Die Entstehung von Obligationen 8
■■ Tatbestandsmerkmal 4 – Verschulden, Absicht oder Fahrlässigkeit: Damit das «Verschulden» gemäss Art. 41 OR gegeben ist, muss ein Schaden nicht absichtlich, d. h. vorsätzlich, verursacht worden sein. Man macht sich auch durch mangelnde Vorsicht oder unsorgfältiges Handeln, d. h. durch Fahrlässigkeit, schuldig. Zwar wurde der beschriebene Zusammenstoss auf der Piste wohl kaum vorsätzlich (willentlich) verursacht. Weil der Verursacher jedoch seine Fahrweise nicht seinem Können und den gegebenen Verhältnissen angepasst hatte, müssen ihm mangelnde Vorsicht und unsorgfältiges Handeln vorgeworfen werden. Damit liegt ein Verschulden vor. Speziell zu beachten ist somit, dass im Gesetzestext zur Verschuldenshaftung der Begriff «Verschulden» gar nicht vorkommt. Aufgabe 2 ■■ Übersicht über die nicht vertraglichen Arten der Haftpflicht Arten der nicht vertraglichen Haftpflicht Verschuldenshaftung Haftung mit Verschulden Tatbestandsmerkmale aus Art. 41 OR Widerrechtlichkeit Schaden Kausalzusammenhang Verschulden
Kausal- und Gefährdungshaftung
gewöhnliche Kausalhaftung Haftung ohne Verschulden Befreiungsbeweis nicht möglich
Gefährdungshaftung «bei gefährlichen Einrichtungen»
Befreiungsbeweis möglich
Haftung des Werkeigentümers Art. 58 OR
Haftung des Geschäftsherrn Art. 55 OR
Haftung des Grundeigentümers Art. 679 ZGB
Haftung des Tierhalters Art. 56 OR
Haftung Urteilsunfähiger Art. 54 OR
Haftung des Familienoberhauptes Art. 333 ZGB
Strassenverkehr Art. 58 SVG Fehlerhafte Produkte Art. 1 PrHG Eisenbahnbetrieb Art. 40b ff. EBG Elektr. Anlagen Art. 27 EleG Flugverkehr int. Abkommen Atomanlagen Art. 3 KHG Umweltschäden Art. 59 USG
Daneben gibt es auch Schadenersatzfälle, die durch eine nicht korrekte Erfüllung eines Vertrages entstehen. Gemäss Art. 97 Abs. 1 OR wird der Schuldner einer nicht oder nicht einwandfrei erbrachten Vertragsleistung unter gewissen Umständen zum Schadenersatz verpflichtet. Diese Fälle werden im Kapitel 11, Allgemeine Vertragslehre, dargestellt. ■■ Kausalhaftung – Haftung ohne möglichen Befreiungsbeweis In einigen Fällen haftet man für einen Schaden auch ohne irgendein Verschulden. Wir sprechen dann von der sogenannten Kausalhaftung. Dabei sind zwei Ausprägungen zu unterscheiden: Kausalhaftung mit bzw. ohne Möglichkeit eines «Befreiungsbeweises». In den folgenden beiden Fällen kann man sich auch bei Beachtung grösstmöglicher Vorsicht nicht durch einen sogenannten Befreiungsbeweis von der Haftpflicht befreien: ■■ Werkeigentümer: Ein Hauseigentümer haftet beispielsweise, wenn der Briefträger auf der vereisten Treppe (Hausteil) stürzt und sich das Bein bricht. Unter den Begriff «Werk» fallen Häuser sowie Baugerüste, Lifte, Wasserleitungen und andere mit dem Boden verbundene Anlagen. ■■ Grundeigentümer: Wenn im Herbst die abfallenden Zedernnadeln die Dachtraufen und Wasserabzugsrohre der anliegenden Häuser verstopfen, ist der Grundeigentümer für den Schaden haftbar. ■■ Kausalhaftung – Haftung mit der Möglichkeit eines Befreiungsbeweises Bei dieser «milden» Form der Kausalhaftung hat der Verursacher eines Schadens die Möglichkeit, sich von seiner Haftpflicht zu «befreien». Er muss dazu nachweisen, dass er entweder alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat (Sorgfaltsbeweis) oder der Schaden auch ohne seine Sorgfaltspflichtverletzung eingetreten wäre (fehlender Kausalzusammenhang). Die Möglichkeit eines Befreiungsbeweises besteht in folgenden Fällen: ■■ Geschäftsherr: Dem Monteur eines Elektrogeschäfts rutscht beim Ausladen eines Kühlschranks das Gerät vom Transportrolli, wodurch der rechte Frontscheinwerfer eines korrekt parkierten Autos einer unbeteiligten Person in die Brüche geht. In einem solchen Fall haftet aufgrund von Art. 55 OR der Arbeitgeber, das Elektrogeschäft, als Geschäftsherr. Weist jedoch der Arbeitgeber nach, dass er den Monteur sorgfältig ausgewählt, instruiert und überwacht hat, so gilt dies als Befreiungsbeweis. Der Arbeitgeber (Geschäftsherr) kann sich dadurch von der Haftpflicht befreien. Schadenersatzpflichtig wird der Monteur selber. Der Arbeitgeber kann somit gemäss Art. 55 Abs. 2 OR auf seinen Angestellten «Rückgriff nehmen». Weil dieser unachtsam gehandelt hat, wird er gegenüber der geschädigten Partei schadenersatzpflichtig. In der Praxis werden solche Fälle normalerweise über die Haftpflichtversicherung des Geschäfts abgewickelt. Je nach Schwere des Verschuldens des Arbeitnehmers wird der Arbeitgeber bzw. dessen Versicherung allerdings auf den Angestellten zurückgreifen.