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Ein neuer Weg

Ein neuer Weg

Bedarfskauf war gestern – heute ist die Modebranche ein Teil der Unterhaltungsbranche. Statt Quadratmeterumsatz zählt das Erlebnis pro Quadratmeter. Wie kann der Kunde am besten unterhalten werden? Und wie verschafft man ihm Glücksmomente? Text: Ina Köhler. Fotos: Gesprächspartner. Illustration: Claudia Meitert@Caroline Seidler

Ein Auszug aus dem Entertainmentprogramm des Handels gefällig? Ansons veranstaltet „Männerabende“ in den Filialen: Das reicht vom BMW-Probesitzen über eine Runde Playstation bis hin zum Turnier mit Tischkicker-Weltmeister Chris Marks. Es sind nicht die Einzigen, die ihre Kunden mit Unterhaltung locken: Tango tanzen, Segeln, Snowboarden, Kart-BahnFahren, Designer-Interviews, Konzerte und Lesungen, SwapEvents, Autogrammstunden oder das Live-Tattoo-Studio. Die Agenda des stationären Einzelhandels liest sich an mancher Stelle wie das Programm des lokalen Stadtmagazins. Doch für den Erfolg beim Publikum gelten einige Regeln. Bewährt hat sich eine gute Mischung aus Service, Events und nicht zuletzt Exklusivität. Kurzfristig Aufmerksamkeit schaen und damit langfristig die Community binden. Und hier kann die Branche von anderen lernen. In der Gastronomie und Hotellerie gilt der Leitsatz: „Customer rst!“ Von dieser Form der Kundenzentriertheit könnte man sich eine ganze Menge abschneiden. Viel zu lange war der Einzelhandel nur auf den Verkauf des Produkts fokussiert. Dabei geht es um den Wow-Moment, in dem der Kunde von der Inszenierung der Auslage, dem sensationellen Duft im Store, der besonderen Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wird, überrascht wird. Das alles kreiert nicht alltägliches Shoppingglück und entführt ihn für einen Moment in eine andere Welt. Für die er als Gesamtpaket bereit ist, mehr als für ein schnödes Produkt zu zahlen.

Unterhaltung pur Nicht umsonst schießen zurzeit alternative Shoppingideen aus dem Boden. In Düsseldorf haben die Jungunternehmerinnen Tugçe Çakir und Ninja Benkelmann ihr „Pop-up Now Festival“ etabliert, das gleich zwei Trends aufgreift: ein Marktplatz, der aus mehr als aus einer reinen Produktpräsentation besteht, und der temporäre Showroom-Charakter. Das Konzept ist schnell erklärt: An zwei Tagen arrangieren sie einen bunten Mix aus lokalen und internationalen Modelabels, Accessoires und Lifestyleprodukten, die direkt gekauft oder geordert werden können. „Uns macht es Spaß, Produkte zu entdecken, die wir so nicht kennen und die nicht jeder hat“, erzählt Tugçe Çakir. „Wir wollen sie in einer besonderen Atmosphäre zeigen.“ Die letzten Male waren sie bei der Kommunikationsagentur Grey zu Gast am „Platz der Ideen“. Zwei Partner, die voneinander protieren: Beiden geht es um Kommunikation mit den Kunden und um Kreativität. Wie der Name „Festival“ signalisiert, steht bei Pop-up Now die Unterhaltung mit appetitlich arrangiertem Street Food und dem Open-Air-Konzert am Abend im Vordergrund. Rund 3.500 Gäste besuchten das Festival, es scheint genau den Nerv der Shopping-Community zu treen.

Regel Nummer eins: Am Ort des Geschehens bleiben „Der Trend geht momentan dahin, Events dort stattnden zu lassen, wo die Ware ist und dies mit Content zu verknüpfen“, erläutert Alexandra Iwan, Inhaberin der Düsseldorfer Agentur Textschwester. Sie veranstaltet zahlreiche Presse-Events für Stores wie Breuninger, Karl Lagerfeld, Calvin Klein, La Martina oder den Verein Fashion Net Düsseldorf e.V. „Als Kunde

Alexandra Iwan, Agentur Textschwester, Düsseldorf „Letztlich stehen der Kunde und sein Erleben im Mittelpunkt. Viele fahren allerdings noch eine Architektur des werblichen Frontalangriffs und das nde ich megaout.“

Tugçe Çakir, Pop-up Now Festival, Düsseldorf

„Uns macht es Spaß, Produkte zu entdecken, die wir so nicht kennen und die nicht jeder hat. Wir wollen sie in einer besonderen Atmosphäre zeigen.“

Karl Reyer, Sport & Mode Reyer, Hallein

„Die Idee dahinter ist, immer wieder neue Geschichten zu erzählen. Das Lab existiert seit Mai 2016 – alle vier bis sechs Wochen gibt es ein neues Experiment.“

kannst du die Ware gleich anfassen, ausprobieren und kaufen. Und es sollte eine Art Stargast dabei sein – das können Prominente sein oder eben der Designer, der die Kollektion erklärt.“ emen wie diese realisieren beispielsweise Tommy und Vanessa Baroni-Wieler, die sich mit ihrer Agentur Another Souvenir auf Accessoires fokussiert haben. Sie planen mit ihren Händlern gezielt Aktionen vor Ort. „Wir bieten die Möglichkeit an, Accessoires im Store individualisieren zu lassen“, erzählt Tommy Wieler. So können z. B. auf Handyhüllen von Wood’d Namen und Sprüche direkt aufgedruckt und mitgenommen werden. „Eine Topaktion, das kann man online so nicht realisieren“, erzählt Tommy Wieler. „Wir forcieren solche Aktionen im Einzelhandel – es ist wichtig, um sich abzugrenzen, bringt Entertainment und Spaß. Und letztlich hilft es dem Kunden, das Produkt besser zu verkaufen.“

Regel Nummer zwei: Überraschungsmomente Der Grundsatz, den Kunden mitten im Geschehen abzuholen, passt auch recht gut zum Konzept von Karl Reyer in Salzburg, der im Mai 2016 sein 300 Quadratmeter großes Reyer-Lab ins Leben gerufen hat. „Wir hatten eine Fläche, die wir neu bespielen mussten, weil sie nicht mehr optimal funktioniert hat. So sind wir auf die Idee gekommen, den Raum anders zu nutzen“, erzählt er. „Die Idee dahinter ist, immer wieder neue Geschichten zu erzählen. Das Lab existiert seit Mai 2016 – alle vier bis sechs Wochen gibt es ein neues Experiment“, erläutert Reyer. Und es soll sich nicht nur um Mode drehen, sondern auch um andere Lifestylethemen – immer anders und ungewöhnlich inszeniert, gerne auch in Kooperation mit externen Partnern. Ob eine Ski-Story mit Black Crows, die visuelle Inszenierung des Indian Summer bis hin zur Geschichte rund um das weiße Hemd der Designerin Lis Lereida, die dafür eigens einen Film produzierte: Im Lab ist Platz für vieles, gerne auch für Kunst und Kulinarisches, wie Reyer erzählt. „Das fordert uns natürlich – es gibt keinen Tag, an dem wir nicht darüber reden, man muss dauernd dranbleiben. Unterhaltung, Produkte und letztendlich auch die Kommunikation müssen stimmen – jeder einzelne Mitarbeiter sollte motiviert sein, die Geschichten weiterzuerzählen und sich einzubringen.“

Regel Nummer drei: Die Ansprüche der Kunden übertreffen Gerade im Premiumsegment spüren viele Händler, dass sie es mit einem informierten Gegenüber zu tun haben, dessen Erwartungshaltung sich in den vergangenen Jahren gesteigert hat. „Die Ansprüche der Kunden und Endverbraucher haben sich vertausendfacht“, bestätigt Alexandra Iwan. „Mit Sicherheit gibt es heute viel mehr Events im Handel als früher und es spielt sich mehr Leben auf der Fläche ab. Damit steigen inhaltlich die Ansprüche: Kein Event mehr ohne Fotoaktion, dicke Goodie Bags oder tolles Essen, das dich verführt. Dabei muss es nicht immer Champagner sein. Wenn etwas mit Liebe gemacht ist, wird es in der Regel sehr geschätzt.“ Champagner war dann allerdings beim Gourmet-Festival, das Engelhorn in Mannheim für seine Kunden im Oktober inszenierte, schon ein ema. Eine Vorbereitungszeit von sechs Monaten war notwendig, um die Veranstaltung mit zehn Sterneköchen und 40 Spitzenwinzern zu realisieren. „Wichtig ist bei einem solchen Event erstens die gute Idee, aber auch die zielgruppenspezische Ansprache und nicht zuletzt ausreichend Vorlauf für die Organisation von allen beteiligten Abteilungen und externen Partnern“, meint Mario Porst, Leiter Marketing der Engelhorn Unternehmensgruppe. Was ihm persönlich besonders viel Spaß bereitet, sind „Veranstaltungen, die Menschen in einer besonderen Atmosphäre zusammenbringen, und Veranstaltungen, die verschiedene emenbereiche verknüpfen, wie beispielsweise Mode und Gastronomie“. Natürlich ist es nicht für jeden Store möglich, eine Aktion in dieser Größenordnung auf die Beine zu stellen, aber es zeigt, worum es geht: Frequenz durch Aufmerksamkeit und Unterhaltung zu schaen.

Mario Porst, Engelhorn Unternehmensgruppe, Mannheim

„Spaß machen Veranstaltungen, die Menschen in einer besonderen Atmosphäre zusammenbringen, und Veranstaltungen, die verschiedene Themenbereiche verknüpfen, wie beispielsweise Mode und Gastronomie.“

Bernd Deuter, Reischmann, Ravensburg

„Der stationäre Handel hat die einzigartige Möglichkeit, Produkte emotional aufzuladen. Wir versuchen, dies intensiv zu leben. Produkt, Ware, Beratung und Atmosphäre müssen zusammenspielen

Franziska Kuczmera, Bleibtreu Store, Berlin „Am Ende muss jeder seine eigene Sprache nden, die zu ihm und seinem Laden passt.“

Regel Nummer vier: Den Kunden kennen „Das Produkt wird im Prinzip immer austauschbarer“, sagt Bernd Deuter, Leiter Marketing bei Reischmann. „Der stationäre Handel hat allerdings die einzigartige Möglichkeit, Produkte emotional aufzuladen. Wir versuchen, dies intensiv zu leben. Produkt, Ware, Beratung und Atmosphäre müssen zusammenspielen. Wir wollen vom Schaufenster bis zum PoS Geschichten erzählen und damit Emotionen wecken. Ein wichtiges Tool ist unsere Kundendatenbank, die wir seit vielen Jahren sehr konsequent pegen und über die wir unsere Kunden ganz direkt ansprechen können und gezielt zu unseren Events einladen.“ In seinem Haus ist er zusammen mit einer Eventmanagerin für eine ganze Reihe von Aktionen verantwortlich. Mit am aufwändigsten ist die exklusive Modenschau für rund 400 bis 500 Kunden. Gerade die Abendveranstaltungen seien wichtig für die Kundenbindung, so Deuter. „Man will dort ganz in Ruhe ausprobieren, einkaufen und zusammen mit seinen Freunden eine gute Zeit haben. Ein richtiges Shoppingerlebnis in entspannter Atmosphäre: Das macht den Kunden glücklich.“ Aber auch im Alltag haben sich die Reischmann-Filialen an ihren jeweiligen Standorten als Trepunkt etabliert. „Wir wollen, dass unsere Gäste sich wohl fühlen und holen sie ab, z. B. mit kleinen Gesten wie Macarons oder einem Espresso. In den Städten, in denen wir mit Häusern vertreten sind, sind wir dadurch zum wichtigen Anlaufpunkt für einen Einkaufsbummel geworden.“ Man muss seine Community schon sehr gut kennen, um sie ganz gezielt mit Aktionen zu locken. „Ein zentrales Element ist die Zielgruppe und damit die Gästeliste“, meint auch Alexandra Iwan. „Ein weiterer wichtiger Faktor ist die durchlaufende Berichterstattung vorher, während des Events und in der Nachberichterstattung. Letztlich musst du mit deinem Event zum ‚Talk of the Town’ werden.“

Regel Nummer fünf: Lebe mit deiner Community Das gilt ganz besonders, wenn man neu in der Stadt ist. Den Store Sailor & Harbour gibt es erst seit März 2016 in Bremerhaven. Mit seinem Sortiment aus Herren- und Maßkleidung muss er in der Küstenstadt noch auf sich aufmerksam machen. Dafür ist Max Pohl im Marketing verantwortlich: „Als Erstes haben wir eine Tour mit Segway-Rollern durch den abendlichen Hafen realisiert. Das hat allen richtig viel Spaß gemacht und das bleibt letztlich beim Kunden im Kopf hängen.“ Etwa alle drei Monate steht ein Event auf dem Plan – vom Bier-Tasting mit einem lokalen Brauer bis hin zu größeren Aktionen. Fürs Frühjahr ist ein Segeltörn auf dem restaurierten Zweimaster Ella in der Pipeline – wieder nur für eine ausgewählte Schar von Kunden und Opinionleadern. „Exklusivität durch Begehrlichkeit. Am Ende muss der Kunde sich ‚special‘ fühlen, wenn er eingeladen wird“, meint Pohl. Individualismus zählt auch für Franziska Kuczmera, die sich in Berlin eine treue Community rund um ihren Bleibtreu Store in Wilmersdorf geschaen hat. „Warum sollte ich nicht meine privaten Ideen ins Business übertragen? Ich verfüge über ein gutes Netzwerk, erarbeite Ideen und feile diese aus.“ Es sind viele kleine Puzzlestücke übers Jahr verteilt – vom Tangoabend über Lesungen, das Kalender-Shooting, die Farbberatung oder eine Adventsausstellung. Keine spektaktulären Aktionen, aber immer individuell abgestimmt. Wichtig ist ihr der enge Kontakt und das prägt ihr Motto: „Ich bin immer nur so gut wie meine Kundinnen.“ Über die Jahre hinweg haben diese ihren Mut und ihre Ideen durch regelmäßige Frequenz und Kaufbereitschaft belohnt. „Das geht eben auch nur, weil sie den Weg mitgehen und durch ihre Treue den Weg dazu bereitetet haben und auch immer wieder bereiten“, meint sie. „Am Ende muss jeder seine eigene Sprache nden, die zu ihm und seinem Laden passt.“

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