
4 minute read
3.6. „Immer nach Hause“ – in Richtung „ewige Heimat“
3.6. „Immer nach Hause…“ – in Richtung „ewige Heimat“
Jesus hat das Reich Gottes verkündet, das mit ihm angebrochen ist und das zugleich noch aussteht. Er ist den Weg in Gottes Herrlichkeit vorausgegangen. Sein Tod und seine Auferstehung schenken den Glaubenden eine Hoffnung – in diesem Leben und darüber hinaus. Auf dem Weg seiner Nachfolge dürfen Christinnen und Christen auf „einen neuen Himmel und eine neue Erde“ (Offb 21,1–6) hoffen. Sie haben hier keine bleibende Heimat: „Denn wir haben hier keine Stadt, die bestehen bleibt, sondern wir suchen die künftige.“ (Hebr 13,14) Sie spüren eine Spannung zwischen dieser und der künftigen Welt. Sie leben unter dem (eschatologischen) Vorbehalt, dass sie in dieser Welt noch nicht „zu Hause“ sind, sondern „auf dem Weg nach Hause“. „Wo gehen wir denn hin?“ – „Immer nach Hause!“ (Novalis)“30 In diesem Sinn könnte
30 „Wo gehen wir denn hin?“ – „Immer nach Hause“: Georg Philipp Friedrich von Hardenberg (=
Novalis), in: Heinrich von Ofterdingen. Zweiter Teil. Die Erfüllung; 1802 posthum veröffentlicht von Friedrich Schlegel.
eine weitere Tafel in aller gebotenen Kürze und in Anlehnung an das bekannte Zitat von Novalis lauten: „Immer nach Hause…“ Damit kann eine tiefe menschliche Sehnsucht nach Heimat und letzter Geborgenheit ihren Ausdruck finden.
In einem bekannten Kirchenlied heißt es: „Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh´, mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu.“31 Im Blick auf die Ewigkeit – die schon im Hier und Jetzt beginnt32 – kann sich manches relativieren, anderes aber eine neue Wertigkeit erhalten. Der Mensch „wird dort nur ankommen, wenn er aus sich selbst auszieht und sich auf den Weg zu Gott macht, der ihn anzieht und solange auf den Weg schickt, bis er sich nicht mehr bei Vorläufigem aufhält, sondern bei Gott selbst ankommt und bei ihm für ewig daheim ist. Im Wandern übt er sich in die Bestimmung seiner Existenz ein.“33 Entscheidend für eine Theologie des Weges ist dieses letzte Ziel, an dem sich gläubige Menschen orientieren.
Menschen sind mit Endlichkeit und Vergänglichkeit konfrontiert. Umso wichtiger ist eine Haltung der Zuversicht und christlicher Hoffnung, dass mit dem Tod nicht einfach „alles aus ist“. In diesem Zusammenhang betont Eugen Drewermann: „Vertrauen kann sich nur ergeben, wenn wir unser ganzes Leben aus der Endlichkeit hinüber ins Unendliche öffnen.“34 Unter der Perspektive eines „Vertrauens in Gottes Ewigkeit“ ist er überzeugt: „Man muss und darf mit Jesus lernen, sich ganz und gar in Gottes Hand zu geben, hoffend, dass jenseits der Schranke des Todes sein Himmel sich öffnet für uns alle und bestätigt, was Jesus von Gott als seinem Vater her in die Welt hat bringen wollen: eine Güte, die den Tod überwindet, die alle Schuld abträgt durch Verstehen und Vergeben und die uns zusammenführt in der Gemeinschaft aller.“35 Somit weist diese letzte Orientierungstafel auf unserem Lebens- und Glaubensweg über die Grenzen menschlicher Existenz hinaus und zeigt in eine unermessliche Weite. Sie führt zu einem christlichen Heilsoptimismus, dass Gott einmal alle und alles zur Vollendung führen wird.
31 In: GOTTESLOB. Kath. Gebet- und Gesangbuch, Stuttgart 2013, 548 (Nr. 505). 32 Vgl. dazu folgende Ausführungen: Steindl-Rast, David: 2021, 81ff.; dort lautet ein eigenes Kapitel: „Das Jetzt – im Schnittpunkt von Zeit und Ewigkeit“. 33 Grün, Anselm: 2002, 76. 34 Drewermann, Eugen: 2020, 47. 35 Ebd., 77f.
GOTT HOLT HEIM
Die Fesseln von Raum und Zeit werden durchbrochen. Gott holt heim. Alles, was schwer und mühsam war, bleibt zurück. Die Grenze ist überschritten. Ein neues Land – und doch irgendwie Altbekannt und vertraut.

Heimkommen
Andrea Schwarz36
Die Philosophin und Karmelitin Edith Stein (1891–1942) – eine große Mystikerin mit einer denkerischen Weite und spirituellen Tiefe – hat im Laufe ihres bewegten Lebens- und Glaubensweges eine wichtige Einsicht gewonnen: Erst die Grenze des Todes gibt dem Leben seine besondere Be-Deutung und seine Ernsthaftigkeit. „Zum vollen Menschenleben gehört ein Seinsverständnis, das vor den Letzten Dingen nicht die Augen schließt. Die Erwägung des Todes sollte uns zum Verständnis des eigentlichen Seins helfen. Eigentlich leben heißt, die eigensten Möglichkeiten verwirklichen und den Forderungen des Augenblicks, den jeweils gegebenen Lebensbedingungen entsprechen.“37 Es gilt also, hier und heute das Mögliche zu tun.
Damit lässt sich ein weiterer bedeutsamer Gedanke von ihr verknüpfen: „Uns bleibt die Sehnsucht nach der Fülle des Lebens, bis wir durch das Tor des Todes eingehen dürfen in das schattenlose Licht.“38
36 Schwarz, Andrea: 2008, 41. 37 Edith Stein – Öffne dein Herz für das Licht. Worte geistlichen Lebens. Ausgewählt von Reinhard
Abeln, Kevelaer (Butzon & Bercker) 2007, 57. 38 Edith Stein Gesamtausgabe, Bd. 18: Kreuzeswissenschaft. Studie über Johannes vom Kreuz,
Freiburg (Herder) 4. Aufl. 2013, 175. Im Kapitel „Brautsymbol und Kreuz (Mystische Vermählung,
Schöpfung, Menschwerdung und Erlösung)“ heißt es dort: „Und es bleibt ihm der Schmerz der
Sehnsucht nach der Fülle des Lebens, bis er durch das Tor des wirklichen leiblichen Todes eingehen darf in das schattenlose Licht.“