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5.3. Wege zu Gott – spirituelle Dimension

5.3. Wege zu Gott – spirituelle Dimension

Die Suche nach Glück und Sinn, die Auseinandersetzung mit Leben und Tod, die Sehnsucht nach Transzendentem, nach Göttlichem und nach Gott haben Menschen zu allen Zeiten be-wegt. Für manche spielen solche oder ähnliche Fragen heute keine Rolle (mehr) oder nur eine geringe; für andere wiederum sind sie existentiell. Einige Zeitgenossen haben keinen oder einen verbauten Zugang zur Gottesfrage und zu Glaubensfragen; andere wollen das offen halten. Wie man persönlich nun dazu stehen mag: Spirituelle Zu-Gänge können eine innere Kraftquelle sein. So gesehen gehört eine gesunde Spiritualität – wie immer sie auch gestaltet ist – genauso zum Menschsein wie die körperlich-seelische und die soziale Dimension. Sie ist förderlich für ein positives Selbstkonzept.

In einer christlichen Spiritualität gilt zunächst, dass „das große Geheimnis“ (David SteindlRast) alle unsere Bilder und Vorstellungen übersteigt. Gott ist und bleibt der „Unverfügbare“ und der „ganz Andere“. Im Gebet- und Gesangbuch GOTTESLOB findet sich eine treffende Definition: „Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang aushalten. (Nach Karl Rahner)“51 Damit verbunden ist der Aspekt menschlicher Freiheit: Eine freie Glaubensentscheidung bleibt eine lebenslange Herausforderung. Gottseidank wird in unserer Gesellschaft heute kaum jemand (mehr) zum Glauben gezwungen. Sinnerschließung aus dem Glauben ist ein freies Angebot. Aber auch wenn man sich einmal frei und bewusst dafür entschieden hat, so können doch Glaube und Unglaube wie zwei Seiten einer Medaille gesehen werden: „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ (Mk 9,24) Glaube kann nicht „gemacht“ oder „produziert“

51 In: GOTTESLOB. Kath. Gebet- und Gesangbuch, Stuttgart 2013, 449 (Nr. 380).

werden – er ist letztlich ein Geschenk, theologisch ausgedrückt: Gnade. Dazu kommt die Glaubensüberzeugung, dass Gott „immer schon da ist“, lange bevor wir ihn suchen. Leonardo Boff hat das einmal treffend ausgedrückt: „Gott kommt früher als der Missionar.“52

Christliche Spiritualität lässt sich von der Vision eines „Lebens in Fülle“ leiten – entsprechend dem Wort Jesu: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Dabei ist sie zutiefst vom Weg-Charakter geprägt: Jesus, der Christus, zeigt den an ihn Glaubenden den Weg zum Vater; er sendet seinen Geist, der auf den Weg der Nachfolge einlädt. Auf diesem Glaubensweg bekennen Christen Gott als den dreifaltigen bzw. dreieinen, der als Vater, Sohn und Heiliger Geist gleichsam in sich selbst Beziehung ist. Er ist seinem Wesen nach Gemeinschaft und dadurch Lebensquelle und Vorbild jeder menschlichen Gemeinschaft. Dieses trinitarische Gottesbild zeigt eine besondere Beziehungsdynamik, die in der johanneischen Aussage gipfelt: „Gott ist Liebe.“ (1 Joh 4,16)

Christliche Spiritualität lebt von einem grundlegenden Vertrauen. Eugen Drewermann bekräftigt das treffend: „Vertrauen heißt zu glauben, dass alles, was wir sind, sich hineinlegt in die Hände Gottes, aus denen wir kommen. Im christlichen Sinne ist das der Beginn eines Sich-Festmachens im Absoluten mitten im Relativen, im Unendlichen mitten im Endlichen, im Ewigen mitten im Vergänglichen.“53 Er führt auf eine wichtige Spur zum „Vertrauen als Doppelbewegung des Unendlichen“: „Die ganze Kunst christlicher Zuversicht, christlichen Vertrauens, besteht in dem, was Sören Kierkegaard einmal nannte: die Doppelbewegung des Unendlichen. Er meinte, diese Welt in ihrer Fragwürdigkeit zu begreifen, sich festzumachen im Unendlichen, in Gott, und dann kraft des Unendlichen zurückzukehren in diese endliche Wirklichkeit – das eigentlich sei, christlich betrachtet, Vertrauen. …Vertrauen besteht darin, von Gott her den Zerbrechlichkeiten dieser Erde standzuhalten mit dem Wagemut zum Widerspruch und zum Einstehen für das menschlich Richtige im Ernst der Existenz, jetzt und heute. Vertrauen in diesem Sinne ist kein Wohlfühlkurs, keine Anleitung für bioenergetische Happyness oder genussvolle Selbstzufriedenheit; es ist eine Form der exis-

52 Vgl. Boff, Leonardo: Gott kommt früher als der Missionar. Neuevangelisierung für eine Kultur des

Lebens und der Freiheit, Düsseldorf (Patmos) 1991. 53 Drewermann, Eugen: 2020, 26.

tenziellen Identitätssuche und -findung.“54 Eine hoffnungsvolle Zuversicht in die eigene Existenz liegt nicht in uns selbst begründet, sondern darin, dass „wir uns umgeben fühlen von Händen, die es gut mit uns meinen; das bietet einen vertrauensvollen Unter- und Hintergrund für alles, was wir sind und tun.“55

Für manche kann es hilfreich sein, wenn sie sich auf ihrem Glaubensweg an Vorbildern im Glauben orientieren können, die dieses Gott-Vertrauen „gelebt“ haben. In der katholischen Tradition hat hier die Heiligenverehrung einen besonderen Stellenwert. Die Heiligen stehen meist für besondere Akzentuierungen einer christlichen Spiritualität, wodurch sie Impulse für den eigenen Lebens- und Glaubensweg beinhalten können.

Beispielsweise kann ein Leitmotiv von Ignatius von Loyola, dem Gründer des Jesuitenordens, bis heute inspirierend wirken: „Gott zu suchen und zu finden in allem“. In diesem Sinn ist es ein spirituelles Grundanliegen, immer neu Gottes Wirken in unserer Welt wahrzunehmen und anzunehmen und ihn „in allen Dingen zu finden“. Gerade die Erfahrungen des Alltags und die Alltagswege (vgl. Kap. 4.3.) können dazu beitragen, Gottes Spuren zu entdecken. „Gott in allem zu finden“ – diese Medaille kennt zugleich eine zweite Seite, nämlich sich „von Gott finden zu lassen“, von ihm so gefunden zu werden und geliebt zu sein, so wie man

54 Ebd., 30. 55 Ebd., 31.

ist. Entscheidend ist letztlich nicht, dass ich ihn finde, sondern dass ich mich finden lasse; es kommt nicht so sehr darauf an, dass ich an ihn glaube, sondern dass er unbedingt (!) an mich glaubt. In diesem Bewusstsein kann sich jemand mit allem, was er besitzt und was seine Identität ausmacht, mit allen Fähigkeiten und Kräften, ganz in den Dienst am Reich Gottes mitten in dieser Welt stellen. So kann er offen sein für eine ganzheitliche Hingabe:

Nimm, Herr, und empfange meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen ganzen Willen, all mein Haben und Besitzen. Du hast es mir gegeben; dir, Herr, gebe ich es zurück. Alles ist dein, verfüge nach deinem ganzen Willen. Gib mir deine Liebe und Gnade, denn diese genügt mir. Ignatius von Loyola (1491–1556)56

Schließlich sei noch eigens betont, dass es in den verschiedenen Religionen und Konfessionen zahlreiche und unterschiedliche spirituelle Wege gibt. Aus einem interreligiösen Blickwinkel gibt es bemerkenswerte Neuaufbrüche, die für transkonfessionelle und transpersonale Wege plädieren. An den Schnittstellen von östlichen und westlichen Traditionen und Denkweisen soll ein „integraler Weg“ weiterführen, der in eine ungeahnte Weite führt und der darin einen neuen spirituellen Reichtum spürbar werden lässt.57

Im Grunde sind es immer dieselben Fragen, die sich Menschen in allen Religionen und Konfessionen stellen und auf die sie eine Antwort suchen: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Welchen Sinn hat mein und unser Dasein? Diese entscheidenden Lebensfragen werden im Folgenden noch weiter aufgefächert.

56 In: GOTTESLOB. Kath. Gebet- und Gesangbuch, Stuttgart 2013, 58 (Nr. 9/6). 57 Vgl. dazu: Steindl-Rast, David: 2021, bes. 65ff.: „Religionen – verschiedene Sprachen für das

Unaussprechliche“.

In diesem Zusammenhang sei weiters verwiesen auf: Jäger, Willigis: 2010; Uhde, Bernhard: 2011;

Grün, Anselm / Jäger, Willigis: 2013; Frisch, Hermann-Josef: 2017; Grün, Anselm / Boff, Leonardo: 2017; Brantschen, Niklaus: 2021.

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