
1 minute read
GEDANKENZU EUROPA
by soj.at
Das Du-Wort
Dritter im Kreis meiner politischen Wegweiser in Sachen EU-Beitritt war der langjährige Außenminister und Vizekanzler Alois Mock, vielen von uns wegen seiner Rolle beim Fall des Eisernen Vorhangs noch als Mister Europa in bester Erinnerung – Stichwort Stacheldraht. Alois war eigentlich kein Beitrittsbefürworter, jedenfalls nicht von Anfang an. Für ihn war wie für fast alle seiner politischen Zeitgenossen das von den Völkerrechtlern der Uni Wien bestimmte Verständnis der Unvereinbarkeit von klassischer Neutralität und EUMitgliedschaft unverrückbares Dogma.
Advertisement
Es brauchte viele Gespräche und zum Teil heftige Diskussionen, die damals im Umfeld der engeren Führungsspitze der ÖVP stattfanden, ich dank meiner Rolle als bunter Busek-Vogel und junger aufmüpfiger Provinzwissenschaftler mit dabei. Nach und nach gelang es Alois Mock zu überzeugen, dass Mitte der Achtzigerjahre die EU selbst für neutrale Staaten vielleicht doch nicht mehr die verbotene Frucht war, wie noch in langen Jahren des kalten Krieges zuvor. Massiv geholfen hat damals der Stimmungsumschwung in der SPÖ, deren neuer Kanzler Franz Vranitzky ein viel unverkrampfteres Wirtschaftsdenken in die Beitrittsdebatte einbrachte. Erinnern wir uns an das Krainer-senDictum vom Verhungern in der Neutralität. Nach dem berühmten Brief nach Brüssel dauerte es dann immerhin noch eine kleine Ewigkeit bis zur letzten Runde der Beitrittsverhandlungen Ende Februar 1992. Als Teil der riesigen Verhandlungsdelegation - mehr als 100 Vertreter von Politik, Sozialpartnern und „Sonstigen“ - habe ich diese insgesamt fünf Tage und Nächte miterlebt. Sie waren, um es kurz zu fassen, anstrengend aber im Endeffekt doch loh- nend. Bis heute in lebhafter Erinnerung geblieben ist mir die Begegnung zwischen Jaques Delors, damals Präsident der Kommission, und Alois Mock, kraft seines Amtes als Außenminister Leiter unserer Delegation.
Die formellen Verhandlungen fanden im Gebäude Charlemagne statt, damals Sitz des Rates. Zu einem informellen Treffen mit Delors hatte unser EU-Botschafter gebeten, es stand wieder einmal Spitz auf Knopf, und wir waren alle schon auf dem Sprung zum Lift in den 12. Stock, der österreichischen Delegation standen einige kleine Zimmer im dritten Stock des Ratsgebäudes zur Verfügung. Plötzlich war Jaques Delors im Dritten, mit Krücken, er hatte extreme Rückenprobleme, und Alois Mock, noch schwerer von Krankheit gezeichnet, erhob ich mühsam von seinem Sessel: „Wir wären doch zu dir hinaufgekommen, Jaques!“ Der Kommissionspräsident winkte ab: „Passt schon Alois, dir gehts viel schlechter als mir!“ Von allem anderen abgesehen, habe ich damals gelernt, dass gute persönliche Beziehungen auch auf der großen Bühne der Weltpolitik wichtig sind!