8 minute read

heims Haus St. Martin in Herten-Westerholt zu stemmen (s. Seite

Eine Bewohnerin nahm einen Umweg

80 Senioren bezogen neues Haus St. Martin in Herten-Westerholt

„Ach, da hängt ja noch ein Bild“, bemerkt Detlev Gruber, als er das letz te Mal sein Zimmer im alten Haus St. Martin verlässt. Die angehende Altenpfl egerin Diana Rohrig holt ihn ab. Detlev Gruber nimmt den kleinen Rahmen von der Wand und steckt ihn in die Jackentasche. Das übrige Gepäck und seine Möbel stehen schon im Neubau. Heute ist Umzug. 80 Bewohnerinnnen und Bewohner beziehen an diesem 3. Dezember ihr neues Zuhause. Nach anderthalbjähriger Bauphase ist auf dem Nachbargrundstück ein komplett neues Seniorenheim entstanden: Viel heller und freundlicher, mit breiten Gängen, großzügigen Aufenthaltsbereichen, auf 4270 Quadratmetern Fläche, nur noch auf zwei Stockwerke verteilt. Noch ragt der sechsgeschossige Altbau neben dem neuen Gebäude hoch, der nach 45 Jahren ausgedient hat und heutigen Ansprüchen nicht mehr genügt. Er wird nach dem erfolgten Grundstückstausch mit der Stadt Herten 2021 abgerissen.

„Nicht dran gehen“: Pfl egekräfte meistern mit Transportwagen den Umzug.

Der Nieselregen stört die Pfl egekräften und Senioren an diesem Tag wenig. Meist geht es gut gelaunt von einem Haus ins andere. Beide Eingänge sind knapp 300 Meter voneinander entfernt.

Die Nachteile des alten Hauses werden noch einmal off ensichtlich, als die Bewohnerinnen und Bewohner vor dem Aufzug im vierten und fünften Stock mit ihren Begleitern Schlange stehen. Da die Pfl egebett en nur in den größeren Aufzug passen, fahren die Senioren mit dem kleinen nach unten. Wenn sie im Rollstuhl sitz en, ist darin nur für einen Platz .

Als der Altenpfl egehelfer Patrick Köster die 74-jährige Renate Weiß in den Aufzug schiebt, erklärt er ihr: „Sie müssen jetz t alleine fahren. Wir sehen uns dann unten wieder.“ Und schon muss sich der Altenpfl egehelfer beeilen. Durch das Treppenhaus eilt er mit FFP2-Maske fünf Etagen nach unten ins Kellergeschoss, um sie Seniorin wieder in Empfang zu nehmen. Von hier aus geht es dann hinüber in das neue Haus. „Ich habe das neue Zimmer vor ein paar Tagen gesehen. Da war es noch leer. Ich bin gespannt, wie es jetz t aussieht. Das ist schon aufregend“, sagt die Heimbewohnerin. Fest umklammert sie ihr Radio, das vor ein paar Minuten noch in ihrem alten Zimmer lief und gleich im neuen angeschlossen wird. Patrick Köster nimmt ein wenig Schwung und schiebt sie über eine Schräge hinauf in die Lieferanten-Einfahrt, die heute noch einmal regen Verkehr erlebt.

Und als Patrick Köster schon wenige Minuten später mit Renante Weiß durch den Eingang des neuen Gebäudes fährt, wird sie – wie alle Senioren – mit Jubel empfangen. Betreuerin Maria Oreskou strahlt Renate Weiß an und reicht ihr ein Glas Sekt: „Herzlich willkommen!“

Pfl egekräfte sind Umzugshelfer Die Pfl egekräfte sind an diesem Tag alles auf einmal: Betreuer, Empfangskomitee, Umzugshelfer. Gleichzeitig müssen ihre Pfl egedokumentationen, Arbeitsmaterialien und Computer den Standort wechseln. Da ist Kondition gefragt. „Und vor allem dürfen wir in diesem ganzen Durcheinander nicht den Überblick verlieren“, sagt Wohnbereichsleiterin Katharina Bodden, als sie ihre Ordner zusammenpackt. Ebenso sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Küche gefordert. Ihnen fehlt die Spülstraße, die an diesem Tag in dem einen Gebäude ab- und in dem anderen aufgebaut wird. Außerdem müssen sie morgens für zwei Häuser kochen: 40 Bewohnerinnen und Bewohner nehmen das Mitt agessen noch im alten Heim ein, 40 schon im neuen.

Ausnahmsweise dürfen die Pfl egekräfte an diesem arbeitsintensiven Tag ihre Masken schon mal abstreifen. Früh morgens waren sie alle auf Corona getestet

Sechs Etagen: Das Treppenhaus im Altbau Betreuerin Maria Oreskou bringt Margarete Wirwalski in ihr Zimmer. Freundin Ingeborg Eff enberg wartet schon.

worden. Und alle Tests blieben negativ. „Normalerweise hätt en das THW, die freiwillige Feuerwehr, weitere ehrenamtliche Unterstütz er und nicht zuletz t die Angehörigen mitgeholfen. Aber aufgrund der Pandemie ist das nicht möglich. Einzige Unterstütz ung ist ein Umzugsunternehmen, das die schweren Pfl egebett en transportiert. Auch die können wir ja erst heute vom einen Haus ins andere bringen“, erklärt die neue Heimleiterin Linda Agiri. Sie übernahm im Frühjahr die Hausleitung von Gisela Gerlach-Wiegmann, die in den Ruhestand ging (s. Artikel rechts/blickpunkt 1-2020). Und sie durfte sich dann gleich mit den Vorbereitungen auf den Umzug auseinandersetz en: „Aber ich kann hier auf ein großartiges Team zurückgreifen. Viele haben freie Tage und Urlaub investiert, um beim Umzug zu helfen.“

Das stellt auch die 96jährige Elise Langbein fest: „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben Großartiges geleistet. Wir sind alle alt und krank. Deshalb hatt en wir schon etwas Angst. Aber der ganze Umzug

Betreuerin Maria Oreskou bringt Margarete Wirwalski in ihr Zimmer. Freundin Ingeborg Eff enberg wartet schon.

ist vorbildlich organisiert.“ Linda Agiri ist ganz gerührt, als sie dieses Lob hört. „ “ Viele haben freie Tage und Urlaub investiert, um beim Umzug zu helfen. Linda Agiri, Heimleiterin

Tatsächlich hatt en die Planungen für den Umzug schon vor über einem Jahr begonnen, als die Wohnbereiche so zusammengelegt und nach und nach verkleinert wurden, wie es der jetz igen Struktur des Hauses entspricht. „So konnten sich unsere Bewohnerinnen und Bewohner schon mal aneinander gewöhnen. Wenn sich diese Konstellationen erst mit dem Umzug verändert hätt en, wäre das für diejenigen, die nicht so gut orientiert sind, schwierig geworden“, sagt Pfl egedienstleiterin Christiane Kasperczak. Auch seien bei der Zusammenstellung der vier neuen Wohnbereiche die Wünsche der Senioren berücksichtigt worden – „Und das hat funktioniert.“ Von dem Neubau sind die Bewohnerinnen und Bewohner ebenso angetan wie das Mitarbeiter-Team. Diana Rohrig ist die Begeisterung

Knapp 300 Meter Fußweg trennen die Häuser. Die angehende Altenpfl egerin Diana Rohrig zeigt Berta Droste die neuen Aufenthaltsbereiche. jedenfalls anzumerken. Als sie mit der 87-jährigen Berta Droste in den Neubau kommt, führt sie sie erst einmal durch die Aufenthaltsbereiche, bevor es aufs Zimmer geht. „Gucken Sie mal hier: Ein Getränkespender. Da dürfen sie jederzeit kühles Wasser holen. Mit und ohne Kohlensäure“ Dann dreht sie die Seniorin im Rollstuhl einmal um und zeigt ihr die Wohnküche: „Hier können Sie sich tagsüber treff en und zum Beispiel auch mal Plätz chen backen.“ Und schließlich macht sie mit Berta Droste noch einen Schlenker an das hintere Ende des breiten Flures, wo vor bodentiefen Fenstern in Richtung Garten gemütliche, neue Couchmöbel stehen. „Und das hier“, verrät die angehende Altenpfl egerin im dritt en Lehrjahr, „ist jetz t schon mein persönlicher Lieblingsplatz .“

Berta Droste lächelt und nickt immer wieder. Ebenso, als sie ihr neues Zimmer erreicht. „Sehen Sie sich mal das Bad an. Keine lästige Duschtasse mehr. Alles ebenerdig. Viel größer und viel heller“, erklärt Diana Rohrig. Die Bewohnerin wirkt glücklich, als sie sich umsieht. „Und hier bleibe ich jetz t für immer?“ So richtig kann sie es noch gar nicht fassen. Auch die Möbel stehen schon alle am richtigen Platz . Und die Bilder hängen schon. Wie bei Detlev Gruber. Nur ein Bild fehlt bei ihm noch an der Wand. Das zieht er jetz t aus seiner Jackentasche. Erleichterung am Abend So kommen alle 80 Bewohnerinnen und Bewohner bis zum späten Nachmitt ag gut im neuen Haus St. Martin an. Selbst die 86-Jährige, die einen Umweg nahm. „Sie war morgens im Bad gestürzt. Vielleicht schon vor Aufregung“, berichtet Christiane Kasperczak. Also wurde die Seniorin mit einem Krankentransport ins Gertrudis-Hospital gebracht und untersucht. Aber außer Prellungen hatte sie nichts. Daraufh in brachte sie der Krankenwagen wieder zurück – ins neue Haus. „Sie kam ganz fröhlich hier an“, meint die Pfl egedienstleiterin. Und natürlich bekam auch diese Bewohnerin zum Willkommen ein Glas Sekt. martinus.smmp.de

Linda Agiri ist angekommen

„Es ist fast so, als sei ich schon immer hier gewesen“, lacht Linda Agiri. Dabei arbeitet sie erst seit Anfang Mai im Haus St. Martin in Herten-Westerholt. Und seit dem 1. Juni ist sie offi ziell Heimleiterin.

Aufgewachsen in Gelsenkirchen, absolvierte Linda Agiri nach ihrem Abitur zunächst eine Ausbildung als Krankenpfl egerin. Während sie in Bochum Pfl egewissenschaften studierte, arbeitete sie am Krankenhaus Bergmannsheil mit 30 Wochenstunden. Ihren Abschluss machte sie 2008. Über einen sechsmonatigen Einsatz als stellvertretende Pfl egedienstleiterin bei einem ambulanten Dienst wechselte sie in die Seniorenhilfe. „Es hat gedauert, bis ich in der stationären Altenpfl ege ankam. Mir gefällt, wie man in einem Heim zu Bewohnerinnen und Bewohnern längerfristige Beziehungen aufb aut. Das gibt es im Krankenhaus nicht“, sagt Linda Agiri. Auch erlebe sie im Haus St. Martin eine andere Atmosphäre im Team: „Hier sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon sehr lange dabei. Das ist eine große Stärke und spricht für diese Einrichtung.“

Die 39-Jährige bringt viel Erfahrung mit: Sie arbeitete bereits als Qualitätsmanagement-Beauftragte für drei stationäre Senioren-Einrichtungen. 2011 übernahm sie in einem dieser Häuser die Pfl egedienstleitung und 2014 die Heimleitung. „Das war gerade einmal acht Wochen nach der Geburt unserer Tochter“, lacht sie – „aber man kann sich die Zeitpunkte für neue Herausforderungen nicht immer aussuchen.“ 2018 wechselte sie zu einem neuen Träger nach Lünen, wieder als Heimleiterin. Und dann stieß sie eher zufällig auf die Stellenanzeige für die gesuchte Leitung im Haus St. Martin: „Es ist eine tolle Herausforderung, das Traditionshaus nach dem Umzug mit neuen Ideen weiterzuführen.“ Zudem sei das Haus St. Martin wohnortnah.

Nach wie vor lebt Linda Agiri mit ihrem Mann und ihrer inzwischen sechsjährigen Tochter in Gelsenkirchen. So bleibe auch ausreichend Zeit für die Familie. Außerdem ist sie gerne in der Natur. Und wenn sie Stress abbauen muss, fi ndet sie bei ihrem Hobby, dem FitnessBoxen, den notwendigen Ausgleich.