Skip das Kinomagazin 2013 Dezember Jänner

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▶l Film Ein Mann, ein Boot, das Meer, ein Sturm: Aus minimalen Zutaten bereitet J. C. Chandor einen unvergesslichen Actionthriller.

Beginn des Treffens meinte er: „Ich wollte nur sichergehen, dass du nicht spinnst. Denn das hier ist das verrückteste Drehbuch, das ich je gelesen habe.“ Und er sagte zu. (lacht) Im letzten Jahr waren zwei große Bootsfilme bei den Oscars nominiert, Schiffbruch mit Tiger und Kontiki. War das ein Problem für Ihr Projekt? Schon Margin Call war genau ein Jahr nach dem zweiten Wall Street-Film von Oliver Stone rausgekommen, das war dieselbe Situation. Wir konnten damals nicht mehr raus aus dem Projekt – und unser Film war zum Glück trotzdem erfolgreich. Diesmal war es ähnlich, ich erfuhr erst spät von Ang Lees Schiffbruch mit Tiger. Aber was hätte ich tun sollen? Natürlich kann so ein Zufall für einen kleinen Film wie unseren dramatisch sein. Aber ich denke mir: Schiffbruch mit Tiger hat 600 Millionen Dollar eingebracht. Wenn nur jeder vierte Zuschauer davon unseren Film sieht, sind wir vorne dabei (lacht).

Gedreht wurde der Film zum Teil auf dem offenen Meer – und passenderweise in den Unterwasserstudios, die James Cameron für seinen Schiffbruchsfilm Titanic bauen ließ.

FOTO: FILMLADEN (1), ANDREA MÜHLWISCH (1)

Robert Redford hat schon lange nicht mehr unter der Regie von jemand anderem gearbeitet. Waren Sie eingeschüchtert? Nicht wirklich. Als er ans Set nach Mexiko kam, waren wir schon seit drei Monaten mit dem Aufbau beschäftigt. Er schaute während des gesamten Drehs kein einziges Mal auf meinen Monitor, er kam auch nie in den Schneideraum, erst kurz vor Fertigstellung, als ich sein Okay wollte. Das Filmen auf dem Wasser ist anstrengend und langwierig, und er verwandelte sich in den dreieinhalb Monaten Drehzeit mit Haut und Haar in diesen einsamen Segler: Vor allem in den letzten Szenen des Films sieht man, wie erschöpft er ist, er kann da kaum noch aufrecht sitzen. Er war wirklich kompromisslos. Das klingt, als wäre Redford ein fixer Kandidat für eine Oscar-Nominierung. Ja, das sehe ich auch so. Absurderweise war er in seiner ganzen Karriere erst einmal für einen Schauspiel-Oscar nominiert! Nach der Premiere in Cannes kam seine Frau zu mir und sagte: „So sehr wie in diesem Film ist es ihm noch nie wirklich gelungen, allen Selbstschutz fallen zu lassen und einfach nur vor der Kamera zu sein.“ Und da hat sie recht. Mir war das beim Dreh gar nicht so aufgefallen, aber auf der Leinwand sieht man es genau. Mich beeindruckt, wenn sich jemand mit 76 noch so ▶l MAGDALENA MIEDL sehr beweisen will.

All Is Lost One Man Show. Der kompromisslose AlterMann-und-das-Meer-Überlebensthriller von J. C. CHANDOR (Margin Call) ist die wahrscheinlich beste Rolle in der Karriere von ROBERT REDFORD. MIT LETZTER TINTE. Ein Mann schreibt einen

Brief, in dem er sich verabschiedet. Offenbar erwartet er für die allernächste Zukunft seinen Tod. Der Mann sitzt auf einer aufblasbaren Rettungsinsel, unter ihm der Indische Ozean, über ihm der Himmel. Und sonst nichts. Ein paar Tage zuvor: Der Mann, er hat das Gesicht von Robert Redford, ist einsam auf seinem Segelboot, offenbar seit vielen Tagen, und er scheint zufrieden zu sein. Dann aber schlägt das Boot leck, an einem riesigen Container, der im Meer dümpelt, verloren von einem Frachter. Wasser dringt ein, doch dem Mann gelingt es, das Loch zu flicken. Teile der Schiffselektronik sind aber vom Wasser beschädigt, der Mann macht sich an die Reparatur. Und dann zieht ein Sturm auf ... Regisseur J. C. Chandor kennt sich aus mit Havarien: Sein brillanter Regieerstling Der große Crash – Margin Call berichtete von den 24 Stunden vor dem großen Börsencrash 2008. In All Is Lost nun ringt Redford ohne falsches Heldentum gegen die Elemente und nimmt jede neue Hürde mit Fassung. Erst nach über einer Stunde, als sein Boot längst untergegangen und der Wasserproviant auf dem Rettungsboot verdorben ist, entkommt ihm ein verzweifeltes „Fuck!“, das wirkt wie eine emotionale Explosion in der endlosen Wasserwüste. All Is Lost funktioniert als eine Erzählung von der Zerbrechlichkeit des Daseins, von grandiosem Überlebenswillen. Vor allem aber ist es ein spektakulärer Actionfilm, der viel wagt – MM und bestimmt noch viel gewinnen wird. ▶l

10 01 2014

DRAMA. OT: ALL IS LOST. USA 2013. LÄNGE: 100 Min. BUCH & REGIE: J. C. Chandor. KAMERA: Frank G. DeMarco, Peter Zuccarini. SCHNITT: Pete Beaudreau. MUSIK: Alex Ebert. PRODUKTION: Justin Nappi, Teddy Schwarzman, Neal Dodson, Anna Gerb. DARSTELLER: Robert Redford. VERLEIH: Constantin.

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