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Tanz der Neuronen

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Ein neuer Weg

Ein neuer Weg

Beim Einkaufen geht es gar nicht um rationales Abwägen von Kosten und Nutzen. Wissenschaftler stellen fest: Einkaufen kann wehtun – oder dafür sorgen, dass man sich gut fühlt. Für den Handel ergibt sich daraus eine Fülle von Möglichkeiten. Text: Petrina Engelke. Illustration: Claudia Meitert@Caroline Seidler

Der amerikanische Einzelhandel blickt in die Röhre. Buchstäblich: Da rollen Menschen zum Einkaufen in futuristischen Röhren und hinter einer Glasscheibe warten Wissenschaftler darauf, dass auf Monitoren etwas bunt aueuchtet. Verfahren wie funktionelle MRI gehören zum Standard bei einer Forschung, die unter dem Oberbegri Neuroeconomics läuft: Neurowissenschaftler, Psychologen und Marketingforscher enträtseln gemeinsam, wie Menschen zu einer Entscheidung kommen – zum Beispiel beim Einkaufen. Mit einem Blick auf die Hirnaktivitäten können diese Forscher erstaunlich präzise voraussagen, ob jemand zugreifen wird oder nicht. Mit der Studie „Neural Predictors of Paying“ machte das Phänomen des „pain of paying“ (Schmerz des Bezahlens) im Jahr 2007 Furore. Für die Gemeinschaftsstudie dreier US-Universitäten bekamen Versuchspersonen in einer MRI-Röhre Produktfotos gezeigt. Dabei sahen die Forscher Hirnteile aktiv werden, die für Vorfreude und Genuss stehen. Je mehr Aktivität aueuchtete, desto wahrscheinlicher war es, dass die Versuchsperson Sekunden später den Kaufknopf drückte.

Einkaufen, bis es wehtut Dann zeigten die Forscher ihnen den Preis. Plötzlich wurde eine Hirnregion namens Inselrinde (Insula) aktiv – sie leuchtet üblicherweise bei emotionalem Stress auf. Je stärker das Signal war, desto eher ließen die Versuchspersonen die Finger vom Kaufknopf. Kurz gesagt: Wir kaufen ein, bis es wehtut. Mit den Hirnsignalen wiesen die Forscher zudem nach: Nicht rationale Erwägungen, sondern

Gefühle bestimmen Kaufentscheidungen. Als dieser junge Forschungszweig vor etwa zehn Jahren entstand, löste er ähnliche Sorgen vor Missbrauch aus wie seinerzeit die Verbindung von Psychologie und Ökonomie. Doch schon damals hat sich weder das Märchen von der unterschwelligen Werbung bewahrheitet, noch bewegen sich Hände wie ferngesteuert auf das teuerste Produkt zu, nur weil das Verkaufsdisplay nach psychologischen Erkenntnissen aufgebaut wurde. Die meisten Forscher der Neuroökonomie achten allerdings darauf, ihre Ergebnisse aus der Perspektive der Kunden zu formulieren – den Menschen soll es gutgehen, auch beim Einkaufen. Elizabeth Dunn, Koautorin des Buchs „Happy Money“, empehlt etwa, Bezahlen und Genießen zeitlich auseinanderzuziehen: Eine Monate vor dem Urlaub bezahlte Reise mache lange glücklich, sagt sie. Die Forschungsergebnisse, die Dunn zu diesem Verbrauchertipp destilliert, lassen auf Seiten des Handels plötzlich Abonnementmodelle und Vorbestellungen in einem ganz anderen Licht erscheinen. Überhaupt zeigt sich: Glückliche Kunden und eine klingelnde Kasse erweisen sich als starkes Team. Allerdings darf die Kasse dabei nicht hörbar klingeln.

Wie Läden den Schmerz lindern können In den USA haben einige Modehändler es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, ihrer Kundschaft die schmerzliche Erfahrung beim Bezahlen zu ersparen. Das Kassenpersonal bei der Kaufhauskette Von Maur ebenso wie beim Discounter Century 21 beginnt sofort ein Gespräch, das den Kunden vom Finanziellen ablenkt, nimmt ihm die Kreditkarte ab, damit er sie nicht selbst zum Glühen bringen muss, und legt den Bon direkt in die Einkaufstüte. Wer sich dort einkleidet, darf sich ungestört an der neuesten Mode ergötzen, quasi an der Insula vorbei – er merkt ja kaum, dass er bezahlt. Dem schmerzlichen Abschied vom Geld steht eine helle Freude an Preisnachlässen gegenüber. Eine Zahl hat dabei die größte Magnetwirkung: die Null. Das stellten Forscher der Universität von Minnesota in einem Ladenexperiment fest. Mit dem Versprechen eines Bonustöpfchens verkauften sie 73 Prozent mehr Handcreme als mit einem gleichwertigen Preisnachlass. Das brachte viele US-Läden dazu, ihre Kunden mit der Aussicht auf ein kleines Geschenk zum Kauf zu verlocken. Das schmerzlindernde Schnäppchen funktioniert zudem oenbar auch mit Worten. In einer Studie der Carnegie Mellon University bekamen potenzielle DVD-Besteller entweder eine „5 Dollar Versandgebühr“ oder eine „kleine 5 Dollar Versandgebühr“ angezeigt. Die Forscher hatten die Versuchspersonen zuvor auf einer Skala zwischen „Verschwender“ und Geizkrägen“ angesiedelt. Das Wort „klein“ veranlasste 20 Prozent mehr Geizkragen zu einer Bestellung. Doch in Forscheraugen kann es auch gefährlich werden, das Einkaufen so schön einfach zu machen. 2009 entdeckte ein Team der Universität Richmond einen Zusammenhang zwischen Onlineshopping und Kaufsucht: Menschen mit einer Tendenz, Haus und Hof zu verjubeln, so scheint es, haben gegen die Verlockungen des Einkaufs im Internet kaum eine Chance.

Emotionale Vorteile des stationären Handels Da sieht es glatt so aus, als seien Menschen nicht etwa rationale Einkäufer, sondern Opfer einer vergeblichen Suche nach dem Glück. Doch das ist sie gar nicht für alle Menschen. Kürzlich stellte sich etwa heraus, dass Frustshoppen tatsächlich wirkt (siehe Interview). Und auf die emotionale Wirkung kann sich der stationäre Handel an vielen Punkten besser einstellen als der Onlinehandel. Denn im Laden kann man zum Beispiel das Glück in die Hand nehmen. Bereits 2009 stellten Suzanne Shu und Joanne Peck in einer Studie fest, dass Menschen durch das Anfassen eine emotionale Verbindung zu einem Produkt aufbauen – und es sozusagen schon fast als ihr Eigentum betrachten. Dann kann der sogenannte Endowment Effect eintreten: Erwiesenermaßen schätzt man Dinge mehr, wenn man sie besitzt. Was anprobiert wurde, hat deshalb eine größere Chance, gekauft zu werden. Aus diesen Ergebnissen folgen einladende Umkleidekabinen, hilfsbereites Personal und anfassfreundlichere Verpackungen und Displays. Da kann der stationäre Handel seine Karten voll ausspielen. Das muss er auch. Denn der Onlinehandel versucht inzwischen, den Mechanismus nachzuahmen: Vorreiter haben den Bezahlbutton verschwinden lassen und durch ein Produktfoto ersetzt – Anfassen gleich Kaufen! Auch das Anprobieren lässt sich simulieren. Der Brillenhändler Warby Parker etwa lässt Kunden Fotos hochladen und zeigt ihnen dann die ausgewählte Brille auf der eigenen Nase. Das wirkt und es macht Spaß. Spaß beim Einkaufen ist aber nicht das Einzige, was ein Menschenhirn zum Kaufen verleiten kann. Ebenso hilfreich ist die Abwesenheit von Stress und Unglück. Als erheblicher Stressfaktor hat sich Kleidung erwiesen, die nicht passt. Das sogenannte Vanity Sizing vieler Marken, eigentlich als Schmeichelei gedacht, ist oft eine wahre Spaßbremse in der Umkleidekabine. Bei der einen Marke schlackert Größe 34, bei der anderen geht der Knopf bei 38 gerade zu. Gut geschultes Personal kann solchen Frust verhindern oder anders ausgedrückt: Bei Entscheidungen helfen, mit denen die Kundschaft auch zu Hause noch glücklich ist.

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