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Auf den zweiten Blick logisch
Pakete packen für Zalando: Tip Tap Kinderschuhe aus Weilheim ist einer der ersten zehn Händler der Longtail-Kategorie, der an der Testphase teilnimmt.
„Schon viele Marken schaffen es nicht im Mobile Business Trafc für ihre Apps zu generieren, für kleinere Händler ist es eine unüberwindbare Barriere im App Store gefunden zu werden“, sagt Jan Bartels, Vice President Logistic Products von Zalando.
Zalando. AUF DEN ZWEITEN BLICK LOGISCH
Zalando will stationäre Händler nun von seinem Trafc protieren lassen und damit das eigene Lagerrisiko in den Griff bekommen. Das könnte sogar funkionieren. Text: Kay Alexander Plonka. Fotos: Zalando
Noch vor wenigen Monaten war es für viele undenkbar. Zalando in einem Boot mit dem stationären Fachhandel? Seit Mitte Dezember nimmt auch das Mannheimer Traditionshaus Engelhorn am Zalando Partnerprogramm teil. Gestartet ist die Zusammenarbeit im Ski- und Snowboard-Bereich und wird seitdem weiter auf das bestehende Sortiment ausgeweitet. Um zu erklären, wie es zu diesem schon auf den zweiten Blick logischen Kooperationsangebot kommen konnte, holt Jan Bartels, Vice President Logistic Products von Zalando ein wenig aus: „Früher haben wir ausschließlich Ware von Marken verkauft und selbst in unseren Lagern gehalten. Nachdem wir immer mehr Trac auf unserer Seite hatten, starteten wir unser Partnerprogramm mit derzeit über 170 teilnehmenden Marken wie u. a. Adidas, Mango, Hallhuber, Superdry und der Bestseller-Gruppe, welches mittlerweile in neun von 15 Ländern, in denen wir aktiv sind, angeboten wird. Dort nutzen wir in erster Linie den Trac, müssen nicht mehr jedes Produkt selber kaufen, lagern und vornanzieren. Das war damals ein erster Schritt vom reinen Onlinehändler in Richtung Plattform. Daraus resultierte dann im vergangen Jahr das ema Integrated Commerce. Stationäre Läden wie der Adidas Flagship oder die Bodycheck-Filialen hier in Berlin wurden tief in unsere IT-Landschaft implementiert. Wir kennen deren Bestände zu jedem Zeitpunkt und wissen, welche Modelle sie in welchen Farben und Größen im Store vor Ort haben, was mit hoher Sicherheit vorgibt, dass wir an den Kunden verkaufen können und so – auf Berlin begrenzt – Same Day oder Rush Delivery, also binnen der nächsten Stunde, ermöglichen können.“
Zusatzverkäufe Um diesen Service in Zukunft in ganz Deutschland, perspektivisch aber in allen Märkten bieten zu können, ist bei Zalando die Testphase mit kleineren Händlern aus der Longtail-Kategorie seit vergangenem Oktober in vollem Gange. Große Investitionen, ohne am Ende zu wissen, was dabei herauskommt, sind für die teilnehmenden Händler nicht erforderlich. Zalando bietet eine vergleichsweise unkomplizierte Prozessanbindung über das bereits vielfach verbreitete Gaxsys-System, bei dem morgens, mittags und abends Aufträge auf dem Smartphone oder dem Tablet des Einzelhändlers eingehen und er sich aussuchen kann, ob er den Schuh zum angeforderten Preis für Zalando verkaufen möchte, ohne seine Warenwirtschaft oder eigene Daten an Zalando weiterzugeben. Anfang Oktober startete die Zusammenarbeit mit zehn Schuhhändlern aus Deutschland, darunter Tip Tap Kinderschuhe aus Weilheim in Bayern, das Schuhhaus Fischer aus Esslingen und Schuh Nißl aus Markt Indersdorf. Doch, was sind die Beweggründe und Vorteile für inhabergeführte Läden, an der Unternehmenskooperation teilzunehmen? Alfons Nißl, Inhaber von Schuh Nißl, führt das Schuhgeschäft das 40 Kilometer von der Münchner Innenstadt entfernt liegt, welches sein Vater 1963 gegründet hat. Er sagt: „Wir erreichen damit Kunden, zu denen wir sonst niemals Kontakt hätten, und generieren damit wichtige Zusatzverkäufe. Denn immer mehr Stammkunden bleiben mittlerweile aus, weil online mehr Auswahl geboten wird. Unser großes Sortiment mit über 50 Marken, kann ich stationär nur noch Anbieten, weil wir seit mittlerweile sechs Jahren parallel über Amazon verkaufen. Seitdem können wir modisch viel mehr anbieten, wovon außerdem der stationäre Kunde protiert, weil wir weniger Risiko haben, auf dieser Ware mit hohen Abschriften sitzen zu bleiben. Mit Zalando zusammenzuarbeiten, ist unkompliziert, auch wenn alles noch manuell abgeglichen wird. Ohne die Zusammenarbeit mit den Onlineplattformen könnten
wir das Geschäft nicht mehr betreiben.“ Betrachtet man das immer stärkere Voranschreiten des Mobile Shoppings vom Smartphone oder Tablet via App, sind kleine Händler gut beraten, nur als Fullllment-Partner zu fungieren und das Investment in Reichweitensteigerung und personalintensive IT-Lösungen anderen zu überlassen, um so das Risiko durch die Teilnahme am Onlinegeschäft zu minimieren. Einzig die 100-tägige Rücknahmegarantie und die Versandkosten bleiben als Risiko, denn Kunden retournieren ihre Schuhe direkt an den Händler, von dem sie das Paket bekommen haben. Verpackungen und Druckeretiketten in einheitlichem Zalando-Look werden vom Berliner Onlineriesen bereitgestellt. Dass es für Zalando mit diesem Modell auch darum geht, das Lagerrisiko abzubauen und die Retourenquote in den Gri zu bekommen, streitet das Unternehmen gar nicht ab. Jan Bartels: „Es geht heute mehr denn je darum, zum richtigen Zeitpunkt das richtige Angebot zu machen. Online oder stationär? Das entscheiden die Kunden spontan und dierenziert. Wir testen heute schon Wege, wie der Handel der Zukunft aussehen könnte.“
Corporate Identity: Einzelhändler wie hier das Schuhhaus Fischer verschicken ihre Ware in Kartons im Zalando-Look.

Das Experiment Ein Kommentar von Stephan Huber
Der erste Feldversuch einer Zusammenarbeit von Zalando mit lokalen, stationären Einzelhändlern ist ein extrem spannendes Experiment. Es birgt große Chancen und ebenso große Risiken. Fan gen wir mit den Chancen an: Spätestens ab dem Moment, ab dem der langjährige Gottseibeiuns des Fach handels über sein System Partnern in der unmittelbaren Umgebung des bestellenden Kunden eine „Vorfahrt“ einräumt, kann das eine Frequenzsteigerung im Shop selbst bewirken. Sehr viele Onlinekäufer werden nämlich die Möglichkeit wahrnehmen, die mit dem Bestellvorgang systemimmanent möglichen Mühseligkeiten zu vermei den, wenn sie wissen, dass das von ihnen gewünschte Produkt um die Ecke in einem vielleicht ohnehin geschätzten Laden unverbindlich für sie bereit liegt. Im Idealfall ergibt sich aus dem Besuch im Laden ein entsprechendes Anschluss geschäft. Mindestens aber die Chance auf überzeugende Beratung und Serviceleis tung. Weitergedacht kann also ausgerechnet Zalando zu einer Belebung der Orts zentren und Einkaufsstraßen beitragen. Umgekehrt kann der stationäre Handel einem Kunden ein eventuell in der gewünschten Farbe oder Grö ße nicht (mehr) lagerndes Teil wesentlich einfacher und schneller organiseren, als es mit den meisten aktuellen Angeboten möglich ist. Weil die Berliner nicht nur die dafür notwendigen Tools, sondern vor allem die entsprechende Logistik bie ten können. So könnten (ich schildere den theoretischen Idealfall) Engpässe und Überhänge in einem Kreis lauf ausgeglichen werden. Um derlei positive Effekte zu erreichen, wird es darauf ankommen, wie Zalando den Begriff Partnerschaft definiert. Nur wenn die teilnehmenden Händler mit dem Modell auch wirklich zufrieden sind, ist eine entsprechende Dichte des Netzes erreichbar. Für viele potenzielle Partner wird man das bestehende Modell seiner „Integrated Commerce Initiative“ auch noch ent sprechend adaptieren müssen. Ein erfolgreicher Shop, der vor Ort und für seine Zielgruppe selbst Marke ist, kann kein Interesse daran haben, Päckchen mit Zalan do-Branding zu verschicken. Nun zu den Risiken: Kritiker warnen nicht unbegründet davor, dass es Zalando letztlich nur darum geht, das aktuell enorme Lager risiko auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Das war und ist ohne jede Frage eine ganz wesentliche In tention. Niemand sollte davon ausgehen, dass altruistische Motive vorherrschen. Wesentlich bedenkenswerter ist die enorme Macht, die das Unternehmen zusätz lich generieren würde, wenn dieses Modell so richtig ins Laufen kommt. Macht gegen über den Lieferanten, gegenüber Mitbewerbern, letztlich auch gegenüber den Partnern und den Endverbrauchern. Diese Machtkonzentration bei wenigen Onlineplay ern findet aber aktuell so oder so statt. Im Vergleich zu Amazon oder Alibaba ist Zalando ein kleiner Fisch. Fun Fact, aber eigentlich mittellustig: Alibaba hat nur am Single Day 2016 Be stellungen im eigentlich schon grotesken Umfang von 16,3 Milliarden US-Dollar eingefahren. Diese Machtkonzentration, und davon ist ja nicht nur der Onlinehandel betroffen, ist eine Herausforderung für die Politik. Zalandos Schritt in die physische Erlebbarkeit oder, wie ich es ausdrücke, in die Zone der Herzensbildung, wieder um eine Herausforderung für die gesamte Modebranche. Mit Chancen und Risiken.
