Kindliche Persönlichkeitsentwicklung braucht Bewegungswelten

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i m D e u t s c h e n O l y m p i s c h e n S p o r t b u n d e. V.

Kinderwelt ist

Bewegungswelt

Kindliche PersĂśnlichkeitsentwickung braucht

Bewegungswelten

[Bewegungsgelegenheiten und Spielräume] Positionspapier 5

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Po s i t i o n s p a p i e r 5 - K i n d l i c h e Pe r s ö n l i c h k e i t s e n t w i c k l u n g b r a u c h t B e w e g u n g s w e l t e n

Kinderwelt ist

Bewegungswelt

Die Deutsche Sportjugend (dsj) hat in ihrem Orientierungsrahmen “Kinderwelt ist Bewegungswelt” das Grundverständnis ihrer Arbeit dokumentiert und die Ausrichtung künftiger Handlungsrichtungen und aufgaben begründet. Für sie ist der Ausgangspunkt ihres Zukunftsverständnisses, dass eine Gesellschaft, die nicht die Kinderwelt als eine Bewegungswelt zu realisieren imstande ist, ungesund ist und auch keine Entwicklungskraft mehr besitzt ! Ein grundlegender Wegweiser ist dabei, Kinderwelten als Bewegungswelten zu verbessern, aufzubauen, zurück zu gewinnen und zu sichern. Dies gelingt vorrangig in einem gemeinsamen Netzwerk. Für die dsj und ihre Mitgliedsorganisationen ist die Auseinandersetzung um ausreichende Bewegungswelten für Kinder ein zentrales Thema.

Bewegung als ein zentraler Lebensinhalt für Kinder Bewegung ist ein natürliches Bedürfnis eines jeden Kindes. Doch um dieses Bedürfnis ausleben zu können brauchen Kinder entsprechende Räume. Wenn Kindern diese Bewegungsräume entzogen werden und sie ihren kindlichen Bewegungsdrang nicht ausleben können, laufen sie Gefahr, diesen natürlichen Instinkt zu verlieren. Ein Kind, das seinen Bewegungsdrang über Jahre seiner Entwicklung hinweg ungestört ausleben kann, wird die Bewegung als selbstverständlich verinnerlichen und sein Leben aktiver gestalten als ein Mensch, der in seiner Kindheit dauerhaft in der Bewegung gehemmt wurde. Kinder, die entweder keine geeigneten Bewegungsräume auffinden oder diese aufgrund ihres für einige Erwachsene zu lauten oder störenden Spiels versagt bekommen, flüchten sich häufig vor den Bildschirm. Ihnen wird die Chance genommen, ihre Energie auszuleben, wodurch negative körperliche, soziale und psychische Folgen vorprogrammiert sind. Wenn Kinder z.B. Treppengeländer als Rutschen oder Sofas als Trampoline verwenden, ist dies nicht als bösartiger Angriff auf das Mobiliar der Erwachsenen, sondern als Hilferuf für mehr vielfältige Möglichkeiten zur kindgerechten Bewegung zu verstehen.

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Durch die Unterdrückung der Bewegung können nervöse Verhaltensweisen wie unruhiges Sitzen oder Konzentrationsschwierigkeiten entstehen, die häufig fälschlicherweise als ADHS abgestempelt werden. Und nicht nur diese rein körperlichen Folgen sind zu bedenken. Ebenso wird Kindern durch fehlende Bewegungsmöglichkeiten häufig die Chance genommen, mit anderen Kindern in Interaktion zu treten, im Rollenspiel sein späteres Leben zu üben, Konflikte auszutragen, seine Erlebnisse aktiv zu verarbeiten. Auf lange Sicht können somit auch seelische Folgeerscheinungen auftreten, wenn Gefühle wie Aufregung oder Wut nicht durch Bewegung kanalisiert werden können.

Gemeinschaftliche Bewegung fördert und trainiert soziale Verhaltensweisen Gemeinschaftliche Bewegung bildet eine Plattform, um Beziehungen einzugehen, mit anderen gemeinsam zu agieren und soziale Verhaltensweisen zu trainieren. Der gemeinschaftliche Sport dient als Plattform, um Fähigkeiten wie Fairness, Zielstrebigkeit, Kompromissfähigkeit und Kampfgeist zu fördern. In Bewegungsspielen werden Kinder mit Herausforderungen konfrontiert, die sie selbst managen müssen. Dies fördert die Fähigkeit, sich selbst zu organisieren, indem die Kinder Leistungen erbringen müssen, oder Rückschläge positiv verarbeiten und ihr Selbstwertgefühl stärken können. Bewegungsspiele unterstützen dadurch u.a. das Einüben von Verhaltensweisen und die Herausbildung sozialer Verantwortung wie Kooperationsverhalten. Das heißt, sie fördern das planvolle Zusammenwirken aller Mitglieder in einer Gruppe, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.

Bewegung und Persönlichkeitsentwicklung Chancen und Räume geben Erfahrungs-, Lern-, Begegnungs- und Beziehungsräume als Bewegungswelten sind notwendig für eine unterstützende und gesunde Persönlichkeitsentwicklung von Kindern. Für die Entwicklung und Gesundheit der Kinder ist Bewegung unverzichtbar. Der nötige Umfang an Bewegungsreizen kann nur durch die Kombination motorischer Aktivitäten in Kindertagesstätten, Schulen, Sportvereinen und durch vermehrte freie Alltagsaktivitäten erreicht werden. Darum brauchen Kinder neben formellen auch ausreichend offene, hausnahe, informelle Bewegungswelten, sogenannte Spiel-, Erlebnis- und Aufenthaltsflächen. Ausgangspunkt ist ein Verständnis für eine Kinderwelt, die nicht durch normierte Spielinseln mit einengenden Handlungsmöglichkeiten beschränkt sein darf. Kinder brauchen Räume, die frei zugänglich, barrierefrei, schnell erreichbar, sauber und sicher sind, damit sie spontan, frei, unangeleitet und kreativ jederzeit agieren, aber auch Ruhe finden und sich zurückziehen können. Sie brauchen Orte, die nutzbar sind, an denen sie sich geborgen fühlen und ihre Sinnesträume verwirklichen können.

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Kinder brauchen Bewegungswelten, die räumlich nicht einengen, eigenständiges Handeln, aber auch gemeinsames Tun mit anderen Kindern oder bildungsaktivierenden Personen möglich machen. Sie brauchen Bewegungswelten, die ihren Interessen und Bedürfnissen entsprechen und die sie auch verändern können. Auch in der zeitlichen Dimension brauchen sie Freiheit, um sich selbst entfalten zu können. Kinder brauchen vielfältige Aktionsräume, sowohl drinnen als auch draußen, sowohl künstlich erschaffene als auch natürliche. Kinder und Bewegungswelten gehen eine Wechselbeziehung ein. Diese Welten geben Anreize, die Kinder mit ihren Sinnen aufnehmen. Diese können beispielsweise anregen oder langweilen, beruhigen oder aufregen, auffordern oder lähmen, stimulieren oder abstumpfen, sprachanregend sein oder sprachlos machen. Diese Welten als Spiel-, Erlebnis-, Kommunikations-, Rückzugs- und Aufenthaltsorte bzw. -nischen haben Auswirkungen auf das persönliche Wohlbefinden, auf Handlungsprozesse und den Zugang zu gesellschaftlichen Kulturgütern.

Bewegungswelten für Kinder in Sportvereinen Die Realisierung der notwendigen Rahmenbedingungen verlangt nach engagierten Personen, die Kindern ihre Bewegungswelten und damit ihre Rechte auf Bewegung und Spiel garantieren. Sportvereine haben solche verantwortungsbewusste, couragierte Personen, die sich neben ihrer umsichtigen Sportvereinsarbeit mit ihren fachbezogenen und personellen Kompetenzen auch gesellschaftlichen Herausforderungen stellen, wie z.B. der Zunahme von Zivilisationskrankheiten durch Bewegungsmangel oder Reduzierung von Lebenswelten durch Motorisierung und Schwund von Bewegungsräumen. Diese Personen unterstützen Kinder beim Einüben von Verhaltensmustern oder helfen bei Verhaltensänderungen. Weiterhin streben sie auch Veränderungen der Rahmenbedingungen an. Sportvereine nehmen sich Zeit zur Erschließung von Bewegungswelten, um diese den Kindern zur Verfügung zu stellen. Nicht selten gewinnen sie für Jungen und Mädchen beispielsweise Bewegungswelten zurück, verwandeln Brachflächen in Spielflächen oder machen für Kinder Naturflächen oder andere erfahrungsreiche Freiflächen und Nischen als Lebensraum erlebbar. Sportvereine beteiligen selbstverständlich Kinder als Erfahrungsexperten an Entwicklungen, Vorhaben und Maßnahmen. Ihre Beteiligung richten sie an prüfbaren Qualitätskriterien aus, wie sie das Deutsche Kinderhilfswerk bereithält. Darüber hinaus übernehmen Sportvereine u.a. Patenschaften von Bewegungswelten und organisieren, dass eine ausgewiesene Spielstraße tatsächlich als Bewegungswelt nutzbar ist. Sie treten als Lobbyisten den räumlichen Einschränkungen entgegen, unter denen Kinder leiden, wie weniger mobil zu sein oder einen geringeren Aktionsradius zu haben.

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Immer mehr Sportvereine beraten aber auch Kindertagesstätten und Schulen, wie sie ihre Innenräume bewegungsaktiver umgestalten und Außenräume mit Materialien bebauen können oder Eltern, wie sie im Umfeld ihrer Wohnung sozialräumlich verträgliche Bewegungswelten finden, nutzen bzw. verändern können. Dies geschieht nicht selten auch mit anderen Personen oder in kommunalen bzw. regionalen Netzwerk-Partnerschaften für eine kindgerechte Stadt, die Entwicklungsunterstützung und Lebensqualität bietet. Diese setzen sich auch für den Abbau von Spielverboten und den Erhalt von Bolz- und Spielplätzen ein. Viele Sportvereine möchten aktiv mit gestalten und nicht selten die Moderation von Initiativen übernehmen. Dabei entstehen bedarfsgerechte Bewegungswelten durch eine gemeinsame Entwicklungsplanung mit Kindern unter Berücksichtigung ihrer Interessen und Bedürfnisse. Diese Planung trägt auch einer verantwortungsbewussten Balance zwischen anforderungsreicher Bewegungsumwelt, wo “Kinder-Raum-Träume” ausgelebt werden können, und möglichem Risikopotenzial Rechnung.

Die Deutsche Sportjugend als kompetenter Kommunikationspartner Um Kindern Gelegenheiten und Raum für Bewegung und Spiel zu sichern, verstärkt die dsj ihre Bemühungen für ausreichende Bewegungswelten für Kinder. Sie empfiehlt, das Thema vorrangig auf der Handlungsagenda in den Mitgliedsorganisationen zu platzieren. Diese dsj-Position ist als ein wünschenswerter Argumentationsrahmen für die eigene Ausrichtung der Mitgliedsorganisationen und dsj-Kooperationspartner zu verstehen. Anregungen für eigene Entwicklungsprozesse bieten auch die vielfältigen Vorschläge und gelungenen Projekte und Strategien der dsj-Mitgliedsorganisationen. Die dsj steht als Lobbyistin für das Recht auf vielfältige Bewegungsmöglichkeiten unserer Kinder und als Kommunikationspartner ihren Mitgliedsorganisationen zur Verfügung. Aber auch den verschiedenen Kooperationspartner/-innen und anderen interessierten Gruppen bietet sie sich als Drehscheibe für einen Informationsaustausch und als Moderatorin an, damit eine Kinderwelt wirklich eine kindgerechte Bewegungswelt ist!

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