Galéria – Ročenka SNG 2004–2005
Künstlerische Beziehungen in der Grabmalkunst der westlichen und nordwestlichen G e b i e te d e s K ö n i g r e i c h s Un g a r n i m S p ä t m i t t e l a l t e r PÁL LŐVEI
Die westlichen und nordwestlichen Gebiete des Königreichs Ungarn legen – so wie viele andere Randgebiete – Zeugnis von verschiedenen künstlerischen Einwirkungen aus dem In- und Ausland ab, und in dieser Hinsicht bilden die Grabdenkmäler des Gebietes eine sehr charakteristische Gruppe. Die künstlerisch-handwerklichen Beziehungen der Grabdenkmäler können im Zusammenhang mit zwei bedeutenden Gruppen von Auftraggebern – dem Hochadel und der Bürgerschaft – behandelt werden. In diesem Gebiet spielte die Stadtentwicklung westlichen Typs seit dem Modernisierungsvorgang des 13. Jahrhunderts eine besonders wichtige Rolle. Diese Entwicklung gründete sich nicht auf das Handwerk, sondern fast ausschließlich auf den Fernhandel – auf dem für uns jetzt interessanten Gebieten den Handel zwischen den Hauptstädten Ofen (Buda) und Wien beziehungsweise Prag –, ferner zwischen Ungarn und Österreich, den süddeutschen Ländern und Böhmen. Für das ungarische Städtischwerden bedeutete es eine Beschränkung hauptsächlich auf die Region zwischen Ofen und Wien. Die hiesigen königlichen Städte: Stuhlweißenburg (Székesfehérvár), Gran (Esztergom), Raab (Győr), Preßburg (Bratislava, Pozsony) und Ödenburg (Sopron) haben in der Stadtentwicklung Ungarns einen führenden Platz eingenommen. Daneben war die Urbanisation am westlichen Rand des Landes gar nicht typisch. Statt des Netzes von dorfähnlichen Märkten war hier die Kleinstadt charakteristisch, wie die mit Stadtmauer umgebenen Eisenstadt (Kismarton; Komitat Sopron; Burgenland, Österreich)1 und Güns (Kőszeg; Komitat Vas) in der Umgebung von Ödenburg, beziehungsweise Bösing (Pezinok, Bazin; Komitat Preßburg) und Modra (Modor; Komitat Preßburg) nördlich von Preßburg beweisen.2 Das zweite für unsere Untersuchungen wichtige Charakteristikum zeigt sich im System der Beziehungen des Hochadels dieses Gebietes, wo sich seit dem 13. Jahrhundert die wichtigsten Gutsbesitzerfamilien – z. B. früher die Güssinger (die Kőszegis), später die Mattersdorfer (die Nagymartonis oder Fraknóis), die Grafen von Sanktgeorgen und Bösing (die Szentgyörgyi und Bazinis), die Familien Kanizsai, Szécsi, Hédervári, Bánfi von Unter Limbach, Ellerbach – zeitweise
politisch, teilweise auch sprachlich (z. B. die Grafen von Sanktgeorgen und Bösing, die ihre Briefe deutsch und nicht, wie es in Ungarn allgemein üblich war, lateinisch geschrieben haben), und sehr oft auch kulturell nach der Steiermark und Österreich orientierten. Diese Familien traten nicht nur miteinander, sondern auch oft mit den Familien von der anderen Seite der Grenze in Verwandschaft.3 Die gebräuchliche Anrede der Mitglieder solcher Familien war bis Anfang des 15. Jahrhunderts der „Meister“ (magister), manchmal wurden sie mit dem Titel „Ritter“ (miles) geehrt. Es erscheint aber, dass diese Möglichkeiten die mit der deutschen Kultur in Verbindung stehenden Burgherren des westlichen Grenzgebietes nicht befriedigen konnten. Sie – z. B. die Mitglieder der Familien Sanktgeorg und Bösing, Mattersdorfer, Kanizsai – hatten den vornehmeren deutschen Titel Graf (beziehungsweise den latei-
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Es wird sich immer auf die Komitatseinteilung des Mittelalters berufen. Über die Stadtentwicklung von Transdanubien zusammenfassend: ENGEL, Pál: A középkori Dunántúl mint történeti táj. In: Pannonia Regia. Művészet a Dunántúlon 1000–1541. [Ausst. Kat.] Budapest 1994, S. 14-15 [544]. Im 14. bis 16. Jahrhundert hatten z. B. die Grafen von Sanktgeorgen und Bösing Ehebeziehungen mit den Familien Polhaim, Pernegk, Sternberg, Pullendorf, Eckartsau, Waldstein, Stein von Schwarzenau, Schlick, Lichtenstein, Zelkingen, Sternbeck, Hohenberg, Klingenstein, Weisspriach, Pucheim, Neuperg: ILA, Bálint: A Szentgyörgyi és Bazini grófok birtokainak kialakulása. In: Turul, 41, 1927, S. 64; ENGEL, Pál: Magyar középkori adattár – Középkori magyar genealógia [Ungarische mittelalterliche Datenbank – Mittelalterliche ungarische Genealogie]. MTA Történettudományi Intézete, Arcanum Adatbázis Kft.: CD-ROM. Die um 1505 schön gemeißelte, rotmarmorne Grabplatte mit den beiden Wappen der Familien von Neuperg und von Sanktgeorgen und Bösing in der ehemaligen Stiftskirche von Pöllau (Steiermark, Österreich) ist ein materielles Zeugnis für die erwähnten – sie wurde für Hans von Neuperg († 1485) und seine Schwester, Elisabeth († 1503), die Frau von Christoph von Sanktgeorgen und Bösing gestellt. Die Platte wurde erwähnt: Steiermark (Dehio-Handbuch, die Kunstdenkmäler Österreichs). Hgs. Kurt WOISETSCHLÄGER – Peter KRENN. Wien, 1982, S. 367.