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Die Berge sind sein Atelier

Leonhard Angerer fotografiert seit Jahrzehnten das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. So wurde der Künstler zum Kronzeugen für den Raubbau an seiner Heimat.

Vormittags kann Leonhard Angerer nicht telefonieren. Denn da ist er auf dem Berg. Wie jeden Tag. Am Nachmittag erzählt der Südtiroler Landschafts- und Architekturfotograf dann zufrieden von der Ausbeute seiner heutigen Tour: Mit Schi und seiner schweren Ausrüstung ist er die Plose hochgestiegen, den Hausberg von Brixen. Fliegende Seilbahnstützen im Wald fotografieren. Und verschreckte Greifvögel. „Es gab unzählige Hubschrauberflüge heute“, erzählt der Künstler. Die Stimmung habe ihn an einen Feldzug gegen die Natur erinnert.

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Dass er den Neubau der bestehenden Kabinenbahn festhalten würde, wusste er im Vorhinein. Er werde kontrovers diskutiert in der Region, denn jede Bahn bringe neue Eingriffe, neue Waldschneisen mit sich. Angerer gehört zu jenen, die keine zusätzlichen Umlaufbahnen im Land wollen, bestehende sollten nur modernisiert werden. Als negatives Beispiel zitiert er die neue Cabriobahn am Fuße des Rosengartens. Ein Naturfrevel, sagt er. Er selbst geht gerne zu Fuß in die Berge, weil er den Sport liebt, weil er sich in der Landschaft bewegen will und eine Verbindung zu ihr spürt. Wenn er eine Piste abfährt, dann nur einmal. Und wenn er sich inmitten von schifahrenden Massen aufhalten muss, weil er Fotos davon macht, „dann stresst mich das enorm“.

Doch der künstlerische Anspruch treibt ihn schon seit fast zwanzig Jahren immer wieder in verschiedene Schigebiete und auf Gletscher hinauf, „um die Veränderungen der Landschaft zu dokumentieren“. Veränderungen, die ihn stark berühren. Persönlich, weil er die Berge liebt. Und politisch, weil er die Ausnutzung seiner Umwelt nicht widerspruchslos hinnehmen will. „Die Landschaft ist unser Kapital. Aber wenn die Landschaft zur Ware wird, stört mich das. Und was mich stört, das fotografiere ich.“

In den Bildern, die der freischaffende Kunstfotograf macht, ist sein Ärger nicht direkt zu erkennen. Stattdessen transportieren die Fotos von geparkten Blechmassen an Talstationen, von Liftstützen im Fichtenwald, von betonierten Architekturen im Hang eine scheinbare Flüchtigkeit und Spontaneität – obschon Angerer seine Technik, den Umgang mit Licht und Perspektive seit 1968 perfektioniert hat. Erst bei genauem Hinsehen bildet sich in seinen subtil gewählten Ausschnitten die zweite, dritte Ebene heraus, hat man sich in dieser fotografierten Landschaft orientiert und sieht beispielsweise, dass der Schitou- rengeher in kurzen Hosen ja gar nicht auf einem reinen Schneehang in der Frühlingssonne sportelt – sondern sich hinter ihm ein Meer aus Schneeschutzvlies ausbreitet. Es sind Bilder wie ein spöttisches Lächeln, das man nicht sofort zu deuten weiß.

Mit vermeintlicher Einfachheit arbeitet der Künstler auch bei Instagram, wo er seine Fotos in einer Art Werk-Tagebuch regelmäßig teilt: „Südtiroler Landschaft im März“ wäre ein klassischer Titel für einen braunen Schütthaufen aus dem Aushub des Brenner-Basis-Tunnel-Baus, den er seit 2007 fotografisch begleitet. Oder für die verloren wirkende Gruppe blauer Schneekanonen im Schotter – pardon, man sagt „Schneeerzeuger“. Angerer macht seine fotografischen Kommentare, aber liefert keine Definitionen. „Ich lasse gerne etwas frei, denn ich habe die Wahrheit nicht gefressen.“ Man könne auf die Landschaft auch anders schauen als er. „Wenn ich einen zugedeckten Gletscher sehe, erinnert mich das an ein Leichentuch“, sagt er. „Ein Touristiker freut sich wahrscheinlich, weil der Schnee darunter geschützt ist.“ Und obwohl er sich mit seinen selbstgewählten Fußmärschen auf der Seite der Guten wähnen könnte, sieht er sich ebenfalls als Tourist, wenn er zum wiederholten Mal auf der Insel Elba urlaubt. „Ich bin selbst ein Konsument von Landschaft, sobald ich ans Meer fahre.“

Den Tourismus und die damit einhergehenden Zwänge lernte Angerer, der als Jahrgang 1953 schon pensioniert ist, hauptberuflich von innen kennen. Er unterrichtete Umweltkunde, Geographie und Naturwissenschaften an einer Hotelfachschule. Künstlerisch beeinflusste ihn das nicht negativ, im Gegenteil. Es habe es ihn befreit, die Fotografie nicht als Haupteinnahmequelle zu haben, seine zwei Kinder nicht damit ernähren zu müssen (der Sohn gründete übrigens mit seiner Partnerin das bekannte Wiener PopDuo Anger, seine Tochter Alexandra macht unter dem Namen AliPaloma ebenfalls erfolgreich Kunst). „Ich konnte immer fotografieren, was ich will, und arbeiten, wie ich will“, sagt Angerer zufrieden. Einzelausstellungen produzieren will das Mitglied des Südtiroler Künstlerbundes hingegen nicht mehr so gerne. Zu anstrengend, findet er. Was angesichts seiner Beharrlichkeit, jahrelang an Themen und geographischen Gebieten zu arbeiten, verwundert.

Vielleicht haben die Fotos für ihn den Wert mehr im Prozess als in der Rezeption. Schon in der Kindheit und Jugend waren sie sein Ausdrucksmittel der Wahl. Sein Vater, von dem er ein riesiges Fotoarchiv besitzt, baute Kameras und leitete das Südtiroler Fototechnik-Unternehmen Durst. Angerer kam so schon früh mit den neuesten Entwicklungen der Fotografie in Berührung. „Wir hatten natürlich ein Labor zuhause, haben uns über Kameratechnik unterhalten, aber auch sehr viel über Fotografie“, sagt er. Sein Vater habe ebenfalls Landschaften fotografiert, sei aber nicht der Meinung gewesen, dass man Fotografie als politisches Medium nutzen sollte. Der Sohn war politisch hingegen sehr ak- tiv: Als junger Politik- und Soziologiestudent in Padua schloss Angerer sich Mitte der Siebziger einer außerparlamentarischen, weit links angesiedelten Bewegung an und engagierte sich für Themen wie Ausbeutung und Arbeitergesundheit, gerechte Entlohnung für Care-Arbeit und Gleichstellung. „Wir haben damals an der Uni schon Fragen der Migration und die Luftverschmutzung besprochen“, erzählt er. „Ein halbes Jahrhundert später muss ich feststellen, dass sich wenig getan hat.“

Wie falsche Bäume liegen die Seilbahnstützen auf dem Brixner Hausberg Plose. So sieht es zumindest der Künstler.

Seit 2005 dokumentiert er das Schmelzen der Gletscher, die deutsche Wochenzeitung Zeit nutzte seine Bilder damals, um den menschgemachten Klimawandel zu illustrieren. Heute sind dessen tödliche Folgen überdeutlich: Angerers 20er-Kunstposter zeigt einen Teil des Marmolada-Gletschers in den Dolomiten. Dort hat im Juli 2022 ein riesiger Eissturz eine Seilschaft erfasst, wobei elf Menschen starben und acht weitere schwer verletzt wurden. Der Fotograf hat genug italienische Politik erlebt, um zu wissen, dass selbst so ein tragisches Unglück eine bestimmte Gruppe von Verantwortlichen nicht zum Handeln bewegen wird.

„Aus der Sicht eines Kindes ist die Klimakrise eine reelle Bedrohung. Aus der Sicht eines alten Mannes nicht.“

Wohl aber für Angerer, denn er liebt den Schnee und die Schneelandschaften, die immer seltener werden. „Schnee ist eine Dominante in meinen Bildern und auch in meinen Träumen.“ Bestimmt hätten seine Bilder und ihre Symbolik immer ganz viel mit ihm zu tun, glaubt er. „Es kommt nicht alles aus dem Bewusstsein, was man so schafft.“.

REBECCA SANDBICHLER

SCHATZ

Legendäre Clubs, abgedrehte Bands und kleine Revolutionen: Das Innsbrucker Subkultur-Archiv sucht solche Geschichten. Und erzählt davon einmal im Monat im 20er.

FC ART www.subkulturarchiv.at

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Zeitgenössische Kunst und Kulturarbeit wird oft als progressiv und kritisch gesehen. Jedoch wird auch in diesem Feld die Ordnung der Gesellschaft deutlich. Besonders sichtbar wird dies am Beispiel der Geschlechterverhältnisse. Meist sind Männer mit ihren Arbeiten präsent. Solche Ordnungen aufzubrechen, war die Motivation des feministischen Kunstkollektivs FC ART.

Die Gruppe schloss sich ab 1991 in Innsbruck zusammen, um patriarchale Strukturen im öffentlichen Stadtraum sichtbar zu machen. Zum Gründungsteam gehörten Angelika Prem, Sandra Klein, Anka Noha, Andrea Braidt, Gabriela Jurina, Sabine Gaspari und Gudrun Pechtl. Letztere erzählt in einem Gespräch von der Motivation und dem Beginn von FC ART. Der Name selbst sei eine Anspielung an die Männerdomäne Fuß- ball gewesen und wurde im künstlerischen Prozess immer feministisch verarbeitet. Begonnen hätten sie mit ihren Aktionen auf der Universität in Innsbruck, indem sie Lehrveranstaltungen mit feministischen Schwerpunkten organisierten: „Unser Punkt war, dass uns die Uni viel zu theoretisch war und wir einerseits versucht haben, Theorie mit Aktivismus zu verknüpfen. Wir haben dazu eine künstlerische und feministische Praxis gemacht. Das andere war, die Uni auch zu kapern. Wir haben durchgesetzt, dass wir eine Lehrveranstaltung nur für Frauen machen dürfen – Männer hatten keinen Zugang,“ erzählt Pechtl. pe EFFI BIEST unterzogen sie den Stadtraum einer feministischen Analyse, denn dieser sei vor allem von Männern für Männer gestaltet. So organisierte EFFI-BIEST im November 1992 die Veranstaltungsreihe „Stadt der Frauen“. Im Zuge dieser Reihe konzipierte der FC ART im Innenhof der Hofburg eine Rauminstallation, die den Namen „Räume von untragbarem Gewicht“ trug und Teil der Ausstellung „fassungslose centimer.Art“ war. Darin wurden AngstRäume von Frauen verhandelt. Der Name der Ausstellung war wiederum ein Spiel mit der Gruppenbezeichnung FC ART, um das Kollektiv immer wieder neu in Szene zu setzen. Dazu organisierte die Gruppe auch Stadtführungen mit der, sich als

„autonome, schreibende Reiseleiterin“ verstehenden Itta Tenschert. Sie thematisierte anhand von 15 Stationen in Innsbruck die historische und gegenwärtige Lage der Frau. Dazu gehörte, die männlich geprägte Stadt zu markieren und durch feministische Interventionen zu problematisieren: „Wir haben uns mit Straßenamen, Denkmälern und mit verschiedenen Repräsentationsformen im öffentlichen Raum beschäftigt und uns gefragt, wie wir das kapern können.“ Dafür haben Personen von FC ART die Annasäule in der Maria-Theresien-Straße nachgestellt, um zu thematisieren, wie Frauen im öffentlichen Raum repräsentiert werden.

Auch dezidiert historische Themen arbeiteten sie künstlerisch auf. Unter dem Titel „furnierter chame.ART“ widmeten sie sich in Zusammenarbeit mit dem Autonomen Frauen- und Lesbenzentrum der weiblichen Geschichte der Dreißigerjahre. Pechtl erläutert: „Da hat es eine ganz starke Frauen und Lesbenbewegung gegeben, die durch den Zweiten Weltkrieg komplett zerstört wurde. Weshalb die damals schon radikalen Ansätze dann wieder verschwunden sind.“ FC ART hat sich auf die Musik und die Literatur ab 1930 bezogen und diese performativ verarbeitet.

Die Gruppe hinterfragte das Museum als Herrschaftssymbol. Wer ist drinnen? Wer draußen?

Neben dem feministischen und performativen Zugang war es der Gruppe wichtig, gemeinsam an einem Thema zu arbeiten. Es sollten nicht die einzelnen Künstlerinnen im Vordergrund stehen und in Erscheinung treten, stattdessen wurde der kollektive Arbeitsprozess in zahlreichen Projekten von FC ART deutlich. 1994 stellten sie Fragen von Körper und Identität und genderrelevante Themen unter dem Namen „fluktuierende cörper.ART – bodies made by fc.ART“ ins Zentrum. Für eine der bedeutendsten Aktionen schloss sich FC ART 1998 mit weiteren Künstlerinnen zur „xtra künstlerinnen kooperative“ und schufen eine Intervention am Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. Ein Roter Teppich wurde über die Fassade und die Stiegen hinuntergestürzt, darauf stand: „Heimat bist du größer Söhne.“

So hinterfragte die Gruppe das Museum als Herrschaftssymbol: Wer will da hinein? Wer ist drinnen? Wer draußen?

FC ART hat bis 1998 den Stadtraum in Innsbruck aber auch in anderen öster- reichischen Städten feministisch bearbeitet. „Wir wollten ja stören“, sagt Pechtl. „Wenn Menschen irritiert waren, dann war das für uns ein positiver Effekt, den wir erreichen wollten.“.

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Intervention der „x-tra künstlerinnen kooperative“ am Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum.

© Subkulturarchiv Innsbruck

Irritationen zu erzeugen und mit tradierten Rollenbildern zu brechen, war Ziel der Künstlerinnen.

© Subkulturarchiv Innsbruck

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FC-ART-Flyer, der die künstlerische Bandbreite der Gruppe verdeutlicht.

© Subkulturarchiv Innsbruck

Installation und Performance des feministischen Kunstkollektivs.

© Subkulturarchiv Innsbruck