Zeilenweise - An der Grenze

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keinen Bezugspunkt und, viel schlimmer, oft keine Perspektive. Nah tl os i n di e Aus bi l dun g Höfer nennt einen konkreten Fall. Sie habe zuletzt zwei Schüler gehabt, von denen der eine die Förderschule mit einem guten Abschluss verlassen habe. Dieser habe dann eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker gefunden. Ein anderer Schüler sei von der Förderschule zur Hauptschule gewechselt und habe dort die zehnte Klasse wiederholt, um die Berufsschulreife zu erlangen. Wie sich herausstellte, mit einem schlechten Abschluss. Er suche noch immer vergeblich eine Ausbildungsstelle. "Viele Betriebe haben bemerkt, dass Schüler von Förderschulen ein stärker ausgeprägtes Arbeits- und Sozialverhalten haben", stellt die Schulleiterin fest. Ganz im Gegensatz zu den Schülern, die den Hauptschulabschluss mit großen Problemen machten. Andere, vor allem Wissenschaftler, sind gegensätzlicher Meinung. Sie wollen, dass auch beeinträchtigte Kinder ins allgemeine Schulsystem integriert werden. Professor Hans Wocken von der Universität Hamburg ist der Ansicht, dass Förderschüler, die an Regelschulen unterrichtet würden, bessere Schulleistungen aufwiesen, als jene, die eine Förderschule besuchten. Besonders die geistige Entwicklung würde leiden. "Wenn Kinder auf die Förderschule kommen, haben sie zwei Jahre Rückstand. Wenn sie entlassen werden, sind es drei bis vier Jahre." Vor allem ein einheitliches System zur Integration lernschwacher Schüler muss her. Denn im Aussortieren von Kindern ist Deutschland spitze. "Wir sind Weltmeister im Selektieren", so Wocken. Kein anderes Land könne da mithalten. Die Skandinavier und Italiener hätten keine Förderschulen und auch die USA würden ihre Kinder besser integrieren als die Bundesrepublik, kritisiert der Wissenschaftler. " Abf al l e i m e r de s S ys te m s " Der Hamburger Professor würde die Schule der "Unterschicht, Armen und Ausländer" am liebsten sofort abschaffen. Er bezeichnet sie als den "Abfalleimer des Systems". Es herrsche ein Schulwesen, in dem "Schmuddelkinder" abgeschoben würden. Und das sei undemokratisch. Integration sei der

weitaus bessere Weg. Vor 120 Jahren sei es legitim gewesen, wenn Kinder in der Schule nicht mitkamen. In den Klassen wurden zumeist 80 Schüler von einem Pädagogen unterrichtet. Heute sind die Bedingungen in den Schulen sehr viel besser. Dennoch sei ein Bewusstsein entstanden, Förderschulen seien aufgrund der Nachkriegserfahrungen notwendig. "Das", so Wocken, "ist allerdings falsch." Seinen Vorschlag, jedes Kind mit Lernschwächen oder Behinderungen in die Regelschule zu integrieren, begrüßt Höfer - im Prinzip. Voraussetzung sei, dass weiterhin ausreichend Förderungen bereit stünden, um die schwächeren Schüler wie bisher zu unterstützen. Denn das kostet Geld. Derzeit sähe es jedoch nicht so aus, als ob zusätzliche Mittel investiert würden. Daher hält sie die Förderschulen weiterhin für sinnvoll. In einem Punkt stimmt die SchuldirekAnzeige

torin dem Wissenschaftler zu: Ein bundesweit einheitlicheres System sei wünschenswert. Derzeit ist die Lage von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Da könne man einen Farbeimer nehmen, eifrig drauf los mischen und hoffen eine schöne Farbe zu erwischen. Solange jeder macht, was er für richtig hält, ist man von einer strukturellen Lösung des Problems weit entfernt. Der Streit um den Nutzen oder Schaden der Förderschulen scheint kein Ende zu nehmen. Bis es zu einer adäquaten Lösung kommt, glüht der Schwelbrand weiter vor sich hin. Doch solange nur an den Rändern gelöscht wird und konkrete Maßnah-men ausbleiben, wird weiterhin auf Kosten der Schüler mit dem Feuer gespielt. Das Problem: Aus einem Schwelbrand kann schnell ein Großbrand werden.

Dennis Leiffels


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