1 cken durch die wesentlichen Merkmale wie Freiheitsgefühl, spielerischkreative Selbstinszenierung, Ästhetisierung des Lebens aber auch eine nonkonforme Lebensgestaltung, den gesellschaftlichen Zeitgeist der Individualisierung aus.

1.13. Die erlebnisgesellschaft˚ ˚ nach Gerhard Schulze aus Ute Volkmann – Das Projekt des schönen Lebens – Gerhard Schulzes „Erlebnisgesellschaft“. In: Schimank, Volkmann, 2007

Erlebnisgesellschaft ist der Begriff, der eine auf Glückseligkeit als oberstes Lebensziel und auf Genuss ausgerichtete gegenwartsorientierte Konsumgesellschaft bezeichnet, die besonders von hedonistischen Werten gekennzeichnet ist. Das Konzept der „Erlebnisgesellschaft“ ist als eine Kombination aus der Individualisierungsthese und der Wertewandelthese zu verstehen. „Der kleinste Nenner von Lebensauffassungen in unserer Gesellschaft ist die Gestaltungsidee eines schönen, interessanten, subjektiv als lohnend empfundenen Lebens.“ (Schulze, 1992a, S.37)

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Gerhard Schulze gibt in „Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart“ mit der These der Erlebnisgesellschaft die Antwort auf die Frage, wie sich soziale Ordnung in einer hochgradig individualisierten Gesellschaft konstituiert. Mit der kontinuierlichen Anhebung des Lebensstandards des größten Teils der Bevölkerung seit Mitte der sechziger Jahre des 20.Jahrhunderts entwickelte sich nach und nach die strukturelle Basis, auf der die Erlebnisgesellschaft entstehen konnte. Schulze hebt diesbezüglich zwei miteinander verzahnte Entwicklungen hervor: Im Alltagsleben der Akteure sind es vor allem die steigenden Einkommen sowie die Reduzierung der Arbeitszeit. Die Menschen haben zunehmend mehr Freizeit gewonnen. Der Aspekt Freizeitgewinn steht in engem Zusammenhang mit der Technisierung des gesamten Alltagslebens. So wurde beispielsweise die erforderliche Zeit für die Hausarbeit in immer größerem Maße mittels technischer Geräte auf einen Bruchteil reduziert. Oder durch die Anschaffung eines Autos wurde die Zeit für die alltäglichen Wege verkürzt. Kurz: Durch ein Mehr an Zeit, Geld, Technik und Mobilität waren die 103


1

* Ästhetik im traditionellen Sinne ist die sinnliche Wahrnehmung des Schönen. Der Begriff des Schönen ist ein Sammelbegriff für positiv bewertete Erlebnisse, die nicht von ausßen auf das Subjekt zukommen, sondern vonm Subjekt in Gegenstände und Situationen hineingelegt werden.“(Schulze, 1992, S. 39 aus Wopp, 2007)

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Akteure immer besser mit den „Potentialen der Erlebnisnachfrage“ ausgestattet (vgl. Schulze, 1992a, S. 539 aus Schimank, Volkmann, 2007, S. 77). Erlebnisgesellschaften sind innenorientiert. Die Frage, die die Akteure in der Erlebnisgesellschaft ständig begleitet, ist: Was will ich eigentlich? Und je mehr Möglichkeiten einem offen stehen, desto schwieriger wird es, klare Bedürfnisse zu definieren. Nicht nur Waren, sondern auch Situationen selbst werden zunehmend frei wählbar. Prägendes Merkmal der Erlebnisgesellschaft ist die Suche nach unmittelbarem Glück ohne zeitliche Verzögerung (vgl. Schulze, 1999, S. 102 aus Wopp, 2007, S. 463). In den Mittelpunkt rückt das Erleben des Lebens. Das Projekt des schönen Lebens verläuft parallel zur Ästhetisierung* des Alltaglebens. Es geht darum, Umstände als schön zu arrangieren, dass sie als schön empfunden werden (vgl. Schulze, 1992, S. 40 aus Wopp, 2007, S.463). Erlebnisangebote müssen demnach den Ansprüchen wie schön, spannend, stilvoll, interessant etc. entsprechen, um zunächst einmal wahrgenommen und dann auch noch angenommen zu werden.


* Hochkulturschema: Kontemplation, anti-barbarisch, Perfektion; Trivialschema: Gemütlichkeit, anti-exzentrisch, Harmonie; Spannungsschema: Action, anti-konventionell, Narzissmus (vgl. Die Erlebnisgesellschaft - Eine Rezension von Andreas Mertin, 1993)

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In der individualisierten postmodernen Gesellschaft wird der Eindruck einer zunehmend individualisierten Gesellschaft vermittelt. Für die Erlebnisgesellschaft hingegen wird angenommen, dass die Menschen trotz schwindender Wirkung traditioneller Institutionen und Sozialzusammenhängen durchaus den Wunsch haben, sich sozialen Gruppen anzuschließen. Individualisierung und Gruppenbildung scheinen sich demnach nicht unbedingt auszuschließen. Der Zusammenschluss dieser Gruppen erfolgt heutzutage jedoch nicht durch die traditionellen, klassischen Vergemeinschaftungsformen der Vergangenheit, sondern durch Orientierungen an gleichen Typen von Erlebnissen, wodurch Erlebnisgemeinschaften entstehen. Dabei unterscheidet Schulze drei alltagsästhetische Schemata*: Trivialschema, Spannungsschema und Hockkulturschema. Diese drei Schemata bilden das Reservoir an alltagsästhetischen Möglichkeiten, denen sich Individuen zugehörig fühlen können (vgl. Schulze, 1992, S.14 aus Wopp, 2007, S. 464). Diese drei Schemata bilden das Reservoir an alltagsästhetischen Möglichkeiten, denen sich Individuen zugehörig fühlen können (vgl. Schulze, 1992, S.14 aus Wopp, 2007, S. 464).


1 Gerade diese Ästhetisierung plus Individualisierung sind die beiden entscheidenden Parameter der gesellschaftlichen Evolution der vergangenen Jahrzehnte (vgl. Horx, Wippermann, 1996, S. 16). Auffallend ist, dass gerade der Freestylesport ein geradezu idealtypisches Abbild der Erlebnisgesellschaft zu sein scheint. Durch das Wegfallen vorgegebener, oberster Lebensziele ist es so, dass sich die meisten Menschen auf ihr psychisches Erleben konzentrieren (vgl. Handbuch Trendforschung S. 462). So wie die Akteure des Freestylesports nicht den traditionellen Wettkampfsport als oberstes Lebensziel betrachten, sondern der Gedanke an einen ganz individuellen Lebensstil, in dem es vorwiegend um das Freisein, die Selbstinszenierung und um das lustvoll, spielerisch-kreative Ausprobieren geht. Vor allem geht es jedoch um die Ästhetisierung des Sportes einhergehend mit der Ästhetisierung des eigenen Leben. Nach Schulze (1999, S. 102 aus Wopp, 2007 S.462) gehört zur Lebenskunst die Fähigkeit, sich auf etwas anderes jenseits durch Routine geprägter Erlebnisse einzulassen. Dies ist beim Freestylesport zweifelsohne der Fall. Hierbei geht es um das innenorientierte Handeln. 106


1.14. die habitustheorie

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu definiert Habitus „als ein soziales Verhaltensmuster, das durch Sozialisation erworben, den spezifischen Lebensstil von Individuen und sozialen Gruppen strukturiert“. (Nünning,1998, S. 200 aus Reinecke, 2007, S.128)

Doch welche Rolle spielt das Prinzip des Habitus, als Denk-, Wahrnehmungs-, Beurteilungs- und Handlungsmatrix in dem Konzept und Struktur einer Subkultur und in den Strukturen einer Freestyle-Sportart?

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Der Habitus umfasst Dimensionen wie äußere Erscheinung oder das Verhalten und Auftreten eines Menschen. Er zeigt sich in Körpersprache, Kleidung, Ess-und Trinkverhalten/-gewohnheiten oder in der Ausübung spezieller Hobbys (Schlicher, 2005, S.14). Bourdieu sieht den Habitus sowohl als Ursache als auch als Ergebnis der Abgrenzungen zwischen verschiedenen sozialen Gruppen (vgl. Tieben, 5.3. Habitustheorie). „Im Habitus eines Menschen kommt das zum Vorschein, was ihn zum gesellschaftlichen Wesen macht: seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Klasse und die ´Prägung´, die er durch diese Zugehörigkeit erfahren hat.“ (Treibel, 1985, S. 210)


1 Der Habitus so interpretiert es Bourdieu ist eine Praxis die strategisch auf den Aufstieg beziehungsweise die Erhaltung der Position im sozialen Raum bezogen ist, die unter dem Druck eines Klassenkampfes beständig neue Differenzierungen, Abgrenzungen, soziale Schließungen gegenüber benachbarten Klassen und Klassenfraktionen hervorbringt. Praktisch alle Lebensäußerungen der Individuen erhalten von dieser Situation des niemals aussetzenden Kampfes um die soziale Position her ihre soziale Bedeutung, ihren objektiven Sinn. Dem Habitus liegt somit eine Strategieannahme zugrunde (vgl. Schlicher, 2005, S. 18). Ein Habitus formt sich im Zuge der Verinnerlichung der äußeren gesellschaftlichen (materiellen und kulturellen) Bedingungen des Lebens, durch die spezifische Stellung, die ein Akteur und seine soziale Klasse innerhalb der gesellschaftlichen Relationen einnimmt. Der Habitus wird durchweg sozial konstituiert und nicht durch biologische Voraussetzungen bestimmt. Der Mensch ist kein völlig freies Subjekt sonder ein gesellschaftlich geprägter Akteur. Der Habitus gewährleistet diese aktive und unbewusste Präsenz früherer Erfahrungen und setzt sich zusammen aus Wahrnehmungs-, Denk108


* Wahrnehmungsschemata strukturieren die alltäglichen Auseinandersetzungen mit der sozialen Welt. Denkschemata halten Alltagstheorien und Klassifikationsmuster bereit, um die soziale Welt interpretieren zu können. Ihnen impliziet sind ethische Normen, anhand derer sie gesellschaftliche Handlungen beurteilen. Ästhetische Maßstäbe liefern eine Bewertung nach „Geschmack“. Habituelle Handlungsschemata zeigen sich in den Praktiken der Akteure

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und Handlungsschemata*, die bestimmen wie ein Akteur seine Umwelt sensuell wahrnimmt, welche Alltagstheorien, Klassifikationsmuster, ethischen Normen und ästhetische Maßstäbe er vertritt und welche individuellen kollektiven Praktiken der Akteur hervorbringt (vgl. Tieben, 5.3. Habitustheorie).. Demnach wirkt der Habitus als generatives Prinzip und erzeugt Motive und Bedürfnisse, Geschmack und Lebensstil. Darüber vergewissert sich das Individuum seiner selbst und distanziert sich von den Anderen. Über diesen kollektiv gerahmten individuellen Geschmack und Lebensstil wird es auch von den Anderen definiert (vgl. Abels, 2010, S. 212). Auch Subkulturen gesehen als sozialer Raum unterliegen immer einem spezifischen Habitus in dem sich der Akteur über den individuelle Geschmack und Lebensstil den anderen gegenüber distanziert und sich im Kollektiv mit den anderen definiert. Dies gilt selbstverständlich auch für den Sport, gesehen als Teilgebiet typisch moderner Lebenswelten. Was bedeutet das für den Sport? Die Habitusveränderung hin zur Betonung der eigenen Individualität beeinflusst die Körperformung und Bewegungspraxis ebenso, wie in weiterer Folge die neu inszenierten Bewegungsräume und die Genese von Trendsportarten.


1 1.15. Kapitalbegriffe

Das Kapital eines Menschen ist ein Anzeiger habituellen Seins. Gleichzeitig wird der Habitus erst durch das vorhandene Kapital entwickelt. Für Bourdieu ist der aus der Wirtschaft bekannte ökonomische Kapitalbegriff, der nach materieller Profitmaximierung strebt, nur eine der Kapitalformen des sozialen Austauschs. „Dieser wirtschaftswissenschaftliche Kapitalbegriff reduziert die Gesamtheit der gesellschaftlichen Austauschverhältnisse auf bloßen Warenaustausch, der objektiv und subjektiv auf Profitmaximierung ausgerichtet und vom (ökonomischen) Eigenutzen geleitet ist. Damit erklärt die Wirtschaftstheorie implizit alle anderen Formen sozialen Austausches zu nicht-ökonomischen, uneigennützigen Beziehungen.“ (Schwingel, 1995, S.80 aus Reinecke, 2007, S.128)

-Ökonomisches Kapital Das ökonomische Kapital ist der materielle Reichtum.

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-Kulturelles Kapital Es gibt drei Zustände von kulturellem Kapital:

1. in objektiviertem Zustand, beispielsweise in Form von Büchern, Gemälden usw.; Aufgrund des materiellen Wertes der Gegenstände ist das kulturelle Kapital im objekivierten Zustand dem ökonomischen Kapital sehr ähnlich. 2. in inkorporiertem Zustand: es beinhaltet sämtliche erlernbaren kulturelle Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissensformen, daher ist es körpergebunden. Das inkorporierte Kapital wird nach Aneignung Teil des Habitus. Der Preis für das inkorporierte Kapital ist die Zeit, die in die Bildung gesteckt wird. 3. in institutionalisierter Form wie beispielsweise Bildungstitel. Das kulturelle Kapital besteht also in Wissen und Qualifikationen, aber auch Handlungsformen und Einstellungen, die in der Familie und Ausbildungssystemen erworben werden. Das Gewicht des kulturellen Kapitals hängt davon ab, wie man es sich angeeignet hat (Inkorporation), wie man 111


1 es zum Ausdruck bringt (Objektivation) und wie es in Bildungstiteln festgestellt ist (Institutionalisierung). Die Art wie man sein kulturelles Kapital erworben hat, ist für die Unterscheidung und Abgrenzung zwischen den Klassen sehr wichtig. Das kulturelle Kapital differenziert die Klassen und es entscheidet über die Platzierung des Individuums in seiner Klasse (vgl. Abels, 2010, S. 210, Reinicke, 2007, S.128).

-Soziales Kapital Unter dem sozialen Kapital versteht man im weitesten Sinne die sozialen Beziehungen über die man verfügt. Es ist die Ausnutzung eines dauerhaften Netzwerkes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen zu anderen Akteuren. Wie Bourdieu es sagt „also Ressource, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruht“. (vgl. Schwingel, 1995, S.85 in Reinecke, 2007, S. 129)

Um das soziale Kapital zu halten, es gut zu nutzen und zu vergrößern, muss aber eine ständige Institutionalisierungsarbeit geleistet werden (vgl. Abels, 2010, S. 210).

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„Anders ausgedrückt, das Beziehungsnetz ist das Produkt individueller oder kollektiver Investitionsstrategien, die bewusst oder unbewusst auf die Schaffung und Erhaltung von Sozialbeziehungen gerichtet sind, die früher oder später einen unmittelbaren Nutzen versprechen.“ (Bourdieu, 1983a, S.192)

-Symbolisches Kapital „Der Mensch schafft sich als ein animal symbola formans neben seiner Realwelt ein Universum symbolischer Ausdruckswelten als Objektivationen seines wirkenden Geistes. Die Gesamtheit dieser Ausdruckswelten sind seine Kultur. Kulturwelt ist Symbolwelt!“ (Hildebrand, 1998, S. 34) Das symbolische Kapital kommt zustande mittels gesellschaftlicher Anerkennungsakte, das heißt also diese Kapitalart ist eine den anderen drei Kapitalarten übergeordnete Ressource. So ist das institutionelle kulturelle Kapital in Form von Bildungstiteln immer auch symbolisches Kapital, da es von den anderen Akteuren des Feldes anerkannt wird. Soziales Kapital ist immer auch symbolisches Kapital, da es auf Anerkennung angewiesen ist, um als Machtmittel einsetzbar zu sein. Symbolisches Kapital räumt den 113


1 Akteuren einen „Kredit“ an Ansehen und damit an Prestige ein. „Jeder „Kredit“ an legitimer gesellschaftlicher Anerkennung und Wertschätzung stellt ein symbolisches Kapital dar, das seiner Konstitutionslogik nach unabhängig von dem objektiv-ökonomischen und -kulturellen Kapital ist.“ (vgl. Schwingel, 1995, S.88 aus Reinecke, 2007 S. 129)

Das symbolische Kapital übernimmt auf Grund der Anerkennung bestimmter Akteure und Gruppen eine wichtige Legimitationsfunktion (vgl. Reinecke, 2007, S. 129).

Es lassen sich zudem weitere forschungsrelevanten Kapitalarten hinzufügen. Auch wenn sich diese nicht unbedingt mit Bourdieus Kapitalformen definieren lassen, so sind sie trotzdem Ressourcen, die über die Legimitation und Stellung im Feld (hier Szene) entscheiden.

-Subkulturelles Kapital Die Soziologin Sarah Thornton bezieht Bourdieus Kapitaltheorie auf Jugendkulturen und kommt zu einer Kapitalform, die dem Akteur das „im Trend sein“ anrechnet. Dies ist das subkulturelle Kapital. „In thinking through Bourdieu´s theories in relation to the terrain of youth culture, I´ve come to conceive of „hipness“ as a form of subcultural capital.“ (Thornton, 1996, S. 11 aus Reinecke, 2007, S. 134)

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Subkulturelles Kapital verhält sich ähnlich wie Bourdieus kulturelles Kapital. Es liegt in Thorntons Studie in objektivierter Form durch Dinge wie Plattensammlungen und Frisur vor. Ähnlich wie kulturelles Kapital, ist die Inkorporation von subkulturellen Kapital durch das Wissen über den neuesten Trend und der gezielten Verwendung des neuesten Slangs nach außen hin zu erkennen (vgl. Thornton, 1996, S. 11 f. Aus Reinecke, 2007, S. 135). Bei dieser Kapitalform spielen die Medien laut Thornton eine wesentliche Rolle. Sie sind Teil des Netzwerkes, das wichtig für die Definition und Verbreitung des subkulturellen Wissens ist. Sie spielen daher eine große Rolle für die Zirkulation des subkulturellen Kapitals. Wie ist diese Kapital auf meinen Forschungsgegenstand, die „urbane Fahrradkultur übertragbar“? Wie muss es szeneintern gefördert werden um echte Anerkennung von anderen zu erlangen? In objektivierter Form liegt es in der Szene vor, wenn ein Akteur bestimmte, nur bei dem Kern der Szene bekannte, Fahrradteile angebaut hat. Der Akteur 115


1 bestimmte Rahmenherrsteller fährt die besonders schwer zu bekommen sind. In der Szene ist jedoch die objektivierte Form nicht loszulösen von der inkorporierten da die Akteure erst durch das sich angeeignete Wissen sich anerkennungsschaffende Objekte (Räder etc.) zu legen können. Aber ist das inkorporierte Wissen auch darüber wo die Szenegänger anzutreffen sind und wann Events wie Alley Cats oder Critical Masses stattfinden.

-Körperkapital Das Jugendlichkeit versprechende Interesse für das subjektive Gesundheitsempfinden und für den symbolischen Wert des Körperkapitals ist zu Beginn des 21. Jahrhundert immer noch enorm. Gesundheit, Muskelkraft, Schönheit, körperliche Leistungsfähigkeit, Harmonie und Fitness, sind durchaus auch jenseits eines manchmal zu engen künstlerischen und musischen Verständnisses ästhetisch und kulturell hochgeschätzte Werte, die weiterhin hip sind und nachgefragt werden. Ein idealer Körper, das 116


heißt ein sportiv – durchtrainierter, fitter, fettfreier, jugendlich-dynamischer Körper ohne Pickel, Falten, Fettwülste und mit Waschbrettbauch ist immer noch vielerorts „die Eintrittskarte in ein Phantasieland der Schönheit“ und des „Erfolgs“ (vgl. Ferchhoff, 2010 S. 302). Das Körperkapital kommt daher dem symbolischen Kapital sehr nahe. Es geht vorwiegend um gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung.

-FAZIT Alle Kapitalarten bestimmen die Platzierung des Individuums im sozialen Raum. Im späteren Verlauf dieser Arbeit werde ich die hier vorgestellten Kapitaltheorien explizit auf meinen Forschungsgegenstand (die „urbane Fahrradkultur“) übertragen. Ich werde schauen wie relevant genau die Verteilung der Kapitalformen ist, in welchem Maße sie verteilt sind und welche Kapitalform die dominanteste in diesem Feld ist. Hierbei wird das Hauptaugen117


1 merk auf dem subkulturellen Kapital liegen. Wie muss dieses in objektivierter und inkorporierter Form vorliegen, damit die Akteure diese Ressource über die Legimitation und Stellung in der Szene ausschöpfen können? Welche Kapitalart muss zwecks der Kommerzialisierung gestärkt werden, um eine sportliche Subkultur in ein Marketingkonzept eingliedern zu können und zielgerichtet vermarkten zu können? Auch werde ich meinen Forschungsgegenstand vor dem Hintergrund der Habitustheorie untersuchen um genaue Rückschlüsse daraus ziehen zu können. Gibt es in der Szene einen gemeinsamen Habitus? Wie äußert sich dieser? Wie homogen oder heterogen sind die Akteure?

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2 TREND

WIE TRENDS DIE WELT EROBERN


2 TREND Mit Trends verhält es sich sehr komplex, sie kommen und gehen, oder sie dominieren. Doch kaum jemand weiß, worin sie wurzeln. Hinterfragt man jedoch den Ursprung solcher Erscheinungen, so tritt ein Kern zutage, der es möglich macht, Verknüpfungen herzustellen und den Trend in einem neuen Kontext zu betrachten. Daher sollte genau dieser Kern herausgearbeitet werden. Was versteht man überhaupt unter dem Begriff Trend? Ist ein Trend auch wirklich immer ein Trend? Was ist damit gemeint, einen Trend in einem neuen Kontext zu betrachten? Welche entscheidende Rolle spielen dabei die soziokulturellen Rahmenbedingungen des ersten Kapitels? Hat der gesellschaftliche Wandel auch direkte Auswirkungen auf Trends? Im nun folgenden werde ich auf die allgemeinen Gegebenheiten eines Trends gehen, um eine folgerichtige Abgrenzung hin zum Sport ziehen zu können.

122


2.1. allgemein

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Der Begriff Trend, der laut Definition des Dudens die Grundrichtung einer Entwicklung beschreibt, wird in der globalisierten Welt fast schon inflationär eingesetzt. Er beschreibt Tendenzen im politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen, gestalterischen oder kulturellen Bereich wie die Entwicklung von Wählermeinungen und Börsenkursen, die Modethemen, die in der nächsten Saison aktuell sein werden oder aus welchen Medien die Menschen in Zukunft ihre Informationen beziehen werden. Die Medien sind es auch, die einen entstehenden Trend weltweit verbreiten und ihn damit zu einem Hype machen. Wenn dieser Hype zum Mainstream geworden ist, dann ist der Höhepunkt des Lebenszyklus im Allgemeinen überschritten und die übersättigten Konsumenten wenden sich neuen Trends zu (vgl. van Rooijen, 2010, S.284-286). Im allgemeinen Sprachgebrauch werden mit dem Begriff Trend kurzfristige Modeerscheinungen benannt. Auch wird der Trendbegriff in seiner heutigen geläufigen Art als Inbegriff für den schnellen Lifestyle-Wechsel verwendet.


Trends entwickeln sich spontan aber nie ohne Grund. Trends sind der ästhetische ausdruck von tiefgreifenden gesellschaftlichen veränderungen

2

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In den Sozialwissenschaften bezeichnet der Begriff »Trend« eine wissenschaftlich feststellbare Grundrichtung gesellschaftlichen Verhaltens oder gesellschaftlicher Entwicklungen (vgl. http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/be21_ article.php?document_id=0x0e31f8f6@be 11.01.2012_15:13). Laut Matthias Horx sind Trends hochkomplexe, mehrdimensionale, selbststeuernde dynamische Prozesse in der modernen Individualgesellschaft (vgl. Horx, Wippermann, 1996, S. 21). Trends entwickeln sich spontan aber nie ohne Grund. Dem Trend liegen immer auslösende Ereignisse zu Grunde. Beim Trend sind es meistens politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen, die Spannungen auslösen und sich in einem veränderten ästhetischen Ausdruck manifestieren. Anfangs sind die Zeichen kaum lesbar weil sie im Untergrund stattfinden. Die Kommunikation findet erst in geschlossenen Kreisen statt. Die den Trend prägenden Subkulturen operieren so lange unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wie sie von der breiten Masse als nur lose auftauchende Eingenarten verstanden werden. Erst wenn sich die Zeichen ausbreiten und auch für Aussenstehende erkennbar werden baut sich auch für die


Aussenstehenden eine wahrnehmbare Bedeutung auf. Plötzlich macht sich etwas bemerkbar, aber man ist noch nicht in der Lage dieses Phänomen zu benennen. Trifft dieses Phänomen auf Widerstand, wird es zum Thema, dem auch mediale Aufmerksamkeit zuteil wird. Aus vereinzelten Meldungen wird ein Hype. Was einst im Untergrund begann wird allgegenwärtig. Letztlich erreicht der Trend das Stadium der Omnipräsenz, er ist derart dominant geworden, dass man es kaum noch erwarten kann, dass auch die letzten Mitläufer wieder verschwinden (vgl. van Rooijen, 2010, S.284-286). „Der Trendsetter, der bei der „Geburt“ des Ereignisses dabei war, hat sich zu diesem Zeitpunkt natürlich längst von dem abgewandt, war einst mitgeschaffen hat. Er ist womöglich komplett desillusioniert und angewidert von dem, was zuvor als große neue Idee in die Welt gebracht wurde“. (van Rooijen, 2010, S.285).

Jeder Trend durchläuft die Phasen der Formung, die noch weitgehend unter Insidern geschieht, der Manifestation, die bereits öffentlich wahrnehmbar ist und die Bewegung des expotentiellen Zulaufs. Schließlich die Phase der „Bastardisierung“ oder Kommerzialisierung, wo die Inhalte und 125


2 Überzeugungen der visuellen Multiplikation Platz machen müssen Rooijen, 2010, S.284-286).

2.2. die Trendebenen˚ ˚Nach Matthias Horx und Peter Wippermann Gründer des Trendbüros. Das Trendbüro ist ein Consulting-Team für eine effektive Vermittlungsarbeit zwischen den gesellschaftlichen Entwicklungen und Evolutionen sowie den Marketing- und Kommunikationsstrategien.

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(vgl. van

-Gesellschaftliche Trends Die gesellschaftlichen Trends markieren die großen kulturellen und sozialen Veränderungen in unserer Gesellschaft. In ihnen manifestieren sich die Reaktionsimpulse auf sich wandelnde Umgebungsparameter. Vor allem technische und soziale Veränderungen (Globalisierung, Individualisierung, Rezession etc.) speisen die aktuellen Gesellschaftstrends. Ihre Wirkdauer erstreckt sich mindestens über zehn Jahre hinweg und erfasst dabei die gesamte Bandbreite unserer Kultur. Auf dieser Ebene der Trendskizze geht es hauptsächlich um die Erfassung und Verortung von Wertewandel-Prozessen, die die schleichende Verschiebung von grundsätzlichen Einstellungen und Überzeugungen im gesellschaftlichen Diskurs antreiben. Wie


implizierte Grammatik bestimmen die Gesellschaftstrends die Ausdrucksweisen im Alltag. Sie spielen in allen Bereichen des Lebens eine zentrale Rolle. Kurz: Als Reaktionsimpulse auf sich wandelnde Umgebungsparameter markieren sie die großen kulturellen und sozialen Veränderungen unserer Zeit (vgl. Horx, Wippermann, 1996, S. 65-66). Diese so genannten Megatrends wie etwa die Globalisierung, die Individualisierung oder die immer wichtiger werdende Rolle der Frau markieren die großen Veränderungen unserer Gesellschaft, sie wirken global, langfristig und tiefgreifend.

-Konsumtrends Die Konsumtrends handeln primär von den Bedürfnissen, die sich in den Wünschen und Sehnsüchten der Verbraucher ausdrücken, allerdings immer vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozesse. Die Konsumtrends sind gewissermaßen die Übersetzung der Gesellschaftstrends auf der Warenebene, die Spiegelung des Kulturellen 127


2

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in den Märkten. Gerade in dem sensiblen leicht modifizierbaren Verhältnis der Konsumenten zu ihren Produkten offenbaren sich Einstellungs- und Motivationsschübe von ein bis fünf Jahren. Konsumtrends kennzeichnen die aktuell vorherrschende Konsumhaltung (vgl. Horx, Wippermann, 1996, S. 66-67) Unter die Konsumtrends fallen unter auch die Modetrends. Insgesamt kann man sagen, dass sich gerade die Modetrends in kurzen Wellen bewegen. Sie tanzen auf der Oberfläche und verändern sich in Zeitfenstern von drei bis sieben Jahren. Die Spitzen besonders bei den Modetrends sind die kurzfristigen Hypes und die von ganz spezifischen Produktinnovationen getriebenen Phänomene. Sie halten sich oft kein Jahr lang, erzeugen jedoch während dieser kurzen Zeit ein enorm lautes Getöse. Sie sind nur das sichtbare Ende einer tiefgreifenden Entwicklung, jedoch werden sie in der Öffentlichkeit als „der Trend“ gesehen. Weil aber gerade diese Hypes so leicht zu entschlüsseln sind, wird ihnen auch die größte mediale Aufmerksamkeit geschenkt. Dementsprechend werden sie rasant in die Welt hinausgetragen. Daher sind gerade Modetrends „selektive Projektionen medialer Kanäle“ (van Rooijen, 2010, S.284). Die Mode reagiert nur auf Entwicklungen, sie löst sie nicht aus..


-Branchentrends Branchentrends sind die „Feinjustierung“ der Trends für bestimmte Branchen und Marketingaktivitäten. Hier geraten Trends in das Feld der unmittelbaren Anwendbarkeit. Sie werden so zu strategisch taktischen Mitteln der Markenführung. Sie benennen die Auswirkungen der Konsumtrends innerhalb bestimmter Branchen, z.B. für die Kommunikations- oder Produktpolitik (vgl. Horx, Wippermann, 1996, S. 68 ).

2.3. trendformen * Die kleinste Einheit der Wirkungsdauer ist eine Saison. In der Regel werden Entwicklungen in jährlichen Abständen beobachtet. Eine Entwicklung die mehr als fünf Jahre aufweist gilt als besonders stabil, daher ist die Fünfjahresgrenze in der Trendforschung sehr bedeutend.

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Unterschiedliche Wirkungsdauer* und Wirkungsbreite** gesellschaftlicher Entwicklungen hat zur Folge, dass es verschiedene Formen von Trends gibt. Hierbei kann man zwischen Moden, Hypes, Nischentrends, „echten“ Trends und Megatrends unterscheiden (Vgl. Wopp, 2006, S. 16 ). Die Unterscheidung von Moden, Hypes, Nischen- und Megatrends ist deshalb wichtig, weil umgangssprachlich eher Hypes und Moden gemeint sind, wenn von Trends die Rede ist.


2 ** Die Wirkungsbreite ist besonders groß, wenn durch eine Entwicklung/ Trend viele Bereiche der Gesellschaft, wie Konsum, Technologie, Bevölkerungsgruppen, Politik, Wirtschaft, Kommunikation etc. betroffen sind. Die genaue Bestimmung der Wirkungsbreite eines Trendes kann erhebliche Probleme bereiten, da sich Entwicklungen nicht immer mit empirischen Zahlen messen lassen. Häufig handelt es sich dabei um Phänomene, in denen Motive, Einstellungen oder Werte von Menschen zum Ausdruck gebracht werden, die nicht immer statistisch erfasst werden können (Vgl. Wopp, 2006, S. 15 ).

-Modetrends Moden haben eine Wirkungsdauer von nur einem halben oder einem Jahr. Sie bilden daher die kleinste Einheit der Trendformen. Viele Kleidungsstücke sind insbesondere hinsichtlich der Farben, Schnitte etc. nur Moden. Daher ist es nicht verwunderlich, dass bei dem Begriff Mode die meisten Menschen an die aktuelle Kleidungsmoden denken und schnell mit dem Begriff Trend verwechseln. Dies führt dann auch zu der inflationären Verwendung des Begriffs (vgl. Wopp, 2006, S. 16). Nach Schildmacher (1998) sind Moden, eher Äußerungsformen auf der Oberflächenstruktur der Gesellschaft, wohingegen Trends auf Grund ihrer längeren Wirksamkeit vorrangig auf der Tiefenstruktur der Gesellschaft anzusiedeln sind (Schildmacher, 1998, S. 14 aus Wopp, 2006, S. 17).

-Hypes

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Hypes zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr schnell große Popularität erlangen, aber auch nach sehr kurzer Zeit wieder vom Markt und aus dem Bewusstsein der Menschen verschwinden. Hypes sind Entwicklungen mit kurzer Wirkungsdauer und hoher Wirkungsbreite (vgl. Wopp, 2006, S. 16).


-Nischentrends Nischentrends bewegen sich in bestimmten Lebensräumen der Menschen. Diese können altersbezogen aber auch auf bestimmte Regionen bezogen sein. Nischentrends sind Entwicklungen von mittel- bis langfristiger Wirkungsdauer bei geringer bis mittlerer Wirkungsbreite (vgl. Wopp, 2006, S. 16).

-Megatrends Megatrends sind epochale Veränderungen tief in den ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Systemen. Hier besteht eine besonders große Wirkungsbreite und eine lange Wirkungsdauer. Eine hohe Wirkungsbreite ist dann gegeben, wenn ein Trend weltweite Wirksamkeit hat (Globalisierung, Individualisierung) (vgl. Wopp, 2006, S. 16).

-„Echte“ Trends 131

„Echte“ Trends sind Entwicklungen mit einer Wirkungsdauer von mindestens fünf Jahren und einer mindestens mittleren Wirkungsbreite. Diese


2 Fünfjahresgrenze signalisiert eine gewisse Stabilität. Beispielsweise ist das Inlineskating seit mehr als fünf Jahren bei einem großen Teil der Bevölkerung angesagt (vgl. Wopp, 2006, S. 17). Die für meine Arbeit relevanten Trends liegen eher im Bereich des Konsums und der Mode. Allerdings sind diese, wie bereits erwähnt die Übersetzungen und die visuellen Ausprägungen der übergeordnenten gesellschaftlichen Entwicklungen. Daher müssen auch stets die gesellschaftlich formenden Rahmenbedingungen eines Trends im Auge behalten werden. Meiner Ansicht nach sind Trends mit besonders ausgeprägtem Durchsetzungsvermögen meist im jugendlichen, subkulturellen Lebensstilen wieder zu finden. Wie schon in den Thesen formuliert, findet vieles, was sich in anderen Zielgruppen etabliert hat, seinen Ausgangspunkt im subkulturellen Bereich. Dass gerade dort Trends einen hohen Stellenwert einnehmen, liegt an der Tatsache, dass Trends Identitätstool und Orientierungshilfe sind. Mittels Trends drücken sich die Akteure, besonders im (für meine Forschung 132


relevanten sportlichen) jugendkulturellen Bereich aus. Trends sind Symbole, mit denen die eigene Identität in Szene gesetzt wird. Trends sind Schlüsselinformationen, die Orientierung im Dschungel der Möglichkeiten erleichtern.

2.4. trendentwicklung

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Die Entwicklung eines Trends kann man sich in einer Pyramidenform vorstellen: An der Spitze befindet sich eine kleine Gruppe von Trendsettern, dies sind die führenden Akteure einer Bewegung (sie sind die „cores“ vgl. S. 150). Es folgt eine etwas größere Gruppe von Menschen, die diese Trends schnell aufnimmt und kopiert (die „player“). Aus professionellen Gründen gehören Trendscouts, Redakteure von Szene-/Lifestylemagazinen und Stylisten dieser Gruppe an. Die dritte Gruppe wartet ab, bis der Trend sich bestätigt und große Firmen mitziehen. Durch den Einfluss, den diese Firmen auch auf die Medien haben, ist der Trend dann schnell allgegenwär-


2 tig. Firmen schaffen es mit der Unterstützung von Medien, jeden Trend zu ihrem Vorteil zu nutzen und als Mythos erscheinen zu lassen. Die Menschen in der heutigen Konsumgesellschaft kaufen ein, um sich von anderen zu differenzieren. Früher konsumierten sie, um sich an die Gesellschaft anzupassen. Einkaufen wird zu einer Zeit, in der Rebellion ein Trend ist, den Menschen als ein rebellischer Akt verkauft (vgl. Reinecke, 2007, S. 163).

2.5. trendforschung

Firmen müssen über Trends schon informiert sein, bevor sie ihre Dynamik verlieren, daher arbeiten Trendforscher für sie. Die Aufgabe der Trendforscher ist es, Trends unmittelbar nach dem Aufkommen zu erkennen und sie so zu benennen und zu umschreiben, dass die Firmen diese in ihre Marketingkonzepte einzugliedern können (vgl. Reinecke, 2007, S. 164). Wie bereits erwähnt sind auch Trends Folge der dynamischen, soziokulturellen Umbrüche. Demzufolge versuchen Trendforscher diese Verän-

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derungen zu erfassen und ihre Dynamiken zu begreifen und sie stellen Ereignisse, Herrschaftsformen, Institutionen in Frage. Die Trendforschung versucht also das „Eigenleben“ der komplex gewordenen Gesellschaft zu ergründen (vgl. Horx, Wippermann, 1996, S. 18, 19). Wie von Geisterhand getrieben verändern sich plötzlich Märkte, Paradigmen und Moralvorstellungen. Die Mission der Trendforscher ist es nun diesen Prozessen einen Namen zu geben – das Verborgene sichtbar zu machen und es dadurch handhabbar zu machen. Dem Trendforscher geht es vorrangig darum, den Phänomenen die sich tief in unserer Gesellschaft formen und noch verstecken, verbal zu identifizieren (vgl. Horx, Wippermann, 1996, S. 21.).

*Wissenschaftlich ist das, was sich in einer Theorie und einer daraus abgeleiteten Hypothese fixieren und durch Experiment, Zahlen und Fakten wiederholt beweisen lässt (vgl. Horx, Wippermann, 1996, S. 23)

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Trendforschung versteht sich als interdisziplinäre Metawissenschaft. Es kommt ihr wenig darauf an, die Anforderungskriterien der traditionellen Wissenschaftsdefinitionen* zu erfüllen, als etwas „Neues“ zu generieren, das jenseits der heutigen Denkhorizonte liegt. Trendforschung vereint andere Wissenschaften zu einer neuen, ganzheitlichen Sichtweise der Welt.


2 Die Trendforschung bedient sich demnach an den klassischen Wissenschaften (vgl. Horx, Wippermann, 1996, S. 32), wie beispielsweise der Soziologie, als Lehre von den Strukturen des Gemeinwesens und der gesellschaftlichen Organisation. Die Soziologie ist das zentrale Feld für jede Form der Gesellschaftsbetrachtung (vgl. Horx, Wippermann,1996, S. 33). Auch bedient sich die Trendforschung der Geschichtswissenschaften, da es ohne historisches Wissen, besonders über die Moderne, Trendforschung nicht machbar wäre (vgl. ebd., 1996, S. 33). Die Markt- und Meinungsforschung als kognitive Disziplin liefert wichtige Grundlagendaten (vgl. ebd., 1996, S. 33). Die Psychologie als Lehre vom menschlichen Erleben und Verhalten ist unverzichtbar für jede gesamtheitliche Weltbetrachtung (vgl. ebd., 1996, S. 34). Die Semiotik ist laut Horx die Zentralwissenschaft der Trendforschung. Semiotik, die Lehre von den Zeichen, den verborgenen Bedeutungen, den sprachlichen Strukturen, der Oberflächencodierungen. Semiotik ist Trendforschung pur, weil sie sich mit nichts anderem als Bedeutungsinterpretationen auseinandersetzt. Der Semiotiker ist ein Verehrer und Verteidiger des Profanen, des Alltags, des Details. Die Semiotik ordnet Zeichen und 136


Impulse zu einer zusammenhängenden Grammatik und setzt sie in Bezug zur kulturellen Evolution (vgl. ebd., 1996, S. 35). Die Evolutionswissenschaften bieten außerordentlich wertvolle Impulse für das Verständnis hochkomplexer Prozesse, weil sie auf Wechselwirkung verweisen, die zwischen den verschiedenen Ebenen unserer Existenz verlaufen. Etwa zwischen dem biologischen Erbe und dem alltäglichen Verhalten. Zwischen den Körpern und ihrer Gestalt und den kulturellen Ebenen. Die Kulturanthropologie oder Kulturethnologie (auch Volkskunde) ist der Aspekt der volkskundlich-kulturanalytische Blick auf das Alltagsleben (vgl. Horx, Wippermann, 1996, S. 33-37). Viele Trendforscher gehen bei der Suche nach den Trends genau dahin, wo sich Neues entwickelt: in den Untergrund und Subkulturen. Neben dem bereits genannten gibt es die unterschiedlichsten Tätigkeitsfelder in der Trendforschung: Die Trendkreativen sind diejenige, die die Trends nicht nur diagnostizieren, deuten und benennen. Sie sind die, die Trends gezielt setzen. Sind sind 137


2 aktiv in der trendorientierten Produktentwicklung beteiligt. Dies geschieht vor allem im Mode – und Konsumbereich. Spezialdisziplin dieser meist jungen stilsicher-avangardistischen Teams sind Farbenprognostik, das Erspüren der Themen der nächsten Jahre und ästhetisches Forecasting. Es geht um viel Intuition, jedoch beziehen sie ihre Erkenntnisse aus einem kontinuierlichen ethnologischen Blick auf die Welt. Auch bei diesem Teilbereich der Trendforschung geht es um den geschulten semiotischen Blick: Zeichen-lesen ist das entscheidende Qualifikationselement. Symbole verstehen, die die Alltagskultur aussendet (vgl. Horx, Wippermann, 1996, S. 70-71). Nicht weit entfernt von den Trendkreativen befinden sich die Trend-Marketingconsulter. Sie sind ausschließlich auf die Marketingebene spezialisiert. Ihre Aufgabe ist es, Produkte, in den Trend zu drehen oder in Trendschienen zu vermarkten. Nicht weit entfernt von den Trendkreativen befinden sich die Trend-Marketingconsulter. Sie sind ausschließlich auf die Marketingebene spezialisiert. Ihre Aufgabe ist es, Produkte, in den Trend zu drehen oder in Trendschienen zu vermarkten. Dies macht sie in erster Linie zu Kommunikationsberatern der Markenartikelindustrie. Das Denken der 138


Trend-Marketingconsulter stammt allerdings eher aus dem Bereich „trendyness“, es geht mehr um modische Marketingprozesse als um Objektivierung eines echten Trends. Sie übersetzen kurzlebige Moden schnell in Events, Ideen und Promotions (vgl. Horx, Wippermann, 1996, S. 70-71).

2.6. Methoden der trendforschung

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-Scanning (vgl. hierzu Horx, Wippermann, 1996, S. 74-75) Scanning ist in der Regel die erste Phase der Trendforschung. Scanning ist das Sichten und Auswerten von Medien aller Art, sowie den Berichten der Trendkorrespondenten, die aus den Großstadtmetropolen der Welt über ihre Erlebnissen und Erkundungen berichten. Das entscheidende beim Trendscanning ist zunächst nicht der Wahrheitscharakter eines Zeitungsberichtes, sondern die Perspektive der Betrachtung. Für das Scanning in der Trendforschung sind zunächst Kriterien relevant, die semiotische Muster in Bildern, Typographien, Themen, Wortwendun-


2 gen zu erkennen geben. Es gilt, feine Veränderungen in den Interpretationen der Welt zu orten und die Theoriewechsel zu verstehen, die auf subtile Weise über die Medien transportiert werden.

Denn Medien sind die Spiegel unserer Gesellschaft. Beispiel Frauenzeitschriften: In den achtziger Jahren dominierten Themen der Emanzipationsära wie Partnerschaft, Persönlichkeitsentwicklung und das Dilemma zwischen Karriere und Mutterschaft. Seit den frühen Neunziger, mischt sich immer mehr ein harter Tonfall in den Diskurs der Frauenzeitschriften. Artikel über das Mann-Frau-Verhältnis argumentieren deutlich aggressiver aus weiblicher Sicht. Männer werden stets als beziehungsunfähig und egoistisch kritisiert oder als Sexobjekte dargestellt.

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Auch die Bilder die in diesen Frauenzeitschriften publiziert werden ändern sich deutlich: Dem romantischen Frauenbild folgt ein härteres, erotischeres und selbstbezogeneres. Man kann diese Veränderungen zwar als Spiel der Medien interpretieren, doch Medien „lügen“ nicht – wie erwähnt spiegeln die Medien die Gesellschaft wider. Das Anhäufen von Zeitgeistphänomenen ist weitaus mehr als reiner Unterhaltungswert. Hierbei ist auch historisches Grundwissen von großer Bedeutung - nur wer die Geschichte kennt, für den geben auch scheinbar schrille Reflexe der Oberfläche unserer Gesellschaft einen Sinn. „Das Medium ist die Massage!“ daran sieht man, dass die Medien viel mehr sind als die Vermittler von Informationen. Medien erzeugen Realität. Gerade deshalb ist vielleicht die Bildzeitung auch der kreativste und perfekteste „Realitätserzeuger“ des Landes. Die Muster, die die Medienwelt erzeugt, sind enorm mächtig und einflussreich. Selbst jede hysterische Nachricht und jeder gehypte Meldung (sei sie wahr oder unwahr) sagt etwas aus. Scanning ist daher die kontinuierliche Beobachtung von Entwicklungen mithilfe einer systematischen Informationsverdichtung. 141


2 -Semiotische Analysen (vgl. hierzu Horx, Wippermann, 1996, S. 79-85, 90) Wie schon erwähnt ist die Semiotik als die Lehre von Zeichen und deren Deutung eine zentrale Disziplin der Trendforschung. Besonders unverzichtbar ist die Semiotik beim Scanning-Prozess. Dabei geht es um die sensible Aufnahme, Clusterung und Interpretation von Zeichensystemen, wie sie uns tagtäglich begegnen. Unter Zeichen sind die Formen der Ausdrucksmöglichkeiten zu verstehen, sei es verbal (Sprache, Schrift) oder nonverbal (Bilder, Gestik, Mimik, Verhalten, Körpersprache, Kleidung, Musik, Kunst etc.). Diese Zeichen transportieren und vermitteln stets Bedeutungen in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Der Semiotiker ist Beobachter und Analytiker all dieser Zeichen. Die Semiotiker in der Trendforschung sind meist interdisziplinäre Teams, bestehend aus Soziologen, Psychologen, Kommunikationsdesigner und Linguisten. Sie interpretieren diese gegebenen Zeichen in einem heuristischen, intersubjektiven Verfahren. Die Interpretationen werden dann zwischen den Interpretierenden immer 142


wieder gegengespiegelt, um möglichst multiperspektivische Deutungen der Zeichen zu erlangen. Dabei ist Quantität nicht unbedingt sinnvoll. Printmaterial der drei Marktführer in jeder Spate ist dabei völlig ausreichend (andere verdichten die Informationen der Großen nur schwächer und unprofessioneller oder schreiben ab; dies dürft auch der Grund sein warum sie nicht zu den Marktführern gehören). Interessant allerdings sind dann wieder echte Nischenblätter, Neuerscheinungen in Nischen, die keiner kennt – Spezialzeitschriften bis hin zu Fanzines mit wenigen Hundert Auflagen, in denen sich kommende Themen abzeichnen. Auch Avantgardeblätter die sonst niemand in die Hand nimmt. Es geht also weniger um die Masse der Medien, die gescannt werden, vielmehr geht es um das subtile Wissen darum, wie Medien funktionieren – wie sie Themen in den Diskurs hineinschleusen, wie sie voneinander abschreiben oder bestimmte Phänomene einfach hypen. Neben den Printmedien werden auch TV-Formate semiotisch „gescannt“. Wie funktionieren die neuen Soaps? Welche Stars entwickeln sich – und wofür stehen sie? Bestsellerlisten von Büchern und Filmen sind, wenn man sie zu lesen ver143


2 steht, aussagekräftige Zeitgeistindikatoren. Das Online-Scanning des www. hat mittlerweile eine gigantische Recherchekraft und läuft dem anderen Scanning-Material den Rang ab. Auch Produktscanning ist eine Art für die Zeichendeutung. Dabei geht es um weltweites „Trendshopping“ - kleine, scheinbar verrückte Innovationen, Produkte und Produktideen, neue Packaging-Beispiele, Gimmicks, Souvenirs und Symbolgegenstände werden aus allen Teilen der Welt zusammengetragen und wie das Printmaterial semiotisch ausgewertet. Beim Scanning kann man die Ergebnisse der diversen Studien gewissermaßen „sampeln“ , diese zu einer neuen Metastudie zusammenfassen und dabei etwas über die langfristigen Veränderungen lernen. Man bekommt einen Eindruck über den Wandel der Zeiten.

-Monitoring (vgl. hierzu Horx, Wippermann, 1996, S. 83-84) Monitoring kann man als einen Prozess bezeichnen, der ein „Bewegungsbild“ einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe, beispielsweise einer Subkultur oder einer kulturellen Avantgarde zeichnet. Im Grunde handelt 144


es sich bei Monitoring um Feldrecherche quasi um den Querschnitt einer Entwicklungsdynamik. Es ist das Beobachten bestimmter sozialer Gruppen oder Netzwerke. Dies schärft auch das Gespür dafür, wie die fragile Mechanik zwischen Subkultur und Mainstream funktioniert, wie die Gleichzeitigkeiten und Ungleichzeitigkeiten im kulturellen Prozess verlaufen.

-Psycho-Explorationen (vgl. hierzu Horx, Wippermann, 1996, S. 87-88) Die Psycho-Explorationen könnten auch als Teilbereich des Monitorings angesehen werden. Es ist die direkteste und intimste Form des Monitorings. Es werden Gruppendiskussionen und Tiefeninterviews initiiert, dabei findet eine Annäherung an die meist unbewussten Einstellungs- und Motivkomponenten der Untersuchten statt. Von welchen Motiven werden sie wirklich geleitet? Welche impliziten Wahrnehmungen beeinflussen ihr Denken und Fühlen? Und welche Überzeugungen und Werte dirigieren ihr Verhalten? Mit Hilfe von projektiven Verfahren, die auch nonverbale Ausdruckskanäle (beispielsweise das Anfertigen von Collagen) ausnutzen, lassen sich Trendbegriffe und darunter verborgene Wertemuster feststellen. 145


2 Die Situation bietet vielfältige Möglichkeiten, unsere Trends und Trendbegriffe in Lebenssimulationen abzutesten. Als ein effektives Untersuchungsfeld im Rahmen der Psycho-Explorationen haben sich semantische Analysen bewährt. Welche Assoziationen und Konnotationen werden etwa von einem Begriff wie Freundschaft transportiert? Welche inneren Bilder löst andererseits der Gedanke an Amerika aus? Die Begriffe dienen als wertvolle Grundlage, um Begriffe in ihrer Semantik, also ihrem Bedeutungsgehalt zu bestimmen und Veränderungen in der semantischen Struktur nachzuvollziehen. Mit dem Abgleich semiotischer Studien lassen sich wahre kognitive Landkarten eines Begriffes zeichnen und für Kommunikationsaufgaben nutzbar machen.

-Ethnographische Beobachtungen

(vgl. hierzu Horx, Wippermann, 1996, S.88-89)

Eine besonders visuell geprägte Form des Monitorings besteht in der teilnehmenden Beobachtung per Videokamera. Ethnologische Interviewer versuchen das Lebensgefühl einzelner Zielgruppen in Wort und laufendem Bild festzuhalten und somit ein besonders plastisches und ausdrucksstar146


kes Gegenwartsbild zu entwerfen. Der Vorteil von ethnologischen Interviewes ist in der Möglichkeit ganz nahe am sozialen Geschehen zu sein. Dies geschieht primär auf einer Verhaltensebene, die ansonsten in verbalen Explorationstechniken nur schwer ermittelbar ist. Die auf diese Weise aufgezeichneten Trendviedeos werden eingesetzt, um Trends vorstellbar zu machen, mitunter besitzen sie mehr Überzeugungskraft als alle zahlengestützten Statistiken zusammen.

-Szenarioprognosen (vgl. hierzu Horx, Wippermann, 1996, S.91-92) Trendforschung ist eng verzahnt mit Gegenwartssichtung. Im Rahmen von Kreativ-Workshops wird von Konsumenten, Experten oder Marketingfachleuten das ideale Produkt der Zukunft imaginiert. Es werden Collagen und Zeichnungen angefertigt und Traumreisen unternommen. Szenario-Technik ist also das Entwickeln und strategische ,,Spiegeln“ möglicher Zukunftsverläufe.

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2 -Delphi-Studien

(vgl. hierzu Horx, Wippermann, 1996, S.93)

Eine Auswahl an Fachexperten wird zu einem bestimmten Thema mit Thesen konfrontiert und zu einer Stellungnahme animiert. Der Rückfluss der Expertisen wird von einem Moderator koordiniert und verdichtet, bevor der Extrakt noch einmal den Experten zukommt. Nach erneutem Rücklauf der Antworten formt sich schließlich eine zusammengefasst Auffassung der wichtigsten Aufschlüsse über die zukünftige Gestalt und Ausprägung der Themen. Die Delphi-Methode ist eine effektive Erhebungsmethode, weil sie in räumlicher und zeitlicher Unabhängigkeit die Zusammenschaltung von geballten Expertenwissen ermöglicht.

-Naming (vgl. hierzu Wopp, 2006, S. 35) Beim Naming geht es darum, die so genannten „Magic Words“ zu finden. Allerdings gibt es für diese Phase der Trendforschung kein wissenschaftlich anerkanntes Verfahren. Hierbei spielen Intuition und das Empfinden von Zeitgeistströmungen eine wichtige Rolle. Das Naming steht in unmittelbaren Zusammenhang mit der häufig einseitigen Ausrichtung der Trendfor148


schung auf die Ermittlung von Konsumtrends. Vielfach geht es darum, Phänomene und Entwicklungen für den Verkauf von Waren nutzbar zu machen. Das Aufspüren von Motiven ist in erster Instanz ein Aufspüren von Konsummotiven. Im Zentrum des Namings steht nicht die Wahrhaftigkeit von Aussagen oder Begriffen, sonder das Erzeugen von Wirkung. Diese Wortneuschöpfungen sollen sich einprägen und dadurch für Überschaubarkeit sorgen, dies wiederum ist meist ein eindeutiges Verkaufsargument.

-Sonstige Methoden (vgl. hierzu Horx, Wippermann, 1996, S. 92) Im Consultingbereich der Trendforschung hat sich eine alte Methode bewährt, die des Zusammenschaltens von Experten auf einer höheren strategischen Ebene. Es sind Spezialisten, die bei bestimmten Fragestellungen und Projekten in hochqualifizierten und effizienten Teams zusammen arbeiten.

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2 2.7. Zwischenfazit

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Besonders betont werden im Zusammenhang mit dem Trendbegriff die Wertewandel-Prozesse in der Gesellschaft, wobei speziell die fortschreitende Individualisierung immer wieder hervorgehoben wird. Das Problem an dem Begriff Trend ist, dass er inflationär verwendet wird. Vieles wird heute unreflektiert als Trend angekündigt. Immer wieder werden Modethemen als Trends deklariert. Sie sind allerdings nur die sichtbare Erscheinung tiefgreifender Entwicklungen unserer Gesellschaft. Die öffentliche Wahrnehmung zum Thema Trend hat sich enorm verschoben. Viele der titulierten Trends der letzten Jahre waren kurzfristiger Natur und können daher nur als Trend im Sinne von Modeerscheinungen, ohne längerfristige Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft gedeutet werden. Daher kann gesagt werden, dass sich Trends immer wieder in einem veränderten ästhetischen Ausdruck manifestieren. Trendforschung ist eine marktorientierte Dienstleistung. Die Ziele der Trendforschung sind es, Trends zu ermitteln, Begriffe zur Charakterisierung von Entwicklungen zu formulieren (vgl. Wopp, 2006,S. 27), Informationsverdich-


Die Trendforschung ist eine Art Sozialforschung neuen Typs, in der es darum geht die Veränderungen zu erfassen und ihre Dynamiken zu begreifen 151

tung (vgl. Horx, Wippermann, 1996) und Innovationen zu gestalten. Die Trendforschung ist eine Art Sozialforschung neuen Typs, in der es darum geht die Veränderungen zu erfassen und ihre Dynamiken zu begreifen. Ereignisse und Institutionen in Frage gestellt. Kurz: es geht darum das „Eigenleben“ der komplex gewordenen Gesellschaft zu ergründen (vgl. Horx, Wippermann, 1996, S. 19). Als solch neue interdisziplinäre Sozialwissenschaft, muss sie all das nutzen worauf sich andere Wissenschaften auch stützen. Datenerstellung und Analysen aus den verschiedensten Bereichen. Der Unterschied jedoch zu den altgegenwärtigen Sozialwissenschaften ist, dass sich die Trendforschung auch an der Intuition, der Kreativität und dem gesunden Menschenverstand bedient. Für den, der sich in Zukunft mit Trends beschäftigt (besonders Gestalter und Marketingfachsleute), wird es entscheidend sein, dass er sich permanent fragt, was wirklich relevant ist oder was letztlich nur eine kleine und immer weniger ernst zu nehmende Gruppe von Eingeweihten und Insider interessiert. Es geht für ihn darum, die Spreu vom Weizen zu trennen. Für ihn ist es wichtig Parameter zu finden, die ihm das Selektieren der unend-


2 lichen Untergrundbewegungen mit Potenzial erleichtern. Und hier setzen die Ergebnisse und Rückschlüsse meiner Arbeit an. Ich werde versuchen diese Parameter ausfindig zu machen und gegebenenfalls eine Anleitung bieten, mit der man untergrundartige Entwicklungen mit Potenzial finden kann und sie mit kommunikativen Maßnahmen zielgerichtet an die Oberfläche, also in die Mitte der Gesellschaft, bringen kann. Es geht darum Untergrundbewegungen ohne Trendpotenzial von denen mit Trendpotenzial selektieren zu können

„Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“.

2.8. Kritik an der trendforschung

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Um einen reflektierten Eindruck über die Thematik der Trendforschung zu bekommen, ist es notwendig auch die Kritiker als auch deren Kritikpunkte zu nennen. Dies ist vor allem wichtig für den subjektiven Gesamteindruck. Holger Rust beispielsweise ist hier zu Lande einer der schärfsten Kritiker


der Trendforschung. In seiner Publikation „Zukunftsillusionen – Kritik an der Trendforschung“ (2008) geht er mit den einschlägigen Trendforscher hart ins Gericht und deutet Trendforschung als „mothodologische Schalantanerie“. Dabei kritisiert er scharf, dass sich die Trendforschung selbstbewusst als Universalwissenschaft darstellt, die eine gesellschaftliche Mission erfüllt, dabei jedoch den rein kommerziellen, mitunter den strategischen Opportunismus, der die meisten dieser „Studien“ auszeichnet, kaschiert (vgl. Rust, 2008, S. 11). „Was als Wissenschaft deklariert wird, ist oft nichts anderes als methodologische Schalantanerie, konstruiert aus anekdotischen Beweisketten und Bruchstücken andernorts erarbeiteter Einsichten.“ (Rust, 2008, S. 12) Er kritisiert, dass Trendforschung nichts anderes ist als eine ganze Dienstleistungsbranche, die mehr oder minder plausible Trends und Zukünfte verkauft, oder Marktstrategien, die auf solchen Trends beruhen. Jedoch keinerlei wissenschaftliches Fundament besitzen (vgl. Rust, 2008, S. 16). 153


2 Um dennoch als professionelle Beratungsinstitutionen gesehen zu werden, „erfinden die Vertreter dieses Gewerbes allerlei exotische Methoden und verkleiden ihre Befunde in lärmende Anglizismen. Die harte Sprache der Strategen wird ein Vokabular exotischer Welt- und Alltagsmodelle entgegengestellt, die ihre Legimitation vor allem durch die Verbreitung in Medien suchen – und finden.“ (Rust, 2008, S. 16) Aufgrund der wirtschaftlichen und kommerziellen Vermarktung dieser vermeintlich wissenschaftlichen Ergebnisse ist laut Rust die wissenschaftliche Unabhängigkeit stark gefährdet. „Die Projekte zielen auf sensationelle Ergebnisse, die in regelmäßiger Folge durch Trend-Reports, Trendtage, periodische Zukunftsbriefe und Trendletters verbreitet werden, um die Öffentlichkeit, die Unternehmen und die Medien mit jeweils aktuell „entdeckten“ Trends vom Nutzen der Angebote zu überzeugen.“ (Rust, 2008, S. 16) Laut Horx ist die gesamte Methodologie, auf der die Trendforschung angeblich beruht, und die publizistische Praxis weder wissenschaftlichen noch journalistischen Standards genügen. Die wenigen Beschreibungen der 154


Vorgehensweise berufen sich auf „universalwissenschaftlich“ begründeten „Erfahrungen“ und eine in den Jahren gewachsene Intuition, so Horx. Bei näherer Betrachtung handle es sich bei den meisten dieser Methoden um nichts anderes als um eine oberflächliche Durchsicht von Zeitungen und Zeitschriften und gelegentliche Straßenbefragungen (vgl. Rust, 2008, S. 20).

Ich stimme Rust weitestgehend zu, was die intrasparente Methodologie und die kommerzielle Vermarktung vermeintlich wissenschaftlicher Ergebnisse angeht. Jedoch ist meines Erachtens diese unkonventionelle, interdisziplinäre Arbeitsweise gerade für Kreativprozess von enormer Wichtigkeit. Desweiteren brauchen sichtbare Phänomene oder veränderte Strukturen Namen, denn erst was benennbar ist, ist auch kommunizierbar. Genau an dieser Stelle knüpfen dann die Aufgaben eines Kreativschaffenden an, daher hat dieser Aspekt für ihn auch eine besondere Relevanz.

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2 2.9. trendmarketing

2.9.1 Trendsetter Trendsetter ist nicht gleich Trendmacher Wer aber ist für das Entdecken und Weiterverbreiten von Trends verantwortlich? Wie im richtigen Leben, so hat auch beim Trendbildungsprozess jeder seine spezifische Aufgabe (MTV_Mindset_Studie, 2002, S. 8). Hier gibt es zwei entscheidende Personengruppen mit zwei verschiedenen Funktionen: die „Cores“ und die „Player“. Die Cores entwickeln und entdecken neue Ideen. Die Players dagegen greifen bestimmte Neuheiten auf, vereinfachen sie und verbreiten sie schließlich im gesamten Markt. Neue Trends entwickeln sich überall dort, wo Cores und Player zusammenspielen (MTV_Mindset_Studie, 2002, S. 8).

-Die „Cores“

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Die „Cores“ kennen die gleiche Musik, sie tragen ähnliche Kleidung, sie verwenden bestimmte Marken, sie sprechen dieselbe Sprache oder sie treiben den gleichen Sport. Die Cores stecken sehr viel Energien in die Beschaffung von neuen Informationen und Ideen für ihre jeweilige Kultur.


Dadurch stellen sie permanent eine Vielzahl an trendverdächtigen Neuheiten bereit. Der Freundeskreis der Cores ist sehr homogen. Nur Auserwählte sind Teil davon. Nur wenige kommen hinein. Cores leben in ihren eigenen Welten mit hohen Zugangsbeschränkungen. Dieses abgeschlossene Subsystem sorgt dafür, dass die Cores kaum etwas zur Verbreitung ihrer neuen Ideen hingehend zum Mainstream beitragen (vgl. MTV_Mindset_Studie, 2002, S. 9). Die Cores sorgen also für Neuheiten innerhalb ihrer Kultur. Die Aufgabe zur Verbreitung dieser Neuheiten übernehmen dann die „Player“.

- Die Player Die Player gehen mit Stilkulturen wesentlich leichtfertiger um. Die Cores entdecken die Neuheiten, die Player wählen daraus bestimmte aus und spielen damit. Durch dieses Spiel werden die Ideen vereinfacht. Sie werden massentauglich. Somit werden schließlich im gesamten Markt verbreitet. Denn ein Player kennt eine Menge Leute – oft auch aus anderen Bereichen. 157


2 Verglichen mit den Cores ist der Freundeskreis der Player wesentlich heterogener. Damit erhalten Player für ihr Umfeld eine wichtige Vorbildfunktion (vgl. MTV_Mindset_Studie, 2002, S. 10). Die Player tragen also die Neuerungen der Cores in die Welt hinaus.

2.9.2. Der „trendframe“ Trends entstehen nicht im luftleeren Raum. Vielmehr sind sie in einen so genannten Trend-Frame eingebettet. Als Trend-Frame bezeichnet man den gesellschaftlichen Rahmen, in dem sich Trends abspielen. Solch einen Rahmen markieren zum Beispiel die Lebensstile, Einstellungen und Werte einer ganzen Generation. Anders ausgedrückt bildet ein Trend-Frame ein Lebensgefühl ab. Diesem Lebensgefühl stehen nun neue Trends gegenüber. Je besser diese Trends dem Gefühl entsprechen, desto größer ist die Trendkraft. Je größer die Trendkraft, desto länger die Lebensdauer eines Trends. 158


Je besser ein Trend in den aktuellen Trend-Frame passt, desto schlagkräftiger ist er 159

Keine Epoche ohne eigenen Trend-Frame und damit korrespondierende Trends. Während sich die Rahmenbedingungen im Lauf der Jahre geändert haben, ist eines gleich geblieben: Je besser ein Trend in den aktuellen Trend-Frame passt, desto schlagkräftiger ist er. Daher müssen alle Maßnahmen mit dem Trend-Frame harmonieren. Genauer, sie müssen die Zeichen der Zeit widerspiegeln (vgl. MTV_Mindset_Studie, 2002, S. 13, 22). Jeder aktuelle Trend ist in den Trend-Frame eingebettet. Die Stärke eines Trends und seine voraussichtliche Lebensdauer lässt sich dabei fast mathematisch berechnen. Ganz einfach, indem man sich genau ansieht, wie gut oder schlecht ein Trend mit diesem Frame korrespondiert (vgl. MTV_Mindset_Studie, 2002, S. 31). Wie bereits erwähnt ist es wichtig auch Konsum-, Mode- und Branchentrends aus der Vogelperspektive zu betrachten und deren übergeordneten Trends verstehen die immer mit dem gesellschaftlichen Wandel einhergehen. Was bedeutet das nun für das Trendmarketing? Hierbei werde ich mich hauptsächlich auf Konsum-, Branchen-, und Modetrends beschränken.


2 Konsumenten unterscheiden bei ihrer Wahrnehmung sehr deutlich zwischen echten, authentischen Trends und kommerziellen Trends. Entscheidend für den Unterschied ist dabei weniger der Inhalt als vielmehr die Herkunft eines Trends – also dessen Entstehungsprozess. Trends die die Attribute authentisch, ehrlich, cool aufweisen werden bevorzugt angenommen. Dies geschieht vor allem über die Entwicklung der Cores. Echte, authentische Trends werden durch Cores etabliert und durch Player verbreitet. Genau dieser Weg bietet das Prädikat: echt authentisch (vgl. MTV_Mindset_Studie, 2002, S. 12). Für Markenartikler bedeutet das: Wer einen echten Trend für seine Marketingaktivitäten nutzen will, muss direkt und in erster Linie mit den Cores und Playern kommunizieren. Professionelles Trendmarketing setzt deshalb bei den Cores an. Macht sie zum Ausgangspunkt aller Aktivitäten. Hier entstehen Trends, hier kann man sie frühzeitig erkennen, einschätzen und verwerten. Das macht die Cores speziell für alle Bereiche des Produktmarketings interessant. Sämtliche Maßnahmen sollten sich an den Cores orien160


tieren. Die Kommunikationsstrategie dagegen sollte sich vor allem an den Playern orientieren. Dort, wo Trends entdeckt, massenaffin gemacht und weiterverbreitet werden. Playeraffine Kommunikationsmittel sind beispielsweise Events, Musik-TV, Print (Special Interest), Internet (vor allem soziale Netzwerke und Video-Plattformen) (vgl. MTV_Mindset_Studie, 2002, S. 13, 22). Bevor man jedoch einen Trend, aus dem Musik- oder Sportbereich, für das Marketing nutzen möchte, sollte man sicher sein, wie gut dieser Trend mit dem Frame harmoniert (vgl. MTV_Mindset_Studie, 2002, S. 13, 22). Wie schon erwähnt sollte man genau die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kennen, in denen sich die Akteure bewegen um zielgerichtete Maßnahmen in die Wege zu leiten. Daher sollte effektives Trendmarketing immer auf den folgenden drei Punkten aufbauen um erfolgreich zu sein (vgl. MTV_Mindset_Studie, 2002, S. 38) : 1. Trends so früh wie möglich für das Marketing nutzen. Je früher man einen Trend für sich arbeiten lässt, desto größer ist der Handlungsspielraum und desto geringer sind die Kosten. 161


2 2. Nur ein Trend, der von den Cores den Mainstream erreicht, ist in seiner Herkunft wirklich cool und authentisch. Und damit überlebensfähig. 3. Marketingaktivitäten und Trends müssen mit dem Trend-Frame harmonieren. Je besser ein Trend in den Frame passt, desto besser sind die Chancen auf eine große Trendstärke und eine lange Lebenszeit.

2.9.3. Was bedeutet dies für den Kreativschaffenden? Es wird in in Zukunft darum gehen, Trends zu entdecken und zu schaffen die Werte darstellen und nicht einfach nur oberflächliche Exotismen sind (vgl. van Rooijen, 2010, S.284). Es geht darum auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen um gegebenenfalls ihr Leben mit einem Trend signifikant verbessern zu können. Dabei spielt die Authentizität stets eine enorme Rolle. Das Beste was einem Phänomen, einer Idee aber auch einem Pro162


dukt passieren kann, ist, dass es am Schluss seines Evolutionszyklus nicht in die Bedeutungslosigkeit und vielleicht sogar in die öffentliche Verachtung zurückfällt. Für den Kreativen ist es daher sinnvoll immer die Herkunft beziehungsweise die Authentizität eines Phänomens zu kommunizieren um es zielgerichtet und langfristig an die Oberfläche zu bringen.

2.10. abgrenzung hin zum tredsport

163

Wie es sich im Verlaufe dieser Arbeit gezeigt hat, korrespondieren gerade die Freestyle-Sportarten wunderbar mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unserer Zeit. Die Freestyle-Sportarten passen demnach exakt in den heutigen „Trendframe“. Daher ist es nun sinnvoll Freestyle-Sportarten auf ihr Trendpotenzial zu prüfen. Um dies auch auf den Forschungsgegenstand übertragen zu können.


Trendsportarten verstehen sich bewusst als gegenbewegung zur etablierten sportwelt

2

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2.10.1. Was ist Trendsport? Trendsportarten stehen für ein neues Sportverständnis. Sie verstehen sich bewusst als Gegenbewegung zur etablierten Sportwelt. Die in Opposition zum etablierten Sport entstandenen Sportarten kombinieren neue Bewegungsformen mit neuartigen Sportgeräten. Trendsportarten sind die Sportarten, bei denen ein stetiger Anstieg an Akteuren in den letzten Jahren zu beobachten ist. In der Anfangsphase ist die Betonung eines individuellen, speziellen Lebensgefühls ausschlaggebend. Später erfolgt die Öffnung für ein breites Publikum und die lukrative Vermarktung (vgl. http://www.enzyklo.de/Begriff/Trendsport _ 11.01.2012_13:28). Im Rahmen eines Trendsports entwickelt sich meist eine dazugehörige Szene inklusive spezieller Kleidung, Markenprodukten und eigenem Vokabular.


2.10.2. Trendforschung im Sport In den vergangenen Unterkapiteln wurden die allgemeinen Rahmenbedingungen des Trends geklärt und skizziert. Doch sind diese Erkenntnisse und Methoden auch auf den Freestylesport übertragbar? Ist es möglich auch eine Trendforschung im Sport zu betreiben? Im nächsten Schritt soll der Fokus auf das „Wie“ gerichtet werden: Wie haben sich Trendsportarten entwickelt bzw. wie entwickeln sie sich ganz generell? Wie bereits erwähnt kann man den gesellschaftlichen Wandel und damit auch die fortschreitende Individualisierung als einen epochalen Megatrend ausmachen. Selbstverständlich wirkt sich dies in vielen Bereichen unseres Lebens aus, wie beispielsweise im gesellschaftlichen Habitus. Davon ist auch der Sport, als Teilbereich unserer Kultur, betroffen. Die Habitusveränderung hin zur Betonung der eigenen Individualität beeinflusst die Körperformung und Bewegungspraxis ebenso, wie in weiterer Folge die neu inszenierten Bewegungsräume und die Entwicklung von Trendsportarten. 165


2 „Mehr Freizeit, Bildung und Wohlstand haben das Anspruchsniveau der Menschen verändert. Im Vordergrund stehen nicht mehr Ernst und Nüchternheit, sondern sinnliche Erfahrung, spielerisches Erleben und Spontaneität. Da die Probier-, Experimentier- und Risikofreude im Alltagsleben kaum noch gefordert werden, bietet sich eine Bedürfnisbefriedigung in der Freizeit und speziell im Freizeitsport an.“ (Schwier, 2000, S. 39) Die Trendsportforschung bedient sich der allgemeinen Methoden der Trendforschung: Scanning (Erfassen von Anzeichen) und Monitoring (Beobachten bestimmter gesellschaftlicher Teilbereiche). Dabei gilt es wie bei der allgemeinen Trendforschung Trends beziehungsweise aufkeimende Phänomene frühzeitig zu erkennen und ihr Entwicklungspotenzial vorab einzuschätzen.

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2.10.3. Merkmale von Trendsportarten nach Schwier Zwar ist nicht jede Trendsportart eine Freestyle-Sportart und nicht jede Freestyle-Sportart ist eine Trendsportart. Um sicher sagen zu können, dass es sich bei meinem Forschungsgegenstand, die „urbane Fahrradkultur“, gesehen als Freestyle-Sportart, auch um eine Trendsportart handelt müssen zunächst die allgemeinen Merkmale einer Trendsportart beleuchtet werden. Jürgen Schwier unterscheidet sechs, zum Teil in wechselnden Kombinationen auftretende, allgemeine Merkmale von Trendsport (vgl. 2000, S. 81f.). Dabei unterscheidet er im Einzelnen den Trend zur Stilisierung, den Trend zur Beschleunigung, den Trend zur Virtuosität sowie den Trend zur Extremisierung, den Trend zum Event sowie den Trend zum Sampling (vgl. Schwier, 2000, S. 81). Im Folgenden werde ich seine Ausführungen näher erläutern und auf die Relevanz für Freestyle-Sportarten hin untersuchen. 167


2 -1- Der Trend zur Stilisierung Der Trend zur Stilisierung ist ein wesentliches Merkmal zahlreicher Trendsportarten. Er zeugt von dem Bedßrfnis nach Selbstdarstellung und Identifikation. Die Formen des Sich-Bewegens, Werthaltungen, KÜrperbilder, Gesten und Rituale, Sprach- und Dresscode bilden eine symbolische Einheit. Stilisierung ist die Antwort auf die postmoderne Freiheit der Lebensgestaltung. Stil ist die neue Protestform der Subkultur, weil sich in ihm auch eine Haltung widerspiegelt (Ablehnung der Vernunftwelt) (vgl. Schwier, 2000, S. 81-82 und Fuchs, 2007, S. 53, 59). Stilisierung ist das zentrale Element des Freestyle-Sports, wie bereits erwähnt sind Freiheit und Style hierbei die bewegungscharakteristischen Merkmale. Die hier skizzierte symbolische Einheit findet in den jugendkulturellen Szenen der Freestyler statt (Lifestyle; Merkmal der Lebensgestaltung). Den Stil als Protest gegen die vorherrschende Lebensordnung zu interpretieren, findet seine Entsprechung im zweiten Freestyle-Merkmal der Lebensgestaltung, dem Gegenentwurf. Hier zeigen sich ganz klare subkulturelle Verhaltensmuster. 168


-2- Der Trend zur Beschleunigung

169

Laut Schwier stellt die Beschleunigung einen „sportkulturellen Megatrend dar, zu dessen Durchsetzung unter anderem die Massenmedien mit ihrem verdichteten, actiongeladenen und „schnittigen“ Inszenierungen von Sportereignissen maßgeblich beitragen“ (Schwier, 2000, S.82). Vorwiegend besteht dieser Trend in vielen Trendsportarten und ist gekennzeichnet durch eine hohe Aktionsgeschwindigkeit und -dichte. Wie in den vorherigen Ausführungen zur Stilisierung geschildert, entwickelt der Sportler auch über die Geschwindigkeit einen eigenen Stil (Schwier, 2000, S.83f.). Sowohl Angst als auch Widerstand sind Teil einer postmodernen Gesellschaftsstruktur, diese gilt es besonders bei riskanten Beschleunigungen zu überwinden. Was wiederum eine Art Bestätigung und Bekräftigung anderer mit sich zieht und dementsprechend einen symbolischen Charakter hat. Zwar zielen die meisten Freestyle-Sportarten nicht unbedingt auf Beschleunigung und maximale Erhöhung des Tempos, allerdings gibt FreestyleSportarten in denen Geschwindigkeit per se vorhanden ist (beispielsweise Snowboarden, Surfen etc.).


2 -3- Der Trend zur Virtuosität Der Trend zur Virtuosität ist das sichtbare Gegengewicht zum messbaren Wettkampfsport. Die ästhetische Dimension des Sports wird neu entdeckt und gegenüber dem binären Sieg-Niederlage-Code bevorzugt (vgl. Schwier, S. 84). „Die Virtuosität des Sich-Bewegens wird wohl am auffälligsten von den jugendkulturellen Szenen… akzentuiert. Diese Szenen zeigen in der Öffentlichkeit, dass man auch ohne vorrangige Orientierung an einer Überbietungsperspektive dem Ideal des „Besser-Werdens“ folgen, sich mit ganzer Leidenschaft dem Einüben oder der Perfektionierung von „Tricks“ hingeben und neue Fertigkeiten erfinden kann.“ (Schwier, 2000, S. 84) „Ein gemeinsames Merkmal von Trendsportarten besteht darin, dass sie in gewisser Hinsicht eine Neuentdeckung der ästhetischen Dimensionen des Sports stimulieren, die die traditionelle Hegemonie des binären Sieg-Niederlage-Codes und die damit verbundene rationale Leistungsproduktion stilbildend überschreitet.“ (Schwier, 2000, S.84). 170


Schwier zufolge besteht der Bedarf bei der sportlichen Auseinandersetzung eher darin, sich der kreativen Erlebnisse zu bedienen und diese zu nutzen was unweigerlich zu einer „Ästhetisierung des Sports“ führt (vgl. Schwier, 2000, S.84f.). Der Drang der Akteure, qualitativ hochwertige Bewegungen auszuführen, deren Muster auf Innovation, Virtuosität und Individualisierung basieren, wird zum zentralen Moment der Trendsportarten. Damit wird auch der Stil zur individuellen Persönlichkeit. Bewegung wird zu einer Ausdrucksform der Individualität, trifft Aussagen über die Persönlichkeit und muss sich deshalb von der Bewegung anderer absetzen. Die betriebene Trendsportart ist in der Selbstwahrnehmung der Akteure kein bloßes Sporttreiben, sondern Ausdruck eines eigenen Lebensstils, dem sowohl eine identitätsstabilisierende als auch eine distinktive Funktion zukommt (vgl. SCHWIER 1998, S. 40). Dieser Trend passt punktgenau zu der Ideologie der Freestylesportarten. Die Akteure des Freestyles stellen stets die Entwicklung und die Ästhetisierung des eigenen Stils in den Vordergrund, dabei rücken wettkampfsorientierte Überbietungsperspektiven eher in den Hintergrund. Wie auch 171


2 bei der Stilisierung ist wird hier die Bewegung zu einer Ausdrucksform der Individualität, was wiederum prägnant für den Freestyle-Sport ist.

-4- Der Trend zur Extremisierung Laut Schwier kennzeichnet der Begriff der Extremisierung im Bereich des Sports „einen dynamischen und quasi unaufhaltsam fortschreitenden Prozess“ auf der Suche nach dem Extremen (vgl. Schwier, 2000, S. 85). Diese Suche nach dem Extremen hat letztendlich die Extrem- und Risikosportarten hervorgebracht. Man begibt sich quasi immer auf die Suche nach der ultimativen Grenze. „Es (…) muss immer wieder ein neues Ziel gefunden werden, um sich lebendig zu fühlen oder die Herausforderung mit gleicher Intensität zu erleben.“ (Schwier, 2000, S. 85) Durch extreme sportliche Erlebnisse wird der Körper zu einem Medium der Selbstvergewisserung, indem er das Gefühl erlebbar macht, etwas bewirken und verändern zu können, lebendig zu sein. Der Trend zur Extremisierung spielt für Freestyle-Sportler in soweit eine 172


Rolle, als dass die Akteure immer noch riskantere Tricks entwickeln um ihre Virtuosität unter Beweis zu stellen um damit Stilisierung (Selbstdarstellung und Identifikation) zu erlangen.

-5- Der Trend zum Event Der Trend zum Event betrifft die neuen Organisations- und Inszenierungsformen des Sportes. Es zeigt sich eine Abkehr von den traditionellen Wettkampfsverantstaltungen hin zu bunten unterhaltungsorientierten Veranstaltungen. Trendsportarten besitzen dadurch sehr oft einen „Happeningcharakter“, dadurch wird Sponsoren die ideale Möglichkeit geboten ihre Produkte publikumswirksam zu bewerben. Auf den Partys feiern alle gemeinsam und zelebrieren ihre Zusammengehörigkeit. Auf diesen Veranstaltungen werden sportliche Aktivitäten, Musik, Spaß und Produktwerbung kombiniert (vgl. Schwier, 2000, S. 86-87) .

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2 Gerade für Freestyle-Sportarten ist dieser Trend elementar, da Events die Stilisierung zur Differenzierung zu den traditionellen Sportarten begünstigt. Wie sich bereits auch bei dem Szenen-Modell von Hitzler und Niederbacher deutlich zeigte.

-6- Der Trend zum Sampling Sampling bedeutet in diesem Zusammenhang einer Kombination aus verschiedenen Sportdisziplinen. Durch das Sampling werden bekannte Sportarten zu neuen Bewegungsformen ummoduliert. Es wird „ (…) Bedürfnis nach dem Ausleben der eigenen inneren Vielfalt reflektiert,“ (Schwier, 2000, S. 89) sowie eine veränderte Wahrnehmung des Körpers. Sampling ist für Schwier ein bestimmendes Kennzeichen für den postmodernen Sport. Eine Scheu vor der Übertretung gesetzter Grenzen scheint hierbei nicht zu existieren. Ein unbefangenes, kreatives Spielen mit Regeln und Normen ist die Folge. Freestyle-Sportarten werden mitunter gesampelt, wie beispielsweise das 174


Radpolo. Der Trend zum Sampling ist jedoch nicht als Hauptmerkmal von Trendsportarten zu betrachten. Da sich Trendsportarten eher aus bereits da gewesenen Sportarten heraus modifizieren.

Insgesamt zeigt sich, dass sich die Inhalte und Hauptmerkmale von Trendsportarten auch bei den Freestyle—Sportarten wiederfinden lassen. Besonders die Trends zur Stilisierung, zur Virtuosität, zur Extremisierung und zum Event sind wesentliche Bestandteile von Freestyle-Sportarten. Die Trends zur Beschleunigung und zum Sampling sind zwar vorhanden spielen jedoch eine eher untergeordnete Rolle. Letztenendes geht es beim Freestyle nicht darum den Körper zu schinden, viel mehr geht es um Grenzerfahrungen. Es geht darum mit seinem Handeln eine Verknüpfung zur eigenen Persönlichkeit herzustellen. Es geht um das Bedürfnis nach Selbstdarstellung und Identifikation.

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2 Die von Schwier definierten Merkmale des Trendsports bringe ich in Verbindung zum Trend-Frame. Um so besser eine Sportart zu den oben aufgeführten Merkmalen passt, desto größer wird ihr Erfolg. Man kann diese Trendmerkmale quasi als eine Art Erfolgs-Martrix für Trendsportarten betrachten. So könnte das Potenzial einer Trendsportart im vorhinein ansatzweise gedeutet werden. Im späteren Verlauf werde ich meinen Forschungsgegenstand, die „urbane Fahrradkultur“ , unter diesen Punkten analysieren und schauen wie hoch das Trendpotenzial dieser Freestylesportart ist.

2.10.4. Die Entwicklungsstufen von Trendsportarten

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Wie sich herausgestellt hat, kann man die meisten Freestyle-Sportarten sehr wohl als Teildisziplin der Trendsportarten bezeichnen, daher sollten die nach Schwier unten aufgeführten Entwicklungsstufen auch für den Freestylesport gelten.


Jürgen Schwier unterscheidet fünf Phasen der Entwicklung von Trendsportarten. Am Beginn steht die [1] Invention. Durch spielerisch-kreativen Umgang mit Materialien, Räumen und Ideen einzelner Akteure oder einzelner Gruppen entstehen neue unbekannte Bewegungsformen. Es folgt die [2] Innovation. Die neueartige Bewegungsform verlässt den Kreis des Untergrundes und wagt sich an den Rand der dominanten Sportkultur, um dort von interessierten Szenen aufgegriffen und eigensinnig interpretiert zu werden. In der Phase der [3] Entfaltung und des Wachstums erfährt die Sportart ihre erste mediale Präsenz, die Szene produziert Videos, Fanzines, etc. und auch popkulturelle Programmformate beginnen darüber zu berichten. Die innovative Bewegungsform wird mehr als juveniler Lebensstil und weniger als Sportart betrachtet. In der nächsten Entwicklungsstufe gelingt der [4] Übergang von der innovativen Praxis in das Feld der populären Kultur. Die Trendsportart, die zuerst außerhalb des Sportfeldes „geboren“ wurde und sich dann am Rand der Sportkultur in den Szenen gehalten hat, ist nun in der Mitte der Gesellschaft angelangt. 177


2 In der Endstufe der Entwicklung von Trendsportarten, also gewissermaßen bei der [5] Sättigung, ist die Sportart etabliert. Nun hat sie die Struktur gewöhnlicher „Normalsportarten“ (vgl. Schwier, 2000, S. 63-71).

2.10.5. Kommerzialisierung und medien Damit sich eine Trendsportart über die Phase der Innovation hinaus entwickeln und sich in der Gesellschaft etablieren kann, spielen Industrie und die Medien eine wichtige Rolle. Medien und Kommunikation sind ungemein bedeutend für die Entwicklung einer Freestyle-Sportart. Erst wenn die Sportart, gesehen als Produkt, einen hohen Kommerzialisierungswert und Potenzial mit sich bringt, kann sie medienwirksam für Firmen inszeniert werden. Dafür wird sie industriell durchgestylt und in das Aufmerksamkeitsfeld der breiten Öffentlichkeit gerückt. Im nun Folgenden werde ich aufzeigen, wie die Kommerzialisierung und 178


die Medialisierung einer Trendsportart vonstatten gehen kann, damit aus einer sportlichen Randerscheinung ein Trend wird. Dabei wird auch die Relevanz für die Freestyle-Sportart geprüft. Die Kommerzialisierung durch ist Firmen im Grunde die letzte Instanz bei der Entwicklung von Trendsportarten. Sie ist hauptverantwortlich für den Weg in den Mainstream. Wohingegen Kommunikation in den verschiedesten Medien anfangs auch szenenintern geschieht, später jedoch auch von Firmen kommerziell inszeniert wird. Dieser Punkt zeigt auf, dass es nicht nur darum geht Trends frühzeitig zu erkennen, sondern diese auch auf der richtigen Plattformen erfolgreich für sich arbeiten zu lassen.

- Kommerzialisierung Da der Sport auch immer einen Markt für seine eigenen Produkte liefert (um bestimmte Sportarten betreiben zu können, muss zuerst die entsprechende Ausrüstung angeschafft werden), ist der Aspekt der Kommerzialisierung nicht außer Acht zu lassen. Die Tatsache, dass der Dresscode und 179


2

* „Sportsponsoring bezeichnet eine Leistungs-Gegenleistungs-Beziehung zwischen Sportorganisationen und Wirtschaftsunternehmen, in der Unternehmen die Sportorganisationen materiell unterstützen, um eigene Marketingund Kommunikationsziele zu verfolgen, und in der die Sportorganisationen eigene Rechte gegen Geld, Sachmittel und Dienstleistungen veräußern, um ihre sportlichen Ziele besser zu verwirklichen.“ (Heinemann, 2007, S. 260)

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die Sportbekleidung in der postmodernen Gesellschaft der Selbstsilisierung eine enorme Aufwertung erhalten ist ein wichtiger Aspekt für die Vermarktung von Trendsportarten. Desweiteren bietet Sport auch eine große Plattform für Werbung und (Sport-) sponsoring (vgl. Heinemann, 2007, S. 259 -260). Die gezielte Inszenierung von Sportszenen wir von der Sportartikelindustrie als bedeutsame Strategie der Kommerzionalisierung betrachtet. So können sie ihren Produkten das spezifische Image der jeweiligen Trendsportart verpassen (vgl. Wopp, 2006, S. 253). Dadurch rücken die jeweiligen Sportarten in den Aufmerksamsbereich der gewünschten Zielgruppen. Es geht darum seine Produkte in den Trend zu „drehen“. Wirtschaftsunternehmen kaufen sich durch Sportsponsoring* beim Sportkonsumenten die Assoziation mit dem Werbeträger und dessen Image. Besonders hierfür bieten Trend- und Freestyle-Sport enormes Potential. Assoziationen wie: trendig, jung, frei, fröhlich, rebellisch, stylisch kommen hier deutlich zum Tragen. Doch der Freestyle-Sport liefert nicht nur imaginär-kognitive Vorteile für die


eigene Kommerzialisierung. Real-gültige Vorteile wie die Tatsache, dass der Freestyle-Sport eine Individualsportart ist. Jeder der daran teilnehmen will, muss sich seine eigene Ausrüstung kaufen. Desweiteren beschränken sich Freestyle-Sportarten nicht nur darauf, eine Grundausrüstung zu besitzen, sondern es geht viel mehr darum sich modisch einem entsprechenden Style anzupassen, ergo muss die entsprechende Kleidung gekauft werden. Die Modetrends ändern sich regelmäßig, wodurch mittels Kauf neuer Kleidung „nachjustiert“ werden muss (vgl. Dietrich & Heinemann, 2000, S. 25). Aufgrund der Assoziation mit dem Rebellischen ist Freestyle-Sport besonders bei Jugendlichen sehr attraktiv. Daher werden die Jugendlichen von den Unternehmen direkt beispielsweise durch Sponsoring beworben, um ihr verfügbares Taschengeld zu investieren, die Kaufentscheidungen ihrer Eltern zu beeinflussen und um sie als Kunden von morgen zu gewinnen. Die Menschen in der heutigen Konsumgesellschaft kaufen ein, um sich von anderen zu differenzieren. Früher konsumierten sie, um sich an die Gesellschaft anzupassen. Einkaufen wird zu einer Zeit, in der Rebellion ein Trend ist, den Menschen als ein rebellischer Akt verkauft (vgl. Reinecke, 2007, S.163 ). 181


2 Angesichts der genannten Kommerzialisierungs-Aspekte ist es, besonders für Unternehmen wichtig Freestyle-Sportarten mit Potenzial zu erkennen und sie a) zielgerichtet zu hypen um sie b) in ihr Marketingkonzept mit einzubinden. Der Trend zum Event beispielsweise ist für die Kommerzialisierung einer Freestylesportart besonders wichtig weil sie Markenartikler hier besonders mit den Playern, die die Trends verbreiten, in Kontakt treten können. Auch bei der Kommerzialisierung bzw. Trendmarketing im Sport gelten die gleichen Regeln wie beim allegemeinen Trendmarketing (siehe S. 150). In Bezug zur „urbanen Fahrradkultur“ werde ich prüfen in wieweit die Kommerzialisierung bereits Einzug gehalten hat und ob es noch Ausschöpfungsmöglichkeiten gibt. Wie erfolgreich ging die bisherige Kommerzialisierung vonstatten?

- Medien Medien sind die Informationsquelle Nummer 1. Damit spielen sie auch im gesamten Trendbildungsprozess (gerade im Sport) eine Hauptrolle. 182


Zunächst einmal sind Medien und Kommunikation ungemein bedeutend für die Entwicklung einer Freestyle-Sportart. Dies geschieht anfangs noch im Untergrund – da wo die Trendsportart ihre Wurzeln hat. Die Player übernehmen und vereinfachen nicht nur das Phänomen an sich sondern auch die dazugehörige Kommunikation. Sie tragen also nicht nur das Phänomen in die Welt hinaus, sonder darüber hinaus auch die Art der szeneninterne Kommunikation. Firmen werden darauf aufmerksam, sie schaffen es mit der Unterstützung von Medien, jeden Trend zu ihrem Vorteil zu nutzen und als Mythos erscheinen zu lassen. Durch den Einfluss, den diese Firmen auch auf die Medien haben, ist der Trend dann schnell allgegenwärtig. Er wird dadurch zum Mainstream (vgl. Reinecke, 2007, S. 163). Es sind die Medien, die einen entstehenden Trend weltweit verbreiten und ihn damit zu einem Hype machen. Doch was bedeutet die medienwirksame Aufbereitung also für den Freestyle-Sport? Hierbei ist die Tatsache, dass der Freestyle-Sport eine Art Gegenbewegung zum traditionellen Sport darstellt wichtig. 183


2

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Daher kann eine kommerzielle Medialisierung nicht mit den gleichen Mechanismen einer traditionellen Sportart funktionieren. Print und Internet sind wichtige Medienplattformen gerade im FreestyleSport, da dieser allgemein noch keine allgegenwärtige TV-Präsenz hat. Dies würde im allgemeinen auch nicht funktionieren, da wie bereits erwähnt die Herkunft und damit auch die Authentizität eine immense Rolle bei den Akteuren spielen. Sie würden eine massentaugliche Medialisierung via TV von Großveranstaltungen von vorne herein ablehnen und somit auch die Firmen die dies unterstützen. Die Kommunikationsarbeit muss den Bedürfnissen der Player angepasst sein. Sie sind diejenigen, die die Trends in die Welt hinaus tragen. Die Kommunikations- und Medienkanäle müssen die „Sprache“ der jeweiligen subkulturellen Szene sprechen. Gerade die Kombination von Trendsport und Lifestyle ist das Interessante und Besondere an der Vermarktung von Freestyle-Sportarten. Wie schon erwähnt passen die Freestyle-Sportarten punktgenau in die heutige postmoderne Gesellschaft. Sie müssen nur medienwirksam aufbereitet werden und voil la der Trend arbeitet als Selbstläufer für die Vermarktung der eigenen Produkte.


2.11. fazit

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-Was bedeutet dies für den Kreativen? Trends kann man nicht erfinden. Man kann sie nur abtasten, ihnen einen Namen geben und entscheidend, man kann sie verstärken. Es geht darum Trends frühzeitig zu erkennen. Denn Trends beeinflussen das Kaufverhalten und die Markenwahl. Sie dienen der Orientierung in einer Welt voller Entscheidungsmöglichkeiten. Die professionelle Nutzung von Trends eröffnet Werbetreibenden damit viele Chancen. Je früher ein Kreativschaffender einen Trend nutzt, desto größer ist sein Handlungsspielraum. Ein unbesetztes Feld ist ein Feld voller Möglichkeiten. Das macht deutlich, wie wichtig es für Werbetreibende heute ist, über das Wesen und die Funktionsweise von Trends Bescheid zu wissen. Nur wer sie bereits in einem frühen Stadium beschreiben und einschätzen kann und dann auch noch die richtige Kommunikationsplattform nutzt, kann Trends erfolgreich für sich arbeiten lassen. Das heißt zum einen, dass man in den Untergrund gehen muss, dorthin wo Trends entstehen und zum anderen dies immer vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftliche Entwicklung betrachten.



3 DIE SZENE

DIE „URBANE FAHRRADKULTUR“


3 DIE SZENE 3.1. was bisher geschah

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In den vergangenen Kapiteln wurden die allgemeinen Bedingungen, denen der Forschungsgegenstand zu Grunde liegt geklärt. Im ersten Kapitel wurden dazu die soziokulturellen Gegebenheiten hinsichtlich des Wesens einer Subkultur, mit deren Werte, Einstellungen und Ausprägungen vorgestellt und diese folgerichtig in den Kontext des Sportes, gesehen als Teilbereich einer (post-) modernen Gesellschaft gesetzt. Dies hat gezeigt, dass auch der Sport den allgemeinen soziokulturellen Wandlungsprozessen unterliegt und, dass dies auch direkte Auswirkungen auf das Sporttreiben in der heutigen Zeit hat. Der Sport hat über den Bewegungsaspekt hinaus enorm an Bedeutung gewonnen, er ist zu einer sinnstiftenden Aktivität geworden, die neben einer offensichtlichen Selbstdarstellung auch mit einer Selbst-Suche, Ich-Findung oder der Ausbildung der eigenen Identität einhergeht.


Die Frage, ob Sport die im Vorfeld definierten subkulturelle Züge annehmen kann, wurde hinreichend geklärt. Wenn der Sport „die Gesellschaft reflektiert“, er somit „ein Mikrokosmos der Gesellschaft“ ist, dann müsste der Umkehrschluss gelten, das Phänomene, die sich im Sport manifestieren, auch in anderen kulturellen Feldern aufzufinden sind (vgl. Weiß, 1990, S. 49). Dies zeigt, dass der Sport als Kulturobjekt unserer heutigen Gesellschaft funktioniert und somit deren allgemeingültigen Mechanismen und Wesenszügen unterliegt. Der Individualisierungsprozess in einer sich immer stärker pluralisierenden Gesellschaft begünstigt die Wahl von Freestyle-Sportarten, jenseits von genormten Institutionen. Hier kann auf spielerischem Weg Selbstinszenierung hervorgebracht werden und darüber hinaus Selbstgewissheit (Identität) erlangt werden. Das Konzept der „Erlebnisgesellschaft“ ist das Ergebnis des Individualisierungsschubs. Im Mittelpunkt einer Erlebnisgesellschaft steht „das Erleben des Lebens“. Das Projekt des schönen Lebens verläuft parallel zur Ästhetisierung des Alltags. Auffallend bei dem Konzept der Erlebnisgesellschaft 189


3 ist, dass gerade der Freestylesport ein geradezu idealtypisches Abbild der Erlebnisgesellschaft zu sein scheint. Der Habitus, „als ein soziales Verhaltensmuster, das durch Sozialisation erworben, den spezifischen Lebensstil von Individuen und sozialen Gruppen strukturiert“, (Nünning,1998, S.200 aus Reinecke, 2007, S.128) wirkt als generatives Prinzip und erzeugt Motive und Bedürfnisse, Geschmack und Lebensstil. Darüber vergewissert sich das Individuum seiner selbst und distanziert sich von den Anderen. Über diesen kollektiv gerahmten individuellen Geschmack und Lebensstil wird es auch von den Anderen definiert (vgl. Abels, 2010, S. 212). Auch Subkulturen gesehen als sozialer Raum unterliegen immer einem spezifischen Habitus in dem sich der Akteur über den individuelle Geschmack und Lebensstil den anderen gegenüber distanziert und sich im Kollektiv mit den anderen definiert. Dies gilt selbstverständlich auch für den Sport, gesehen als Teilgebiet typisch moderner Lebenswelten. Neben dem Habitus wurden auch Bourdieus Kapitalformen erläutert und ergänzt. Dies ist wichtig, da die Kapitalarten die Platzierung des Individuums im 190


sozialen Raum bestimmen. Gerade das subkulturelle Kapital ist für den Forschungsgegenstand immens wichtig, unter anderem rechnet es dem Akteur das „im Trend sein“ an. Im späteren Verlauf dieser Arbeit werde ich die hier vorgestellten Kapitaltheorien explizit auf meinen Forschungsgegenstand, die „urbane Fahrradkultur“, übertragen. Ich werde prüfen wie relevant die Verteilung der Kapitalformen ist, in welchem Maße sie verteilt sind und welche Kapitalform die dominanteste in der Szene ist. Welche Kapitalart muss zwecks der Kommerzialisierung gestärkt werden, um eine sportliche Subkultur in ein Marketingkonzept eingliedern zu können und zielgerichtet vermarkten zu können? Das zweite Kapitel hat gezeigt, dass Trends hochkomplexe, mehrdimensionale und dynamische Prozesse in der modernen Individualgesellschaft sind (vgl. Horx, Wippermann, 1996, S. 21). Es wurden die allegemeine Grundbedingungen von Trends beschrieben sowie die verschiedenen Trendebenen und Trendformen vorgestellt. Desweiteren wurde gezeigt, dass die 191


3 gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen die Grundlage von Trends sind. Mode-, Konsum- oder Branchentrends sind lediglich die visuelle Übersetzung tiefgreifender Veränderungsprozesse unserer Gesellschaft. Besonders der gesellschaftliche Megatrend zur Individualisierung ist verantwortlich für den Trend- und Freestyle-Sportboom der letzten Jahre. Die Intension der Trendforschung ist, das „Eigenleben“ der komplex gewordenen Gesellschaft zu ergründen (vgl. Horx, Wippermann, 1996, S. 18, 19). Trendforschung versteht sich als interdisziplinäre Metawissenschaft. Sie bedient sich aus Teilelementen klassischer Wissenschaften und vereint diese zu einer neuen, ganzheitlichen Sichtweise der Welt. Aus der Tatsache, dass sich Trendforschung als Wissenschaft bezeichnet wurden die gängigen Methoden der Trendforschung beschrieben aber auch, um eine reflektierte Sichtweise beizubehalten, Kritik geübt. Desweiteren wurde die Entwicklung von Trends beschrieben sowie die Mechanismen des Trendmarketings. Die Abgrenzung hin zum Sport hat gezeigt, dass gerade die FreestyleSportarten wunderbar in die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen 192


unserer Zeit passen, demnach auch exakt in den heutigen „Trendframe“. Dabei wurde das Verhältnis von Trendsport und Freestyle-Sport sehr deutlich. Anhand der inhaltlichen Trendsportanalyse von Schwier (2000) zeigte sich, dass Freestyle-Sportarten sechs der sechs analysierten Trends erfüllen: Stilisierung, Virtuosität, Event, Extremisierung, Geschwindigkeit und Sampling. Die Entwicklung von Trendsportarten durchläuft fünf Phasen, die sich kurz wie folgt zusammenfassen lassen: Invention, Innovation, Entfaltung, Etablierung und Sättigung. Kommerzialisierung und Mediatisierung spielen in der Phase der Entfaltung der Freestyle-Sportarten eine entscheidende Rolle. Wird die Sportart von der Industrie nicht als kommerziellwertvoll und von den Medien als inszenierungsfreundlich wahrgenommen, hat die Sportart kaum eine Chance in den Blickpunkt des breiten, öffentlichen Interesses zu kommen. Der Trenddiskurs hat gezeigt, dass man Trends nicht erfinden kann, sie sind Folge des gesellschaftlichen Wandels. Man kann allerdings die Zeichen der Zeit entschlüsseln und dementsprechend deren visuelle Übersetzungen abtasten, ihnen einen Namen geben und entscheidend, man kann sie verstärken. 193


3 3.2. intension

Um die meiner Masterarbeit zugrunde liegende Frage, wie subkulturelle Individuen (ungewollt) zu Trendsettern werden hinreichend beantworten zu können, ist es sinnvoll dies an einem konkreten Beispiel festzumachen. Hierbei werde ich mich mit einem subkulturellen „Lifestyle-Phänomen“ des Sportes beschäftigen – dem urbanen Radsport. Ich benenne in meiner Arbeit dieses Phänomen „urbane Fahrradkultur“ (kurz auch „UFK“) , weil wie schon erwähnt, Kultur im wesentlichen als ein System von Konzepten, Überzeugungen, Einstellungen und Werteorientierungen zu verstehen ist, die sowohl im Verhalten und Handeln der Menschen als auch in ihren geistigen und materiellen Produkten sichtbar werden. Urban, weil die Szene direkt auf den Straßen kosmopolitischer Großstädten entstand. Noch noch heute machen sich die Akteure den urbanen Raum zu eigen und sehen ihn als sinnstiftender Ort ihres Tuns. Man kann sagen, dass um das Fixie herum längst eine eigene Straßenkultur entstanden ist. Der Minimalismus am Rad ist im urbanen Raum angekommen. Das Fixie als Ikone unserer heutigen Zeit. Es wird zum Manifest von Purismus und Ästhetik. Denn für

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* „fakenger“ ist ein Wortspiel, zusammen gesetzt aus Fake (falsch) und Messenger (Kurier);

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viele Akteure der Szene, insbesondere für die Mitläufer („fakenger*“), steht nicht der Bewegungsaspekt des Radfahrens im Vordergrund, sondern vielmehr zu einer Aktivität geworden, die neben einer offensichtlichen Selbstdarstellung auch mit einer Selbst-Suche, Ich-Findung oder der Ausbildung der eigenen Identität einhergehen. Fahrräder sind für manche längst Teil der Selbstinszenierung. Zeige mir dein Fahrrad und ich sage dir, wer du bist. Aufgrund der Tatsache dass diese Merkmale die Merkmale einer FreestyleSportart widerspiegeln, kann demnach eine weiter Abgrenzung hinsichtlich zu Freestyle-Sportarten gezogen werden. Zunächst gilt es die Szene genaustens zu beleuchten, eventuell unbekannte Begrifflichkeiten zu klären, um erstens eine Basis für das allgemeine Verständnis zu schaffen und zweitens, tief in die Strukturen dieser Szene vorzudringen. Es geht vorrangig darum die Leidenschaft, das Lebensgefühl, die Herkunft und die ästhetischen Anforderungen zu ergründen, um die Zeichen und Mechanismen dieses Phänomens zu verstehen und diese auch deuten zu können. Woran man dann gegebenenfalls auch Tendenzen für einen Trend festmachen kann.


3 Im nun folgenden Kapitel werden die bisherigen Ergebnisse, Erkenntnisse und Hypothesen miteinander vernetzt, um sie in den Kontext meines Forschungsgegenstandes, die „urbane Fahrradkultur“ zu setzten. Ich werde anhand dieses praktischen Beispiels prüfen, wie die Mechanismen der Trendentwicklung einer subkulturellen Sportart genau aussehen. Mit dem Arbeitstitel „the urban fakenger“ ist das Mitläuferprinzip gemeint. Wo es Mitläufer gibt muss es demnach auch Meinungsführer geben – also die „krassen Typen“. Ich werde erklären wer die „krassen Typen“ sind , was sie zu Meinungsführern macht und wer zu deren Mitläufern zählt. Worin bestehen die expliziten Unterschiede dieser Protagonisten? Ich versuche im Zuge dieser Arbeit das Verhältnis von Meinungsführer und Mitläufer zu analysieren um gegebenenfalls Erklärungen für dieses Prinzip geben zu können. Um auch die Frage zu klären, was „krasser Typen“ haben müssen um Meinungsführer einer ganzen Generation zu werden. Wenn ich im Rahmen dieses Kapitels von Akteuren spreche, dann vom eingefleischten Kern der Szene. Es sind diejenigen, die die Szene prägen und modifizieren. Sie sind die Meinungsführer, nach ihnen richtet sich die Szene. Sie leben 196


für die Szene und vor allem sie sind die Szene. Das Fahrrad ist ihr Lebensinhalt. Die Akteure sind die „krassen Typen“, also die Basis dieser Arbeit. Allgemein kann man sagen, dass es darum geht herauszufinden welches grundlegende Bedürfnis hinter diesem Phänomen steht. Denn wie bereits erwähnt, entwickeln sich Trends zwar spontan aber nie ohne Grund. Es geht darum den Kern dieses Bedürfnisses zu begreifen. Warum schmücken sich die Mitläufer mit fremden Rädern?

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3 3.3. urbanität

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Wie bereits erwähnt entstand die Szene direkt auf den Straßen kosmopolitischer Großstädten. Noch heute spielt sich das Szeneleben spielt sich hauptsächlich auf der Straße ab. Die Straße ist die verortete Heimat der Akteure, sie machen sich den öffentlichen Raum zu eigen. Aber was genau ist mit Urbanität gemeint? Wie ist der Begriff in den Kontext des Freestyle-Sportes zu setzen? Urban bedeutet als Adjektiv städtisch. Urbanität umschließt somit sowohl städtebauliche als auch funktionale, soziokulturelle und sozioökonomische Elemente einer Lebensumwelt, die als „typisch städtisch“ interpretiert werden kann. Der Begriff bezieht sich von soziologischer Sicht auf eine Art Lebensweise, die in den Städten entsteht. Sie unterscheidet den städtischen Bürger grundlegend vom Landbürger und ist Teil des normalen Verhaltens der in einer Stadt lebenden Menschen (http://de.wikipedia.org/wiki/Urbanit%C3%A4t) . Was bedeutet Urbanität für den Sport? Für die Akteure sind städtische Freiräume Orte der Freizeit. Sie haben generell einen enormen Raumbezug und machen sich die öffentlichen Räume der Stadt zu eigen. Hierbei wird


der Raum zum Mittel der eigenen Performance wodurch der Akteur ein höchstmaß an Stilisierung erlangt. Es ist ein spielerischer Dialog zwischen Akteur und dem urbanen Raum. Er ist die Plattform seiner Selbstdarstellung. Dabei wird dieser spielerisch-kreative Dialog mit dem urbanen Raum durch die Bewegung selbst ergänzt. Die Qualität der Grenzerweiterung ist in diesem Kontext stets von großer Bedeutung. Diese grenzerweiternden Erfahrungen besteht durch das Hinausschieben der eigenen Leistungsgrenzen und der Entwicklung eines eigenen Styles (vgl. Schwier, 1998a, S. 17). „Anders als die institutionalisierten, immobilen und klar von der Umgebung abgegrenzten Sonderräumen des traditionellen Sportes haben die Räume der Straßenspiele keine überdauernden pychisch-materiellen Grenzen. Sie werden in sozialen Prozessen von den Akteuren als mobile und flüchtige Bedeutungsräume konstituiert. Die Spieler schaffen ihre Spiel- und Bewegungsräume situational...“ (Gebauer, 2004, S. 40)

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3 Urbanität ist nicht nur die verortete soziale Heimat der Szene sondern auch die geschichtliche Heimat. Die Szene wurde in den urbanen kosmopolitischen Großstadtmetropolen entwickelt und bedarfsgerecht modifiziert. Urbanität steht demnach für Herkunft und Authentizität der „urbanen Radkultur“.

3.4. prinzip fixie

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die minimalistischste form des radfahrens


„Man kann immer noch etwas an einem Fahrrad ergänzen, aber man kommt an den Punkt, an dem man nichts mehr wegnehmen kann – dann hat man ein Fixed-Gear-Bike. (Graeme Obree aus Edwards, Leonard, 2009, S. „Für mich ist an meinem FAHRrad, nicht BREMSrad, dran was alles dran sein muss.“ (henne, 2009, fixed city) „Du hast nie den Moment des Ausruhens, sondern du bist immer am Treten.“ (stefan,2009, fixed city)







-Prinzip Fixie - die minimalistischste Form des Radfahrens Fixed-Gear-Bikes, Bahnräder ohne Bremse und Gangschaltung, haben sich von den Radkurieren in New York und San Francisco in alle Welt verbreitet. Die so genannten Fixies sind Dreh- und Angelpunkt der Szene. Daher ist es zunächst einmal sinnvoll diese Phänomen näher zu betrachten, um eine Basis für das allgemeine Verständnis zu schaffen.

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„Fixie“ ist eine Abkürzung und steht für „fixed gear“ – also starrer Gang. Anders als bei einem herkömmlichen Rad gibt es keinen Freilauf. Wenn sich das Hinterrad dreht, setzen auch die Pedale ihre Bewegungen fort. Es ist ein Fahrrad das auf seine nötigsten Funktionen heruntergebrochen wurde. Wo keine Bremse ist, kann auch keine Bremse kaputtgehen und es müssen auch keine Bremsbelege gewechselt werden. Eine nicht vorhanden Schaltung kann nicht kaputtgehen – weniger ist mehr Funktion. Zu dem wiegen die nicht vorhanden Bauteile nichts, das heißt Gewichtsersparnis. Gerade Radkuriere schätzen Fixies, weil der Verschleiß gering ist, aber natürlich auch, weil sie sich über ihr Fahrrad identifizieren und sich so von Außenstehenden abgrenzen.


3 * Die Benutzung eines Bahnrades (“Fixie-Fahrrades”) im öffentlichen Straßenverkehr stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, sofern dieses nicht über zwei voneinander unabhängige Bremsvorrichtungen verfügt. Die starre Nabe des Bahnrades ist keine Bremse im Sinne des § 65 StVZO.

Gebremst* wird durch den Einsatz der Beine und viel Kraft. Die Beine stemmen sich gegen die Drehbewegung der Pedalen. Sie kontern so die Bewegung und das Rad kommt zum allmählichen Stillstand. Mit einem Fixie kann man auch rückwärts fahren. Im Grunde ist das Fixie die Gegenbewegung zu den aktuellen hochkomplizierten Techniken von Scheibenbremsen bis Full Suspension. Durch das Reduzieren auf das Nötigste, entsteht eine unverwechselbare puristischminimalistische Ästhetik. Jedes selbst zusammengebaute Fixie, meist aus einem alten Stahlrenner oder einem Bahnrad, ist das Herzblut eines jeden „krassen Typen“.

Das Fixie ist Ausdruck von Ästhetik, Rebellion und dem ungebremsten Glück. Es ist die reinste und radikalste Form des Fahrrads. Es ist der fahrbare Ausdruck von Individualität. Die traditionellen Bahnräder sind die Urväter der weltweiten Fixie-Bewegung. 208


3.5. die geschichtliche entwicklung der szene *„Wenn die Bedeutung von Handlungen bzw. Äußerungen verstanden werden soll, muss der (soziale, kulturelle, biographische und historische) Kontext, in dem diese Handlungen bzw. Äußerungen eingebettet sind und aus dem sie ihre Bedeutung beziehungsweise ihren Sinn beziehen, in die Untersuchungen einbezogen werden.“ (Steinke, 1999, S. 30)

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- Von der Bahn auf die StraSSe Wie bereits erwähnt ist die Herkunft und die Authentizität stets sehr wichtig für die Entwicklung eines Trends. Daher ist es auch für meinen Forschungsgegenstand sinnvoll die geschichtliche Entwicklung anzureißen um im späteren Verlauf gegebenenfalls Rückschlüsse ziehen zu können. Traditionelle Bahnräder können als die Urväter der heutigen Fixies gesehen werden. New Yorker Radkuriere brachten in den 70ern die Räder vom Velodrom auf den Asphalt. Die Szene hat sich direkt auf der Straße entwickelt. New Yorker Fahrradkuriere, meist Jamaikanische Einwanderer, nahmen für ihre Kurierfahrten bereits in den 1970ern ausgemusterte Bahnräder. Sie kannten die Vorteile dieser Räder ganz genau, da der Bahnradsport in der Karibik eine große Tradition hat. Sie bildeten quasi den Kern der ersten Fixie-Generation. Plötzlich fuhren alle Radkuriere der New Yorker Szene ein Bahnrad oder zumindest einen, zum Fixie umgebauten, Stahlrenner. Die gesamte Szene war umgestiegen.


3 „Ein Fixie lässt sich besser durch den Verkehr manövrieren. Es ist einfacher, mit deinen Beinen zu bremsen als mit den Händen.“ Eddi Williams New Yorker Fahrradkurier der ersten Stunde (vgl. Edwards, Leonard, 2009, S.62). Alles, was nicht unbedingt nötig war, wurde abmontiert. US-Fahrer, wie die Fahrradkurie-Legende O-Zone erklärten das damals so: „Was nicht da ist, wiegt nichts. Es kann auch nicht kaputtgehen und braucht keine Wartung. Und ein Rad ohne Komponenten ist auch für Diebe weniger interessant.“ Die Fahrradkuriere prägten die komplette Szene. Durch sie wurde das Prinzip Fixie über die ganze Welt verbreitet und (ungewollt) zu einem Massenphänomen. Es ist mittlerweile ein regelrechtes Lifestyle-Produkt, mit eingener Kleidung, eigenem Sprachcode und Ritualen und vor allem mit einem immensen Kommerzialisierungs-Apparat.

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3.6. fahrradkuriere

Fahrradkuriere haben die Szene in all dem was sie heute ist vollends geprägt. Sie waren die ersten, die die Bahnräder/Fixies im Staßenverkehr einsetzten und haben somit maßgeblich zu deren Entwicklung beigetragen. Die komplette Szene orientiert sich an dem Auftreten der Radkuriere. An ihrer Kleidung, an ihren Ritualen und an ihren Sprachcodes. Sie sind die Meinungsbilder der Szene und gehören zum inneren Kreis. Sie sind nicht nur die „krassen Typen“, sondern auch die „cores“ der Szene. Doch was macht die Fahrradkuriere zu Trendsettern? Was steckt hinter dem Mythos Fahrradkurier? Wie genau ist seine Arbeitsweise, seine Einstellung? Bei der nun folgenden Beschreibung der Fahrradkuriere und deren Arbeitsweise werde ich mich vorwiegend auf persönliche Erfahrungen sowie auf Erfahrungen befreundeter Fahrradkuriere stützen. Eine wissenschaftlich, beziehungsweise allgemein gültige Definition sowie genormte Arbeitsvorgänge gibt es hierfür nicht. Jedoch kann man sagen, dass die Grundvorgänge generell die gleichen sind.

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3 Kurierfahren ist alles andere als eine Freizeitbeschäftigung. Es ist ein Kampf, der alltäglich auf den Straßen der Stadt ausgetragen wird. Alles scheint gegen den Kurier zu arbeiten - Autofahrer, Ampeln, die Zeit und das Wetter. Das Durchmogeln im Straßenverkehr wird zur Metapher einer Lebenseinstellung. Man findet seinen eigenen Weg – allen Widrigkeiten zum Trotz. Fahrradkuriere gelten als schnell, sportlich, jung und dynamisch (dementsprechend auch gut aussehend). Die Fahrer sind meist selbstständig und mit eigener Steuernummer unterwegs. Sie arbeiten für eine (oder mehrere) Kurierzentrale(n). Dadurch hat die Zentrale den Vorteil, dass sie durch Selbstständigkeit des Fahrers keine Lohnnebenkosten hat. Die Zentrale ihrerseits übernimmt die Vermittlung der Aufträge für die Fahrer. Sie ist die Schnittstelle zwischen Kunden und Radkurier. Die Auftragsannahme übernimmt der Disponent in der Zentrale. Er vergibt die Aufträge per Funk an den nächsten verfügbaren Kurier. Dabei sind die wichtigsten Daten der genaue Aufenthaltsort des Kuriers, die Adresse des Absenders und die des Empfängers, die Namen von Personen oder Firmen. Sind die Orte schwer 212


zu erreichen oder schwer zu finden werden Zusatzinformationen notiert und übermittelt. Desweiteren werden Daten über außergewöhnlich große oder schwere Gegenstände notiert um sie gegebenenfalls an kooperierende Autokurierfirmen weiterzuvermitteln. Besonders eilige Aufträge müssen direkt an günstig positionierte Fahrer übermittelt werden und haben höchste Priorität. Nach der Datenannahme erfolgt die Bestimmung des Preises. Dieser setzt sich meist aus einer festen Grundpauschale (etwa 5 bis 6 Euro) und einer Kilometerpauschale, gemessen an der direkten Entfernung zwischen Absender und Empfänger. Es gibt auch Kurierfirmen, die das Einsatzgebiet in Zonen einteilen und den Fahrpreis nach diesen Zonen berechnen. Von einem Autrag bekommt der Kurier in der Regel 60%-70%, der verbleibende Restbetrag ist für den Kurierbetrieb quasi für die Autragsvermittlung. Entscheidend für die Höhe des Verdienstes eines Radkuriers sind die gefahrenen Aufträge. Daher nimmt ein Fahrradkurier fast jeden Auftrag an. Ein Fahrradkurier weiß vor Dienstbeginn nie genau wohin ihn seine Wege führen werden. Je höher das Fahrtempo, also das Leistungsvermögen beziehungsweise die Leistungsbereitschaft, desto 213


3 höher der Verdienst. Das Einsatzgebiet eines Fahrradkuriers ist dabei meist das gesamte Stadtgebiet, in großen Städten wie in Berlin kommt es vor, dass ein Kurierbetrieb nur in einzelnen Stadtteilen arbeitet. Vor allem Anwaltskanzleien, Architekturbüros, PR- und IT Unternehmen, Kreativagenturen, Druckereien, Ärzte und Dentallabore zählen zu der Stammkundschaft der Kurierzentralen. Die zu transportierenden Waren / Güter sind meist Dokumente in Briefformat, Aktenordner, Baupläne und verschiedene Druckerzeugnisse, aber auch empfindliches wie Blutproben oder Feinelektronik. Bisweilen kommt es auch vor, dass Radkuriere außergewöhnliche Sendungen von Privatpersonen übermitteln, wie beispielsweise eine Packung Kondome in den Zigarrenclub, Pizza in das stadtbekannteste Bordell oder auch 30 Packungen Toilettenpapier zu einer älteren Dame. Es kommt auch vor, dass Prostituierte ihre Essenslieferung ins Bordell, mit ihren Diensten bezahlen wollen. Ein hauptberuflicher Fahrradkurier legt bei 10 bis über 35 Aufträgen pro Tag in etwa zwischen 50 und mehr als 200 Kilometer zurück. Der Energiebedarf liegt im Schnitt bei ca. 6.000 kcal und kann je nach Ausdauer und 214


Konstitution des Fahrers in den Wintermonaten auf über 12.000 Kilokalorien ansteigen. Hauptberufliche Radkuriere fahren im Jahr oft mehr als über 20.000 Kilometer und haben deshalb einen sehr hohen Erholungsbedarf (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Fahrradkurier#Arbeitsbedingungen). Die körperliche Gesamtbelastung aufgrund der hohen Arbeitsintensität ist beachtlich. Je mehr Zeit ein Fahrer für das Kurierfahren aufwendet, desto mehr wird der gesamte Körper, insbesondere aber die Muskulatur beansprucht. Der Radkurier muss seine Kräfte daher gut dosieren und auf seinen Körper achten. Der hohe Energieaufwand erklärt sich in erster Linie durch das Fahren mit hoher Geschwindigkeit, addiert mit der jeweiligen Zuladung von dem zuzustellenden Transportgut. Um körperliche Energie zu sparen, nutzen die Kuriere oft den Windschatten von Kraftfahrzeugen und sie vermeiden ständiges Antreten durch bremsen. Fahrradkuriere versuchen immer ein gleichmäßiges Tempo zu halten. Aus der hohen körperlichen Beanspruchung heraus, erklärt sich wohlmöglich die niedrige Frauenquote. Jedoch können weibliche Fahrradkuriere durch intelligentes und vorausschauendes Fahren ihre körperlichen Nachteile zumindest teilweise wettmachen und dadurch mit ihren männlichen Kollegen mithalten. 215


3 Das Kurierfahren ist ein ständiger Kampf gegen Ampeln, die Zeit, das Wetter, gegen seinen eigenen „Schweinehund“, gegen seine eigene Leistungsfähigkeit und ganz besonders gegen motorisierte Verkehrsteilnehmer. Gerade auf amerikanischen Straßen scheint der Kampf zwischen Radkurieren und Kraftfahrzeugen enorm ausgeprägt zu sein. Es scheint ein regelrechter „Krieg“ der Straße zu sein, so Culley (2002) in seiner Biographie. Taxifahrer fahren Kuriere sporadisch an, diese revanchieren sich wiederum, in dem sie mit ihrem Bügelschloss oder gar „carscratcher“ die Scheibe oder den Lack des Autos beschädigen. „Every day we beat the Devil´s Machines. (…) For every car that passes me, I pass dozens. They´re bigger and faster (theoretically). All the rules are in their favor. Doesn´t matter. We kick their rear bumpers. Once in a while one of us goes down.“ (Williams, 2001, Abs. 16) Aus meinen eigenen Erfahrungen (bestätigt durch Kralj, 2005, S. 35) kann ich sagen, dass Fahrradkuriere überdurchschnittlich häufig über höhere Bildungsabschlüsse verfügen. Die meisten finanzieren sich ihr Studium mit dem Kurier216


fahren, oder sie haben ihr Studium bereits abgeschlossen und haben sich bewusst für das Kurierfahren entschieden. Desweiteren gibt es Fahrer die im „richtigen Leben“ beispielsweise Zahnärzte oder Versicherungsmarkler sind ( wie bei der Kurierzentrale Radz´fazz in Hannover). Es ist auffallend, dass es unter Fahhradkurieren überdurchschnittlich viele Designer gibt. Aber es gibt auch viele Soziologen und Sozialarbeiter. „Gewöhnliche“ Studiengänge, wie beispielsweise Jura oder BWL sind kaum vertreten. Es scheint so, als würden Fahrradkuriere mehr als andere Menschen einen unkonventionellen Weg gehen, um sich beruflich zu verwirklichen. Dabei ist die materielle Orientierung hintergründig, denn wenn man Geld verdienen will, sollte man was anderes machen. Beim Kurierfahren steht daher eher die Tätigkeit im Vordergrund und nicht der Verdienst. Es geht darum das Angenehme mit dem Notwendigen verbinden.

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DAS FAHRRAD EROBERT DIE WELT -

DIE MEILENSTEINE DER FAHRRADGESCHICHTE


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3 -Die geschichtlichen Anfänge - Wie sich die Kurierszene entwickelte Hinter dem Fahrradkurier, so wie er heute existiert, steht ein simpler Gedanke, Waren mit einem Fahrrad von Ort A nach Ort B zu transportieren. Doch wie kam das? Der „Pullman strike“ von San Francisco am 7. Juli 1894 markiert in den Internetmedien der Szene die Geburtsstunde der „bicycle messengers“. Ein Streik ließ die Eisenbahn für mehrere Tage still stehen. Dies hatte zur Folge, dass keine Postsendungen die Stadt erreichten. Daraufhin hatte der Geschäftsführer der ortsansäßigen Fahrradmanufaktur „Victor Bicyles“ den Einfall, zwischen Fresno und San Francisco eine Transportkette aus Fahrradkurieren einzurichten. Die gesamte Fahrstrecke von über 21o Meilen wurde in acht Teilabschnitte zwischen 15 und 30 Meilen unterteilt. Ein Radkurier transportierte dann eine Sendung über seinen Abschnitt zum nächsten und nahm wieder eine Sendung in die Gegenrichtung mit. Die Briefe konnten so innerhalb von 18 Stunden über die gesamte Streckendistanz transportiert werden. Aufgrund der medienwirksamen Berichterstattung wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts daraufhin von den Tele220


grafendiensten erstmals eine große Zahl Jugendlicher als Fahrradboten eingestellt. Vor allem in größeren Stadten waren pro Telegrafendienst teilweise mehr als 20 Fahrradboten im Einsatz. In Europa waren Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem Dreiräder, so genannte „Triporteurs“ für den Lastentransport sehr verbreitet. Im November 1922 fand in Paris der erste Wettbewerb unter Triporteurs-Fahrern ausgetragen. Dabei musste eine vorher festgelegte Strecke unter Zuladung von zusätzlichen Gewicht innerhalb kürzester Zeit zurückgelegt werden. Der schnellste hat gewonnen. Diesen Wettkampf könnte man als Vorreiter für die heutigen Alleycats deuten (mehr dazu auf S. 230) (vgl. www.messengers.org 19.01.2012_10:26 , Edwards, Leonard, 2009, S. 72). Mit dem Boom der Automobilbranche wurde jedoch das Fahrrad für den Warentransport weitgehend verdrängt. Erst mit dem Aufkommen der Umweltbewegung Mitte der 70er Jahre erfährt das Fahrrad als Transportmittel eine Reinkarnation. Durch die stetig zunehmende Urbanisierung moderener Städte und mit der dort wachsenden Verkehrsproblematik avancierte das Fahrrad zur schnellen Alternative um Waren jenseits von Staus und verstopften Straßen zustellen zu können. Was als Alternative für 221


3 das Vorankommen durch das Verkehrschaos begann, wurde schließlich durch die Gründung von organisierten Kurierfirmen mit professionellem Service und intensiver Kundenwerbung zu einem ernst zu nehmenden Dienstleistungszweig (vgl. Jahn, 2000). Mitte der 80er Jahre boomte die Branche besonders in den nordamerikanischen Metropolen. Allein in New York sollen bis zu 5000 Radkuriere im Einsatz gewesen sein. Der erste europäische Fahrradkurierdienst wurde 1985 in München gegründet. In der Folgezeit entstanden in beinahe allen Großstädten Deutschlands Fahrradkurierdienste.

-Die Radkurier- Szene In den 1980ern und 1990ern entwickelte sich innerhalb der Kurierszene dann ein bestimmter Lebens- und Kleidungsstil, der die Szene immer mehr auch zu einer Freizeitszene und Subkultur werden ließ. Ausgehend von Metropolen wie San Francisco, New York und London verbreitete sich in den Großstädten weltweit ein deutlich zu erkennender Kurierstil, so auch 222


der minimalistische Stil der Eingangräder wurde immer mehr zum ästhetischen Dogma vieler Kuriere 223

in deutschen Großstädten wie Berlin, Hamburg oder München. Hierbei werden praktische Fahrradbekleidung und wetterfeste Jacken mit kurzen Militärhosen (mit praktischen Seitentaschen), Fußballstutzen und verschiedenen Elementen der Skate-und Punkkultur gemischt. Tattoos über den gesamten Arm sind in der Szene allgegenwärtig. Beim Auftreten ist der individuelle Stil immer von größter Wichtigkeit. In Bezug auf die Räder entwickelte sich mehr und mehr ein betont minimalistischer Stil, der ursprünglich vom Zwang zur Kostenminimierung bei den Verschleißteilen der Räder herrührte, bald aber ein eigenes ästhetisches Dogma für viele Kuriere darstellte. So verbreitete sich in der Szene die Verwendung von Eingangrädern (Singlespeeds) oder gar Bahnrädern mit starrem Gang, den Fixies, meist ohne Bremsen (vgl. http://de.wikipedia. org/wiki/Fahrradkurier#Arbeitsbedingungen). Diese Räder sind für Radkuriere nicht nur Arbeitsgerät sonder auch absoluter Lebeninhalt. Sie bauen sich ihre Räder individuell zusammen. Jedes Rad ist Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, mitunter werden sie regelrecht personifiziert. Kuriere identifizieren sich stark über ihre Fahrräder. Nur selbst zusammengebaute


3 Räder werden als stilecht empfunden und innerhalb der Szene gewertschätzt. Inzwischen ist in Städten wie New York und London dieser Lifestyle auch unter Nichtkurieren und Freizeitfahrern auf breite Nachahmung gestoßen, so dass dort Bahnräder und die typische Kurierkleidung zum üblichen Straßenbild gehören. Jedoch werden diese „Mitläufer“ keineswegs ernst genommen, im Gegenteil sie werden belächelt und mit systematischer Ausgrenzung sanktioniert. Erst wer längere Zeit dabei bleibt und/oder sich mit seinem Beruf identifizieren mag, gehört zum engeren Kreise der Boten, zur „community“. Diese besteht aus den kleinen Untergruppen eng befreundeter „messengers“, firmeninternen Zusammenhalts, aus der lokalen Gemeinschaft einer Stadt und der weltweiten Subkultur. Fahrradkuriere haben ein stark ausgeprägtes „Wir-Gefühl“. Zwar ist man auf der Straße alleine und kämpft einen einsamen „Kampf“, jedoch fühlt man sich stets zur Zentrale und seinen Kollegen verbunden. Wenn man einen anderen Kurier auf der Straße trifft „klatscht“ man im Vorbeifahren 224


ab und wenn es die Zeit zulässt steigt man ab und raucht eine miteinander. Auch gehört der abendliche gemeinsame Feierabendsprint dazu. Bevor es abends zurück in die Zentrale geht, treffen sich die Kuriere an einem bestimmten Ort und fahren noch einmal gemeinsam mit hohem Tempo durch die Straßen zurück zur „Heimatbasis“. Nach Feierabend sitzen sie meist noch in der Zentrale tauschen ihre Erlebnisse des Tages aus, schrauben gemeinsam an ihren Rädern und trinken Bier. Alkohol- und Drogenkonsum ist in der Szene keine Seltenheit.

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01-07, 09,11 und 12 aus Fixies - die aufregende Welt der Fixed-Gear-Bikes 08 und 10 aus VELO Bicycle Culture and Design

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„People who spend most of their natural lives riding iron bicycles over the rocky roads of this parish get their personalities mixed up with the personalities of their bicycles as a result of the interchanging of atoms of each of them, and you would be surprised at the number of people in this parts who nearly are half people and half bicycle“ (Flann O´Brien )

3.7. das lebensgefühl

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Die Entwicklung einer Fixed-Gear-Kultur hat sich in den letzten Jahren auch außerhalb der Fahrradkurierszene vollzogen und ist vor allem in Großstädten für viele ein eigenes Lebensgefühl geworden. Auf dem Fahrrad scheinen im Fluss der Bewegung die Sorgen des Alltags aufgehoben zu sein. Es ist der Rausch der Erfüllung und das ungebremste Glück des Augenblicks. Es ist der Kampf durch den Großstadtdschungel gegen Konventionen und Macht. Es ist das Gefühl der völligen Freiheit wenn man merkt, dass man eins wird mit seinem Fahrrad. Das Gefühl etwas besonderes zu sein und einzigartig. Denn auch kein Fixie gleicht dem anderen. Das Fixie ist der fahrbare Ausdruck von Individualität. Es ist Ausdruck von Ästhetik und Rebellion. Es ist die reinste und radikalste Form des Fahrrads. Das bewusste Brechen von Regeln und das unkonventionelle Besetzen des öffentlichen Raum ist maßgeblich für das Lebensgefühl der Akteure. Die Lebesnführung, der Kleidungsstil und die Sprache zeugen bei den Akteuren von ausgeprägten Individualismus. Mehr als andere Menschen steht die Freiheit im Mittelpunkt des Lebens. Individualismus und Freiheit finden


Das Fixie ist der fahrbare Ausdruck von Individualität. Es ist Ausdruck von Ästhetik und Rebellion. Es ist die reinste und radikalste Form des rades.

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dann letztendlich in den Grenzen zur Illegalität ihren Ausdruck. Vor allem Alkohol und Drogen werden oft zu dem vollkommenen Lebensgefühl der Akteure. Ein ganz besonderes Zeichen dieses Lebensgefühls und so auch mit starker Szenenidentifikation verbunden, sind exklusive Tätowierungen („messenger tattoos“) wie beispielsweise die heilige Maria als Fahrradkurier, oder das jeweilige Logo der Kurierzentrale für die die Akteure arbeiten. Diese Tattoos sind Ausdruck maximaler Verbundenheit zur Szene und dementsprechend auch zu dem Lebensgefühl. Auch die Wohnungen der Akteure spiegeln genau dieses Lebensgefühl von Freiheit, unkonventionellen Handelns und der tiefen Verbundenheit zum Rad und der Szene wieder. Die Wohnungen ähneln Fahrradwerkstätten, im Wohnzimmer stehen bis zu 7 Fahrrädern, an den Wänden hängen Rahmen, Laufräder stehen in den Ecken und man stolpert über jegliches Werkzeug. Dies ist auch ein Ausdruck dafür, dass ein „krasser Typ“ niemals seine geliebten Schätze nachts „schutzlos“ auf der Straße stehen lassen würde.


Das Leben und die Lebenseinstellung der Akteure ist von großer Offenheit und Respekt gegenüber anderer geprägt. Respekt, Rücksichtnahme und Offenheit gegenüber Andersdenkender spiegelt sich gerade in den Szenetreffen oft wieder. Hierbei spielen kulturideologische Differenzen keinerlei Rolle. Es gibt keinerlei Unterscheidung zwischen Hautfarbe, Geschlecht oder Religionszugehörigkeit. Alles was zählt ist die Gemeinschaft und die Leidenschaft für´s Fahrrad. Daher ist auch der Gemeinschaftssinn und die damit einhergehende Identifikation der Akteure stark ausgeprägt. Dies könnte auch die große Solidarität innerhalb der Szene erklären. Diese Solidarität erfährt man in sämtlichen Zusammenhängen, wenn Akteure beispielsweise in fremden Städten unterwegs sind ist es selbstverständlich, dass sie bei anderen Akteuren herzlichst willkommen sind. Die „krassen Typen“ finden überall auf der Welt einen Schlafplatz bis hin zu einem Kurierjob, weil man ist ja eine „community“. Die Solidarität geht sogar soweit, dass wegen der mangelnden sozialen Absicherung der Radkuriere in den USA, ein karitativer Notfallfond, den „Bicycle Messenger Emergency Fund“ errichtet wurde. Die Gelder für den Fond kommen aus 231


3 den finanziellen Überschüssen großer Wettkampfveranstaltungen weltweit. In manchen Fällen werden auch kurzfristig Wettkämpfe abgehalten wenn ein Fahrer akut in Lebensgefahr schwebt und dringend ärztliche Hilfe benötigt. Überhaupt ist die Anteilnahme sehr groß wenn ein Mitglied der Szene tödlich verunglückt. Die Nachricht über Unfälle verbreiten sich im Netzwerk der Akteure rasend schnell, die Gestorbenen werden dabei in der „urbanen Fahrradwelt“ global zu Märtyrern hochstilisiert.

3.8. die fahrweise

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Die Akteure der „UFK“, im Speziellen die Fahrradkuriere, nutzen oft die kleinsten Freiräume im Straßenverkehr um schneller und rasanter voranzukommen. Staus sind kein Hindernis für die Akteure. „gekürzte Lenker passen besser durch den Stau“. Dies macht es jedoch erforderlich, dass sie sehr nahe (und sehr schnell) an Fußgängern, Autos, Hauswänden oder ähnlichen vorbei fahren. Für Aussenstehende ist gerade die Fahrweise das


prägende Bild des „krassen Typen“. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass ihre Fahrweise den meisten Verkehrsteilnehmer riskant und gefährlich erscheint. Oft entsteht großes Unverständnis und Empörung. Fußgänger stellen sich absichtlich in den Weg, Autofahrer hupen und fahren dicht auf, insbesondere Taxifahrer halten sehr wenig Abstand. Bei klaren Verkehrverstoß seitens des Akteurs, beispielsweise eine Einbahnstrasse in Gegenrichtung befahren, werden Wege und Räume eng gemacht und es wird besonders dicht auf den Radfahrer aufgefahren. Dieses Verhalten ist klar als aktive Verkehrserziehung zu deuten, denn Straßen sind ja schließlich für den Autoverkehr gedacht. Andere Radfahrer, besonders die sportlichen, sehen Fahrradkuriere und Akteure als sportliche Herausforderung. Sie geben im Kurzzeitsprint alles, um sie überholen zu können. Es kommt auch durchaus vor, dass Freizeitradler versuchen, den Fahrstil der Kuriere zu imitieren. Dies ist mitunter ein Problem, denn der Freizeitradler kennt die Risiken nicht so genau wie der versierte Akteur, der an jeder einzelnen Kreuzung und an jeder roten Ampel sein Fahrverhalten abwägt und gekonnt reagiert. 233


3 Die Akteure identifizieren sich über den gekonnten Umgang mit ihrem Rad und stellen dies auch insgeheim gerne nach außen dar (besonders gegenüber den Mitläufern). Dies wiederum erzeugt eine gewisse wahrgenommene Bewunderung über die erbrachten Fahrleistungen, dabei steht stets der Coolness-Faktor im Vordergrund. Es gibt auch Akteure die ein gewisses Selbstbewusstsein und eine Art Machtgefühl entwickeln, in dem sie sich gegenüber anderer Verkehrsteilnehmer durch ihren Fahrstil und Können überlegen fühlen. Diese Überlegenheit hinsichtlich der Möglichkeit eines schnellen Antritts, engen Kurvenfahrten, des Durchmogelns im stockenden Verkehr, der Ortskenntnis und der großen Flexibilität bei der Überwindung von Hindernissen, Absperrungen, Einbahnstrassen etc. demonstrieren diese Akteure bei jeder Gelegenheit. Auch genießen sie ein gewisses Machtgefühl bei den erfolgreichen Fluchtversuchen vor der Polizei. Denn oft kommen die Polizisten auf Fahrrädern dem „krassen Typ“ nicht hinterher und kapitulieren nach kürzester Zeit. Was zunächst als überheblich und nach Selbstüberschätzung gedeutet werden kann, ist ein 234


großes Missverständnis. Denn die Akteure, ganz im speziellen Radkuriere, haben ihr Rad vollends unter Kontrolle, er muss sich sein Können täglich auf´s Neue unter Beweis stellen. Sie fahren stets enorm vorausschauend, denn man darf nie vergessen sie wollen auch heil ans Ziel kommen. „What the driving public need to understand is that speed is what we are paid for and floating is the skill that makes our work competitive. We can twist Madison Avenue into a runway and penetrate a crowd like it was a puff of smoke. There is no fear. These kinds of stunts come directly from our experience, and that experience should be trusted.“ (Culley, 2002, S. 170) Verkehrsregeln werden von den Akteuren nicht immer eingehalten. Gerne überfahren sie hier und da eine rote Ampel oder entgegengesetzt der Einbahnstrasse. Ganz waghalsig hängen sich an Straßenbahnen oder an Radkästen fahrender Autos um noch schneller voranzukommen. Dabei wird jedoch stets darauf geachtet niemanden zu beieinträchtigen oder gar zu gefährden. Immerhin entwickeln die Akteure durch das tägliche Agieren 235


3 im Straßenverkehr ein gewisses Gespür für gefährliche Situationen, die sie dann auch mit Leichtigkeit entschärfen können. Ein Indiz hierfür ist die relativ geringe Anzahl ab Unfällen im Verhältnis zur zurückgelegten Distanz. Aus dem Selbstbewusstsein heraus, der „Stärkere“ im Straßenverkehr zu sein erwächst aber auch ein Verantwortungsgefühl für den vermeintlich Schwächeren. „One who is brave against the strong (in our case: the cars) while generous and merciful toward the weak (the pdestrians).“ (Williams, 2001, Abs.15)

3.9. die rebellion

-the urban warrior Aus der Tatsache heraus, dass ich die Szene der „urbanen Fahrradkultur“ hinsichtlich der subkulturellen Strukturen hin untersuche, ist es immanent zu wissen worin genau der Aspekt der Rebellion anzusiedeln ist. Wie schon erwähnt ist die Wertschätzung für Offenheit und Respekt gegenüber anderen groß. Daher wird das verabscheuungswürdig wahrgenom-

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men, was diese Offenheit und Toleranz eingrenzt. Beispielsweise die Straßenverkehrsordnung zerstören in den Augen der Akteure diese Offenheit, in dem sie in ihrer Freiheit der Fortbewegung derart eingeschränkt werden. Aus dieser Sicht heraus wirkt die Rebellion gegen die Staatsmacht. Die nächtlichen Straßenrennen, mit dem konsequenten Bruch von Verkehrsregeln, symbolisieren demnach eine Akt der Überlegenheit gegenüber der exekutiven Gewalt. Im kollektiven Schutz Gleichdenkender löst dies eine Art der Befriedigung aus und verstärkt so das „Wir-Gefühl“ („Wir gegen den Rest der Welt.“). Eigentlich sind Radfahrer machtlose Einzelkämpfer, doch im Kollektiv zeigt eine Rebellion durchaus auch Wirkung. Gerade eine sogenannte „critcal mass“ drückt die Macht des Kollektivs aus. Sie ist in erster Linie eine Demonstration von Fahrradaktivisten für ihre eigenen Rechte. Dabei treffen sich die teilnehmenden Radfahrer, um dann die komplette Fahrbahnen der Straßen zu besetzen. Sie fahren relativ langsam vor dem ankommenden Verkehr und verursachen dadurch, dass sich der Verkehr durch diese „kritische Masse“ anstaut, ein Verkehrschaos. Nur in der Masse ist es den Radfahrern 237


3 möglich, den Verkehrsfluss aufzuhalten und so für effektvolle Aufmerksamkeit sorgen. In vielen großen Städten mit einer ausgeprägten „urbanen Fahrradkultur“ finden solche „critical masses“ mindestens einmal im Monat statt, vorzugsweise jeden ersten Freitag im Monat. Desweiteren ist das Fahren der bremsenlosen Fixies auch als ein Zeichen der Rebellion zu deuten. Die Akteure widersetzen sich damit nicht nur den allgemeinen Straßenverkehrsordnungen sondern auch dem allgemeinen Gedanken der Sicherheit im Straßenverkehr. Dies stößt bei Außenstehenden auf großes Unverständnis, sie können diese Art der Gefährdung nicht nachvollziehen. Um zu bremsen, braucht man keine Bremse. Nicht, wenn man Rad fahren kann - und auf dem richtigen Rad sitzt. Das Fixie ist die Bremse. Das Fahren ohne Bremsen ist jedoch illegal, da gemäß der deutschen Straßenverkehrsordnung Fahrräder mit mindestens zwei unabhängigen Bremsen ausgerüstet sein müssen. Bei den spezifischen Wettkampfveranstaltungen können auch nonkonforme bis hin zu rebellischen Auswüchse erkannt werden. Gerade das Radpolo wirkt wie eine Parodie auf die exklusive und luxuriöse englische Variante 238


hoch zu Ross. Es stellt mit seiner simplifizierten Ausrüstung einen ganz klaren Gegenentwurf zu der, dem hochadel und reichen vorenthaltenen traditionellen Variante des Polosports dar. Dies kann man daher als Provokation gegenüber der reichen Elite gedeutet werden. Der „krasse Typ“ sucht sein Glück lieber im freudenbetoneten körperlichen Tun, als in den übertriebenen Auswüchsen einer materalistisch-orientierten Konsumwelt. Die verbreiteten hedonistischen Grundtendenzen in der gesamten Lebensführung mit starker Betonung auf körperlicher Erfüllung und Glückseligkeit und das gemeinschaftliche Beisammensein lassen auf eine emotionelle Subkultur schließen. Oft geht die Rebellion über die Grenzen der Szene hinaus, dabei sie nimmt bisweilen auch politische Zügen an. Viele der „krassen Typen“ sind stark politisch links orientiert dabei ist er Antifa-Aktivismus keine Seltenheit. (Besonder dieser Punkt ist nicht empirisch belegt und mit Daten untermauert, er stützt sich einzig und allein auf meine persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen.) Wie schon erwähnt ist auch der Drogenkonsum allgegenwärtig, was die nonkonforme Züge einer Subkultur wieder spiegelt. 239


ride aggressively!! scream at asshole drivers and give them the finger when they honk at you and cut you off. be ready to fight them.

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use your lock and keep your helmet on. don´t let idiots ruin your day and your ride!!

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3 3.10. wettkämpfe

Besonders die Wettkampfszene hat die Gemeinschaft geprägt. Nationale und internationale Meisterschaften werden seit Jahrzehnten regelmäßig durchgeführt. Die Wettkämpfe dienen vor allem dazu sich zu treffen und ein Netzwerk aufrecht zuerhalten oder aufzubauen. Dies führt mitunter zu engen Kontakten. Zuweilen, besonders in den Sommermonaten, lässt sich ein regelrechter Wettkampf-Tourismus erkennen. Dabei entstehen besonders enge Szenenkontakte zu den wenig entfernten Städten. Die Gäste aus anderen Städten werden provisorisch aber stets herzlich und ganz selbstverständlich untergebracht. Die Wettkämpfe werden immer mit großer Fairness ausgetragen. Gerade bei Stürzen ist Hilfsbereitschaft oberste Priorität, auch mit der Aussicht dadurch in Rückstand zu geraten. Es sind sehr freundschaftliche Wettkämpfe ohne Neid und Missgunst, denn Sieger ist schon derjenige, der gerade die Straßenrennen unbeschadet übersteht. Für Außenstehende ist diese Art von Wettkämpfen nur schwer nachzuvollziehen. So scheinen auch die schwer erkämpften Siege sind für die

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Außenwelt völlig bedeutungslos zu sein. „Riding away that morning, the sun now high overhead, I felt a little sadness knowing that this victory would fall quietly on the world. For an hour or two I´d felt like the king of the Loop, but then, riding below its enormous skyscrapers again, I could see that my throne was fragile. Victory here meant nothing to the world. Outside of that tight circle, my newfound awards and accolades, my feats and hroic deeds simply vanished.“ (Culley, 2002, S. 249) Der Wettkampf ist nicht nur ein sportliches Event, sondern er ist auch Treffpunkt für Akteure, wo ähnliche Interessen eine breite Gesprächsbasis liefern. Die Akteure haben mitunter die gleichen beziehungsweise ähnlichen Wertevorstellungen, Gesellungsformen und Lebensstile. Dadurch knüpfen sie echte, langjährige und vor allem mutlinationale Freundschaften.

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3 -Kuriermeisterschaften Kuriermeisterschaften dienen der Kontaktpflege unter den Kurieren, sind aber in erster Linie sportliche Anlässe, bei denen sich die Kuriere in verschiedenen Disziplinen messen. Die Disziplinen orientieren sich am Arbeitsalltag der Fahrradkuriere. Die Hauptrennen („mainraces“) sind meist Orientierungsläufe und werden auf einer abgesperrten Strecke ausgetragen. Daneben gibt es auch Wettkampfformen wie beispielsweise der „Trackstand“ (stehend auf dem Fahrrad balancierend – jedoch nur möglich mit starrem Gang). Die erste Kurierweltmeisterschaft - „Cycle Messenger World Championships“ fand 1993 in Berlin statt. Die WM brachte Kuriere aus der ganzen Welt zusammen. In den Rennen konnten sie ihre Fahr- und Navigationsfertigkeiten ebenso unter beweis stellen wie ihre Fähigkeit unter Druck zu arbeiten (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Fahrradkurier 25.01.2012_18:22, Edwards, Leonard, 2009, S. 71) .

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-Alleycats - der Schmelztiegel der Szene Hier kommt alles zusammen was in der Szene Rang und Namen hat. Alleycats sind illegale Straßenrennen, die einer Art Schnitzeljagd ähneln die den Kurieralltag simulieren. Am Anfang jeden Rennens wird ein Manifest, also einen Aufgabenzettel vergeben, das die Ortsangaben der einzelnen Stationen und die zu erfüllenden Aufgaben angibt. Das Rennen verläuft dann über die jeweiligen Stationen, die so genannten „Checkpoints“, an denen die Aufgaben erfüllt werden müssen. Die Checkpoints sind relativ gleichmäßig über das gesamte Stadtgebiet verteilt, wobei sie in beliebiger Reihenfolge angefahren werden dürfen. Die Lösung der Aufgaben ist an die spezifischen Gegebenheiten des Ortes gebunden und werden vom Fahrer direkt auf das Manifest geschrieben. Typische Aufgaben wären beispielsweise: „Wieviele Parteien wohnen in der Limmerstrasse 20?“ oder „Was kostet bei Al Hadi das Big Falafel Sandwich?“ Auch können die Aufgaben eine kleine Einkaufsliste beinhalten. „Kaufe bei REWE 2 Herrenhäuser Pils und eine Packung Limmburger Käse.“ Bei komplexeren Aufgaben steht jemand am Checkpoint, wartet auf das Eintreffen der einzelnen Fahrer und 245


3 gibt ihnen ihre Aufgabe, wie Karaoke singen, Fahrrad wiegen (wer das leichteste Rad hat bekommt Extrapunkte) oder eine Flasche Bier trinken ohne abzusetzen. Meist sind diese Aufgagen der Thematik der Alleycat gewidmet, die oft im Rahmen eines großen Anlasses stattfinden. Beispielsweise im Rahmen von großen Radpolo-Tunieren etc. Die Fahrer werden durch die Aufgaben auf ihre Sportlichkeit geprüft und müssen gleichzeitig ihre Ortskenntnisse und Kombinationsfähigkeit beweisen. Gewonnen hat derjenige der als erstes im Ziel ist und dabei noch alle Aufgaben richtig beziehungsweise erfolgreich gelöst hat. Priorität liegt dabei auf der Korrektheit der angegebenen Aufgaben. Die Zeit entscheidet bei gleicher Anzahl richtig gelöster Aufgaben. Jedoch werden die Aufgaben grundsätzlich richtig gelöst, so dass letztendlich doch die Zeit ausschlaggebend für den Sieg ist. Jeder Fahrer bekommt meist am Anfang des Rennens eine Speichenkarte („Spokies“) für seine Teilnahme. Es sind also kleine Trophäen, die zeigen, wie viele Alleycats ein Fahrer in der Vergangenheit bereits bestritten hat. 246


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Die „Spokies“ werden dann zwischen die Speichen am Vorder- oder Hinterrad geklemmt. Die Anzahl der Speichenkarte symbolisiert daher einen gewisse Szenenzugehörigkeit. Je mehr Speichenkarten ein Akteur hat desto tiefer ist er in der Szene und desto mehr Anerkennung genießt er. Stürze und Unfälle sind bei einer Alleycat nicht selten. Die Teilnehmer wissen über das Risiko sehr gut Bescheid und gehen es bewusst ein. Es ist dieses gewisse Kribbeln im Bauch welches sie antreibt. Durch die gemeinsame Bewältigung von riskanten Situationen und das gemeinsame Verstoßen von Verkehrsregeln wird eine Alleycat zu einer kollektiver Mutprobe. In der sich die Fahrer gegenseitig pushen und aufschaukeln. Dem Sieger winkt oft von ortsansässigen Sponsoren meist Fahrradläden gestiftete Anbauteile oder Wartungsmaterial. Die erste Alleycat fand Mitte der 1989 in Toronto statt und wurde an Halloween ausgetragen. Noch heute werden in der Halloween-Nacht weltweit die meisten Alleycats ausgetragen (Kralj, 2005, S. 35). In vielen Städten gibt es mittlerweile über die Stadt hinaus bekannte traditionelle Alleycats. In München ist es das „Wiesn Wetzen“, in Hamburg ist es die „St. Paulopoly“ und in Hannover ist es das „Maikätzchen“.


3 Gerade die „krassen Typen“ legen sehr viel Wert darauf, dass diese Rennen im Untergrund stattfinden und nicht öffentlich angekündigt werden. Mittlerweile werden überall auf der Welt Allycats ausgetragen. Daher haben gerade auch die Alleycats zur Verbreitung des Fixie-Kults beigetragen.

-Radpolo - Härter, schneller, Radpolo! Radpolo (Bikepolo) ist ein Mannschaftssport. Er ähnelt stark dem klassischen Polo-Spiel aus England – nur statt auf Pferden bewegen sich die Spieler auf Fahrrädern. Bikepolo hat es in sich: Zwei Mannschaften à drei Spieler treffen auf der Straße aufeinander, mit Rad und Schläger bewaffnet. Dabei geht es hart zur Sache da die Spielregeln eher sehr lose und freizügig gehandhabt werden. Die Füße dürfen den Boden nicht berühren und den Gegner vom Weg zum Tor abzudrängen gehört dazu.

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3 Radkuriere in Seattle rühmen sich den „Punk-Sport“ wieder entdeckt zu haben und ihn in seiner heutigen Art und Weise geprägt zu haben. Aber die Wurzeln des Fahrradpolos reichen zu den Anfängen des 20. Jahrhunderts zurück. Aus Mangel an Pferden wurde in Indien unter der Kolonialemacht Großbritanniens auf Fahrräder zurückgegriffen um weiterhin den englischen Traditionssport spielen zu können . Schnell verbreitete sich diese Variante des Polo-Sports auch in England. 1908 war es sogar eine olympische Disziplin. Nach dem 2. Weltkrieg spielte die „London League“ gar in einigen der größten Fußballstadien des Landes. Doch ab den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts versank dieser Sport zusehens in der Versenkung (vgl. Edwards, Leonard, 2009, S. 115, http://leagueofbikepolo.com/forum/in-themedia/2010/03/08/the-history-of-bike-polo). Heute ist Polo wieder populär. Allerdings haben sich die Regel im Gegensatz zu den Anfängen gelockert. Zudem wird Radpolo nicht mehr auf dem Rasen gespielt, sondern auf einem asphaltiertem Hartplatz („hard court bike polo“). 250


Aus Mangel an finanziellen Mitteln werden die Poloschläger häufig aus einem Skistock und einem Stück Abflussrohr selbst gebaut - ganz im Sinne einer echten „urbanen Punk-Sportart“. Natürlich gibt es mittlerweile auch zahlreiche Anbieter die im Zuge der Kommerzialisierung der Sportart fertige Poloschläger für einen günstigen Preis im Internet anbieten. Der Spielball ist eine kleine Plastikkugel (wie man sie aus einem Boccia-Set kennt). Ziel ist es diesen Ball ins gegnerische Tor zu befördern, ohne dabei die Füße von den Pedalen zu nehmen. Wenn ein Spieler doch den Boden mit den Füßen berührt, darf er den Ball erst wieder berühren, wenn er sich an einer markierten Stelle am Spielfeldrand „frei“ geschlagen hat. Damit ein Treffer zählt muss der Ball mit der Spitze des Poloschlägers von vorne in das Tor geschossen werden. Gewonnen hat das Team, welches zuerst 5 Tore erzielt. Gewöhnlich wird Radpolo mit starrem Gang gespielt. Das Fixie hat dabei den Vorteil, dass es kontrollierbarer ist und einem die Möglichkeit gibt, rückwärts zu fahren. Bikepolo ist schnell, ruppig und ein wenig gefährlich. Blaue Flecken gehören genauso zum Bikepolofahren wie die Tattoos der 251


3 „krassen Typen“, schließlich ist es eine Art Punk-Sport. Also ein Spiel, das süchtig macht. Im Grunde braucht man nur ein paar Freunde auf Fixies oder Singlespeeds, ein bisschen Platz und eine Kiste Bier. Denn dies ist der eigentliche Ursprung dieser Sportart. Zusammensein und Spass haben.

So wie es sein müsste: Das Spoke Magazine war zu Gast bei den Ruhrpott Polos aus Dortmund, und widmeten ihnen einen unglaublich ehrlichen und authentischen Bericht. http://www.spokemag.de/features/313/ruhr_pott_polo

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Mit Verwunderung beobachten Polospieler der ersten Stunde nun das Treiben auf offiziellen Polo Events, auf denen sich die Teams gegenseitig die rasierten Waden massieren, Traubenzucker und Bananen essen und am besten noch einen passenden Schlachtruf zum designten Teamshirt rufen, bevor sie sich auf den extra importierten Bikepolo-Ball aus den USA stürzen. Dieses verkniffen professionelle Sportlergehabe sucht man bei den Urvätern des Polos vergebens. Gerade in der Dortmunder Polo-Szene ist dieses Verhalten sehr verpönt. Sie rauchen, trinken jede Mengen Schnaps oder Dortmunder Kronen Pils und nehmen sich und den Sport nicht ganz so ernst. Sie sind ein bunt zusammengewürfelter Haufen von fahrradverrückten Wahnsinnigen, die ihr Hobby und ihre Leidenschaft zusammen erleben und ausleben wollen.


„Wir scheiSSen auf die ganzen Zwänge eines Regelwerks für Radfahrer und political Correctness. Wir spielen einfach Polo und haben SpaSS dabei.“ 253

„Wir scheißen auf die ganzen Zwänge eines Regelwerks für Radfahrer, auf Sturzhelme und political Correctness. Wir spielen einfach Bike Polo und haben unseren Spaß dabei, organisieren Goldsprints, Rennen und Trackstand Contests, wir saufen und raufen und sind fernab von dem, was wir so hassen: Diese verschissenen Fahrrad-Nazis, die aus allem ein hippes und straff organisiertes Event mit Profitmaximierung und sozialer Anerkennung machen müssen!“ sagt David Radon vom Team Dortmund. Die Dortmunder Bike-Polos sind zu „Haus“ in einer alten Halle der Deutschen Bahn in der Dortmunder Nordstadt, einem sozialen Brennpunkt. Hier wird gegrillt, getrunken, Graffitis gesprüht, Polo gezockt oder einfach nur abgehangen. Der urbane Charme dieser Halle lässt ein Gefühl aufkommen, das man auf gewöhnlichen Polo-Hartplätzen nicht findet. Die Spieler sind Kellner, Künstler, Fotografen, Tellerwäscher, Studenten und Alkoholiker, wobei das eine das andere nicht ausschließt.


3 Bei immer zahlreicheren internationalen Turniere treffen Spieler aus der ganzen Welt zusammen. Es wird mehr und mehr zu einem regelrechten Wettkampfsport. Die Gründung eines Weltverbandes lässt vermuten, dass sich Polo jedoch zusehen institutionalisiert und damit eine Vereinheitlichung der Regeln ansteht. Was ziemlich kritikwürdig ist, da der Sport dadurch seinen subkulturellen Charme verlieren wird.

3.11. strukturen der szene

-Das Verhältnis zwischen dem „krassen Typ“ und seinem Rad Eigentlich sollte man meinen, dass ein Fahrrad an dem nichts dran ist nicht viel kosten kann. Das ist ein Trugschluss. Das „Pimpen“ der Räder mit hochwertigen Fahrradteilen ist für die „krassen Typen“ selbstverständlich. Man will nur das Beste für seinen „Schatz“. Wie schon erwähnt werden die Fahrräder der „krassen Typen“ hochstilisiert und mitunter auch personifiziert

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und mit Namen versehen. Dementsprechend lassen sie sich das auch was kosten. Hier ein weißes Laufrad, da die Campagnolo-Komonenten, das kann zuweilen auch suchtartige Züge annehmen. Es kommt sogar vor, dass das Fahrrad eines Akteurs bis zu vier Laufradsätze haben kann. Dabei bleibt es jedoch nicht, denn die „krassen Typen“ haben meist mehrere Fahrräder um die sie sich „kümmern“ müssen. Für alle Lebenslagen das richtige Rad, so haben sie das „Alltagsrad“, das darf auch ruhig mal eine Schramme abbekommen, dann gibt es das „Arbeitsrad“ mit dem sind die Radkuriere am liebsten unterwegs, es ist robust, solide, nicht besonders schön und ohne viel Schnickschnack. Das „Polorad“, ist den Bedürfnissen des Sports angepasst, enger Radstand für mehr Wendigkeit und Schussfreiheit, ein weit nach hinten versetzter Sattel für bessere Rad- und Schlägerkontrolle, einen leicht nach oben gebogenen Lenker und ein extra kurzer Vorbau, kurze Kurbeln, um leichter unter dem Rad hindurchschießen zu können und robuste Laufräder die auch mal einen Schlag aushalten können. Dann gibt es noch das „Sonntagsrad“, dieses wird besonders geschont und kommt nur zum Einsatz wenn ein besonderes Event ansteht und man innerhalb 255


3 der Szene beeindrucken möchte. Dieses Rad ist das Herzstück eines jeden „krassen Typen“, es wird nur mit den feinsten Komponenten ausgestattet – um dieses Rad herum zelebriert er einen regelrechten Kult. Je individueller und ausgefallener, desto besser. Selbstverständlich werden alle Räder mit in die Wohnung genommen, damit auch keines der Witterung ausgesetzt ist. Für den „krassen Typ“ ist sein Fahrrad folglich ein wesentlichen Bestandteil seiner Identität.

-Symbole Die Kleidung in der Szene kann man als urbanen multifunktionalen Schick beschreiben. Man legt dabei sehr viel Wert auf Funktionalität aber auch auf Ästhetik und Individualität. Wie schon erwähnt werden vor allem kurze Militärhosen bevorzugt, die aus einem stabilen Stoff sind und gleichzeitig Bewegungsfreiheit garantieren. Als T-Shirt dient oftmals ein Fahrrad-Trikot oder ein unifarbenes T-Shirt eines namhaften Herstellers, wie beispielsweise VANS oder Volcom. Im Alltag tragen die „krassen Typen“ verranzte 256


Sneaker, wenn sie als Kurier unterwegs sind meistens spezielle Fahrradschuhe mit Klicker für die Pedale. Ohne die oversize Kuriertasche der Marken Chrome oder BagJack geht der Akteur selten aus dem Haus. Stets hat der Akteur seine Radsportmütze auf dem Kopf. Sein Fahrradschloss hat er sich um die Hüfte gebunden, das erleichtert das schnelle ab- und aufschließen des Rades, den Schlüssel zu dem Schloss trägt er an einem Band am Handgelenk so muss er nie danach suchen wenn es mal wieder schnell gehen muss. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich der „krass Typ“ sehr markenbewusst gibt und individuell ästhetische Kriterien bei der Wahl des Outfits stets eine große Rolle spielen. Wichtigstes Kriterium bei der Kleidung ist der klare Kurierbezug - dies schafft wiederum das Zusammengehörigkeitsgefühl und Identität. Die Klamottenwahl unterliegt demnach auch wieder einem klaren ästhetischem Dogma.

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3 -Treffpunkte Spots sind die Treffpunkte der Szene, meist der gesamte urbane Raum. Meist sind es spezielle Plätze in alternativen Stadtteilen. Neben Skatern und Punks trinken dort auch die „krassen Typen“ ihr Bier, quatschen mit Gleichgesinnte über Fahrräder, spielen dann und wann ein bisschen Polo und präsentieren ihre Räder. Der Platz wird zu einem Platz des „Sehen-undgesehen-werdens“. Seit dem die „krassen Typen“ auch vermehrt kunstvolle Tricks a´la BMX mit ihren Fixies durchführen ist der Platz noch mehr zu einem „Gesehen-werden“ avanciert. Auch sind Bikepolo-Plätze die Treffpunkte der „krassen Typen“, sie sind jedoch nicht annähernd so wichtig in ihrer Bedeutung wie ein Platz in der Öffentlichkeit, denn hier sind sie vor allem unter sich. Hier kommen selten „fakenger“ vorbei vor denen sie sich profilieren können bzw. müssen. Weitere Treffpunkte an denen das Szeneleben stattfindet sind Fahrradläden von ehemaligen Kurieren oder Urgesteine der Szene. Oder es sind Kombinationen aus Fahrradladen und Kurierzentrale. Hier halten sich die „krassen Typen“ häufig auf, verschaffen sich einen Überblick über das 258


Warenangebot, unterhalten sich über die Szene, über die neuesten Fahrrad- Errungenschaften, über anstehende Events und über die „fakengers“.

Nachts treffen sich die „krassen Typen“ in meist von Alt-Punks geführten Kneipen, rauchen, kiffen und trinken Bier.

-Relations Überschneidungen beispielsweise existieren zur Punk-Szene, deren Konzerte zum Teil im Rahmen von Alleycats stattfinden. Ebenso werden reine Punk- Veranstaltungen vielfach auch von den „krassen Typen“ besucht. Seit dem mit Fixies auch Tricks gefahren werden, ist die Ähnlichkeit zum BMX-Sport sehr groß. Die „krassen Typen“ modifizieren die Tricks der BMX-Fahrern nach ihren Bedürfnissen. Dabei machen sie auch nicht vor Treppen, Hindernissen und Rampen halt. Es kommt auch durchaus vor, dass „ein krasser Typ“ direkt aus der BMX-Szene entstammt. 259



3.12. die protagonisten

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Im Verlaufe dieses Kapitels wurde die Szene mit ihren Strukturen, Ausrichtungen und ihren Akteuren hinreichend skizziert. Im nun folgenden geht es primär darum, die Unterschiede zwischen den Protagonisten, also den „krassen Typen“ und ihren Mitläufern aufzuzeigen. Ich werde zunächst erläutern was unter den Begriffen „krasser Typ“ und „fakenger“ zu verstehen ist. Um sie später miteinander vergleichen zu können.


3 -Der „krasse typ“ Wie bereits mehrfach erwähnt sind die „krassen Typen“ der Kern der Szene, sie sind die Meinungsführer. Sie waren für die Entwicklung der Szene verantwortlich. Die „krassen Typen“ sind tief in den Strukturen der Szene verstrickt. Ihr kompletter Lebensinhalt richtet sich nach der Szene. Man kann sagen, dass die meisten krassen Typen auch ihren Lebensunterhalt innerhalb der „urbanen Fahrradkultur“ verdienen. Viele sind, wie schon erwähnt als Radkurier unterwegs, wenn sie dafür zu alt oder zu unfit werden, dann arbeiten sie als Disponent in der Kurierzentrale. Einige der „krassen Typen“ haben ihren eigenen Fahrradladen oder eine Rahmenmanufkatur. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, wie die „krassen Typen“ durch ihre Leidenschaft Geld verdienen können. Es kommt auch zuweilen vor, dass vier „krasse Typen“ einfach nur Lust haben ihr eigenes Ding durchzuziehen und eröffnen ihre eigene Kurierzentrale mit angeschlossenem „urbanen Rad-Shop“, der dann innerhalb kürzester Zeit in der Stadt und darüber hinaus zum Dreh- und Angelpunkt der Szene wird. Wie beispielsweise das „Tretwerk“ in Hannover. 262


Die „krassen Typen“ sind Sie sind demnach die „cores“ der Szene. Sie entwickeln und entdecken neue Ideen. Sie sind in dem was sie sind recht homogen. Sie kennen die gleiche Musik, sie tragen ähnliche Kleidung, sie verwenden bestimmte Marken, sie sprechen dieselbe Sprache. Dementsprechend ist auch ihr Freundeskreis sehr homogen. Die hier entwickelten Ideen gelangen dadurch nicht nach außen. Im übrigen wollen die „krassen Typen“ auch nicht, dass die Szene auf irgendeine Art und Weise nach außen tritt.

-Die Mitläufer - Das Phänomen „fakenger“ Laut dem „urban dictionary“ ist ein „fakenger“: A fake bike messenger. Someone who rides a messenger-style track bike, carries a messenger bag, rocks messenger spoke cards, etc.; but is not actually a messenger. „That fakenger thinks he‘s hot shit, but all he does is ride around all day being a jackass“. http://www.urbandictionary.com/define.php?term=fakenger 263


3 Besonders in den Großstädten ist zu beobachten, dass es immer mehr Nachahmer von Fahrradkurieren auf den Straßen unterwegs sind. Doch wieso kopieren sie die Kultur der Fahrradkuriere? Was ist es, was einen „fakenger“ dermaßen an dem urbanen Lifestyle der Fahrradkuriere fasziniert? Ist es die radikale Fahrweise? Ihr exzentrischer Lebensstil, ihre Individualität und das Freiheitsversprechen ihrer Arbeit im großstädtischen Verkehrswahnsinn? Worum geht es den Nachahmern? Vorrangig geht es darum als besonders hipp und exotisch aufzufallen. Und dazu ist ja bekanntlich nichts leichter als sich mit fremden, bunten Federn zu schmücken – in diesem Fall den Federn der „urban warriors“, sich also mit „fremden Rädern schmücken“. Ein „fakenger“ gehört also zur der Gattung „hippster“. It´s all about style. Unverschämt und ungeniert kopiert der Fakenger nämlich Klischees, eignet sich diese an und schleust sich in die Szene ein. Zur Perfektion gebracht, 264


ist es für Laien unmöglich, Fakenger von tatsächlichen Messengern zu unterscheiden. Der Fahrstil des Fakengers unterscheidet sich jedoch ein wenig von dem des Messengers. Ein Fakenger fährt zwar auch gern lässig, dabei steht jedoch weniger die Geschwindigkeit, sondern hauptsächlich das Posen im Vordergrund. Zeitdruck hat der „fakenger“ nämlich keinen. Deshalb kommt er auch weniger ins Schwitzen, kann sich also dem makellosen gepflegten Auftritt sicher sein. Ein „fakenger“ sieht demnach immer aus wie frisch aus dem Ei gepellt. Es passt farblich alles zusammen. Der „fakenger“ investiert vor allem viel Geld in seinen perfekten Auftritt. Da bleibt nichts dem Zufall überlassen. Mitunter kommt es auch vor, dass der „fakenger“ mit seinem irrsinns teuren von der Stange gekauften, auf Hochglanz polierten Fixie gar nicht fahren kann, und es daher schieben muss. Aber das macht ihm nichts weil, wie schon erwähnt, steht das Posen im Vordergrund und nicht die Art der Fortbewegung. Im übrigen geht das Posen in Schrittgeschwindigkeit sowieso viel einfacher.

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3 Die Sicht der „fakenger“ entnommen aus der offiziellen Facebook „fakenger“-Fanseite (http://www.facebook.com/fakenger?sk=info): „We at fakenger believe the hype. we are always on the watch to spot new trends and styles that are easy to copy. we always try to make sure to make those copied styles are suitable for all peergroups. our philosophy is that everybody should be able to style and get props for posing. all our products are unique pieces of fine handcraft“. Aber ist es letzten Endes nicht so, dass wir alle einem Idealbild hinterher eifern, aus welchen Gründen auch immer. Zumal dient es uns ja auch als Identitätstool. Selbst die „krassen Typen“ orientieren sich an Höherem. Wenn sie alle an einem Ort sind geht der einzelne trotz vermeintlicher Individualität in der breiten Masse unter. Daher ist es mit unter auch gar nicht schlecht sich und seine Szene nicht all zu ernst zu nehmen, und diese auch einmal aus gesunder Distanz heraus zu betrachten. Denn: Sind wir nicht alle ein bisschen Fakenger? 266


-die geschichte vOM „KRasseN tyP“ uNd seiNeM MitläuFeR

WhO is WhO??

[P]

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[c]

links: VELO Bicycles Culture and Design rechts: Jessicaustic Soda


3 [P]

Das hier ist Paule, Paule wohnt in ner 5er WG in Berlin Friedrichshain. Paule hat mal Sozialearbeit studiert und wollte Streetworker werden. Aber dann hat Paule keine Luster mehr gehabt, er wollte lieber fahrradfahren Paules Tag beginnt morgens um 7:30. Um kurz vor acht trägt Paule täglich sein Rad aus der 5er WG die 5 Stockwerke nach unten. Paule schwingt sich auf sein Fixie und düst los

Auf dem einen Sofa sitzten schon zwei, die sehen fast so aus wie Paule und trinken ihren Kaffee. Jeder im Raum freut sich irre über die Ankunft von Paule. Auch Paule freut sich Paule hält vor einem mit Graffitis besprühten Laden. Viele Fahrräder in den Schaufenstern.; Innen sieht es aus wie in einer Fahrradwerktstatt jedoch mit nem urgemütlichen Sofa und PC´s und Schreibtischen

Paule fährt zum Arbeiten

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Zusammen sitzen sie und frühstücken bis es heißt „Zoo Richtung - Brandenburger. Wer will?“ Noch ein zwei dieser Aussagen und keiner der lustig gekleideten jungen Männer sitzt mehr auf dem Sofa


Mit einem breiten lächeln auf dem Gesicht schwingt sich Paule erneut auf sein Fixie und fährt in windeseile vorbei an Verkehrshindernissen, roten Ampeln etc. zum Brandenburgertor. Denn er hat eine wichtige Mission. Er muss sein Transportgut von Ort A nach Ort B bringen und das auf dem schnellsten Weg Paule ist Fahrradkurier

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Wenn Paule keine Lust mehr hat mach er Feierabend. Oder er trifft sich mit anderen Kurieren zum Feierabendsprint zurück zur Zentrale

Paule fährt am Tag mehrere 100 Kilometer und ist dabei sehr sehr glücklich. Er ist sein eigener Boss. Wenn er einen Auftrag nicht fahren möchte dann macht er es auch nicht Mittags trifft er sich mit befreundeten Kurieren um in der Sonne zu chillen

Abends sitzen die lustig gekleideten jungen Männer noch zusammen auf der alten Couch schrauben an ihren Rädern und trinken Bier - viel Bier

Paule liebt seinen Job. Er will nie wieder was anderes machen. Am liebsten wäre Paule für immer Fahrradkurier. Paule liebt seinen Job so sehr, dass er auch immer ein Lächeln auf den Lippen hat- Fahrradkuriere wie Paule haben fast immer ein Lächeln auf den Lippen


3 [c] Das ist Calle, eigentlich Karl aber Calle klingt irgendwie cooler. Calle wohnt in ner 4 Zimmer Altbauwohnung in Kreuzberg Mitte/Berlin 7:30 Calle dreht sich noch einmal in seinem schönen warmen Bettchen um

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8:00 Calle lässt sich einen frischen Kaffee aus seiner niegelnagel neuen Nespresso raus. So startet der Tag gleich richtig 8:45 topgestylt macht sich Calle aufn Weg in die Agentur, doch halt erst noch sein Create Fixie vom Baum losketten und dann noch schnell zu Starbucks schieben. Calle schiebt sein sündhaftteures Bike, weil er braucht ja ne Hand um seinen Starbuckskaffee halten zu können, zudem sind diese Fixies ganz schön unpraktisch und schlecht zu fahren

Calle kommt an nem ziemlich coolen Gebäuden an, alles weiß mit viel SchnippyTrally. In der Eingangshalle sitzt ne junge unglaublich gutaussehenden Empfangsdame, die gerade mit dem Fahrradkurier flirtet der wohl ein Päckchen gebracht hat. Calle wollte auch schon immer mit der jungen unglaublich gutaussehenden Empfangsdame flirten. Was hat der was ich nicht hab? Denkt er sich und nimmt den Aufzug in die 2 Etage.


Calle ist erfolgreicher Texter in einer Werbeagentur Oben angekommen steht er nun in einem langen schlauchartigen Büro, links und rechts viele Schreibtische mit extrem schönen unglaublich gut gestylten Menschen vor ihren Macs.

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Calle textet am Tag was das Zeug hält und ist dabei glücklich. Er kann sich keinen besseren Job vorstellen. Er ist den ganzen Tag von schönen Menschen umgeben was will man(n) mehr? Außerdem verdient er viel Geld Zum Mittagessen trifft sich Calle mit Kollegen zum Sushi-Essen

Calle liebt seinen Job. Calle mag auch den Ruhm und die Agenturluft. Er mag es einen außergewöhnlichen Job zu haben. Aber irgendwas fehlt, Calle weiß allerdings nicht genau was? Ist es vielleicht das Lächeln auf seinen Lippen?


die abgeschnittene skinny-skin-skin-röhre / gekauft in der damenabteilung

der schlüsselbund baumelt kokett und poserhaft an der kuriertasche

die sinnlose halterung für das nicht vorhandene funkgerät

hipster-brust-tattoo aus „alten“ möchtegern punkzeiten

stilechtes berliner nerd-nasenfahrrad

der fakenger

das fahrradschloß um die schlanke fakenger taille

original us-(designer) oversize-kuriertasche / stückpreis ca. 200 $

topgestutztes französisches beschleunigungs-bärtchen

freche racing-cap mit möchtegern sponsorenlogo


http://www.urbandictionary.com/define.php?term=fakenger

a fake bike messenger. someone who rides a messenger-style track bike, carries a messenger bag, rocks messenger spoke cards, etc.; but is not actually a messenger. „that fakenger thinks he‘s hot shit, but all he does is ride around all day being a jackass“.

superleichte retrosneaker / machen keinen sinn sehen aber geil aus

das obligatorische kettenkranz-tattoo


3 3.13. trendpotenzial nach schwier

Jürgen Schwier (vgl. Schwier, 2000, S. 81f.) unterscheidet sechs, zum Teil in wechselnden Kombinationen auftretende, allgemeine Merkmale von Trendsport. Dabei unterscheidet er im Einzelnen den Trend zur Stilisierung, den Trend zur Beschleunigung, den Trend zur Virtuosität sowie den Trend zur Extremisierung, den Trend zum Event sowie den Trend zum Sampling (vgl. Schwier, 2000, S. 81). Diese wurden bereits im Kapitel 2 hinreichend erläutert und allgemein auf Freestylesport übertragen. Die von Schwier definierten Merkmale des Trendsports bringe ich in Verbindung zur „urbanen Fahrradkultur“. Je besser eine Sportart zu den oben aufgeführten Merkmalen (und somit auch den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen) passt, desto größer wird ihr Erfolg. Man kann diese Trendmerkmale quasi als eine Art Erfolgs-Martrix für Trendsportarten betrachten. So könnte das Potenzial einer Trendsportart im vorhinein ansatzweise gedeutet werden. Im nun Folgenden werde ich meinen Forschungsgegenstand, die „urbane Fahrradkultur“, unter diesen Punkten analysieren und schauen wie hoch

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das Trendpotenzial dieser Freestylesportart ist. Damit könnte ich gegebenenfalls belegen, dass es sich nicht nur um eine Freestyle-Sportart sondern darüberhinaus auch um eine Trendsportart handelt.

-Der Trend zur Stilisierung Der Trend zur Stilisierung ist ein wesentliches Merkmal zahlreicher Trendsportarten. Er zeugt von dem Bedürfnis nach Selbstdarstellung und Identifikation. Stil ist die neue Protestform der Subkultur, weil sich in ihm auch eine Haltung widerspiegelt (Ablehnung der Vernunftwelt). (vgl. Schwier, 2000, S. 81-82 und Fuchs, 2007, S. 53, 59). Stilisierung ist das zentrale Element des Freestyle-Sports. Den Stil als Protest gegen die vorherrschende Lebensordnung zu interpretieren, findet seine Entsprechung im zweiten FreestyleMerkmal der Lebensgestaltung, dem Gegenentwurf. Hier zeigen sich ganz klare subkulturelle Verhaltensmuster. Für die „urbane Fahrradkultur“ ist der Trend zur Stilisierung das wichtigste Merkmale. Die „UFK“ stellt einen klaren Gegenentwurf zu der vorherrschenden Lebensordnung. Dies zeigt sich vor allem in der nonkonformen 275


3 Lebensgestaltung der „krassen Typen“, die nicht selten ihren Ausdruck am Rande der Illegalität findet. Die Akteure haben stets einen großen Drang nach Selbstdarstellung und Identifikation.

-Der Trend zur Beschleunigung Laut Schwier stellt die Beschleunigung einen „sportkulturellen Megatrend dar (Schwier, 2000, S.82). Vorwiegend besteht dieser Trend in vielen Trendsportarten und ist gekennzeichnet durch eine hohe Aktionsgeschwindigkeit. Zwar zielen die meisten Freestyle-Sportarten nicht unbedingt auf Beschleunigung und maximale Erhöhung des Tempos, allerdings gibt FreestyleSportarten in denen Geschwindigkeit per se vorhanden ist. Schon allein aus der Tatsache heraus, dass ein Fahrradkurier besonders schnell seine Ware ausliefern muss, ist die Aktionsgeschwindigkeit enorm hoch. Dazu fährt er oft riskant im Windschatten von Autos oder hängt sich wagemutig an deren Radkästen um sich ziehen zu lassen. Geschwindigkeit auch bei den Straßenrennen, wie den Alleycats, zählt letzten Endes auch 276


nur die Geschwindigkeit. Der Trend zur Beschleunigung ist zwar nicht der nicht zwingend und unter allen Umständen in der „urbanen Fahrradkultur“ vorhanden, jedoch gibt es Ausprägungen bei denen er einen höheren Stellenwert einnimmt.

-Der Trend zur Virtuosität „Ein gemeinsames Merkmal von Trendsportarten besteht darin, dass sie in gewisser Hinsicht eine Neuentdeckung der ästhetischen Dimensionen des Sports stimulieren, die die traditionelle Hegemonie des binären Sieg-Niederlage-Codes und die damit verbundene rationale Leistungsproduktion stilbildend überschreitet“ (Schwier, 2000, S.84). Dies führt unweigerlich zu einer „Ästhetisierung des Sports“ (vgl. Schwier, 2000, S.84f.). Die betriebene Trendsportart ist in der Selbstwahrnehmung der Akteure kein bloßes Sporttreiben, sondern Ausdruck eines eigenen Lebensstils, dem sowohl eine identitätsstabilisierende als auch eine distinktive Funktion zukommt (vgl. SCHWIER 1998 (d), S. 40). Dieser Trend passt punktgenau 277


3 zu der Ideologie der Freestylesportarten. Die Akteure des Freestyles stellen stets die Entwicklung und die Ästhetisierung des eigenen Stils in den Vordergrund. Für die „urbane Fahrradkultur“ ist besonders die Ästhetisiertes des Sportes und des eigenen Stils sehr bedeutend. Zum einen wird die Ästhetisierung des Sports über die Fixies vollzogen, zum anderen werden auf den Fixies formschöne Tricks entwickelt um damit den eigen (Fahr-) Stil zu perfektionieren. Auch dieser Trend passt daher zu den Anforderungen der „urbanen Fahrradkultur“.

-Der Trend zur Extremisierung Laut Schwier ist die Extremisierung im Sport ständige die Suche nach dem Extremen. Man begibt sich quasi immer auf die Suche nach der ultimativen Grenze (vgl. Schwier, 2000, 85). Der Trend zur Extremisierung spielt für Freestyle-Sportler in soweit eine Rolle, als dass die Akteure immer noch riskantere Tricks entwickeln um ihre Virtuosität unter Beweis zu stellen um damit Stilisierung (Selbstdarstellung und Identifikation) zu erlangen. Dies gilt auch für die 278


Akteure der „UFK“, allerdings geht es bei ihnen weniger um den riskanten Trick als viel mehr darum ohne Bremsen riskant durch den Großstadtdschungel zu flitzen.

-Der Trend zum Event Der Trend zum Event betrifft die neuen Organisations- und Inszenierungsformen des Sportes. Es zeigt sich eine Abkehr von den traditionellen Wettkampfsverantstaltungen hin zu bunten unterhaltungsorientierten Veranstaltungen. Auf den Partys feiern alle gemeinsam und zelebrieren ihre Zusammengehörigkeit (vgl. Schwier, 2000, S. 86-87). Gerade für Freestyle-Sportarten ist dieser Trend elementar, da Events die Stilisierung zur Differenzierung zu den traditionellen Sportarten begünstigt. Wie schon mehrfach erwähnt ist besonders die Gemeinschaft und die Zusammengehörigkeit für die „krassen Typen“ wichtig und sinnstiftend für das was sie tun. Events wie eine Alleycat und/oder ein Radpolo-Tunier sind 279


3 daher besondere Highlights. Hier kommt die Szene zusammen lebt sie im Kollektiv ihre Einstellung, Werte und Wünsche unkonventionell und nonkonform aus. Hier ist die Szene unter sich. Es kann daher gesagt werden, dass besonders der Trend zum Event für die „urbane Fahrradkultur“ sehr wichtig ist. Bei den szenespezifischen Events bleiben sie unter sich und können so ungestört ihre Subkultur ausleben.

-Der Trend zum Sampling Sampling bedeutet in diesem Zusammenhang einer Kombination aus verschiedenen Sportdisziplinen. Ein unbefangenes, kreatives Spielen mit Regeln und Normen ist die Folge. Freestyle-Sportarten werden mitunter gesampelt, wie beispielsweise das Radpolo. Hierbei wird, wie schon erwähnt, der klassische Polosport statt mit dem Pferd mit dem Fahrrad gespielt. Es stellt für die Szene eine Art „urbane Punk-Sport“ dar und eine der wichtigsten Ausprägungsformen der Szene. 280


der „urbane Radsport“ ist nicht nur Freestylesport sondern auch Trendsport, der die Bedürfnisse nach Selbstdarstellung, Identifikation und Ästhetik stillt 281

Aufgrund des hohen Stellenwertes, welcher Polo in der Szene hat, ist der Trend zum Sampling daher ein wichtiges Kriterium für die „UFK“.

-Fazit Insgesamt zeig sich, dass sich die Inhalte und Hauptmerkmale von Trendsportarten auch in der „urbanen Fahrradkultur“ wiederfinden lassen. Besonders die Trends zur Stilisierung, zur Virtuosität, zur Extremisierung und zum Event sind wesentliche Bestandteile „UFK“. Die Trends zur Beschleunigung und zum Sampling sind zwar vorhanden spielen jedoch eine eher untergeordnete Rolle. Demnach ist der „urbane Radsport“ nicht nur Freestylesport sondern auch ein Trendsport, der die Bedürfnisse nach Selbstdarstellung, Identifikation und Ästhetik stillt. Es geht darum mit seinem Handeln eine Verknüpfung zur eigenen Persönlichkeit herzustellen.


3 3.14. Medien und szeneninterne Kommunikation

Wie bereits erwähnt sind laut Thornton die Medien von großer Bedeutung. Sie haben die größte Kontrolle über die Zirkulation des subkulturellen Kapitals. Medien fungieren als Teil des Netzwerkes, das wichtig für die Definition und Verbreitung von kulturellem Wissen ist. „In other words, the difference between being in or out of fashion, high or low in subcultural capital, correlates in complex ways with degrees of media coverage, creation and exposure.“ (vgl. Thornton, 1996, S. 13) Großen Raum nehmen aber vor allem die Videos auf bekannten VideoPlattformen im Netz ein, sie zeigen oft das Lebensgefühl, welches dahinter steckt, verpackt in wunderschönen Bildern. Die Videos werden auch oft von kleinen Rahmenmanufkaturen oder aber auch von großen Firmen, die das Potenzial der Szene frühzeitig erkannten, produziert und dienen zunächst Werbezwecken. Allgemein kann gesagt werden, dass das Internet zur Verbreitung von Informationen intensiv genutzt wird, vor allem über die einschlägigen Foren holen sich die Akteure das was sie wissen müssen, es wird gechattet und diskutiert. Besonders das Internet hat weltweit eine

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„community“ entstehen lassen. Wie in anderen Szenen auch, sind einschlägig spezialisierte Magazine sehr wichtig für die Kommunikation der „krassen Typen“. Es gibt daher die „special intrest“ Magazine, sie berichten beispielsweise über die Szenenstrukturen in anderen Städten (weltweit), über Neuheiten in Sachen Rahmen und Fahrradteilen, sie berichten über wichtige Events oder geben einen Rückblick darauf. Hier kann sich der „krasse Typ“ mithilfe einer schönen Magazingestaltung über all das informieren was gerade in der Szene relevant zu sein scheint. Des Weiteren gibt es zu jedem Event, besonder zu den Alleycats mittlerweile jedoch auch zu den Polotunieren, mehr oder weniger aufwendig gestaltete Speichenkarte. Sie dienen der Teilnahmebestätigung und sind unter den „krassen Typen“ so etwas wie eine eigene kleine Trophäensammlung.

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3 3.15. Kommerzialisierung

* Jedoch muss gesagt werden, dass dies Extrembeispiele der Kommerzialisierung sind, Louis Vuitton hat sich eigens ein Polorad fertigen lassen. Dies stößt allerdings auf enorme Kritik seitens der „krassen Typen“. Dies war ein hochdiskutiertes Thema in sämtlichen szenespezifischen Foren.

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-Die Ausschlachtung eines authentischen Lebensstils? Wie schon erwähnt ist das Interesse an Fixies längst nicht mehr auf nur einen kleinen Zirkel von Leuten beschränkt, die ihr Leben der „urbanen Fahrradkultur“ verschrieben haben. Mittlerweile hat sich die Faszination Fixie zu einer massenphänomenale Bewegung entwickelt. Dies sieht man vor allem in den Auslagen angesagter Läden, sei es Lifestyle oder Mode, oft sieht man ein Fixie als Dekoration im Schaufenster. Besonders elitäre Modemarken*, wie beispielsweise Marc O‘Polo oder Louis Vuitton, wollen von dem puristischen Coolness-Faktor profitieren und springen auf den „fahrenden Zug des Fixies“ auf. Sie stellen kaum zu bezahlende „Highclass-Fixies“ aus und versprechen sich dadurch ein jüngeres sportlicheres Image. Dies hat zur Folge, dass die „urbane Fahrradkultur“ aus ihrer subkulturellen Nischen heraustritt und über weite Strecken mehrheitsfähig und vor allem konsumfähig wird. Auch die Industrie hat dieses Potenzial für sich entdeckt und fertigt nach den Bedürfnissen der breiten Masse. Mehr und mehr chinesische Massenwaren flutet den Markt. Unpersönliche Fertig-Fixies von


*VANS kommt ursprünglich aus dem Skate-Bereich. Demnach gilt die Marke für die Akteure als authentisch und mit klarer Herkunft. So akzeptieren sie weitestgehend diese zielgerichtete Vermarktung. VANS hat eine lange Firmenhistorie und ist sich im Kern immer treu geblieben sind.

der Stange werden zum Teil auch bei Walmart angeboten. Die Hersteller verlangen zum Teil horrende Preise für die Fixies, bis zu 2000 Euro und mehr. Es wird mehr und mehr zu einem elitären Statussymbol für diejenigen die es sich leisten können. Auch authentische Modemarken wie beispielsweise VANS*, die bei den Akteuren hoch angesehen sind nutzen das positive, coole Image der Fixies für ihre Vermarktungszwecke. Dennoch gibt es auch kleine Firmen die mit dem Boom mitgewachsen sind. Läden, die ursprünglich aus Hinterhöfen von „krassen Typen“ geführt wurden und nun von dem Hype profitieren. Diese Vereinnahmung durch die Industrie wirft jedoch für die Akteure erhebliche Probleme auf. Zum einen wird der subkulturelle Charme der Szene dadurch zerstört. Der authentische Lebensstil wird kommerziell ausgeschlachtet. Durch das gehypte Medieninteresse werden Ordnungshüter auf den Plan gerufen, die nun Jagd auf Fixies machen um sie zu konfiszieren. So werden heißgeliebte mit viel Herzblut aufgebaute Räder von der

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3 Polizei auf unbestimmte Zeit in Gewahrsam genommen. Ein weiteres Problem ist, dass authentische und nostalgische Fahrradteile kaum noch zu bekommen sind und dass Kellerfunde nur noch selten sind.

3.16. fahrraddiebstahl

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Immer wieder werden die geliebten, mit viel Herzblut aufgebauten Räder geklaut. Stellt ein Fahrradkurier oder ein Akteur der Szene einen Fahrraddieb endet das meist gewaltsam. Der Diebstahl ist ein Angriff auf die eigene Person, da diese Fahrräder Persönlichkeit haben, sie sind stark mit ihrem Nutzer verbunden. Meistens kommen die geklauten Räder auch innerhalb kürzester Zeit wieder zurück, da in der Szene jeder ganz genau weiß wem welches Rad gehört.


3.17. das Kapital und die szene

*das subkulturelle Kapital rechnet dem Akteur das „im Trend sein“ an. Subkulturelles Kapital verhält sich ähnlich wie Bourdieus kulturelles Kapital. Es liegt in Thorntons Studie in objektivierter Form durch Dinge wie Plattensammlungen und Frisur vor. Ähnlich wie kulturelles Kapital, ist die Inkorporation von subkulturellen Kapital durch das Wissen über den neuesten Trend und der gezielten Verwendung des neuesten Slangs nach außen hin zu erkennen (vgl. Thornton, 1996, S. 11 f. Aus Reinecke, 2007, S. 135).

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Wie schon erwähnt passt die „urbane Fahrradkultur“ punktgenau in die heutige postmoderne Gesellschaft. Um ihr Potenzial als Kreativschaffender vollends auszuschöpfen, muss sie medienwirksam aufbereitet werden und voil la dieser Trend arbeitet als Selbstläufer. Jedoch ist bei der medienwirksamen Aufbereitung strikt darauf zu achten, dass die Maßnahmen ein hohen Grad an subkulturellem Kapital* mit sich bringen. Wie müssen die Kapitalarten szeneintern gefördert werden um echte Anerkennung von anderen zu erlangen? Doch zunächst gilt es das symbolische Kapital der Meinungsführer, also der „krassen Typen“ zu stärken, damit ist die gesellschaftlicher Anerkennung gemeint. Das heißt also, diese Kapitalart ist eine den anderen Kapitalarten übergeordnete Ressource. Sie ist die Basis für die Stärkung aller anderen Kapitalarten. Symbolisches Kapital räumt den Akteuren einen „Kredit“ an Ansehen und damit an Prestige ein. Was dann wiederum auch auf das Produkt etc. übertragen werden kann. Wichtig für die „UFK“ ist auch das soziale Kapital, darunter versteht man im weitesten Sinne die Verfügung sozialen Beziehungen. Wie schon erwähnt,


3 ist der Zusammenhalt innerhalb der Szene ein wichtiges Kriterium für die Akteure. Das soziale Kapital ist die Ressource, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruht (vgl. Schwingel, 1995, S.85 in Reinecke, 2007, S. 129). Dies kann man sehr leicht über diverse Events erreichen. Da Events in der Szene einen hohen Stellenwert einnehmen und zur Stärkung sozialer Kontakte erheblich beitragen. Im weiteren muss nun das kulturelle Kapital modifiziert zum subkulturellem Kapital enorm gestärkt werden. Es rechnet einem Akteur (aber auch einem Produkt) das „im-Trend-sein“ an. In objektivierter Form liegt es in der Szene vor, wenn ein Akteur bestimmte, nur bei dem Kern der Szene bekannte, hochwertige Fahrradteile angebaut hat oder einen besonders seltenen Fahrradrahmen besitzt. In der Szene ist jedoch die objektivierte Form nicht loszulösen von der inkorporierten da die Akteure erst durch das sich angeeignete Wissen sich anerkennungsschaffende Objekte (Räder etc.) zu legen können. Aber ist das inkorporierte Wissen auch darüber wo die Szenegänger anzutreffen sind und wann Events wie Alley Cats oder Critical Masses stattfinden. 288


Das ökonomische Kapital kann man im Zusammenhang zur „urbanen Fahrradkultur“ weitgehend außer acht lassen. Das für die „krassen Typen“ materieller Reichtum keine Rolle spielt. Dem sei hinzuzufügen, dass stets, sei es szenenintern aber auch gesteuert von außen, auf Authentizität und Herkunft geachtet werden muss. Denn viel mehr als der Inhalt, zählt Echtheit und Aufrichtigkeit.

3.18. Fazit

-was bedeutet dieses wissen nun für den kreativen? In diesem Kapitel wurde die Szene, die „urbane Fahrradkultur“ vor dem Hintergrund ihrer geschichtlichen Entwicklung skizziert. Dabei wurden die Protagonisten hin auf ihre Motivation, Einstellungen, Werte und Lebensstil untersucht. Dies hat gezeigt, dass der „krasse Typ“ als wahrer Akteur die Rolle des „urban Warriors“ einnimmt und sein Leben dementsprechend gestaltet.

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3 Das freiheitsbezogene unkonventionelle Leben der „krassen Typen“ gepaart mit der Ästhetik die diese Szene aufgrund der Fixies per se mit bringt, weckt die Sehnsüchte der Mitläufer. Diese versuchen die „krassen Typen“ bis in die letzte Instanz zu imitieren um wenigstens nach außen hin von ihrem Coolness-Faktor zu profitieren, da einem Laien es durch die zur Perfektion getriebenen Kopie nicht mehr möglich ist zwischen Original und Fälschung zu unterscheiden. Den „fakenger“ geht es vordergründig und oberflächlich betrachtet darum, sich mit fremden Rädern zu schmücken. Nicht nur die Mitläufer wurden auf das Phänomen und den damit verbundenen Assoziationen aufmerksam. die Industrie greift den Lebenstil der „krassen Typen“ auf, um ihn kommerziell auszuschlachten. Dabei geht der subkulturelle rebellische Charme verloren und wird letztendlich zu einem Lifestyle-Produkt, hinter dem ein riesiger Kommerzialisierungs-Apparat steht. Es geht darum möglichst viel Geld

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* Wie sich im Laufe dieser Arbeit herausgestellt hat, sind die szenenspezifischen ästhetischen Anforderungen stark an den emotionalen Wert gebunden; Damit ist gemeint, dass nicht immer die auf Hochglanz polierten Räder die schönsten sein müssen, sondern die, mit denen die Akteure emotional verbunden sind und ihr Herzblut in den Aufbau gesteckt haben. Die Räder, die viel Individualität und Persönlichkeit repräsentieren sind in der Szene die angesehnsten.

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für unpersönliche aus chinesischer Massenproduktion stammenden Räder zu bezahlen. Die Authentizität und die emotionale Herkunft der Räder spielen dabei keine Rolle mehr. Aber genau das ist der Punkt, um den es in der Szene geht. Die Szene lebt von diesen persönlich emotionalen Momenten, in Form des fahrbaren Ausdrucks von Individualität (das selbstgebaute Fixie) oder im Zusammengehörigkeitsgefühl der Akteure. Denn das Fixie und die Szene ist der Ausdruck von Ästhetik, Rebellion, Individualität und dem ungebremsten Glück. Wenn man es als Gestalter / Kreativer schafft genau diese Authentizität einhergehend mit den szenespezifischen ästhetischen* Anforderungen, zurück auf die Straße zu bringen und es schafft, dass die „krassen Typen“, gesehen als Meinungsführer es für gut bewerten kann dies zu einem enormen Wettbewerbsvorteil werden, ohne dabei die Strukturen der Szene zu „vergewaltigen“ und auszuschlachten.


Die wichtigsten Schlagworte für die „krassen Typen“

REBELLION NONKONFORM, individualität

UNKONVENTIONELL,

Authentizität, Ehrlichkeit, zusammenhalt, Selbstdarstellung „urbander Punk-Sport“



4 METHODEN Im Zuge meiner Arbeit wurden einige Methoden angewandt, die mir einen systematischen Zugang zu dem Thema ermöglichten. Im nun Folgenden werde ich die Methoden vorstellen um eine allgemeine Transparenz meiner Forschungsarbeit zu bieten. Manche Methoden mögen in einigen Punkten nicht den wissenschaftlichen Anforderungen genügen, so wie beispielsweise das „scanning“, haben mir jedoch im Verlaufe meiner Forschung ein systematisches Bild der Szene wiedergespiegelt und ich konnte daraus Rückschlüsse ziehen die desweiteren meine Thesen untermauerten. Im wesentlichen sollten die Methoden dazu dienen, meine Hypothesen argumentierbar und diskutierbar zu machen.

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4.1. wissenschaftliche Forschung

„Wissenschaft nennt man sowohl eine bestimmte und in Regeln festgelegte Methode des Forschens, als auch das Resultat einer wissenschaftlich methodischen Forschung, das dadurch gekennzeichnet ist, dass es eine mehr oder minder allgemeine Gültigkeit hat.“ (Bässler, 2009b, S. 13)

4.2. Qualitative Forschung

Man kann sagen, dass qualitative Forschung die Lebenswelten von innen heraus, aus der Sicht der handelnden Menschen beschreibt und trägt dazu bei die soziale Wirklichkeit besser zu verstehen. Nach Flick (2003, S. 25) ist qualitative Forschung immer dann zu empfehlen, wo es um die Erschließung eines bislang wenig erforschten Wirklichkeitsbereich geht. Für Flick (2003, S. 12) gewinnt Qualitative Forschung besondere Aktualität für die Untersuchung sozialer Zuammenhänge, da die neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, wie beispielsweise die zunehmende Individualisierung eine neue Sensibilität für empirisch untersuchte Gegenstände erforderlich macht. Diese Sensibilität kann man jedoch schwer mit quantitativen

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4 Forschungsmethoden erreichen. Eben ein solch neuer Wirklichkeitsbereich stellt auch die „urbane Fahrradkultur“ dar. Um über individuelle Lebensweisen der Personen mehr zu erfahren, muss man sich in die Personen hineinversetzen, man muss gezielt nachfragen aber auch darüberhinaus theoretisches Vorwissen aneignen (vgl. Flick, 2002, S. 13). Das theoretische Wissen stammt hierbei allerdings nicht immer aus wissenschaftlich fundierten Lektüren, dies ist auch im Zuge dieser Arbeit gut erkennbar. Gerade zu dem Thema „urbane Fahrradkultur“ gibt es keine wissenschaftliche Literatur, die sich eindringlich mit dem Verhältnis Subkultur, Trend und Mitläuferprinzip beschäftigt hat. Auch wurde sich mit den allgemeinen Strukturen der „urbanen Fahrradkultur“ noch nicht hinreichend auseinandergesetzt. Jedoch ist es für den Forschungsgegenstand als auch für die gesamte Thematik relevant sich einen Überblick zu schaffen, um sich dem Thema auch forschungsmäßig nähern zu können. In diesem Fall bot sich der Überblick aus der jahrelangen intensiven Auseinandersetzung mit der Szene. Um heraus zu finden welche Motivationen und Bedürfnisse hinter der Interaktion in der Szene der „urbanen Fahrradkultur“ stehen, bedarf 296


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es einen tiefen Einblick. Es ist wichtig herauszufinden, welchen Blickwinkel die „krassen Typen“, aber auch deren Mitläufer, auf die Szene haben, welche Motivation hinter ihrem Tun steckt und welchen grundlegenden Bedürfnissen dies unterliegt. Hierfür sind qualitative Methoden mit ihrem „erzählerischen Verfahren“ sehr gut geeignet. Qualitative Methoden sind beispielsweise Beobachtung, Gruppendiskussion und verschiedene Formen von Interviews. Die Vorteile qualitativer Methoden sind unter anderem ihre flexible Anwendung. Angepasst an den Untersuchungsgegenstand, die Offenheit des Vorgehens und keine Vorgaben für den Teilnehmer wirken sich ebenfalls positiv aus (vgl. Bässler, 2009a ,S. 122). Gerade offene Interviews werden in breitem Maße angewandt, weil eine relativ offene Gestaltung der Interviewsituation die Sichtweisen des befragten Subjekts eher zur Geltung kommen als in standardisierten Interviews oder Fragebögen (vgl. Flick, 2002, 117). Daher habe ich mich für die Methode der offenen Interviews entschieden. Ich wollte weitestgehend die Motive der Protagonisten mit allen Zusatzinformationen erhalten, um sie dann forschungsrelevant filtern und deuten zu können.


4 Daher mussten zunächst die grundlegenden Fragen nach dem „Wer?“ und dem „Wie?“ geklärt werden. Wie sollten die Interviews konzipiert sein, völlig offen und narrativ oder eher eng gehalten und fokussiert? Der qualitativen Befragung liegt ein grober thematischer Leitfaden zu Grunde, wobei auf standardisierte Fragen weit möglichst verzichtet wird. Daher sind die Gestaltung der Fragen flexibel und die Antwortmöglichkeiten der Gesprächspartner unbeschränkt. Dadurch erhält man einen tieferen Informationsgehalt. Zahlenmäßige und repräsentative Aussagen kann man bei dieser Art der Befragung jedoch nicht erwarten. Für die Befragung mittels einem offenen Interview habe ich zum einen ein „Experteninterview“, also mit einem „krassen Typen“ gewählt, und zum anderen das Interview mit einem Mitläufer. Diese polaren Sichtweisen werde ich dann bei der Auswertung gegenüberstellen, dies macht die Aussagen miteinander vergleichbar. Die durch den Leitfaden angesprochenen Themengebiete betreffen einerseits allgemeine Fragen zur Person (Alter, Bildung, Beruf) und andererseits 298


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die Motivation für den Lifestyle und für das Tun der Interviewten. Bei den Interviews habe ich stets darauf geachtet nicht in eine übertheorisierte wissenschaftliche Sprache zu verfallen, um eine vertraute Basis zu beizubehalten. Bei der Auswertung von den Daten der beiden Interviews habe ich zunächst die markanten Aussagen ausgewertet. Die beiden Interviews wurden auf Band aufgenommen um alle Aussagen werten zu können. Dabei festzuhalten ist, dass ich dem Interviewpartner der den Mitläufer darstellt, nicht das Gefühl gegeben habe ein Mitläufer zu sein. Ich habeihn wie ein vollintegriertes Mitglied der Szene behandelt und habe ihn auch nach der „fakenger-Problematik“ befragt. Im ersten Teil des Interviews möchte ich mehr über das jeweilige Verhältnis zum eigenen Fahrrad wissen, da es wie schon erwähnt, ein fahrbare Ausdruck der eigenen Individualität ist. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Szene, wie sieht der Interviewpartner die Szene? Wer stellt für ihn die Szene dar? Was ist wichtig? Der dritte Teil ist „all about Style“, es geht darum, den Style aber auch das ästhetische Empfinden näher kennenzulernen, um daraus gegebenenfalls Rückschlüsse ziehen zu können. Der letzte Teil bezieht sich auf das Lebensgefühl und die Lebenseinstellung der Interviewten.


4 Der grobe Leitfaden der beiden Interviews wird im Laufe jedoch etwas modifiziert, ergänzt und den Anforderungen beziehungsweise den Ausrichtungen der Interviewpartnern angepasst. Bei der Einführung ins Thema habe ich bewusst verschwiegen, dass ich die Unterschiede zwischen „krassen Typen“ und den „fakenger“ untersuche, da dies eventuell den Gesprächsverlauf manipuliert hätte. Denn der Experte alias „krasser Typ“ hätte wohlmöglich seine Position mit allen Mitteln wahren wollen und eventuell auch „krassere“ Antworten gegeben. Auch der „fakenger“ hätte möglicherweise mehr über seine Antworten nachgedacht, dies hätte auch das Ergebnis verfälschen können. Beide Interviews wurden auf Tonband aufgenommen bei der Verschriftlichung wurden grammatikalische und Ausdrucksfehler beibehalten.

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4.2.1 Der Interviewleitfaden 1. Kurze Einführung ins Thema (Im Rahmen meiner Master-Thesis im Fach Kommunikationsdesign untersuche ich das Mitläuferprinzip anhand eines konkreten Beispiels – der „urbanen Fahrradkultur“. Ich würde dich als aktives Mitglied der Szene gerne zu deiner Meinung und Einstellung diesbezüglich befragen. 2. Eckdaten: Wie alt bist Du? In welcher städtischen Szene bist Du beheimatet? Was machst Du beruflich? 3. Was stellst du Dir unter dem Begriff „urbane Fahrradkultur“ vor? 4. Wie bist Du zum Fixie gekommen? Wer hat Dich dazu gebracht? 5. Wie lang fährst Du schon Fixie? 6. Wie viele Räder besitzt Du? 7. Wieviele hast Du selber zusammengebaut? 8. Von welche Rahmenhersteller stammen Dein(e) Fixie(s)? Welchen Rahmen hättest Du gerne noch? 9. Welches ist Dein Lieblingsrad? Und warum? 301


4 10. Hast Du Deinem Rad einen Namen gegeben? Welchen? 11. Nimmst du Deine Räder mit in die Wohnung? 12. Wie wichtig sind dir Deine Räder? 13. Wie beurteilst Du den Umgang mit Deinem Rad? 14. Was ist für Dich die Szene? 15. Wer ist für dich die Szene? 16. Wie lange bist Du schon aktiv in der Szene unterwegs? Was ist für Dich aktiv? Bist Du Wettkamp aktiv? Wie beurteilst Du den Szenenzusammenhalt? Wie beurteilst Du die massenphänomenale Bewegung der „UFK“? (Was nervt Dich besonders?) 20. Wie wichtig ist Dir die Ästhetik? 21. Wie wichtig ist Dir Dein Style? Verbringst Du viel Zeit mit Shopping, Styling etc.? 22. Wie würdest Du Deinen Style beurteilen? 23. Bist Du tätowiert? Trägst Du Piercings?

17. 18. 19.

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24. Welche Musik h旦rst Du? Gehst Du auf Konzerte? 25. Wie bist Du politisch unterwegs? 26. Beschreib mir mal das Gef端hl, das du hast wenn du auf deinem Bike unterwegs bist! 27. Wie sieht f端r Dich der perfekte Tag aus? 28. Und wie der perfekte Abend? 29. Vielen Dank f端r Deine Mithilfe, Du hast mir sehr weiter geholfen.

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Für das Experteninterview war für mich der richtige Partner Daniel K, aus Hannover. Er ist einer der vier Mitbegründer des „Tretwerks“ Hannover, ein Fahrradkurier-Service mit integriertem Fahrradladen, hier wird alles angeboten, was das Radlerherz begehrt. Gegründet 2009 stellt das „Tretwerk“ mittlerweile die Szene in Hannover dar. Bevor sich Daniel mit dem „Tretwerk“ selbstständig machte war er bei „Rad´z fazz“ als Kurier unterwegs. Er zählt definitiv zur Urszene in Hannover.

4.2.2. Das Experteninterview

Ich: Hi Danilo, alles gut? Was macht das Leben? Any news aus Hannover? D: Hi Nic, alles prima, langer Tag heute. Hmm ja Hannover steht noch, gibt nicht so viel Neues. Wir expandieren jetzt grad.. Wollen jetzt auch nen Internet-Handel aufmachen. Und wie geht’s Dir so? Was macht der Süden? Ich: Ui ne Menge zu tun.. Master und so, Du weißt ja... Aber sonst alles beim Alten. Ich komm im März mal wieder zu Euch. Dann könnt Ihr auch die Ergebnisse der Arbeit live sehen. D: Das ist gut, dann wird mal wieder gerockt. Ich: Das machen wir.. haha.. So machen wir mal das Bierle auf und fangen an oder? D: Jo zum Wohl Ich: Also Danilo, Du weißt ja, dass ich grad meine Masterarbeit schreibe. Es geht darum das Mitläuferprinzip einer Subkultur näher zu beleuchten. Dazu hab ich mir, wie könnte es auch anders sein, die Radszene ausgesucht. Genauer die „urbane Fahrradkultur“. Anhand der Radkultur möchte ich die Mechanismen rausfinden, die dafür verantwortlich sind, dass ver-

Ausgangssituation: Das Interview musste via Skype vonstatten gehen, da ich aus Zeitmangel nicht nach Hannover fahren konnte. Der situative Kontext war, dass das Interview am 17.01.2012 zwischen 21:30 und ca 22:10 gehalten wurde. Es war eine angenehme freundschaftliche Stimmung, mit Bier und Wein, jeder an seinem Schreibtisch. Der Gesprächsverlauf wurde auf Tonband aufgezeichnet. Jedoch muss gesagt werden, konnte ich aufgrund des freundschaftlichen Verhältnisses nicht immer einen komplett objektiven Blick wahren. Es fiel mir mitunter schwer, stets aus der Rolle des Forschers dieses Interview zu führen. Dennoch wurde dadurch meines erachtens das Ergebnis nicht verfälscht.

Leider musste das Interview geschwärzt werden, da Daniel K. einer Veröffentlichung im Internet nicht zustimmt.


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meintliche Außenseiter der Gesellschaft plötzlich ungewollt zu Trendsettern werden. Daher würde ich gerne die offensichtlichen Unterschiede zwischen den „Urgesteinen“ der Szene, also den „krassen Typen“ zu ihren Mitläufern aufzeigen. Daher meine Eingangsfrage, was verstehst Du denn unter „urbaner Fahrradkultur“? D: Hmm „urbane Fahrradkultur“?? Das is das was wir machen. Ich finde schon das wir sowas wie Kultur machen. Ich mein wir bewegen uns Tag für Tag mit dem Fahrrad durch die Straßen. Klar, kann man jetzt sagen das machen auch andere aber bei uns ist das halt schon nochmal was anderes. Ich: Wie meinst Du das? Wieso ist das was anderes? D: Ja weil wir unser Rad ja nicht nur nehmen um von Ort A nach Ort B zu kommen. Ich: Sondern? D: Erstens ist das Rad unser Arbeitsgerät und außerdem hmm.. also wir stecken ja auch viel Arbeit und Zeit in die Räder. Und auch so, wir bieten einen Rahmen für Aktivitäten rund ums Rad. Ich mein wir veranstalten ja auch Alleycats und so. Ich finde das gehört auf jeden Fall zum Thema Kultur. Ich: Ok und das verstehst Du unter „urbaner Fahrradkultur“? D: Ach „urbane Fahrradkultur“.. is schon wieder so ein Lifestyle-Scheiß.. Ich würd einfach sagen wir haben Bock mit unsern Hobeln durch die Stadt zu heizen, bissel Polo zu spielen und unser Bier zu trinken. Klar das spielt sich schon alles auf der Straße ab und wir verdienen damit auch maßgeblich unser Geld aber trotzdem... Warum braucht man denn für alles immer einen super schicken Ausdruck? Ich: Hmm ja, is vielleicht so dass mans dann halt auch besser greifen kann. Oder für die, die halt nicht so in der Szene drin sind. Man muss halt alles irgendwie benennen. Aber wie bist Du denn zum Fixie gekommen? D: Oji, also wart mal das is echt schon ewig her. Wir waren früher immer an der „Glocke“ an der „Miniramp“ zum skaten und abhängen, hmm und dann waren da auch öfter mal paar BMXer. Krass das is echt schon lange her.. so 13 – 14 Jahre. Naja, dann hab ich mir halt irgendwann ein BMX gekauft und fands viel besser als mein Skateboard. Glaub da hab ich die Liebe zum Fahrrad entdeckt. Tja ,wie das dann halt so is kommt man dann immer tiefer in die Kreise, auf einmal dreht sich halt alles ums Rad. Irgendwann hat ich dann keinen Bock mehr auf meinen Job. Und dann bin ich zum Jan gegangen und hab ihn gefragt, ob ich bei ihm Kurier fahren kann. Damals lief der Laden ja noch einigermaßen gut. Am Anfang bin ich dann


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noch mit meinem Mountainbike gefahren und dann kam Rapha zurück aus England, wo er sich ne Auszeit genommen hatte. Er brachte ein schwarzes „Raleigh“ mit. Oh man das war mal ein Geschoss! Alle wollten immer unbedingt damit fahren. Wir fanden´s alle so geil. Bin dann irgendwann in die Glocksee-Werkstatt gegangen und da stand ein total verranzter GiantRahmen. Tja und das war dann meiner. Krass damals haben die, die einfach aufn Schrott geschmissen. Die wussten gar nicht was die da fürn Schätzchen hatten. Hallo ?! Columbus-Rohrsatz!! Die Deppen. Ich: Wie lang is des in etwa her? D: hmm. So gute 8-9 Jahre. Ich: Hast Du dir den Rahmen dann sofort zum Fixie umgebaut? D: Nee das war ein Prozess. Hatte ja net so viel Kohle und wirklich ausgekannt hab ich mich ja auch nicht. Hab dann lange nach den richtigen Teilen gesucht. Und musste mich ja auch informieren. Ging ungefähr so ´n Jahr. Hatte es in der Zeit immer über´m Fernseher hängen. Ich: Und wieviel Räder hast Du mittlerweile? D: Also daheim stehen drei und inna Zentrale stehen auch noch mal zwei, wobei ich mir das Giant mit`m Hannes teile. Bau mir aber grad noch nen feinen Moser auf. Ich: Hast Du alle selber zusammengebaut? D: Ha was denkst Du denn? Wobei das Olmo hab ich zusammen mit Anna aufgebaut. War super. Finds toll wenn Frauen sowas können. Ich: Baust Du auch Räder für Freunde um? D: Hmm also das Ding is, ich find jeder der eins fahren will, soll´s auch selber zusammenbauen. Klar geb ich Hilfe. Aber seit dem wir den Laden haben leben wir ja auch davon.. also am Anfang hab ich mich immer geweigert und dann wollte Anna auch unbedingt eins, natürlich hab ich ihr geholfen.. ha, und jetzt kann se des selber. Ich: Was denkst Du? Wieviel hast Du jetzt für andere zusammenbauen müssen seit dem ihr den Laden habt? D: Boah, keinen Schimmer. Kommt ja ständig einer rein und will eins. Denk mal bestimmt schon so 15 oder so.. ich mein die anderen bauen ja auch welche zusammen und das is ja nicht unser Hauptgeschäft. Aber wenn die Kohle stimmt. Ich: Gibt es nen Rahmen den Du unbedingt noch haben möchtest? D: Ha Nic, was denkst Du denn. Genau den, den Du auch haben willst.. haha. Natürlich einen Colnago mit Columbus. Ich: Hihi jaaaa Du hast ja recht. Und welches is im Moment Dein Lieblingsrad?


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D: Ohha, das is schwer. Würd sagen schon mein Diamant. Weisst, das is nicht unbedingt schön aber es fährt sich halt grad irgendwie am besten. Und man kann halt auch mal irgendwo dagegendonnern ohne nen Herzinfarkt zu bekommen.. Ich mein stell dir mal vor ich knall mein Olmo an nen Laternenpfahl.. und der Lack platzt ab. Ich: Ja weiß was Du meinst. Hej Danilo, hast Deinen Rädern auch Namen gegeben? D: Nicht allen.. aber Du kennst doch noch das gelbe Olmo?! Das is halt immer noch „Tante Inge“, das Diamant heißt „Möhre“ und mein Bianchi ist „Celestra“. Na gut letzteres is nicht wirklich einfallsreich. Ich: Nimmst Deine Räder mit in die Wohnung? D: Ja klar zumindest die, denen ich Namen gegeben hab.. hehe. Die anderen stehen aber in der Zentrale. Is auch immer gut ein paar Ausstellungsstücke im Schaufenster zu haben. Ich: Wie wichtig sind dir Deine Räder? D: Hmm ja Du.. wie wichtig sind Dir denn Deine??!!! Ich: Ja weißte ja, ne.. D: Siehst Du.. Ich: Hihi, ja... Wie beurteilst Du den Umgang mit Deinem Rad? Also findest Du, dass Du gut damit fahren kannst beziehungsweise gekonnt? D: Wäre blöd wenn ich als Kurier nicht mit nem Rad umgehen könnte. Wobei, hmm beim „Trackstand“ * Stehend auf dem Fahrrad balancieren haperts. Aber ich würde schon sagen, dass wir alle gut fahren. Müssen wir ja wollen ja auch an unser Ziel kommen. Das Ding is halt man muss halt auch für sämtliche Idioten auf der Straße mitdenken. Wie oft übersehen die Dich? Oder reißen die Fahrertür auf ohne zu schauen. Man muss aufpassen wie ein Lux. Aber das schult glaube ich auch die Konzentration, weil du musst ja nicht nur vorausschauend fahren und überall Deine Augen haben, gleichzeitig hast du ja auch noch ne Lieferung und musst die Strasse suchen. Also manchmal wundert es mich auch, dass wir so wenig Unfälle haben. Ich: Was ist für Dich die Szene? D: Wir... haha.. Meinst Du jetzt in Hannover?? Denn da würde ich schon sagen, dass wir die Szene sind. Und allgemein? Hmm schwer zu sagen. Also jedenfalls die Kuriere. Aber ich würde auch sagen zumindest die, die sich mindestens genauso gut mit Rädern auskennen und die auch aktiv sind. Ich mein nicht alle haben auch die Möglichkeit und das große Glück als Fahrradkuier arbeiten zu können. Ich: Was meinst Du mit aktiv?


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D: Also die, die halt auch bei Alleycats mitfahren, ihre Bikes selbst gebaut haben und die sich auch mit den verbauten Teilen auskennen. Die die gerne und vor allem aus tiefsten Herzen auch Kurier wären, dies aber nicht können weil sie nen anderen Job haben. Ich: Bist du Wettkampf aktiv? D: Klar jeden Tag. Der Wettkampf gegen die Zeit haha.. Ich: Hihi. Und so bei Events? D: Ja also ich fahr schon bei jeder Alleycat mit wenn ich nicht selber am „Checkpoint“ stehen muss. Ich mein wir veranstalten die ja auch.. Polo spiel ich jetzt zwar nicht jede Woche aber ich geh Sonntags schon mal gern ne Runde zocken. Aber halt nicht so leidenschaftlich wie z.B. der Alex der auf alle Meisterschaften fährt und das beinahe schon profimäßig macht. Aber ich muss sagen die Jungs sind auch echt gut. Ich: Wie beurteilst Du den Szenenzusammenhalt? D: Ich würd schon sagen der is ziemlich stark. Ich mein Timo, als der ein halbes Jahr obdachlos war.. der hatte ja immer ne Unterkunft. Oder wenn Eik mal wieder auftaucht aus´m Nichts heraus und keiner weiß wo er war. War er mal wieder im Knast oder einfach so on tour in der Weltgeschichte? Egal kommt halt immer irgendwo unter. Ich: Ui is es mit Eik immer noch so schlimm? Krass. Hmm.. (Pause) Wie beurteilst Du die massenphänomenale Bewegung der „urbanen Fahrradkultur“? D: Es nervt! (mit Nachdruck) Hej mal ganz ehrlich, was soll das denn? Fixies bei Marco Pólo.. Und die ganze Deppen finden´s auch noch geil. Nee keine Ahnung. Es nervt mich unglaublich wenn wieder einer in den Laden kommt mit seiner riesen Hornbrille aufa Nase und nem schicken Jutebeutel und will von uns ein Fixie zusammengebaut haben. Am liebsten ein komplett weißes mit goldenen Komponenten.. boah da könnt ich kotzen. Bei solchen Typen schlagen wir einfach mal bis das Doppelte drauf. Veranschlagen einen total unrealistischen Preis.. und weißt was die Deppen zahlen`s weil sie keine Ahnung haben.. Ich finds dann einfach nur gut, wenn wir dann alle anna Limmer sitzen und die vorbei kommen. Wie sie sich dann benehmen. Super. Setzen sich dazu trinken ihr Alster und meinen sie gehören dazu und wir wären ihre besten Freunde. Haha. Aber eigentlich will ich überhaupt keine schlechte Laune bekommen, nur weil jemand Fahrrad fährt. Eigentlich sollten sich alle Menschen freuen wenn die Welt Rad fährt. Also, an alle da draußen.. Leute wenn ihr Bock habt Fahrrad zu fahren dann macht das!! Wir wollen wegen euch keine schlechte Laune bekommen!! Dumm is nur, dass dadurch die Fahrradteile so teuer geworden sind und


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wertvolle Kellerfunde nicht mehr so einfach zu bekommen sind. Ich: Haha gewusst wo? Wie wichtig ist Dir die Ästhetik? D: Hmm ja, meinst Du jetzt im Allgemeinen? Oder bezogen aufs Rad? Ich: Beides.. das eine schließt ja das andere nicht aus. D: Also ich würde sagen, klar was das Rad angeht sollte es einen gewissen individuellen Touch haben aber, ob ein Rad unbedingt auch ästhetisch sein muss?? hmm tja. Ich mein schau dir meine „Möhre“ an.. mit den ganzen Aufklebern, der Lenker passt nicht zum Rest und der Rest passt nicht zum Lenker.. aber für mich is sie ästhetisch. Sogar sehr, weil ich sie halt selber so gestaltet hab und jeder Aufkleber, jede Schramme eine Geschichte irgendwie erzählt. Ich find solche Räder sind wirklich ästhetisch! Viel mehr als die weißen mit ihren goldenen Komponenten. Ich: Ui das ist ein schöner Aspekt. Würdest Du sagen, dass das euch im Allgemeinen von den „fakenger“ unterscheidet? D: Ja auf jeden Fall. Ich mein unsere Fahrräder leben! Zum Teil sind sie „Trash-Raketen“, sie haben aber alle eine Persönlichkeit und eine eigene Geschichte, viele der Rahmen sind schon Jahrzehnte alt und haben schon diverse Vorbesitzer gehabt. Und was ist mit den „fakenger“? Die kaufen sich ihr Rad fertig von der Stange im Internet. Da passt alles super zusammen. Aber die haben halt keine Seele. Die kommen irgendwo aus ner chinesischen Massenproduktion. Ich: Und wie wichtig ist Dir allgemein Dein Style? Verbringst Du viel Zeit mit Shopping, Styling etc.? D: Haha schau mich an.. sieht so jemand aus der sich viel Gedanken um sein Äußeres macht?? Hej und immerhin fangen wir morgens ja auch schon um acht an Kurier zu fahren.. meinst Du da stell ich mich davor noch ewig vorn Kleiderschrank und überleg was ich anziehen soll? Ich mein es muss halt schon funktional sein. Grad im Winter, wenn Du Dir die Füße abfrierst. Da hast ganz andere Sorgen als dein Outfit. Außerdem schlaf ich lieber 10 Minuten länger. Haha. Ich: Wie würdest Du Deinen Style bezeichnen? D: Tja, ich glaub ich hab schon so n Kurierstyle. Gut während ich Arbeit natürlich bissel ausgeprägter aber auch in der Freizeit trag ich irgendwie immer ne Radsport-Mütze. Aber ich weiß jetzt nicht, ob das jetzt Style is oder ich einfach zu faul bin ne andere zu suchen. Ich: Bist Du tätowiert? Trägst Du Piercings? D: Klar.. ui und Nic schau! Wir vier haben uns jetzt alle das Logo eintätowiert lassen. Damit simma für immer mit der Zentrale verbunden. Ich: Hej das is mal ne sehr gute Idee.. Ich mags total gern! Echt super. Wel-


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che Musik hörst Du? D: Ich spiel doch jetzt mit Felix zusammen in paar Punkbands haben unseren Proberaum im „Stumpf“ Ich: Ui wähm. Und wie seid ihr denn dann politisch so unterwegs? D: Naja schon eher links. Wobei ich mich von der Antifa schon ziemlich distanziere. Ich: Beschreib mir mal das Gefühl, das du hast wenn du auf deinem Bike unterwegs bist! D: Das Gefühl? Hmm also is schon so ein Ding von Freiheit. Bist halt mit deinem Rad unterwegs und bist halt auch schneller als die Autos. Immer im gleichmäßigen Tritt. Is schon so ein bissen, dass Dein Rad und Du irgendwie zueinander findet. Ich: Wie sieht für Dich der perfekte Tag aus? D: Hmm.. also perfekt is, wenn ich an nem geilen Frühlingstag nur tolle Aufträge fahren darf, am Maschsee entlang, durch die Eilenriede, an den Herrenhäusergärten vorbei und dann und wann noch ne nette Agentur anfahren kann, wo ne nette Empfangsdame sitzt. Und immer die nicht zu heiße Sonne im Rücken. Nach der Schicht mit den andern ne Runde Limmern gehen. Das nenn ich mal einen ziemlich guten Tag. Ich: Und wie der perfekte Abend? D: Bissel in der Werkstatt sitzen, an den Rädern rumschrauben dann ne spontane Cat oder bissel Polo zocken und später aufn paar Bier in die Glocke. Ich: Super Danilo, vielen Dank das wars auch schon hast mir jedenfalls schon mal arg geholfen. D: Hej kein Ding hab ich doch gerne gemacht. Und komm bald mal wieder nach Hannover. Hat sich viel verändert im Laden. Du wirst Augen machen. Ich: Ja mach ich auf jeden Fall, freu mich drauf. So Danilo, dann grüß die anderen von mir. Over and out D: Jo mach ich. Tschö Nic.


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Ich: Hallo Chris, schön dass Du hier bist. Ich hab Dir ja schon bisschen erzählt, dass ich die Fahrradszene untersuche, genauer die „urbane Fahrradkultur“. Daher ist mir jetzt wichtig herauszufinden, welches Verhältnis die Akteure dieser Szene zu ihren Rädern, zur Szene aber auch zu sich selber haben. Wie sind sie zur Szene gekommen? Wie lang sind sie schon aktiv? Und so weiter. Dann fangen wir mal an.. Chris wie alt bist Du denn? C: 20 Ich: Und was machst Du beruflich? C: Ich bin noch Schüler an der Wessenbergschule (Konstanz). Mach da das WG. Ich: Dann machst dieses Jahr Abi? Hast Du schon eine Ahnung was Du danach machen möchtest? C: Hmm also wenn ich das hier so sehe, dann könnte ich mir Kommunikationsdesign sehr gut vorstellen. Ich fotografiere für mein Leben gerne.

Ausgangssituation: Das Interview fand am 19.01.2012 zwischen 20:30 und ca. 21:00 in der Fachhochschule im Gebäude L, Atelier 3 (Masterarbeitsraum) statt. Der situative Kontext war der, dass sonst niemand im Atelier war, die Stimmung war anfangs noch recht zurückhaltend. Durch das Gespräch über den Neubau in dem wir uns befanden lockerte sich Stimmung jedoch zusehens. Der Gesprächsverlauf wurde auf Tonband aufgezeichnet. Nach kurzem „Smalltalk“ fingen wir an.

Für das Interview mit einem Mitläufer habe ich einen jungen Mann auf der Straße angesprochen, der mit seinem „creat“- auf retro gemacht Rad unterwegs war. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass sich kein „krasser Typ“ auf dieses Fahrrad setzen würde. Dieses Rad ist der Inbegriff des Mitläuferprinzips. Verbaute Billigteile aber dennoch ein stolzer Preis. Dies ist weder polemisch noch diskreditierend gemeint, hierbei stütze ich mich lediglich auf meine Erfahrung. Der junge Mann zeigte sich auch sehr bereitwillig bezüglich des Interviews. Schnell wurde ein zeitnaher Termin gefunden. Um die Aussagen vertraulich zu behandeln habe ich im nun Folgenden Transskript nur die Kurzform seines Namens benutzt, da das Interview an manchen Stellen eventuell als polemisch oder diskreditierend gewertet werden könnte. Was, wie schon erwähnt zu keinem Zeitpunkt je angestrebt war.

4.2.3. Das „fakenger“-Interview


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Außerdem is des glaub ich ziemlich cool bei euch. Ich: Ja dann musst Dich auf jeden Fall zum kommenden Semester bewerben.. Oder Du machst noch bissel Auszeit is auch nie verkehrt.. Was stellst Du Dir unter dem Begriff „urbane Fahrradkultur“ vor? C: Hmm also.. (Pause) Fixie fahren.. Ich: Ok.. sonst noch was? C: Vielleicht noch Singlespeed fahren.. Ich: Fährst Du Fixie oder Singlespeed? C: Ich fahr Singlespeed.. Ich: Wie kamst Du dazu? C: Ich war in Berlin letzten Sommer.. Und ich fand einfach die Räder echt total geil. Ich mein die sind ja auch echt wunderschön. Wir waren dann in einer WG und da hatte der eine Mitbewohner drei Fixies rumstehen. Die hab ich mir dann ganz genau angeschaut. Für mich stand schnell fest, dass ich so ein Rad unbedingt haben möchte. Der Typ hat mir dann auch die InternetAdresse von dem Rad-Dealer gegeben. Und zwei Tage später hab ich mir eins bestellt. Ich: Du hast es Dir im Internet bestellt? C: Ja normal. Ich bestell alles übers Internet da hat man keinen Stress. Ich: Und was waren Deine Kriterien? Also warum hast Du gerade das bestellt? C: Das is so bisschen auf „vintage“ gemacht.. Das hat mir sehr gut gefallen. Ich: Kam das komplett geliefert oder musstest Du es noch selber zusammenschrauben? C: Nee das kam recht komplett.. nur Lenker war nicht dran und die Räder waren einzeln verpackt. Ich: Was hattest Du davor für´n Rad? C: Ein altes Damenrad Ich: Und wie sieht´s aus? Hättest Du denn gerne noch ein Fixie? C: Ja klar Ich: Und von welcher Firma? Welcher Rahmenhersteller? C: Hmm also ich find diese „Create“-Bikes schon echt gut. Ich glaub ich hätte gerne das was ich hab noch in metallic-braun und weißen Felgen. Ich: Hast Du Deinem Rad einen Namen gegeben? C: Nö.. aber da könnte ich ja mal drüber nachdenken. Ist eigentlich gar keine schlechte Idee. Hmm. Ich: Nimmst Du Dein Rad mit in die Wohnung? C: Haha ich wohn noch zu Hause.. Meine Ma würde mir was erzählen wenn ich das Rad mit reinnehmen würde. Nee es steht in der Garage.


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Ich: Wie wichtig sind dir Dein Rad? C: Schon wichtig. Ich mein ich schone es schon. Also bei schlechtem Wetter fahre ich nicht. Da nehm ich dann mein altes Damenrad. Und wenn ich abends trinken gehe dann nehm ich meistens auch das Damenrad. Ich: Wie beurteilst Du den Umgang mit Deinem Rad? C: Hmm wie meinst Du das? Ich: Also fährst Du gut Rad? Kannst Du gut damit Umgehen auch in Gefahrensituationen? C: Ich denk schon dass ich gut fahre. Ich hatte noch nie einen Unfall. Ich: Und was ist für Dich die Szene? C: Hmm also meinst Du jetzt die Fahrradszene? Ich: Ja C: Die Fixie-Fahrer und Singlespeed-Fahrer Ich: Würdest Du sagen Du bist ein Teil von der Szene? C: Ja schon. Ich fahr Singlespeed. Und wenn ich mir das nächste Rad kaufe dann auf jeden Fall ein Fixie. Ich: Wie aktiv bist Du in der Szene? C: Also, hmm ich weiß nicht.. schon aktiv. Ich: Bist Du auch Wettkampf aktiv? C: (lange Pause) Nein. (eher fragend) Ich: Wie beurteilst Du allgemein den Szenenzusammenhalt? C: Ja der ist schon sehr groß. (Pause) Ich: Woran machst Du das fest? C: Ja weil man sich so auf der Straße grüßt und weil ich auf der Straße oft auch wegen meinem Rad angesprochen werde. Ich: Von wem wirst Du angesprochen? C: Von Leuten an der Ampel und so. Ich: Aber meinst Du die gehören zur Szene? C: Hmm nee eigentlich nicht. Ich: Wie wichtig ist Dir Ästhetik? C: Ja schon wichtig. Also ich finde ja mein Rad schon sehr ästhetisch. Da passt halt alles irgendwie zusammen. Das war mir eigentlich auch wichtig als ich es gekauft habe. Ich: Und wie wichtig ist Dir Dein Style im Allgemeinen? C: Mein Style ist mir schon wichtig. Also ich steh jetzt nicht die ganze Zeit vor dem Spiegel aber ich überleg mir schon was ich kaufe und ob das zu meinen anderen Sachen passt. Ich: Achtest Du dabei auf Marken? C: Nicht unbedingt, also ich geh auch gern mal zu Zara oder H&M.. aber


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ich finde wenn man sich ein Marken-Shirt kauft dann hält das irgendwie länger. Man hat länger was davon. Ich: Wie beurteilst Du Deinen eigenen Style? C: Hmm also eher sportlich-schick.. Ich steh halt auf ausgefallene Sneaker. Aber auch so trag gerne Kapuzenpullis und Karohemden. Ich: Verbringst Du viel Zeit mit Shopping? C: Hmm schon bisschen aber ich bestell hauptsächlich übers Internet. Da spart man sich den ganzen Stress. Ich: Ich sehe Du lässt dir grad Deine Ohrlöcher weiten... Bist Du denn auch tätowiert? C: Nee tätowiert bin ich gar nicht. Aber ich würde gerne.. Es ist nur so, dass man hier in Konstanz so lange auf einen Termin warten muss. Ich: Weißt Du denn schon was Du Dir gerne tätowieren lassen möchtest? C: Nee noch nicht genau.. Aber da mach ich mir Gedanken wenn´s denn soweit is. Ich: Welche Musik hörst Du im Moment? C: Ich mag momentan ganz gern Indie aber steh auch auf Elektro. Ich: Und wie bist Du so politisch unterwegs? C: Meinst Du ob ich an Politik interessiert bin? Nee eigentlich so gar nicht. Interessiert mich nicht so arg. Ich: Beschreib mir mal das Gefühl, das du hast wenn du auf deinem Bike unterwegs bist! C: Das ist super. Man fällt auf. Jeder schaut Dein Rad wenn Du an der Ampel stehst, wie schon gesagt man wird auch öfter mal angesprochen. Aber auch das Fahren macht total viel Spass. Man ist viel schneller. Es macht auch Spass die Schleicher zu überholen. Ich liebe es. Ich: Wie sieht für Dich der perfekte Tag aus? C: Hmm erstmal lange schlafen.. tolles Frühstück und dann im Sommer zum Baden - natürlich mit dem Fahrrad.. haha. Dann den ganzen Tag am See mit Freunden verbringen, bisschen Grillen und einfach nur abhängen und Spass haben. Ich: Und wie der perfekte Abend? C: Nach dem perfekten Tag abends noch feiern gehen in die Kantine oder in die Blechnerei. Das is super. Ich: Jetzt hast es gleich geschafft.. Nur noch eine Frage zum Schluss: Wie beurteilst Du den Trend von Fixies? C: Ich kann das gut verstehen.. Die Dinger sind einfach auch voll schön. Ich kann mir vorstellen, dass bald jeder mit einem unterwegs sein wird. Ich: Ui wie meinst Du das?


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C: Also ich kann mir zum Beispiel nicht mehr vorstellen mit einem anderen Rad unterwegs zu sein. Und alle meine Freunde, die mal mit dem Rad gefahren sind, sind auch total beeindruckt. Ich kann mir vorstellen, dass es eben anderen genauso geht. Man müsste denen die Fixies nur näher bringen damit sie es kennenlernen. Ich: Danke Chris das war´s eigentlich auch schon. Du hast mir sehr weitergeholfen. Ich hoffe Du wirst weiterhin so viel Spass mit Deinem Rad haben.. und Du weißt ja immer schön vorsichtig fahren. C: Ja. Danke. Ich hoffe wir sehen uns mal auf den Konstanzer Straßen. Ich: Ja bestimmt. Dann machen wir ein kleines Rennen. Haha


4 -Auswertung

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Zunächst einmal muss ich festhalten, dass diese beiden Interviews nicht repräsentativ für alle Protagonisten in dieser Arbeit stehen. Ich hatte hier zwei sehr polarisierende Extreme. Im Vorfeld dieser Interviews war ich mir nicht bewusst, dass die Antworten dermaßen klischeehaft ausfallen werden. Gerade was die Aspekte der Motivation und des Szenen-Empfindens angingen. Besonders überrascht war ich bei dem „fakenger“-Interview, da ich ja die Mitläufer bisweilen sehr überspitzt und mit einem Augenzwinkern beschrieben habe. Ich hätte nicht gedacht, dass meine Beschreibungen (zumindest in diesem Fall) so zutreffend sind. Jedoch ist dabei auch zu erwähnen, dass ich gerade mit dem „fakenger“ enormes Glück hatte. Genauso gut hätte ich einen semiprofessionellen Mitläufer befragen können, der etwas mehr szenenspezifisches Verständnis etc. gehabt hätte, weil dieser die Eigenarten der Kuriere ungeniert kopiert und sich diese sehr schnell aneignet. Um dies zur Perfektion zu treiben, muss sich der „fakenger“ jedoch auch geringfügig mit der Szene beschäftigt haben. Den Interviews zur Folge haben sich Klischees jedoch wieder einmal bestätigt.


Bei Auswertung der beiden Interviews konnten einige Tendenzen sehr gut herausgefiltert werden, die auch im Ansatz meine Thesen des Mitläuferprinzips untermauern. Im Großen und Ganzen kann gesagt werden, dass beide Interviewpartner die Szene aus komplett unterschiedlichen Perspektiven heraus betrachten. Dies zeigte sich schon mit der Eingangsfrage, was sie unter dem Begriff „urbane Fahrradkultur“ verstehen. Daraus konnte man entnehmen, dass beide Interviewpartner verschiedene Zugänge haben aber vor allem auch über unterschiedliches Wissen zu dem Thema verfügen. Für den Mitläufer umfasst die „urbane Fahrradkultur“ alle Fixie-Fahrer, für Daniel ist es aber weitaus mehr. Für ihn ist es der gesamte Rahmen, der sich um das Thema Fixie und Co. spannt. Seiner Meinung nach gestalten diejenigen die Kultur, die ihr Fahrrad nicht nur nutzen um von Ort A nach Ort B zu kommen, sondern dies mit absoluter Hingabe und Leidenschaft machen. Daniel erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Veranstaltung von Events, was für ihn auch eine Art kultureller Beitrag darstellt. Auch bezüglich der Motivation und der Einstellung gibt es erhebliche Unterschiede. Was für den einen 317


4 der Lebensinhalt darstellt, ist für den anderen ein nettes stylisches „Gimmick“. Für den „fakenger“ ist sein Rad ein Gegenstand mit dem er seinen Stylefaktor etwas pushen kann, um vor Laien als „krasser Typ“ bezeichnet zu werden. Er kauft sich sein Rad, wie alles andere auch, im Internet weil´s weniger stressig ist. Im Vergleich dazu, baut sich der „krasse Typ“ seine Räder selber und weiß dabei auch ganz genau welche (zum Teil auch wertvollen) Teile er verbaut. Der „krasse Typ“ hat demnach auch ein viel innigeres Verhältnis zu seinen Rädern, mitunter gibt er ihnen Namen und keines muss draußen der Witterung ausgesetzt sein. Die Szene spielt eine genauso große Rolle im Leben von Daniel wie seine Fahrräder. Für ihn gehören diejenigen zur Szene, die mit ganzem Herzen dabei sind und diejenigen, die auch gerne als Kurier arbeiten würden. Wohingegen der Mitläufer, laut dem Interview lediglich alle Fixie-Fahrer und Singlespeed-Fahrer als Teil der Szene betrachtet. Auch ist Chris (der Mitläufer) nicht Wettkampf aktiv. Danielo hingegen ist auf jedem größerem Event dabei und spielt Sonntags auch gerne mal Polo. 318


Zum Thema Styling kann gesagt werden, dass der Mitläufer viel mehr Wert auf sein Erscheinungsbild legt und sehr markenaffin ist, bei ihm lautet die Devise „It´s all about style“. Für Daniel spielt der Style eine eher untergeordnete Rolle. Selbstverständlich möchte auch er seine Persönlichkeit mit seinem Style zum Ausdruck bringen, dies erklärt beispielsweise dass er auch in der Freizeit mitunter Kurierklamotten trägt. Beide Interviewpartner haben ein unterschiedliches ästhetisches Empfinden. Danilo findet Räder, die eine Geschichte erzählen, also authentisch und nicht unbedingt schön sind, viel ästhetischer, als die Räder die aus einer chinesischen Massenproduktion stammen. Seiner Meinung nach haben diese, zweifelsohne schöne, Räder keinerlei Persönlichkeit, da sie keine authentische Herkunft haben. Für Chris sind gerade diese Räder der Inbegriff von Ästhetik. Beim letzten Teil des Interviews ging es hauptsächlich um die Lebenseinstellung und um das Lebensgefühl. Auch hier zeigten die Antworten nicht viele Parallelen. Bei dem perfekten Tag von Daniel spielt sein Fahrrad und die Tätigkeit als Fahrradkurier die Hauptrolle. Selbst die perfekte Abend319


4 gestaltung findet innerhalb der Szene statt. Bei Chris, spielt das Fahrrad dagegen, sowohl für den perfekten Tag als auch für den perfekten Abend eher eine Nebenrolle. Bei der politischen Einstellung als auch beim Musikgeschmack bezieht Chris keine eindeutige Position. Er bewegt sich daher im Mainstreambereich. Wohingegen Daniel eher auf der rebellischen Seite anzusiedeln ist. Musikalisch als auch politisch vertritt er klar subkulturelle Tendenzen. Insgesamt kann gesagt werden, dass Daniel, stellvertretend für die „krassen Typen“ und als Meinungsführer, auf authentische Werte mit Herkunft und Persönlichkeit abzielt. Sein Lebensstil und sein Style ist weit mehr als nur der schöne Schein. Für ihn ist Ästhetik eine Art Grundhaltung und Ausdruck von Individualität und Authentizität. Chris dagegen repräsentiert den stylischen Mainstream, der zeitweise in die Rolle des Rebellen schlüpfen möchte, um von seinem Ansehen und seiner Stellung partizipieren möchte, dies aber nicht konsequent und bin 320


in die letzte Instanz durchzieht. Dies macht ihn für viele unglaubwürdig und nicht authentisch. Daniel lebt die Rebellion, wogegen Chris sich nur mit „fremden Rädern schmückt!!“.

4.3. Feldforschung / Monitoring

„Ideal dafür, dass wir von einer lebensweltlichen Ethnographie sprechen können, erscheint uns der Erwerb der praktischen Mitgliedschaft am Geschehen, das erforscht werden soll, also der Gewinn einer existenziellen Innenansicht.“ (Honer, 1995, S. 48) Feldforschung beschreibt die systematische Erforschung einer bestimmten Gruppen, indem man sich in ihr Umfeld begibt und durch beobachtende Teilnahme sowie gezielte Fragestellung wissenswerte Informationen sammelt. Dabei ist zu beachten, möglichst objektiv zu bleiben sowie ethische Anforderungen wie beispielsweise Würde, Privatsphäre und Anony-

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4 mität unter allen Umständen zu wahren. Problematisch ist die Tatsache, dass allein durch die Anwesenheit des Forschers das Untersuchungsfeld beeinflusst wird. Dies erfordert eine solide Vertrauensbasis sowie möglichst große Integration des Forschers (vgl. http://qsf.e-learning.imb-uni-augsburg. de/node/536). Wie sich im Laufe dieser Arbeit erkennen lässt, war die Voraussetzung einer Vertrauensbasis stets gegeben, aufgrund der jahrelangen Szenendauzugehörigkeit. Jedoch musste ich stets meine Intersubjektivität wahren darauf achten, die zu beobachtenden Personen möglichst neutral zu betrachten. Untersucht werden sollen die „krassen Typen“ in ihren Lebenswelten. Raum zur Analyse bot mir hierbei vor allem die Szenetreffs und dabei insbesondere die Handlungen und Verhaltensweisen der Akteure vor, während und nach den spezifischen Wettkampveranstaltungen. Unmittelbar nach den Veranstaltungen halte ich das Wesentliche stichpunktartig fest, um mich auch in einer späteren Phase der Forschung an bestimmte Beobachtungen erinnern zu können. Neben dem Wesentlichen wurde dabei nicht nur die obligatorischen Daten über Ort und Zeit 322


festgehalten, sonder auch der situative Kontext, um im späteren Verlauf der Forschung das Wesentliche nicht aus dessen Kontext zu reißen. Die Schwierigkeit einer Forschung direkt im Feld, bestand für mich darin die Objektivität zu wahren. Mich also aus der Szene wieder „herauszudenken“ und aus wissenschaftlicher Distanz zu beobachten. Eine aktive Teilnahme konnte daher nicht mehr vonstatten gehen, um die Vorgänge und Interaktionen der „krassen Typen“ zu analysieren. Jedoch werde ich mich innerhalb der Szene auch selbst beobachten und meine Erfahrungen in die Forschung mit einfließen lassen. Wie schon erwähnt, war mir bei der „Innenansicht“ (der teilnehmenden Beobachtung) der Szene die Lebensweise, das Lebensgefühl sowie die Handlungen der „krassen Typen“ sehr wichtig. Dies ermöglichte mir basierend auf den Beobachtungen und meiner eigenen Erfahrungen die szeneninternen Strukturen in Kapitel 3 zu deuten und zu skizzieren um ein allegemeines Verständnis über die Thematik zu schaffen.

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4 4.4. unkonventionelle Forschung

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-Das Scanning Das Scanning entspricht nicht ganz den wissenschaftlichen Standards, da es empirisch nicht belegbar ist. Jedoch war es für mich und meine Arbeit sehr aufschlussreich, um die allgemeine Bildsprache der Szene genauer kennen zu lernen und um daraus Rückschlüssen ziehen zu können. Zunächst sammelte ich alles was die bildgebenden Medien über das Thema hergaben um mir einen Überblick über die Außenansichten des Phänomens zu machen. Wie sehen die Medien die Szene? Was berichten sie darüber? Und wie werden die Beiträge visuell gestaltet? Die Seriosität spielte hierbei für mich eher eine untergeordnete Rolle. Für das Scanning waren zunächst Kriterien relevant, die semiotische Muster in Bildern, Typographien und spezifische Themen zu erkennen geben, um eine Grundtendenz zu erhalten. Medien erzeugen Realität. Daraus konnte ich unter anderem die Bildsprache der einschlägigen „special intrest“-Magazinen deuten, aber auch allgemeingültige hochaktuelle Themen wie beispielsweise das Problem mit den „fakenger“ und der damit verbundenen Kommerzialisierung der Szene.



Quelle: Fixed Mag Ausgabe Spring 2011 S. 50



Quelle: Fixed Mag Spring 2011



Das Polorad von Louis Vuitton; Für jeden „krassen Typen“ ein Skandal. Die kommerzielle Ausschlachtung eines Lebensgefühl par excellence. Quelle: www.viacomit.net/wp-content/ uploads/2011/12/Intersection-magazine-x-Louis-Vuitton-08.jpg



Links: Alle R채der einer Kurier-WG; aus Hannover Rechts: Seltene Gabeln Quelle: Eigenbestand



4 -Naming Beim Naming geht es darum, die so genannten „Magic Words“ zu finden. Allerdings gibt es für diese Phase der Trendforschung kein wissenschaftlich anerkanntes Verfahren. Hierbei spielen Intuition und das Empfinden von Zeitgeistströmungen eine wichtige Rolle. Im Zentrum des Namings steht nicht die Wahrhaftigkeit von Aussagen oder Begriffen, sonder das Erzeugen von Wirkung. Diese Wortneuschöpfungen sollen sich einprägen und dadurch für Überschaubarkeit sorgen, dies wiederum ist meist ein eindeutiges Verkaufsargument. Im Zuge dieser Arbeit habe ich dem hier beschriebenen Phänomen den Namen „urbane Fahrradkultur“ gegeben.

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-Ethnographische Beobachtungen Eine besonders visuell geprägte Form des Monitorings besteht in der teilnehmenden Beobachtung per Videokamera. Ethnologische Interviewer versuchen das Lebensgefühl einzelner Zielgruppen in Wort und laufendem Bild festzuhalten und somit ein besonders plastisches und ausdrucksstarkes Gegenwartsbild zu entwerfen. Dies geschieht primär auf einer Verhaltensebene, die ansonsten in verbalen Explorationstechniken nur schwer ermittelbar ist. Die auf diese Weise aufgezeichneten Trendviedeos werden eingesetzt, um Trends vorstellbar zu machen, mitunter besitzen sie mehr Überzeugungskraft als alle zahlengestützten Statistiken zusammen. Im Zuge dieser Arbeit, speziell für die darauffolgende Präsentation als auch Ausstellung habe ich ein solche Trendviedeo angefertigt. Es sind Zusammenschnitte aus bereits existierenden Videos, die das Lebensgefühl der Szene wiederspiegeln sollen. Somit kann man sich einen klaren visuellen Eindruck der Szene machen. 335


FAZIT Wie sich im Zuge dieser Arbeit herausgestellt hat, sind subkulturelle Phänomene das Korrelat des sozialen Wandlungsprozesses, genauer der Individualisierung. Subkulturen erfüllen punktgenau die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen in der postmodernen Gesellschaft. Die Eingangsfrage, ob Subkulturen Selbstläufer sind oder der Kreativschaffenden aktiv in den Entstehungsprozess eingreifen kann, wurde mithilfe der zuvor formulierten Hypothesen und deren Untersuchung weitestgehend geklärt.

Behauptung 1. Ich behauptete, dass eine Subkultur zum Mainstream wird, aufgrund der „Identifikationsgeilheit“ der Mitläufer. Diese Behauptung wurde soweit geklärt, als dass sich im Verlaufe dieser Arbeit herausgestellt hat, dass gerade Trends wichtige Identifikations- und auch Orientierungstools sind. Neue Arten der Vergemeinschaftung schaffen einen besonders hohen Grad an Identifikation. Subkulturen bieten gerade für den Mainstream enorme Möglichkeiten zur Identitätsbildung 336


hingehend zur individuellen Selbstdarstellung nach außen. Aufgrund der Tatsache, dass eine Subkultur oft als eine Art Gegenbewegung wahrgenommen wird, die nonkonform, unkonventionell, autonom und vor allem trendsetzend daher kommt, ist sie speziell für den Mainstream höchst interessant. Daher kann sehr wohl gesagt werden, dass die „Identifikationsgeilheit“ der Mitläufer für .. verantwortlich ist. Die Aufgabe des Kreativen ist es nun, die geeignete Subkultur zu finden, und diese mit hohem subkulturellen Kapital aufzuwerten. Er muss dafür sorgen, dass die Subkultur in das Aufmerksamskeitfeld des Mitläufers rückt.

Behauptung 2. Damit sich das Phänomen Subkultur zu einem Trend etabliert und in das Aufmerksamkeitsfeld der Mitläufer rückt , muss es folgende Eigneschaften mit sich bringen:

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- Es muss evolutionär zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen passen. Genauer, es muss die Bedürfnisse ausgelöst durch den sozialen Wandlungsprozess stillen und ihnen gerecht werden.


FAZIT - Es muss der selbstinitiierte Ästhetisierung der eigenen Existenz gerecht werden, das heißt diese Phänomene haben stets auch hohe ästhetische Anforderungen. - Das Phänomen muss authentische sein. Hierbei zählt weniger der Inhalt als viel mehr die Herkunft und der Entstehungsprozess. Zudem müssen Phänomene die sichtbar sind auch immer benennbar sein um in das Aufmerksamkeitsfeld der Mitläufer zu gelangen. Denn erst was benennbar ist, ist auch kommunizierbar. Und was kommunizierbar ist, kommt so an die Oberfläche. Daher behaupte ich, dass wenn subkulturelle Phänomene diese vier Kriterien besitzen haben sie ein maximal hohes Trendpotenzial. Diese Hypothesen untermauern meine Behauptung hingehend, dass diese als eine Art Matrix für den Erfolg einer subkulturellen Bewegung gelten 338


könnte. Da sich im Verlaufe dieser Arbeit all diese Hypothesen hinreichend bestätigt haben. - Dass das subkulturelle Phänomen zunächst evolutionär zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen passen muss hat sich spätestens beim „Trendframe“ gezeigt. Als Trend-Frame bezeichnet man den gesellschaftlichen Rahmen, in dem sich Trends abspielen. Solch einen Rahmen markieren zum Beispiel die Lebensstile, Einstellungen und Werte einer ganzen Generation. Anders ausgedrückt bildet ein Trend-Frame ein Lebensgefühl ab. Diesem Lebensgefühl stehen nun neue Trends gegenüber. Je besser diese Trends dem Gefühl entsprechen, desto größer ist die Trendkraft. Je größer die Trendkraft, desto größer der Erfolg und demnach auch desto länger ist die Lebensdauer eines Trends. - Die Hypothese, dass Phänomene authentisch sein müssen wurde auch bestätigt. Denn Trends, die die Attribute authentisch, ehrlich, cool aufweisen werden 339


FAZIT bevorzugt angenommen. Dies geschieht vor allem über die Entwicklung der Cores. Echte, authentische Trends werden durch Cores etabliert und durch Player verbreitet. Genau dieser Weg bietet das Prädikat: authentisch - die Trends müssen eine klare Herkunft besitzen. - Dass das Phänomen der selbstinitiierte Ästhetisierung der eigenen Existenz gerecht werden muss, also stets auch hohe ästhetische Anforderungen gerecht werden muss hat sich gezeigt, dass wir in einer Erlebnisgesellschaft leben, in der es vorwiegend um die Gestaltung des schönen Lebens geht. Mittlerweile wird das komplette Leben ästhetisiert. - Dass Phänomene, die sichtbar sind auch immer benennbar sein müssen, um in das Aufmerksamkeitsfeld der Mitläufer zu gelangen, hat sich anhand der Trendforschungsmethode „Naming“ bestätigt. Denn erst was benennbar ist, ist auch kommunizierbar. Mit allem was kommunizierbar ist kann man sich leichter identifizieren und so auch von anderen besser abgrenzen. Man nimmt so eine ganz klare Stellung in der Gesellschaft ein. Damit 340


also eine Subkultur aus ihrer Nische heraustreten kann, muss sie und das ganze Phänomen welches dahintersteckt auf sämtlichen Ebenen kommunizierbar gemacht werden. Je besser das Phänomen nach aussen hin kommuniziert werden kann, desto erfolgreicher wird es sich zu einem Trend manifestieren können.

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Das Manifest für Kreative lautet also: Er/Sie muss tief in den Untergrund gehen, dorthin wo die Trends entstehen. Dabei muss er jedoch stets die gesamtgesellschaftliche Situation im Auge behalten. Konkret bedeutet dies für ihn, er muss zwar tief in die Strukturen einer Subkultur vordringen, sie jedoch immer auch aus der Vogelperspektive überblicken. Bei dem Ergründen und Aufspüren von subkulturellen Bewegungen kommt es auf die richtige Selektion an. Diese Selektion kann er nun mit den zuvor definierten, hinreichend bestätigten Hypothesen auf ihr Trendpotenzial hin checken. Sie gelten quasi als eine Checklist für den Kreativen auf der Suche nach dem nächsten erfolgsverspechenden subkulturellen Trend, den man für sich und seine Produkte arbeiten lassen kann. Und je besser das subkulturelles Phänomen mit diesen Kriterien übereinstimmen, desto höher ist das Trendpotenzial.


SUBKULTURELLE Authentizität GEPAART MIT ÄSTHETIK, EINE BRISE REBELLION UND, GETOPPT MIT EINEM NONKONFORMEN

FAZIT


LEBENSGEFÜHL DAS KIND DANN NOCH BEIM NAMEN NENNEN UND VOILA HAST DU EINEN TREND


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Danksagung Ein herzliches Dankeschön gilt vor allem meinem betreuenden Professor Andreas Bechthold, sowie Professor Valentin Wormbs. Weiter möchte ich mich bei all den lieben Menschen bedanken, die mich stets mit Rat und Tat unterstützt haben. Allen voran bei meinem lieben Pa.

Eidesstattliche Erklärung Hiermit versichere ich, Nicole Wiggenhauser, dass die vorliegende Abschlussarbeit selbständig von mir verfasst wurde. Ich habe keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet.

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