Magisterarbeit

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II. Historische und systematische Einordnung der literarischen politischen Utopie

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Umsetzung von utopischen Träumen die menschlichen Opferzahlen erschreckend hoch ausgefallen.100 Die meistzitierteste Kritik am Utopischen dürfte jedoch das Werk „Der zerstörte Traum. Vom Ende des utopischen Zeitalters“ des Historikers Joachim Fest darstellen.101 Fest stellt heraus, dass Utopien als Handlungsmaximen im Hinblick auf eine unvollkommene Welt unbrauchbar seien und prognostiziert ein Ende des utopischen Zeitalters.102 Ebenso könnte das bekannte Werk Francis Fukuyamas „Das Ende der Geschichte“, erschienen 1992, als Abgesang auf die Utopie verstanden werden: Nach dem Ende der realsozialistischen Regime, die mit einem utopischen Anspruch angetreten waren, seien alle Weltverbesserungspläne desavouriert.103 Der Philosoph Karl Popper führt totalitaristische Elemente in Utopien auf Platons „Politeia“ zurück: Es läge ein geschlossener Systementwurf vor, der irreversible Fakten schaffe und sich mit totalitaristischem Terror verbinde, um jedweden Pluralismus zu vernichten, welcher der Umsetzung des utopischen Endziels im Weg stehen könnte.104 Karlheinz Steinmüller macht in seinem Essay „Die Utopie am Anfang des Jahrhunderts“ eine weitere Gruppe von Utopiekritikern, oder viel mehr eine Gruppe von „Utopieverfälschern“ aus. Französische postmoderne Philosophen wie etwa Jacques Derrida oder Jean-François Lyotard billigen der schnelllebigen Gegenwart nur noch die sogenannte „postmoderne Utopie“ zu. Diese Form der Utopie sei bar jedes konkreten sozialen wie politischen Inhalts – eine ausgehöhlte, leere Utopie, deren Risiken der praktischen Umsetzung möglichst gering blieben.105 Wenn das 20. Jahrhundert versucht hat, die utopischen Pläne der Vergangenheit durchzuführen, hat es elendig versagt; es hat allmächtige Staaten geschaffen, die die Kontrolle über Produktions- und Distributionsmittel besitzen, die jedoch den Hunger nicht abgeschafft haben; Staaten mit dem Anspruch, vollkommene Gleichheit zu errichten, die jedoch neue privilegierte Klassen und neue Ungleichheiten 100

Hermann Klenner: Rückblick aus dem Jahre 1992 auf das Jahr 1652. Rechtsphilosophisches zum Nowhere des Nowhere. S. 46-57 In: Saage, 1992, S. 55. 101 Vgl.: Joachim Fest: Der zerstörte Traum. Vom Ende des utopischen Zeitalters. Berlin, 1991. 102 Vgl.: Ebd., S.81. 103 Vgl.: Francis Fukuyama: Das Ende der Geschichte. München, 1992. 104 Karl Popper: Die offene Gesellschaft. Tübingen, 7. Auflage, 1992. „So ging ich in meinem Buch von Hitler zurück zu Platon: dem ersten großen politischen Ideologen, der in Klassen und Rassen dachte und Konzentrationslager vorschlug. Und ich ging von Stalin zurück zu Karl Marx.“ Siehe: Ebd., S. 9. 105 Karlheinz Steinmüller: Die Utopie am Anfang des Jahrhunderts. Eine Cyber-Lektion. S. 554-569. In: Wolfgang Jeschke (Hg.): Das Science Fiction Jahr 2002. Ein Jahrbuch für den Science Fiction Leser. München, 2002. S. 566.


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