SKIP - Das Kinomagazin, Ausgabe Dezember 2012 / Jänner 2013

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▶l Film In der Nacht sind die Katzen grau und die Menschen bunt. Und Julika (Friederike Kempter) ist überhaupt ein Fall für sich …

maßen geliebt wird. Wie erklärst du dir diesen Erfolg? Es überrascht mich selbst ein bisschen, wie dieser Film auf eine merkwürdige, magische Weise die Menschen interessiert. Vielleicht kommt es daher, dass er so ungewöhnlich erzählt ist – und weil er so ehrlich und integer daherkommt. Er hebt sich schon recht deutlich ab von den typischen deutschen Filmen. Es gibt ja sonst fast nur die „Berliner Schule“, das karge ArthouseKino mit seiner nüchternen Erzählweise; dann gibts die Romantic Comedy von Schweighöfer bis Schweiger; und dann noch die historische Schiene. Aber das, was wir gemacht haben, passt da nirgends rein. Vielleicht finden das die Leute erfrischend. Man muss ja nicht immer das Rad neu erfinden oder die Welt erklären, um etwas Erzählenswertes zu transportieren. Wenn am Ende des Tages Leute finden „Das hat auch was mit mir zu tun“, dann ist es irgendwie aufgegangen. Wie bei einem guten Song, den macht auch jeder zu seinem ganz eigenen Lied. Dein Spiel ist sehr zurückhaltend, du bist fast mehr Zuseher als Hauptfigur … Für mich ist der Film ja viel mehr ein Gesellschaftsporträt als das Porträt einer Person oder einer Generation. Ich habe versucht, mich zurückzunehmen, durch diesen Film zu gehen als jemand, der beobachtet, der in manchen Szenen erduldet und in manchen staunt, der einen sehr besonderen Tag erträgt. Er beobachtet sehr interessante Dinge, und kommentiert sie rein dadurch, dass er sie überhaupt bemerkt. Vielleicht macht das auch die Qualität des Films aus, dass da keiner ist, der große Erkenntnisse gewinnt, im zweiten Akt auf einmal ein Riesenproblem hat und das dann löst oder so. Es gibt keine Katharsis am Ende.

„Ich bin irgendwie Teil der Stadt, und die Stadt ist irgendwie Teil von mir.“

FOTOS: ANDREA MÜHLWISCH (2)

Wie bist du eigentlich bei diesem Filmprojekt gelandet? Der Regisseur und Autor ist ein langjähriger Freund von mir. Vor Jahren hat er mir das Drehbuch gschickt, er wollte einfach nur meine Meinung dazu hören – und ich hab sofort gesagt: „Das ist super, da will ich dabeisein!“ Du hast einen mittlerweile 6-jährigen Sohn, wie schwierig ist es für dich, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen? Meine Eltern und die der Mama wohnen alle hier in Berlin, also geht es immer irgendwie. Und manchmal nehm ich ihn auch mit zur Arbeit. Neulich war er bei einem Radiointerview mit dabei, das fand er recht spannend. Kennt er deine Filme? Dazu ist er noch zu klein. Aber er weiß, was ich mache und findets, glaub ich, ganz lustig. ▶l GINI BRENNER

Oh Boy Kein Geld, keine Freunde, kein Job und kein Ziel – also lässt sich Niko vom Leben durch Berlin treiben … Hinreißendes Stück Kino über den tiefen Sinn des scheinbar Sinnlosen. „VERSCHWENDE DEINE JUGEND“ sangen

die großartigen DAF 1981. Niko (Tom Schilling) hat ihren Ratschlag treu befolgt und ist jetzt schon einen Schritt weiter. Er ist Ende 20, die Jugend wurde erfolgreich vergeudet, das Jus-Studium längst hingeschmissen, der Führerschein ist nach einer kleinen Sauftour weg, Job auch keiner in Sicht. „Willst du einen Kaffee?“ fragt ihn in der Früh das Mädchen, das in ihn verknallt wäre, wenn ers nur ein bisschen ernster meinen würde. Niko lehnt ab – er will seinen Morgenkaffee lieber ohne sie trinken. Wenn er wüsste, wie lange er dieser Tasse Kaffee wird nachlaufen müssen – den einzigen wirklich konkreten Wunsch, den Niko eigentlich hat. Denn sonst weiß er überhaupt nicht, was er wirklich will. Dafür verlangt das Leben gerade ziemlich viel von ihm. Der Psychologe, dessen Bestätigung er braucht, den Führerschein wiederzubekommen, entpuppt sich als zynisch-dummes Arschloch. Nikos Vater, ein präpotenter Geschäftsmann, kappt ihm die Apanage – und Kaffee gibts bei ihm auch keinen. Sein vereinsamter Nachbar nervt mit grausigen Fleischbällchen (erraten: statt Kaffee). Als er schließlich gemeinsam mit dem selbternannten Lebenskünstler Matze auf Tour in die Berliner Nacht aufbricht, hat er immer noch keinen Kaffee intus. Langsam wirds auch zu spät für Kaffee. Als er zufällig seine ehemalige Schulkollegin Julika (Friederike Kempter) trifft, die inzwischen vom häßlichen Teenie zur wunderschönen, aber ziemlich gestörten jungen Frau herangewachsen ist, ist es höchste Zeit für ein paar Bier. GB ▶l

28 12 2012

TRAGIKOMÖDIE. Deutschland 2012. LÄNGE: 82 Min. BUCH & REGIE: Jan Ole Gerstner. KAMERA: Philipp Kirsamer. SCHNITT: Anja Siemens. MUSIK: Cherilyn McNeil, The Major Minors, Konstantin Gropper. PRODUKTION: Markos Kantis, Alexander Wadouh. DARSTELLER: Tom Schilling, Marc Hosemann, Friederike Kempter, Justus von Dohnányi, Michael Gwisdek, Ulrich Noethen. VERLEIH: Filmladen.

SKIP DEZEMBER/JÄNNER

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