SLEAZE 38

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Gekommen um (lange) zu bleiben

Die Headline-Tour deiner Band ist ausverkauft, wenn du auflegst passt keine Model mehr in den Club, im Sommer füllst du alleine riesige Open-Airs? Glückwunsch. Anscheinend hast du es geschafft. Deine harte Arbeit hat sich gelohnt, die Jahre voller Entbehrungen und Anstrengungen zahlen sich aus – im wahrsten Sinne des Wortes. Irgendwie rollt der Rubel und so richtig weißt du zwar nicht warum, aber mittlerweile kannst du von dem, was du da auf dieser riesigen Bühne machst, sehr gut leben. Vorbei sind die Zeiten, als du in kleinen, feuchten, unbeheizten Punkerschuppen schales Bier genippert hast und an das elende Flyerdrucken am heimischen Rechner kannst du dich nur noch vage erinnern. Alle zwei Jahre, wenn du durch die Plattenregale vom Elektronik-Superstore schlenderst, steht dein neues Album in den Top10 und auf der Straße erkennen dich deine Fans. Letztens waren du und deine Entourage auf dem Cover von diversen Magazinen und im besten Fall wird deine neue Single der Einspieler zur diesjährigen Fussball-Weltmeisterschaft. Willkommen auf dem Musik-Olymp. Das Leben könnte schlimmer sein, oder?

oder wenn er vor Stadien spielt. Ich glaube das kommt ganz auf den eigenen Anspruch an. Das ist absolut Auslegungssache. Als Mensch hat man es geschafft, wenn man stirbt – dann hat man es nämlich hinter sich. (lacht) Und bis dahin wird man sich immer wieder mit Sachen auseinandersetzten müssen, denn sobald ein Ziel erreicht ist, steht man vor neuen Problemen und Herausforderungen. Dein Wollen wird dann weitergehen.

WESTBAM Was braucht ein Musiker in Deutschland, um den großen Durchbruch zu schaffen? Oh, das finde ich aber sehr schwierig zu beantworten. Da muss man jetzt sehr allgemein drüber sprechen. Für den Durchbruch brauchst du: Glück, irgendeine Ansage, die einerseits neu ist, wonach aber auch Nachfrage besteht und Vergrößerungsmechanismen, womit man zu seinen Leuten durchdringt. So könnte man das sagen. Wann hat man es deiner Meinung nach als Musiker „geschafft“? Das hängt davon ab, worauf man zielt. Der Eine sagt sich, er hat es geschafft, wenn er einmal im Leben seine eigene Musik auf Platte in Händen hält, eine Plattenfirma gefunden hat, oder vor ein paar hundert Leuten spielt. Ein Anderer hat es für sich geschafft, wenn er 100.000 Platten verkauft hat, wenn er eine Goldene verliehen bekommt, wenn er eine Platin hat

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Deine Meinung zur GEMA? Wenn ich hier für Musiker sprechen darf, dann sage ich: „Die GEMA, das sind wir!“ Wir, die Autoren, haben uns in einem Verein organisiert, um unsere Interessen zu wahren. Wie das mit Vereinen so ist, werden sie groß und es läuft nicht immer alles rund. Ich möchte mich aber nicht dem allgemeinen GEMA-Bashing anschließen, denn das finde ich so nicht richtig. Man kann nämlich nicht sagen, dass die Autoren in den letzten Jahren besonders geschunden worden sind. Wenn man in den 70ern, 80ern, oder auch noch gute Teile der 90er Jahre ein Musikstück geschrieben hat, dann hat man dafür einen fairen Anteil gekriegt und wenn viele Leute die Musik gehört haben, ist man damit sogar reich geworden. Heute ist es so, dass man sich – vor allem als kleiner Musiker – eigentlich nur noch durch live spielen über Wasser halten kann und als Autor schon fast gar nicht mehr. Genau da kommt die GEMA ins Spiel, die dagegen steht, dass Leute Musik klauen und sich alles umsonst besorgen. Ich weiß, die Leute sind dann immer völlig verstört, wenn die GEMA irgendwas auf Youtube sperrt, oder sonst was. Dann sagen sie: “GEMA kacken!“ und solche Sachen. Genau diese Leute haben aber auch irgendwelche Jobs und wenn denen am Ende des Monats einer sagt, dass es kein Geld gibt, wundern sie sich natürlich auch, weil sie ja gearbeitet haben. Ich finde in sofern auch voll in Ordnung, dass die Clubs und DJs jetzt etwas abdrücken müssen und auch – beispielsweise – wenn eine Disse von 10€ Eintrittspreis einen Euro an die GEMA abgeben muss. 1€ für die Musik finde ich nicht zu viel. Ich kann da den Aufschrei nicht ganz verstehen. Was ich aber noch weniger verstehe

ist, dass Diskothekenbesitzer Millionäre werden können, während Musiker am Hungertuch nagen. Es wird einfach nicht fair verteilt. Das Geld wird in einen Topf geworfen – das behält nicht die GEMA, was ja auch einige denken – und dann nach einem bestimmten Verteilungschlüssel an die Künstler ausgeschüttet. Der Schlüssel ist allerdings momentan so angelegt, dass der, der Erfolg hat, nach deren Meinung wohl auch am meisten gespielt wird in den Clubs. Am Beispiel von Techno heißt das, die Autoren und Betreiber müssen Geld abdrücken und weil die gespielte Musik nicht eindeutig zuordenbar ist, bekommt das Geld David Guetta, weil man sagt, im Berghain oder sonst wo wird schon seine Musik gelaufen sein. An der Stelle betreibt die GEMA Kulturpolitik, die die Einflussreichen einflussreicher macht und denen, die sowieso zu kämpfen haben, das Leben zusätzlich erschwert. Ich nehme an, der Verteilungsschlüssel ist einfach aus Doofheit und nicht aus Bosheit so. Das ist kein böser Verein, die Umsetzung ist nur ein wenig misslungen. Was macht einen guten Elektro-DJ aus? Das ist ein Mensch, der einerseits ein gutes Gefühl für Musik und andererseits ein gutes Gefühl für Menschen hat. Jemand der originell ist und seine originelle Persönlichkeit in Musik umzusetzen weiß und es auch versteht an die Menschen weiterzuvermitteln, die es ihm mit Begeisterung danken. (lacht)

Wenn ich hier für Musiker sprechen darf, dann sage ich: „Die GEMA, das sind wir!“

SLEAZE #38


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