Strandgut Kulturmagazin 10/2012

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Kunst

DZ-Bank Artfoyer: Wir sind die anderen, © Julian Germain

DZ-Bank Artfoyer: Wir sind die anderen

Eine Fotografieausstellung über »Gruppen« verheißt nicht zwingend Ansichten von solchen, die mit »The« beginnen – und im günstigsten Fall mit »Who« enden. Falsche Erwartungen könnten aber auch entstehen, wenn man dazu liest, dass sich die DZ-Bank als Mutter aller Volksbanken aus Anlass des Internationalen Jahres der Genossenschaften unter dem Titel »Wir sind die anderen« ihrer raiffeisenschen Wurzeln erinnern will. Die Kuratorin und Leiterin des Artfoyers, Christina Leber, hat diese Aufgabe philosophisch-historisch gelöst und ihre Auswahl von rund 70 Bildern 25 zeitgenössischer internationaler Künstler in Anlehnung an Arthur Rimbauds Satz »Je est un autre« getauft, um die Ebene der Wahrnehmung durch die Umwelt zu betonen. Bunte und Schwarzweiße, über einen Zeitraum von gut 60 Jahren. Das einende Band der porträtierten Gruppe kann die Herkunft, das Schicksal, eine Krankheit, eine Weltsicht sein, der ökonomische Zwang oder die künstlerische Idee. Das Spektrum der Schau reicht von der posierenden Kleinfamilie des Factory-Superstars Viva in New York (Tim Rautert) und der deutschen Flüchtlingsfamilie 1961 auf Pritschen im düsteren Lager Marienfeld (René Burri) über Schulklassen (Julian Germain), Frankfurter Hausbesetzer auf Polzeiaufnahmen (Jochem Hendricks), Jugendgangs (Tobias Zielony, Helga Paris) bis zur fast anonymen Massenszene auf dem Börsenparkett in Singapur (Andreas Gursky). Grandios ist das inszenierte Bild einer bolivianischen Schneidergroßfamilie, als deren achtes und neuntes Mitglied sich ein deutscher Plakat-Dressman aus den Achtzigern und eine Büste für Jacken entpuppen. Der explosive Mix von

farbenfroher Andenfolklore und wutgetränkter globalisierter Freudlosigkeit ist zugleich unheimlich und amüsant. Germains großformatige Schulklassen sind mit einer Hasselblatt aufgenommen. Die Schüler mußten dafür zirka eine Minute lang unbewegt in die Kamera schauen. In welches man auch blickt, es sind Gesichter von Individuen. Bis 27. Oktober: Di. bis Sa.: 11-19 Uhr

erste Druck der hebräischen Schrift, dem schnell infizierten Besucher fast nachrangig sind. Schließlich ist Europa zu Beginn des 16. Jahrhunderts auf Judenhatz programmiert. Das angestrebte Buchverbot ist Teil des Planes, die Inquisition in Deutschland zu etablieren und das Judentum gänzlich auszumerzen. Die Strategie ihres Oberbeißers, Johannes Pfefferkorn, der vom jüdischen Metzger zum Dominikanermönch konvertiert

war, zielte darauf, in Frankfurt ein leuchtendes Beispiel zu setzen und mit der ersten Schlacht zugleich den ganzen Krieg zu gewinnen. Daß er sich dabei verrechnet hat, gilt seither als ein »Ein Wunder im Wunder« und gibt der nur noch kurz laufenden kleinen Ausstellungspreziose den Namen. Bis 14. Oktober: Di., Do., Fr., Sa., So.: 1017Uhr, Mi.: 10-20 Uhr Lorenz Gatt

Ein Frankfurt-Krimi Museum Judengasse: Ein Wunder im Wunder

Im September 1511 – paßgenau zur Buchmesse – publiziert der Pforzheimer Jurist Johannes Reuchlin mit seiner Verteidigungsschrift »Der Augenspiegel« eines der bedeutendsten historischen Dokumente zur religiösen Toleranz in Deutschland. Der Verfasser wendet sich aus Anlaß des »Judenbücherstreits« gegen die Vernichtung und das Verbot hebräischer Bücher (und des jüdischen Glaubens), und spricht den Juden das Bürgerrecht, das Recht auf Eigentum und freie Religionsausübung zu. Ein Eklat, der sich darin zuspitzt, daß der des Hebräischen kundige Wissenschaftler und Katholik den jüdischen Religionsschriften jegliche schädliche Wirkung abspricht. Selbstverständlich lag das Buch nicht lange auf der Buchmesse aus. Aus Anlaß des 500. Jahrestages dieses Ereignisses rollt das Museum in der Judengasse den Konflikt, der 1509 mit einer kaiserlichen Konfiskationsanweisung anhob und 1520 in einem Ketzerprozeß gegen Reuchlin mündende, jetzt mit Originaldokumenten auf. Schließlich ist die Stadt mit ihrer bedeutenden jüdische Gemeinde der Schauplatz einer Auseinandersetzung, die sich wie ein – anspruchsvoller – Politthriller liest. So packend, daß die größtenteils aus den USA geliehenen wertvollen Dokumente, wie der

Herbert Brandl, Ohne Titel, 2011

Explosive Andenfolklore

Museum Judengasse: Ein Wunder im Wunder, © Museum Judengasse

Eine Ausstellung im Sinclair-Haus, Bad Homburg v. d. Höhe Sinclair-Haus Löwengasse 15 Eingang Dorotheenstraße Bad Homburg v. d. Höhe

www.altana-kulturstiftung.de

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