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Wir brauchen Bestleistung

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Ein neuer Weg

Ein neuer Weg

Mit der Order fängt alles an. Es gilt, die neue Saison zu planen, mit Vorfreude auf spannende Kollektionen und Neuentdeckungen, die es auf Messen und in Showrooms zu sichten gibt und die uns im besten Fall wahrhaft das Herz aufgehen lassen. Der Modeeinkauf sollte nichts weniger als der emotionale Höhepunkt sein; der schönste Moment – der noch dazu wesentlich ganz über Erfolg und Misserfolg im Verkauf entscheidet. Dagegen steht heute viel, was die Laune zu vermiesen droht. Wachsende Reglementierungen und Mindestordervorgaben auf Lieferantenseite, die mitunter zu faulen Kompromissen und nicht selten zu noch mehr Abschriften führen. Marken, die immer stärker auf die eigenen Stores setzen, nachdem sie jahrelang im Multilabelhandel aufgebaut worden sind. Dazu das rasante Onlinewachstum in einem sich im Zeitraer wandelnden Markt. „Dass manchen Händlern der Spaß vergangen ist, ist eine Konsequenz des großen Wettbewerbs, in dem wir alle heute stehen“, sagt Andrea Canè, Creative Director Woolrich. „Heute haben die Konsumenten unglaubliche Auswahlmöglichkeiten, nicht nur bei den Produkten, sondern auch in Bezug auf Qualität, Preisgefüge, Fertigung sowie wo sie etwas

Der Einkauf ist die Königsdisziplin des Handels und die richtige Sortimentszusammensetzung wird künftig immer entscheidender. Umso wichtiger ist es, dass die Order auch Spaß macht – doch genau der scheint in den letzten Saisons mehr und mehr auf der Strecke geblieben zu sein. Wie kommen wir nun zum Spaß zurück? Text: Nicoletta Schaper. Illustration: Claudia Meitert@Caroline Seidler. Fotos: Gesprächspartner

kaufen können. Dank E-Commerce konkurrieren die Händler nicht nur untereinander in derselben Stadt, sondern auch auf internationalem Niveau. Das erhöht natürlich noch den Druck.“ Alles gibt es überall in allen Preislagen – was wiederum zeigt, wie vergleichbar die Mode geworden ist. Ist das Zara? Oder doch Chanel? Das lässt sich immer schwerer feststellen, weil auch die Billigproduktion enorm aufgeholt hat.

Raus aus der Vergleichbarkeit

Kaspar Frauenschuh kennt das Business von Grund auf, er verkauft heute nicht nur seine eigene Luxuskollektion an 100 ausgewählte Handelskunden weltweit, sondern führt seit 1974 sein Multilabelgeschäft in Kitzbühel. Die goldenen Jahre im Luxussegment mit Prada, Gucci, Dolce & Gabbana und Issey Miyake hat er nicht nur miterlebt, sondern auch mitgeprägt. „Diese Designer haben vor allem in den 1980ern, auch Anfang der 1990er-Jahre die Welt verändert. Es war leicht, Mode zu verkaufen“, so der Österreicher. „Jede Kollektion hatte ihre starke Aussage und war auf ihre Weise unvergleichli ch. Die Leute wollten auch gar nichts anderes.“ Dann wurden die Kollektionen größer, von der High Fashion übers Parfüm bis hin zum Hundehalsband. „Wir Händler haben bei dieser Entwicklung zu lang zugeschaut. Wir in Kitzbühel haben gedacht, dass die Kunden bei uns in Urlaubslaune dennoch kaufen würden, obwohl sie im November bereits den ersten Sale im Prada-Store hinter sich hatten“, so Kaspar Frauenschuh. „Auch heute haben wir keine Chance, wenn mit derselben Kollektion 14 Tage zuvor die namhaften Onlineshops beliefert werden und dann erst wir.“ Kaspar Frauenschuh hat die Reißleine gezogen und für sich den Weg aus der Vergleichbarkeit gewählt. „Erst als wir uns von einigen großen Luxusmarken verabschiedet haben, ist es mit uns wieder bergauf gegangen, das hat uns die Freiheit und auch die Liquidität zurückgegeben.“ Vor allem ist Kaspar Frauenschuh damit wieder zu dem zurückgekehrt, was ihn früher stark gemacht hatte. „Wir brauchen nicht von jeder Kollektion 1.000 verschiedene Teile, sondern nur Bestleistung. Die starken Teile, die brauche ich, und nicht zur Toptasche noch etliche weitere Taschenmodelle, nach denen ich nicht gefragt habe und zu denen ich auch nicht stehe. Sobald eine Kollektion zu groß wird, ist sie für mich uninteressant.“

Konzentration

Wer sich abheben möchte, muss sich konzentrieren, das hat auch Gabriele Mensing für ihr Geschäft Baltzer Moden erkannt. „Dann kommt auch wieder die Spannung zurück“, sagt sie. „Auch die Marken sollten nicht versuchen, alles abzudecken, sondern sich mehr auf ihre Zielgruppe konzentrieren. Umso überzeugender sind sie auch.“ Ihr Modegeschäft im

Kaspar Frauenschuh, Inhaber Kaspar Frauenschuh, Kitzbühel: „Wir brauchen nicht von jeder Kollektion 1.000 Teile, sondern nur die Bestleistung.“

beschaulichen Marburg ist in einer 200 Jahre alten, ehemaligen Drogerie untergebracht, wo die alten Möbel in Kombination mit neuen plus der Mode dazu ein ganz eigenes Flair kreieren. „Die Kunden werden ruhig bei uns, sie suchen das Gespräch und erfahren gern etwas über die Mode, über Trendscouting, Cashmere-Gewinnung oder wie das Garn gefärbt wird“, sagt Gabriele Mensing. „Für mich muss eine Marke erzählbar sein. Wenn wir Lebensgefühle verkaufen, müssen wir sie auch leben können. Doch manchmal fehlt mir die Information und die Transparenz im Showroom. Es kann nicht sein, dass der Kunde gerade im Luxusbereich einen hohen Preis bezahlt, ohne zu wissen, warum.“ Ebenso solle die Industrieseite den Handel stärker unterstützen, wenn es zum Beispiel um Nachlieferungen geht, so Gabriele Mensing. „Oft müssen wir im Handel schnell reagieren. Eine Plattform wie B2B ist da sehr hilfreich. Doch wenn die Ware nicht mehr verfügbar ist, versteht der Endkunde nicht, wieso er im B2C die Ware online kaufen kann, der Handel sie aber nicht mehr im B2B abrufen kann. Da gibt es noch Handlungsbedarf.“ Am besten funktioniert für sie die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit besonders exiblen Kleinunternehmen, bei denen Design und Vertrieb eng zusammenstehen. Kaspar Frauenschuh hat für seinen Store mehrere Anforderungen festgelegt, die alle bei ihm geführten Kollektionen erfüllen müssen. „Die Unternehmen müssen familiär geführt sein, mit einem selektiven und exklusiven Vertrieb eines Produkts, dessen Design authentisch ist“, so Frauenschuh. „Auch ökologische Aspekte und artgerechte Tierhaltung zum Beispiel bei der Wollgewinnung ist den Konsumenten wichtiger, als wir das in der Modebranche glauben. Darüber hinaus muss die Kleidung unseren hohen Ansprüchen in Komfort und Qualität genügen. Auch, unter welchen Bedingungen an welchem Standort produziert wird, ist für uns ganz wesentlich: nämlich mit Respekt vor den Menschen. Da, wo eine Kollektion alle genannten Kriterien erfüllt, sind beide Seiten mit Spaß dabei. Allerdings müssen wir nach solchen besonderen Lieferanten immer mehr suchen.“ Gabriele Mensing plädiert für die Zusammenarbeit zwischen Handel und Lieferanten für mehr Oenheit. „Der Vertrieb sollte auch zwischen den Messen auf uns zukommen, eine gewisse Neugier für den Kunden setze ich voraus“, so Mensing. „Mir geht es dabei auch um den

André Berger, Inhaber Handstich: „Wenn alle auf alles setzen, stellt sich für mich die Frage, ob der gleiche Weg von allen für mich nicht der falsche ist.“

Gedankenaustausch, aber oft ist dafür die Vertriebsseite zu unbeweglich.“ Auch mehr Ehrlichkeit auf beiden Seiten ndet sie wünschenswert. „Wenn eine Kollektion eine Saison mal nicht überzeugt, ist mir das oene Wort im Face-to-Face-Gespräch schon wichtig, beispielsweise wenn mir der Agent sagt, dass er einen anderen Händler in der Stadt beliefern möchte. Unehrlichkeit hilft da keinem weiter. Nimmt er sich dagegen die Zeit, mir gut zuzuhören, probiere ich auch mal eine neue Kollektion aus – nicht zuletzt, weil es mir dann leichter fällt, Vertrauen zu fassen.“

Dialog

Die Jackenkollektion G-Lab wurde vor sechs Jahren von Björn Gericke ins Leben gerufen und setzt auf die eigene Handschrift. „Was der Endkunde tatsächlich fordert, sind neue Erlebnisse, individuelle Sortimentsgestaltung und emotionale Einbindung“, so Björn Gericke. „Damit beschäftigen wir uns ja als Marke, wenn wir ein Produkt kreieren – wir denken an den Menschen, der die Marke trägt. Um das zu erreichen, sollten Marke und Handel wieder stärker in den Dialog treten und gemeinsam um den Erfolg kämpfen. Mit einigen Handelskunden leben wir das genauso, in unterschiedlichsten Formaten. Dafür bringen wir uns ein, beispielsweise indem wir an einem Samstag als Fashion Proler beim Kunden die Warenpräsentation oder das Shop Window kuratieren und auch, indem wir Produktschulungen anbieten. Gleichzeitig wünschen wir uns natürlich auch von unseren Händlern, dass sie unser Produkt mit der gleichen Leidenschaft verkaufen, wie wir es entwickeln.“ André Berger, Inhaber von Handstich, geht es ebenso um den Dialog mit seinen Handelskunden. „Ehrlichkeit und Authentizität in Marken- und Produktaussage sind auch für den Handel besonders wichtig. Das fordert ein Bekenntnis vom Händler zu der Kollektion, es erfordert Mut, der aber durchaus belohnt wird“, sagt André Berger. „Denn, wenn der Händler eine gewisse Sortimentierung bietet, merkt auch sein Kunde, dass er nicht überall das Gleiche bekommt.“ Wie stark überdies

Gabriele Mensing, Inhaberin Baltzer Moden, Marburg: „Marken brauchen die Konkurrenz im Multilabelgeschäft, um lebendig zu sein. Es macht mir besonders Spaß, diese Spannung durch den Markenmix zu erzeugen.“

Kopien schaden können, hat Berger mit Handstich am eigenen Leib erfahren. „Warum lässt sich der Handel auf die Plagiate ein? Es gibt Wachstumsgrenzen im Markt, dennoch schaut jeder, was er noch vom anderen abgucken kann. Dabei lässt sich ein Bentley weder in Anmutung noch in Formensprache auf einen Skoda kopieren.“ Dazu passt auch das Überangebot von Biobaumwolle. „Es gibt ein Vielfaches an Angebot davon im Markt, als technisch überhaupt möglich ist“, sagt André Berger. „Wenn jeder mitmischen will, nimmt er nicht nur anderen Volumen weg, sondern schadet auch dem Markt und ist mit dafür verantwortlich, dass die Wertschätzung an der Mode weiter verlorengeht.“ Dem setzt André Berger die Innovation seiner Kollektion, immer im Rahmen der eigenen DNA, entgegen. „Ich freue mich, wenn die Leute anerkennen, dass wir keine Kopisten sind, sondern eine eigene Designsprache entwickelt haben. Ich schätze besonders, wenn ich merke, dass sich die

Andrea Canè, Creative Director Woolrich: „Wir wollen Kleidung mit einem Nutzen kreieren, das gilt für jedes einzelne Teil. Ohne diesen hohen Anspruch würden wir der wachsenden Anzahl unserer Handelskunden kaum gerecht werden.“

Björn Gericke, Inhaber G-Lab: „Uns ist es wichtig, dass der Händler uns vertraut und wir den Weg gemeinsam gehen. Das verleiht Mut, auch Neues zu probieren. We’re in this together.“

Händler Zeit für uns nehmen und sich mit uns auseinandersetzen, obwohl sie mit den vielen Terminen auf Messen und im Showroom eng getaktet sind. Und wenn sie mit der Entwicklung der Marke mitgehen.“ Handstich gibt es seit knapp fünf Jahren und arbeitet aktuell selektiv mit etwa 240 Kunden. „Das Business ist wahnsinnig anspruchsvoll geworden, aber ich sehe dennoch große Chancen, wenn Händler und Marken den Mut haben, gepaart mit kaufmännischer Sorgfalt echte Statements zu setzen.“

Statement

Sonja Rogger-Furrer setzt mit ihrem Store Phänomen in Luzern und in Baden für Mens- und Womenswear solche Statements – gemeinsam mit ihrem Mann Fritz Rogger und seit kurzer Zeit auch mit den beiden Töchtern Marina und Laura. „Unsere Töchter kaufen anders ein, ihr neuer Blickwinkel ist erfrischend fürs Geschäft“, sagt Sonja Rogger-Furrer. So haben sie beispielsweise Anine Bing geordert und Puma by Rihanna, beides läuft überraschend gut an. Überhaupt ist es für die Roggers die größte Freude, einkaufen zu gehen. „Dafür organisiere ich regelrechte Trendreisen, schaue, dass wir in neuen, trendigen Hotels übernachten und angesagte Restaurants ausprobieren“, so Sonja Rogger-Furrer. „Diese Inspiration geben wir gern an unsere Töchter und Mitarbeiter weiter, und davon protieren auch unsere Kunden.“ Für den Blick über den Tellerrand pegen die Roggers Freundschaften zu Händlern aus der Schweiz, Deutschland und Österreich. „Wir geben einander Tipps, es ist immer ein sehr oener Austausch“, so Rogger-Furrer. Der ist für sie auch im Showroom bei der Order wesentlich. „Wir möchten in den Agenturen genau so behandelt werden, wie wir unsere Kunden im Geschäft behandeln. Das heißt auch, dass die Agenten sich dafür interessieren sollten, wie unser Geschäft aussieht und was bei uns gut funktioniert.“ Sonja Rogger-Furrer achtet darauf, dass sie nur einkauft, was sie auch verkaufen kann. Ein Stück weit sind Mindestbudgetforderungen sinnvoll, nicht nur, um der Markenseite eine bestimmte Stückzahl für die Produktion zu garantieren, sondern auch, um im Multilabelstore zu überzeugen. „Eine Minimumorder kann sich durchaus positiv erweisen und das Wachstum stimulieren, das Einverständnis des Kunden vorausgesetzt“, sagt Andrea Canè. Als starre Vorgabe hingegen gilt sie für nicht wenige Händler als nicht mehr zeitgemäß. Auch Sonja Rogger-Furrer hat für sich entschieden, auf Mindestbudgetforderungen nicht mehr einzugehen. „Wenn wir darüber oen diskutieren, kommt das in der Regel gut an und wir können unsere Wunschbudgets auch im gegenseitigen Einvernehmen durchsetzen“, sagt sie. Andernfalls hat sie meistens einen Plan B im Hinterkopf, um sich nicht in zu große Abhängigkeit zu begeben und nicht gegen ihr Bauchgefühl agieren zu müssen. Denn schließlich müssen die Zahlen stimmen: Bis Ende März beziehungsweise Ende September soll mindestens 50 Prozent der Womenswear bereits abverkauft worden sein, lautet die eigene Vorgabe. „Dafür müssen auch die Liefertermine passen, damit die Zeiträume für den regulären Abverkauf lang genug bleiben“, betont Sonja Rogger-Furrer.

Sonja Rogger-Furrer, Inhaberin Phänomen, Luzern: „Die Arbeit, die wir für unser Geschäft bewältigen müssen, geht wirklich nur mit Spaß und Freude.“

Freiräume

Zurück zum Spaß bedeutet, an der Dierenzierung zu arbeiten, sich Freiheit und Spielräume zu schaen. „Es gehört zum Spaß dazu, Neues auszuprobieren und zu experimentieren, nur so kann etwas wirklich Spezielles entstehen“, erklärt Andrea Canè. „Mehr Emotion beim Einkauf täte sicher gut“, meint auch Björn Gericke. „Sicher braucht man auch das Brot-und-ButterGeschäft, aber wo wären die großen Marken heute, wenn der Handel damals nicht den Mut gehabt hätte, sie einzukaufen?“

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