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4.2. Die Bedeutung der Wallfahrt

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ANHANG

ANHANG

4.2. Die Bedeutung der

Wallfahrt

Die deutschen Begriffe „wallen“ und „Wallfahrt“ leiten sich etymologisch vom Verb „wandeln“ ab. Wer also auf einer Wallfahrt „wandelt“, soll(te) sich auch „selbst wandeln“. Wandlung und Umkehr sind alte Kennzeichen einer Wallfahrt. In diesem Sinn nennt der Psalm 15 Wandlung und Läuterung als Eintrittsbedingungen für Wallfahrer (für die Wallenden) in das Heiligtum. Übrigens erinnert beispielsweise im Salzburger Gasteinertal der Name der Wallerhöhe (1400 m) und der dortigen „Drei-Waller-Kapelle“ an diesen alten Ausdruck. Einer Überlieferung nach kamen gegen Ende des 7. Jahrhunderts „drei Waller“ (Wallfahrer) über diesen Sattel vom Norden her in das Tal.

Religionsgeschichtlich ist die Wallfahrt ein uraltes Phänomen, das sich in den meisten Kulturen und Religionen findet. „In Griechenland und Kleinasien pilgerten die Menschen in Scharen zu Orten, an denen sie die Heilkraft Gottes erleben und seine Weisung im Orakel erfahren konnten. Viele zogen zu den Heilstätten des Asklepios, um dort Heilung von ihren Krankheiten zu

erreichen. Und sie wallfahrten zu den Stätten des Apollo, um dort Auskunft über ihr Leben und ihre Zukunft und einen guten Rat für ihren Alltag zu bekommen. Man glaubte, die Götter würden an bestimmten Orten ihre besondere Wirkkraft entfalten.“43 Wie in anderen großen Religionen hat sich auch im Christentum eine lange Wallfahrtstradition entwickelt: Christinnen und Christen machen sich auf den Weg zu bestimmten Orten, an denen sie sich für ihren Alltag Bestärkung und Kraft, Heil und Heilung erhoffen. Dort sind sie in besonderer Weise offen für das Transzendente. Gerade in der katholischen Tradition sind dies oft Orte, an denen Heilige in besonderer Weise verehrt werden und wo sie sich durch deren Fürsprache Hilfe in bestimmten Anliegen und für ihren Alltag erwarten.

Interessant ist, dass sich die Wertigkeit von Pilgern und Wallfahren auch verändern kann. Martin Luther etwa hatte eine profunde Wallfahrtskritik entwickelt und das Ganze als „Geläuff“ und „Narrenwerk“ bezeichnet. Er war überzeugt: Der Mensch kann allein durch die Gnade Gottes („sola gratia“) das Heil erlangen – und nicht durch noch so lange Pilgerfahrten oder noch so viele Wallfahrten. Er hatte sich heftig gegen einen mit der Heiligenverehrung verbundenen Reliquienkult gewehrt. Im Blick auf Santiago de Compostela hatte er einmal gemeint, dass man „nicht dorthin laufen“ solle, weil man nicht wisse, ob dort der heilige Jakobus oder ein toter Hund begraben liege. Zudem erinnerte die mittelalterliche Praxis, eine Art „Berufspilger“ zu engagieren, um sich den Himmel zu verdienen, zu sehr an den Ablasshandel. Vor diesem Hintergrund ist eine negative Bewertung nur allzu verständlich. In der Gegenwart hingegen haben sich diese Motive wohl geändert. So hat sich auch in der evangelischen Kirche ein anderes Verständnis entwickelt, in dem Selbsterfahrung,

43 Grün, Anselm: 2002, 36. Vgl. dazu auch: Frisch, Hermann-Josef: 2017, 42-47.

Eine prägnante Beschreibung des Phänomens „Wallfahren“ findet sich auch in: GOTTESLOB. Kath.

Gebet- und Gesangbuch, Stuttgart 2013, 94f. (Nr. 22/4). Hingewiesen sei auch auf das „Segensgebet vor einer Wallfahrt“: Ebd., 95 (Nr. 22/5).

Gemeinschaftserlebnis und Gotteserfahrung im Vordergrund stehen. Schließlich kann man jetzt sogar auf einem „Lutherweg“44 den Spuren der Reformation nach-gehen.

Heute gibt es sowohl im evangelischen wie auch im katholischen Bereich zahlreiche Pilger- und Besinnungswege. Sie werden auch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen neu entdeckt. Viele, die auf der Suche sind, reizt eine gewisse Herausforderung, sich alleine oder in einer Gruppe auf einen Weg zu begeben. Oft verbinden sie damit eine Bitte in einer wichtigen Lebenssituation oder einen Dank für eine erfahrene Hilfe.

Ergänzend zur Wallfahrts- und Pilgertradition sei noch auf Labyrinthe hingewiesen, die an mehreren Orten neu entstanden sind oder entstehen. Der Gang durch ein Labyrinth gilt als uraltes und wiederentdecktes Symbol für den Weg zur Mitte. Hier lassen sich Wegerfahrungen in verdichteter Form vermitteln.

44 www.lutherweg1521.de

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