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Brennpunkt Wirtschaft und Gesellschaft

KESB – Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde

Die KESB, die Abkürzung steht für Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, steht vor allem in den Boulevardmedien sowie in sozialen Netzwerken fast wöchentlich in negativen Schlagzeilen: ... «Behörde nimmt Mutter ihren achtjährigen Sohn weg» ... «KESB – mitverantwortlich für den Tod von zwei kleinen Kindern» ... «KESB entzieht Ehepaar die Obhut seiner beiden Kinder» ... «KESB lässt die Sozialkosten der Gemeinden explodieren» In der vorliegenden Unterlage lernen Sie den Tätigkeitsbereich, die Aufgabengebiete und die Instrumente sowie die organisatorische Einbindung der Behörde kennen.

Die KESB löste ab 1. Januar 2013 die bis dahin tätigen kommunalen (Laien-) Vormundschaftsbehörden ab. Seither ist ein professionelles Team der KESB für Entscheide im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes zuständig. Weil es dabei meistens um sensible, persönliche Aspekte geht, wie z.B. Kindesmissbrauch, das Besuchsrecht bei getrennt lebenden Eltern, fürsorgerischer Freiheitsentzug oder eine Beistandschaft für demenzkranke Menschen, werden die getroffenen Massnahmen nicht von allen Beteiligten einhellig akzeptiert.

Theorie

Übungen

1 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 3 3.1 3.2 4 4.1 4.2 4.3

1 2 3 4 5 6

Wer entscheidet, wenn ich nicht urteilsfähig bin? .................................................... 2 Wenn Erwachsene Schutz benötigen .......................................................................... 5 Selbst bestimmen - Teil 1: «Mein Vorsorgeauftrag» .................................................... 6 Selbst bestimmen - Teil 2: «Meine Patientenverfügung» ............................................... 8 ... und wenn ich nichts selbst bestimmt habe? .............................................................. 10 Klinik, Spital, Heim – darf man mich einweisen? .......................................................... 11 Wann erhalte ich welchen Beistand?............................................................................. 12 Wenn Kinder Schutz benötigen .................................................................................. 14 «Zum Wohl des Kindes» ................................................................................................ 14 Schwierige Entscheide der KESB .................................................................................. 16 Die KESB – eine professionelle Behörde?! .............................................................. 18 Organisation der KESB .................................................................................................. 18 Verschwiegenheitspflicht ................................................................................................ 19 Verfahrensablauf ............................................................................................................ 19 Das haben Sie gelernt .................................................................................................... 22 Diese Begriffe können Sie erklären ............................................................................... 23

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Grundbegriffe des Personenrechts. ................................................................................... 24 Handlungsfähigkeit und deren Einschränkung ................................................................. 24 Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung ........................................................................ 25 Massnahmen der KESB. .................................................................................................... 25 Beistandschaft ................................................................................................................. 26 KESB – eine professionelle Behörde?! ............................................................................... 26

Aufgaben 1 2

Fallbeispiel «Die Kinder von Frau H.». ................................................................................ 27 Fallbeispiel «Paul M.» ........................................................................................................ 31

Ausgabe für Lehrpersonen Brennpunkt Wirtschaft und Gesellschaft – Zusatzkapitel 1. Auflage 2017 / © STR teachware Diese Broschüre ist urheberrechtlich geschützt. Ohne Genehmigung der Autoren ist es nicht gestattet, die Broschüre oder Teile daraus in irgendeiner Form zu reproduzieren. Bestellung über: https://brennpunkt-wug.abacuscity.ch/de/home Brennpunkt Wirtschaft und Gesellschaft | KESB – Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde 1


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1 Wer entscheidet, wenn ich nicht urteilsfähig bin? Selber bestimmen können ... endlich ... denken viele Jugendliche: Mit 18 Jahren bin ich volljährig und kann dann endlich selber entscheiden. Entscheiden, wo und wie lange ich im Ausgang bleiben will oder wofür ich mein Geld ausgebe. Wie erlangt man die vollständige rechtliche Handlungsfähigkeit? Was sind die Voraussetzungen dafür?

Urteilsfähigkeit

n

Urteilsfähig ist, wer vernunftgemäss handeln kann (Art. 16 ZGB). Darunter verstehen wir die intellektuelle Fähigkeit, eine bestimmte Situation richtig einschätzen zu können und sich über die Gründe und Folgen seines Verhaltens bewusst zu sein. Die Urteilsfähigkeit wird mit zunehmendem Alter nach und nach erworben. Im Gesetz steht keine bestimmte Altersgrenze; je nach Rechtsproblem und Entwicklungsstand der jugendlichen Person geht man davon aus, dass im Alter von etwa 12 bis 14 Jahren die Urteilsfähigkeit gegeben ist.

n Handlungsfähigkeit Wer handlungsfähig ist, kann durch sein eigenes Verhalten Rechte und Pflichten begründen, z. B. Kauf- oder Mietverträge abschliessen, ein Darlehen aufnehmen, heiraten, ein Testament verfassen oder eine Aktiengesellschaft gründen. Ebenso können Rechte und Pflichten geändert oder aufgehoben werden, z. B. durch eine Vertragskündigung. Die Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit sind Volljährigkeit und Urteilsfähigkeit (Art. 13 ZGB). n

Voraussetzungen der Handlungsfähigkeit Handlungsfähigkeit Art. 13 ZGB

Volljährigkeit Art. 14 ZGB

n

Urteilsfähigkeit Art. 16 ZGB

Volljährigkeit

Die Volljährigkeit erreichen wir grundsätzlich mit der Vollendung des 18. Lebensjahres (Art. 14 ZGB).

Fassen wir zusammen: handlungsfähige Personen sind … n

geschäftsfähig, d.h. sie können Rechtsgeschäfte abschliessen, wie z.B. Verträge abschliessen.

n

deliktsfähig, d.h. sie können für unerlaubte Handlungen (Delikte) haftbar gemacht werden und sind entsprechend schadenersatzpflichtig. Zu beachten ist allerdings, dass auch beschränkt handlungsunfähige Person deliktsfähig sind (Art. 19 Abs. 3 ZGB).

n Einschränkungen der Handlungsfähigkeit Werden grundsätzlich handlungsunfähige Personen, wie z.B. Jugendliche, die urteilsfähig, aber noch nicht volljährig sind, zu gewissen Rechtshandlungen befugt, sprechen wir von beschränkter Handlungsunfähigkeit. Jugendliche unter 18 Jahren können grundsätzlich nur mit Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter (das sind im Normalfall die Eltern) rechtliche Verpflichtungen eingehen (Art. 19 Abs. 1 ZGB). Für kleinere Geschäfte des täglichen Lebens – beispielsweise das Mittagessen einer 17-jährigen Lernenden in der Mensa der Berufsfachschule – ist allerdings diese Zustimmung ausdrücklich nicht notwendig (Art. 19 Abs. 2 ZGB). Für weitergehende Kaufverträge kann der gesetzliche Vertreter sein Einverständnis stillschweigend (d.h. nicht ausdrücklich) im Voraus geben oder das Geschäft nachträglich genehmigen (Art. 19a ZGB). Falls die gesetzlichen Vertreter diese Zustimmung verweigern, müssen die bereits erfolgten Leistungen zurückerstattet werden (Art. 19b ZGB). Aus diesem Grund sollten die Vertragspartner bei «grösseren Geschäften», z.B. beim Mieten einer Wohnung oder beim Kauf eines Autos, die Volljährigkeit der anderen Vertragspartei im Voraus überprüfen.


Alter

Urteilsfähigkeit (noch) nicht gegeben

12

handlungsunfähig beschränkt handlungsunfähig

(Minderjährige)

Urteilsfähigkeit gegeben

18

(vollständig) handlungsfähig Eine volljährige, urteilsfähige Person ist handlungsfähig und kann durch ihre eigenen Handlungen Rechte und Pflichten begründen.

Volljährigkeit gegeben Vorübergehender Verlust der Urteilsfähigkeit

n

Jugendliche bis zum 18. Altersjahr, die urteilsfähig, aber noch nicht volljährig sind, können nur mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters Verpflichtungen eingehen (Art. 19 ZGB).

handlungsunfähig (vorübergehend)

Handlungsunfähigkeit

Personen, die nicht urteilsfähig sind, können mit ihren Handlungen grundsätzlich keine rechtlichen Wirkungen erzielen (Art. 17 ZGB). Handlungsunfähig sind gemäss negativer Umschreibung in Art. 16 ZGB Personen, die … – minderjährig («im Kindesalter») sind oder – wegen einer geistigen Behinderung oder einer psychischen Störung oder – wegen eines Rausches (durch Alkohol- oder Drogenkonsum verursacht) oder ähnlicher Zustände (Willensbeeinträchtigung durch Medikamenteneinfluss oder Hypnose) nicht vernunftgemäss handeln können.

Übung 1 Übung 2

Und wer entscheidet nun, wenn jemand nicht urteilsfähig und damit auch nicht handlungsfähig ist? Falls keine anderen Personen für die urteilsunfähigen Personen entscheiden können, z.B. Eltern für ihre Kinder, muss die Gesellschaft, d.h. der Staat, eine vernünftige Lösung vorsehen. Falls also beispielsweise Eltern – aus welchen für Gründen auch immer – nicht für ihre Kinder entscheiden können, kommt das Kindesschutzrecht und die damit beauftragte Behörde, die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB), zum Tragen.

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n Kinder brauchen Schutz

n Auch Erwachsene können Schutz benötigen

Kinder und Jugendliche sind für ihre Entwicklung auf Schutz und Förderung angewiesen. Sie brauchen unter anderem beständige und liebevolle Beziehungen, Sicherheit, individuelle und entwicklungsgerechte Erfahrungen, Grenzen und Strukturen sowie stabile und unterstützende Gemeinschaften. In erster Linie sind die Eltern verpflichtet, für die Grundbedürfnisse ihrer Kinder zu sorgen und deren Entwicklung zu fördern. Sie tragen die Hauptverantwortung für das Wohl ihrer Kinder. Die schweizerische Bundesverfassung hält in Artikel 11 fest: «Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung.» Das Kindeswohl wird insbesondere durch Vernachlässigung, körperliche oder psychische Misshandlung oder sexuellen Missbrauch gefährdet.

Es gibt viele «Möglichkeiten», dass eine erwachsene Person plötzlich schutzbedürftig wird, weil sie ihre Geschäfte nicht mehr ordnungsgemäss besorgen kann.

Der Vater der 16 Jahre alten Mergime verprügelt diese wegen ihres Verhältnisses zu einem gleichaltrigen Klassenkameraden aus dem Gymi. Er droht, er werde sie umbringen, wenn sie den Jungen noch ein einziges Mal treffe. Am nächsten Tag vertraut sich Mergime ihrer Lehrerin an. Diese hilft der jungen Frau, sich gleichentags bei der KESB zu melden. Wegen der unmittelbaren und schweren Gefährdung verfügt die KESB einen superprovisorischen Obhutsentzug. Mergime wird in einer Notplatzierungseinrichtung verdeckt untergebracht, die Eltern werden unverzüglich vor die KESB geladen. Das zuständige Behördenmitglied eröffnet ihnen den Entscheid persönlich – wegen der Drohungen von Mergimes Vater unter Polizeischutz. Nach der Anhörung von Mergimes Eltern fällt die KESB einen Entscheid, gegen den diese Beschwerde einlegen können. Zugleich leitet die KESB ein Abklärungsverfahren ein. Dessen Ziel: zusammen mit den Eltern und Mergime eine einvernehmliche Lösung zu finden. Den Eltern soll vermittelt werden, das es das absolut höchstpersönliche Recht der Tochter ist, den Freund selbst auszuwählen – und auch, bei diesem ab und an zu übernachten und allenfalls auch Sex mit ihm zu haben.

Herr Obrist war bis zu seiner Pensionierung Bankangestellter, inzwischen leidet er an Alzheimer, er hat keine Angehörigen mehr, aber etwas Vermögen. Er lebt zu Hause, ist aber schon längere Zeit nicht mehr in der Lage, sich umfassend um seine Angelegenheiten zu kümmern. Meist vergisst er, seine Miete und die Krankenkassenrechnungen zu bezahlen. Mahnungen bleiben ungeöffnet liegen. In der Küche stapelt sich das Geschirr mit Essensresten über Wochen. Trotzdem tätigt er in guten Momenten immer noch Vermögensgeschäfte, vergisst aber dann bald wieder, was er getan hat. Er gefährdet damit – auch weil seine Vergesslichkeit von dreisten Drittpersonen zu seinem Schaden ausgenützt wird – zusehends seine materielle Existenz.

Herr Obrist ist in besonderem Ausmass hilfsbedürftig; er ist dauerhaft urteilsunfähig und gefährdet sich mit seinen Handlungen immer wieder selber. Deshalb dürfte für ihn eine umfassende Beistandschaft errichtet werden. 30 % der über 80-jährigen leben in einem von 1600 Alters- und Pflegeheimen. Viele dieser Heimbewohnerinnen und -bewohner haben keine Angehörigen mehr. Wenn solche Personen infolge von Demenz urteilsunfähig werden, benötigen sie ebenfalls Hilfe. Es trifft aber auch junge Menschen; aufgrund eines Schicksalsschlags ist man plötzlich nicht mehr in der Lage, seine persönlichen, vermögensrechtlichen oder administrativen Angelegenheiten selbst zu besorgen und ist deshalb auf die Hilfe von Dritten angewiesen. •

Der 25-jährige Patrick Manser erleidet einen Verkehrsunfall und liegt mit einer schweren Hirnverletzung im Spital. Zwar hatte er schon einmal mit seinem Vater über einen sogenannten Vorsorgeauftrag diskutiert, den Abschluss eines solchen Dokuments aber vor sich hingeschoben.

Weil Herr Manser aufgrund seiner schweren Verletzung dauerhaft urteilsunfähig bleiben wird, muss auch für ihn eine umfassende Beistandschaft errichtet werden.


Ein gesetzlicher Vertreter oder eine Vertreterin, z.B. die Eltern oder eine Beiständin, können allerdings nicht absolut alle Rechtsgeschäfte für die zu vertretenden Person wahrnehmen. Es gibt eine Reihe von Rechten, die sogenannt höchstpersönlichen Rechte, die einer Person in keinem Fall entzogen werden können.

n Höchstpersönliche Rechte Darunter verstehen wir Rechte, die «einer Person um ihrer Persönlichkeit willen zustehen» (Art. 19c ZGB). Diese Rechte können auch von handlungsunfähigen Personen, d.h. Minderjährigen oder unter umfassender Beistandschaft stehenden Personen wahrgenommen werden, falls sie urteilsfähig sind. Allerdings muss bei den höchstpersönlichen Rechten wie folgt zwischen relativ und absolut höchstpersönlichen Rechten unterschieden werden: n

Relativ höchstpersönliche Rechte können bei Fehlen der Urteilsfähigkeit durch den gesetzlichen Vertreter (Eltern, Beistand) wahrgenommen werden, es sind dies beispielsweise: – Persönlichkeitsrechte (Art. 28 ff. ZGB), d.h. persönlichkeitsverletzende Beeinträchtigungen durch Dritte – Die Einwilligung in einen üblichen medizinischen Heileingriff – Der Namensschutz und Namensänderung – Das Stellen eines Strafantrages

n

Absolut höchstpersönliche Rechte können bei Fehlen der Urteilsfähigkeit grundsätzlich nicht vertreten werden; weder die urteilsunfähige Person noch der gesetzliche Vertreter oder die gesetzliche Vertreterin dürfen das entsprechende Recht stellvertretend ausüben. Solche Geschäfte sind z.B.: – Die Einwilligung in einen kosmetischen oder fortpflanzungsmedizinischen ärztlichen Eingriff – Die Entscheidung über die religiöse Zugehörigkeit nach Erreichen des 16. Altersjahrs – Der Entscheid zur Eheschliessung – Das Recht, ein Testament zu errichten oder als Erblasser einen Erbvertrag zu unterzeichnen

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2 Wenn Erwachsene Schutz benötigen Normalerweise beschäftigen wir uns kaum – oder eben nicht gerne – mit einer möglichen, eigenen Urteilsunfähigkeit. Wir können uns gegebenenfalls noch vorstellen, infolge von Alkoholkonsum kurzzeitig nicht voll urteilsfähig zu sein – aber Urteilsunfähigkeit als (lang) andauernder Zustand? Wir haben im vorangehenden Kapitel das Fallbeispiel von Patrick Manser aufgeführt: •

Der 25-jährige Patrick Manser erleidet einen Verkehrsunfall und liegt mit einer schweren Hirnverletzung im Spital … … er kann aufgrund seines Zustands nicht mehr selber über seine medizinische Behandlung entscheiden.

Für einen solchen Fall der Urteilsunfähigkeit kann und sollte man vorsorgen. Das Instrument dazu heisst «Vorsorgeauftrag». Ein weiteres Dokument der persönlichen Vorsorge ist die «Patientenverfügung». Damit kann man seine eigenen Wünsche festhalten für den Fall, dass man urteilsunfähig werden sollte und nicht mehr selber entscheiden kann, welche medizinische Behandlung man wünscht bzw. ablehnt. Die Grundlagen für solche Rechtsgeschäfte zur eigenen Vorsorge sowie weiteren Fragen die sich in diesem Zusammenhang stellen, sind im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) unter dem Kapitel («Teil») Familienrecht in den Artikeln 360 ff. festgehalten. ZGB 2. Teil

Das Familienrecht

3. Abteilung

Erwachsenenschutz (Art. 360 ff.)

10. Titel

Die eigene Vorsorge und Massnahmen von Gesetzes wegen

1. Abschnitt:

Die eigene Vorsorge

1. Unterabschnitt

Der Vorsorgeauftrag

[à Kap. 2.1.]

2. Unterabschnitt

Die Patientenverfügung

[à Kap. 2.2.]

2. Abschnitt:

Massnahmen von Gesetzes wegen für urteilsunfähige Personen

1. Unterabschnitt

Vertretung durch den Ehegatten, ...

[à Kap. 2.3.]

2. Unterabschnitt

Vertretung bei med. Massnahmen

[à Kap. 2.3.]

3. Unterabschnitt

Aufenthalt in Wohn- oder Pflegeeinrichtungen

11. Titel

Die behördlichen Massnahmen

1. Abschnitt:

Allgemeine Grundsätze

2. Abschnitt:

Die Beistandschaften

[à Kap. 2.5.]

3. Abschnitt:

Die fürsorgerische Unterbringung

[à Kap. 2.4.]

2.1

Selbst bestimmen – Teil 1: «Mein Vorsorgeauftrag»

Art. 360 Abs. 1 ZGB lautet: «Eine handlungsfähige Person kann eine natürliche oder juristische Person beauftragen, im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit die Personensorge oder die Vermögenssorge zu übernehmen oder sie im Rechtsverkehr zu vertreten». Mit einem Vorsorgeauftrag wird somit jemand damit beauftragt, die nötigen Aufgaben im Bereich der Personen- und/oder Vermögenssorge auszuführen, falls man selber urteilsunfähig werden sollte. Ein Vorsorgeauftrag eignet sich nicht nur für ältere Menschen; auch jüngere Personen können z.B. infolge eines Unfalls urteilsunfähig werden (wie das Fallbeispiel Patrick Manser zeigt). Für die Errichtung eines Vorsorgeauftrages muss man zum einen handlungsfähig (d.h. urteilsfähig und volljährig) sein und zum andern sind strenge Formvorschriften zu beachten; es gibt – ähnlich wie bei einem Testament – zwei Möglichkeiten einen Vorsorgeauftrag zu erstellen: – Entweder wird das Dokument eigenhändig, vollständig von Hand geschrieben, datiert und unterzeichnet, oder – der Vorsorgeauftrag wir durch einen Notar öffentlich beurkundet, d. h. das Dokument wird unter Mitwirkung einer Notarin oder eines Notars abgefasst und unterzeichnet. Falls diese Formvorschriften nicht eingehalten werden, ist das Dokument ungültig. Dann wird die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Massnahmen des Erwachsenenschutzrechts prüfen müssen. Zwar gibt es von Beratungsstellen Mustervorlagen (z.B. den DOCUPASS der Pro Senectute), mit deren Hilfe ein Vorsorgeauftrag selber aufgesetzt werden kann. Es empfiehlt sich aber, sich bei Unklarheiten durch kompetente Fachleute, beispielsweise auf einem Notariat, beraten zu lassen. n


n

Inhaltselemente eines Vorsorgeauftrags: Das Dokument sollte neben den Personalien der Auftrag gebenden Person und den Personalien der beauftragten Person die folgenden Vorgaben enthalten: – Bei der Personensorge geht es um Entscheidungen rund um Privatangelegenheiten wie z.B. das Öffnen der Post aber auch Vorkehrungen, die für eine angemessene Pflege und Betreuung notwendig sind. Gegebenenfalls wir hier erwähnt, dass eine Patientenverfügung besteht und die beauftragte Person für die Vertretung in medizinischen Angelegenheiten nicht befugt ist. Die Vermögenssorge umfasst das Besorgen der finanziellen Angelegenheiten, die Verwaltung der Einkünfte und des Vermögens sowie die Abwicklung des Zahlungsverkehrs. – Die Vertretung im Rechtsverkehr umfasst schliesslich sämtliche Rechtshandlungen sowie den Abschluss (oder die Kündigung) der dazu nötigen Verträge im Namen der Auftrag gebenden Person. Es ist nicht zwingend erforderlich, dass alle drei Element durch die gleiche Person wahrgenommen werden. So kann beispielsweise für die Vermögenssorge eine bisher bereits in diesem Bereich tätig gewesene Treuhandunternehmung eingesetzt werden. –

n

Die Aufbewahrung: Eine Vorsorgeauftraggeberin kann zwar frei bestimmen, wo sie ihren Vorsorgeauftrag aufbewahren möchte. Es ist allerdings darauf zu achten, dass das Dokument im Falle der Urteilsunfähigkeit auch gefunden wird. Angehörige, Freunde und die Vorsorgebeauftragten sollten wissen, dass ein solcher besteht und wo er aufbewahrt wird. Es sollte deshalb ein Ort gewählt werden, auf den zugegriffen werden kann, z.B. dort, wo der Pass, ein Testament oder weitere wichtige Dokumente hinterlegt sind. Der Hinterlegungsort des Vorsorgeauftrags kann auch beim Zivilstandsamt im Personenstandsregister eingetragen werden; so erfährt die KESB auf Nachfrage hin, dass ein solches Dokument überhaupt besteht. Direkt beim Zivilstandsamt hinterlegen kann man das Dokument allerdings nicht.

n

Wirkung eines Vorsorgeauftrags – und die Funktion der KESB dabei. Die amtliche Feststellung der Urteilsunfähigkeit einer Person ist Sache der KESB. Wenn die Behörde erfährt, dass jemand urteilsunfähig geworden ist, klärt sie ab, ob ein Vorsorgeauftrag vorliegt, z.B. ob ein solcher beim Zivilstandsamt eingetragen ist. Falls ein Vorsorgeauftrag errichtet worden ist, wird geprüft, ob er tatsächlich auch gültig ist, d.h. ob die Formvorschriften eingehalten wurden. Es wird auch geprüft, ob die beauftragte Person geeignet erscheint und auch bereit ist, den Auftrag anzunehmen (Art. 363 Abs. 2 Ziff. 3 ZGB). Sind alle Voraussetzungen erfüllt, wird der Vorsorgeauftrag durch die Behörde für wirksam erklärt (= validiert). Die KESB setzt die vorsorgebeauftragte Person ein; diese erhält eine Urkunde, um damit z.B. über das entsprechende Bankkonto verfügen zu können.

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2.2

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Selbst bestimmen - Teil 2: «Meine Patientenverfügung»

Mit einer Patientenverfügung kann bestimmt werden, welchen medizinischen Massnahmen im Falle einer Urteilsunfähigkeit zugestimmt oder nicht zugestimmt wird. Sie ist im Unterschied zum Vorsorgeauftrag ganz spezifisch auf medizinische Massnahmen ausgerichtet. •

n

Die Aufbewahrung der Patientenverfügung: wie wird das Dokument sicher gefunden? Für die Wirkung einer Patientenverfügung ist es von zentraler Bedeutung, dass sie im massgebenden Zeitpunkt zur Verfügung steht. Es ist daher ratsam, diese an verschiedenen Orten aufzubewahren. So kann das Original zwar durchaus zu Hause aufbewahrt werden, man sollte aber eine Kopie – oder einen Hinweis auf das Dokument – immer auf sich tragen, z.B. im Portemonnaie. Weitere Kopien können beim Hausarzt oder bei den nächsten Familienangehörigen deponiert werden.

n

Ärztinnen und Ärzte müssen grundsätzlich dem in einer Patientenverfügung geäusserten Willen entsprechen. Von diesem darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, wenn ernsthafte und begründete Zweifel bestehen, dass die Patientenverfügung nicht dem freien Willen des Patienten oder der Patientin entspricht. Die KESB überprüft die Einhaltung einer Patientenverfügung nur auf schriftlichen Antrag einer dem Patienten oder der Patientin nahestehenden Person hin. Gegebenenfalls wird die KESB Massnahmen zur Sicherstellung der Interessen der urteilsunfähigen Person Übung 3 ergreifen.

Die 87-jährige Emma Fahrner liegt im Koma im Spital und kann darum nicht mehr selber über ihre medizinische Behandlung entscheiden. Bevor sie so schwer krank wurde, hatte sie eine Patientenverfügung errichtet.

In diesem Dokument hatte Frau Fahrner die medizinischen Massnahmen beschrieben, die sie im Falle einer Urteilsunfähigkeit beanspruchen möchte. Sie hatte als Vertreterin für Entscheide bei medizinischen Massnahmen ihre Tochter eingesetzt, die nun mit den behandelnden Ärzten die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden muss. n

Während für die Errichtung eines Vorsorgeauftrags die Handlungsfähigkeit nötig ist, genügt für eine Patientenverfügung die Urteilsfähigkeit. Auch die Formvorschriften sind weniger streng. Es genügt, eine vorgedruckte Mustervorlage auszufüllen, zu datieren und zu unterschreiben. Allerdings wird kaum jemand eine Mustervorlage eins zu eins übernehmen können. Es empfiehlt sich, eine Patientenverfügung mit seinem Hausarzt zu besprechen, damit man medizinische Massnahmen, Operationen im Notfall, den Anschluss an Maschinen oder lebensverlängernde Massnahmen so definiert, wie man es sich wünscht bzw. nicht wünscht.

n

Inhaltselemente einer Patientenverfügung sind die eigenen Werthaltungen und Überzeugungen zur Behandlung bei Unfall, Krankheit und Sterben. Es ist ratsam, grundsätzlich zu unterscheiden zwischen Massnahmen, die nach einem Unfall oder Notfall zum Tragen kommen sollten und solchen, die bei einer (dauernden) Hirnschädigung oder bei sehr starker Pflegebedürftigkeit gewünscht wird. Sollen beispielsweise sämtliche medizinischen Massnahmen ausgeschöpft oder auf lebensverlängernde Massnahmen verzichtet werden? Auch die Frage nach möglichen Organspenden sollte in einer Patientenverfügung geregelt sein.


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2.3

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... und wenn ich nichts selbst bestimmt habe? «Kaskadenordnung» (Reihenfolge der zustimmenden Personen) gemäss Art. 378 ZGB:

Falls jemand für sich weder einen Vorsorgeauftrag noch eine Patientenverfügung erstellt hat, greifen «Massnahmen von Gesetzes wegen für urteilsunfähige Personen» gemäss Art. 374 ff. ZGB. Diese umfassen: – die Vertretung durch den Ehegatten, die eingetragene Partnerin oder den eingetragenen Partner (Art. 374 - 376 ZGB) sowie – die Vertretung bei medizinischen Massnahmen (Art. 377 – 381 ZGB) und – den Aufenthalt in Wohn- und Pflegeeinrichtungen (Art. 382 – 387 ZGB) n

2) 3)

4)

Gesetzliche Vertretung •

Frau Hähner ist verheiratet, leidet an Alzheimer und ist nicht mehr in der Lage, ihr Rechnungen selbständig zu bezahlen und ihre administrativen Aufgaben zu erledigen.

Gemäss Art. 374 ZGB hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wer «als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet ..., wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.» Der Ehepartner von Frau Hähner hat somit ein «allgemeines» Vertretungsrecht, das die Deckung des Unterhaltsbedarfs umfasst, die Verwaltung von Einkommen und Vermögen und die Erledigung der Post. Voraussetzung dafür ist, dass Herr Hähner handlungsfähig ist. Für ausserordentliche Handlungen wie z.B. einen Liegenschaftsverkauf muss Herr Hähner allerdings die KESB beiziehen; diese kann Vertretungsbefugnisse einschränken, entziehen und eine Beistandschaft errichten. n

1)

Vertretung bei medizinischen Massnahmen •

Die 30-jährige Frau Pauli lebt seit sechs Jahren mit ihrem Partner zusammen. Bei einem Autounfall erleidet sie ein Hirntrauma und ist nicht mehr ansprechbar. Im Spital muss die medizinische Behandlung geplant werden. Frau Pauli hat keine Patientenverfügung erstellt.

Das Gesetz hält in der sogenannten Kaskadenordnung fest, wer in welcher Reihenfolge anstelle des urteilsunfähigen Patienten medizinischen Massnahmen zustimmen darf (Art. 378 ZGB):

5) 6) 7)

die in einer Patientenverfügung oder in einem Vorsorgeauftrag als Vertreterin bezeichnet Personen der Beistand oder die Beiständin mit Vertretungsrecht in medizinischen Angelegenheiten der Ehegatte oder die eingetragene Partnerin, wenn er oder sie im gemeinsamen Haushalt mit der urteilsunfähigen Person lebt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet die Person, die mit der urteilsunfähigen Person im gemeinsamen Haushalt lebt und ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet (z.B. die Konkubinatspartnerin oder der Konkubinatspartner) die Nachkommen, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten die Eltern, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten die Geschwister, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten

Falls keine der genannten vertretungsberechtigten Personen vorhanden ist oder das Vertretungsrecht ausüben will, bestimmt die KESB eine vertretungsberechtigte Person oder richtet eine Vertretungsbeistandschaft ein. n

Aufenthalt in Wohn- oder Pflegeeinrichtungen

Praktisch sind mit «Wohn- oder Pflegeeinrichtungen» Alters- und Pflegeheime gemeint. Weil in diesen Institutionen meistens urteilsunfähige Menschen wohnen, gibt es gemäss Gesetz bestimmte Schutzmassnahmen, wie z.B. den Betreuungsvertrag, der die wichtigsten Rechte und Pflichten festhält (Art. 382 ZGB). Ebenso regelt das Gesetz die sogenannten bewegungseinschränkenden Massnahmen und deren Protokollierung sowie die freie Arztwahl.


2.4

Klinik, Spital, Heim – darf man mich einweisen? •

Frau X. lebt seit dem Tode ihres Ehemannes völlig vereinsamt und verwahrlost in ihrer Wohnung. Sie leidet an schweren psychischen Störungen, trinkt massiv und verweigert jegliche ärztliche Betreuung. Ihre Gesundheit ist schwer gefährdet.

Gemäss Art. 426 ZGB bedeutet eine fürsorgerische Unterbringung, dass «eine Person, die an einer psychischen Störung oder an geistiger Behinderung leidet oder schwer verwahrlost ist» gegen ihren Willen in einer geeigneten Einrichtung, z.B. in einer psychiatrischen Klinik, in einem Alters- oder Pflegeheim, untergebracht werden darf, «wenn die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders erfolgen kann». Somit ist zuerst zu klären, ob nicht eine ambulante Hilfe ausreichen würde. Nur wenn der Zustand der betroffenen Person derart schlecht ist, dass sie im persönlichen Bereich nicht mehr selber für sich sorgen kann, und wenn auch andere Massnahmen keinen Erfolg haben oder von vornherein ungenügend erscheinen, kann ein Arzt oder eine Ärztin oder die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (unter Beizug eines Arztes) eine Person gegen ihren Willen in eine geeignete Institution einweisen. Ist die betroffene Person ärztlich eingewiesen worden, hat die KESB spätestens nach sechs Wochen (je nach Kanton bestehen unterschiedliche Fristen) einen Unterbringungsentscheid zu fällen. Die KESB überprüft nach einem halben Jahr, ob die Voraussetzungen für die fürsorgerische Unterbringung noch erfüllt sind. Weitere sechs Monate später und dann jährlich muss die Unterbringung neu überprüft werden. Die betroffene Person muss entlassen werden, sobald die Voraussetzungen für ihre Unterbringung nicht mehr erfüllt sind. Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann jederzeit um Entlassung ersuchen. Darüber muss die Klinik oder die KESB umgehend mit einem beschwerdefähigen Beschluss entscheiden.

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2.5

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Wann erhalte ich welchen Beistand?

Die KESB errichtet eine Beistandschaft, wenn die aufgrund eines Schwächezustandes entstandene Schutzbedürftigkeit einer Person nicht mittels anderer Lösungen aufgefangen werden kann, z.B. durch das private Umfeld, durch private gemeinnützige Organisationen oder durch öffentliche Dienste. Gemäss Art. 390 ZGB wird eine Beistandschaft errichtet, wenn eine erwachsene Person «wegen einer geistigen Behinderung, einer psychischen Störung oder eines ähnlichen in der Person liegenden Schwächezustands ihre Angelegenheiten nur teilweise oder gar nicht besorgen kann» oder wenn jemand «wegen vorübergehender Urteilsunfähigkeit oder Abwesenheit ...» ihre Angelegenheiten nicht selber erledigen kann und auch «keine zur Stellvertretung berechtigte Person bezeichnet hat». Eine Beistandschaft wird von der Behörde auf die individuellen Bedürfnisse der schutzbedürftigen Person zugschnitten. Das Selbstbestimmungsrecht der betreffenden Person soll nur soweit eingeschränkt werden, wie es zu deren Schutz unbedingt nötig ist. Es gilt das Subsidiaritätsprinzip, so viel staatliche Fürsorge wie nötig, so wenig staatlicher Eingriff wie möglich. Deshalb gibt es unterschiedliche Arten oder «Abstufungen» von Beistandschaften: von der «schwächsten» Form, der Begleitbeistandschaft über die Vertretungs- und die Mitwirkungsbeistandschaft, die miteinander kombinierbar sind, bis hin zur umfassenden Beistandschaft, bei der eine Person in allen Angelegenheiten der Personen- und Vermögenssorge sowie des Rechtsverkehrs verbeiständet wird. Bei einer kombinierten Beistandschaft werden die Aufgabenbereiche persönliche Unterstützung, Einkommens- und Vermögenssorge oder Rechtsverkehr je nach Situation unterschiedlich ausgestaltet. •

Herr Odermatt ist 87, alleinstehend, ohne Kinder und an Demenz erkrankt. Er lebt in einer eigenen Wohnung. Bereits vergangenes Jahr hat sich Herr Odermatts Steuerberater an die KESB gewandt, weil der Senior schon längere Zeit überfordert war: Herr Odermatt vergass, Miete und Krankenkasse zu bezahlen, in der Küche stapelte sich über Wochen schmutziges Geschirr. Zudem wäre Herr Odermatt in seiner Verfassung leicht auszunutzen gewesen, was auch seine materielle Existenz bedrohte. Die Abklärungen der KESB ergaben, dass Herr Odermatt nicht mehr voll urteilsfähig ist. Daher wurde nach einer Anhörung eine Vertretungsbeistandschaft errichtet: Die Beiständin Susanna Gerber vertritt Herrn Odermatt seither in sämtlichen rechtlichen, finanziellen und gesundheitlichen Angelegenheiten. Sie hat einen Mahlzeitendienst und eine tägliche Betreuung durch die Spitex organisiert. (Beobachter, 16.3.2016; «Was darf die KESB, vier Modellfälle»)

n

Übersicht Beistandschaften «Aktivität»

Begleitbeistandschaft

Beispiel: Vertretungsbeistandschaft

Beispiel: Mitwirkungsbeistandschaft

Beispiel: Kombinierte Beistandschaft Umfassende Beistandschaft

Beispiel:

Begleitende Unterstützung (Beratung, Assistenz, Vermittlung und Förderung); mit Zustimmung der hilfsbedürftigen Person

«Umfang» der Handlungsfähigkeit Handlungsfreiheit nicht eingeschränkt

Sinn und Zweck Hilfe zur Selbsthilfe

Beratung und Unterstützung bei der Wohnungssuche, beim Ausfüllen der Steuererklärung oder beim Erstellen eines Budgets. Vertretung im Umfang der übertragenen Aufgaben; Beiständin handelt mit direkter Wirkung für die Person.

Handlungsfähigkeit kann eingeschränkt werden

Gesetzliche Vertretung, wenn gewisse Angelegenheiten nicht mehr selbstständig erledigt werden können

Beiständin oder Beistand übernimmt die Einkommens- und Vermögensverwaltung und administrative Angelegenheiten. Bestimmte Handlungen können nur noch mit Zustimmung des Beistandes rechtswirksam vorgenommen werden

Handlungsfähigkeit eingeschränkt, d.h. für die «mitwirkungsbedürftigen» Geschäfte entzogen.

Hilfe für Person, die zwar urteilsfähig und selbstständig sind, sich aber mit gewissen Handlungen selber schaden können

Aufnahme eines Darlehens, Haustürgeschäfte, Abschluss eines Erbvertrages, Verkauf einer Liegenschaft.

Kombination der drei obigen Beistandschaften Vertretung bei allen Angelegenheiten der Personen-, der Vermögenssorge und des Rechtsverkehrs

Handlungsfähigkeit entfällt vollumfänglich (von Gesetzes wegen; Einverständnis der betroffenen Person ist nicht nötig)

Hilfe für Personen, bei denen nicht verantwortet werden kann, dass sie Rechtshandlungen vornehmen können

Vertretung einer Person in allen Belangen wegen einer geistigen Behinderung, die zwar nicht offenkundig ist, aufgrund derer die Person aber ausgenützt werden könnte.

Übung 4 Übung 5


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3 Wenn Kinder Schutz benötigen Sie kennen sicher die Rechtsvorschrift, dass alkoholische Getränke nicht an Jugendliche unter 16 Jahren verkauft werden dürfen. Und «harte» Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 15 % dürfen nicht an Jugendliche unter 18 Jahren verkauft werden. Mit diesen Bestimmungen sollen die Jugendlichen vor schädigenden Wirkungen des Alkoholkonsums geschützt werden. Das «Schutzalter» von 16 Jahren besteht auch für den Schutz der sexuellen Bedürfnisse junger Menschen vor den sexuellen Bedürfnissen älterer Menschen. Neben diesem gesetzlichen Schutzalter hat jedes Kind, unabhängig von seinem Alter, den Bedarf: n in einer stabilen, emotional warmen Beziehung zu mindestens einer feinfühligen Betreuungsperson zu stehen, n vor Gefahren und Risiken angemessen geschützt zu werden und seine körperlichen Bedürfnisse in Bezug auf Nahrung, Schlaf zu befriedigen, n Erfahrungen zu machen, die seinem individuellen Entwicklungsstand und seiner Persönlichkeit entsprechen, n Grenzen und Strukturen zu erfahren und in eine soziale Gemeinschaft eingebunden zu sein. Für diese Punkte sind gemäss Familienrecht die Eltern verantwortlich. Die Verantwortlichkeiten der Eltern für ihre Kinder sind im Familienrecht geregelt: «Achter Titel: Die Wirkungen des Kindesverhältnisses» (Art. 270 – 359 ZGB).

3.1

«Zum Wohl des Kindes»

Art. 301 ZGB umschreibt den Inhalt der «elterlichen Sorge» wie folgt:

(www.admin.ch/Bundesrecht/Systematische Rechtsammlung/Landesrecht/ZGB) In Art. 307 ZGB wird die Aufgabe der Kindesschutzbehörde wie folgt umschrieben:

(www.admin.ch/Bundesrecht/Systematische Rechtsammlung/Landesrecht/ZGB) Was mit der Umschreibung «Wohl des Kindes» in einer konkreten Situation gemeint ist, wird Aufgabe 1 im Gesetz jedoch nicht genau definiert. Konflikte sind damit vorprogrammiert.

(www.admin.ch/Bundesrecht/Systematische Rechtsammlung/Landesrecht/ZGB)


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3.2

Schwierige Entscheide der KESB

Wann liegt in der Praxis eine konkrete Gefährdung des Kindeswohl vor und wie soll die Kindesschutzbehörde darauf reagieren? n

n

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Formen von «Kindeswohlgefährdungen» In der Praxis können verschiedene Formen von Kindeswohlgefährdungen vorkommen: Vernachlässigung (fehlende Erfüllung der Mindestanforderungen an emotionaler, körperlicher, sozialer und materieller Versorgung des Kindes) Körperliche Misshandlung Sexuelle Gewalt Psychische Misshandlung (z.B. übermässiges An-sich-Binden des Kindes) Erwachsenenkonflikte um das Kind (und damit einhergehende Einschränkung der Erziehungsfähigkeit) Miterleben von Partnerschaftsgewalt Autonomiekonflikte (Nichtbewältigung von Ablösekonflikten zwischen Eltern und Jugendlichen während der Adoleszenz) Gesetzlich vorgesehene Massnahmen der KESB bei «Kindeswohlgefährdungen» Wenn eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, kann die Kindesschutzbehörde gemäss Gesetz die folgenden Massnahmen ergreifen: Weisung, Ermahnung, Erziehungsaufsicht (Art. 307 Abs. 3 ZGB) Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 ZGB: Unterstützung der Eltern in ihrer Sorge um das Kind mit Rat und Tat Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 2 ZGB: Übertragung besonderer Befugnisse an den Beistand Einschränkung der elterlichen Sorge (Art. 308 Abs. 3 ZGB) Obhutsentzug (Art. 310 ZGB) Entzug der elterlichen Sorge (Art. 311 ZGB)

Die Mutter des 8-jährigen Nino leidet an einer psychischen Erkrankung und ist aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage, die Pflege, Erziehung und Betreuung ihres Sohnes genügend zu gewährleisten. Nino zeigt in der Schule und Freizeit schwere Verhaltensauffälligkeiten. Beide Eltern stellen sich gegen die notwendige kinderpsychiatrische Abklärung. Die KESB hat die kinderpsychiatrische Abklärung durchgesetzt.

Die Eltern von Anna und Leo sind schon länger getrennt, trotzdem können sie sich oft nicht einigen, wie das festgelegte Besuchsrecht umgesetzt werden soll. Sie streiten über Kleinigkeiten. Auch reden sie vor den Kindern schlecht über den jeweils anderen Elternteil. Anna und Leo leiden zusehends unter den Konflikten ihrer Eltern. Dies macht sich auch in der Schule bemerkbar. Die KESB hat eine Beistandsperson eingesetzt, welche das Besuchsrecht überwacht und bei Konflikten begleitet.

Die Behörde stellt fest, dass die zehnjährige Angela in ihrer weiteren Entwicklung stark gefährdet ist, wenn sie weiterhin bei ihren Eltern wohnen bleibt. Die Unterbringung von Angela in einer Pflegefamilie ist aus Sicht der KESB notwendig. Die Eltern sind damit jedoch nicht einverstanden und wollen auch keinen Beitrag an die Unterhaltskosten leisten. Die KESB hat den Eltern die elterliche Obhut entzogen und das Kind in einem Heim untergebracht sowie eine Beistandsperson eingesetzt. Zusätzlich hat die KESB den Eltern die elterliche Sorge entzogen und für Angela einen Vormund eingesetzt.

Der Vater hinterlässt nach seinem Tode seinem minderjährigen Sohn Peter eine Liegenschaft. Die KESB überprüft die Vermögensverwaltung und lässt das Vermögen sperren. Für die Verwaltung der Liegenschaft setzt die KESB einen Beistand ein.

Diese Beispiele aus der KESB-Broschüre des Kantons Zürich zeigen, dass die KESB schwierige Entscheide zu treffen hat: Erstens ist die Abklärung des Sachverhaltes sehr komplex, weil in der Regel neben den Eltern noch viele verschiedene Akteure beteiligt sind, wie z.B. Verwandte, Freunde, Schule, Gemeinde, Vereine. Zweitens greifen die Massnahmen der KESB stark in die persönlichen Verhältnisse ein, z.B. Entzug der elterlichen Sorge. Drittens können die Themen in den Medien sehr emotional aufgeladen werden. In diesem Zusammenhang werden an die Organisation der KESB und deren Abläufe hohe Aufgabe 2 Anforderungen gestellt.


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4 Die KESB – eine professionelle Behörde?! Die KESB ist eine Behörde. Darunter verstehen wir eine staatliche Einrichtung, die für die Erfüllung von gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben zuständig ist. Sie soll den Schutz von Personen sicherstellen, die nicht in der Lage sind, die für sie notwendige Unterstützung selber zu organisieren. Es können dies im Bereich des Erwachsenenschutzes Personen sein, die geistig beeinträchtigt oder schwer suchtkrank sind. Der Kindesschutz umfasst Massnahmen zum Schutz von minderjährigen Personen, falls sich die Eltern – als Inhaber der elterlichen Sorge – nicht um sie kümmern können und deswegen das Wohl eines Kindes gefährdet ist. Schweiz weit sind es rund 150 Fachbehörden, die für den Schutz, die Unterstützung und die Betreuung von hilfsbedürftigen Personen zuständig sind. Die KESB ist bei ihrer Tätigkeit an Gesetze gebunden; sie kann nur dort Unterstützung anbieten und Massnahmen in die Wege leiten, wo dies von Gesetzes wegen vorgesehen ist. Sie funktioniert als Behörde ähnlich wie Gerichte. Die Rechtsgrundlagen für die Arbeit der KESB finden sich im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB). ZGB 2. Teil

Eine KESB besteht aus mindestens drei Behördenmitgliedern. Sie entscheidet meistens als dreiköpfiges Gremium. Bestimmte, weniger eingreifende Geschäfte können auch durch ein Einzelmitglied erledigt werden. Die Behörde lässt sich bei ihrer Tätigkeit durch folgende Grundsätze leiten:

n Interdisziplinarität: Das Gremium ist interdisziplinär zusammengesetzt. Das bedeutet, dass mindestens je ein Mitglied der Fachrichtungen Recht und Soziale Arbeit, Psychologie, Pädagogik und Finanzen (Treuhandwesen) vertreten sein muss. (damit wird deutlich, was mit der oben genannten Professionalität gemeint ist.)

n Subsidiarität: Dies bedeutet «so wenig wie möglich, so viel wie nötig», d.h. die KESB greift nur dort ein, wo eine freiwillige Betreuung oder Vertretung (z.B. durch Angehörige oder nahestehende Personen) nicht ausreicht.

n Verhältnismässigkeit: Eine Massnahme zum Schutz einer Person darf nur angeordnet werden, wenn sie zum Schutz der betroffenen Person zwingend erforderlich ist; sie hat «so schwach wie möglich, aber so stark wie nötig» zu sein.

Das Familienrecht

2. Abteilung

Die Verwandtschaft (Art. 252 ff.) [à Kindesschutz]

7. Titel

Die Entstehung des Kindesverhältnisses

8. Titel

Die Wirkungen des Kindesverhältnisses

9. Titel

Die Familiengemeinschaft

3. Abteilung

Erwachsenenschutz (Art. 360 ff.)

10. Titel

Die eigene Vorsorge und Massnahmen von Gesetzes wegen

11. Titel

Die behördlichen Massnahmen

12. Titel

Die Organisation

Die kantonalen Einführungsgesetze zum Kindes- und Erwachsenenschutzrecht enthalten weitere Vorschriften zur Organisation und zur Zuständigkeit der KESB auf kantonaler Ebene. Warum wird so oft hervorgehoben, dass es sich bei der KESB um eine «professionelle» Behörde handelt? Es müsste ja selbstverständlich sein, dass eine Behörde professionell handelt! Diese Betonung der Professionalität ergibt sich aus der Abgrenzung zu den bis 2012 tätigen Vormundschaftsbehörden, in welchen die Amtsträgerinnen und Amtsträger oftmals so genannte Laien waren. Laien sind Privatpersonen, die ihre Funktion im Nebenamt, d.h. ohne entsprechende Fachausbildung, ausüben (ausschlaggebend für die Besetzung solcher Ämter ist die allgemeine Lebens- und Berufserfahrung dieser Personen).

4.1

Organisation der KESB

Die Organisation der KESB liegt in der Kompetenz der Kantone (Art. 440 ZGB), entsprechend ist die Behördenorganisation je nach Kanton unterschiedlich umgesetzt.

n Im Kanton Zürich haben sich beispielsweise die politischen Gemeinden zum Betrieb von insgesamt 13 einzelnen Behörden zusammengeschlossen (sogenannte KESB-Kreise), deren örtliche Zuständigkeit meistens entlang der Bezirksgrenzen verlaufen. Einzig in der Stadt Zürich gibt es (wegen ihrer Grösse) eine nur aus einer Gemeinde bestehende Behörde. Die KESB sind als Verwaltungsbehörden der Direktion der Justiz und des Innern (Regierungsrat) unterstellt. Auch der Kanton St. Gallen hat die KESB durch auf Gemeindeebene basierenden Zusammenschlüssen organisiert.

n Der Kanton Schaffhausen dagegen kennt nur eine einzige KESB, die als spezielles Fachgericht und nicht als Verwaltungsbehörde ausgestaltet ist. Im Kanton Aargau gibt es zwar mehrere KESB, aber auch hier sind die KESB in die kantonale Gerichtsstruktur eingebaut, sie sind ein Teil der Familiengerichte, einer Abteilung der Bezirksgerichte.

n Im Kanton Thurgau wiederum gibt es je Bezirk eine KESB, sie ist eine eigenständige kantonale Verwaltungsbehörde mit Gerichtsfunktion, die dem Obergericht (Kantonsgericht) sowie dem Departement für Justiz und Sicherheit unterstellt ist.


4.2

Verschwiegenheitspflicht

Warum «Verschwiegenheitspflicht»? Wäre es in vielen Fällen, in denen die KESB in den Medien in der Kritik steht, nicht besser, aktiv und transparent zu informieren? Bei näherem Hinsehen wird sofort klar, dass es sich bei vielen Informationen aus dem KESB-Bereich um sensible und persönliche Daten und Tatbestände handelt, die sowohl die zu schützende Person als auch deren Umgebung betreffen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Gemäss Art. 451 ZGB ist die Erwachsenenschutzbehörde zur Verschwiegenheit verpflichtet, soweit nicht überwiegende Interessen entgegenstehen. Dass eine solche Rechtsnorm Sinn macht, ergibt sich aus dem notwendigen Mass an Vertrauen, das die betroffenen Personen der KESB und ihren Vertreterinnen und Vertretern entgegenbringen können sollten. Die zu schützende Person muss sich darauf verlassen können, dass heikle, persönliche Informationen nicht via KESB den Weg an die Öffentlichkeit finden. Auf der anderen Seite ist es manchmal auch erforderlich, dass die KESB – um ihren Schutzauftrag erfüllen zu können – gewisse Informationen an Dritte weiterleiten muss. So kann es beispielsweise nötig sein, dass eine Beiständin den Vermieter oder eine Sozial- oder Privatversicherung über eine Beistandschaft informiert. Die Verschwiegenheitspflicht gilt vor allem auch im Zusammenhang mit den Medien. Manchmal sind Personen, die sich durch eine Entscheidung der KESB ungerecht behandelt fühlen, versucht, ihre Anliegen via Presse publik zu machen. Oftmals geht es primär darum, dem eigenen Ärger über die «ungerechte» Behandlung Luft zu machen. Damit kann in den meisten Fällen zwar eine reisserische Schlagzeile von der selbstherrlichen Behördenwillkür der KESB erreicht werden. Ob damit aber dem eigenen Anliegen geholfen werden kann, ist äusserst fraglich. Auch in einem solchen Fall wird (und darf) die KESB keine heiklen, persönlichen Daten der Öffentlichkeit preisgeben. Und trotzdem kann der Gang an die Öffentlichkeit für die Betroffenen heikel werden; dann nämlich, wenn sich durch die vertieften Recherchen der Journalisten herausstellt, dass die KESB im Interesse einer hilfsbedürftigen Person gar nicht anders handeln konnte.

4.3

Verfahrensablauf

Entsprechend ihrem Auftrag muss die Behörde zum Schutz für hilfsbedürftige Personen aktiv werden, wenn sie Kenntnis von einer solchen Situation erhält; dies kann grundsätzlich durch drei verschiedene Arten erfolgen: durch eine Gefährdungsmeldung, von Amtes wegen oder durch Anrufung (der hilfsbedürftigen Person selber).

n Gefährdungsmeldung Jede Person kann die KESB informieren, wenn ihr eine erwachsene Person oder ein Kind hilfsbedürftig erscheint und ihres Erachtens behördliche Hilfe braucht. Die KESB muss aufgrund einer solchen Gefährdungsmeldung den Sachverhalt von Amtes wegen prüfen. Sie kann dazu die betroffene Person und Dritte befragen, Augenscheine machen, Akten beiziehen, weitere Auskünfte einholen oder Dritte mit ergänzenden Abklärungen beauftragen. In einem mehrstufigen Verfahren wird der Fall eingehend geprüft. Nach Abschluss der Abklärungen diskutiert und entscheidet das KESB-Dreiergremium allfällige Massnahmen, die allen Beteiligten mitgeteilt werden.

n Beispiel «... von Amtes wegen» Behörden, Ämter und Gerichte sind sogar zur Meldung verpflichtet, d.h. dass Personen in amtlichen Tätigkeiten, wie beispielsweise Lehrpersonen, meldepflichtig sein können. •

Der achtjährige Sven ist in Schule und Freizeit schwer verhaltensauffällig. Weil er im Unterricht nicht mehr tragbar ist, möchte die Schulsozialarbeit ihn psychologisch abklären lassen. Svens Klassenlehrerin versucht erfolglos, die Eltern zum Gespräch zu bewegen. Darauf teilt die Schulleitung den Eltern schriftlich mit, dass sie bei der KESB eine Gefährdungsmeldung einreicht. Die weiteren Abklärungen beim Schulpsychologen ergeben, dass Sven an ADHS leidet. Die Eltern sind mit der Erziehung und Betreuung überfordert. Der Vater ist Fernfahrer und deshalb oft nicht zu Hause; die Mutter hat selbst mit einer psychischen Erkrankung zu kämpfen und kann sich daher nicht genügend um ihren Sohn kümmern. ... Die beauftragte Sozialarbeiterin beantragt der KESB, für Sven eine Beistandschaft zu errichten. Die Eltern sind einverstanden … die KESB ordnet eine Beistandschaft an. Der eingesetzte Berufsbeistand unterstützt die Eltern fortan im Umgang mit Sven und ist auch für diesen eine Ansprechperson … (Beobachter, 16.3.2016; «Was darf die KESB, vier Modellfälle»)

Im gesamten, mehrere Phasen umfassenden Verfahren ist die Behörde – gemäss ihren Grundsätzen – aber stets bemüht, einen Fall bereits während der Abklärung zu lösen, ohne Massnahmen zu verfügen zu müssen.

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Die folgende Darstellung zeigt ein Beispiel eines Verfahrensablaufs nach Eingang einer Gefährdungsmeldung in acht Schritten.


Quelle: aus Beobachter, «Was darf die KESB, vier Modellfälle»,16. Mär 2016 (abgerufen am 6.3.2017) Übung 6 http://www.beobachter.ch/justiz-behoerde/erwachsenenschutz/artikel/was-darf-die-kesb_vier-modellfaelle/#c379768

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þ Das haben Sie gelernt Die Voraussetzungen und die Folgen der Handlungsfähigkeit beschreiben Beispiele von Bewusstseinsstörungen und Schwächezuständen beschreiben Das Schutzbedürfnis von Kindern und von Erwachsenen anhand konkreter Beispiele erläutern Für konkrete Beispiele von Schwächezuständen bei Erwachsenen behördliche Massnahmen der KESB beurteilen Die Vor- und Nachteile eines Vorsorgeauftrages und einer Patientenverfügung beschreiben Das gesetzliche Vertretungsrecht bei Fehlen eines Vorsorgeauftrages bzw. einer Patientenverfügung beschreiben Für konkrete Beispiele von Kindeswohlgefährdungen behördliche Massnahmen der KESB beurteilen Die Organisation der KESB beschreiben Die drei Grundsätze erläutern, durch die sich die KESB in ihren Tätigkeiten leiten lässt Den Verfahrensablauf bei behördlichen Massnahmen der KESB beschreiben Anhand konkreter Beispiele Medienberichte im Zusammenhang mit der KESB beurteilen Suchstrategien für Rechtsgrundlagen mit Hilfe des Gesetzbuches (Printausgabe ZGB/OR) und mit Hilfe der elektronischen Rechtssammlung des Bundes (admin.ch/Bundesrecht/Systematische Rechtssammlung) beschreiben und anwenden

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þ Diese Begriffe können Sie erklären Handlungsfähigkeit - Urteilsfähigkeit - Volljährigkeit Geschäftsfähigkeit Deliktsfähigkeit Bewusstseinsstörungen Schwächezustände Kindesschutz - Kindeswohl - Elterliche Sorge - Kindeswohlgefährdung - Besuchsrecht - Aufenthaltsbestimmungsrecht Erwachsenenschutz - Eigene Vorsorge - Vorsorgeauftrag - Patientenverfügung - Behördliche Massnahmen der KESB - Beistandschaft - Begleitbeistandschaft - Vertretungsbeistandschaft - Mitwirkungsbeistandschaft - Umfassende Beistandschaft - Fürsorgerische Unterbringung KESB - Interdisziplinarität - Subsidiarität - Verhältnismässigkeit Informationsschlagzeile Lead

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Übung 1

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Grundbegriffe des Personenrechts

Übung 2

Handlungsfähigkeit und deren Einschränkung

b)

Alle Menschen sind sogenannte Rechtsobjekte. Alle besitzen die grundsätzliche Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben.

F

… Rechtssubjekte. (Der zweite Satz ist korrekt.) c)

Beim vorliegenden Lehrbuch handelt es sich, rechtlich betrachtet, um ein Rechtsobjekt.

d)

Unter der «Rechtsfähigkeit» versteht man die Fähigkeit, Rechte und Pflichten überhaupt zu haben.

e)

Die Voraussetzungen der Handlungsfähigkeit sind die Urteilsfähigkeit und die Rechtsfähigkeit.

R R F

Die Fähigkeit vernunftgemäss zu handeln (Urteilsfähigkeit), erreicht ein Kind im Normalfall automatisch mit dem vollendeten 12. Altersjahr.

F

… nicht automatisch mit dem vollendeten 12. Altersjahr. (… wird mit zunehmendem Alter nach und nach erworben.) g)

Ein Jugendlicher im Alter von 16 Jahren ist beschränkt handlungsfähig.

… beschränkt handlungsunfähig.

F

A

B

C

D

E

a) Marco, bei einer Grossbank in Ausbildung, 17 Jahre alt.

£ X £ X £

b) Marianne, in Ausbildung zur Detailhandelsangestellten, 19 Jahre alt.

X

X £ £

X

c) Corinne, 20-jährige Studentin im 1. Semester an einer Fachhochschule.

X

X £ £

X

d) Gaston konsumiert an seinem 21. Geburtstag so viel Drogen und Alkohol, dass er völlig bekifft und betrunken ist.

X £

X

e) Sadiye, 21-jährig, während ihres Aufenthaltes in der Empfangsstelle für Asylbewerberinnen.

X

£ £

f) Fabiana, Kindergartenkind, 5-jährig.

£ £

X

£ £

X

£

X

£ £

X

£

X

£ £

X

X

£ £

… die Urteilsfähigkeit und die Volljährigkeit. f)

voll handlungsfähig

Die Rechtsfähigkeit … beginnt mit der Geburt. (oder: Die Volljährigkeit … )

beschränkt handlungsunfähig

F

Kreuzen Sie die Handlungsfähigkeit der folgenden Personen an. Begründen Sie Ihre Antwort, indem Sie die Voraussetzungen der Handlungsfähigkeit (mündig und urteilsfähig) der entsprechenden Personen bestimmen.

voll handlungsunfähig

Die Rechtsfähigkeit der natürlichen Personen beginnt mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres.

urteilsfähig

a)

volljährig

Welche Aussagen sind richtig (R); welche falsch (F)? Setzen Sie das zutreffende Symbol in das Kästchen und korrigieren Sie die Fehler auf den leeren Linien.

g) Die 30 Jahre alte Edith steht wegen einer schweren geistigen Behinderung unter umfassender Beistandschaft. h) Sandro, Festbesucher, 22-jährig, befindet sich nach extensivem Alkoholkonsum in einem Vollrausch. i) Mariangela, italienische Staatsangehörige («Seconda»), Maturandin, 19 Jahre alt.

X

£ £ X

X


Übung 3

Übung 4

Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung

Ordnen Sie die folgenden Aussagen dem Bereich Vorsorgeauftrag bzw. Patientenverfügung zu.

Vorsorgeauftrag ...

Patientenverfügung ...

Massnahmen der KESB

Petra Müller, 74 Jahre, hat bisweilen Mühe, sich zurechtzufinden und kann sich plötzlich in einer eigentlich vertrauten Umgebung verlaufen. Sie mag sich an einem Ort wiederfinden, ohne sich erklären zu können, wie sie dorthin geraten ist. Sie mag weiter Gegenstände an durchaus unlogischen Orten ablegen (z.B. Zahnbürste im Kühlschrank) und sie dann erst viel später durch Zufall wiederfinden. Sie hat auch Schwierigkeiten mit dem Zeitgefühl und bringt gelegentlich die Tageszeiten durcheinander. Ihr Mann Paul Müller, 77 Jahre, hat in dieser Zeit der fortschreitenden Demenz seiner Frau den gemeinsamen Haushalt besorgt. Paul Müller stirbt überraschend an einem Herzversagen. Es bestehen weder ein Vorsorgeauftrag noch eine Patientenverfügung.

a)

... beinhaltet Regelungen zur «Personensorge», «Vermögenssorge» und «Vertretung im Rechtsverkehr»-

X

£

b)

... die KESB klärt die Urteilsfähigkeit der unterzeichnenden Person von Amtes wegen ab.

X

£

c)

... Formvorschriften sind vergleichsweise strenger.

X

£

d)

... Voraussetzung für die rechtsgültige Errichtung ist die Handlungsfähigkeit.

X

£

e)

... Voraussetzung für die rechtsgültige Errichtung ist die Urteilsfähigkeit.

(X)

X

f)

... muss öffentlich beurkundet sein.

£

£

b)

g)

... regelt die Frage nach möglichen Organspenden.

£

X

… auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten, d.h. Begleit-, Vertretungs-, Mitwirkungs-, kombinierte/umfassende Beistandschaft.

h)

... Dokument (oder einen Hinweis) auf das Dokument sollte man immer auf sich tragen, z.B. im Portemonnaie.

£

X

i)

die KESB überprüft die Einhaltung auf schriftlichen Antrag.

£

X

Welche Aussagen sind richtig (R); welche falsch (F)? Setzen Sie das zutreffende Symbol in das Kästchen und korrigieren Sie die Fehler auf den leeren Linien. a)

Petra Müller hat zwei Kinder, 50 und 55 Jahre alt. Die Kinder von Petra Müller haben ein gesetzliches Vertretungsrecht für ihre Mutter und können die laufenden Rechnungen für sie bezahlen.

F

Gesetzliches Vertretungsrecht besteht nur für Ehepartner bzw. eingetragene Partner. Bei Anzeichen einer Demenzerkrankung errichtet die KESB eine umfassende Beistandschaft.

F

c)

Petra Müller will nicht in ein Pflegeheim. Die KESB kann Petra Müller auch gegen ihren Willen «fürsorgerisch unterbringen».

R

d)

Bei einer fortgeschrittenen Demenz muss die KESB Petra Müller «fürsorgerisch unterbringen» lassen, d.h. in ein Pflegeheim einweisen.

F

… nur wenn die nötige Behandlung nicht anders erfolgen kann, z.B. mit einer ambulanten Hilfe.

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Übung 5 a)

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Beistandschaft

Übung 6

Ein «Beistand», eine «Beiständin» kann ganz unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Je nach Aufgaben unterscheidet man verschiedene Beistandschaften. Welche Art von Beistandschaft haben die folgenden Beistände bzw. Beiständinnen übernommen? 1.

Beistand A: «Beratung und Unterstützung bei der Wohnungssuche, beim Ausfüllen der Steuererklärung oder beim Erstellen eines Budgets.»

Begleitbeistandschaft (Art. 393 ZGB) 2.

Beiständin B: «Vertretung einer Person in allen Belangen wegen einer geistigen Behinderung, die zwar nicht offenkundig ist, aufgrund derer die Person aber ausgenützt werden könnte.»

Umfassende Beistandschaft (Art. 398 ZGB) 3.

Die folgenden Auswahlaufgaben enthalten immer zwei Aussagen, die miteinander verknüpft sind. Entscheiden Sie sich jeweils für eine der folgenden Antwortmöglichkeiten: A +weil+

B +/+

Beide Aussagen richtig, Verknüpfung trifft zu

Beide Aussagen richtig, Verknüpfung trifft nicht zu

a)

Beiständin C: «Aufnahme eines Darlehens, Haustürgeschäfte, Abschluss eines Erbvertrages, Verkauf einer Liegenschaft.»

Beistand D: «übernimmt die Einkommens- und Vermögensverwaltung und administrative Angelegenheiten.»

Welche Aussagen betreffend Beistandschaft sind richtig (R); welche falsch (F)? Setzen Sie das zutreffende Symbol in das Kästchen und korrigieren Sie die Fehler auf den leeren Linien. 1.

Eine Beistandschaft der KESB soll so viel staatliche Fürsorge wie möglich sicherstellen, man nennt die «Subordinationsprinzip».

F

... so wenig staatliche Fürsorge wie nötig (Subsidiaritätsprinzip) 2.

Die KESB errichtet eine Beistandschaft nur, wenn die aufgrund eines Schwächezustandes entstandene Schutzbedürftigkeit einer Person nicht anderweitig, z.B. durch die Kinder, Nachbarn oder die Spitex, aufgefangen werden kann.

Erste Aussage richtig, zweite Aussage falsch

D –/+ Erste Aussage falsch, zweite Aussage richtig

E –/– Beide Aussagen falsch

Die KESB (seit 2013) ist im Vergleich zu den bis 2012 tätigen Vormundschaftsbehörden professioneller organisiert und teurer, ... weil ... die KESB interdisziplinär zusammengesetzt ist, d.h. in die Entscheide werden mindestens je ein Mitglied der Fachrichtungen «Recht und Soziale Arbeit», «Psychologie» und «Pädagogik und Erbrecht» einbezogen.

C

... und «Pädagogik und Finanzen (Treuhandwesen)» (nicht Erbrecht)

Vertretungsbeistandschaft (Art. 394 ZGB) b)

C +/–

Begründen Sie falsche Verknüpfungen oder die falsche Teilaussage in wenigen Worten.

Mitwirkungsbeistandschaft (Art. 396 ZGB) 4.

KESB – eine professionelle Behörde?!

b)

Die KESB klärt in ihrer zuständigen Region selbständig ab, welche Personen schutzbedürftig sind, und eröffnet dadurch erst nach zwei bis vier Monaten ein Verfahren, ... weil ... die Abklärungsaufträge und die Anhörungen der betroffenen Personen mehrere Monate dauern können.

D

... KESB eröffnet Verfahren aufgrund von Gefährdungsmeldungen, durch Anrufung der betroffenen Person und von Amtes wegen

R

c)

Die KESB informiert die Medien über ihre Überlegungen und Entscheide in der Regel sehr zurückhaltend, ... weil ... die KESB rechtlich (gemäss Obligationenrecht) zur Verschwiegenheit verpflichtet ist.

... gemäss Zivilgesetzbuch (Art. 451 ZGB)

C


Aufgabe 1

Fallbeispiel «Die Kinder von Frau H.»

Lesen Sie das folgende Fallbeispiel und beantworten Sie die anschliessenden Fragen dazu.

Aus einem Polizeirapport: 1.

An einem Montagmorgen wird die örtliche Polizei von Nachbarn aufgrund einer häuslichen Auseinandersetzung zu einer Wohnung gerufen. Dort treffen die ausgerückten Polizisten den Wohnungsmieter Herr A, einen 60jährigen Schweizer sowie eine 40jährige Tschechin, Frau H. sowie drei Kinder, ein Mädchen im Alter von drei Jahren und zwei drei Monate alte Zwillinge). Die tschechische Mutter der Kinder macht zum Zeitpunkt des Einrückens der Beamten einen alkoholisierten Eindruck, der Atemtest ergibt einen Wert von 2.9 Promille. Es scheint, dass sich die Mutter der Kinder – auch aufgrund ihres alkoholisierten Zustandes – nicht adäquat (angemessen) um die Kinder kümmern kann. Der nüchterne Schweizer, von der Tschechin als Vater der Zwillinge bezeichnet, hat nicht korrigierend eingegriffen. Die Polizei hält zusammenfassend fest, dass die Kinder durch den massiven Alkoholkonsum der Mutter einen körperlich und insbesondere hygienisch vernachlässigten Eindruck machen, offensichtliche Kratzspuren und Hämatome (Blutergüsse) lassen körperliche Übergriffe vermuten. a)

«Wer» sollte Ihrer Meinung nach in dieser Situation «was» machen? Überlegen Sie sich mögliche Akteure («wer») und formulieren Sie verschiedene, denkbare Massnahmen («was?») der einzelnen Akteure.

Individuelle Schülerantworten

Beispiele von Schülerlösungen:

b)

Tragen Sie in der Gruppe Ihre Überlegungen vor und fassen Sie die Gruppendiskussion auf einem Flipchart zusammen.

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2.

Die dreijährige Tochter wird umgehend bei einer Pflegefamilie, die beiden dreimonatigen Babys auf der Säuglingsstation des naheliegenden Krankenhauses untergebracht. Abschliessend erstattete die Polizei Meldung bei der KESB. Erste Abklärungen der KESB ergeben, dass die Kindsmutter regelmässig in die Schweiz einreiste und als Prostituierte arbeitete. In den Registraturen der Polizei war sie mehrfach erfasst. Vor rund einem Jahr musste sie wegen einer Blutalkoholkonzentration von 4.9 Promille ins Spital eingewiesen werden. Zum damaligen Zeitpunkt war sie bereits mit den Zwillingen schwanger gewesen. Im unmittelbar von der KESB anberaumten Gespräch mit der Kindsmutter (Frau H.) sowie dem 60jährigen Schweizer (Herr A.) vertritt die Kindsmutter die Haltung, Herr A. sei der Kindsvater. Dieser verneint das und hatte deshalb auch die Vaterschaft nie anerkannt. Um Herrn A. unter Druck zu setzen, hat Frau H. mit ihren Kindern eine 20stündige Busfahrt von Tschechien in die Schweiz auf sich genommen. Weiter gibt Frau H. an, dass ihr in Tschechien aufgrund des Alkoholkonsums bereits die Obhut über zwei ältere Kinder entzogen worden sei. Warum ihr hier in der Schweiz die Kinder nicht wieder zur Betreuung übergeben würden, könne sie nicht nachvollziehen. Aufgrund des Polizeiberichts sowie der unklaren Perspektive, insbesondere der Wohnform während des Aufenthalts in der Schweiz, entzieht die KESB Frau H. die Obhut über die Kinder und stellt weitere Abklärungen an.

c)

«Wer» ist die «KESB»? Lesen Sie im Theorieteil das Kapitel «4 Organisation der KESB» und fassen Sie die wichtigsten Punkte auf der nächsten Seite in Form eines Porträts der KESB zusammen. Bereiten Sie sich auf eine kurze Präsentation Ihrer Erkenntnisse vor.

Elemente, die in einem Porträt der KESB erscheinen sollten: •

staatliche Einrichtung (Behörde)

• • •

Ziel: Schutz von Erwachsenen und Kindern Rechtsgrundlage: ZGB Grundsätze: o Interdisziplinarität (Fachleute aus versch. Gebieten) o Subsidiarität (so wenig wie möglich, soviel wie nötig) o Verhältnismässigkeit (so schwach wie möglich, so stark wie nötig)

Kantonal unterschiedlich organisiert

Verschwiegenheitspflicht o Heikle Informationen nicht an die Öffentlichkeit

Verfahrensablauf o Gefährdungsmeldung o KESB prüft, evtl. Sofortmassnahme o Evtl. Abklärungsauftrag mit Bericht o Evtl. Antrag auf Schutzmassnahmen o Umsetzung der Schutzmassnahmen o Periodische Überprüfung

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Individuelle Schülerantworten

z.B. in Form einer Liste, eines Mindmaps oder einer graphischen Darstellung Präsentation am Visualizer oder in Form eines Flipcharts

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3.

Die Rücksprache beim Spital sowie bei der Pflegefamilie ergibt, dass sowohl die dreijährige Tochter wie auch die Zwillinge einen altersadäquat entwickelten, wohlgenährten und gesunden Eindruck machen. Die Verletzungen der Kinder könnten keinem körperlichen Übergriff zugewiesen werden. Über das Bundesamt für Justiz in Bern, Fachbereich Internationales Privatrecht, wird Kontakt zur zentralen tschechischen Stelle für Kindesschutz hergestellt. Aufgrund der dort vorliegenden Informationen kann kurz darauf die für Frau H. zuständige Sozialarbeiterin des örtlichen Jugendamtes ermittelt werden. Auf Nachfrage der KESB teilt diese mit, dass der Suchtmittelkonsum von Frau H. bekannt sei und sie mittels regelmässigen Therapien in Tschechien begleitet und mit Kontrollen der suchtspezifischen Laborparameter überwacht werde. Weiter seien tatsächlich ihre zwei ältesten Kinder fremdplatziert worden. Bis anhin habe sie aber den jüngsten Kindern – auch aufgrund eines engmaschigen Netzwerks sozialer Anlaufstellen – stets die geeignete Betreuung und Erziehung zukommen lassen können. Aufgrund dieser zusätzlichen Informationen wird erneut ein Gespräch mit Frau H. und Herrn A. einberufen. Dabei teilt Frau H. mit, dass sie keine Zweifel daran habe, dass Herr A. der Vater der beiden Zwillinge sei. Herr A. ist bereit, sich einem Vaterschaftstest zu unterziehen. Er wolle jedoch eine Überprüfung nach strikten gesetzlichen Vorschriften. Bei seinem letzten Besuch in Tschechien habe die Kindsmutter ihm nämlich während des Schlafs einen Wangenabstrich entnommen und die Proben an einen Arzt gesandt. Bei jenem Vorgehen konnte ihm aber niemand garantieren, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Während dieses Gesprächs wird ersichtlich, dass der Aufenthalt von Frau H. sowie der Kinder in der Schweiz einzig dazu dient, einen Vaterschaftstest zu vollziehen. Weiter wird aber auch festgehalten, dass es Frau H. ausserhalb des gewohnten Settings (= spezifische Gestaltung der Behandlung) nicht gelingt, ihren Suchtmittelkonsum zu kontrollieren. Im Einverständnis und unter der Federführung der KESB wird deshalb sowohl ein DNA-Gutachten angestrengt als auch die Rückreise der Mutter und ihrer Kinder nach Tschechien geplant. Sowohl Frau H. als auch Herr A. stimmen diesem Vorgehen zu. Weiter sind mit Herrn A. und Frau H. diverse Formalitäten betreffend die anfallenden Kosten (Spitalaufenthalt, Pflegefamilie) zu klären. Wenige Tage später findet der Vaterschaftstest statt. Unmittelbar darauf kann Frau H., in Anwesenheit des zuständigen Mitarbeiters der KESB, ihre Kinder wieder in ihre Obhut nehmen. Am Abend verlässt sie die Schweiz mit ihren Kindern in Richtung Prag. Durch die enge Zusammenarbeit der KESB mit den tschechischen Behörden kann sichergestellt werden, dass Frau H. am Bahnhof in Prag von einer dortigen Fachperson in Empfang genommen wird. Weiter führen die tschechischen Behörden im Anschluss an die Rückkehr von Frau H. diverse Abklärungen durch, worüber sie die KESB jeweils informieren. Um einen weiteren Alleingang der Kindsmutter zu verhindern, unterstützt die KESB – trotz fehlender Zuständigkeit – sowohl die Mutter wie auch den durch den positiven Vaterschaftstest erwiesenen Vater bei den amtlichen Formalitäten in der Schweiz zur Vaterschaftsanerkennung. Rund ein halbes Jahr nach der Rückkehr der Mutter nach Tschechien, wobei sie und die Kinder über die Weihnachtsfeiertage vom Kindsvater besucht worden sind, stehen die tschechischen und die schweizerischen Behörden immer noch lose in Kontakt zueinander, um die Situation der Kinder betreffend Betreuung und Erziehung durch die Kindsmutter, aber auch betreffend Kontakt zum entfernt lebenden Vater, zu koordinieren. d)

Welches ist Ihr Fazit zu diesem Fallbeispiel? Bzw. was für Fragen/Themen sind im Verhältnis zwischen Frau H. und Herr A. nach wie vor nicht geklärt und bedürfen – früher oder später – einer Bereinigung?

Individuelle Schülerantworten

z.B. • • • •

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Unterhaltszahlungen? Besuchsrecht? Informationspflicht? Trennungsverfahren?

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Aufgabe 2

Fallbeispiel «Paul M.»

1. Teil der Geschichte: Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) wird von einer Sozialarbeiterin der psychiatrischen Klinik, Station für Eltern-Kind-Behandlung, informiert, dass Paul M. (5-jährig) sowie Franziska M. (25-jährig, seine Mutter und Inhaberin der alleinigen elterlichen Sorge) seit einigen Tagen in der Klinik betreut und behandelt werden. Die Kindsmutter habe bis anhin in Erziehungsfragen einen sehr kompetenten Eindruck gemacht, jedoch bestehe der Verdacht auf eine gravierende psychiatrische Erkrankung, was seitens der Klinik eine angemessene Betreuung von Paul durch die Kindsmutter gefährden könnte. Weiter werde das Besuchsrecht von Paul zu seinem Vater Johannes M. (29-jähig) nur unregelmässig umgesetzt, was der Entwicklung von Paul in einem ohnehin schon instabilen Umfeld nicht zum Vorteil gereiche. Die Station für Eltern-Kind-Behandlung der psychiatrischen Klinik empfiehlt deshalb die Errichtung einer Beistandschaft, um einerseits die Betreuung durch die Kindsmutter zu beaufsichtigen, andererseits den regelmässigen Kontakt zum Vater zu gewährleisten. Der von Franziska getrennt lebende Kindsvater Johannes gibt in einem ersten Gespräch mit der KESB an, dass er einerseits die gemeinsame elterliche Sorge beantragen, andererseits aufgrund der Erkrankung der Kindsmutter Paul zu sich zur Betreuung nehmen möchte. Patrizia S. (34-jährig), die Schwester der Kindsmutter meldet sich bei der KESB und äussert grosse Bedenken, dass Johannes nicht in der Lage sei, Paul adäquat zu betreuen. Insbesondere hätten sich in der Vergangenheit diverse Geschehnisse ereignet, welche an dessen Erziehungsfähigkeit zweifeln liessen. So habe Johannes an der letzten Geburtstagsfeier Paul in einen Teich geworfen, um zu sehen, ob dieser sich selbst retten könne. Auch habe er ihm eine Axt geschenkt und lässt Paul damit unbeaufsichtigt spielen. Nach wenigen Wochen meldet sich Pauls Bezugsperson von der Station für Eltern-Kind-Behandlung der psychiatrischen Klinik. Es gelinge der Kindsmutter auch unter Anleitung nicht mehr, in geeignetem Masse für ihr Kind zu sorgen. Franziska übergebe Paul morgen in die Obhut ihrer Grossmutter, Margrit S. (75-jährig). Wenige Tage darauf beschliesst die KESB, für Paul eine Beistandschaft einzurichten. Der Beiständin Regula R. (40-jährig) werden die Aufgaben übertragen, die Kindsmutter in ihrer Sorge um Paul mit Rat und Tat zu unterstützen, in Zusammenarbeit mit der Kindsmutter eine geeignete Unterbringung und die Finanzierung derselben sicherzustellen sowie die Eltern bei der Ausübung des Besuchsrechts zu unterstützen. Unmittelbar nach Erhalt des Beschlusses der KESB beantragt der Johannes bei der KESB schriftlich die Erteilung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Franziska spricht sich vehement gegen eine solche aus. Tags darauf meldet sich die Oberärztin der psychiatrischen Klinik. Der Kindsvater sei dort erschienen und habe nach Paul gesucht. Als er ihn nicht gefunden habe, habe er laut herumgeschrien und einen Amoklauf angedroht. Die psychiatrische Klinik werde in Absprache mit der Kindsmutter empfehlen, Paul in einer Pflegefamilie unterzubringen. Eine solche, dauerhafte Unterbringung in einer Pflegefamilie wurde kurz darauf von der Kindsmutter veranlasst: Paul wohnt jetzt bei Rita P. (22-jährig, gemeinsame Freundin der Kindseltern). Die KESB hat weder die Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts beschlossen noch eine Platzierung verfügt. Der Vater wendet sich an die Gratiszeitung «Le Gratuit», diese greift die Geschichte auf. Auf Nachfrage der Journalistin gibt die KESB jedoch keine Auskunft zum konkreten Fall. a) Formulieren Sie eine Mitteilung für das News-Portal dieser Gratiszeitung, bestehend aus einer Informationsschlagzeile und einem Vorspann (Lead), der die News-Mitteilung zusammenfasst.

«Le Gratuit» Informationsschlagzeile

Individuelle Schülerantworten

Beispiel:

Vorspann (Lead)

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b) Wie beurteilen Sie das folgende Beispiel einer Berichterstattung?

KESB gibt Kind in Pflegefamilie – Vater hat nichts zu melden Die Mutter des kleinen Paul (5) wird in einer psychiatrischen Klinik behandelt und kann ihren Sohn nicht mehr betreuen. Sein Vater will in die Bresche springen, doch die KESB verhindert dies. Vernünftige Gründe dafür gibt es nicht, deshalb wollte die selbstherrliche Behörde sich gegenüber unserer Zeitung auch nicht erklären. (...)

Ich beurteile diese Berichterstattung als ...

... sehr gut

(Beurteilung einkreisen)

1

... gar nicht gut 2

3

4

5

Klassenergebnis

Begründung (stichwortartig):

Individuelle Schülerantworten

(In unseren Klassen wurde diese Berichterstattung als recht gut beurteilt.)

2. Teil der Geschichte: Nach wenigen Wochen meldet sich der Kindsvater und teilt mit, dass es das Geburtsrecht von Paul sei, von seinen Eltern betreut zu werden. Sollte die Kindsmutter nicht in der Lage dazu sein, so sei Paul von ihm als Vater zu betreuen. Die KESB und die Beiständin könnten weiterhin Elend und Leid säen, doch sie würden zukünftig auch nur dies ernten können. Kurz darauf meldet sich die Kantonspolizei bei der KESB und informiert, dass der Kindsvater die Dargebotene Hand kontaktiert und dort ein Blutbad bei der KESB angekündigt habe. In einem Gespräch mit beiden Elternteilen hält die KESB fest, dass sie aufgrund der vorherrschenden Uneinigkeit betreffend die Erteilung der gemeinsamen elterlichen Sorge, aber auch der daraus sich ergebenden Nebenpunkte angehalten sei, eine diesbezügliche Entscheidung zu treffen. Aufgrund diverser Vorhaltungen und Vorkommnisse ist die KESB nicht ohne Weiteres in der Lage, eine solch immens wichtige Entscheidung zu treffen. Als Grundlage für einen Entscheid wird deshalb beim Kinderund Jugendpsychiatrischen Dienst (KJPD) ein Gutachten über die Erziehungsfähigkeit beider Eltern in Auftrag gegeben. Ein solches dauert in der Regel mehrere Monate. Kurz darauf taucht der Kindsvater ausserhalb der ihm zustehenden Besuchszeiten in der ausserschulischen Kinderbetreuung von Paul auf. Er erzählte sämtlichen anwesenden Kindern, wie cool die Psychiatrie für Erwachsene sei, dort könne man auf Kosten der Allgemeinheit Ferien machen und dürfe ein bisschen spinnen. Seine Präsenz verunsichere sämtliche Kinder der Tagesschule merklich. Im Laufe der Gutachtenserstellung wird Paul durch das verfahrensleitende Behördenmitglied und die fallführende Fachsekretärin der KESB angehört. Paul sagt, dass er die Besuche bei seiner Mami gut finde. Wie die Besuche beim Papi sind, könne er nicht genau sagen. Mal so, mal so. Er wolle aber auf keinen Fall mit dem Papi in die Sommerferien, sondern mit der Oma, einem Freund der Kindsmutter, seinem Gotti und der Pflegemutter. Kurz nach der Anhörung ruft Paul nochmals an und teilt der KESB mit, dass er nicht zum Papi in die Ferien wolle, auch nicht eine Woche. Es werden – trotz grossen Einwänden des Kindsvaters – deshalb keine gemeinsamen Ferien vereinbart. Die Gratiszeitung «Le Gratuit» doppelt nach und meldet, die KESB wolle den Kontakt von Vater und Kind unterbinden.

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Brennpunkt Wirtschaft und Gesellschaft | KESB – Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde 32


KESB verbietet Vater geplante Ferien Nachdem die KESB bereits ohne Anlass verhindert hat, dass Johannes seinen Sohn betreuen kann, greift die Behörde noch stärker in die Beziehung des Vaters zu seinem Kind ein und untersagt jetzt sogar die längst geplanten gemeinsamen Ferien. (...)

Aufgrund dieser zweiten Story in der Gratiszeitung «Le Gratuit» meldet sich die Tageszeitung «Il Solido» bei der KESB. Die Behörde gibt keine Auskunft zum konkreten Fall, skizziert jedoch die grundsätzlichen rechtlichen Aspekte solcher Fälle und erläutert dem Journalisten von «Il Solido» die im Zivilgesetzbuch aufgeführten rechtlichen Bedingungen für die Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und den Entzug der elterlichen Sorge. c) Suchen Sie in der elektronischen Rechtssammlung des Bundes die Rechtsgrundlagen für die Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Eltern. Welche Artikel sind dafür massgebend?

Art. 310 ZGB (C. Kindesschutz / III. Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts) Art. 311 ZGB (C. Kindesschutz / IV. Entziehung der elterlichen Sorge / 1. Von Amtes wegen Art. 312 ZGB ( ... / 2. Mit Einverständnis der Eltern)

d) Formulieren Sie eine Mitteilung für das News-Portal dieser Tageszeitung, bestehend aus einer Informationsschlagzeile und einem Vorspann (Lead), der die News-Mitteilung zusammenfasst.

«Il Solido» Informationsschlagzeile

Individuelle Schülerantworten

Individuelle Schülerantworten

Vorspann (Lead)

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(In unseren Klassen wurde hier sachlicher formuliert.)

Brennpunkt Wirtschaft und Gesellschaft | KESB – Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde 33


e) Wie beurteilen Sie das folgende Beispiel der Berichterstattung der Tageszeitung «Il Solido»?

Heikles Abwägen der KESB Der Fall eines Vaters, dem offenbar von der KESB der Kontakt zu seinem Sohn erschwert wird, füllt seit Wochen die Spalten eines lokalen Gratisblattes. Auf Anfrage äussert sich die KESB nicht zu dem Fall. Hingegen erläutert die Behörde gegenüber unserer Zeitung, unter welchen Umständen sie überhaupt befugt ist, etwa das Sorgerecht eines Elternteils einzuschränken. (...)

Ich beurteile diese Berichterstattung als ...

... sehr gut

(Beurteilung einkreisen)

1

... gar nicht gut 2

3

4

5

Klassenergebnis

Begründung (stichwortartig):

Individuelle Schülerantworten

(In unseren Klassen wurde diese Berichterstattung als gut bis sehr gut beurteilt.)

3. Teil der Geschichte: Nach rund einem halben Jahr liegt das kinderpsychiatrische Gutachten der KESB vor. Es wurden Abklärungen mit beiden Kindseltern, mit Paul, mit dem nahen Umfeld sowie mit der Pflegemutter vorgenommen. Hauptursache für die lange Bearbeitungsdauer sei die Unzuverlässigkeit des Kindsvaters betreffend die Terminwahrnehmung gewesen. Beide Kindseltern stammen aus schwierigen familiären Verhältnissen und haben ihre Jugendjahre in Pflegefamilien verbracht. Dies und der gemeinsame Cannabiskonsum habe die Eltern stark miteinander verbunden. Bei Paul wird ein unsicherer Bindungstypus festgestellt. Erwachsene Figuren treten stets als nicht Schutz bietend oder unterstützend auf, der Vater wird als unberechenbar und attackierend beschrieben. In der Spielsituation zeigt sich Paul seinem Vater zugewandt und vertraut. Gesamthaft wird Paul als altersentsprechend entwickelter Junge mit guten kognitiven Fähigkeiten und einer guten sozialen Kompetenz beschrieben. Unsicherheiten entwickelt er insbesondere in für ihn neuen Situationen; dies könnte mit der Erkrankung der Kindsmutter zu tun haben. Der Aufenthalt in der Pflegefamilie wirke entlastend. Paul gibt an, weiterhin dort wohnen zu wollen. Johannes, der Vater von Paul, sendet der Journalistin von «Le Gratuit» eine Kopie des kinderpsychiatrischen Gutachtens mit den Stichworten: «Typisch: von der KESB bestelltes Gutachten!!!!!»

Bestelltes Gutachten der KESB soll Behörden-Willkür rechtfertigen Die Mutter des fünfjährigen Paul kann ihn krankheitshalber nicht mehr betreuen, dennoch will die KESB dem Buben um jeden Preis auch noch den Vater rauben. Die Behörde liess dafür ein windiges Gutachten erstellen und stützt sich auf manipulierte Aussagen des Kindes. (...)

Die Tageszeitung «Il Solido» greift daraufhin den Fall ebenfalls wieder auf und verlangt bei der KESB Einsicht in das Gutachten. Die KESB-Verantwortliche verweigert die Einsicht, betont aber gegenüber dem Journalisten, dass die KESB in erster Linie © STR teachware

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das Wohl des Kindes im Fokus hätte. Ohne sich zitieren zu lassen, deutet sie auch an, dass die Verhältnisse auf beiden Elternseiten schwierig seien.

Stets das Wohl des Kindes im Auge Die KESB wehrt sich gegen den Vorwurf, sich mit einem einseitigen Gutachten zwischen einen Vater und dessen fünfjährigen Sohn zu stellen. Das Gutachten selbst hält die Behörde mit Verweis auf den Datenschutz unter Verschluss, obwohl ein Gratiszeitung bereits ausführlich daraus zitierte. Es sei keinesfalls so, dass ein Gutachten eine vorgefertigte Meinung bestätigen könne: Auf die Schlüsse des Gutachtens habe die KESB keinen Einfluss. Hingegen sei ein solches Gutachten eine Entscheidungshilfe, gerade wenn sich die Ausgangslage als komplex und schwierig präsentiere. Wenn sich die Eltern uneinig seien, werte die Behörde das Wohl des Kindes höher als die Wünsche der Eltern. (...) f)

Suchen Sie in der elektronischen Rechtssammlung des Bundes die Rechtsgrundlagen für den von der KESB angesprochenen Verweis auf den Datenschutz. Welche Artikel sind dafür massgebend?

Art. 451 ZGB Verschwiegenheitspflicht und Auskunft 1 Die Erwachsenenschutzbehörde ist zur Verschwiegenheit verpflichtet, soweit nicht überwiegende Interessen entgegenstehen. 2 Wer ein Interesse glaubhaft macht, kann von der Erwachsenenschutzbehörde Auskunft über das Vorliegen und die Wirkungen einer Massnahme des Erwachsenenschutzes verlangen. 4. Teil der Geschichte: Beim danach anberaumten Gespräch teilt der Kindsvater mit, dass er das Gutachten nicht gelesen habe. Die Kindsmutter informiert die KESB, dass sie mit dem Aufenthalt von Paul bei der Pflegefamilie einverstanden sei. Johannes, der Kindsvater, möchte sein Kind weiterhin lieber bei sich haben. Weiter sagt Johannes gegenüber der KESB, dass er die schulische Laufbahn seines Sohnes unterbrechen und mit ihm zusammen in einer alternativen Form leben möchte. Die Therapien, welche Paul derzeit zur Bewältigung seines Traumas besuchen müsse, würde er umgehend abbrechen. Nach einer kurzen Zwischenberatung beschliesst die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, dem Kindsvater die gemeinsame elterliche Sorge nicht zu erteilen. Er sei nicht in der Lage, die Sichtweise seines Sohnes einzunehmen und sich in dessen Bedürfnisse hineinzudenken. Paul wäre bei der Erteilung der gemeinsamen elterlichen Sorge ständig zwischen den Denkweisen der Eltern hin- und hergerissen. Die jetzige stabile Lebenssituation würde wiederum gefährdet. Die Kindsmutter unterstützt die von den Fachpersonen angedachten Handlungen; es gibt somit keinen Grund, ihr die elterliche Sorge zu entziehen. Den Kindseltern wird der schriftlich begründete Entscheid der KESB per Post zugestellt. Johannes holt sein Schreiben bei der Post nicht ab. Seine Beschwerde gegen den Entscheid der KESB geht einen Tag zu spät bei der Rekursbehörde ein. Die Rekursbehörde tritt deshalb auf die Beschwerde des Kindsvaters nicht ein. Die Gratiszeitung «Le Gratuit» nimmt die Geschichte nochmals auf und schreibt, dass der Vater mit einem "gekauften Gutachten" entmündigt wurde und ihm so sein Kind weggenommen wurde. Das Nichteintreten auf die Beschwerde wird als behördliche Arroganz gegeisselt.

Vater von KESB entrechtet Dem Treiben der hiesigen KESB wird von niemandem Einhalt geboten - Leidtragender ist Johannes, dem die Willkür-Behörde mit einem gekauften Gutachten den Sohn wegnimmt. Auf eine Beschwerde gegen diesen Entscheid tritt die arrogante KESB mit Verweis auf formale Fehler bei der Einreichungsfrist gar nicht erst ein. (...)

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5. Teil der Geschichte: Einen Monat nach Beschluss der KESB hat sich Franziska ohne Angabe von Gründen das Leben genommen. Drei Wochen später beantragt Patrizia, die Schwester von Franziska, der KESB, Paul als Pflegekind bei sich aufnehmen zu dürfen. Die Kindesschutzbehörde ernennt einen Berufsbeistand als «Vormund» für Paul (ein Berufsbeistand ist eine in Sozialer Arbeit ausgebildete, erfahrene Person). g) Welche anderen (behördlichen) Interventionen wären möglich gewesen und hätten den Verlauf allenfalls positiv beeinflusst? Beschreiben Sie Ihre Einschätzung.

Individuelle Schülerantworten

z.B. KESB sollte aktiver informieren (à Verschwiegenheitspflicht)

h) Formulieren Sie eine letzte Mitteilung für das News-Portal, bestehend aus einer Informationsschlagzeile und einem Vorspann (Lead), der die News-Mitteilung zusammenfasst. Wählen Sie dabei frei aus, ob Sie Ihren Textvorschlag für die Gratiszeitung «Le Gratuit» oder die Tageszeitung «Il Solido» schreiben wollen.

Informationsschlagzeile

Individuelle Schülerantworten

Individuelle Schülerantworten

Vorspann (Lead)

i)

Und ganz zum Schluss: Was wünschen Sie Paul?

Individuelle Schülerantworten

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