«St. Moritz – eine aussergewöhnliche Geschichte»

EINE AUSSERGEWÖHNLICHE GESCHICHTE

Silvio Margadant ° Marcella Maier ° Michael Lütscher

Impressum

Die Herausgabe dieses Buches wurde ermöglicht durch die Politische Gemeinde und die Bürgergemeinde von St. Moritz.

Verlag Autoren

Bildredaktorin Lektorat und Korrektorat Gestaltung und Layout Druckvorstufe Bildbearbeitung Druck Veredelung Buchbinderei

Gammeter Media AG, St. Moritz/Scuol Michael Lütscher, Zürich Marcella Maier (†), St. Moritz Silvio Margadant, Haldenstein/St. Moritz Corina Huber, St. Moritz Birgit Eisenhut, Gammeter Media AG, St. Moritz Miriam Caligari, Gammeter Media AG, St. Moritz Rolf Gutgsell, Gammeter Media AG, St. Moritz Morgan Fouqueau, Gammeter Media AG, St. Moritz Gammeter Media AG, St. Moritz Etidruck AG, Hausen am Albis Bubu AG, Mönchaltdorf

1993 1. Auflage (ISBN 3-9520540-0-3) 2019 2. Auflage ISBN 978-3-9524798-7-2

Autorenporträts Silvio Margadant

Michael Lütscher

Geboren 1947 und aufgewachsen in St. Moritz, Historiker. Gymnasium am Lyceum Alpinum Zuoz, Studium der Allgemeinen und Schweizer Geschichte sowie des Staatsrechts an der Universität Zürich, 1978 Promotion zum Dr. phil. Ab 1972 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Staatsarchiv Graubünden, von 1980 bis zur Pensionierung 2012 Staatsarchivar. Vorstandstätigkeit in mehreren kantonalen und nationalen historischen Institutionen, Gründungsmitglied des Kulturarchivs Oberengadin. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte und Kulturgeschichte des Kantons Graubünden und der Gemeinde St. Moritz.

Michael Lütscher, 1962 in Zürich geboren, ist Journalist und Sachbuchautor. Als journalistischer Allgemeinpraktiker arbeitete er für die «SonntagsZeitung» und für «Cash». Für die «Schweizer Familie» schreibt er Reportagen übers Essen und jene Leute, die dafür besorgt sind, dass dieses schmeckt. Er hat verschiedene Bücher verfasst, darunter «Schnee, Sonne und Stars» zur Geschichte des Wintertourismus, erschienen 2014 im Buchverlag der Neuen Zürcher ­Zeitung.

Marcella Maier

1920 geboren und aufgewachsen in St. Moritz. In jungen Jahren im Tourismus tätig. Später verheiratet und Mutter von vier Töchtern.

Mitarbeit in der Schreinerei des Ehemannes. Grosser Einsatz im Mili Weber Haus, jahrzehntelang Führungen und Präsidentin der Mili Weber Stiftung. Als Journalistin schrieb sie für verschiedene Zeitungen. Politikerin, engagierte Chronistin im kulturellen und sozialen Bereich. Mitarbeit an einer Reihe von Publikationen, vor allem St. Moritz und das Engadin betreffend. Ihr grosser Erfolg war die authentische Familiensaga «Das grüne Seidentuch».

Gestorben 2018.

Corina Huber

1951 geboren, aufgewachsen und wohnhaft in St. Moritz. Als Hochbauzeichnerin, Schreinerin und in vielen anderen Sparten tätig. Familie mit zwei Kindern. Im Segantini Museum vielseitig ein­gesetzt. 1993 – 2015 Leiterin der Dokumentationsbibliothek St. Moritz und der Design Gallery. 2017 Trägerin des Kulturpreises von St. Moritz. Mitarbeit an Publikationen.

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St. Moritz – alles, ausser gewöhnlich C O R P OR A

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«Über kaum ein anderes Dorf in Graubünden, und vielleicht auch darüber hinaus, ist wohl so vieles geschrieben worden wie über St. Moritz; sei es nun medizinisch-balneologische, touristische und historische Fachliteratur, seien es Reiseberichte oder verschiedenste Jubiläumsbücher, um nur einige Themenbereiche zu nennen, und auch die Belletristik hat im schillernden Saisonleben des Kurorts dankbare Sujets gefunden.»

So beginnt das Vorwort meines Vor-Vor-Vor-Gängers, Gemeinde­ präsident Corrado Giovanoli, für die 1. Auflage der hier vorliegenden St. Moritzer Bibel, herausgegeben 1993. Ich zitiere es deshalb gerne und in aller Ehrfurcht, weil es erstens stimmt und zweitens die Sache gleich auf den Punkt bringt: Schon wieder ein Buch über unsere Gemeinde, welches dann in unserem Gemeindelager darauf wartet zu verschimmeln, bevor es überhaupt gelesen wird. Zugegeben, ich habe anfänglich ähnliche Gedanken gehegt. Brauchen wir das wirklich? Nach nur neun Monaten im Amt habe ich jedoch in einigen Fragen und Themen, die unser einzigartiges Dorf betreffen, meine Meinung angepasst und reformiert. Das hier vorliegende überarbeitete Werk erlaubt uns tiefe Einblicke in die Zeit unserer Vorfahren. Ich habe das Buch auf der Fahrt mit der RhB von Chur durch den Albulatunnel hierher nach St. Moritz verschlungen. Das Werk liefert in vielen Belangen Aufschluss darüber, warum die Dinge sind, wie sie eben sind. Mich persönlich beru-

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higte die Tatsache, dass viele meiner Vorgänger, damals liebevoll noch «Dorfmeister» genannt, mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten. Bloss mit dem Unterschied, dass wir heute Probleme lieber Herausforderungen nennen, in der Hoffnung, die Probleme würden so einfacher lösbar.

Spekulation, zu hohe Bodenpreise und Ähnliches waren bereits mit Aufnahme des Albula-Bahnbetriebes ein grosses Thema im Dorf. Kurz vor dem 1. Weltkrieg entstand in St. Moritz eine Situation auf dem Wohnungsmarkt, deren zu konstatierende Ähnlichkeit mit der Situation im heutigen 21. Jahrhundert verblüfft. Dass damals auf dem Platz vor dem Kulm Hotel noch Gottesdienste abgehalten wurden, zeigt aber auch, dass sich die Gesellschaft inzwischen schon verändert hat.

Allgemein lässt das überarbeitete Buch einen spezifischen Eindruck zurück: Es waren meistens Einzelpersonen, mutige, neu­ gierige, furchtlose Menschen, die unser Dorf geprägt und vorwärtsgebracht haben. Wahre Pioniere, die auf spielerische Art und Weise St. Moritz als Weltbühne verstanden haben und ihren Gästen – notabene ihr einziges Kapital – stets eine möglichst interessante und funktionierende Bühne mit allen Tricks und Versenkungen angeboten haben. Wie etwa die ersten elektrischen «Schein­werfer», welche 1879 im Kulm installiert wurden, damit die illustre Gästeschar noch besser beleuchtet und sichtbar wurde.

Kurioserweise sind wir heute hingegen an einem Punkt, an dem das mit Benzin betriebene Automobil wieder eher in den Hintergrund rücken soll und wir über allerlei Alternativen nachdenken. Eine alte Idee der Pioniere von damals, eine Tramlinie «Bad – Dorf», scheint unter den neuen Umständen plötzlich wieder brandaktuell und durchaus eine Überlegung wert.

Allein dieser Überlegungsansatz zeigt beispielhaft auf, wie unendlich kreativ die Menschen hier sind und waren. Wir «Einheimischen» (eine Bezeichnung, die heute quer in der Landschaft steht, da St. Moritz sich schon länger durch viele Zugezogene in einer

fruchtbaren Mixtur aus Kulturen und Nationen präsentiert) sollten uns wieder darauf konzentrieren, was die St. Moritzer Bühne tatsächlich ausmacht: Pioniertaten und verrückte Ideen zulassen und umsetzen. Nur dann bleibt St. Moritz alles andere als gewöhnlich.

Stets höflich Ihr

sowie

Christian Jott Jenny Gemeindepräsident

Alfred M. Riederer Bürgermeister

Entscheid zur Neuauflage Soziodemografisch betrachtet ist St. Moritz ein Dorf inmitten der südlichen Alpen. Gleichzeitig ist St. Moritz ein welt­bekannter «Kultort». Unweigerlich stellt sich die Frage, warum und wie es zu diesem Weltruhm für das kleine Bergdorf gekommen ist. Es sind un­ zählige, ganz unterschiedliche Geschichten, verrückte, amüsante, aber auch tragische oder nachwirkende, die – allein für sich genommen, aber auch in ihrer Gesamtheit – dieses aussergewöhnliche Bild von St. Moritz bis heute zeichnen.

Bereits in der ersten Auflage dieses Buches mit dem Titel «St. Moritz – Streiflichter auf eine aussergewöhnliche Geschichte» spürt der Leser, wie sehr es den Autoren ein Anliegen war, St. Moritz als Phänomen und nicht als Selbstverständlichkeit zu verstehen.

Während die Erstauflage sich vor allem historischen Abläufen zuwendete, haben der Verlag und die Autoren dieser zweiten ­Auf­lage

beschlossen, jene Vorkommnisse in den Vordergrund zu rücken, die besonders spektakulär in der Geschichte des Bergdorfes waren und es bis heute prägen.

Die zweite Auflage soll auch aufzeigen, dass die Entwicklung von St. Moritz seit Erscheinen der Erstausgabe nicht halt gemacht hat, sondern im Gegenteil in rasantem Tempo vorangeschritten ist.

Das Werk wurde deshalb um einen dritten Inhaltsteil ergänzt. Die Überarbeitung des ersten Teils übernahm der Mitautor der ersten Auflage, Silvio Margadant. Er ist es auch, auf dessen Initiative die Herausgabe dieser Zweitauflage hauptsächlich zurückgeht, und dafür gebührt ihm ein besonderer Dank. Man spürt in der Arbeit von Silvio Margadant, der selbst gebürtiger St. Moritzer ist, wie sehr ihm die St. Moritzer Geschichte eine Herzensangelegenheit ist. Für die Erarbeitung des dritten und neuzeitlichen Teils ab 1945 konnte Michael Lütscher als begeisterter Rechercheur und versierter Geschichtenerzähler gewonnen werden. Er stellte sich auch zur Verfügung, den mittleren Teil, welchen die verstorbene Autorin Marcella Maier verfasst hatte, sanft zu überarbeiten. Als äusserst sachkundige Bildredaktorin ergänzte in dieser Zweit­auflage ­Corina Huber, die Tochter von Marcella Maier, das Autorenteam.

Sie führt zugleich das Vermächtnis ihrer Mutter mit dieser Neu­ auflage fort.

Wir hoffen, dass sich viele Leserinnen und Leser aus allen Generationen für das nun vorliegende Buch begeistern lassen und so die faszinierende und wohl auch etwas verrückte Geschichte von St. Moritz in die Welt getragen wird.

Martina Gammeter Gammeter Media AG

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Inhalt Autorenporträts 5 St. Moritz – alles, ausser gewöhnlich

6

Entscheid zur Neuauflage

7

1. Von den Anfängen bis zur Belle Epoque 1. Geschichtliche Entwicklung

16

Frühgeschichte

17

Römische Zeit

20

Mittelalter und frühe Neuzeit

20

Territorialteilung von Wald und Weiden

22

Bis zum Anschluss Graubündens an die Eidgenossenschaft 1803

24

St. Moritz im Kanton Graubünden

25

2. Die Natur

26

Die Gewässer

27

Der Wald

33

3. Die Bewohner

36

Vschins e fulasters, Bürger und Beisässen

37

Soziale Verhältnisse

40

St. Moritzer in der Fremde

40

4. Kultur

42

Sprachliches

43

Aus der Kirchengeschichte

43

Die Kirchen

49

Die Schule

56

9

5. Bauart und Ortsbild Bauart

65

Das Ortsbild im Wandel der Zeit

68

Grundstückhandel, Bodenpreise

72

6. Die Dorfverwaltung

74

Gesetzliche Grundlagen

75

Ämter und Institutionen

75

7. Einrichtungen der dörflichen Infrastruktur

80

Die Alpen

81

Der Dorfbackofen

83

Die Wasserversorgung: Brunnen und Hydranten

84

Die Elektrizitätsversorgung

88

Die Gasversorgung

90

Der Kalkofen

92

Die Mühlen

92

Die Dorfsäge

94

Die Schmieden

95

Die Dorfwaage

96

8. Aus der Verkehrsgeschichte

98

Das Strassennetz

99

Eisenbahnprojekte

110

Bergbahnprojekte

119

9. Vom Sauerbrunnen zum Weltkurort

10

64

124

Die Heilquellen

125

Gastgewerbe/Hotellerie

136

Der Wintersport wird erfunden

149

2. Der Spielplatz der Welt im Schatten von zwei Weltkriegen 10. Blüte und Niedergang des Kurortbetriebs von 1900 – 1918

154

St. Moritz boomt

155

Sport und Unterhaltung

157

St. Moritz – eine Stadt im Hochgebirge

162

Der Erste Weltkrieg bricht aus, Gäste reisen ab

167

11. Frieden, Freude, Krise, Kriege von 1918 bis 1945

172

Langsame Erholung

173

Der Verkehr wird motorisiert

173

St. Moritz wird olympisch

177

Faschisten gegen Antifaschisten

179

Das alpine Skifahren wird populär

183

Bürgergemeinde und Gemeinde streiten und einigen sich

185

Der Zweite Weltkrieg bricht aus, die Schweiz bleibt verschont

187

3. Ein langer Boom 12. St. Moritz muss sich wieder finden

200

Alte und neue Gäste

201

Verschuldete Gemeinde

205

Ein wichtiger Immobilienhandel

205

Bauten für die Zukunft

207

Leuchtreklamen und ein Parkhaus

208

13. Nichts ist unmöglich

214

Alles fährt Ski

215

Ein neues Phänomen: der Massentourismus

215

11

Der Jetset kommt

219

Bauen für die Gäste und für die Einheimischen

222

Bewegung in der Politik

228

Probleme einer Stadt

230

Top of the World – die goldenen 80er-Jahre

235

14. Die grosse Party ist vorbei Mehr Investitionen, weniger Frequenzen im Skigebiet

237

Der Zweitwohnungsboom

237

Ambitionierte Bauprojekte

242

15. Attraktiv bleiben

12

236

248

Sport im Sommer und im Winter

249

Olympische Träume

253

Neue Attraktionen

253

Fusionen auf verschiedenen Ebenen

256

Eine wohlhabende Gemeinde

257

Anhang Die Gemeinde

267

Die Bürgergemeinde

268

Die Tourismusorganisation

269

Historische Daten über St. Moritz

270

Verzeichnis der Hotels und Pensionen in St. Moritz

274

Anmerkungen

279

Quellen- und Literaturverzeichnis

290

Abbildungsverzeichnis

296

Verzeichnis Persönlichkeiten

298

Verzeichnis Schauplätze

299

Abkürzungen

299

Register

300

13

9.

Vom Sauerbrunnen zum Weltkurort

Abb. 83 Beym Sauerbrunnen in St. Morizen im Oberengadin. Aquarell von H. C. Escher vom 27. August 1819. Im Vordergrund das bescheidene Quellhüttlein.

Die Heilquellen Die Quellfassungen im Laufe der Zeit Die 1853 bei Renova­ tionsarbeiten an der Mauritiusquelle entdeckten und 1907 ausgegrabenen prähistorischen Lärchenstämme mit den darin gefundenen Weihegaben stellen die älteste bekannte Fassung einer Heilquelle im Alpenraum dar. Diese hat demzufolge auch in der wissenschaftlichen Welt grosse Beachtung gefunden. Wir wissen nicht, wie lange diese urgeschichtliche Anlage in Betrieb stand. Sicher ist, dass bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts das Wasser der

Mauritiusquelle durch die grössere der beiden Holzröhren bis knapp unter die Erdoberfläche floss und zuoberst eine Geschiebeschicht durchdringen musste. Dieses Hindernis war für die kontinuierliche Abnahme der Quellschüttung verantwortlich.173 Die Frage, ob der Sauerbrunnen im Mittelalter noch bekannt war und genutzt wurde, muss beim heutigen Stand der Forschung offen bleiben. Die erste schriftliche Nachricht über die Heilquelle und deren medizinische Wirkung stammt vom berühmten Einsiedler Arzt Theophrastus Paracelsus von Hohenheim (1493 – 1541).

Abb. 82 Badquartier um 1905 mit der «Budenstrasse».

125

Abb. 84 Im frühen 19. Jahrhundert herrschten beim Sauerbrunnen noch primitive Verhältnisse. Aquatinta von Franz Hegi, 1811.

Dieser hatte 1535 während einer Reise auch St. Moritz besucht. In seinem Werk «Von den Tartarischen Krankheiten» publizierte er ein sehr günstiges Urteil über die Wirkung des dortigen Wassers und empfahl dieses den Heilungssuchenden wärmstens.

Eine verheerende Überschwemmung, die 1566 das Engadin heimsuchte und im ganzen Tal grosse Schäden verursachte, verschüttete auch die Sauerquelle. Dennoch scheint sie nicht ganz in Vergessen-

126

heit geraten zu sein, denn immer wieder vermitteln Chronisten, Reiseschriftsteller und medizinische Autoren Beschreibungen des St. Moritzer Heilwassers.

Laut Überlieferung soll ein polnischer Edelmann aus Dankbarkeit für einen gelungenen Kuraufenthalt irgendwann, wohl Ende des 16. Jahrhunderts, für die Errichtung einer ersten einfachen Hütte bei der Quelle gesorgt haben. Diese sei dann von Charles Pascal,

von 1604 bis 1614 Gesandter des französischen Königs bei den Drei Bünden, renoviert worden. 1667 – 1670 wurde die Quelle neu mit Steinplatten eingefasst und die Umgebung instand gestellt.

Damals wurde eine Marmortafel mit einer lateinischen Inschrift des Silvaplaner Dichters Peider Büsin angebracht. Stifter dieser Schrifttafel soll Herzog Victor Amadeus von Savoyen gewesen sein, der bei der Heilquelle ein Gasthaus habe erbauen wollen.

Dies sei ihm aber von der Gemeinde, wohl gestützt auf die Dorfordnung, verweigert worden.

1740 erneuerte die Gemeinde die Quellfassung, indem ein Brunnen aus vier Granitplatten erstellt wurde. Seither glaubten die St. Moritzer festzustellen, dass sich die Qualität des Wassers zunehmend verschlechtere. Aus Angst, durch weitere bauliche Eingriffe die Quelle noch mehr zu schädigen, wurde während fast einem Jahrhundert nichts mehr unternommen, um die Zustände bei der Quelle zu verbessern und den Aufenthalt daselbst für die Kurgäste angenehmer zu gestalten.

Italien, Kunde vom Sauerbrunnen und publizierten Anweisungen zu dessen Benutzung. Die ersten chemischen Analysen des St. Moritzer Wassers stammen aus dem 17. und 18. Jahrhundert.

1674 war es der Italiener Antonio Cesati, 1703 der Zürcher Stadtarzt Johann Jakob Scheuchzer und 1788 der Berner Apotheker Carl Friedrich Morell, die sich für dessen chemische Zusammensetzung interessierten. Zuverlässigere Analysen liegen aber erst aus dem 19. Jahrhundert vor: jene von Georg Wilhelm Capeller und Johann Anton Kaiser aus Chur 1826, von Adolf v. Planta und August Kekulé 1854, von August Husemann 1874 und von Gustav Nussberger 1913.

Die Nutzung des «Sauerwassers» zu Badezwecken wird erstmals in einer anonymen Publikation von 1811 erwähnt.174 Das St. Moritzer Wasser diente lange Zeit auch als Exportartikel.

Viele tausend Flaschen fanden im Laufe der Jahre den Weg über das Tal hinaus, wo das Sauerwasser zu Trinkkuren verwendet wurde.

Zwar erkannten fortschrittlich gesinnte St. Moritzer bald einmal, dass der Grund für die Qualitätseinbusse des Wassers in dessen Vermischung mit sogenanntem Wildwasser zu suchen war. Man muss nämlich wissen, dass die Talebene westlich des St. Moritzersees früher ein ausgedehntes Sumpfgebiet war, durch das der Inn in vielen Windungen dem See zufloss. Sein Bett führte dabei nahe an der Sauerquelle vorbei. Im Jahr 1815 sollen einige jüngere Bürger die Abwesenheit der Mehrheit der konservativ eingestellten älteren Männer am Viehmarkt in Tirano dazu genutzt haben, um durch einen Gemeindebeschluss die Korrektion des Inns und den Bau einer besseren Verbindungsstrasse zum Dorf zu erwirken.

Trotz mangelndem Interesse seitens der Gemeindebehörden wandte sich die Neugierde von Naturwissenschaftern und Ärzten schon früh dem heilbringenden Wasser zu. Wie bereits oben erwähnt, stammt die erste schriftliche Erwähnung der Heilquelle vom Arzt Theophrastus Paracelsus. Seit dem 17. Jahrhundert gaben zahllose medizinische Schriftsteller, vorwiegend solche aus

Die Aktiengesellschaft von 1831 Nach dem Effort der Inn-

korrektion von 1815 kümmerte sich bis weit ins 19. Jahrhundert hinein kaum mehr jemand ernstlich um die Verbesserung der Trink- und Bademöglichkeiten bei der Sauerquelle. Erst der Initiative einiger im Ausland zu Vermögen und Weitsicht gelangter, unternehmerisch denkender Männer wie Gian Andrea Lorsa, dem «roi des cafétiers» in Frankreich, und einzelner Mitglieder der Familien Flugi und Andreoscha ist es zu verdanken, dass doch noch eine Wende eintrat.

Nachdem ein erster Versuch dieser St. Moritzer, ein Gasthaus bei der Quelle zu errichten oder zumindest die bestehende, mangelhafte Quellfassung zu erneuern, 1829 scheiterte, war ein zweiter Anlauf im Jahr 1831 erfolgreich. Eine Aktiengesellschaft hatte sich gebildet, mit der die Gemeinde am 31. Juli 1831 einen auf 20 Jahre befristeten Vertrag abschloss, wonach sie der «Heilquellen-Gesellschaft» die Quelle gegen einen jährlichen Pachtzins von 300 Gulden überliess. Der Vertrag enthielt aber die Klausel, dass im geplanten Kurhaus oder in dessen näherer Umgebung

127

Abb. 85 Das Kurhaus von 1832.

keine Übernachtungsmöglichkeiten für Fremde erstellt werden dürften, und dass die Abgabe von Erfrischungen auf ein Minimum zu beschränken sei.

Die Aktiengesellschaft liess von Baumeister Johann Badrutt aus Samedan ein Kurhaus bauen, das im Sommer 1832 in Betrieb genommen wurde. Es enthielt im Erdgeschoss eine Trinkhalle, einen Raum für die Erwärmung des Badewassers, sechs getäferte

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Badezimmer und ein beheiztes Liegezimmer. Im Obergeschoss befanden sich zwei geräumige «Spaziersäle», ein Zimmer für den Verwalter und den Badearzt sowie eine nach Geschlechtern getrennte Toilettenanlage – für die damalige Zeit ein Luxus. Die Gemeinde stellte der Gesellschaft das für den Bau notwendige Holz unentgeltlich zur Verfügung. Auch das erforderliche Brennholz wurde kostenlos geliefert.

Abb. 86 Ausschnitt aus dem von Conradin v. Flugi 1840 in der Churer Zeitung publizierten Aufruf zur Erstellung eines Gasthauses bei der Quelle.

129

Es vergingen noch acht Jahre, bis sich die St. Moritzer doch noch zum Beschluss durchringen konnten, das Verbot von Gastwirtschaftsbauten in Quellennähe aufzuheben. Am 4. Juli 1840 publizierte nämlich die «Churer Zeitung» einen Aufruf der Gemeinde, die sich anerbot, Unternehmern, die ein solches Gebäude errichten wollten, kostenlos einen Bauplatz zur Verfügung zu stellen und Baumaterial zu liefern. Trotz des verlockenden Angebots meldeten sich aber keine Interessenten.

Erst gegen Ende der 1840er-Jahre begann sich ein Aufschwung des Kurbetriebs bemerkbar zu machen, nachdem Dr. med. Georg Brügger 1847 als Kurarzt nach St. Moritz gekommen war. Der initiative Arzt war entschlossen, der hiesigen Heilquelle zu einem besseren Ruf zu verhelfen. Er erkannte bald, woran es in St. Moritz krankte: die Quellfassung war mangelhaft, die Badeeinrichtungen ungenügend, die Zufahrtsstrassen in schlechtem Zustand. Zudem fehlten geeignete, komfortable Logiermöglichkeiten.

ZWEI BRÜDER V. FLUGI

Abb. 87 Nicolaus v. Flugi

Nicolaus v. Flugi (1773 – 1856) 1773 in St. Moritz geboren, durchlief der entfernte Verwandte der beiden Bischöfe (siehe Seite 45) eine bemerkenswerte militärische Karriere. Anfänglich diente er im Bündner Regiment in königlich-sardinischen Diensten, dann in der napoleonischen Armee.

1809 trat er in den Dienst des Königs von Neapel und Sizilien. Dort avancierte er 1822 zum Obersten, 1849 zum Generalleutnant und schliesslich zum königlich-neapolitanischen Reichsmarschall. Er konvertierte zum katholischen Glauben und war Ritter mehrerer Orden. 1856 verstarb er in Avellino.175 Conradin v. Flugi (1787 – 1874) Conradin v. Flugi war ein Bruder von Nicolaus, hat sich als romanischer Dichter einen Namen gemacht und als Tourismuspionier viel zum Aufschwung von St. Moritz als Kurort im 19. Jahrhundert beigetragen. Er arbeitete vorerst als Kaufmann in Italien und stand dann bis 1815 in neapolitanischen Militärdiensten. Nach Hause zurückgekehrt, setzte er

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sich vehement für die Kurortsbelange von St. Moritz ein. So soll er einer der Initianten der Innkorrektion von 1815 gewesen sein, durch die der Talboden des Badquartiers trockengelegt und dessen Nutzung erst ermöglicht wurde. Bei dieser Gelegenheit soll die Paracelsusquelle entdeckt worden sein.

1854 gehörte Conradin v. Flugi zu den Gründern der Heilquellen-Gesellschaft, welche die Bedeutung von St. Moritz als Badeort wesentlich steigerte und die Entwicklung zum Weltkurort recht eigentlich in die Wege leitete. Aus seiner Feder stammen zahlreiche Gedichte, die heute zum Grundbestand rätoromanischer Lyrik gezählt werden. Er hat wesentlich dazu beigetragen, dass das Ladin eine moderne Literatursprache geworden ist. Seine Person ist in J. C. Heers Roman «Der König der Bernina» verewigt worden. Zu Flugis wichtigsten Publikationen gehören «Alchünas rimas rumauntschas», erschienen in drei Auflagen zwischen 1845 und 1861, sowie das autobiographische Werk «Einst und jetzt» von 1868.176

Die Gemeinde verhielt sich den Verbesserungsvorschlägen Brüggers gegenüber aber skeptisch und abwartend, sodass diesem nichts anderes übrig blieb, als den Auslauf des bestehenden Pachtvertrags der Aktiengesellschaft abzuwarten und unterdessen zu versuchen, Anhänger für seine Pläne zu finden.177

Die Heilquellen-Gesellschaft von St. Moritz von 1853 Der Vertrag mit der Aktiengesellschaft lief 1852 aus. Nun entschloss sich die Gemeinde, die bereits 1815 entdeckte Mineralquelle im alten Innbett freizulegen und zu fassen. Zudem sollten neue Bäder eingerichtet und die Strasse zum Dorf instand gestellt werden. Auch entschlossen sich die St. Moritzer, «unter Jammern und Wehklagen der Alten» zwar, die Fassung der bisherigen Quelle­ zu erneuern.

Bei diesen Arbeiten entdeckte man eine alte Fassung, bestehend aus zwei ausgehöhlten, fast vollständig mit Schlamm und Geschiebe gefüllten Lärchenstämmen. Die Holzröhren wurden gereinigt und die Anlage etwas erhöht, ohne sie aber näher zu untersuchen (siehe unten S. 134). Indem das Eindringen von Grundwasser in die Quellfassung verhindert wurde, steigerte sich deren Schüttung um das Sieben- bis Zehnfache auf bis zu 60 Liter in der Minute. Nach erfolgreichem Abschluss dieser Arbeiten gelang es dem St. Moritzer Conradin v. Flugi, die Nationalräte Andreas Rudolf v. Planta aus Samedan und Johann Baptista Bavier aus Chur sowie die Einheimischen Dr. med. Georg Brügger, Gian Andrea Lorsa und Hans Joos für die Gründung der «Heilquellen-Gesellschaft von St. Moritz» zu gewinnen.

Am 25. Juni 1853 schloss die neu gegründete Gesellschaft mit der Gemeinde einen Pachtvertrag ab. Die Gemeinde überliess der Gesellschaft die bei der Quelle stehenden Gebäude sowie alle vorhandenen und inskünftig gefundenen Quellen auf Gemeindegebiet für 50 Jahre gegen einen Pachtzins von 1700 Franken im Jahr, stellte Baumaterialien für weitere Bauten unentgeltlich zur Verfügung und sicherte der Gesellschaft und ihren Angestellten Steuerbefreiung zu. Auch das Heimfallrecht aller nach Ablauf des Vertra-

Abb. 88 1856 wurde das neue von F. W. Kubly erbaute Kurhaus eröffnet.

ges bestehenden Gebäulichkeiten wurde geregelt, was 1904/05 zu einem langwierigen Prozess zwischen den Vertragspartnern führte.

Ein Schiedsgericht wies schliesslich alle Quellen sowie die vor 1859 erstellten Gebäude samt dem Boden gegen Entschädigung der Gemeinde zu. Diese erhielt zudem das Recht, alle später entstandenen Bauten zum vollen Schätzungswert zu erwerben.

Die erfolgreichen Sanierungsmassnahmen an der alten Quelle und die Fassung der neuen, später nach Paracelsus benannten Quelle bewirkten eine merkliche Zunahme der Zahl der «Curanten», sodass sich die Heilquellen-Gesellschaft bereits 1854 entschloss, ein neues Kurhaus zu bauen. Das vom bekannten St. Galler Architekten Felix Wilhelm Kubly geplante und unter Leitung von Ulysses v. Gugelberg erbaute Kurhaus bot Raum für 50 Gästebetten und enthielt ausserdem zwei Speisesäle, ein Gesellschaftszimmer, Wirtschaftsräume und Stallungen. Es konnte 1856 eröffnet werden. Heute dient es als Personalhaus für das Heilbadzentrum.

Der unerwartete Erfolg rief schon wenige Jahre später nach einer Vergrösserung der Bettenkapazität bei der Heilquelle.

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Abb. 89 Die Bäderanlagen um 1870. In der Bildmitte das alte Kurhaus von 1856, links davon der Bädertrakt mit der Paracelsus-Trinkhalle und rechts das 1863/64 von F. W. Kubly und U. v. Gugelberg erbaute neue Kurhaus. Stahlstich von Johann Rudolf Dikenmann.

Erneut waren es Kubly und v. Gugelberg, welche im Auftrag der Heilquellen-Gesellschaft das «Neue Kurhaus» mit seinem imposanten, quer zur Talachse verlaufenden Baukörper erstellten.

Das Gebäude mit 129 Gästezimmern und zahlreichen allgemeinen Räumlichkeiten konnte 1864 in Betrieb genommen werden, und ein Jahr später wurde ein neuer Bädertrakt mit weiteren 23 Gästezimmern und 42 Bädern eröffnet. Somit verfügte die Heilquellen-Gesellschaft Mitte der 1860er-Jahre insgesamt über 229

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Logierzimmer und 84 Bäder. Diese Investitionen zahlten sich aus.

Der Zustrom von Badegästen nahm ständig zu, bedingt durch die allgemeine Konjunkturlage der damaligen Epoche, die als «Gründerzeit» in die Geschichte eingegangen ist, dann durch die neuen Verdienstmöglichkeiten, welche die rasante Entwicklung der Technik eröffnete, und nicht zuletzt durch den Zufluss grosser Kapitalmengen aus den überseeischen Kolonien nach Europa. Die Folge dieser Entwicklung war die Bildung eines wohlhabenden

Abb. 90 Prospekt des Grand Hotel Neues Stahlbad, das 1892 bei der Surpuntquelle entstand.

Grossbürgertums, das sich wie der traditionelle Hochadel wochenlange Kuraufenthalte im hoch gelegenen Kurort leisten konnte.

In den Gästebüchern jener Zeit findet man neben den Einträgen gekrönter Häupter und blaublütiger Adliger samt Familien und Gefolge auch die Namen berühmter Zeitgenossen aus Politik, Wissenschaft, Kunst und Hochfinanz. Wesentlich zum Bekanntwerden des aufstrebenden Kurortes trug auch die 1863 in Samedan abgehaltene Jahresversammlung der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft bei, deren Teilnehmer sich den Genuss von Mineralbädern in St. Moritz nicht entgehen liessen.

Wie bereits erwähnt, gingen die vor 1859 erstellten Anlagen der Heilquellen-Gesellschaft, nunmehr «AG Kurhaus und Grand Ho-

tel des Bains» genannt, zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie die beiden Quellen 1905 durch schiedsgerichtliches Urteil an die Gemeinde über, während das Neue Kurhaus und der Kurpark im Besitz der AG blieben und später an die Graubündner Kantonalbank übergingen. 1982 erwarb die Gemeinde das «Parkhotel Kurhaus» samt Umschwung für 18,75 Millionen Franken.178 Weitere Mineralquellen Zu Beginn der 1890er-Jahre hatte der

Lehrer Bartholomé Gartmann auf seiner Wiese in Tegiatscha eine recht ergiebige und reichhaltige Mineralquelle entdeckt. Zusammen mit einigen finanzkräftigen Unternehmern gründete er eine Aktiengesellschaft, welche die Quelle durch den bekannten Geo-

133

Abb. 91 Die bronzezeitliche ­Quellfassung bei der ­Ausgrabung von 1907.

logen Albert Heim fassen liess und in deren unmittelbarer Nähe das Hotel «Neues Stahlbad», das heutige Hotel «Roi Soleil», erbaut wurde, das 1971 einem Grossbrand zum Opfer fiel. Die nicht mehr genutzte Quelle gehört heute der Gemeinde.

Um die verschiedenen Quellen unterscheiden zu können, wurden sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit Namen versehen. Die alte Quelle beim Kurhaus wurde «Mauritiusquelle» genannt, die 1815 im alten Innbett entdeckte Quelle erhielt den Namen «Paracelsusquelle», jene beim Hotel Neues Stahlbad hiess «Surpuntquelle».

Ferner kennt man auf Gemeindegebiet von St. Moritz noch die «Rungger-Quelle» in Mauntschas (Torfwiesen) und die «Maria Huotter-Quelle» in Braschunauns östlich des Hotels Roi Soleil.

Weitere kleinere Mineralquellen tragen keine besonderen Namen.

134

Die Neufassung der Mauritiusquelle von 1907

Die gewaltige Zunahme von Badegästen führte bald zu der Situation, dass die drei genutzten Mineralquellen, nämlich die Mauritius-, die Paracelsus- und die Surpuntquelle, den Wasserbedarf nicht mehr zu decken vermochten. Durch die zwangsläufige Übernutzung verschlechterte sich die Qualität des Wassers zusehends, was die Gemeinde veranlasste, den Geologen Albert Heim zurate zu ziehen. Auf dessen Veranlassung wurde die Mauritiusquelle in den Jahren 1907 und 1908 neu gefasst.

Nachdem die Anlage von 1853 entfernt worden war, stiess man auf die bereits damals entdeckten ausgehöhlten Lärchenstämme.

Unter Aufsicht von Fachleuten wurde die Anlage sorgfältig ausgegraben und durch fotografische und zeichnerische Aufnahmen sowie Modelle dokumentiert.

Abb. 92 Die Trinkhalle der Paracelsusquelle mit der Wandelhalle.

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Die von Albert Heim für die Neufassung angewandte Methode ergab zwar mehr Mineralwasser, hatte aber beim Bezug grösserer Mengen eine starke Verdünnung desselben zur Folge, was zu immer häufigeren Reklamationen der Badegäste führte.

Trotz dieser Unzulänglichkeiten blieb die Quellfassung von 1907/08 dreissig Jahre lang in Betrieb, bis sich die Gemeinde nach mehreren erfolglosen Tiefbohrungen auf der Suche nach Thermalquellen 1938 entschloss, die Mauritiusquelle neu zu fassen. Diese Fassung versah 40 Jahre lang ihren Dienst und wurde 1976 anlässlich des Baus des heutigen Heilbadzentrums erneuert.179

Gastgewerbe/Hotellerie Entwicklung der Gästefrequenzen Gästestatistiken wurden

in St. Moritz erst seit den 1880er-Jahren geführt. Aus früherer Zeit sind nur vereinzelte Hinweise vorhanden. Gian Lorsa und andere berichten, dass in den 1830er-Jahren in den Sommermonaten etwa 50 – 60 Personen den «Sauerbrunnen» besuchten.

Aus der Zeit der ersten, 1831 gegründeten Heilquellen-Gesellschaft sind beinahe lückenlose «Curanten-Listen» überliefert, die weit höhere Zahlen ausweisen, beispielsweise 1832: 166 Personen, 1834: 200, 1838: 201, 1842: 82, 1847: 150, 1850: 162 und 1853: 237. Allerdings ist zu beachten, dass die Heilquelle damals nur zu Trinkkuren verwendet wurde, weshalb in diesen Zahlen wohl auch viele Einheimische aus St. Moritz und Umgebung inbegriffen sind. Die meisten auswärtigen Kurgäste stammten aus der Schweiz, aber auch zahlreiche Italiener und Deutsche sowie vereinzelte Franzosen und Engländer erscheinen in der Statistik.180 Ähnliche Zahlen ergeben sich aus der Fremdenliste der Pension Faller, die bis 1842 zurückreicht. Um 1860 waren es bereits gegen 100 auswärtige Kuraufenthalter. Von nun an stieg der Zustrom von Sommergästen kontinuierlich an, wobei vor allem die Zahl der Engländer stark zunahm. Diese machten bald die Hälfte aller Gäste aus.

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Zuverlässige Angaben über die Gästezahlen können erst ab 1888 gemacht werden, als eine Kurtaxe eingeführt wurde. Anhand der dadurch erzielten Einnahmen errechnet Robertson für jenes Jahr eine Frequenz von 3700 – 4000 Gästen, die innerhalb von nur 20 Jahren mit einigen Schwankungen bis auf knapp 140 000 Logiernächte ansteigt. Markant ist ein Sprung von 92 000 Logiernächten 1902 auf deren 122 500 im Jahr 1904, was mit dem Anschluss von St. Moritz an das Netz der Rhätischen Bahn 1904 zu erklären ist.181 Unterkunftsmöglichkeiten Wirtshäuser im heutigen Sinn, also

Lokale, in denen jedermann gegen Entgelt mit Speis und Trank bedient wird, kannte man in unserer Gegend früher nicht. An den Transitrouten fand man zwar Tavernen und Herbergen. Diese dienten aber nur den Durchreisenden als Unterkunft und Verpflegungsstätten und hatten oft wohltätigen Charakter. Einheimische wird man dort, Fuhrleute und notorische «Saufkumpane» ausgenommen, eher selten angetroffen haben.

Vor diesem Hintergrund muss auch das «Gastgewerbe» im alten St. Moritz gesehen werden. Ein erster Hinweis auf einen St. Moritzer Wirt stammt aus dem Jahr 1568; er hiess Jan Giruonna Pol, und sein Haus stand am Dorfplatz. Gemäss einem Gemeindebeschluss von 1671 hatte der Mastrel (Dorfrichter) Fremde und Landsleute zu bewirten und armen Beisässen Unterkunft zu gewähren.

Im 17. Jahrhundert nahm die Zahl der bei der Quelle Heilung suchenden Kurgäste allmählich zu. Noch 1681 war es verboten, Häuser an Fremde zu vermieten.

Diese fanden meist in Privathäusern Unterkunft. Im Sommer 1699 beispielsweise weilten gleichzeitig die Herzöge von Parma und von Savoyen mit Gefolge in St. Moritz. Sie logierten wohl in den Häusern der einzigen einheimischen Aristokratenfamilie v. Flugi. Einige noch erhaltene Inschriften aus dem ehemaligen Wohnhaus zum «Unteren Flugi», dem nachmaligen Hotel Château, lassen darauf schliessen, dass die Heilquelle in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts häufig von italienischen Adligen besucht wurde.182

Abb. 93 Die Pension «Unterer Flugi» am südlichen Dorfrand, später zum Hotel Château ausgebaut.

Die erste konkrete Erwähnung von Fremdenherbergen stammt aus dem Jahre 1779, als der englische Reiseschriftsteller William Coxe einem Landsmann schrieb: «Ich wohnte in einem der Kosthäuser, deren hier zur Bequemlichkeit der Personen, welche das Wasser trinken, sehr viele sind …». Knapp zwei Jahrzehnte später lamentiert der deutsche Heinrich Ludwig Lehmann: «Alle Gäste (des Sauerbrunnens) müssen in dem Dorfe St. Mauritz bey Par-

ticularen logieren und sich rupfen lassen …». Das Vermieten von Gästezimmern scheint also schon vor über zweihundert Jahren einen einträglichen Nebenverdienst für die Einheimischen dargestellt zu haben. Am bekanntesten waren die Pensionen des «Oberen» und «Unteren Flugi». Es waren dies die repräsentativen Privathäuser zweier Linien der wohlhabenden Familie Flugi, nämlich die nachmalige Pension Faller (später Hotel Engadiner

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Abb. 94 Das Kulm Hotel um 1865. Deutlich erkennbar ist der behäbige Kubus der alten Pension Faller, ein ehemaliges Patrizierhaus der Familie Flugi aus dem 17. Jahrhundert.

Kulm) und die Villa Château südlich des Neuen Posthotels, die 1943 abgebrochen worden ist.183 Nähere Einzelheiten über die Gastronomie des alten St. Moritz erfahren wir vom Arzt J. U. Wettstein, der 1819 eine Art Fremdenführer für Kurgäste veröffentlicht hat: «Man kann mit Grund der Wahrheit über die Bewirthung, die man im Ganzen in St. Moritz findet, wohl sagen, dass sie für die Meisten vielmehr zu gekünstelt,

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als zu einfach sey; es wäre denn, man suche hier die Bachanalien zu feiern. Zur Beherbergung giebt es eigentlich nur drey Wirthshäuser, die den Brunnengästen, die gerne etwas ökonomischer leben, zur Herberge dienen: der Löwe, wo der Wirth, Herr Büchler, als Schlächter seine Gäste täglich mit frischem Fleisch versehen kann; das Rössli, bey Herrn Risch Wyss, dessen Frau eine gute und reinliche Köchin, und der Adler, wo meistens Veltliner logieren. Die

beiden Privatleute des Ortes, der obere und der untere Junker Flugi, wo man vortrefflich logiert, geben sich nur während der Curzeit mit der Bewirthung der Gäste ab, und sollte man hier oder dorten nicht hinlänglich Platz finden, so lässt man’s sich gefallen, in Partikularhäusern zu wohnen, wofür der Wirth sorgt, und kommt nur in’s Wirthshaus zum Speisen.»184 In den 1830er-Jahren wird erstmals eine «Kaffeestube» erwähnt, wo man sich nach der Rückkehr vom Sauerbrunnen bei einer Tasse Kaffee und einem Kartenspiel treffen konnte. Es handelt sich dabei um eine Wohnstube im späteren Hotel Post & Veraguth, die höchstens 20 – 30 Personen Platz bot. Die Tasse schwarzer Kaffee kostete hier fünf Kreuzer, der Milchkaffee sieben Kreuzer.

Der Adler und der Löwe existierten nach wie vor. Zudem vermietete Jungfer Flugi am unteren Ende des Dorfes «ordentliche» Gästezimmer.

Dass bis weit ins 19. Jahrhundert hinein St. Moritz nicht das wirtschaftliche und gesellschaftliche Zentrum des Oberengadins war, erhellen die Aufzeichnungen von J. H. Mayr aus Arbon vom 20. November 1834: «Ohnehin wollte ich wegen mehr Anspruch im Gesellschaftlichen in Samaden bleiben», wo er bei Dr. J. U. Wettstein wohnte und rege Kontakte mit den aristokratischen Familien Planta und Albertini pflegte.185 Um die Mitte des 19. Jahrhunderts nahm der Zustrom von «Kuranten» markant zu. Dies hatte zur Folge, dass in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sowohl in St. Moritz Dorf als auch in St. Moritz Bad, in der Nähe des Kurhauses, unzählige Neubauten errichtet wurden: kleinere und grössere Hotels, Pensionen, Restaurants und Villen. Diese letzteren, häufig «Maisons» genannt, waren meist grosszügig dimensionierte Wohnhäuser von Einheimischen, die während der Saison mehrere Zimmer an Kurgäste vermieteten.186 1842 eröffnete Peter Faller (Valär) aus Davos im obersten Haus des Dorfes, dem bereits mehrfach genannten «Oberen Flugihaus», die Pension Faller. Er hatte das aus dem 17. Jahrhundert stammende Gebäude 1834 von den Gebrüdern Elias, Jan und

Abb. 95 Die Via Mulin um die Jahrhundertwende. Links im Hintergrund die Pension Wettstein, später Hotel Albana; in der Bildmitte die Pension Gartmann, die zu Beginn der 1960er-Jahre dem Hotel Crystal weichen musste.

Nicolo J. Flugi erworben. Nach dem Tode von Peter Faller, der in Pisa an der «Pasticceria Fratelli Faller» beteiligt gewesen war, pachtete der in Samedan wohnhafte Johannes Badrutt, ein unternehmerisch denkender junger Mann, 1855 die Pension von den Erben Faller und führte sie unter dem Namen «Engadiner Kulm».

1858 konnte er das Effekt für 28 500 Franken erwerben und baute das Haus gründlich um. In den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten wurde das Hotel kontinuierlich erweitert und modernisiert. Mit dem Bau des «Neukulm» 1911 wurde die Ausbauphase abgeschlossen. 1909 zählte das Kulm Hotel bereits 300 Betten.

Der Pioniergeist von Johannes Badrutt äussert sich unter anderem in der bekannten Tatsache, dass in seinem Hotel 1879 das erste elektrische Licht der Schweiz brannte.187

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JOHANNES BADRUTT, HOTELIER

Johannes Badrutt senior (1791 – 1855) aus Pagig war 1816 mit seiner Familie von Chur nach Samedan gezogen, wo er vorerst als Drechsel, später als Baumeister tätig war. Zahlreiche Häuser im Oberengadin zeugen von seiner Tätigkeit als Baumeister. 1847 wurde über das Baugeschäft der Konkurs eröffnet.

Sein Sohn Johannes (1819 – 1889) wuchs in Samedan auf. 1836 vertraute Badrutt sen. dem erst 17-jährigen Johannes die Leitung seines neu eröffneten Werkund Handelshauses für das Bauwesen in Samedan an und trat ihm 1843 den Betrieb zu Eigentum ab.

Im gleichen Jahr heiratete Johannes junior Maria Berry von Chur. Von 1851 an hatten Johannes und seine junge Frau Maria auch die Leiung des Hôtel A la Vue du Bernina in Samedan inne. Sie führten die beiden Betriebe bis anfangs der 1860-Jahre neben ihrem neuen Hotel in St. Moritz weiter.

Als die Pension Faller am oberen Dorfende von St. Moritz, einst Wohnhaus der wohlhabenden Familie von Flugi, nach dem Tod ihres Besitzers Peter Faller 1855 zur Pacht ausgeschrieben wurde, griff Johannes Badrutt zu und vermochte das Haus im Jahre 1858 zu kaufen. Damit nahm eine beispiel­ lose Hotelierkarriere ihren Anfang. Das Kulm Hotel, wie der neue Besitzer das Gasthaus zuoberst im Dorf benannt hatte, wurde kontinuierlich ausgebaut und modernisiert.

Johannes Badrutt war sowohl Visionär als auch innovativer Geschäftsmann. Es seien nur einige seiner bedeutendsten Leistungen genannt, die zum Teil Pioniercharakter erlangt haben: erstes elektrisches Licht in der Schweiz, Förderung des Wintertouris-

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mus, Einführung verschiedener Winter- und Sommersportarten, Förderung wohltätiger Stiftungen, Sammlung und Handel von Kunstwerken usw.

Durch kluge Geschäftspolitik gelang es Badrutt, der im familiären Bereich schwere Schicksalsschläge hinnehmen musste, seinen Nachkommen ein eigentliches Imperium zu hinterlassen. Er hatte ein Gespür für die zukünftige Entwicklung des Ortes und begann schon früh, Boden aufzukaufen, als ­dieser noch zu niedrigen Preisen zu haben war.

So kann man ihn neben Nationalrat Andreas Rudolf v. Planta, zu dem die Familie Badrutt freundschaftliche Beziehungen pflegte, und der Familie v.

Flugi zu den grössten Grundbesitzern im damaligen St. Moritz zählen. In Verdankung seiner grossen Verdienste um den Ort wurde Johannes Badrutt im Jahre 2008 posthum das Ehrenbürgerrecht verliehen und auf der Plazza Mauritius eine Bronzebüste aufgestellt.188

Abb. 96 Johannes Badrutt

Schon um 1850 finden wir mitten im Dorf, wo heute die Confiserie Hanselmann steht, das Café Wettstein der Witwe des Arztes Johann Ulrich Wettstein. Das Gasthaus war an Zaccaria Andreossi verpachtet, bevor es um 1860 vom Sohn der Besitzerin, Rudolf Wettstein, übernommen wurde.

Nicht weit davon entfernt, an der Stelle des Nordflügels des späteren Neuen Posthotels, befand sich in einem altehrwürdigen Engadinerhaus die Wirtschaft Denz, das spätere Hotel Post & Veraguth.

Hier hatte sich zuvor die oben erwähnte Kaffeestube befunden.

Vorgängerin des Südflügels des Neuen Posthotels war die Villa Flugi, eine zum Wohnhaus umgebaute Mühle, mit einem Angebot von 15 Fremdenbetten. Oberhalb der Hauptstrasse, wo sich heute das Haus der Kantonalbank erhebt, stand die Pension Bavier mit zehn bis zwölf Gästebetten. Ebensoviele Betten vermochte die Pension Thom am ehemaligen Dorfplatz, später Hotel Rosatsch, heute Haus UBS, anzubieten.

Bedingt durch den wachsenden Zustrom von Fremden während der Sommermonate und später auch im Winterhalbjahr, entstanden ab etwa 1860 fast jährlich neue Hotels und Pensionen. Hinzu kamen bald auch Privathäuser, sogenannte «Maisons» und «Villen», die ihren Gästen einen Garni-Service anboten.189 Bis in die 1870er-Jahre hinein war das Hotel Engadiner Kulm von Johannes Badrutt eindeutig das führende Haus am Platze in St. Moritz Dorf, sowohl was die Grösse als auch die stets auf der Höhe der Zeit gehaltenen Einrichtungen betrifft. Erst ab 1864 erwuchs dem Kulm Hotel ernsthafte Konkurrenz, als in St. Moritz Bad zuerst das Neue Kurhaus und elf Jahre später die beiden Luxushotels Du Lac und Victoria ihre Pforten öffneten. Diesen folgte 1892 das Neue Stahlbad, 1896 das Palace Hotel von Johannes Badrutts Sohn Caspar, 1898 das Hotel Schweizerhof und 1905 das bisher grösste aller St. Moritzer Hotels, das Grand Hotel an der Bahnhofstrasse, das 1944 einem Grossbrand zum Opfer fiel und an dessen Stelle später das Postgebäude errichtet wurde.

Abb. 97 Das Hotel Du Lac, eines der ersten Luxushotels in St. Moritz Bad, wurde 1875 eröffnet und 1974 abgebrochen.

Die beeindruckende Reihe der im Hochtal während der Belle Epoque entstandenen Grosshotels der Luxusklasse wird 1912 mit dem Bau des Hotels Suvretta House in Chasellas, des ursprünglich als Lungensanatorium geplanten Hotels Chantarella oberhalb St. Moritz Dorf und 1913 mit dem dominanten Carlton Hotel an bester Aussichtslage oberhalb des Bahnhofs abgeschlossen. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Sommer 1914 verhinderte auf viele Jahre hinaus weitere Hotelgründungen.190 Es würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen, näher auf die Entstehung der zahlreichen kleineren und grösseren Hotels, Gaststätten und Pensionen einzutreten, die zum Teil heute noch bestehen und somit auf eine lange Tradition zurückblicken können (siehe dazu die Hotelliste im Anhang, S. 274).

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Abb. 98 In Chasellas entstand 1911/12 innerhalb von nur 20 Monaten das Hotel Suvretta House von Architekt Karl Koller.

Finanzielle Aspekte Mit Recht wird man sich die Frage stel-

len, woher das Kapital für die Realisierung derart grosser und kostspieliger Hotelunternehmungen stammte.

Ein Name taucht in diesem Zusammenhang immer wieder auf: jener der Familie Töndury. Janet Töndury-Zoya aus S-chanf hatte bereits 1856 die Bank J. Töndury & Cie. gegründet, die später unter dem Namen «Engadiner Bank» bekannt war und bis 1932

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bestand. 1888 wurde das Unternehmen nach Samedan, dem damaligen wirtschaftlichen Zentrum des Oberengadins verlegt, wo auch die meisten Financiers der Region (Perini, Planta, Tester, Tosio u. a.) ihren Wohnsitz hatten.

Wenn man die Liste der Gründungs- und Verwaltungsratsmitglieder der grossen St. Moritzer Hotels durchgeht, stösst man immer wieder auf Janet Töndury-Zoya und dessen Sohn Gian

Abb. 99 Verwaltungsrat, Architekten und Direktion des Grand Hotel St. Moritz anlässlich der Eröffnung am 14. Dezember 1905. V.l.n.r.: Baumeister Gaudenz Issler, Celerina; Henri-Albert Tester, Samedan; Lorenz Gredig, Pontresina; Gian Töndury-Zender; Samedan (Präsident); Direktor Schulte; Peter Perini, Samedan; Architekt Karl Koller, St. Moritz; Paganino Steffani, St. Moritz; Conradin v. Flugi, St. Moritz; Ingenieur Henri Alesch, Samedan.

Töndury-Zender. Sie waren, sei es als Gründungsmitglied (G), Verwaltungsratspräsident (VP) oder Mitglied des Verwaltungsrates (V) an folgenden Hotelunternehmungen beteiligt, wobei diese Aufzählung keine Vollständigkeit beansprucht: Neues Kurhaus AG (1864): Hotel Du Lac AG (1875): Hotel Victoria AG (1875): Hotels Réunis (Bellevue 1874): Neues Stahlbad AG (1892): Hotel Schweizerhof AG (1898): Grand Hotel (1906):

Gian Töndury (VP 1901 – 1930) Janet Töndury (G 1875, VP bis 1901) Gian Töndury (VP ab 1900) Janet Töndury (V ab 1876) Janet Töndury (G 1890, V ab 1890?)

Gian Töndury (G 1897, VP 1897 – 1937) Gian Töndury (G 1902, VP bis 1937)

In den meisten Verwaltungsräten dieser Hotels sassen ferner HenriAlbert Tester, Peter Perini, Andreas Rudolf v. Planta, A. Moggi und Henri Alesch von Samedan, Lorenz Gredig von Pontresina und Conradin v. Flugi aus St. Moritz.

Es fällt auf, dass mit Ausnahme der Familie Flugi (Beteiligungen am Neuen Kurhaus, Schweizerhof, Grand Hotel und Neuen Posthotel) und des «Badrutt-Clans» (Kulm Hotel, Beaurivage/Hotel Palace, Privathotel, Hotel Caspar Badrutt, Hotel Languard) kaum Namen von Einheimischen in den Verwaltungsratslisten der neu gegründeten Grosshotels zu finden sind. Wohl wird beispielsweise Lehrer und Gemeindeförster Bartholomé Gartmann als Gründer des Hotels Neues Stahlbad bezeichnet, das 1892 auf seinem Grund-

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stück in Surpunt erbaut wurde, nachdem er dort eine Mineralquelle entdeckt hatte; das Kapital und das Management kamen jedoch von auswärts.191 Die einheimischen Hoteliers verfügten vorwiegend über kleinere bis mittelgrosse Familienbetriebe, von denen einige erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine gewisse Grösse annahmen. Genannt seien etwa die Hotels Steffani, Belvédère (früher Bavier) und Eden im Dorf; Central, Hof (beide längst abgebrochen), Engadinerhof und Metropol (heute Laudinella) im Badquartier und La Margna beim Bahnhof.

Einen Eindruck der Dimensionen einer der in St. Moritz um die Jahrhundertwende entstandenen Grosshotel-Unternehmungen vermitteln die nachfolgend aufgeführten Angaben über das 1905 eröffnete Grand Hotel aus einer zeitgenössischen Studie über den St. Moritzer Fremdenverkehr: «Das grösste und modernste Hotel von St. Moritz ist ein zehnstöckiges Haus mit einer Grundfläche von 3300 m2, 100 m Südfront, einem Inhalt von 155 000 m3, und enthält 300 Zimmer, für 420 Gästebetten, eine grosse Halle und sieben Gesellschaftsräume für gemeinsamen Gebrauch. Zur Beleuchtung dienen 3200 Glühlampen und vier Bogenlampen, zur Niederdruckdampfheizung eine Anlage von sieben Dampfkesseln mit zusammen 294 m2 Fläche und 700 Heizkörpern. Zur Lüftung dienen elektrisch betriebene Schraubenventilatoren. Ferner sind vorhanden: sechs elektrisch betriebene Aufzüge, Vacuum-­Entstaubungsanlage, ein 8000 m2 grosser Eisplatz vor dem Hotel, eine Bibliothek von etwa 700 Bänden u.s.w.

Das erforderliche Grundstück von 25 153 m2 wurde für 676 455 Franken erworben (etwa 27 Franken per m2), die Baukosten betrugen rund vier Millionen Franken, die Kosten der Einrichtung 800 000 Franken, die Kosten pro Bett 10 100 Franken.

Das Hotel ist bei sieben Gesellschaften mit insgesamt 4 900 000 Franken für Gebäude und Inventar versichert. Das Aktienkapital von 1 800 000 Franken wurde fast vollständig, das Obligationskapital zu zwei Drittel im Engadin untergebracht, der Rest in Graubünden und in anderen Kantonen der Schweiz.»

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Abb. 100 Das Hotel La Margna, erbaut 1907 von Nicolaus Hartmann jun.

Gemälde von Walther Koch.

Das Hotel ist (1909) im Sommer etwa 80, im Winter etwa 100 Tage geöffnet, also rund sechs Monate im Jahr. Es beherbergt im ganzen Sommer 1000 – 1200 Gäste, im Winter 1400 – 1500 Gäste, was der in St.Moritz herrschenden Anschauung entspricht, ein Hotel müsse, um zu rentieren, im Sommer das Zwei- bis Dreifache, im Winter das Drei- bis Vierfache an Gästen im Ganzen haben, als es gleichzeitig beherbergen kann. Offenhaltung des Hotels rentiert sich erst, wenn ein Fünftel der Betten besetzt ist, in diesem Fall also bei etwa 80 Gästen. Dieses wird ohne Weiteres verständlich, wenn man vernimmt, dass bei fast allen grösseren Hotels bei voller Besetzung auf je zwei Gäste ein Angestellter kommt, also in diesem Falle für 420 Gäste etwa 210 Angestellte.

Abb. 101 Das Grand Hotel dominierte die Kulisse von St. Moritz Dorf zusammen mit dem Palace Hotel.

Folgende Posten der durchschnittlichen jährlichen Unkosten sind von Interesse: Für Heizung Fr. 55 000.–, für Wasser Fr. 3500.–, für Licht Fr. 40 000.–, für Musik Fr. 14 000.–, für Gehälter Fr. 130 000.–, für Waschen Fr. 20 000.–, für den Eisplatz Fr. 4000.–».192 Die Initianten dieses Riesenbaues, der von Architekt Karl Koller projektiert wurde, waren Alfred Robbi und Conradin v. Flugi aus St. Moritz, Gian Töndury-Zender und Peter Perini aus Samedan sowie Lorenz Gredig aus Pontresina.

Erste Wintergäste Das Jahr 1864 wird in der Literatur und in der Werbung meist als Geburtsstunde des Wintertourismus bezeichnet. Über die legendäre Wette von Johannes Badrutt berichtet sein Enkel, Anton R. Badrutt, ausführlich in seinen Lebenserinnerungen. Diesem Bericht zufolge soll Johannes Badrutt an einem trüben Spätherbstabend jenes Jahres mit seinen letzten Gästen, vier Engländern, vor ihrer Abreise zusammengesessen sein und ihnen die Schönheiten des Engadiner Winters schmackhaft gemacht

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haben. Das hätten ihm seine Gäste nicht abgenommen. Also lud Badrutt sie zu einem winterlichen Aufenthalt in sein Hotel ein und schloss mit ihnen eine Wette ab: Sollte der Winter in St. Moritz nicht so schön sein wie geschildert, würde er ihre Reisekosten übernehmen. Kurz vor Weihnachten seien die Engländer samt ihren Familienmitgliedern im Kulm Hotel eingetroffen. Badrutt sei bei schönstem Sonnenschein in Hemdsärmeln vor seinem Hotel gestanden, um sie willkommen zu heissen.

Irritierend ist, dass die Wette erstmals überhaupt im Hörspiel «Johannes Badrutt» von Hermann Roth erwähnt wird, das 1957 von Radio Beromünster ausgestrahlt wurde. Darin wurde die Wette noch auf den Winter 1866/67 datiert. Nachgewiesenermassen verbrachte ein anderer Engländer, Arthur Edward Vansittart Strettell, Sohn des seit 1860 öfters in den Sommermonaten in

St. Moritz weilenden Reverend Alfred Strettell, die Wintermonate 1866/67 zur Auskurierung seiner Lungenkrankheit als persönlicher Gast der Familie Badrutt in deren Privaträumen des Kulm.

Er ist damit der erste dokumentierte Wintergast von St. Moritz.193 Die Anfänge des Kur- und Verkehrsvereins In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veranlasste die wachsende Bedeutung des Kurbetriebes die Behörden, den Ort so zu präsentieren, wie er den Erwartungen der Gäste entsprach. So beschloss der Gemeindevorstand am 10. November 1864, eine Kommission zu bilden, bestehend aus Conradin v. Flugi, Dr. Peter Berry, D. Stoppani, Hans Joos und Nicolo Melcher. Deren Aufgabe war, Vorschläge zur Verbesserung, Versetzung, Verschönerung und Vergrösserung des Friedhofs, eventuell auch anderer öffentlicher Bauten und Einrich-

DR. MED. PETER BERRY, KURARZT

Abb. 102 Colonel Peter Berry, Surgeon 1st Regiment British-Swiss-Legion London 1856

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Die Familie Berry stammte aus dem Prättigau. Peter (1828 – 1892) wurde in Igis geboren und studierte 1850 bis 1854 in Bern Medizin. Dann wirkte er als Militärarzt einer britisch-schweizerischen Legion im Krimkrieg. 1853 in die Heimat zurückgekehrt, übte er in Splügen, Chur und ab 1863 in St. Moritz den Arztberuf aus. Ab 1860 wirkte Berry als Divisionsarzt und wurde 1870 eidgenössischer Beobachter im deutsch-französischen Krieg. Nach der Internierung der Bourbaki-Armee wurde er 1871 vom Bundesrat zum Chef des Sanitätsdienstes der Schweizer Armee ernannt.

In St. Moritz machte sich Peter Berry, der eine Einheimische aus gutem Hause (Stoppani) geheiratet

hatte, als Arzt und Liebhaber der schönen Künste einen Namen. Er übte neben Dr. med. Georg Brügger die Funktion eines Kurarztes aus und pflegte enge Beziehungen zum Hotelier Johannes Badrutt, der seine Schwester Maria geheiratet hatte.

Sein Sohn Peter Robert Berry (1864 – 1942) war ebenfalls fast 30 Jahre lang Kurarzt von St. Moritz.

In Paris und München liess er sich zum Kunstmaler ausbilden und widmete sich ab 1920 ausschliesslich der Malerei. Sein beachtlicher künstlerischer Nachlass befindet sich im Berry Museum in St. Moritz.

Auch sein gleichnamiger Sohn (1912 – 1983) war Kurarzt und widmete sich der Malerei.194

tungen zu erarbeiten. Es ging also zunächst um den Friedhof beim Schiefen Turm, der immer wieder Probleme bereitete, da wegen des Bergdrucks die Grabsteine häufig umkippten. Die Frage einer Verlegung dieses Friedhofs war damals schon akut; das Vorhaben wurde einige Jahrzehnte später auch verwirklicht. Mehr Bedeutung kam aber recht bald der Verschönerung des Ortsbildes ganz allgemein zu. Diese Kommission darf füglich als Vorläuferin des Kurvereins angesehen werden. Zehn Jahre später, am 3. März 1874, wurde der «St. Moritzer Curverein» offiziell konstituiert mit dem Zweck, «durch gemeinschaftliches Zusammenwirken den Fremdenverkehr zu heben und deren Aufenthalt angenehm zu machen».

Des Weiteren wird in den Statuten festgehalten: «Die Anstrebung dieses Zweckes soll auf den ganzen Umfang unseres Gemeindeterritoriums gerichtet sein, und geschieht namentlich durch Verschönerung unserer Gegend, durch Erstellung bequemer Fusswege und Bänke und durch Bezeichnung von schönen Aussichtspunkten und Zugangserleichterungen zu denselben.» Drei Hoteliers bildeten die Geschäftsleitung: Präsident Lorenzo Steffani, Kassier Rudolf Wettstein und Aktuar Johannes Badrutt. Nach einigen Jahren teilte er sich auf in den Sommer-Kurverein und den Winter-Kurverein.

Später nannte sich diese Institution «Verkehrsverein», und unter der Führung von Pfarrer Camill Hoffmann schliesslich «Kur- und Verkehrsverein». Zu den obgenannten Aufgaben kam allmählich die Ortswerbung und die Führung eines Auskunftsbüros hinzu, das intensiv in Anspruch genommen wurde, denn noch stand dem Gast nicht eine solche Fülle von Informationsmaterial in verschiedenen Sprachen zur Verfügung wie heutzutage. Im Auskunftsbüro lag hingegen das «Beschwerdebuch» auf, in welches unzufriedene Gäste ihre Reklamationen eintragen konnten, aufgrund derer man sich laufend bemühte, dies und jenes zu verbessern. Um die Werbung für das gesamte Engadin zu vereinheitlichen und zu bündeln, wurde 1899 der «Engadiner Verkehrs-Verein» gegründet, dessen Hauptsitz sich in St. Moritz befand, das beinahe die Hälfte der Mitglieder stellte. Schon damals warb diese Institution mittels Inseraten, ­Plakaten und Prospekten in Zusammenarbeit mit dem englischen Reise­büro Thomas Cook & Son in allen Kontinenten.195

Abb. 103 Prospekt des Winterkurvereins St. Moritz, um 1900.

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DAS ERSTE GRAND NATIONAL AUF DEM CRESTA RUN 1885

Das Foto zeigt eine verschneite Landschaft, Zuschauer auf einem Mäuerchen und auf einer Tribüne stehend, dahinter die katholische Kirche von St. Moritz Dorf. Und in der Mitte einen Mann mit Hut, auf einem Schlitten sitzend. Alles ist gestochen scharf, bis auf den Schlittenfahrer. Kein Wunder, denn der ist schnell unterwegs.

Das Bild stammt vom 16. Februar 1885, vom Grand National, dem ersten Rennen auf dem Cresta Run, und es zeigt Charles Austin, den späteren Sieger, in Aktion. In der Rangliste steht, Mr. Austin komme aus Davos. Das stimmt nur teilweise. Der Engländer Austin verbrachte den Winter in Davos und reiste mit ein paar Kollegen von dort an im offenen Schlitten über den nächtlichen Julier, wie es überliefert ist.

Bis die Rhätische Bahn bis nach St. Moritz fuhr, dauerte es ja noch fast zwei Jahrzehnte. Das Grand National steht für die Anfänge des Wintersports in den Bergen.

Gründer waren meist an Tuberkulose leidende Briten, die nach St. Moritz und Davos kamen, um sich an der winterlichen Sonne in der trockenen, klaren Bergluft zu kurieren. Die nach Abwechslung suchten und einer Herausforderung, weil es ihnen hier oben tatsächlich besser ging. Austin allerdings war ganz freiwillig nach Davos gereist. Von Haus aus begütert, machte er im Vorjahr bei einer Pferdewette einen schönen Gewinn, worauf er beschloss, den Winter in den Alpen zu verbringen.

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Abb. 104 Erstes Grand National auf dem Cresta Run, Februar 1885.

Das Grand National wurde von einem australischen Viehzüchter namens George Pringle Robertson initiiert, der zwei Jahre zuvor das erste «International»-Schlittelrennen in Davos gewonnen hatte. Das hiess so, weil neben Briten auch Einheimische mitmachen durften. In St. Moritz, wohin Robertson umgezogen war, musste eine Rennstrecke angelegt werden – die Strassen vom Dorf hinunter ins Bad oder nach Celerina schienen zu wenig herausfordernd. Und so baute das aus Gästen gebildete «Outdoor Amusement Comittee» des Kulm Hotels unter dem britischen Major William Henry Bulpett den Cresta Run. Der Start erfolgte oberhalb der Katholischen Kirche, das Ziel

war unten im damaligen Weiler Crasta, die Kurven wurden erhöht und vereist.

Zwei Jahre später fuhr der erste Teilnehmer den Run bäuchlings hinunter, dann erhielten die Schlitten stählerne Kufen und wurden flacher, und 1889 baute Dorfschmid Christian Mathis im Auftrag von W. H. Bulpett den ersten Schlitten, der auf ein Stahlgerüst reduziert war, Skeleton genannt.

Rund 135 Jahre später wird der Cresta Run noch immer im Winter neu erstellt, und das Grand National ist das prestigeträchtigste der zahlreichen Rennen, die jeweils zwischen Mitte Dezember und Anfang März stattfinden.196

Der Wintersport wird erfunden «Ich habe noch nie ein derart gesundes und angenehmes Winterklima erlebt wie das von St. Moritz», schrieb der lungenkranke Arthur V. Strettell 1867 ins Gästebuch des Kulm Hotels. «Meine Gesundheit ist», fuhr er fort, «auf eine so wundersame Weise wiederhergestellt, sodass ich hoffe, dass alle, die unter derselben Krankheit leiden, meinem Beispiel folgen.» Strettells Hoffnung erfüllte sich. Es kamen mehr an Tuberkulose erkrankte junge

Menschen ins winterliche St. Moritz, um sich zu kurieren. Ihnen ging es wie Strettell in der trockenen, reinen Winterluft unter der strahlenden Sonne bald besser. So gut, dass sie zu Kräften kamen und etwas tun wollten. «So viel wie nur möglich an die frische Luft, und so viel Bewegung wie es der Körper zulässt», empfahl der nachmals berühmte Alexander Spengler, der Landschaftsarzt drüben in Davos, den Tuberkulosepatienten.

Im Winter 1868/69 legten ein paar winterliche Kurgäste auf dem St. Moritzersee eine Eisbahn an und gründeten den «St. Moritz

Abb. 105 Wintertennis beim Kulm Hotel. Im Hintergrund das Pavillon, heute Top Hut beim Start des Cresta Run.

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Skating Club» als ersten Wintersportverein. Die Schlittschuhe brachten sie von zuhause mit. Das Schlitteln dagegen schauten sie den einheimischen Kindern ab. Womöglich inspiriert von der Engadiner Schlitteda hängten sie auch Schlitten zusammen, um sich von einem Pferd ziehen zu lassen. Tailing Parties nannte man dies.

Einigen Gästen reichten gemütliche Ausfahrten und vergnügliche Schneepartien aber nicht. Sie begannen Schlittenrennen zu veranstalten – in Davos fand 1882 das erste unter britischen Kurgästen statt. «Die Natur des Engländers ist der Wettkampf», stellte der Engländer Harry Gibson, Kurgast und einer der ersten Cresta-Rider, später lakonisch fest. Aus dem Rennen mit den hölzernen Davoser Schlitten wurden innert weniger Jahre die neuen Sportarten Skeleton und Bob. Die Voraussetzungen dafür schuf der St. Moritzer Dorfschmied Christian Mathis, indem er im Auftrag des englischen Majors William Henry Bulpett stählerne Schlitten schmiedete und dann zusammen hängte (siehe S. 148 und S. 151).

Die neuen Schlitten wurden augenblicklich populär: Bald wurden jeden Winter Schlittelbahnen verschiedener Schwierigkeitsgrade gebaut, so eine der Via dal Bagn vom Dorf ins Bad entlang, der Village Run auf der Via Arona, der Lake Run vom Kulm Hotel geradewegs über die Wiesen hinunter zum See und natürlich der Cresta Run. Eis war die Grundlage, auf der im späten 19. Jahrhundert wei­ tere Wintersportarten betrieben wurden. Neben dem Kulm etwa wurden Eisfelder angelegt, um Curling zu spielen, das die Briten hierhergebracht hatten. Im Winter 1883/84 gründeten Gäste in St. Moritz den ersten Curling-Klub des Kontinents. Eine Reihe merkwürdig anmutender Spiele wurden betrieben, zusammengefasst unter dem Begriff «Gymkhanas»: Geschicklichkeitsspiele wie Eierblasen, Schaufel- oder Schubkarrenrennen. Die Gäste montierten auch Segel auf Kufen und liessen sich so vom Wind übers Eis treiben. Männer wie Frauen spielten überdies Bandy – Landhockey vom Rasen aufs Eis übertragen, ausgetragen mit krummen Stöcken und einem kleinen Ball. Und noch einen Sommersport machten die spielfreudigen Briten mithilfe ihrer Gastgeber wintertauglich: Tennis. Hotelier Johannes Badrutt vom

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Kulm liess den Tennisplatz hinter seinem Hotel im Winter vom Schnee freischaufeln.

Die Beliebtheit der vielen Wintersportarten und -spiele veränderte den Charakter des Kurorts. In den 1890er-Jahren gab es Bestrebungen, in St. Moritz ähnlich wie in Davos Sanatorien für Tuberkulose-Kranke zu errichten. Dies, nachdem der Tuberkulose-Erreger entdeckt worden war und als Folge davon die Erkenntnis wuchs, dass TB-Kranke isoliert werden müssten, um Ansteckungen zu vermindern. Doch in St. Moritz formierte sich Opposition gegen die Sanatoriumspläne. Einer der prominentesten Widersacher war ausgerechnet ein Mediziner, Peter Robert Berry II, Kurarzt wie sein gleichnamiger Vater. «Für Sportsleute und das fashionable Reisepublikum sollen wir unseren Weltkurort reservieren, das verlangt naturgemäss die Eigenart von St. Moritz», schrieb Berry, der später Kunstmaler wurde. Gemeinderat und Gemeindeversammlung folgten 1898 dieser Argumentation. «Lungen-Schwindsüchtige» waren von da an in St. Moritz explizit nicht mehr willkommen.197 Als Folge davon wandelte sich St. Moritz am Ende des 19. Jahrhunderts vom Kurort im eigentlichen Sinne zum Wintersport­ platz – dem ersten der Welt und damit zum Vorbild für zahllose andere Orte in den Alpen und in Übersee.

Natürlich wurde auch im Sommer Sport getrieben: Bergsteigen war bei vielen «Fremden» beliebt. Die Seen luden nachgerade zum Segeln ein, und Tennis spielten die Gäste natürlich auch im Sommer, ebenso Golf. Nachdem zuerst die Wiesen unterhalb des Dorfes als improvisierte Links gedient hatten, stand ab 1893 in Samedan der erste richtige Golfplatz des Engadins zur Verfügung. Ein zweiter wurde 1897 im Kulm Park eröffnet. Beide sind auch heute noch in Betrieb.198

DAS ERSTE BOBRENNEN

Ein Team habe für eine besondere Belustigung gesorgt: Seine Mitglieder trugen Zylinder, schrieb die Gästezeitung «Alpine Post» in ihrem Bericht über das erste Bobrennen, das im März 1892 in St. Moritz und somit überhaupt stattfand. Ein Foto, aufgenommen vor dem Start der Equipe vor dem Kulm Hotel, bezeugt die Schilderung.

Todernst kann diese Sportart also nicht gemeint gewesen sein. Bobfahren wurde, wie es der 1897 gegründete St. Moritz Bobsleigh Club festhielt, als «gesellschaftlicher Sport für Besucher beiderlei Geschlechts und jeden Alters» betrachtet.

Zwar fand das allererste Bobrennen auf dem Cresta Run statt. In der Folge fuhr man aber mit dem Bob auf der Strasse, vornehmlich hinunter nach Celerina. Die war im Allgemeinen nicht vereist, sondern nur mit Schnee bedeckt. Erst 1903 beschlossen die Mitglieder des Bobklubs, eine eigene Bahn zu bauen. Ausschlaggebend dafür war die Eisenbahn, die in jenem Jahr Celerina erreichte. Das bedeutete, dass mehr Menschen ins Engadin reisen würden, und dass der Verkehr mit Pferdeschlitten vom Bahnhof Celerina nach St. Moritz stark zunehmen würde. Ausgerechnet diese Strecke mit dem Bob zu befahren, wäre also mehr als heikel gewesen. Darum wurde der Bob Run erstellt und am 1. Januar 1904 als erste Bobbahn der Welt in Betrieb genommen.

Skeletons und ihre Vorgänger waren die

Grundlage des Bobs. Vermutlich der Erste, der in den Alpen eine Art Bob benutzte, war ein Amerikaner namens Stephen Whitney. Er hängte Ende 1888 in Davos zwei flache Holzschlitten, sogenannte Amerikaner, zusammen, indem er ein Brett am hinteren Schlitten befestigte und den vorderen mit einem Bolzen daran einhängte, womit er mit diesem lenken konnte. Whitney dürfte sich für seine Kon­struktion in Nordamerika inspiriert haben lassen. Holzfäller transportierten Holzstämme auf Schlitten – wobei der Anfang und das Ende der Stämme auf je einem relativ kurzen Schlitten lagen.

Whitneys Entwicklung fand rasch Nachahmer. Der St. Moritzer Schmid Christian Mathis, der 1889 den ersten Schlitten aus Stahl geschmiedet hatte, koppelte zwei dieser Skeletons mittels eines Bretts. Das war der erste Bob, «Bobsleigh» genannt – Bobschlitten. Bobfahren wurde in den Wintersportorten der Belle Epoque zu einem Hit. Kein Ort, der nicht eine eigene Bahn unterhalten hätte – im Engadin verfügte Pontresina bald über zwei Bahnen.

In St. Moritz wurde weiter auch auf den Strassen Bob gefahren. Am Steuer sassen auch Frauen, und beim Bob traf man sich über die Grenzen hinweg: Im Winter 1907/08 wurde der Bob fahrende deutsche Kronprinz Wilhelm von Preussen von den mehrheitlich englischen Mitgliedern des Bobklubs St. Moritz zu ihrem Ehrenprä­ sidenten gewählt.199

Abb. 106 Gemischter Fünferbob, zusammen­ gesetzt aus zwei Schlitten.

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10.

Blüte und Niedergang des Kurortbetriebs von 1900 – 1918

St. Moritz boomt Um 1900 ist St. Moritz bereits ein Weltkurort. Denn die Gäste kommen aus aller Welt. Hier treffen sich Leute aus den grossen Nationen des monarchisch geprägten alten Europa, also aus dem Deutschen und aus dem Russischen Reich, aus Österreich-Ungarn und aus dem Britischen Empire. Manche reisen auch aus Amerika, andere aus Australien und aus Asien an. Die Wege sind weit, und der letzte Abschnitt mitunter beschwerlich. Noch ist St. Moritz sommers nur mit Kutsche, winters mit Schlitten oder schlicht zu Fuss erreichbar. Ab dem Sommer 1904 verbindet dann die Rhätische Bahn St. Moritz mit Chur und dem Rest der Welt.

Ein Umstand, der die Entwicklung des Ortes weiter beschleunigt.

Als sichtbarste Zeichen werden im folgenden Jahrzehnt die Luxushäuser Grand Hotel (1905), Suvretta House (1912) und Carlton (1913) eröffnet, und die bereits bestehenden Hotels Kulm, und Palace sowie das Kurhaus im Bad bauen aus. Die neuen Kapazitäten bewirken vor allem einen Aufschwung des Wintertourismus. Im Winter 1912/13 zählt St. Moritz gut 224 000 Logiernächte – es ist die erste Wintersaison, in der St. Moritz besser frequentiert ist als im Sommer davor. Bemerkenswert auch, dass unter den knapp 14 000 Wintergästen dreimal so viele Deutsche wie Briten sind.200 St. Moritz hatte also seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Wandel vollzogen, wie ihn in solch kurzer Zeit und mit solch tiefgreifenden Veränderungen wohl nur ganz wenige Orte durchgemacht haben. An die Entscheidungsträger in der Gemeinde stellte dies hohe Anforderungen.

Seit 1894 bestand die Gemeindebehörde aus einer Legislative, dem Gemeinderat mit elf und einer Exekutive, dem Gemeindevorstand mit fünf Mitgliedern. Dieser war zugleich mitentscheidender Teil der Legislative. Der Gemeindevorstand trat allwöchentlich zusammen, während die Ratsmitglieder ungefähr einmal pro Monat zusammenkamen.

Probleme eines Kurorts «Kurortsaufgaben», wie sie in den sorg­

fältig geführten, amtlichen Protokollen genannt werden, beschäf-

Abb. 108 Chalandamarz auf der Via Maistra, um 1900.

tigten die verantwortlichen Gremien in steigendem Masse. Die in den vorangegangenen Jahrzehnten ausgebauten Strassen mussten verbessert und mit Trottoirs versehen werden.201 Ein aufstrebender Kurort konnte seinen Gästen auch nicht mehr zumuten, sich für den abendlichen Ausgang mit einer Laterne auszurüsten. Die elektrische Strassenbeleuchtung wurde eingeführt, was immer wieder zu Diskussionen führte, denn selbstverständlich erhoben die Anwohner jeder Strasse Anspruch auf diesen Komfort.

Abwasser und Kehricht mussten entsorgt werden. Der Gemeindevorstand hatte in jenen Jahren immer wieder Gesuche von Hotels und Privaten um Einleitung des Abwassers in den See zu behandeln, wobei er damals schon Vorbehalte machte und die Errichtung einer Sickergrube – «fosse mouras» wurden sie damals genannt – vorschrieb, aus der nur der Überlauf abgeleitet werden durfte. Als fortschrittliche Gemeinde erstellte man an verschiedenen Stellen in Dorf und Bad Pissoirs, nicht ohne vorgängige ausgiebige Diskussionen in der Behörde. Auch das Projekt einer Kläranlage war bereits im Studium. Die Kehrichtbeseitigung wurde geregelt, ein

Abb. 107 Diese um 1910 gezeichnete Ansicht zeigt St. Moritz als winterlichen Spielplatz mit zahlreichen Eisbahnen und -kanälen.

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ERSTES SKIRENNEN

Von Neugier getrieben, versammeln sich zahlreiche Kurgäste und Dorfbewohner, aber auch Leute aus den Nachbardörfern am 19. Januar 1904 in St. Moritz. Ein «neuartiges Sportfest» steht bevor – ein «Ski-Wettrennen», organisiert vom wenige Wochen zuvor gegründeten Skiclub Alpina.

30 Läufer starten ab 10 Uhr alle 30 Sekunden auf dem Postplatz im Dorfzentrum. Zuerst geht es Richtung Somplaz, dann bergauf nach Oberalpina und weiter bis auf 2600 Meter ins Corviglia-Gebiet, von dort wieder runter ins Dorf. Nach knapp eineinhalb Stunden taucht der erste Fahrer auf und fliegt in «sausender Fahrt, in vorzüglicher Haltung» den Hang hinunter. Mit «Bravo» begrüsst ihn die Menge, als er durch das Ziel fährt, das in der Nähe der Villa Concordia an der Via Tinus liegt.202 Schnellster war der Norweger Thorwald Heyderdahl, Zweiter wurde sein Landsmann Trgyve Smith. Freundlicherweise fahren die beiden ausser Konkurrenz, und so gewinnt Giovanni Paravicini aus Silvaplana den ersten Preis, einen Zeiss-Feldstecher.203 Die Norweger waren die Ski-Entwicklungshelfer jener Zeit. Skifahren war in Norwegen Nationalsport, und die Norweger pflegten einen eleganten Stil, gingen zum Telemark-Schwung in die Knie, schwangen mit parallelen Ski und fuhren mit zwei Stöcken, mit denen sie sich abstossen konnten.

Im Engadin war zu dieser Zeit noch das Fahren mit einem einzigen, langen und di-

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Abb. 109 Eines der ersten Skirennen in St. Moritz: Die Läufer erklimmen den Hang mit nur einem Stock.

cken Stock üblich, mit dem man bremste, indem man ihn zwischen die Beine nahm und sich auf ihn setzte. Dabei gab es im Tal auch Pioniere. Der erste im Engadin hergestellte Ski datierte aus den 1850er-Jahren, zugeschnitten von Schreiner Samuel Hnateck in Sils Maria.204 Auch andere Schreiner experimentierten. Engadiner unternahmen auch pionierhafte Skitouren: Claudio Saratz aus Pontresina überquerte 1894 die Fuorcla Surlej, und der St. Moritzer Philipp Mark erklomm 1898 den 3451 Meter hohen Gipfel des Corvatsch. Höher war vor ihm in den Alpen keiner mit Skiern gestiegen.205 Die beiden gehörten im Übrigen zu den Organisatoren der Skirennen vom Januar 1904 –

wie auch Pfarrer Camill Hoffmann und Emil Thoma-Badrutt, die sich für Wintersport in jeder Form einsetzten. Überhaupt war an dem Anlass viel Schweizer Skiprominenz zugegen: «Skivater» Christof Iselin aus Glarus etwa, und der in Brasilien geborene Alpinist Victor de Beauclair.206 Innerhalb von zwei Tagen wurde ein volles Skiprogramm durchgeführt, mit einem Frauen- und einem Jugendrennen, einem Springen im Kulm Park und einem Militärpatrouillenlauf auf der anderen Talseite am Piz Rosatsch. Es war der Auftakt zum Siegeszug des Skifahrens im Engadin. Erst in der Zwischenkriegszeit teilte sich dieser Sport in eine ­alpine und in eine nordische Form.

Ablagerungsplatz bestimmt und die Kehrichtabfuhr vergeben, für zehn Franken pro Tag. Die Gemeinde stellte eine Krankenwärterin ein, ebenso einen Gemeindegärtner und einen Abdecker, der für die Beseitigung verendeter Tiere verantwortlich war. Aber immer noch ging nach Einbruch der Dunkelheit der Nachtwächter durch die Strassen, für drei Franken pro Nacht.

Auf den Strassen nahm der Verkehr mit Fuhrwerken jeder Art zu.

Gleichzeitig aber benutzten im Winter auch die Sportler die Fahrbahnen mit Schlitten, Bobsleighs und Skiern. Dass damit Gefahren verbunden waren, lag auf der Hand, und die Kantonsregierung erwog den Erlass eines Verbotes für das unter Gästen beliebte Bobfahren auf allen Strassen Graubündens. Die Winterkurorte erhoben Einspruch und forderten, «im Interesse des Fremdenverkehrs» dies nicht zu verbieten. Dennoch sah sich auch St. Moritz wenige Jahre später gezwungen, eine Skikjöring-Verordnung zu erlassen.

Gemeinderat und Gemeindevorstand befassten sich schon damals mit Studien zur Schaffung eines Kurtaxengesetzes. 1903 wurde zum ersten Mal für den Gemeindehaushalt ein Budget erstellt.207 Ein neues Projekt für die Wasserversorgung der Gemeinde wurde ausgearbeitet, ebenso ein weiteres für den Einbau einer Zentralheizung im Schulhaus.

Weiterhin hatte der Gemeindevorstand gewisse richterliche Funktionen, und daher enthalten die Protokolle auch immer wieder Berichte über die Verhängung von Bussen. Dabei ging es meistens um Holzfrevel, Verunreinigung der Brunnen und Ähnliches, gelegentlich aber auch um «Beleidigung des Gemeindepräsidenten».

Sport und Unterhaltung Den Gästen wurde in St. Moritz eine reiche Palette an Unterhaltungs- und Sportmöglichkeiten geboten. Soirées, Bälle, Cotillons wechselten in bunter Folge ab. Am Nachmittag durfte der Thé dansant nicht fehlen. Aber auch Konzerte, Theateraufführungen und Ausstellungen gehörten zum Programm der grossen Hotels.

Abb. 110 «Die Römische Post» nannte man diese Weise zu schlitteln, um 1900.

Skifahren, Skisprung und Pferderennen im Winter

Immer wichtiger wur­de unterdessen der Sport. Zur winterlichen Infrastruktur gehörten zahlreiche Schlittelbahnen, die meisten gab es auf den Dorfstrassen. Und die grossen Hotels verfügten über eigene Eisfelder. Auf ihnen unterrichteten Schlittschuhlehrer und -lehrerinnen mit berühmten Namen, und öfters wurden Eisfeste veranstaltet. Kostüme und Ausstattung, ebenso das technische Können und die Akrobatik der Akteure auf dem Eis waren von höchstem Niveau. Eishockey verdrängte allmählich Bandy, denn mit kleineren Teams auf kleineren Feldern und mit einem Puck statt einem Ball zu spielen, erwies sich als Vorteil. Mit dem neuen Jahrhundert kam auch eine neue Wintersportart auf, die einige Jahre später beliebter als alle anderen zusammen werden sollte: das Skifahren. Um 1900 wagten sich noch wenige mit den langen Brettern auf grössere Ausflüge. Den Umgang mit diesen lernte man auf den flachen Hängen des Kulm Parks und den Wiesen von Salet.

Wer bis Salastrains hinaufstieg, oder gar bis Corviglia, um sich von dort in das Abenteuer einer Abfahrt zu stürzen, heimste allgemeine Bewunderung ein, vor allem bei der Damenwelt (siehe S. 156).

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Als Helden galten natürlich die Skispringer. Die Julierschanze in Somplaz wurde 1906 gebaut, und auch in Pontresina und Samedan gab es Sprungschanzen.

Die Wettbewerbe auf der Julierschanze wie auch alle anderen Skirennen organisierte der Skiclub Alpina, der 1903 gegründet worden war. Schon 1910 wurden für das Skilehrerwesen Regelungen eingeführt. Da wohl zu hohe Tarife verlangt wurden, wurde ein Skilehrertarif von fünf Franken pro Stunde mit einem Schüler, sechs mit zwei und acht Franken mit drei Schülern festgesetzt.

Ausdrücklich wurden die Skilehrer darauf aufmerksam gemacht, dass ihnen das Patent entzogen würde, wenn sie diese Tarife nicht einhalten würden.208 Das Bedürfnis nach einheitlichen Kriterien für die Erteilung von Skiunterricht und ebenso für einen richtig organisierten Betrieb, zeigte sich jedoch immer mehr, und auf

Initiative des Skiclubs Alpina und des Kur- und Verkehrsvereins wurde 1929 die Skischule St. Moritz als erste öffentliche Skischule der Schweiz gegründet.

In einer Zeit, als das ganze Verkehrswesen vom Pferd abhängig war, war es selbstverständlich, dass auch dem Reitsport grosse Bedeutung zukam. Geritten wurde zu allen Jahreszeiten. Besonders beliebt war, wie schon erwähnt, im Winter das Skikjöring, und 1906 fand denn auch das erste Rennen dieser Art auf der Strecke St. Moritz Dorf – Bad – Champfèr – Dorf statt. Es zeigte sich jedoch gleich, dass sich für die Durchführung solcher Rennen die öffentlichen Strassen nicht eigneten, und man nahm den zugefrorenen See in Aussicht. Dazu musste allerdings eine geeignete Bahn hergerichtet werden. Der Rennverein wurde gegründet, und 1907 fanden die ersten Pferderennen, zunächst um Trab-, später auch um Flach- und Hürdenrennen erweitert, statt (siehe Seite 159).

CAMILL HOFFMANN, PFARRER UND PRÄSIDENT DES KUR- UND VERKEHRSVEREINS

Camill Hoffmann (1861 – 1932) prägte das aufstrebende St. Moritz, indem er hier 43 Jahre lang als reformierter Pfarrer und rund 30 Jahre als Präsident des Kur- und Verkehrsverein wirkte. Eine Kombination, die in der Frühzeit des Tourismus durchaus nicht untypisch war – zur Tätigkeit der Pfarrer gehörte traditionellerweise die Beherbergung von Reisenden, und oft hatten die Geistlichen selbst einige Reisen hinter sich. Der in Zürich geborene und aufgewachsene Hoffmann kam nach einem Theologiestudium in Berlin 1886 nach St. Moritz, um hier seine erste und einzige Pfarrerstelle anzutreten. Hoffmann

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glaubte an den Wintertourismus, engagierte sich für den Wintersport und gegen den Bau von Sanatorien in St. Moritz. «Unsere Zukunft liegt auf dem gefrorenen Wasser», pflegte er zu sagen. Er gehörte zu den Gründern der Pferderennen, initiierte aber auch den sommerlichen Kinderspielplatz im Bad. Hoffmann galt als ausgezeichneter Redner, knüpfte leicht Kontakte und trat stets elegant auf. Er schrieb Artikel, redigierte zeitweise die «Engadiner Post» und war ein leidenschaftlicher Fotograf. 1929 kehrte er nach seinem Rücktritt als Pfarrer an den Zürichsee zurück, wo er zwei Jahre später in Herrliberg starb.209

Abb. 111 Camill Hoffmann vor der reformierten Kirche im Dorf.

ERSTES PFERDERENNEN AUF DEM SEE

Ein «Skirennen mit Pferdebespannung und ein Trabfahren auf Rennschlitten» bilden am 27. Januar 1907 das «Erste Grosse Pferde-Rennen» auf dem St. Moritzersee.

Organisiert wird es vom Skiclub Alpina – der ein Jahr zuvor schon auf der Strasse das erste «Skirennen mit Pferdebespannung», besser bekannt unter der Bezeichnung «Skikjöring», veranstaltet hat.

Tribünen werden aufgebaut, und ein erster Extrazug der Rhätischen Bahn bringt nebst den fahrplanmässigen Zügen «helle Haufen sensationslüsternen Publikums» nach St. Moritz. Das Wetter ist prächtig, der Himmel «strahlt in ungetrübter Bläue, vom herrlichsten Sonnenschein durchleuchtet».

So bilanziert die Gästezeitung «Engadin Express & Alpine Post» sechs Tage später: «Das erste Pferderennen in St. Moritz gelang vollkommen».210

Die Organisatoren um Hotelier und Skiverbandspräsident Emil Thoma-Badrutt und Pfarrer Camill Hoffmann haben offensichtlich perfekte Arbeit geleistet. Sie haben auch einen Sponsor verpflichten können – den österreichischen Kronprinzen Erzherzog Franz Ferdinand.211 Die Initianten gründen im selben Jahr den Rennverein, der in der Folge und bis heute die Pferderennen organisiert.212

1911 wird erstmals ein Flachrennen ins Programm aufgenommen. Dann, während des Ersten Weltkriegs (wie auch später während des Zweiten) fallen die Rennen aus, um in der Zwischenkriegszeit ein schönes Comeback zu feiern. 1922 wird zusätzlich erstmals ein Hürdenrennen durchgeführt.213 Als «White Turf» zählen die Pferderennen auf dem See auch weit über 100 Jahre später zu den Hauptattraktionen des St. Moritzer Winters.

Abb. 112 Trabrennen auf dem St. Moritzersee um 1930.

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Abb. 113 Die Werbung war der Wirklichkeit voraus: 1899, als dieses Plakat entstand, endete die Eisenbahn in Thusis.

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Abb. 114 Golfplatz «San Gian» mit dem Heilbad und dem Kurhaus Grand Hotel des Bains im Hintergrund, um 1930.

Golf und Segeln im Sommer Im Sommer lag das Hauptge-

wicht auf den Bade- und Trink­kuren. Den «Kuranden» wurde empfohlen, sich neben der Kur nicht grösseren Anstrengungen auszusetzen. Deshalb ging man vor allem spazieren, möglichst auf Wegen ohne grössere Steigungen, vor der Sonne geschützt durch

einen Sonnenschirm – weisse Haut war das eindeutige Charakteristikum für eine Dame. In jener Zeit sind weitere, teils von der Gemeinde und teils vom Kurverein hervorragend angelegte Spazierwege um die Seen und durch die Wälder entstanden, die heute noch von den Gemeinden und Kurvereinen der Region unter­

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halten und von vielen Gästen benutzt und geschätzt werden.

Natürlich kannte man auch schon eine ganze Reihe von Sommersportarten. So besassen alle grösseren Hotels Tennisplätze, auf denen eifrig gespielt wurde. Nach der Golfanlage im Kulm Park im Dorf verfügte auch St. Moritz Bad ab 1904 über einen Platz, den San Gian-Golf mit neun Löchern, der in der Nähe des Hotels Kurhaus begann und sich über die Wiesen gegen das Gebiet der heutigen Olympiaschanze hin erstreckte. Fussball wurde gespielt, und das «Fremdenblatt» schildert 1911 ein Match zwischen St. Moritz und Davos, das auf dem Platz des späteren Olympia­ stadions ausgetragen wurde. Aus dem gleichen Jahr gibt es auch Berichte von Segelregatten auf dem St. Moritzersee und von Aktivitäten eines Veloclubs. In jenen Jahren wurde in den Oberengadiner Bergen natürlich auch viel Bergsport betrieben.

St. Moritz – eine Stadt im Hochgebirge In dieser kleinen Stadt, in der 1910 rund 3200 Menschen wohnten, boten 21 Lebensmittelgeschäfte, 17 Textil- und Bekleidungsgeschäfte, acht bis zehn weitere Ladengeschäfte verschiedener Art, vier Blumenläden und drei Coiffeure so ziemlich alles an, was eine verwöhnte Kundschaft begehrte.

Und diese begehrte, wie aus der Schilderung eines Zeitgenossen hervorgeht, einiges an luxuriöser Ausstattung, denn zur eleganten Robe gehörte «ein grandioser Hut mit Schleier und ein pompöser Sonnenschirm als Unterstand gegen die impertinenten Strahlungsmanöver der Sonne von St. Moritz. Staubmantel, Handschuhe, Pompadour, Lorgnon, Federboa und irgend ein prominenter Luxushund in Taschenformat».

OSCAR BERNHARD, ARZT

Oscar Bernhard (1861 – 1939) erfand die Heliotherapie, mit der die Knochen- und Gelenktuberkulose behandelt werden konnte, bevor Antibiotika erfunden waren. Auf die Idee, die Sonnenbestrahlung gegen Krankheitserreger einzusetzen, hatte ihn die Art und Weise, wie Bündnerfleisch an der frischen Luft und der Sonne getrocknet und konserviert wird. Dieser Gedankenblitz kam Bernhard in seiner Zeit als erster Chefarzt des Kreisspitals Samedan (1895 – 1907), das er mitbegründet hatte. Bernhard liess 1902 einen Patienten im Bett ins Freie schieben und dessen Wunde freilegen – diese begann an der Sonne zu trocknen. Nach und nach wandte Bernhard die Sonnenbestrahlung für weitergehende Behandlungen an. So liess er an Knochen- und Gelenktuberkulose leidende Patienten Sonnenbäder nehmen

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oder nur mit Unterwäsche bekleidet im Schnee laufen. 1911 eröffnete er für die Heliotherapie eine eigene Klinik in St. Moritz. Eigentlich wollte er ein wesentlich grösseres Sonnensanatorium bauen, doch St. Moritz, das gesunde und nicht kranke Gäste wollte, verweigerte ihm die Bewilligung. Während des Ersten Weltkrieges betätigte sich Bernhard als Chirurg in deutschen und englischen Lazaretten. Bernhard war ein begeisterter Berggänger und als solcher ein Pionier der Bergrettung von Verunfallten. Als Freund und Mäzen des Kunstmalers Giovanni Segantini initiierte er den Bau des Segantini Museums (1908 eröffnet). Für seine Forschungserfolge erhielt Bernhard zwei Ehrendoktortitel. 1921 ernannte ihn St. Moritz zum Ehrenbürger.214

Abb. 115 Oscar Bernhard um 1930.

DER LEGENDÄRE SOMMER 1911

Von der Sommersaison 1911 haben jene, die sie erlebten, immer wieder erzählt. Eine viele Wochen dauernde Schönwetterperiode mit hohen Temperaturen von bis zu 27 Grad Celsius, was im Engadin aussergewöhnlich ist – lockte eine sehr hohe Zahl von Gästen an, auf die man im Engadin nicht vorbereitet war. Dies, obwohl St. Moritz schon über mehr als 30 Hotels und dazu über viele Villen mit Fremdenbetten verfügte. Auch in den umliegenden Dörfern gab es Hotels, Pensionen und mietbare Privatzimmer in grosser Zahl. Dennoch war weder in St. Moritz noch in seiner Umgebung ein leeres Bett zu finden. Selbst die einfachste Unterkunft konnte gut vermietet werden, und oft seien die Gäste froh gewesen, wenn sie in einem Heustall schlafen konnten, und dafür hätten sie sogar noch bezahlt. Hohe und höchste Herrschaften, Fürstlichkeiten, Politiker, Künstler aus aller Herren Länder suchten Gesundheit und Erholung in St. Moritz. Das Wohlergehen und die Sicherheit dieser Persönlichkeiten muss ein wichtiges Anliegen gewesen sein, denn zwölf Ärzte betreuten Kranke und Gesunde, und die Gemeinde beschloss, einen Geheimpolizisten anzustellen. Welche Voraussetzungen für dieses wichtige Amt gefordert wurden, geht leider aus den Protokollen des Gemeinderats nicht hervor.

Eine Gefahr für die illustren Persönlichkeiten stellten offenbar auch die langen, oft kostbaren Hutnadeln dar, die zu Ver-

Abb. 116 Der Bootssteg beim St. Moritzersee mit Blick auf Piz La Margna. Illustration um 1910.

letzungen führen konnten, denn es wurde ein Verbot des Tragens von «ungeschützten Hutnadeln» erlassen. Mit grossem Pomp

wurde ein Sommerblumenfest veranstaltet mit einem sensationellen Blumenkorso auf Elektromobilen.

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NICOLAUS HARTMANN SEN. UND JUN., ARCHITEKTEN

Nicolaus Hartmann sen. (1838 – 1903) und Nicolaus Hartmann jun. (1880 – 1956) prägen mit ihrer Architektur St. Moritz bis heute. Vater Hartmann sen., der 1872 nach St. Moritz gezogen war, baute im Bad zwischen 1875 und 1890 die Hotels Victoria und Du Lac (1974 abgebrochen), die Französische (1877) und die Katholische Kirche (1889) sowie die Villa Planta (1883, Chesa sur l’En). Im Dorf stehen zwei Gebäude, an denen sowohl Vater wie Sohn mitwirkten.

Das Schulhaus begann Nicolaus sen. 1886, Nicolaus jun. erweiterte es 1909. Fürs weitverzweigte Kulm Hotel entwarf der Vater die Teile Haupt- und Mittelkulm, der Sohn 1911 den Ostflügel Neukulm. Nicolaus Hartmann jun. war Gründungsmitglied der Bündner Sektion des Heimatschutzes und leitete im Engadin die Abkehr vom Historismus ein, indem er bei seinen Bauten auf traditionelle Formen zurückgriff. Bekannteste Beispiele dafür sind das im Stile eines Engadiner Hauses gebaute Engadiner Museum (1906) und das Hotel La Margna (1907), das modellhaft für den Bündner Heimatstil gilt. Auch das Segantini Museum (1908), die Reithalle im Bad (1910) und der Bahnhof (1927) stammen von ihm, wie auch verschiedene andere prominente Bauten im Kanton Graubünden, so das Hotel Castell in Zuoz (1913) oder der mächtige Sitz der Rhätischen Bahn in Chur (1910). Die vom Vater gegründete und vom Sohn ausgebaute Baufirma Nicol. Hartmann & Cie besteht noch heute, nun als Teil der Testa Holding AG.215

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Abb. 117 Nicolaus Hartmann sen.

Abb. 118 Nicolaus Hartmann jun.

Abb 119 (links), Abb. 120 (rechts) Zwei prägnante Bauten von Nicolaus Hartmann jun.: Das von der traditionellen Architektur inspirierte Engadiner Museum und die Kuppel des Segantini Museums.

Zwei neue Museen Als Stätten der Kultur bestanden zwei Mu-

seen, das Engadiner und das Segantini Museum. Beide sind aus privater Initiative entstanden, und beide sind das Werk des bedeutenden Architekten Nicolaus Hartmann jun. (siehe auch S. 164).

Das Engadiner Museum wurde von Riet Campell gegründet. Als leidenschaftlicher Sammler alten Volksguts hatte der Brauereibesitzer aus Celerina schon eine stattliche Anzahl wertvoller antiker Gegenstände und auch ganze Zimmer mit ihren Täfelungen und eingebauten Schränken aus dem Engadin zusammengetragen. Geeignete Räume, um sie aufzustellen und der Öffentlichkeit zu zeigen, fehlten jedoch. So entstand die Idee eines kulturhistorischen Museums in einem eigens dafür erbauten Gebäude. 1906 wurde es eröffnet, und von Anfang an traf es auf grosses Interesse als Zeugnis alter Engadiner Bau- und Wohnkultur.

Nur zwei Jahre später, 1908, wurde das Segantini Museum erbaut.

Der grosse Maler und Künder der Schönheit des Engadins, Gio-

vanni Segantini, verstarb 1899 auf dem Schafberg mitten in der Arbeit an seinem Monumentalwerk, dem Triptychon «Werden – Sein – Vergehen». Freunde und Bewunderer seiner Kunst, allen voran der Arzt Oscar Bernhard (siehe S. 162), setzten ihm mit dem Bau des Segantini Museums ein Denkmal, das mit dem erwähnten Triptychon und einer Reihe weiterer Werke auch heute noch ­Interessierte aus aller Welt anzieht.

Es gab in den Jahren der Belle Epoque im Alpenraum wohl kaum einen anderen Ort mit so reichhaltigem und vielseitigem Angebot an gesellschaftlichen, sportlichen und kulturellen Möglichkeiten wie St. Moritz.

Sogar den Sommerskilauf hatte man schon erfunden, denn ab 1910 fand jeweils auf dem Corvatsch das Sommerskirennen mit einer Sprungkonkurrenz auf einer Schneeschanze statt.

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ERSTE FLÜGE VOM SEE AUS

«St. Moritz – Der Flugapparat des Herrn Auffm’Ordt wird nächstens fertig montiert sein, so dass der nächste Aufstieg bald zu erwarten ist», steht am 16. Januar 1909 auf der Frontseite der «Neuen Zürcher Zeitung».216 Baron Clement Auffm’Ordt gelang der erhoffte Aufstieg nicht wirklich. In einem Hangar, den ihm «Palace»-Hotelier Hans Badrutt am Ufer des St. Moritzersees hatte aufstellen lassen, baute er im Winter 1908/09 zwei Monate lang an seiner Eigenkonstruktion. Doch die Maschine schaffte nur zwei oder drei Meter Höhe.217 Ein Jahr später kam ein deutscher Korvettenkapitän namens Paul Engelhard nach St. Moritz, mit zwei zerlegten Flugzeugen im Gepäck und der persönlichen Erfahrung, bereits geflogen zu sein. Engelhard richtete sich in Auffm’Ordts Hangar ein. Und siehe da. Am 25. Februar 1910 brachte ein Katapult Engelhard und eine von seinen Mechanikern zusammengebaute Maschine in die Luft. Er kreiste in einer Höhe von etwa 5 Metern über dem St. Moritzer See. Sieben Minuten dauerte der Flug nur, aber es war ein historischer Moment: Er gilt als der erste motorisierte Flug in der Schweiz.218 Am 15. März blieb Engelhard mit seinem Doppeldecker dann sogar 31 Minuten und 40 Sekunden in der Luft. Das Publikum zollte ihm «grosse Ovationen», als er wieder landete. Vom Kurverein St. Moritz erhielt er die 2000 Franken, die dem ersten Piloten,

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Abb. 121 Kpt. Paul Engelhard fliegt mit seinem Wright-Doppeldecker über den St. Moritzersee, 1910.

der mindestens eine Viertelstunde in der Luft bleibt, versprochen waren.219 Der Kurverein verschickte nach dem ersten geglückten Flug eine Medienmitteilung, um die Welt über die Sensation zu informieren.

Die «Aeroplanflüge durch Kapitän Engelhard haben erfolgreich begonnen und man erwartet die nächsten Tage grössere Flüge», meldete die «Neue Zürcher Zeitung».220 Erst sieben Jahre waren vergangen, seit den Gebrüdern Wright in den USA der erste motorisierte Flug überhaupt gelungen war.

In der Folge warben die Wrights für ihre Errungenschaft: Sie reisten nach Europa, erteilten Flugunterricht und verkauften ihr Flugzeugmodell als Bausatz. Paul Engelhard war einer ihrer ersten Schüler.

Der Erste Weltkrieg bricht aus, Gäste reisen ab In diese Euphorie platzte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs am 1. August 1914. Liest man die Zeitungen jener Zeit, erkennt man allerdings, dass sich schon seit einiger Zeit dunkle Wolken am politischen Horizont zusammenballten, aber niemand schien ernsthaft an einen Krieg zu glauben. Noch im Juli schrieb das «Fremdenblatt», dass die Saison unter der kritischen politischen Lage leide, aber «der Schaden ist nicht so gross, wie man befürchten zu müssen glaubte». Man wiegte sich in der trügerischen Hoffnung, alle die bösen Zeichen seien nur leere Drohungen, und das Desaster werde sich schon noch irgendwie abwenden. Umso grösser war der Schock, als dann der Krieg tatsächlich ausbrach. Hals über Kopf reisten alle Ausländer ab, und die sehr gut ausgelasteten Hotels waren von einer Stunde auf die andere leer. Das «Fremdenblatt» stellte sein Erscheinen ein und verabschiedete sich von seinen Lesern mit folgenden Worten: «Wir müssen Abschied nehmen für diese Saison, frühen, wehmutsvollen Abschied, das Herz voll Sorge und Kummer, aber auch voll Unmut und Scham über den Zusammenbruch der vielgerühmten Zivilisation des alten Europas. Der Krieg will es so haben. Er knickte die Lebenskraft der gerade im Monat August so hoffnungsvollen Saison des Engadins und damit auch unseres Blattes, das dieses wogende Leben so gerne und freudig der Welt geschildert hätte.» Hoffnungsvoll aber schloss diese Mitteilung an die Leser mit «Auf Wiedersehn im Winter 1914/15».

Man glaubte fest daran, dass in wenigen Monaten alles vorüber sein werde.

Bei den überstürzten Abreisen wurden die Hotelrechnungen in vielen Fällen nicht bezahlt. Das muss angenommen werden, denn aus den Gemeindeprotokollen und aus Zeitungsberichten geht hervor, dass die Hotels ihren Verbindlichkeiten nicht nachkommen konnten, und die Lieferanten ihrerseits unfähig waren, ihre Gläubiger zu bezahlen. Immer mehr und andere Wirtschaftsgruppen wurden so in den Strudel einer finanziellen Katastrophe ­gerissen.

Abb. 122 Soldaten auf dem Schulhausplatz um 1914.

Für den Tourismus ist der Krieg eine Katastrophe

Knapp zwei Monate nach Kriegsausbruch beschäftigten sich auch die Gemeindebehörden mit dieser Situation. Es wurden verschiedene Möglichkeiten erörtert, um den Folgen dieses plötzlichen Zusammenbruches der wirtschaftlichen Basis zu begegnen.

Schliesslich beschloss man, mit der Bitte um eine Hilfsaktion an den Kleinen Rat, also an die Regierung des Kantons Graubünden zu gelangen. Ähnliche Gesuche trafen auch aus anderen Regionen des Kantons ein, und so entstand eine Aktion «zur Durchhaltung lebensfähiger Unternehmungen und zur Verhinderung des Unterganges bedeutender Werte». Mit einem Aufruf wurden am 17. Oktober 1914 alle Unternehmungen, die in Finanzschwierigkeiten geraten waren, aufgefordert, sich bei der Graubündner Kantonalbank zu melden. Die Meldungen ergaben einen Kreditbedarf von rund 8 Millionen Franken, davon entfielen 5,8 Millionen auf die Hotellerie. Die Bündnerische Kreditgenossenschaft wurde gegründet, an der sich alle potenziellen Nutzniesser beteiligen mussten. Auch Gemeinden mussten mitmachen. Die Banken im Kanton übernahmen für 420 000 Franken Genossenschaftsanteile.

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Zusätzlich stellte die Kantonalbank einen Kredit von maximal zehn Millionen Franken zur Verfügung. Auf diese Weise konnten die glücklicherweise zumeist nicht sehr hohen Hypotheken der Hotels bis auf 70 Prozent erhöht werden. Das Genossenschaftskapital betrug 1915 fast zweieinhalb Millionen, die bewilligten Kredite rund fünf Millionen, davon an Hotels und Pensionen 4 133 000 Franken.

Hatte man sich zunächst noch in der Hoffnung gewiegt, dieser Krieg werde nicht lange dauern, so musste man bald erkennen, dass nach den fetten Jahren nun eine längere magere Epoche angebrochen war. Sie sollte noch bis in den Anfang der zwanziger Jahre dauern, und damit auch die finanziellen Schwierigkeiten der bündnerischen Wirtschaft. Die Darlehen der Kreditgenossenschaft erreichten erst 1921 ihren Höhepunkt mit einer Summe von über 14 Millionen Franken. 221 Durchhalten während des Krieges Trotz des Krieges und seiner schrecklichen Folgen rüstete man sich im Dezember 1914 zur Wintersaison. Am 15. Dezember erschien wiederum die erste Nummer des «Engadin Express & Alpine Post» mit einem Leitartikel, aus dem wohl Besorgnis zu spüren war, der aber auch mit pathetischen Worten Hoffnung beschwor. Die Schweiz wurde als «Weltsanatorium und sturmumtobte Insel des Friedens» bezeichnet, die alle Leidenden und Erholungsbedürftigen einlud, sich nach den «Engadiner Höhen» zu wenden, um Gesundheit für Körper und Seele zu suchen. Zwar werde es stiller und ernster sein als sonst, denn es gelte, Frieden, taktvolles Benehmen und jede Rücksichtnahme unter den verschiedenen Nationen zu wahren. Die Hotels öffneten ihre Pforten wieder, so weit sie nicht auch über die Zwischensaison offen geblieben waren, was erstaunlicherweise bei recht vielen der Fall war. Sogar Grosshotels wie Palace, Kulm und Suvretta blieben ganzjährig geöffnet, um «ihre alten Freunde» in diesen schweren Zeiten zu empfangen. Viele dieser alten Gäste konnten sich tatsächlich immer noch Aufenthalte im Engadin leisten und suchten und fanden wohl auch hier neue Kräfte für den bitteren Alltag hinter den Fronten. Von Verwundungen oder

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Krankheiten Genesene stellten sich ein, Menschen hohen gesellschaftlichen Ranges fühlten sich in ihren Heimatländern nicht mehr sicher und lebten oft über lange Zeit in den Hotels von St. Moritz und Umgebung. Der Kurverein und die Hotels organisierten die gewohnten gesellschaftlichen Anlässe, die damals grosse Bedeutung hatten, die Sportvereine führten ihre Veranstaltungen durch, und die Winter 1916/17 und 1917/18 wiesen überraschend gute Belegungszahlen aus. Dennoch waren die Frequenzen mit jenen der Vorkriegsjahre nicht zu vergleichen.

Viele Hotels mochten sich trotz der Hilfe durch die Kreditgenossenschaft nicht über Wasser halten, und viele Besitzerfamilien ver­loren ihr ganzes Vermögen. Die Aktien der Hotels im Bad, die früher bis zu 25 Prozent Dividende abgeworfen hatten, waren nur noch wertloses Papier. Es liegt auf der Hand, dass auch Handel und Gewerbe, die ja auf Gedeih und Verderb mit dem Tourismus zusammenhingen, dessen Niedergang zu spüren bekamen, und so mussten auch zahlreiche Unternehmer und Geschäftsinhaber aufgeben. Viele aber hielten mit erstaunlichem Mut und grosser Beharrlichkeit durch. Sogar das «Fremdenblatt» erschien während des Krieges in der Saison weiterhin, allerdings in viel kleinerem Umfang, nur einmal wöchentlich und ohne Fremdenliste.

Die Männer standen als Soldaten an der Grenze, und die Frauen mussten daheim sehen, wie sie sich und die Kinder über die Runden brachten, denn eine Lohnausfallentschädigung gab es damals nicht. Die Arbeit der abwesenden Männer musste getan werden, und die Frauen sprangen überall ein, obwohl nur wenige von ihnen einen Beruf erlernt hatten.

Lebensmittel waren rationiert, und es war nicht so einfach, mit den kleinen Rationen genügend und gesundes Essen auf den Tisch zu bringen. Wo wirklich Not herrschte, halfen Gemeinde und Frauenvereine, so gut sie konnten, wie sich aus entsprechenden Protokollen ablesen lässt.

Flüchtlinge, meist aus Kriegsgefangenenlagern Entkommene, wurden aufgenommen und interniert. Anstelle der Heuer, die

ZEITUNGEN FÜR GÄSTE UND EINHEIMISCHE

Abb. 123 Engadin Express & Alpine Post, 1904.

Bevor das Engadin über eine deutschsprachige Zeitung verfügte, gab es eine in Englisch. Im Dezember 1886 erschien die erste Ausgabe von «The St. Moritz Post» für die britischen Gäste. Herausgeber des Blattes war der Engländer Freddie de Beauchamp Strickland, der im Kulm Hotel residierte.

Während den Saisons im Winter und ab 1888 auch im Sommer berichtete die «Post» über das Gesellschaftsleben, über sportliche Wettkämpfe und publizierte die Gästelisten der Hotels. Die Zeitung war auch international erhältlich und wurde in London,

Paris, Berlin, Rom oder Mailand verkauft.

Um das weit verstreute Publikum besser anzusprechen und auch um mehr Inserenten zu gewinnen, wurde der Name 1892 in «The Alpine Post» abgeändert. 1901 fusionierte die «Alpine Post» mit dem 1900 gegründeten «Engadin Express», der die deutschsprachigen Gäste informierte und von der Druckerei Simon Tanner in Samedan herausgegeben wurde. Im «Engadin Express & Alpine Post» erschienen von da an auch Artikel auf Französisch und Italienisch.222 Mit vielen Fotos illustriert, auf glattem Papier gedruckt, erschien die Zeitung mit einem umfangreichen redaktionellen Teil sowie den Fremdenlisten bis 1939 während den Saisons.

1894 gegründet wurde die Lokalzeitung «Engadiner Post» (EP). Sie richtete sich ebenfalls an die Gäste, indem sie zunächst die Fremdenliste enthielt, die dann zum «Fremdenblatt» ausgebaut wurde (das bis 1923 erschien). Herausgegeben wurde die EP vom Verlag Manatschal, Ebner & Co. in St. Moritz und Chur. Das Unternehmen in St. Moritz ging 1938 in den Besitz von Walter Gammeter über, dessen Nachkommen die EP noch heute verlegen. Seit Ende 1996 erscheint die Zeitung zweisprachig und heisst «Engadiner Post/Posta Ladina».

Dies als Reaktion auf das Verschwinden des «Fögl Ladin», der aus dem 1858 als erste romanische Zeitung des Engadins gegründe-

ten «Fögl d’Engiadina» hervorgegangen war.

1932 wurde eine spezifisch für die Gäste von St. Moritz konzipierte Informationsschrift, der «St. Moritz Courier», geschaffen, der vom Kur- und Verkehrsverein während der Saison herausgegeben wurde. Mit dem Kriegsausbruch 1939 stellte der Courier sein Erscheinen ein. Auf die Wintersaison 1960/61 erschien er erneut. 1974 wurde er durch die Publikation «St. Moritz Information» abgelöst, die 1988 von «St. Moritz Aktuell» übernommen wurde, als bis heute beliebtes Informationsmittel für die Gäste.

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Abb. 124 Badefreuden am Stazersee um 1927.

seit Generationen aus Italien gekommen waren, wurden deutsche Internierte eingesetzt. Einquartierungen des Militärs brachten etwas Leben in den Ort, sonst aber waren es stille Jahre. Trotzdem verliess der Unternehmergeist nicht alle St. Moritzer. 1917 etwa gründeten einige von ihnen einen Verein zur «Förderung des Bade- und Schwimmsportes», wobei als Vereinszweck ausdrücklich die Verbesserung der Badeeinrichtungen am Stazersee festgelegt wurde.

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EMIL THOMA-BADRUTT, UNTERNEHMER

Emil Thoma-Badrutt (1872 – 1951) war einer der Pioniere bei der Entwicklung von St. Moritz als Touristenziel und Wintersportplatz. Der aktive Sportler war 1903 Gründungsmitglied und erster Präsident des Skiclubs Alpina, von 1906 bis 1908 präsidierte er den Schweizerischen Skiverband. Zusammen mit Pfarrer Camill Hoffmann initiierte er 1906/07 die winterlichen Pferderennen von St. Moritz. Als begeisterter Cresta- und Bob-Fahrer beaufsichtigte er während vieler Jahre den Bau der beiden Eiskanäle. Auch im Sommersport engagierte er sich: 1907 gehörte er zu den Mitbegründern des Wassersportclubs.

Abb. 125 Emil Thoma Badrutt

Thoma war in Buchs SG aufgewachsen und 1895 nach St. Moritz gekommen, um als Privatsekretär für den damaligen Kulm-Hotelier Alfons Badrutt zu arbeiten. 1898 heiratete er dessen Nichte Maria und führte anschliessend mit ihr zusammen das Privathotel, das ihr gehörte. 1905 starb Maria, 1907 heiratete Thoma ihre jüngere Schwester Emilia. Durch die Ehen mit den beiden Enkelinnen von Johannes Badrutt verfügte Thoma über finanzielle Mittel, um auf Chantarella ein «Hochalpines Erholungs- u. diätisches Kurhaus» zu bauen, das 1912 eröffnet und später in ein Hotel umgewandelt (und 2001 abgebrochen) wurde. Als Verbindung zum Dorf liess er die Chantarellabahn errichten und sie 1928 um die Standseilbahn auf Corviglia verlängern.

1937 verkaufte er die Bergbahnen an die Gemeinde St. Moritz. Daneben war Thoma zeitweise Bündner Grossrat und machte im Militär Karriere bis zum Regimentskommandanten, weshalb er oft «Oberst Thoma-Badrutt» genannt wurde, obwohl er «nur» den Grad eines Oberstleutnants erreichte. Nach-

dem sein einziger Sohn und seine zweite Ehefrau kurz nacheinander gestorben waren, kehrte Thoma-­ Badrutt 1941 ins Rheintal zurück, um seine letzten Lebensjahre bei seiner Schwester zu verbringen, wo er 1951 im selben Haus und im gleichen Zimmer, in dem er geboren worden war, starb.223

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11.

Frieden, Freude, Krise, Kriege von 1918 bis 1945

Langsame Erholung Im November 1918 war der Krieg endlich zu Ende. Mit verhaltenem Optimismus sah man der Zukunft entgegen, und das «Fremdenblatt» eröffnete am 13. Dezember die Wintersaison «im Scheine der Friedensmorgenröte» mit einem Artikel, der alle Hoffnung auf den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson setzte, der mit seinen Verbündeten der Welt den Frieden geben werde, ein Friede, der «ewiger Friede genannt sein möge». Mit Hoffnung und Freude begrüsste das «in dumpfem Verlassungsschmerze ergebene Engadin» den ersten Friedenswinter. Die Aussichten waren allerdings noch keineswegs rosig, und der Redaktor des «Fremdenblattes» betonte denn auch, dass zwar die äussere Gefahr gebannt sei, dass aber Seuchen, Krankheiten, Unruhen drohten. Die Seuche hatte sich mit der Spanischen Grippe bereits verbreitet, im Engadin freilich nicht so verheerend wie in den Städten der Schweiz. Für den ganzen Kanton Graubünden aber galt der Erlass der Regierung, die sämtliche «Versammlungen, gesellschaftliche Arrangements etc.» verbot. Mit grossen Inseraten in den Zeitungen wurde die Bevölkerung aufgerufen, gesund zu leben und sich vorausschauend zu verhalten: «Abstand halten, nicht küssen, nicht Handschlag, fleissig lüften, Reinlichkeit.» Personen, die neu ankamen, hatten eine Quarantäne von drei Tagen unter ärztlicher Kontrolle zu absolvieren. Im Hotel Bären war ein Lazarett eingerichtet worden.

Alle öffentlichen Versammlungen, Veranstaltungen, Tanzanlässe wurden abgesagt, ebenso Gesangsübungen, Turnunterricht, ja sogar der allgemeine Gottesdienst.

Der Fremdenverkehr erholte sich nur sehr langsam. Die Währungskrise in den Nachbarländern, und ganz besonders die Inflation in Deutschland, machte es den meisten Reisewilligen unmöglich, Auslandsreisen zu unternehmen. Mit Freude wurden Urlauber der in Europa stationierten amerikanischen Truppen willkommen geheissen, die sich auf Wunsch ihres obersten Vorgesetzten, General Pershing, «die alte Welt gehörig ansehen» durften – so der Bericht im «Fremdenblatt». Ihr Dasein genügte freilich nicht, die Hotels zu füllen, aber man spürte doch, dass es allmählich wieder aufwärts ging.

Abb. 126 Ball im Hotel Palace, 1936/37.

Es sollte aber noch mehrere Jahre dauern, bis wieder von einem befriedigenden Saisonverlauf berichtet werden konnte. Die Schaffung einer neuen stabilen Mark in Deutschland und die Aufhebung der Ausreisegebühren machte sich bei den Frequenzen in St. Moritz deutlich bemerkbar. Noch im Sommer 1920 war die Höchstzahl der an einem Tage anwesenden Gäste 1763, ein Jahr später jedoch wies die Statistik schon die Zahl von 3487 Gästen aus. Mit der guten Wintersaison 1923/24 stellte sich die Wende zum Guten ein, sodass viele Unternehmen mit der Rückzahlung der von der Kreditgenossenschaft zur Verfügung gestellten Mittel beginnen konnten. Dennoch verblieben Verluste, die unter Einrechnung verfallener Zinsen und weiterhin bestehender Vorschüsse praktisch das ganze Genossenschaftskapital verschlangen.

Unter dem Eindruck dieser grossen Verluste, von denen nicht nur der Kanton Graubünden, sondern alle Regionen mit Tourismus, und damit letztlich die ganze Wirtschaft der Schweiz betroffen waren, verlängerte die Eidgenossenschaft im Jahre 1924 das 1915 erstmals erlassene «Hotelbauverbot». Dieses enthielt allerdings eine Bedürfnisklausel, die es dennoch ermöglichte, dass da und dort Hotels gebaut wurden. Jedenfalls nahm in den Zwanzigerjahren die Zahl der Fremdenbetten in unserem Kanton um mehr als zehn Prozent zu. Mit der Wiederbelebung des Tourismus stieg auch die Bevölkerungszahl, die in den Kriegsjahren stark abgenommen hatte, wieder an. 1920 meldete die Gemeindeschule die stolze Zahl von 300 Schülern und gleichzeitig die Einführung des Fachsystems an der Sekundarschule.

Der Verkehr wird motorisiert Das Zeitalter der Technik war inzwischen angebrochen, und auch davon versprach man sich eine Belebung des Tourismus. Eine «Gesellschaft zur Ausführung von regelmässigen Passagierflügen und für Aufnahmen von Fotos vom Flugzeug aus und deren Vertrieb» wurde gegründet. Sie wurde sofort aktiv und es gelang ihr, schon

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Abb. 127 Sommerplakat 1920 von Eduard Stiefel.

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Abb. 128 Bevor Autos in Graubünden selbst fahren durften, mussten sie von Pferden gezogen werden. Vor dem Café Philipp, heute Hotel und Restaurant Hauser, um 1920.

für den Winter 1919/20 in Zusammenarbeit mit der Aerogesellschaft Zürich und der Flugplatzdirektion Dübendorf den Flugbetrieb aufzunehmen. Auf dem See wurde ein mächtiges Zelt als Hangar errichtet und Rundflüge wurden ausgeschrieben. Als Pilot hatte man den berühmten Flieger Alfred Comte engagiert. Sogar Flüge von St. Moritz nach London wurden durchgeführt. Erste Flüge mit Start auf dem gefrorenen St. Moritzersee hatte es bereits vor dem Ersten Weltkrieg gegeben (siehe S. 166).

Weit grössere Bedeutung kam freilich einem anderen Transportmittel zu, das die Bevölkerung und die Behörden in den kommenden Jahren intensiv beschäftigen sollte: dem Automobil. Die neuen Möglichkeiten, die dieses Fahrzeug eröffnete, wurden seitens der Hotellerie schnell erkannt, aber ebenso sahen weite Kreise auch die negativen Seiten des zu erwartenden Verkehrs. Das Fuhrwesen war immer noch von grosser Bedeutung, schuf viele Arbeitsplätze und brachte auch Wohlstand. So wurden 1920 in St. Moritz 37 Pferdebe-

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sitzer mit mehr als 200 Pferden gezählt – wobei diese Zahl vor dem Eisenbahnbau natürlich noch bedeutend höher gewesen war.224 Tatsächlich waren die Naturstrassen im gebirgigen Kanton für das Auto nicht sonderlich gut geeignet, und das Nebeneinander von Fuhrwerken und Autos führte immer wieder zu Unfällen, da die Pferde nur allzu oft vor diesem lärmigen «Stinkkarren» – wie das Auto in den Zeitungen genannt wurde – scheuten. So erliess der Kleine Rat 1900 ein allgemeines Fahrverbot für Automobile auf sämtlichen Strassen des Kantons Graubünden. Allgemein wurde das Fahren mit dem Motorwagen noch als Sport betrachtet. In den folgenden Jahren änderte sich diese Meinung zunehmend, und es wurden immer wieder Vorstösse zur Aufhebung des Verbotes eingereicht. Alle diese Anläufe scheiterten jedoch in der Volksabstimmung, und so kam es, dass Gäste, die mit ihren Familien, und damals mit dem Chauffeur, ins Engadin kommen wollten, an der Kantonsgrenze Pferde vor ihr Auto spannen liessen und ihr Ferienziel mit zwei Pferdestärken erreichen mussten. Am 21. Juni 1925 war die zehnte kantonale Abstimmung endlich erfolgreich und das Auto auf den damals noch steinigen und staubigen Bergstrassen zugelassen.225 Das bedeutendste Verkehrsmittel blieb freilich weiterhin die Eisenbahn. Saisonzüge führten von London über Paris mit direkten Anschlüssen nach Graubünden und ins Engadin.226 Autos verursachen Verkehrsprobleme Es steht fest, dass die

Zulassung des Autos im Sommer dem Engadin zusätzliche Gäste brachte. Für die sportlichen Fahrer war es eine Herausforderung, die Passstrassen über die Berge zu befahren, und vom Engadin aus boten sich zahlreiche interessante Ausflüge per Auto an. Die Attraktion, die das Auto darstellte, zeigten auch verschiedene Veranstaltungen. Das Bad erlebte um 1930 jährliche Automobilwochen mit einer «Schönheitskonkurrenz», womit Autos gemeint waren. Und 1938 fand das erste Maloja-Bergrennen statt. Beide Anlässe zogen massenhaft Schaulustige an, wie Bilder zeigen.

Die Hotellerie begrüsste diese Belebung der Sommersaison, denn immer mehr verlor der Kurbetrieb im Bad an Bedeutung, und das

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Abb. 129 Schönheitskonkurrenz für Automobile 1928 in St. Moritz Bad.

Schwergewicht der touristischen Nachfrage verlagerte sich auf Sport und Erholung, und damit vorwiegend auf den Winter.

Die Kehrseite der Medaille des so nachdrücklich herbeigesehnten Automobilverkehrs machte sich freilich auch bald bemerkbar.

So zieht sich das Thema Strassen wie ein roter Faden durch die Verhandlungen der Gemeindebehörden in den Jahren nach 1925: Verbesserungen, Verbreiterungen, Belagsarbeiten, zuerst Pflästerung und später Asphaltierung, und bald auch Parkprobleme.

Der Gemeindevorstand musste 1927 das Parkieren auf dem Schulhausplatz verbieten und begründete dies mit den Worten: «Das Herumstehenlassen von Autos auf allen möglichen Strassen und Plätzen kann unmöglich geduldet werden.»

Bereits gingen auch Reklamationen ein wegen Nachtruhestörungen durch Motorvelos. Eine «Fahrordnung» wurde erlassen, die den Rechtsverkehr vorschrieb. Auf dem ehemaligen Postplatz wurde ein Polizist aufgestellt, der in einer eleganten Uniform den Verkehr regelte.

Am 12. August des Jahres 1927 wurde im Dorf eine Verkehrszählung durchgeführt, die folgende Zahlen ergab: 1314 Personenautos, 77 Postautos, 26 Lastautos, 102 Motorräder, 376 Einspänner, 54 Zweispänner, 1 Vierspänner, 51 Hotelomnibusse, 606 Lastfuhrwerke, 549 Velos und 8 Reiter.

St. Moritz wird olympisch Der Wintersport eroberte immer mehr Anhänger, und Winterferien wurden populär. Die St. Moritzer schalteten schnell. Noch ehe der Kampf um die Zulassung des Autos zum Erfolg geführt hatte, nahmen sie die Durchführung Olympischer Winterspiele ins Visier. Schon zu Jahresbeginn 1925 fanden die ersten Versammlungen in diesem Zusammenhang statt, und am 28. Januar wurde

dem Olympischen Komitee die Bewerbung für die Winterspiele 1928 eingereicht. Am 7. Mai 1926 beauftragte dieses St. Moritz mit der Austragung (siehe S. 179, 187). Es waren die ersten Olympischen Winterspiele, die als solche organisiert wurden; 1924 hatte in Chamonix eine «Internationale Wintersportwoche» stattgefunden, die im Nachhinein zu den I. Olympischen Winterspielen erklärt wurde.227 Umgehend wurde mit den Vorbereitungen begonnen, mit dem Bau der Olympiaschanze, dem Gebäude des Eisstadions, dem Umbau des Bahnhofs und weiterer infrastruktureller Einrichtungen. Sitzung reihte sich an Sitzung – das Organisationskomitee und auch die Gemeindebehörde wurden stark in Anspruch genommen. Dass dies alles nicht ohne Zwischenfälle abging, leuchtet ein. So ergaben sich beim Schanzenbau Überschreitungen beim Kostenvoranschlag, die zu recht heftigen Diskussionen in der Behörde führten.

ALBERT STEINER, FOTOGRAF

Albert Steiner (1877 – 1965) hat mit seinen extrem ästhetischen Landschaftsfotografien die mediale Wahrnehmung des Oberengadins als Naturparadies geprägt. Er gilt als einer der herausragenden Schweizer Fotografen des 20. Jahrhunderts. Steiner stammte aus Frutigen im Berner Oberland und kam 1906 nach Zwischenstationen in Genf und Bern nach St. Moritz.

1909 eröffnete er hier ein Fotostudio, das er bis 1950 führte und dann seinem Sohn Hans übergab. Steiner produzierte Postkarten, fotografierte während Jahrzehnten für die Tourismuswerbung und veröffentlichte Bücher, darunter 1930 «Schnee Winter Sonne»,

das als erstes modernes Fotobuch der Schweiz gilt.

Auf seine alten Tage hin kehrte Steiner – wie andere vor dem Ersten Weltkrieg Zugezogene – in seine Heimat zurück, wo er einst nach seiner Fotografenlehre die elterliche Bäckerei geführt hatte.228

Abb. 130 Albert Steiner bei der Arbeit.

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Abb. 131 Viele Zuschauer bevölkern die künstliche und dahinter die natürliche Tribüne beim olympischen Eishockeyturnier im Olympiastadion, 1928.

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Die Olympischen Spiele lösten auch einige private Investitionen aus. So öffneten die Badehotels Kurhaus, Stahlbad und Victoria auf die Saison 1927/28 hin erstmals ihre Pforten im Winter, wozu sie diverse Modernisierungen vornehmen mussten.

Die Hoffnung, dass die Bekanntmachung eines Anlasses von weltweiter Bedeutung sich sowohl vor als auch nach den Winterspielen in besseren Gästefrequenzen niederschlagen werde, konnte jedoch die Sorgen, die man sich um die Sommersaison und den Niedergang des Kurbetriebes machte, nicht ganz beschwichtigen. In Versammlungen der interessierten Kreise wurden Möglichkeiten studiert, um das Bad wieder zur Blüte zu bringen. An die Modernisierung der Kureinrichtungen und der Badehotels wurde gedacht, an eine verbesserte Information der Ärzteschaft über die Heilwir-

kungen der Quellen, an eine Reorganisation des Reklamewesens mit Schwergewicht auf dem Kurbetrieb.

Faschisten gegen Antifaschisten Noch mit anderen Problemen musste sich die Behörde in jenen Jahren herumschlagen. In Italien waren Benito Mussolini und seine Faschisten 1922 an die Macht gekommen, die sie im Laufe der folgenden Jahre weiter ausbauten. Das war auch in St. Moritz zu spüren. Unter den zahlreichen hier lebenden italienischen Staatsangehörigen entstanden zwei Gruppen: Anhänger von Mussolini auf der einen Seite und radikale Gegner auf der anderen. Gegen-

OLYMPISCHE WINTERSPIELE 1928

Am 11. Februar 1928 trafen sich an die tausend Sportler aus 16 Nationen im St. Moritzer Olympiastadion zur feierlichen Eröffnung dieser «weltgeschichtlichen Attraktion», wie sich der «Engadin Express» ausdrückte. Keine Anstrengungen waren gescheut worden, um die neun Tage dauernde Veranstaltung zu einem vollen Erfolg werden zu lassen. Die neu gebaute Olympiaschanze zum Beispiel erlaubte Sprünge, die damals als Sensation galten. Aber das Wetter machte den Organisatoren einen Strich durch die Rechnung. Ein Windsturm riss am Vorabend der Eröffnung die verschiedenen, teils sehr grossen und sogar elektrisch beleuchteten Dekorationen mit

dem Emblem der fünf Ringe in den Schnee.

Dann setzte ein viertägiges Tauwetter mit Regenfällen ein, wie sie im Winter nur selten vorkommen. Beinahe schien es, als ob alle Veranstaltungen ins Wasser fallen würden. Aber dann drang die Sonne doch wieder durch und mit einigen Verschiebungen konnten alle Disziplinen mit Ausnahme des 10 000-Meter-Eisschnelllaufs bei guten Bedingungen durchgeführt werden.

Allerdings gehörten damals zum olympischen Programm weit weniger Sportarten als heute. So wurden noch keine alpinen Skidisziplinen ausgetragen, nur Langlauf, Spezial- und Kombinationsspringen sowie der Militärpatrouillenlauf. Besonders

grosse Beachtung fanden die verschiedenen Eiskunstlaufarten, der Eisschnelllauf und Eishockey. Auch auf der Bob- und der Skeletonbahn wurde um Medaillen gekämpft.

Abb. 132 Schlussfeier mit den Fahnen der Nationen.

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Abb. 133 Plakat von Amstutz und Herdeg zur Eröffnung des Suvretta-Skilifts im Dezember 1935.

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seitige Belästigungen und Übergriffe machten das Einschreiten der Behörden nötig. Eine faschistische Ortsgruppe war entstanden, deren Mitglieder ihre Embleme ostentativ zur Schau trugen.

Dadurch fühlten sich andere Italiener und auch Schweizer provoziert. Am 28. Juli 1927 beschloss der Gemeindevorstand, dass «das Tragen irgendwelcher ausländischer Abzeichen, die politischen Charakter haben, auf Gebiet der Gemeinde St. Moritz verboten» sei. Der italienische Konsul und die Gesandtschaft wurden sowohl bei der Kantonsregierung wie beim Bundesrat vorstellig und gaben ihrer Empörung über diesen Beschluss Ausdruck. Sie verlangten, dass dieser Entscheid rückgängig gemacht werde, doch St. Moritz blieb hart.229 Der Aufschwung, den die Olympischen Winterspiele gebracht hatten, dauerte leider nicht allzu lange. Die massiven Kurseinbrüche an der New Yorker Börse Ende Oktober 1929 führten zu einer Weltwirtschaftskrise, die auch die Schweiz in ihren dunklen Strudel hinabzog. Arbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Rückgang in allen Sektoren und eine allgemeine pessimistische, ja hoffnungslose Stimmung breiteten sich aus. Der Tourismus bekam die Folgen dieser Situation mit brutaler Deutlichkeit zu spüren. Die Frequenzen gingen massiv zurück. Anfang der Dreissigerjahre liessen Geldentwertung sowie einschränkende Ausreisevorschriften für Deu­tsche und eine «Stay-at-home-Bewegung» in England den Fremdenverkehr weiter absinken. Die fatale Richtung, die sich in der Politik Italiens und Deutschlands anbahnte, wurde im «Fremdenblatt» mit vorsichtigen Worten ausgedrückt – eine um sich greifende antisemitische Bewegung habe ebenso wie der immer stärker werdende Nationalismus hemmenden Einfluss auf die Saison.

1933 übernahmen die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht. Adolf Hitler schlug mit seiner Aussenpolitik alsbald einen expansiven Kurs ein mit dem Ruf: «Lebensraum im Osten.» Dazu war die Verfolgung der Juden sofort eines seiner wichtigsten Ziele. Eine Atmosphäre der Bedrohung und des Misstrauens breitete sich über ganz Europa aus. Nationalsozialistische Organisationen entstanden auch in der Schweiz. Sie hatten Zulauf nicht nur von Deutschen, sondern auch von Schweizern. Davon blieb auch Grau-

WALTER AMSTUTZ, KURDIREKTOR

Abb. 134 Walter Amstutz

Walter Amstutz (1902 – 1997) hat als Kurdirektor (1929 – 1938) das Erscheinungsbild von St. Moritz nachhaltig geprägt. Amstutz war verantwortlich dafür, dass die strahlende Sonne zusammen mit dem geschwungenen Schriftzug zum Markenzeichen von St. Moritz wurde. Er liess sie um 1930 vom Grafiker Walter Herdeg, mit dem er nach seinem Rücktritt als Kurdirektor in Zürich eine Werbeagentur gründete, gestalten und 1937 als Bildmarke schützen.

Amstutz stammte aus Mürren im Berner Oberland, dem Geburtsort des alpinen Skirennsports. Auf diese damals noch sehr neue Attraktion setzte er auch in St. Moritz. 1930 initiierte er den Kilomètre lancé, ein Skirennen am Steilhang von Marguns, bei dem es darum ging, wer die höchste Geschwindigkeit erreicht. Er setzte sich auch dafür ein, dass die damals als «FIS-Rennen» bezeichnete Ski-WM 1934 erstmals in St. Moritz stattfand und ein Jahr später die ­«Akademischen Weltwinterspiele».230

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GIOVANNI TESTA, SKIPIONIER UND UNTERNEHMER

Giovanni Testa (1903 – 1996) war Sportler, Skilehrer, Erfinder, Gastronom, Politiker und gründete eine Unternehmensgruppe, die unter seinen Nachkommen zu den wichtigsten Arbeitgebern im Engadin geworden ist. Sein Leben ist beispielhaft für die Entwicklung von St. Moritz im 20. Jahrhundert. Dazu gehörte bereits die Tatsache, dass er als Baby mit der hochmodernen und brandneuen Eisenbahn aus Bergün ins Engadin kam.231 Sein Vater war Sattler gewesen, Giovanni lernte den Beruf eines Tapezierer-Innendekorateurs.232 Nebenbei trieb er Sport: Skifahren, Skispringen, Skikjöring. 1928 nahm er als Langläufer für Italien, woher seine Grosseltern eingewandert waren, an den Olympischen Winterspielen teil.233 Als Skilehrer entwickelte Testa eine Technik, die international Schule machte: das «Natürliche Skifahren». Damit sollten die Gäste innerhalb von zwei bis drei Wochen Skifahren lernen können. Die Technik war darauf angelegt, Flieh- und Schwerkräfte möglichst optimal zu nutzen, um so wenig wie nötig Muskelkraft einsetzen zu müssen.234 Dieses Prinzip wurde später in Österreich weiterentwickelt, weshalb man Testa den «geistigen Vater der österreichischen Skitechnik» nannte.235 Wie gut die Testa-Technik funktionierte, demonstrierte die von ihm betreute Rennfahrergruppe «Guardia Grischa». Rudolf Rominger, ihr prominentestes Mitglied, wurde in den 1930er-Jahren viermal Weltmeister. Als Skilehrer aber bekam Testa Ärger mit der Schweizer Skischule, weil seine Lehre im Widerspruch zur schweizerischen Einheitstechnik stand.

Als Folge dieses Konflikts musste er die Skischule St. Moritz verlassen.236

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Daneben entwickelte Testa in den 1930er-Jahren mit dem Münchner Physiologie-Professor Eugen Matthias einen Skischuh namens Te-Ma. Mit seiner Frau Irene, einer gelernten Schneiderin, gründete er ein Geschäft für Inneneinrichtungen. Im Winter, wenn auf den Baustellen Ruhe herrschte, betrieben die Testas ab 1928 auf Salastrains eine Skihütte, aus der im Laufe der Jahre das heutige Hotel-Restaurant ­Salastrains wuchs.

«Das Geld liegt auf der Strasse, aber man muss sich bücken, um es aufzulesen», pflegte Giovanni Testa zu sagen.237 Ab den 1950er-Jahren richteten die Testas manche der Villen ein, die am Suvrettahang entstanden. Später expandierten sie in die Immobilienbranche und wurden durch den Kauf bestehender Firmen wie der Nicol. Hartmann & Cie zu Bauunternehmern. Nachdem Giovanni Testa im reifen Alter das Schweizer Bürgerrecht erworben hatte, stieg er für die CVP in der damaligen FDP-Hochburg St. Moritz in die Politik ein, wurde Gemeinderat, Gemeindevorstand und Grossrat. Als er 93-jährig starb, schrieb Marcella Maier im Nachruf, er sei «fast eine Legende» gewesen.238

Abb. 135 Giovanni Testa demonstriert seine Technik des «Natürlichen Skifahrens».

Abb. 136 Kinderskischule auf Salastrains.

bünden nicht verschont: Ausgerechnet in Davos befand sich die oberste Führung dieser Organisationen in der Schweiz, bezeichnenderweise Gauleitung benannt.

Diese politischen Entwicklungen einerseits und die grosse Arbeitslosigkeit andererseits erzeugten grosse Spannungen in der Bevölkerung, die zu Unruhen in den Städten führten. Spürbar war diese gespannte Situation auch in den Randgebieten. Arbeitsbeschaffungsprogramme der öffentlichen Hand sollten ausgleichend wirken. Sie kamen vor allem dem Baugewerbe zugute, das als Gegenleistung verpflichtet war, Arbeitslose zu beschäftigen. Auch im Engadin waren Arbeitslose aus den Städten des Unterlandes auf den Baustellen anzutreffen. Unter diesen, meist aus ganz anderen Berufen auf die Baustellen im Engadin befohlenen Leuten, machte sich gärende Unzufriedenheit breit. Konflikte zwischen ihnen und den langjährigen Arbeitern aus den grenznahen Regionen Italiens waren unvermeidlich, was die gereizte Stimmung verstärkte.

Abb. 137 Skimode um 1935 im Kulm Park.

Das alpine Skifahren wird populär Trotz dieser unruhigen Zeiten setzten sich die Fremdenverkehrskreise mit bewundernswerter Energie für die Belebung der Saisons ein. Dabei stand eindeutig der Winter im Vordergrund. Der Skisport hatte seinen Siegeszug angetreten – Eislauf und Schlitteln traten in den Hintergrund. Bessere Ski und raffiniertere Bindungen ebenso wie die Entwicklung der Skitechnik liessen das Skifahren immer mehr zum Volkssport werden. Auch die Skibekleidung brachte besseren Schutz und mehr Bewegungsfreiheit, besonders für die Frauen, was allerdings in einem Zeitungsartikel zum sauertöpfischen Kommentar führte: «Die Damen sind alle vermännlicht, kaum dass man sie von den Herren unterscheiden kann. Eleganz und weiblicher Charme gewinnen nicht durch diese Masku­linisierung.»

Dank den Anstrengungen von Sport und Hotellerie war es gelungen, die Austragung der Skiweltmeisterschaften 1934 nach St. Moritz

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Abb. 138 FIS-Abfahrtsrennen bei der Alp Giop, 1934.

zu bringen. «FIS Rennen» hiessen sie damals, und sie fanden unter idealen Bedingungen vom 15. bis 17. Februar statt. Strahlendes Wetter und beste Schneeverhältnisse machten diesen Anlass zu einem grossen Erfolg. Die heutige Art der Pistenpräparierung war noch nicht erfunden. Abfahrtsrennen wurden auf den Strecken gefahren, die sonst allen Skifahrern offenstanden, und die dadurch

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einigermassen fest waren und als «Rennpiste» genügten. Nur für den Slalom wurde eine Piste vorbereitet, und zwar durch die Schüler der oberen Klassen, die an zwei Tagen, anstatt in der Schule zu sitzen, im Sonnenschein mehrmals den Hang unterhalb der Alpina Hütte, den heute noch sogenannten «FIS-Hang», mit ihren Skis stampften.

Ein Jahr später fanden vom 4. bis 10. Februar 1935 die «Akademischen Weltwinterspiele» in St. Moritz statt, damals auch ein sehr bedeutender Anlass, waren die Studenten in den meisten Ländern doch in Sportklubs organisiert, die ihrerseits Landesmeisterschaften austrugen. Die daraus hervorgehenden Spitzenathleten ergaben ein recht grosses Teilnehmerfeld für die internationale Ausmarchung unter den Akademikern. Das alpine Skifahren entwickelte sich zu dieser Zeit in Richtung «downhill only», wie es die Engländer ausdrückten. Nur bergab fahren, nicht mehr bergauf laufen. Das war natürlich nur durch den Bau von Bahnen möglich.

Die Corvigliabahn war 1928 eine der ersten im Lande, die erstellt wurde, um Skifahrer bergwärts zu bringen. Es folgten die Skilifte von Suvretta auf Randolins (1935) und von dort weiter zum Munt da San Murezzan (1937). Auf Corviglia schleppte ab 1938 ein Funi, eine Schlittenbahn, einige Winter lang die Skifahrer in Richtung Piz Nair Pitschen.

Bürgergemeinde und Gemeinde streiten und einigen sich Während fast eines Jahrzehnts, von 1931 bis 1939, stritten sich ­Bürger- und politische Gemeinde. Es ging um den Besitz an Grund und Boden und die Frage, wer darüber verfügen könne. Dieser Disput war die Folge einer Reform, die rund 60 Jahre zurücklag. 1874 brachte das kantonale Gesetz über die Niederlassung von Schweizer Bürgern allen Schweizern an ihrem Wohnort das Stimm- und Wahlrecht. Als Folge davon wurde die bisherige Gemeinde, in der allein die Ortsbürger das Sagen hatten, in eine politische Gemeinde und in die Bürgergemeinde geteilt. Das Vermögen der bisherigen Gemeinde an Wald und Wiesen wurde der Bürgergemeinde zugeschlagen.

1931 nun vereinbarte die Bürgergemeinde St. Moritz einen Landabtausch mit dem Besitzer eines Nachbargrundstücks. Die beiden Parteien liessen den Tausch ins Grundbuch eintragen. Als die Gemeinde davon erfuhr, erhob sie Einspruch. Diesen hiess das Grund-

HANS BON, HOTELIER

Abb. 139 Hans Bon

Hans Bon (1882 – 1950) war Hotelier des Suvretta House und leitete das von seinen Eltern erbaute Luxushotel durch die mehrheitlich schwierigen Zeiten von 1918 bis 1950. Bon war humorvoll, weltgewandt und bodenständig. Er unterhielt seine Gäste mit dem Schwyzerörgeli und traf Winston Churchill zum Whisky in London. In St. Moritz präsidierte er den Kur- und Verkehrsverein sowie den Hotelierverein.

Bon war einer der Gründer des Schweizerischen Skilschulverbandes, dessen Präsident er dann eine Zeit lang war. Zusammen mit Architekt Karl Koller initiierte er 1935 den Bau des Suvretta-Lifts, des ersten Skilifts in St. Moritz und des zweiten Bügelskilifts überhaupt. Bons Leben war auch eine Reise durchs familieneigene Hotelimperium. Geboren in Splügen im Bodenhaus, das seine Eltern führten, wuchs er auf der Rigi auf, im damaligen Hotel Rigi-First der Bons.

Ihnen gehörte auch das Park-Hotel in Vitznau und das Brown’s Hotel in London. Während des Zweiten Weltkriegs, als das Suvretta House geschlossen war, leitete Oberstleutnant Bon eine Mission des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Ägypten. Das Suvretta House ist bis heute in Familienbesitz.239

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Abb. 140 Die Funi genannte Schlittenseilbahn von Corviglia Richtung Piz Nair Pitschen wurde im Winter 1937/38 eröffnet.

buchamt gut. Die Bürgergemeinde war damit nicht einverstanden und rekurrierte beim Kleinen Rat, der Regierung des Kantons Graubünden. Dieser gab ihr Recht. Dagegen nun erhob die politische Gemeinde beim Grossen Rat Einspruch. Dieser entschied 1934 zugunsten der Bürgergemeinde. Dennoch weigerte sich das Grundbuchamt St. Moritz auf Druck der Gemeinde weiter, den Eintrag vorzunehmen, wie der Historiker Simon Bundi in seiner Dissertation «Gemeindebürger, Niedergelassene und Ausländer» aufzeigt.240 1936 machte Architekt Nicolaus Hartmann im Namen

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der Bürgergemeinde der Gemeinde einen Kompromissvorschlag: Die Bürgergemeinde sollte weiterhin Alpen, Weiden, Wälder und Gewässer besitzen, die Gemeinde alle Gebäude, Strassen und Parkanlagen. Die Gemeinde ging darauf nicht ein. Gemeindepräsident Carl Nater wollte die Macht der Ortsbürger beschränken. Er argumentierte, dass nicht eine kleine Minderheit von Einwohnern über die potenziell einträglichen Grundstückgeschäfte entscheiden solle. 1930 waren nur 2,8 Prozent der Einwohner von St. Moritz auch St. Moritzer Bürger. Nater wollte darum abwarten, wie die Regie-

rung und das Parlament des Kantons einen ähnlichen Rechtsstreit in Thusis entscheiden würden. Nater hoffte, der Entscheid von 1934 gegen die Gemeinde würde damit revidiert.

Die Bürgergemeinde erwog derweil, erneut an die Kantonsregierung zu gelangen, um zu ihrem Recht zu kommen. Der Handel von 1931 war noch immer nicht ins Grundbuch eingetragen. Doch als der Grosse Rat 1938 mit seinem Entscheid zum Fall Thusis die Hoheit der Bürgergemeinden einschränkte, sanken die Chancen der St. Moritzer Bürgergemeinde, die sich damals Bürgerkorporation nannte. Dem Dorffrieden zuliebe und auch, weil sie nicht noch mehr Geld für Anwaltshonorare ausgeben wollte, stimmte sie dem Vorschlag der Gemeinde zu. Anfang 1939 wurde dieser unterschrieben und ins Grundbuch eingetragen: Demnach kann die Bürgergemeinde Boden nur mit Zustimmung der Gemeinde verkaufen, und der Erlös kommt der Gemeindekasse zugute.241 Die Gemeinde hatte sich auf der ganzen Linie durchgesetzt. Zugleich bildete die Vereinbarung die Grundlage für den sogenannten Meierei-God-Laret-Bodentausch im Jahre 1950, von dem dann indirekt auch die Bürgergemeinde profitierte (siehe S. 205/206).

Der Zweite Weltkrieg bricht aus, die Schweiz bleibt verschont Die Abwertung des Schweizer Frankens um 30 Prozent im September 1936 gab der Wirtschaft nochmals einen Impuls, der dem Tourismus einen Anstieg der Übernachtungszahlen und dem Baugewerbe neue Aufträge brachte. Dieser Silberstreifen am Horizont sollte sich jedoch als kurzfristig erweisen, denn die politische Entwicklung in Europa mit der Annexion Österreichs und des Sudetenlands liess kaum mehr Zweifel über die kriegerischen Absichten Deutschlands offen. Mit dem Einmarsch des deutschen Heeres in Polen am 1. September 1939 war der Zweite Weltkrieg Tatsache geworden.

CARL NATER, GEMEINDEPRÄSIDENT

Abb. 141 Carl und Ida Nater

Carl Nater (1882 – 1963) war von 1926 bis 1949 Gemeindepräsident von St. Moritz und amtierte damit länger als jeder andere als Gemeindeoberhaupt seit der Gemeindereform von 1893. Nater wuchs als Auslandsschweizer in Turin auf, wo sein Vater Direktor von Seidenspinnereien war. Nach St. Moritz kam Nater erstmals mit seinen Eltern als Feriengast.

Hier gefiel es ihm offenbar so gut, dass er nach einer Banklehre in St. Gallen hierherzog. 1926 als Parteiloser zum Gemeindepräsidenten gewählt, profilierte er sich als «unermüdlicher Kämpfer für die Entwicklung von St. Moritz», wie es in einem Nachruf hiess. Dazu gehörte sein Einsatz für die Erhaltung des zum Verkauf stehenden Elektrizitätswerks der Gemeinde und der Erwerb der damaligen Drahtseilbahn auf die Corviglia. Beide Betriebe sollten der Gemeinde jahrzehntelang schöne Gewinnausschüttungen in die Kasse spülen. Nater half auch mit, 1928 und 1948 die Olympischen Winterspiele nach St. Moritz zu bringen, deren Organisationskomitees er dann präsidierte. Nach dem Tode seines Nachfolgers Emil Spiess stellte er sich 1952 nochmals als Gemeindepräsident zur Verfügung, wurde aber nicht mehr gewählt.242

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Abb. 142 Rationierungskarten im Zweiten Weltkrieg.

können», wie im Protokoll vermerkt wird. Den stark verminderten Einnahmen standen nicht nur die Ausgaben der Sommersaison, sondern auch Schulden von diversen auf längere Sicht angegangenen Aktionen gegenüber. Aus den Verhandlungen geht hervor, in welch schwierige Lage der Kurverein geraten war und wie düster die Zukunft aussah.243 Ausdrücklich wird festgestellt, dass man zu Beginn des Ersten Weltkrieges noch «einigermassen mit ausländischem Besuch» rechnen konnte, dass es keine Devisenvorschriften und keine Kontrollen über Hab und Gut gegeben habe. Das war nun ganz anders. Deutschland hatte strengste Deviseneinschränkungen verfügt – man war sich also klar, dass man nur mit Gästen aus dem Inland rechnen konnte. Auch diese waren nur in geringer Zahl zu erwarten, denn neue Steuern wie die Wehrsteuer, Warenumsatzsteuer, Verrechnungssteuer und Luxussteuer liessen die Zahl potenzieller Schweizer Gäste aufs Äusserste zusammenschrumpfen.

Von Gästen und Gütern abgeschnitten Ab Sommer 1940

Sofort wurde die Lebensmittelrationierung, die angesichts der Weltlage unter dem Titel «Kriegswirtschaft» rechtzeitig vorbereitet worden war, eingeführt. Selbstverständlich umfasste diese Bewirtschaftung auch alle Treib- und Heizstoffe. Später wurden zusätzlich Textilien, Leder, Seife, Waschmittel und anderes ­rationiert.

Noch spielte sich das Kriegsgeschehen weit von der Schweiz entfernt ab, obwohl Frankreich und England Deutschland den Krieg erklärt hatten. So verlief der erste Kriegswinter mit der «drôle de guerre» ruhig, und es gab noch so etwas wie eine Wintersaison, freilich schon in bedeutend bescheidenerem Rahmen, sowohl was die Anlässe als auch was die Frequenzen anbelangte.

Die Fremden bleiben aus Der Kurvereinsvorstand nahm we-

nige Tage nach Kriegsausbruch eine Beurteilung der Lage vor und musste zur Kenntnis nehmen, dass die Eingänge an Kurtaxen für die Sommersaison 1939 um ungefähr 23 000 Franken kleiner sein würden als budgetiert – «falls sie überhaupt eingetrieben werden

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und durch die Kapitulation Frankreichs war die Schweiz ringsum von den Achsenmächten Deutschland und Italien umgeben – ein eingeschlossenes Land. Die Lebensmittelrationen wurden kleiner.

Keine Nummer der «Engadiner Post» blieb ohne Mitteilungen des Rationierungsamtes. Besonders strikt waren die Vorschriften zur Einsparung von Energie. Sie trafen die Bergbevölkerung mit besonderer Härte. Es war streng verboten, elektrische Heizungen und Warmwasserspeicher einzuschalten. Benzin wurde nur noch Ärzten, Ambulanzen, Feuerwehren und ähnlichen Einrichtungen zugeteilt. Zivilfahrzeuge waren kaum noch anzutreffen.

An drei Tagen in der Woche durfte kein Fleisch verkauft oder verzehrt werden. Häufiger Fleisch zu essen, wäre allerdings bei den kleinen Rationen auch kaum möglich gewesen. Wer es irgendwie einrichten konnte, wurde zum Selbstversorger. Das lässt sich aus der Viehzählung von 1942 ablesen, die neben 24 Pferde- und 25 Rindviehbesitzern auch 17 Schweinehalter, Schafhalter und 36 Hühnerbesitzer mit 376 Stück Geflügel und gar 71 Kaninchenzüchter mit sage und schreibe 531 Tieren in St. Moritz aufführt.

VIEL ARBEIT FÜR DIE FRAUEN

Weil die meisten Männer im Militärdienst weilten, mussten während des Krieges die Frauen ihre Arbeit übernehmen. In den verschiedensten Berufen und Tätigkeiten einspringen, ein Geschäft führen, den Pflanzblätz besorgen – nebst dem üblichen Haushaltsarbeiten mitsamt der Zubereitung der immer kleiner werdenden Lebensmittelrationen. Überall waren die Frauen im Einsatz, und sie bewältigten all die ungewohnten Aufgaben zumeist mit grosser Selbstverständlichkeit und ohne zu klagen.

Daneben leisteten sie Dienst als Samariterinnen, strickten und nähten in vielen Vereinen für die Soldaten, schickten ihnen Pakete in den Dienst und besorgten all das, was ihnen sonst sogar per Gesetz verboten war, da sie damals ja keine Unterschriftsberechtigung hatten. Noch mehr – sie arbeiteten an vielen Orten für den Suchdienst des Internationalen Roten Kreuzes. Ein solches Büro wurde auch in St. Moritz eröffnet. An mehreren Nachmittagen und Abenden jeder Woche kam eine Gruppe, die bis zu 33 Frauen umfasste, zusammen und füllte aufgrund von Listen Suchkarten aus.

Auch Briefe von Kriegsgefangenen gingen über dieses Büro, das für die Suchkarteien des Internationalen Komitees vom Roten

Kreuz die Lageradressen und die Heimadressen der Briefschreiber registrierte.

Gleichzeitig wurden Adresskarten ausgefüllt, die bei Verlust der Briefe dennoch ein Lebenszeichen vom Gefangenenlager in die

Heimat übermitteln sollten. Ob das allerdings immer gelang, ist fraglich. Aber gewiss hat jeder Brief und jede Adresskarte, die ihr Ziel erreichte, ein wenig Trost und Hoffnung verbreitet.

Abb. 143 St. Moritzer Frauen arbeiten im Gemeindesaal für den Kriegsgefangenensuch- und den Briefdienst des Roten Kreuzes.

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Auch die Verdunkelung wurde verfügt. Nach dem Einnachten durfte nirgends mehr ein Licht brennen, um den Flugzeugen der Alliierten, die mit der Bombardierung deutscher Städte begannen, nicht Orientierungshilfe zu geben. Keine Strassenlampen brannten mehr, schwarze Vorhänge an allen Fenstern verhinderten, dass der kleinste Lichtstrahl nach aussen drang. Wer nachts unterwegs war, musste sich mit einer Taschenlampe begnügen, deren Glühbirne mit einem blauen Glas abgeschirmt war. Das war allerdings ein so schwacher Behelf, dass man sich fast besser auf die Gestirne verliess.

Die Gemeinde St. Moritz wurde als luftschutzpflichtig erklärt und musste eine Luftschutztruppe auf die Beine stellen. Frauen und nicht militärdienstpflichtige Männer waren darin eingeteilt.

Die Entrümpelung der Estriche wurde verfügt und vorgeschrieben, dass in jedem Haus ein grosser Behälter mit Wasser, eine Kiste mit Sand, zwei Schaufeln, ein Löschbesen, eine Axt, ein Brecheisen, zwei Blechkessel, ein Trockenfeuerlöscher, eine Gasmaske und eine Taschenlampe griffbereit vorhanden sein mussten. Die Einhaltung dieser Vorschriften wurde von Zeit zu Zeit kontrolliert.

Auch für den Militärdienst – bis dahin reine Männersache – wurden Frauen angeworben. Der Frauenhilfsdienst wurde geschaffen und Frauen als Rotkreuzfahrerinnen, Sanitäterinnen, im Büro-, Küchen-, Soldatenstuben-, Brieftauben- und Beobachtungsdienst eingesetzt.

Ein Gemüsegarten für jede Familie Die Landesversorgung wurde durch die Rationierung einerseits und durch die sogenannte «Anbauschlacht» andererseits einigermassen sichergestellt.

Auch in St. Moritz musste jede Familie einen «Pflanzblätz», einen Gemüsegarten, anbauen, auf einem von der Gemeinde zugewiesenen Stück Boden. Der Landwirtschaft wurde genau vorgeschrieben, was und wie viel sie zu produzieren hatte. Sie brauchte dementsprechend Hilfskräfte, dies umso mehr, als ja auch die Bauern und ihre Mitarbeiter zeitweise im Militärdienst weilten. Der Landdienst wurde geschaffen, obligatorisch für Jugendliche ab 14

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Jahren und für jüngere Frauen, die keine Familie zu betreuen hatten. Sie konnten kurzfristig aufgeboten und zu Bauern als Ernteund Haushalthilfe abkommandiert werden.

Ein grosser Teil der Männer war ständig im Militär. Die Soldaten aus der Region Engadin waren nach dem Kriegsausbruch 14 Monate ununterbrochen im Dienst. Ab 1940 wurden die Dienstleistungen für die meisten Truppengattungen dann so geregelt, dass ein Soldat abwechselnd einen Monat im Dienst und einen Monat im Zivilleben verbrachte. Die Arbeitslosigkeit ging zurück, denn jedermann wurde gebraucht. Wer in seinem Beruf keine Arbeit fand, wie die Arbeitskräfte aus dem Tourismus, fand Beschäftigung in einem der Arbeitsbeschaffungsprogramme, die Bund und Kantone auf die Beine gestellt hatten, um die Lücken durch die im Militär abwesenden Männer zu füllen, oder er konnte freiwillig Militärdienst leisten. Das war zwar nicht gerade lukrativ, da jedoch die inzwischen geschaffene Lohnausgleichskasse die Existenz der Familie sicherstellte, bot sich diese Möglichkeit doch für viele an.

An exponierten Punkten an der Grenze waren in Alphütten oder in Eile gebauten einfachsten Unterkünften militärische Fliegerbeobachtungsposten errichtet worden, wo Tag und Nacht alle Flugbewegungen registriert und an eine Auswertzentrale weitergemeldet wurden – Radar gab es noch nicht. Eine solche Auswertzentrale befand sich auch in St. Moritz im damaligen Postgebäude. Den Dienst dort versahen eine Reihe von Hilfsdienstpflichtigen und Freiwillige, die aufgrund ihres Alters nicht mehr dienstpflichtig waren.

Alltag im Krieg In dieser Situation des Eingeschlossenseins leb-

te man unter einer ständigen gespannten Wachsamkeit. Nie war man sicher, ob nicht der nächste Schlag Deutschlands unserem kleinen Land gelten werde. Diese Bedrohung liess jedoch eine grosse Solidarität entstehen. Man half sich gegenseitig aus mit allem: mit Lebensmittelmarken, mit Kleidern, mit Arbeitsleistung und allem, was man geben konnte. Dieses Gefühl des Zusammenhaltens machte Mut, den schwierigen Alltag zu bewältigen.

Abb. 144 Train-Kolonne im Grenzschutzdienst während des Zweiten Weltkriegs.

Musik und Theater bereichern den Alltag Es gab Hotels,

die hatten ihre Tore bei Kriegsausbruch geschlossen und sollten sie erst nach 1945 wieder öffnen. Andere aber, vor allem jene, die vorher schon viel mit Schweizer Gästen gearbeitet hatten, intensivierten ihre Anstrengungen gegenüber dem Gast aus dem eigenen Land und vermochten so auch in den Kriegsjahren ihre Betriebe weiterzuführen. Da es nicht mehr möglich war, Badekuren

in den damals sehr beliebten Kurorten des Auslandes wie Karlsbad, Marienbad, Baden-Baden und anderen zu buchen, nahm der Badebetrieb in St. Moritz wieder ein wenig zu. Kurverein, Hotelierverein und auch die Behörden taten alles, was bei ihren geringen finanziellen Mitteln möglich war, um die Bemühungen der Hotellerie zu unterstützen.

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Abb. 145 Die Calvenfestspiele 1941 und 1943 waren eine grosse Bereicherung der Sommersaison. Darsteller vor der Kirche St. Karl.

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HANS BADRUTT, HOTELIER

Abb. 146 Hans und Helene Badrutt

Hans Badrutt (1876 – 1953) prägte als Hotelier die Entwicklung des Palace Hotels als Treffpunkt von prominenten Gästen aus aller Welt und darüber hinaus von St. Moritz als «Top of the World», lange bevor es als solches vermarktet wurde. Hans Badrutt war ein Enkel von Kulm-Gründer Johannes Badrutt.

Mit nur 22 Jahren wurde er 1898 von seinem Vater Caspar mit der Leitung des 1896 eröffneten Palace Hotels betraut, nachdem er in Paris und London erste Erfahrungen im Management von Hotels gesammelt hatte. 244, 245 Als Caspar 1904 starb, wurde Hans zum alleinigen Verantwortlichen für das Hotel. Er führte die Vision seines Vaters fort, der mit dem Palace einen «exklusiven Treffpunkt für internationales Bürgertum und Adel» schaffen wollte.246 In der Zwischenkriegszeit trafen sich hier Grössen aufstrebender Branchen wie André Citroën (Auto), Helena Rubinstein und Elizabeth Arden (Kosmetik), Coco Chanel (Mode) oder Marlene Dietrich, Charlie Chaplin und Alf-

red Hitchcock (Film). Badrutt regte die Gründung des Corviglia Ski Clubs als exklusiven Treffpunkt für seine prominenten Gäste auf der Piste an.247 Bei alledem blieb Badrutt bodenständig, sang im Männerchor, ging zur Jagd und setzte sich für die Anerkennung des Romanischen als vierter Landessprache ein. Hans Badrutt schaffte das Kunststück, die Kontrolle über das Palace trotz Weltkriegen und Weltwirtschaftskrise zu behalten. Dabei wurde er von seiner zweiten Frau Helene (1890 – 1960) tatkräftig unterstützt, die bei der Ausgestaltung der Innenräume und als Managerin des Betriebs einen grossen Anteil am Erfolg des Hotels hatte.

In diesem Geiste machten die Söhne Andrea (1910 – 1998, aus erster Ehe) und Hansjürg (1930 – 2016, aus zweiter Ehe) weiter. Dabei übernahm Andrea, der ältere der Halbbrüder den Lead. Andrea Badrutt galt als hervorragender Gastgeber, ja als Regisseur der Bühne, die Palace hiess, und zu deren Stammbesetzung ab den 1950er-Jahren Prominenz wie Stavros Niarchos, Gianni Agnelli, Gunter Sachs und der Schah von Persien gehörten. Der polyglotte Andrea Badrutt, der mit allen, die es verstanden, Romanisch sprach, setzte sich auch für St. Moritz als Ganzes ein. Er gehörte zu den Initianten der Bahnen auf den Piz Nair und den Corvatsch und orchestrierte den Erhalt des Kulm als Luxushotel, als der Club Med es Ende der 1960er-Jahre übernehmen wollte (siehe S. 217/218).248

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Man hatte sogar den Mut, während der Sommersaison die Kurkonzerte durchzuführen, allerdings nur mit einer kleinen Gruppe von Musikern. Einige initiative St. Moritzer beschlossen, auch in dieser düsteren Zeit die Sommersaison durch eine grosse Veranstaltung zu bereichern, nämlich mit der Aufführung des Calvenfestspiels, das Otto Barblan 1899 zum vierhundertjährigen Jubiläum der Calvenschlacht geschaffen hatte, in der die Bündner im Schwabenkrieg die Habsburger besiegt hatten.

Fast alle Einwohner von St. Moritz machten beim grossen Anlass im Jahre 1941 in irgendeiner Weise mit. Es war eine grosse kollektive Anstrengung, die unter der Bevölkerung Gefühle der Gemeinsamkeit und der Hoffnung weckte. Der Erfolg war unerwartet gross, aus dem ganzen Kanton strömten die Zuschauer herbei, und so wurde die Aufführung im Sommer 1943 wiederholt.

Auch im Winter kamen Gäste, in sehr viel kleinerer Zahl, aber diese Jahre zeigten, dass St. Moritz doch viele treue Freunde im eigenen Lande hatte. Sportanlässe und kulturelle Veranstaltungen, alle in kleinem Rahmen, und zumeist mit einheimischen Kräften, standen auf dem Programm, aber es gab keine Pferderennen, keine Bobund Skeleton-Wettkämpfe. Die Spazierwege wurden jedoch grösstenteils gepfadet, und sogar bis auf Corviglia wurde ein Fussweg den ganzen Winter freigehalten. Auf diesem Weg wanderten jene, die sich eine Fahrkarte nicht leisten konnten – und das waren viele – die Ski auf der Schulter, hinauf für ihre Abfahrt. Es muss ein gutes Training gewesen sein, denn einige dieser jungen Leute, die regelmässig zu Fuss nach Corviglia marschierten, gehörten dann zu den erfolgreichen Skirennfahrern jener Zeit in der Schweiz.

Bomber und Flüchtlinge Je länger der Krieg dauerte, desto mehr war er im Engadin zu spüren. Nach der Invasion Italiens durch die Alliierten 1943 nahmen die Überflüge von Süden her zu.

Nächtelang donnerten die «Fliegenden Festungen» über das Engadin Richtung Süddeutschland. Im Oktober 1943 warfen einige von ihnen eine Reihe von Bomben über Samedan ab. Mitten im Dorf, vor dem Plantahaus und hinter dem Schulhaus, entstanden Bombentrichter. Nur wenige Minuten zuvor hatten die Schüler das

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Schulhaus verlassen und waren beim Plantahaus die Soldaten nach dem Hauptverlesen abgetreten. Und im Februar 1945 stürzte ein amerikanisches Kampfflugzeug zwischen Celerina und St. Moritz ab. Die sechs Männer der Besatzung konnten sich per Fallschirm retten.

Zugleich wuchs der Flüchtlingsstrom an. Immer mehr Menschen flüchteten aus Italien in die Schweiz. Einzeln und in Gruppen überquerten sie die Schweizer Südgrenze, oft an geradezu abenteuerlich gefährlichen Stellen im Hochgebirge.

In Samedan wurde im alten, später abgerissenen Spital ein Aufnahmelager eingerichtet, in welchem die Menschen medizinisch untersucht und bei Bedarf betreut und entlaust wurden, ehe man sie dann in andere Lager im Landesinnern verbrachte. Leute aus allen Winkeln der Erde, Menschen jeder Rasse und Hautfarbe flohen in unser Land. An einem einzigen Tag kamen oft Menschen aus vierzehn verschiedenen Ländern in Samedan an, im Laufe einiger Wochen verzeichnete man Angehörige aus über 30 Nationen. Bei Kriegsende 1945 hielten sich in der Schweiz 115 000 Flüchtlinge auf. 249 Dass damit eine gewisse Gefahr der Einschleppung von Seuchen verbunden war, war unbestreitbar. Die immer verworrener gewordene Lage in Europa verunsicherte die Behörden wohl allzusehr, sodass sie sich veranlasst fühlten, jeden Kontakt mit den Geflüchteten zu unterbinden. Ein Aufruf des Territorial-Kommandos mit folgendem Inhalt erschien am 25. September 1943 in der «Engadiner Post»: «Aus seuchenpolizeilichen Gründen ist jeglicher Verkehr mit Flüchtlingen und Internierten, auch gesprächsweise auf der Strasse, strengstens verboten.»

Die Menschen wagen wieder zu hoffen Gemeinde, Kurverein und Hotellerie hatten, trotz der Aussichtslosigkeit der Lage, in all den Jahren immer wieder alles in ihren Kräften Stehende unternommen, um Gäste aus der Schweiz anzulocken. Erstaunlich genug, aber diese Anstrengungen hatten Früchte getragen, indem die Logiernächtezahlen in den Kriegsjahren Jahr um Jahr etwas zuge-

Abb. 147 Das Grand Hotel in Brand 29./30. Juni 1944.

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Abb. 148 Nach dem Kriegsende durften im Rahmen der «Leave Action» amerikanische Soldaten ihren Urlaub in der Schweiz verbringen.

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nommen hatten. Ganz besonders die Aktivierung des Kurbetriebs im Sommer war den Verantwortlichen ein Anliegen, und so wurden mehrere Studien für eine effizientere Propagierung der Heilquellen und eine Verbesserung der Einrichtungen im Bädergebäude erarbeitet, ja, es wurden dort sogar, ungeachtet der äusserst schwierigen finanziellen Lage, einige Investitionen getätigt. Damit gelang es, mehr Gäste anzuziehen und die Frequenzen im Sommer zu erhöhen. Tiefpunkt war der Sommer 1940 mit 31 113 Logiernächten, die sich in den folgenden Jahren steigerte, 1943 auf 57 793 und 1944 auf 62 631 anstieg (zum Vergleich: im Sommer 1939 hatte man 109 227 Logiernächte gezählt). Viele Hotels blieben während der ganzen Kriegszeit geschlossen.

Mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands im Frühling 1945 hörten die Kampfhandlungen nach fast sechs Jahren endlich auf. Die Tore der Kriegsgefangenen- und auch der Konzentrationslager öffneten sich, und nach allen Richtungen strömten Menschen auf der Suche nach ihren Familien und ihren Heimstätten.

Nochmals füllte sich das Auffanglager in Samedan, aber diesmal mit ausgehungerten und kranken Insassen des Konzentrationslagers Mauthausen in Österreich, die mit einem Konvoi von Lastwagen des Roten Kreuzes hierhergebracht wurden. Diese Menschen waren in einem so erbärmlichen Zustand, dass nicht alle die Fahrt überlebten. Auf dem Friedhof von Scuol ist den auf dieser Fahrt in die Freiheit Verstorbenen ein Gedenkstein errichtet worden.

Am 8. Mai 1945 läuteten die Glocken in der ganzen Schweiz zum Kriegsende. Die Gefühle der Erleichterung, die wohl alle empfanden, lassen sich kaum beschreiben. An den Grenzen standen nun alliierte Soldaten. Amerika war zum Nachbarn geworden.

Die Schweiz nahm unverzüglich Verhandlungen auf mit dem Ziel, Angehörige der amerikanischen Besatzungsarmee aus den zerstörten Städten Deutschlands in die Schweiz zu bringen, und schon im Juli reiste das erste Kontingent uniformierter Urlauber in unser Land ein. Auch St. Moritz beteiligte sich an dieser «Leave Action», die alle fünf Tage 500 bis 600 Personen nach St. Moritz brachte.

KARL KOLLER, ARCHITEKT

Abb. 149 Karl Koller in Bern.

Karl Koller (1873 – 1946) war einer der herausragenden Hotelarchitekten des Engadins. Um 1900 zog er nach St. Moritz, nachdem er hier als Mitarbeiter des Büros Chiodera & Tschudy am Bau des Turms der Reformierten Dorfkirche und des Hotels Schweizerhof beteiligt gewesen war. Unter seinem eigenen Namen zeichnete er dann für die Errichtung des monumentalen Grand Hotels (1905 eröffnet, 1944 ausgebrannt, 1947 abgebrochen) verantwortlich. Es folgten das Neue Posthotel (1908) und das Suvretta House (1912). In der Zwischenkriegszeit baute er ein paar der ersten Villen am Suvrettahang. Zu Kollers Werken gehören auch das Waldhaus Sils, das Schlosshotel Pontresina, der Schweizerhof in Vulpera sowie das Park Hotel in Vitznau LU.250

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13.

Nichts ist unmöglich

Alles fährt Ski Die 1960er-Jahre waren die Zeit der Hochkonjunktur. Und des Skifahrens. Während im Sommer Badeferien am Meer beliebt und erschwinglich geworden waren, galt im Winter, was der in St. Moritz aufgewachsene Vico Torriani im Schunkeltakt sang: «Alles fährt Ski, alles fährt Ski / Ski fährt die ganze Nation».

Das Skifahren war der Motor eines Booms in den Bergen, der endlich wieder die Hotelbetten füllte. 1960 waren erstmals die Übernachtungszahlen von 1928, des bis dahin besten Jahres der St. Moritzer Hotellerie, übertroffen worden. Bis 1970 stieg die Zahl der Logiernächte dann um weitere 50 Prozent. Der Hotellerie ging es nach schwierigen Zeiten endlich wieder gut. In St. Moritz wurden erstmals seit langem neue Hotels gebaut: Das Crystal im Dorf wurde bei seiner Eröffnung 1962 als «der erste Gross-Hotelbau in Graubünden seit 1914» gefeiert.303 Drei Jahre später folgte das Hotel Europa in Champfèr.

Abb. 166 Wer auf die Piste wollte, musste lange anstehen: Warteschlange vor der Chantarellabahn in den 1950er-Jahren.

Ein neues Phänomen: der Massentourismus Auch das Interesse an den alten Kästen des 19. Jahrhunderts stieg wieder an. Viele von ihnen waren durch Weltkriege und Weltwirtschaftskrise mindestens einmal Konkurs gegangen, hatten mehrmals die Besitzer gewechselt oder gehörten jener Bank, bei welcher sie am meisten verschuldet gewesen waren. Die Hotels Stahlbad und Victoria im Bad, die ihre Blütezeit vor dem Ersten Weltkrieg gehabt hatten, waren im Besitz der Graubündner Kantonalbank (GKB). Und bei dieser meldete sich 1961 eine Firma namens Société d’expansion touristique SA (SET) mit Sitz in Montreux, mit der Absicht, die beiden in die Jahre gekommenen Grandhotels zu kaufen. Die Gemeinde St. Moritz hatte zwar ein paar Jahre zuvor ein Angebot der GKB zur Übernahme des Stahlbad ausgeschlagen. Nun aber regte sich Widerstand gegen den Verkauf an die SET. Denn dieser würde den Club Méditerranée nach St. Moritz

Abb. 167 Swinging St. Moritz: Plakat des Hotels Crystal, ca. 1963.

Abb. 165 Zwei Models zeigen im winterlichen Sporting Club Bademode.

Das Freibad der Hotels Carlton und Kulm im Kulmpark war ­anfänglich auch im Winter geöffnet. Um 1965.

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bringen, das war klar. Dieser war 1950 in Frankreich gegründet worden, um Pauschalreisen für junge, sport- und partyfreudige Leute durchzuführen. Viele im Dorf fürchteten, dass damit Gäste nach St. Moritz kämen, die sich mit der «traditionellen Kundschaft nicht vereinbaren» liessen. Gemeindepolitiker, Hoteliers, Vertreter des Handels- und Gewerbevereins sowie des Kurvereins versammelten sich, und in letzter Minute wurde ein Konsortium gebildet, um eine Gegenofferte abzugeben. Vergeblich.304 Die SET verpachtete das Hotel Stahlbad für den Sommer an den belgischen Krankenkassenverband der Mutualités chrétiennes, der auf diese Weise Kindern aus einfachen Verhältnissen zu Bergferien verhalf. Im Winter nahm der Club Med das Hotel in Beschlag, wie

er sich abgekürzt bald nannte. Die meisten Club-Med-Gäste kamen, um in St. Moritz Ski zu fahren. Das fanden nicht alle Stammgäste und Einheimischen toll. Das «Auftreten dieser grossen Gruppe» von jüngeren Menschen habe gestört, und die Pisten hätten der von ihr ausgelösten «Überbeanspruchung» nicht standgehalten, schrieb die «Engadiner Post» nach der Wintersaison 1961/62.305 Der Club Med aber blieb. Die Nachfrage nach Pauschal-Skiferien war so gross, dass sich die Franzosen weitere Hotels sichern wollten.

1967 standen sie kurz davor, das Kulm und das Carlton zu kaufen.

Die beiden Grandhotels hatten ebenfalls eine Besitzerodyssee hinter sich. In den 1950er-Jahren hatte der Luzerner Hotelier Albert Ernst diese erworben; nach seinem Tode wollten seine Erben nun 306

GIACOMO GAFFURI , HOTELANGESTELLTER

Giacomo Gaffuri (1866 – 1963). Länger als er dürfte niemand für den gleichen Arbeitgeber gearbeitet haben. 85 Jahre lang war Gaffuri im Kulm Hotel angestellt. 170 Saisons, in der Zeiteinheit der Hotellerie. 1878 war er als 12-jähriger Junge vom Comersee nach St. Moritz gekommen, um einen Onkel zu besuchen, der im Kulm arbeitete. Gaffuri wurde gleich als «Pflasterbub» verpflichtet, um als Handlanger bei einem der vielen Umbauten des Kulm mitzuhelfen. Im Winter heizte er Öfen in den Gästezimmern ein, und bald schon kümmerte er sich um die 1879 als Pioniertat installierte elektrische Beleuchtung im Hotel. Zu seiner grossen Aufgabe wurde dann die Aufbereitung und die Pflege der weitläufigen Eis-

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felder des Hotels. Im Sommer war er jeweils als Betreuer auf dem Golfplatz im Kulm Park und beim Hissen der zahlreichen Flaggen anzutreffen. «Giacomino», also der kleine Giacomo, wurde der kleine Mann gerufen, und so ist er auch im Lohnbuch der Jahre 1896 – 1901 aufgeführt. Ältere St. Moritzer erinnern sich an ein dünnes Männlein, das im Winter stets bei den Eisplätzen des Kulm stand. Da war er schon eine Legende und ein Medienstar geworden; Zeitschriften und Zeitungen berichteten über den 90-Jährigen und über den 95-Jährigen, der immer noch arbeitete und die frische Luft für seine gute Gesundheit verantwortlich machte. Gaffuri blieb sich und seiner Arbeit treu, bis er mit 97 starb.306

Abb. 168 Giacomo Gaffuri

Abb. 169 Das Skihaus des Club Med auf Corviglia um 1980. Der Club hatte in den 1960-er Jahren viele neue Skifans auf die St. Moritzer Pisten gebracht, was zu Spannungen führte.

die Häuser veräussern. Als sich der mögliche Verkauf an den Club Med abzeichnete, regte sich im Dorf erneut Widerstand. Heftiger Widerstand. Der Club Med mitten in St. Moritz Dorf? Unvorstellbar. Der Hotelierverein sowie der Kur- und Verkehrsverein verabschiedeten Resolutionen, in denen sie forderten, dass St. Moritz Dorf dem «klassischen» bzw. dem «traditionellen Tourismus erhal-

ten bleiben muss».307 Der Gemeinderat beschloss einstimmig, dass die Gemeinde sich finanziell engagieren solle, um «den Einzug des Massentourismus in St. Moritz Dorf zu verhüten».308 Und hinter den Kulissen suchten namentlich Andrea Badrutt vom Palace und Arzt Peter Berry III, deren Ahnen am Anfang des Tourismusaufschwungs in St. Moritz im 19. Jahrhundert gestanden hatten, nach

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Investoren. Es war klar: Eine Gegenofferte war nötig, sollten die beiden traditionsreichen Hotels als Luxusherbergen erhalten bleiben. Die Offerte kam zustande. Diesmal mit Erfolg. Der Zürcher Generalunternehmer Karl Steiner, Besitzer des Hotels Crystal, die damalige Schweizerische Kreditanstalt und Stavros Niarchos kauften zusammen 1968 den Ernst-Erben die Häuser Kulm und Carlton mitsamt dem enormen Umschwung ab.309 Der Ausgang dieses Tauziehens war bezeichnend für das St. Moritz dieser Zeit. Die viel beschworenen wie gefürchteten «Massen»

sorgten für stürmische Veränderungen. Als zahlende Gäste war die neue Klientel den betreffenden Hotels, dem Gewerbe und den Bahnen durchaus willkommen. Aber sie sollte bitte im Bad unten logieren. So plädierte der Hotelierverein für «eine klare örtliche Trennung zwischen dem traditionellen Fremdenverkehr und dem Massentourismus».310 Das Dorf gehörte dem «traditionellen Tourismus». Im St. Moritzer Selbstverständnis hiess das: wohlhabenden und prominenten Gästen. 311 312 313 314 315 316 317

STAVROS NIARCHOS, UNTERNEHMER

Stavros Niarchos (1909 – 1996) war einer der wichtigsten Investoren und Gönner im Oberengadin und in St. Moritz. Der griechische Reeder finanzierte in den 1950er- und 1960er-Jahren zu einem wesentlichen Teil den Bau der Bahnen auf den Piz Nair und den Piz Corvatsch, welche die Attraktivität des Skigebiets enorm steigerten. Niarchos half mit, das Kulm Hotel vor dem Club Med zu retten, um es anschliessend ganz zu übernehmen. Legendär ist seine Spende eines MRI-Gerätes für das Kreisspital Samedan. Niarchos war ein begeisterter Skifahrer; als Hommage an ihn trägt das steile Couloir, das ausserhalb der Piste vom Piz Nair direkt in die Tiefe führt, den Namen Niarchos-Run. Niarchos war bekannt für seine Grosszügigkeit, für seine Fehde mit seinem Konkurrenten und zeitweiligen Schwager Aristote-

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les Onassis, aber auch für seine Launen. Ausgestattet mit einem Pauschalbesteuerungsabkommen lebte er relativ zurückgezogen mehrheitlich in seiner Villa am Suvrettahang. Manchmal gab er dort Partys, manchmal auch in der Chesa Veglia. Der Milliardär war einer der ersten, die mit dem eigenem Jet ins Engadin reisten, und er war ein grosser Kunstsammler.

Seine Söhne Philip und Spyros führten nach seinem Tode sein Engagement im Engadin weiter, kauften das Hotel Kronenhof in Pontresina. Sie gründeten verschiedene Stiftungen, darunter die Stiftung Stavros S. Niarchos für Ausbildung, Wissenschaft und Kultur, um kulturelle, wissenschaftliche und soziale Projekte im Kanton Graubünden zu fördern. Als Zeichen der Wertschätzung ernannte St. Moritz die Brüder 2018 zu Ehrenbürgern.311

Abb. 170 Stavros Niarchos

Der Jetset kommt Prominenz erschien in den 1960er-Jahren besonders zahlreich. Am berühmtesten, mächtigsten und glamourösesten von allen waren der Schah von Persien und seine Frau Farah Diba. Der selbst gekrönte Kaiser der Ölfördernation Iran, wegen seiner autokratischen und menschenrechtsverachtenden Innenpolitik umstritten, verbrachte von 1967 bis 1975 mit seiner Familie Winterferien in St. Moritz (siehe S. 220). Legendär, wie er sich mit seinen Leib-

wächtern in die Skiliftschlangen reihte, und wie Kaiserin Farah Diba im Sportgeschäft Scheuing wie eine normale Kundin Skimode einkaufte.

Das Verhältnis zwischen Einheimischen und prominenten Gästen sei damals anders gewesen als heute, sagen ältere St. Moritzer. Die vornehmen Hotels habe man üblicherweise nicht betreten. Dafür hätten sich berühmte Gäste regelmässig unter die Leute gemischt.

Fiat-Chef Gianni Agnelli habe jeweils im damaligen Restaurant

Abb. 171 Pelze und Champagnergläser sollten das Image von St. Moritz ebenso prägen wie prominente Gäste, etwa der Stardirigent Herbert von Karajan (rechts).

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MOHAMMED REZA PAHLAVI, SCHAH VON PERSIEN

Mohammed Reza Pahlavi (1919 – 1980). Der Schah von Persien machte von 1967 bis 1975 mit seiner Familie in St. Moritz Winterferien und stand damit im Zentrum der Wintergesellschaft. Der persische Kaiser empfing in der Villa Suvretta, die er dem Suvretta House abgekauft hatte, regelmässig Amtskollegen und Regierungschefs – etwa Marokkos König Hassan II., Jordaniens König Hussein, den französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing und den britischen Premier Edward Heath. Zum Skifahren mischten er und seine Frau Farah Diba sich auf der Piste unters Volk, in Begleitung von Leibwächtern, versteht sich. Üblicherweise lud der Schah zum Abendessen zu sich ein, bis zu 90 Gäste inklusive zahlreicher Kinder versammelten sich dann an der langen Tafel in der Villa.312 Wenn er die St. Moritzer Gastronomie aufsuchte, war er stets Herr im Hause. Besuchte der Schah mit Entourage den King’s Club des Palace, wurden die Gäste mit der Durchsage «Der Schah zahlt Ihre Getränke.» zum Gehen aufgefordert.313 Bei der politischen Linken war der Schah als korrupter Diktator verschrien. In St. Moritz aber weigerte sich die Post, eine in den USA erscheinende oppositionelle Zeitung während eines Schah-Aufenthalts an alle Haushaltungen zu verteilen. Begründung: Das Format entspreche nicht der schweizerischen Norm.314 Wie sehr der Schah den St. Moritzern vertraute, zeigte sich, als er eine grosse Equipe von Palace- und Suvretta-Mitarbeitern für seine gigantische Feier zum 2500-jährigen Bestehen der persischen Monarchie ins altpersische Persepolis verpflichtete.315 Trotz allem fühlte sich der Herrscher in der offenen Schweiz, wo er im

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Abb. 172 Fuhr gerne Ski: der Schah von Persien.

Internat Le Rosey am Genfersee zur Schule gegangen war, allmählich zu wenig sicher; 1975 besuchte er St. Moritz letztmals. Nach seinem Sturz und der Islamischen Revolution 1979 versuchte die neue iranische Regierung, die Vermögenswerte des Schahs in der Schweiz konfiszieren zu lassen, darunter die Villa Suvretta. Das wurde 1995 vom Bundesgericht abgewiesen, und Farah Diba verkaufte die Residenz, die zwischenzeitlich Silvio Berlusconi gemietet hatte, an den Financier Urs E. Schwarzenbach.316

GUNTER SACHS, LEBEMANN UND UNTERNEHMER

Gunter Sachs (1932 – 2011) war eine für St. Moritz prägende Figur. Einerseits, weil er durch seine Bekanntheit als Playboy in den 1960er- und 1970er-Jahren dessen Image beeinflusste – als ein Ort, an dem sich der Jetset trifft. Andererseits, weil er sich für St. Moritz engagierte. 1969 rettete er faktisch den Bob Run vor dem Aus, indem er ihn finanzierte und das Präsidium des St. Moritz Bobsleigh Clubs übernahm. Sachs war ein Mann mit verrückten Ideen und vielseitigen Interessen. Der Industriellenerbe baute zunächst als Unternehmer eine Modekette auf, wurde Fotograf und Filmer, suchte mittels Mathematik nach einem wissenschaftlichen Nachweis für die Astrologie, sammelte Kunst. Seine Turmsuite im Palace Hotel liess er von zeitgenössischen Künstlern, darunter Andy Warhol und Roy Lichtenstein gestalten. Die Suite wurde zu einer Bühne für seine Aktivitäten in St. Moritz; hier trafen sich beispielsweise Herbert von Karajan und die beiden Beatles Ringo Starr und George Harrison.

Sachs liebte Gesellschaft und trat im Engadin als Gastgeber abenteuerlicher Partys und Unternehmungen in Erscheinung wie zu einer nächtlichen Bobfahrt über die Albulastrasse. Sachs baute in den 1970ern den Dracula Club als privaten Treffpunkt.

Er war ein Kosmopolit, an vielen Orten zu Hause, mit Domizilen in New York, Österreich, Südfrankreich, Lausanne und Gstaad. Sachs war teilweise auf der Lenzerheide aufgewachsen und auch mit St. Moritz familiär verbunden: Seine beiden Grossväter kamen schon hierher; der eine war der Erfinder und Getriebehersteller Ernst Sachs, der andere

Abb. 173 Gunter Sachs mit Brigitte Bardot

der Autobauer Wilhelm von Opel. Die Familientradition führt sein Sohn Rolf weiter, der nach Gunters Tod das Präsidium des Bob Clubs übernahm, im Vorstand des Cresta Clubs aktiv ist und den Dracula Club Jahr für Jahr als Hauptbühne für das Festival da Jazz öffnet.317

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Bernasconi gespeist und sei manchmal Gast am Stammtisch im Steffani gewesen.

Stardirigent und Stammgast Herbert von Karajan trat mit seinen Berliner Philharmonikern mehrmals im Saal des Hotels Reine Victoria im Bad auf.318 Beatle John Lennon dagegen verbrachte 1965 rein privat zwei Wochen im Palace; Bilder zeigen ihn, wie er sich auf Skiern offensichtlich abmühte.319 Viele der berühmten und vermögenden Gäste bauten oder kauften sich am Suvrettahang und im God Laret ihre eigenen Ferienvillen, darunter Agnelli, von Karajan, Niarchos und der Schah. Die grossen Hotels blieben die Bühne, auf der man sich traf und zeigte.

Ganz besonders galt dies fürs Palace, in dem sich die winterliche High Society, die «Snowciety», versammelte. Zu den Attraktionen gehörten Auftritte von Weltstars wie Marlene Dietrich, Duke Ellington, Ella Fitzgerald oder Charles Aznavour. 1963 öffnete der King’s Club als eine der ersten Diskotheken im Lande.320 1967 fand im Hotel eine Ausstellung über Pop Art, damals eine sehr neue Strömung der Kunst, statt.321 Im Turm nistete sich nach dessen Brand 1967 und dem folgenden Wiederaufbau Gunter Sachs ein, der Industriellenerbe, der sich der Astrologie, der Fotografie und dem Wintersport zugewandt hatte (siehe auch S. 221). Sachs sammelte Gegenwartskunst und liess seine Turmsuite von Pop-Artisten wie Andy Warhol und Roy Lichtenstein zum Gesamtkunstwerk ausbauen.322 Sachs veranstaltete Partys, sorgte mit Freunden für Klamauk und wurde als temporärer Gatte der französischen Filmikone Brigitte Bardot in der öffentlichen Wahrnehmung zum Inbegriff des Jetsetters, also jener Schicht privilegierter und hedonistischer Menschen, die sich im Sommer an der französischen Riviera vergnügten, in Weltstädten wie New York zumindest über ein Pied à Terre verfügten und über Weihnachten und im Februar nach St. Moritz kamen – zunehmend mit dem eigenen Jet.

Bauen für die Gäste und für die Einheimischen Ein Hallenbad für alle Die Grandhotellerie passte sich den

veränderten Zeiten an, jedes der Hotels positionierte sich auf seine eigene Art und auf seine eigene Klientel ausgerichtet. Allen gemeinsam war, dass sich die alten Häuser baulich erneuerten. Was später ein ausgedehnter Wellnessbereich wurde, war um 1970 das hoteleigene Hallenbad: ein Muss. Suvretta House, Palace und Kulm eröffneten nacheinander je eines.323 Pionier war allerdings das Drei-Sterne-Haus Bären, das sich als Sporthotel anpries und bereits 1966 ein Hallenbad einweihte.324 Das Luxushaus Carlton dagegen liess sich etwas mehr Zeit – es verfügte seit 1963 über ein Freibad, Sporting Club genannt.325 Die zwischen Hotel und dem Olympiastadion hoch über der Charnadüra-Schlucht gelegene Anlage war anfänglich auch im Winter geöffnet, wobei das warme Wasser in der kalten, trockenen Engadiner Luft für eine Dampfwolke sorgte. Die hohen Energiekosten waren dann der Grund

Abb. 174 Sonnenbaden und Schwimmen im Sporting Club, dem kurz­ lebigen Freibad der Hotels Carlton und Kulm, 1960er Jahre.

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Abb. 175 (links), Abb. 176 (rechts) Gemeindeinvestitionen für alle: Das 1968 eröffnete (und 2010 abgebrochene) Hallenbad und die 1972 in Betrieb ­genommene Signalbahn.

­ afür, dass es bald nur noch im Sommer offen war.326 Aber auch der d erwies sich als zu kühl, um viele Leute in das Bad zu locken. 1976 wurde es geschlossen. 327 Die Überreste sind noch heute sichtbar.

Auch die Gemeinde baute ein Hallenbad – im Juni 1968 wurde es eröffnet.328 Und 1966/67 die Kunsteisbahn Ludains, die in erster Linie den Einheimischen und dem EHC St. Moritz dienen sollte.329 Der Gemeinde ging es inzwischen finanziell wieder gut – sie profitierte von der herrschenden Hochkonjunktur. Laut Berechnungen des Bundesamtes für Statistik war das Oberengadin nun die reichste Region der Schweiz.330 Ein Schulhaus und drei Hochhäuser Die Gemeinde konnte

die sprudelnden Steuereinnahmen gut gebrauchen. Die Schülerzahl war seit 1950 explodiert, das kleine Quadrellas-Schulhaus im Dorf musste dem Parkhaus weichen – eine neue, grosse Schulanlage war dringend notwendig. Im September 1970 konnte das Schulhaus Grevas unterhalb des Dorfzentrums eingeweiht werden.331 Zur selben Zeit baute St. Moritz zusammen mit weiteren Ober-

engadiner Gemeinden in Celerina eine Kläranlage.332 Und wenig später erstellte die Gemeinde nach mehrjährigen Diskussionen die Signal-Luftseilbahn, womit das Bad im Winter 1972/73 erstmals direkt Anschluss ans Skigebiet erhielt.333 Zuvor hatte es nur die Chantarella-/Corvigliabahn sowie einen Skilift im Suvrettagebiet und von Celerina aus die Gondelbahn nach Marguns als Zubringer gegeben.

Schwieriger zu lösen war ein anderes Problem: In der Gemeinde herrschte Wohnungsnot. Zwischen 1950 und 1970 wuchs die Wohnbevölkerung von St. Moritz auf mehr als das Doppelte, von gut 2500 auf 5700 Einwohner. Im Gemeinderat wurde ein «prekärer Mangel an Angestelltenwohnungen» beklagt. Die Forderung, dass die Gemeinde günstige Wohnungen bauen solle, wurde laut.334 Doch die Mehrheit von Gemeindevorstand und Gemeinderat war der Meinung, dass dies nicht Aufgabe der Gemeinde sei. Hingegen beteiligte sie sich zusammen mit der Bürgergemeinde am Bau einer grossen Siedlung in Surpunt im Badquartier. Sie stellte der Wohnbaugenossenschaft Larsch durch einen Abtausch Bau-

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Abb. 177 In den frühen 1970er-Jahren wurde St. Moritz Bad innert kurzer Zeit mit grossen Gebäuden überbaut. Am auffälligsten waren und sind die Hochhäuser von Surpunt (im Vordergrund rechts).

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land zur Verfügung. Ende 1969 wurde der Quartierplan Surpunt, der drei Hochhäuser mit 14, 11 und 8 Stockwerken vorsah, nach einem heftigen Abstimmungskampf knapp mit 259 zu 243 Stimmen angenommen.335 Schliesslich beteiligte sich die Gemeinde mit ihrer Pensionskasse am Bau zweier Gebäude mit Wohnungen, darunter auch subventionierten, zweier Kindergärten sowie einer Zivilschutzanlage und sicherte die Bankkredite mit einer Solidarschulderklärung ab.336 1972 wurden die ersten der drei Hochhäuser, welche die Skyline von St. Moritz Bad bis heute prägen, bezogen.

Auch später vergab die Gemeinde Land im Baurecht, mit dem Zweck, Wohnungen für die Einheimischen zu erstellen, so in Salet und an der Via Tinus. Über ihre Pensionskasse erstellte die Gemeinde auch einige Wohnbauten.337 Wenn von einer «grassierenden Wohnungsnot» die Rede war, so bedeutete das keineswegs, dass in den späten Sechziger- und Siebzigerjahren wenig gebaut wurde.338 Ganz im Gegenteil. Nie zuvor waren in St. Moritz so viele Wohnblocks errichtet worden. Aber viele von ihnen enthielten Ferienwohnungen. Es war die erste grosse Welle im Zweitwohnungsbau. Verantwortlich dafür war neben der andauernd guten Wirtschaftslage das 1965 in der Schweiz eingeführte Stockwerkeigentum: Erst diese Rechtsform ermöglichte die Eigentumswohnung.

Bundesrat verfügt Baustopp Im Sommer 1972 etwa wurden in St. Moritz 44 Baustellen gezählt. Kein Wunder, beklagten sich die Leute über den Baulärm und andere Immissionen.339 Hoffnung auf Linderung kam aus Bern. Im Jahr zuvor hatte das Parlament einen «dringlichen Bundesbeschluss zur Stabilisierung des Baumarktes» verabschiedet. Dieser sollte helfen, die damals starke Teuerung zu dämpfen und war vor allem für die Grossagglomerationen Basel, Genf und Zürich gedacht. Der Beschluss gab dem Bundesrat die Möglichkeit, über einzelne Gemeinden einen Abbruch- und Baustopp zu verfügen.340 In St. Moritz kam die Forderung, dass die Gemeinde sich diesem Beschluss unterstelle, von zwei Seiten: Zum einen von dem aus dem Aargau zugezogenen Architekten Robert Obrist, der sich zeitlebens in Baufragen ex-

Abb. 178 Eine typische Ansicht – die Kräne sind die Bäume des Dorfes: Bauboom.

ponierte (siehe S. 226). Er argumentierte mit der Bekämpfung der Spekulation und für eine wohlüberlegte Entwicklung des Kurortes.341 Andererseits meldete sich der Hotelierverein mit einer Resolution, da er die wuchernde Parahotellerie fürchtete, sich aber auch um das Landschaftsbild sorgte.342 Es dauerte über ein Jahr, bis der Bundesrat St. Moritz dem Bundesbeschluss unterstellte und am 23. August 1972 in der Gemeinde einen weitgehenden, aber nicht vollständigen Baustopp verfügte.343 In der Zwischenzeit hatte eine Gemeindeabstimmung gezeigt, wonach der Volkswille stand. Die Menschen waren gegen eine Zubetonierung der Landschaft. Im Oktober 1971 sagten die St. Moritzer mit einer Dreiviertelmehrheit Ja zu einer Initiative, die eine geringere Ausnutzung ausserhalb des Dorfkerns und damit eine weniger dichte Überbauung verlangte.344 Ein weiterer Ausdruck des Unmuts gegenüber der Bauwut und der Sorge um die landschaftliche Schönheit war eine Petition für den Erhalt der Oberengadiner Seenlandschaft, die der Schweizerische Bund für Naturschutz und der Umweltschützer Franz Weber lanciert hatten; innert zwei Mo-

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naten wurden 359 000 Unterschriften gesammelt und Ende 1971 an den Bundesrat überreicht.345 Pisten für die Ski-WM und ein neues Heilbad

Vom Baustopp nicht betroffen war die Alpine Ski-Weltmeisterschaft (WM) 1974 (siehe S. 227).346 Diese war St. Moritz 1971 zugesprochen worden, als erste Ski-WM in der Schweiz seit den Olympischen Winterspielen von 1948. Mit entsprechend grosser Vorfreude und viel Einsatz wurde sie dann vorbereitet. Dabei mussten für die Rennstrecken auf Corviglia einige Bauarbeiten ausgeführt werden – 120 000 m3 Erdreich wurden bewegt, eine Tonne Sprengstoff war nötig, um Felspartien aus dem Wege zu räumen und zehn Tonnen «Spezialsamen» wurden ausgebracht, um die Narben wieder zu begrünen – ein Prozess, der bis heute andauert.347 Zahlreiche Bagger

und Pistenmaschinen waren im Einsatz, doch ohne menschliche Hilfe ging es nicht: Kurz vor der WM wurde die St. Moritzer Bevölkerung aufgerufen, um mit Füssen und Skiern bei der Pistenpräparierung zu helfen.348 Nach dem Ölschock von 1973 nahm in der folgenden Rezession die Anzahl der Baugesuche ab. Anfang 1975 wurde der Baustopp aufgehoben.349 Vorbildlich antizyklisch, auch wenn dies nicht die Absicht war, realisierte die Gemeinde während der Rezession in der Mitte der 1970er-Jahre ihr bis dato grösstes Bauprojekt: den 16 Millionen Franken teuren Neubau des Heilbades, der 1976 eröffnet werden konnte. Das grosse Projekt sollte die grosse Badetradition, die St. Moritz als Kurort zugrunde lag, erhalten und wieder beleben. Es war dazu da, Gäste im Sommer nach St. Moritz zu holen, wie Kurdirektor Peter Kasper schrieb.350 351 352

ROBERT OBRIST, ARCHITEKT

Robert Obrist (1937 – 2018) war Architekt und Oppositioneller in einem Bereich, durch den sich St. Moritz nach 1945 am nachhaltigsten verändern sollte, in der baulichen Gestaltung. Widersprüchlich und widersprechend war der 1962 aus dem Aargau Zugezogene. Jahrzehntelang setzte er sich für eine bessere Planung, für eine Beschränkung des Bauens und den Erhalt guter Bauten ein. Er tat dies mit zahllosen Leserbriefen, mit Initiativen und Beschwerden. Kaum eine Gemeindeversammlung, an der er sich nicht erhob, um Bau- und Planungsvorlagen oder deren Fehlen zu kritisieren. Oft waren Obrists Plädoyers und seine markigen Worte vergeblich. Manchmal aber drang er mit seinem Anliegen durch; er gehörte zu den Urhebern der Kreisinitiative zur Kontingentierung des Zweitwohnungsbaus,

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die 2005 wuchtig angenommen wurde. Als Architekt hatte Obrist freilich selbst von der Bauwut im Engadin profitiert und Aufträge erhalten, was ihm seine Gegner zuweilen vorhielten. Doch einige dieser Bauten sind Beispiele sehenswerter Architektur: Der Umbau vom Café und Hotel Hauser im Dorf etwa, wo Obrist Anfang 1970er-Jahre den Erweiterungsbau in der Manier des architektonischen Brutalismus auf Betonstützen über dem bestehende Gebäude aus den 1950ern errichtete. Das Gegenstück dazu ist sein filigranes Holzhaus für den Segelclub am See. Obrists wichtigstes Bauwerk im Oberengadin freilich ist verschwunden: das St. Moritzer Hallenbad, das er 1968 mit Alfred Theus gebaut hatte. Obrist hatte sich für dessen Erhalt eingesetzt – vergeblich.351

Abb. 179 Robert Obrist

SKI-WELTMEISTERSCHAFT 1974

Die Alpine Ski-Weltmeisterschaft 1974 war quasi ein nationales Projekt. Es war die erste Ski-WM in der Schweiz seit 1948 und den Olympischen Winterspielen in St. Moritz, deren Teil sie damals war. 1974, der Termin lag nur zwei Jahre nach den Olympischen Spielen von Sapporo, an welchen die Schweizer Alpinen so gut abgeschnitten hatten wie nie zuvor. Die Siege von Bernhard Russi, Marie-Theres Nadig und von Roland Collombin brachten Schweizerinnen und Schweizer emotional zusammen und machten das Land zur Skination. Kurz: Die WM-Erwartungen waren aus Schweizer Sicht riesig.

Die aufgeheizte Stimmung wurde gedämpft, als Nebel und Schneefälle die Szenerie beherrschten. Der Abfahrtslauf der Männer, der mit Roland Collombin einen klaren Favoriten hatte und laut Programm Auftakt gewesen wäre, musste verschoben werden. Fast eine Woche lang herrschte schlechtes Wetter, am Ende gab es für die Schweiz nur einen Lichtblick – die Bronzemedaille der jungen Lise-Marie Morerod im Slalom. Star der WM war der Italiener Gustav Thöni mit zwei Goldmedaillen, die restlichen Sieger kamen aus Österreich, Italien, Frankreich und dem Fürstentum Liechtenstein. Dass es für mehrere Nationen Erfolgserlebnisse gab, war werbetechnisch für St. Moritz durchaus von Vorteil, wie Kurdirektor Peter Kasper feststellte.

Organisiert hatte den achttägigen Anlass,

Abb. 180 So sah der Start zum WM-Slalom der Männer 1974 aus.

der je drei Frauen- und Männerrennen umfasste, ein Organisationskomitee, das im Wesentlichen aus Mitgliedern des Skiclubs Alpina bestand. Präsidiert wurde das OK von Räto Melcher, dem späteren Bürgermeister, Pressechef war Gian-Franco Kasper, der Sohn des Kurdirektors und später langjähriger Generalsekretär und Präsident des Weltskiverbandes FIS. Als Medienzentrum diente das Schulhaus Grevas – mit der Folge, dass die Schulkinder rund um die

WM in den Genuss von vier Wochen Ferien kamen (die sie allerdings hatten vorholen müssen).

Trotz der Menge an Mehrarbeit für die im Vergleich zu 1948 neuen Strecken, schnitt die WM wirtschaftlich besser ab als budgetiert. Bei einem Aufwand von 6,2 Mio. Franken resultierte ein Minus von 2,3 Mio. Dafür mussten die Defizitgarantien von Bund, Kanton und Gemeinde nur zur Hälfte ausgeschöpft werden.352

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Bewegung in der Politik

PETER KASPER, KURDIREKTOR

Endlich erhalten die Frauen das Stimmrecht Als das St. Mo­

ritzer Stimmvolk 1973 den Neubau des Heilbades bewilligte, waren erst zwei Jahre vergangen, seit die Männer den Frauen das Stimmrecht erteilt hatten. 1971 hatten sie zweimal «Ja» dazu gesagt – zuerst im Februar bei der Abstimmung, die den Frauen auf Bundesebene das Stimmrecht brachte, dann vier Monate später, als es um die politischen Rechte in der Gemeinde ging. 1972 schliesslich erhielten alle Bündnerinnen in kantonalen Angelegenheiten das Stimmrecht.353 Marcella Maier (siehe S. 229) kam im selben Jahr die Ehre zu, in den Gemeinderat – und damit als erste Frau in St. Moritz in ein politisches Amt gewählt zu werden. Elf Jahre später wurde die freisinnige Journalistin und Schriftstellerin auch erste Gemeinderatspräsidentin. Erst 1994 kam mit Antoinette Picenoni (ebenfalls FDP) erstmals eine Frau als Mitglied in den fünfköpfigen Gemeindevorstand.354 Das war reichlich spät – mit Ruth Dreifuss war da schon die zweite Bundesrätin im Amt. Gewaltenteilung dank Gemeindereform Ein paar Jahre zuvor war das politische System von St. Moritz in wesentlichen Punkten reformiert worden. 1990 nahm das Stimmvolk eine Initiative an, die eine vollständige Gewaltenteilung zwischen Gemeindevorstand (Exekutive) und Gemeinderat (Legislative) zur Folge hatte. Bis dahin waren der Gemeindepräsident und der Gemeindevorstand auch Mitglieder des Gemeinderats gewesen. Als solche entschieden sie bei Rekursen gegen Rechtsentscheide, die sie gefällt hatten, mit. Als Folge der Gewaltenteilung ist dafür nun das kantonale Verwaltungsgericht zuständig. Bis 1990 waren die Sitzungen des Gemeinderats nicht öffentlich, und es waren auch keine Medienvertreter zugelassen, es sei denn, sie waren, wie der langjährige Chefredaktor der «Engadiner Post», Hansruedi Schaffner, selbst Ratsmitglieder. Seit 1991 sind die Sitzungen des Gemeinderats öffentlich.355 356 357

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Abb. 181 Peter Kasper

Peter Kasper (1911 – 1990) leitete von 1945 an 33 Jahre lang den Kurverein – zuerst zwei Jahre als Sekretär, dann als Kurdirektor. Dementsprechend stark prägte er die Tourismusdestination St. Moritz. Schon bei den Olympischen Winterspielen 1948 spielte er eine wichtige Rolle, und danach engagierte er sich weiter für den Sport, namentlich für die Ski-WM 1974 und das Höhentrainingszentrum. Auch der Ausbau des Heilbades war ihm ein wichtiges Anliegen. Kasper war ein nimmermüder Schaffer, guter Redner, überzeugender Geschichtenerzähler und versierter PR-Mann. So gelang es ihm, den berühmten Filmregisseur und St. Moritz-Gast Alfred Hitchcock für Werbezwecke einzuspannen. Auch nach seiner Pensionierung publizierte er unermüdlich Artikel, Buchbeiträge und Bücher – meistens über die Vorzüge und die Einzigartigkeit von St. Moritz. Darüber hinaus bekleidete Kasper verschiedene Ämter in der Schweizer Tourismusbranche. Über seine anspruchsvolle Arbeit sagte er: «Ein guter Kurdirektor soll zahm sein wie ein Lamm, stur wie ein Esel, die Sprungkraft eines Tigers, den Instinkt der Zugvögel, die Würde eines Löwen, die Ausdauer eines Kamels und die Haut eines Elefanten haben.»356

MARCELLA MAIER, JOURNALISTIN, POLITIKERIN

Diese Reform machte die politischen Entscheidungswege in der Gemeinde transparenter. Ihr politisches System setzt sich aus vier Ebenen zusammen: Gemeindevorstand, Gemeinderat, Gemeindeversammlung und Volksabstimmung. Das Budget muss von der Gemeindeversammlung, einmalige Ausgaben von mehr als einer halben Million Franken, Gesetzes- und Zonenplanänderungen müssen vom Volk genehmigt werden.358 Sparsames Stimmvolk Die St. Moritzer waren in der Wahr-

Abb. 182 Marcella Maier

Marcella Maier (1920 – 2018) war eine überaus engagierte Bürgerin von St. Moritz. Sie war 1972 die erste Frau, die in den Gemeinderat gewählt wurde, nachdem die Frauen das Stimmrecht erhalten hatten, und sie war die erste Frau, die den Rat präsidierte. Sie war freisinnige Grossrätin. Sie initiierte die Ufficina protetta, die geschützte Werkstätte in Samedan, und sie war Stiftungsratspräsidentin und viele Jahre Leiterin des Mili Weber-Hauses. Sie war Journalistin und Autorin – zum Beispiel eines Teils der Gemeindegeschichte «St. Moritz – Streiflichter auf eine aussergewöhnliche Entwicklung», der in das vorliegende Buch übernommen wurde. Mit ihrem Mann führte die zierliche, energiegeladene Frau eine Schreinerei und zog vier Töchter auf. Davor hatte sie viele Jahre für den Kurverein gearbeitet. Im hohen Alter schilderte sie im Buch «Das grüne Seidentuch» die Geschichte ihrer Vorfahren; es wurde zum Bestseller. Für ihre Arbeiten wurde Maier mit dem Terra-Grischuna-Preis (2001) und mit dem St. Moritzer Kulturpreis (2005) ausgezeichnet sowie zur St. Moritzer Ehrenbürgerin ernannt. Bis zu ihrem Tod machte sie regelmässig Spaziergänge durchs Dorf, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht hatte und in dem sie fast alle kannten.357

nehmung ihres Stimmrechts oft etwas zurückhaltend. Tiefe Stimmbeteiligungen von 20 bis 35 Prozent sind bei kommunalen Vorlagen häufig. Das lässt sich natürlich auch als Vertrauensbeweis für Exekutive und Parlament deuten. Doch manchmal zeigten sich die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen recht widerspenstig – und pragmatisch. Hochfliegende Vorhaben bodigten sie regelmässig. Teure Vorhaben hatten es immer wieder schwer an der Urne.

In den 1980er- und 1990er-Jahren lehnte das Stimmvolk die ersten Vorlagen für die Um- und Ausbauten der Chantarella- und Corvigliabahnen sowie das Parkhaus Serletta, eine Erweiterung des

Abb. 183 Die Villa Böhler in Oberalpina.

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Grundwerte des liberalen Staates. Die Gegner der Initiative befürchteten zudem, dass die Gemeinde Heineken Schadenersatz zahlen müsste, wenn dieser nicht bauen könnte. Und sie zeigten auch offenes Unverständnis für den geforderten Denkmalschutz: Die Villa Böhler sei ein «Militärbunker mitten in der schönen Landschaft», hiess es in einigen von sehr vielen Leserbriefe.362

Probleme einer Stadt

Abb. 184 Das Projekt für eine Eishalle von 1972. Im Laufe der Jahre ­wurden immer wieder neue Ideen für eine überdachte Eisbahn entwickelt.

Hallenbads und den Bau einer Eishalle sowohl am Standort Ludains als auch bei der Talstation der ­Signalbahn ab.359 In diese Reihe von Abstimmungsergebnissen gehört auch das klare Nein zum Schutz der Villa Böhler im Sommer 1989.360 Der Bau des bekannten deutschen Architekten Heinrich Tessenow von 1916 galt als «bedeutendstes Haus der Neuzeit im Engadin», wie es verschiedene Architektenverbände nannten.361 Der holländische Bierbrauer Alfred Heineken, der die Villa mit grossem Umschwung gekauft hatte, zeigte sich davon unbeeindruckt und wollte das Haus in Oberalpina durch einen Neubau ersetzen. Architekturinteressierte versuchten dies mit einer Initiative zu verhindern – vergeblich. Der Abstimmungskampf wurde leidenschaftlich geführt und trug Züge eines Kulturkampfes. Die eine Seite argumentierte mit dem Denkmalcharakter des Hauses, mit einem immateriellen Wert also. Die andere mit dem Schutz des Eigentums, einem der

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Im Vergleich zu Gstaad etwa macht St. Moritz seinen Bauherren wenig Vorschriften. Ein geschlossenes Ortsbild ist jedenfalls kein Erkennungszeichen von St. Moritz. Seit der Belle Epoque wurde meistens das gebaut, was praktisch, günstig und nützlich war oder viel Rendite versprach. Der fehlende Wille zur Einheitlichkeit ermöglichte eine architektonische Bandbreite von den Hochhäusern im Bad über die nierenförmige Chesa Futura des britischen Stararchitekten Norman Foster an der Via Tinus bis zum weissen Oscar Niemeyer-Haus mit seinen Rundungen und Spitzen über dem See in Dimlej. Der Mangel an alpiner Behaglichkeit und das städtische Aussehen von St. Moritz blieben ein Dauerthema, vor allem bei Gästen.363 Zumindest in der Hochsaison entspricht St. Moritz auch von der Einwohnerzahl her einer Stadt (siehe S. 233). Zur Spitzensaison zwischen Weihnachten und Neujahr sind die rund 13 000 Fremdenbetten jeweils fast alle belegt.364 Mit seinen vielen Restaurants, Läden sowie den zahlreichen Veranstaltungen erfüllt St. Moritz zudem die Rolle eines Zentrums des Oberengadins und zieht deshalb überdurchschnittlich viele Tagesbesucher an. Somit war und ist der Verkehr ein Dauerthema. Zu Stosszeiten bildeten und bilden sich im Zentrum Staus. Die Eröffnung der Umfahrungsstrasse und des Parkhauses Quadrellas hatte eine Entlastung gebracht, die aber durch den Mehrverkehr wieder aufgehoben wurde. Wie in grösseren Städten mussten Wege gefunden werden, um das Zentrum mit seinen engen Strassen zumindest teilweise vom Autover-

Abb. 185 Die mit Holzschindeln verkleidete Chesa Futura von ­ Norman Foster sorgte für viel Aufsehen.

Abb. 186 Ohne Engadinbus ginge in St. Moritz wenig.

kehr zu befreien. Die Lösungen, die zur Wahl standen, waren darum die gleichen wie in den Städten des Unterlandes: Ausbau des öffentlichen Verkehrs und Schaffung von verkehrsberuhigten Zonen.

ta wurde 2007 auch die Via Mulin für den Verkehr gesperrt und die Fussgängerzone bis zur Plazza da la Posta Veglia erweitert.

Um den Durchgangsverkehr im Dorf weiter zu drosseln, sperrte man im Winter 1992/93 versuchsweise die Strasse St. Moritz-Celerina. Diese Sperrung zeitigte die gewünschten Folgen: Sie entlastete die Dorfzentren von Celerina und St. Moritz vom Privatverkehr, dafür benutzten mehr Leute den Bus.369 1994 wurde die Wintersperrung der Strecke definitiv.370 St. Moritz verfügte zwar schon 1896 über eine Strassenbahn, welche das Bad mit dem Dorf verband. Doch nach deren Einstellung 1932 entwickelte sich das ÖV-Angebot nur sehr langsam weiter.

Als Ersatz für das Tram pendelte zwischen dem Bad und dem Dorf ein Bus ein paar Mal pro Tag hin und her, aber nur während den Saisons. Erst seit 1981 verkehrt der Ortsbus ganzjährig, die

Fussgängerzone und Ausbau des ÖV Mitte der 1970er-Jah-

re diskutierte der Gemeinderat erstmals über eine Fussgängerzone in St. Moritz Dorf.365 Bis sie Wirklichkeit wurde, dauerte es eine Weile: 1985 wurde sie für zwei Jahre bewilligt, aber erst 1988 versuchsweise eingeführt. Wie fast überall, wehrte sich das Gewerbe im betroffenen Bereich zunächst gegen die Einführung, weil es weniger Kunden und damit einen Umsatzrückgang befürchtete.366 Das Volk aber lehnte eine Initiative zur Aufhebung der verkehrsfreien Zone ab.367 Allmählich wurde sie allseits akzeptiert und schliesslich definitiv.368 Nach der Eröffnung des Parkhauses Serlet-

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Abb. 187 Die Tavolata bringt viele Leute auf die Beine und in die Fussgängerzone.

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Taktung wurde im Laufe der Jahre mehrmals erhöht.371 Auf die SkiWM 1974 hin wurde dann der Sportbus eingeführt, von der Post betrieben und von den bedienten Gemeinden unterstützt. Dieser Bus verband St. Moritz, Celerina, Pontresina, Sils und Silvaplana mit den Talstationen der Bergbahnen. So konnte man etwa von St. Moritz nach Surlej zur Corvatschbahn fahren. Schon im ersten Winter wurde das Hauptziel erreicht: Viele Leute nahmen statt des Autos den Bus.372 Später wurden die Verbindungen ausgebaut und

1999 mit den Lokal-Bussen zum heutigen Verbundnetz Engadin Bus verknüpft.373 Dessen Einführung durch den Kreis Oberengadin war dann mit einigen Nebengeräuschen und vielen Verspätungen verbunden.374 Denn der Kreisrat vergab das Netz nicht an die Postauto-Betriebe, welche die Linien bisher unterhalten hatten, sondern an die Stadtbus Chur AG. Diese hatte eine wesentlich günstigere Offerte eingereicht.375 376

Anzahl Übernachtungen in St.Moritz pro Jahr, nach Beherbergungsart

1500000

TOTAL

1 460 819

1400000 1300000

1 285 029

Hotels

1200000 1100000

Zweitwohnungen

1 057 573

1000000

980 666

900000 845 001

800000

Ferienwohnungen

700000 721 472

600000

Jugendherberge, Camping

500000 400000

290 000

300000

239 360

200000 55 662

100000 0

61 497

1974

1980

1985

1990

1995

2000

2005

2010

2015

2019

Über den Berg: Die Gästefrequenzen erreichten Mitte der 1980er-Jahre ihren Höhepunkt.

Quelle: Gemeinde St. Moritz

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VICO TORRIANI, SÄNGER UND SHOWMASTER

Vico Torriani (1920 – 1998) war als Schlagersänger, Schauspieler und TV-Moderator einer der grossen Unterhaltungsstars der deutschsprachigen Welt in der Nachkriegszeit. Und er war ein Sohn von St. Moritz. Torriani stammte aus einfachen Verhältnissen und lebte als Kind in Celerina und St. Moritz, wo der Vater als Ski- und Reitlehrer und die Mutter als Hotel-Gouvernante arbeiteten. Der kleine Vico besuchte hier die Primarschule. Als die Betreuung der insgesamt vier Kinder seinen berufstätigen Eltern und der als Hebamme arbeitenden Grossmutter zu viel wurde, wurden Vico und seine Zwillingsschwester in den Aargau fremdplatziert.

Vico Torriani, ein Neffe des legendären Eishockeyspielers Bibi Torriani, machte eine Bäcker- und Konditorlehre und besuchte danach die Hotelfachschule in Lausanne. Immer wieder kehrte er nach St. Moritz zurück. Als Liftboy und Golf-Caddy verdiente er hier sein erstes Geld. Als Star verbrachte er hier mit seiner Familie jedes Jahr mehrere Monate Ferien. Torriani war ein begeisterter Wanderer und Skifahrer. «St. Moritz war seine Heimat», sagt seine Tochter Nicole Kündig-Torriani. Mit seiner Erscheinung und Schlagern, die «Addio, Donna Grazia», «Bella Bella Donna», «La Pastorella» oder «Ananas aus Caracas» hiessen, verkörperte Vico Torriani im Deutschland des Wirtschaftswunders die Sehnsucht nach dem Süden, nach Ferien. In den 1950er- und frühen 1960er-Jahren trat er in einigen Filmen auf, danach wurde er zu einem der gefragtesten Fernsehstars. Als Showmaster des «Goldenen Schuss» im ZDF führte er 1967 durch die erste Sendung in Farbe in der Geschichte des deutschen

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Abb. 188 Vico Torriani

Fernsehens. 2016 rief der Regisseur und Autor ­Felix Benesch Vico Torriani mit dem Musical «Hotel Victoria» in Erinnerung, benannt nach einer der TV-Shows, die Torriani moderiert hatte. Darin trat auch der spätere St. Moritzer Gemeindepräsident Christian Jott Jenny auf, als Double von Vico. In St. Moritz wurde das Musical 2016 sinnigerweise im Saal des Hotels Reine Victoria aufgeführt.376

Abb. 189 (links), Abb. 190 (rechts) Verantwortlich dafür, dass sich St. Moritz ab 1986 als «Gipfel der Welt» (Top of the World) anpries, war der langjährige Kurdirektor Hans Peter Danuser.

Top of the World – die goldenen 80er-Jahre St. Moritz ist ein wichtiger Bankenplatz Nach dem wirt-

schaftlichen Einbruch Mitte der 1970er-Jahre ging es weiter aufwärts. In den 1980ern prosperierte die Wirtschaft in der Schweiz und auch in der gesamten westlichen Welt kontinuierlich. Erstmals seit Jahrzehnten boomten die Börsen, und ihr heftiger ­Einbruch im Herbst 1987 vermochte keine Wirtschaftskrise aus­ zulösen. In St. Moritz öffneten im Laufe dieses Jahrzehnts unübersehbar immer mehr Banken eine Filiale oder bauten die ­vorhandene aus, um vermögende Kunden, die hier Ferien machten, betreuen zu können.377 Auktionshäuser begannen damit, im Fe­bruar in den grossen Hotels Schmuckauktionen durchzuführen.

Boutiquen exklusiver Modelabels machten sich im Dorfzentrum

breit. Parallel dazu stiegen die Steuereinnahmen der Gemeinde kräftig: Innerhalb eines Jahrzehnts um 50 Prozent. Dies bei einer Inflation von rund 38 Prozent und einem kommunalen Steuerfuss, der 1984 von 90 auf 85 Prozent des kantonalen Steuersatzes gesenkt wurde.378 Es war auch die Zeit, in der sich St. Moritz als «Top of the World» zu vermarkten begann. Verantwortlich dafür war Kurdirektor Hans Peter Danuser, der sich von der amerikanischen Marketingfirma IMG beraten liess, von der die Idee zum Slogan kam.379 St. Moritz war damals wirklich top – auf jeden Fall an sich selbst gemessen. Die Übernachtungszahlen erreichten in den 1980er-Jahren ihren Höhepunkt. Im Tourismusjahr 1985/86 (Sommer 1985, Winter 1985/86) zählte man knapp 1,5 Millionen Übernachtungen in Hotels, Wohnungen, Camping und Jugendherberge – so viele wie nie vorher und nie mehr danach (siehe S. 233).380

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