style in progress 2/2022 – Deutsche Ausgabe

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SO LÄUFT’S

tr ansform the future

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s gibt nach wie vor viele Menschen, auch in der Modebranche, für die nur schwer greifbar ist, was jemand wie Viky Rader eigentlich macht – und die vor allem nicht anerkennen, dass es pures Unternehmertum ist. Wie beschreibst du dich selbst? Viky Rader: Unternehmerin, das trifft es. Die Arbeit eines Content Creators nicht anzuerkennen, ist ein sehr mitteleuropäisches Problem, in anderen Ländern ist man da weiter. Ich bin erst vor zwölf Jahren nach Deutschland gezogen, gebürtig bin ich aus der Ukraine. Ich habe als internationales Model, Freelance als Stylistin und als Personal Stylist gearbeitet. Eine Grundlage war aber wichtig, also habe ich Marketing studiert. Was mich aber nicht so sehr begeistert hat wie Mode und Haute Couture, diese Welt, diese tollen Kreationen, die Werte und Emotionen, die hier vermittelt werden. Das hat mich schon immer fasziniert. Ich habe immer für mich Skizzen gemacht, entworfen. Mit 25 Jahren bin ich dann auf die St. Martins School in London und schon damals war mir klar: Wer in Zukunft Erfolg haben will, muss seine Kunden auf den Displays ihrer Handys erreichen. Darüber hast du damals schon nachgedacht? Ja, verrückt, nicht – in Deutschland war man längst nicht so weit. 2011 habe ich dann zum ersten Mal ein eigenes Modelabel gegründet, zehn Teile, alles Leder. Die Agentur hat das super verkauft, aber ich war zu jung und habe zu schnell zu viel gewollt. Statt klein zu bleiben, habe ich plötzlich auf superexklusive Couture gesetzt. Das war in diesem Moment strategisch leider nicht gut genug durchdacht, ein Fehler, der mich viel gelehrt hat. Im Anschluss habe ich begonnen, mich mit Instagram zu beschäftigen. Ab 2014 hat man langsam absehen können, dass man daraus ein Businessmodel entwickeln könnte. Wie viele andere auch bin ich also erst mal mit einem klassischen Blog, Instagram und ein bisschen Youtube gestartet. 2015, als mein Sohn ein Jahr war, habe ich mir gesagt: Das kann ich auch ein bisschen größer und professioneller. Vikyandthekid, der Name, war purer Zufall. Wann hast du selbst gewusst, dass das etwas Großes werden könnte? Von Monat zu Monat habe ich mich stärker involviert, es hat mich wirklich reingezogen. Und irgendwann kam dieser Klick, dieses: Jetzt will ich es wissen. Mir war klar, dass ich mich auf internationales Parkett begeben muss, dass ich raus muss, und dass ich alles super professionell haben will – denn alle Dinge, die man zu locker nimmt, werden niemals groß. Auch nicht im kreativen Umfeld. Ich denke immer groß. Aber ich bin kreativ, heißt auch manchmal chaotisch. Ich habe tausend Ideen und jemand muss diese ein bisschen strukturieren. Gut, dass ich so ein tolles Team habe. Du warst Pionierin in einer völlig neuen Ära der Kommunikation. Ja, und es hat gedauert, bis man den Erfolg sehen konnte. Ich habe drei Jahre lang unglaublich viel Zeit und Energie investiert, habe ja auch noch eine andere Firma geführt, Glamometer. Mein Mann hat immer gesagt: Hoffentlich zahlt es sich irgendwann einmal aus. Aber das tut es heute: All mein Investment in Networking, die Präsenz auf den Fashion Weeks. Mir war immer wichtig, dass ich professionell liefere und immer noch eins draufsetze.

Bringt die Reichweite, die du heute hast, auch Verantwortung? Definitiv! Auch wenn es in der deutschen Sprache immer gleich so hart klingt, Influencer sind Beeinflusser. Es ist ja nicht so, dass wir nur irgendeinen Saft in die Kamera halten und viel Geld verdienen. Dahinter steckt ein ganzes Team, das sich Strategie, Shootings, Kampagnen, Budgets, Hashtags und einen genauen Launchplan überlegt. Es ist enorm wichtig, aber natürlich schwierig zu erklären für alle, die nur das fertige Bild sehen. Du bist heute die Marke, die du immer mit dir trägst. Ich passe sehr gut auf, was ich zeige, wie ich beeinflusse, und auch bei mir gibt es Dinge, die ich nicht zeige. Ist es wegen der engen Beziehung zu deinen Followern so wichtig, wen du als Kooperationspartner aussuchst? Ja, Glaubwürdigkeit ist die wichtigste Währung. Es gibt grundsätzliche Spielregeln: Wir zeigen die neuesten Trends, da muss ich immer up to date sein. Und wir wählen Marken aus, die zu mir passen – eine authentische Integration ist mir sehr wichtig. Dabei achten wir natürlich darauf, dem Markenkern und den Werten gerecht zu werden und diese emotional im Storytelling zu transportieren. Authentisch sein, hieß für dich im März auch, dich erstmals auch politisch zu äußern, über deine Wurzeln zu sprechen und deine Reichweite für Hilfsprojekte zu nutzen. Es war eine sehr schwierige Entscheidung für mich, mich so zu öffnen, aber ich glaube, es hat mir als Person im öffentlichen Licht eine ganz neue Bedeutung verliehen. Ich konnte meine Bekanntheit für die Ukraine-Hilfe nutzen. Gerade weil die Mode auch oberflächlich sein kann, war es immer schwer einzuschätzen: Wer ist der Mensch Viky wirklich – jetzt weiß man definitiv mehr über mich. Der Krieg bewegt mich so sehr, dass ich nicht stillhalten und nur zuschauen kann. Daher haben wir blitzschnell Hilfe organisiert, Charity-Projekte auf die Beine gestellt und die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge in München umgesetzt. Ich habe auch meine eigene Foundation VR-together gegründet. Es ist eine wirkliche Herzensangelegenheit für mich, zu helfen. Ist es wichtig, auch Emotion zu zeigen? Ich treffe viele Entscheidungen aus dem Bauch – zu Beginn der Corona-Pandemie war mir schnell klar, dass ich nicht mehr so viele Logos tragen möchte, dass es um einen anderen, zeitloseren Stil geht, nicht mehr so viel Show-off. Die Mode hatte sich davor auch wirklich überhitzt, es war alles sehr crazy, laut und bunt und hatte wenig damit zu tun, was Frauen wirklich tragen wollen. Diese instinktiven Entscheidungen und klar, auch mal Emotionen zeigen, sind wichtig. Denn meine Follower identifizieren sich ja mit mir als Person und haben ein Stück an meinem Leben teil. Einer Frage, der du dich ja heute nicht mehr nur als Botschafterin oder Co-Designerin für andere Marken näherst, sondern auch wieder mit deinem eigenen Label: Viky Rader Studio. Mit dem, was du in den letzten Jahren aufgebaut hast, hast du ein perfektes Vehikel, es auf moderne Art und Weise im Markt zu platzieren. Nach jeder Krise muss man wieder aufstehen und etwas aufbauen. Klar, die Zeit in den gemütlichen Hoodies und Sweaties war schön, ich habe das genossen, es war ein guter style in progress

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