Vierzehn Jahre - Ein Buch über Skateboardfahren

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Hamburg & die Spree


Wir hatten schon mehrere Touren gemacht, das war jetzt die Dritte. Die Tour war schon ein bisschen anders, als die vorigen es gewesen sind

Am Abend - nach dem Skaten - haben wir uns dann

... lag wahrscheinlich daran, dass wir wen dabei

alle bei Henrich in der Wohnung versammelt. Und

hatten – Kevin-, der nicht so Skateboard mäßig am

dann ging’ s auch schon los. Zack, zack, zack -

Start war, sondern eher die Leute unterhalten hat

alles gesoffen was wir da hatten. Die Stimmung

und schon mittags mit dem Trinken anfing.

war super gut, im Nebenzimmer wurde ein

Und irgendwie war' s was anderes – Skateboard

Konzertchen getrillert und man wartete eigent-

fahren war zwar im Vordergrund, aber wenn man

lich nur noch darauf, dass die wild gewordene

jemanden dabei hat, der nicht Skateboardfahrer

Bestien-Versammlung runter auf den Kiez gehen

ist und sieht, wie der sich ein kühles Bier rein-

würde, welcher sich tatsächlich direkt unter der

stellt, während man selbst am Abschwitzen ist,

Wohnung befand. Der Weg durchs Treppenhaus

dann lässt man sich schnell dazu verleiten mit

war eigentlich schon sehr schön ... es wurde ge-

einzusteigen ... und so kam das ... der verrückte

brüllt und gegrölt, und sämtliche Sachen, die man

Tag:

im Treppenhaus gefunden hatte, was so einige waren, da wohl irgendjemand gerade einen Umzug machte, wurden runtergeschmissen. Ich erinnere mich noch daran, dass auf einmal eine riesen Matratze unten auf dem Boden lag ... und all solche Geschichten. Es war auf jeden Fall sehr bizarr. Einen Drehstuhl hatten wir auf einmal auch und als wir draußen ankamen veranstalteten wir damit Rennen und schoben uns waghalsig zwischen den Leuten hindurch ... was für die meisten Menschen wahrscheinlich ziemlich schräg aussah, aber für uns Kasseler Dorfjungens war es um einiges schräger ... im Dschungel der Verrückten und Nutten und Besoffenen.


„Nichts,nichts, nur `ne Wette, nur `ne Wette!“


Vor irgendeiner Haustür legte sich Max Sand auf die unterste Stufe und ließ sich von Benne aus dem frisch geöffneten Mini-Bierfass einen Strahl ins Mundwerk schießen, was natürlich Aufsehen erregte. Unter anderem das einer wirklich irren Drei-Mann-Crew, welche Max 50 Euro dafür bot, dass er die Eier des Anführers in die Hand nahm.

Wie auch an der berühmten Esso-Tankstelle auf’ m

Max willigte ein, die Typen hauten kleinlaut ab.

Kiez, wo man für einen Euro ein halbes Kilo Crushed

Aber darüber muss man jetzt auch nicht genauer

Ice aus einem Automaten ziehen kann. Im Hand-

berichten. Es war halt ziemlich verrückt...

umdrehen war jener Automat Mittelpunkt einer völlig

Wir zogen weiter, standen immer nur kurz vor ir-

vorhersehbaren Wette und vollkommen besoffenen

gendwelchen Bars und tranken unser eigenes Bier.

Jungs, die sehen wollten, wie zwei Kilo Eis auf Martins

Zwischenzeitlich hat man sich dann aber doch in die

Kopf niederprasselten, dem man dafür drei Euro aus-

eine oder andere Bar verlaufen, wo man ein bisschen

zahlte – sofern er seinen Kopf bis zum Ende unter die

getanzt hat. Irgendwann landeten wir dann in der

Kanone hielt. Besoffen, gemacht. Irgendwann kam

Villa Kunterbunt, deren Eingang von Transen be-

der Türsteher von der Esso ... ich glaube aber, da

wacht wurde. Und da gab es Mexikaner für 50 Cent

wird nicht getankt, vielleicht tagsüber, aber abends

pro Shot. Kurze Zeit später kam Kevin mit zwei oder

tankt man da was anderes, he he he. Na ja, jeden-

drei Ein-Liter-Flaschen davon an und wir kippten

falls kam der und fragte, was wir da machen

das Zeug weg wie Fanta. So ging das die ganze Zeit

würden. „Nichts, nichts, nur `ne Wette, nur `ne

weiter und bei jeder Gelegenheit wurden Wetten

Wette!“, antworteten wir, „der Typ macht sich

abgeschlossen.

nur Eis in den Rücken.“


„Achso, geil!“, stellte der Türsteher fest und hat’ s auch komplett gefeiert. Video wurde gedreht – kannst du dir ansehen, ist eigentlich ganz geil...

„Ach

Auf jeden Fall war das nur die Vorgeschichte, weil man soll sich bloß ein bisschen hineinversetzen

können, wie das für uns so war, sich durch die-

sen Dschungel der wilden Tiere und Mäuschen und Nutten zu kämpfen ... in der Herbertstraße waren wir auch. Wir haben eigentlich alles mal

ausgecheckt und immer weiter gesoffen. Aber

irgendwann kam dann der Punkt, als viele von uns müde wurden. Man muss dazu sagen, es war auch

mittlerweile schon vier oder fünf Uhr morgens und der finale Tag zum Skaten und Filmen stand

uns noch bevor. Doch für manche war es auch der

finale Abend. Außerdem war ich noch nie auf’ m Hamburger Fischmarkt und ich war trotz allem höchst motiviert, da noch hinzugehen. Hab gehört, der ist wie `ne Kirmes. Ich war zwar nicht so interessiert an Fisch und solchem Quatsch und was es da sonst noch gibt, ich war einfach interessiert, mir das mal anzuschauen ... ich glaube, so einiges solltet ihr nachher rausschneiden...


hso, geil!“


Na ja, irgendwann waren wir halt nur noch zu dritt:

So ging es halt am laufenden Band ... „Wir ficken

der Martin, der Kevin und ich. Unterwegs zum

alle, wir ficken alle, wir sind die Coolsten.“

Fischmarkt war Kevin übrigens auf einmal der Rap-

Fischmarkt und Kiez, würde ich jetzt mal sagen, sind

per – hat die ganze Zeit gerappt und alle beleidigt.

zehn Minuten zu Fuß voneinander entfernt. Wir haben

Keine Ahnung, Kevin war halt ultra besoffen und

ungefähr eine Stunde gebraucht. Aber dann waren

irgendwie war er ein bisschen so „Joar, ich bin der

wir endlich da. Doch es war schon ganz schön grob

kleine Mann hier aus Göttingen, aber schieb’ mal

– ich erinnere mich an kaum noch viel. Es ist halt,

heut’ nen Heißen in Hamburg.“ Und so war der un-

wie gesagt, sehr schade, dass wir keine Sachen hat-

terwegs, die ganze Zeit und immer rumgeschrien:

ten, um Fotos zu schießen oder was aufzunehmen ...

„Wer will hier wetten? Wer will hier wetten?

kein Material mehr, um diesen Morgen festzuhalten.

Hamburg null Punkte, Kassel 1000 Punkte!“

Nur meine Erinnerungen. Und ich glaube, ich habe die beste Erinnerung von uns dreien.


Er pries ihn als besten Fisch der Welt an. Jedenfalls waren wir da und ich hatte mich schon die ganze Zeit gefreut, dort was zu essen. Und was machte Kevin? Kevin schien mir der TourMillionär zu sein – er hatte immer viel Geld in der Tasche. Anstatt Fischbrötchen, Bratwurst oder Pommes zu kaufen, bestellte er für 8,90 Euro Rotbarschfilet und bot der Händlerin fünf Euro extra, wenn sie ihm den Fisch mundgerecht portionieren würde. Er pries ihn als den besten Fisch auf der Welt an, aß dann aber doch nur zwei Happen davon und verschenkte den Rest an Martin.


Die ganze Zeit f auf die Anwese – dass wir aber i nicht in Berlin anfangs k


feierte man sich enheit der Spree in Hamburg und waren, merkte keine Sau.


Irgendwann ist einem dann aufgefallen, dass da ja

Aber irgendwie war es auch reizvoll zu sehen, wie

auch die Spree langfließt. Die ganze Zeit feierte

sich das entwickelt. Außerdem gab es so oder so

man sich auf die Anwesenheit der Spree – dass

kein Zurück mehr, weil Kevin lauthals rumbrüllte,

wir aber in Hamburg und nicht in Berlin waren,

dass hier in den nächsten Minuten Martin Rost von

merkte anfangs keine Sau. Und dann kam eine

einem Holzpfeiler in die Spree springen wird – „wer

der gröbsten Wetten, bei denen ich je dabei war.

gibt Geld?“ Anfangs waren die Leute skeptisch, aber

Eigentlich war es keine Wette, es war eher eine

als Kevin darauf hingewiesen wurde , dass das

Kirmesattraktion. Es fing damit an, dass wir am

hier nicht die Spree, sondern die Elbe ist und er

Ufer der Spree standen und unseren Fisch aßen.

damit anfing, das in seine Anpreisungen einzu-

Martin lehnte an einem der riesigen Holzpfeiler,

bauen und die Leute darüber hinaus als Spießer

an denen die Schiffe angebunden werden. Auf

hinzustellen, kamen immer mehr und warfen etwas

der anderen Seite ging es vier Meter runter bis

in die Mütze. Und zack hatten wir 18 - oder 17,50

zur Wassermarke. Kevin bot Martin fünf Euro,

Euro und ein Publikum von 40 Leuten, was applau-

wenn er es schaffen würde, auf dem Pfeiler stehend

dierte. Und dann, einfach so, machte Martin einen

im Kreis zu hüpfen. Martin, der nicht umsonst von

Köpper in die Elbe, war sogar ziemlich perfekt, hät-

Kevin den Spitznamen Schwester Rush erhalten

te sicher gute Punkte bekommen. Man muss dazu

hatte und noch vollkommen besoffen war, schien

sagen, die Elbe war super eklig und verdreckt,

der festen Überzeugung, er wäre dazu im Stande.

überall Bierflaschen von besoffenen Leuten und

Im Hintergrund hörte man immer diesen Markt-

saukalt war die auch. Na ja, er ist halt reinge-

schreier. Den Marktschreier haben schon viele

sprungen und damit dachte ich jetzt eigentlich,

ausgefeiert, dem haben auch viele zugehört...

na gut, das war’ s. Aber dann ist er hochgetaucht.

„Wollt ieehr nochn Aaal? Und hiieer, wennde noch

Irgendeine eine Frau wies ihn zu einer Leiter in der

ein Aaaal kaufst, kriegste nochn BAAARSSCCCHH

Wand, er kletterte hoch und als er wieder bei uns

dazuu!“ Und so was halt, ne?! Aber auf einmal

ankam, kletterte er auf den Pfeiler und sprang erneut

war halt Kevin Marktschreier Nummer Eins auf dem

ins Hafenbecken.

gesamten Platz. Und er schrie: „HIER, ER SPRINGT IN DIE SPREE! ER SPRINGT IN DIE SPREE!!" Warum auch immer, Martin stand bereits auf dem Pfeiler, hatte die Brille, das Shirt und die Schuhe schon ausgezogen und war zu allem bereit. Irgendwie hatte sich die Wette verändert. Anscheinend hatte man irgendwie kein Angstempfinden mehr. Eigentlich wollte ich ihm auch davon abraten, weil ich nirgends eine Möglichkeit zum Rausklettern sah, aus diesem Kack-Spree-Fluss da.


Er springt in die Spree!


„Guter Mann, was kostet’en hier so’n Hahn?“


Danach zog er sich Kevins Lederjacke über und

Dann ... ja, dann kamen wir leider an dem blödesten

trottete barfuß hinter uns her. Es war an der Zeit,

Stand auf dem gesamten Planeten vorbei. Es war ein

heimzugehen. Martin kam auch schon überhaupt

Tierstand. Es gab Kamele, äh, Kaninchen, Hamster,

nicht mehr klar. An dieser Stelle muss ich noch mal

Hühner, Hähne, Hähnchen, alles. Und eigentlich

kurz zurückspulen und von dem Penner erzählen,

wollte man nur checken, wie die Tiere aussehen

dem durch die Aktion auffiel, dass man auch viel

und darüber spekulieren, wie teuer die wohl sind.

schneller an viel Geld kommen kann, als immer

Als wir fragten, wie teuer der Hahn sei, meinte eine

nur nach einem Euro zu fragen. Also fing der auch

Frau aus der Schlange, das könnten wir uns eh

an, sich dahin zu stellen und den Leuten zu er-

nicht leisten. Wir sahen ja auch aus wie die letz-

zählen, er würde für Geld in die Elbe springen ...

ten Idioten. Der eine nass mit `ner Lederjacke und

aber der Drops schien gelutscht zu sein. Na ja, wir

voll verranzt, ich kam noch halbwegs klar, Kevin

waren eigentlich schon auf dem Heimweg, immer-

sah aus, als hätte er den ganzen Abend total krass

hin war es mittlerweile auch schon acht Uhr und

weinen müssen, es aber die ganze Zeit unterdrückt

da waren kleine Kinder mit ihren Eltern, es waren

hat und dadurch riesenhafte Tränensäcke bekam.

Opas da, aber nur noch wenige Besoffene oder Ju-

Jedenfalls meinte die Frau, wir könnten uns den

gendliche. Und Martin wurde die ganze Zeit richtig

niemals leisten, der würde 500 Euro kosten. Was

schräg angeguckt und von überall kamen blöde

wir ihr auch vollkommen abgenommen haben.

Kommentare ... „Na, warste dann Baden?“ und so

Trotzdem hakten wir noch mal bei dem Verkäufer

weiter.

nach, welcher übertrieben unfreundlich war. Wir fragten ihn: „Guter Mann, was kostet’en hier so’n Hahn?“ Erst hat uns der Typ gar nicht wahrgenommen. Da waren nur Rentner und Kinder, welche die Kaninchen gestreichelt haben und wir drei besoffenen Deppen. Man sah ihm an, dass er uns als Belästigung empfand und sich wahrscheinlich überlegte, wie er uns am Besten loswerden könne. Aber als er merkte, dass wir über Geld verfügten, entwickelte sich die Situation zu einem reinen Geschäftsgespräch. Eine Minute später hatten wir einen Hahn und fünf Kilo Kornfutter für die nächsten drei Monate. Der Hahn wurde um sein Leben krähend in einen Karton gepackt, das Futter gab’ s im Plastikbeutel dazu. Erst als wir uns ein paar Meter von dem Stand entfernt an einen Brunnen setzten, realisierten


wir, dass wir gerade einen lebenden Hahn gekauft hatten. Kevin bekam ein schlechtes Gewissen und begann, Passanten zu fragen, ob sie wüssten, wo man auf die Schnelle mit dem Zug hinfahren könne, um den Hahn an einem schönen Ort frei zu lassen. Nachdem jedoch der zweite Passant vorschlug, ihn abzukaufen und später zu schlachten, dachten wir über andere Möglichkeiten nach – der Hahn sollte auf jeden Fall überleben. Obwohl wir alle wieder einigermaßen klarkamen, war ich leider der Anführer. Denn ich kannte mich am wenigsten aus in Hamburg. Ohne den Weg also wirklich zu kennen, marschierten wir los und überlegten weiter, was wir mit dem Hahn anstellen sollten. Kevin kam auf die Idee, den Hahn irgendwie nach Homberg auf den Bauernhof des Musikschutzgebiets zu transportieren. Um das zu klären musste er aber erst mal irgendwen vom so genannten Grünhof anrufen. Und das war der Augenblick, als Kevin bemerkte, dass sein Handy irgendwie weg war. Also fing man an, es zu suchen. Aber es schien, als sei es für immer verloren. Kevin hat zwar andauernd rumgeheult, aber irgendwie musste es ja weitergehen ... also sollte Martin mit seinem Handy irgendwen anrufen, der einem die Nummer vom Adams oder Hubi oder Hühne geben konnte. Als Martin sein Handy aus seinem Beutel kramte, zog er auf einmal Kevins hervor. Zack, Bamm. Der erste Anruf ging sofort an Adams, der leider nicht zu erreichen war, also hinterließ er eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Wir versuchten andere Leute zu erreichen, aber entweder hoben die nicht ab oder verwiesen uns mit den Worten „Verpiss dich!"


Da standen wir also. Hatten einen Hahn und keine Ahnung was jetzt. Eins war jedoch klar – ihn in den Bus packen und mit neun Leuten dann zurück nach Kassel ballern, ohne zu Wissen, was dort mit ihm geschieht, war keine Option. Der wäre ausgerastet und gestorben vor psychischer Krankheit. Irgendwann kamen wir an einem Spielplatz oder Schulhof an, in der Nähe vom Park Fiction, wo wir beschlossen, den Hahn erst mal aus dem Karton zu lassen, denn der fing jetzt schon an, rum zu krächzen und mit den Flügeln an die Wände zu schlagen. Wir öffneten den Karton und aus dem winzigen Mini-Karton kam auf einmal ein halber Meter Hahn herausgeschossen, der sofort zu den Sandkästen sprintete und dort verwirrt einige Runden drehte. Ein riesig großer, schwarzer Hahn, mitten in Hamburg, mit Futter für die nächsten drei Monate, welches wir mit den Händen aus dem Beutel schöpften und in seine Richtung schmissen ... war er schlau, wäre er die nächste Zeit erst mal dort geblieben. Aber das haben wir nie erfahren. Wir haben zwar noch kurz überlegt, ob wir ihn nicht doch wieder einfangen sollen, aber dazu fehlte uns der nötige Elan und außerdem schien das immer noch besser zu sein, als am nächsten Tag geschlachtet zu werden. Somit verließen wir den Hahn, den wir vorher liebevoll Henry genannt hatten und machten uns auf nach Hause.


Dort angekommen, anscheinend doch nicht so

unter den Boards und einfach überall. Bei Facebook

nüchtern, wie man sich bereits gefühlt hatte, wollte

gab es plötzlich eine Gruppe, irgendwelche Leute

man natürlich noch allen von der Aktion berichten,

haben drunter geschrieben: „Hö, hihi, wir sind

allerdings traf man auf Menschen, die einfach nur

bald in Hamburg und suchen nach Henry, hihi,

schlafen wollten und denen es scheißegal war,

höhö!“ und all so einen Scheiß. Aber das Beste

was irgendwer mit irgendwas gemacht hatte, vor

ist, dass dieser scheiß Kevin H***mann seit dem

allem, wenn man schon jeden von ihnen mindestens

nur noch Kevin Hahn genannt wird. Viele wissen

einmal angerufen und mit dem Hahnproblem

nicht einmal, dass der in Wirklichkeit H***mann

vollgelabert hat. Martin war alles egal, der zog ein-

heißt und nicht Hahn.

fach die Jacke aus, legte sich mit komplett nasser Montur aufs Sofa und schlief sofort ein. Man teilte

Ja und das war die Geschichte von Henry Hahn,

Kevin und mir diskret, aber direkt mit, dass wir die

mit Martin Rost, Sven Langkabel und Kevin, der jetzt,

Schnauze halten und endlich schlafen sollten. Was

dank dieses einen Ausrutschers, den man nachts

wir dann auch taten.

dort getroffen hatte auf dem Fischmarkt, den Namen

Was aber wirklich cool war – und damit hätte ich

hat, den er leider niemals loswird. Für mich, von

auch niemals gerechnet - ist, dass diese so kleine,

meiner Seite, bleibt er auf jeden Fall immer Kevin

wilde Geschichte, der vollkommen besoffene Hah-

Hahn. Und ich bin sehr froh, dass ich nicht mit

nenkauf, derart weite Kreise gezogen hat, dass

den anderen nach Hause gegangen bin, sondern mir

kurze Zeit danach überall Sticker mit dem Aufdruck

dieses Elend anschauen durfte. Ich danke vielmals

„Have you seen Henry?“ und Illustration darunter

und wünsche euch eine schöne Zeit.

zu finden waren. In Kneipen, in Bars, in Clubs,



“ MALE MICH W WENN DU DIE FALTEN FORTL ICH DIR KEINE


WIE ICH BIN. E NARBEN UND LÄSST, ZAHLE EN SCHILLING.” - OLIVER CROMWELL




















WIE ICH ZU BEING JOHN MALKOVICH GEKOMMEN BIN


Als mein Opa gestorben ist, hat er mir seine Super-8-Kamera vererbt. Da war ich ungefähr fünfzehn und ich würde mal sagen, das hat damals so mein Interesse an Film und Video geweckt – von Video konnte man eigentlich noch nicht sprechen, war ja noch Super 8 ... da war Video so grad noch in den Anfängen. Na ja, und so hab ich halt schon mit fünfzehn mit dieser Super 8 rum experimentiert, so kleine Skateboardfilmchen gemacht. Irgendwann hatte ich dann mit ein paar Freunden eine Band und ... ich war schon immer sehr fasziniert von Verpackungen, ob das jetzt Plattencover sind oder Verpackungen von anderen Sachen und wie sie sich so aufs Produkt beziehen, was die dann in einem auslösen; so dieser emotionale Aspekt von Verpackungen – Film oder Video spielt ja mit denselben Mechanismen, also man hat Bilder und versucht den Zuschauer/ Betrachter in eine bestimmte Gefühlslage zu versetzen und das hat mich schon immer fasziniert. Mein erster Kontakt mit diesen Sachen war sicher so das Skateboardvideo, das war so das erste, was ich gemacht hab ... eben einfach durch den Schnitt, oder wenn man dann Musik drunter legt, wenn man einfach noch mal sieht, was das dann halt nochmal für einen Effekt gibt... Und als wir dann diese Band hatten, hatten wir zwar nur drei Lieder, aber wir hatten ganz schnell ein T-Shirt und Bandfotos und ein Video ... was wir ganz einfach mit Super 8 gedreht hatten - da gab es jetzt auch keine Story oder so,

sind einfach mit einem Auto darum gefahren, haben halt dieses Lied gesungen. Ich hab dann später alles zusammengeschnitten. Durch einige Wendungen fand dann unser Demo-Tape zusammen mit dem Video und dem T-Shirt ihren Weg zu einer Plattenfirma, die uns tatsächlich dann aufgrund dieser drei Lieder, des Videos und des T-Shirts unter Vertrag genommen hat. Ja, und das war ein ganz kleines Label – YoMama-Records in Hamburg, am besten bekannt durch Fettes Brot, Der Tobi und Das Bo, oder Fünf Sterne Deluxe später. Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu dem Labelchef und der hat mich dann irgendwann gefragt: „Ahh, du hast ja das Video für Cheese-Lyders gemacht...“ – das war unsere Band – „...und jetzt brauch Fettes Brot ein Video, wir wollen aber nicht viel Geld ausgeben – hast du nicht Lust, was zu machen?“ Gut. Dann hab ich wieder meine Super-8-Kamera ausgepackt und hab, eigentlich genauso wie ich meinen ersten Skateboardfilm gemacht hab, ein Video mit Fettes Brot gemacht ... mit ein bisschen Story so ... Strandparty und wie die Leute dahin kommen; also nichts Besonderes, würde man jetzt heute nicht als Koryphäe der Musikgeschichte feiern. Danach folgten dann auch andere Projekte und ich wollte jetzt natürlich nicht bei Super 8 stehenbleiben, sondern Sechzehnmillimeter – das war ja damals so der Standard, da sollte es hingehen.


HIER BEI

SPIKE JONZ EIN

PRAKTIKUM MACH OB DAS GEHT?


ZE

HEN

Ich hab dann für dieses Label in Eigenregie und kompletter Eigenproduktion - also immer nur mit Ein- oder Zweimannteams, weil ich ja auch nicht wusste, wie so was eben wirklich funktioniert - noch ein paar Videos gedreht. Und ich war jedes Mal nach diesen Drehs komplett im Arsch; hab gesagt: „Das kann nicht sein, dass das so geht! Das muss irgendwie anders gehen.“ Aber ich wusste eben nicht, wie... und ich bin jetzt nicht so ein Mensch, der ... na ja, wie soll ich sagen? Ich hätte ja auch sagen können, ja, okay, ich guck jetzt mal irgendwie nach einer Musikproduktion in Deutschland und frage, ob ich da ein Praktikum machen kann. Aber so habe ich überhaupt nicht gedacht, ich meine, es gab ja auch noch kein Google und kein Internet; also ich konnte da jetzt ja nicht schnell irgendwas eingeben, sondern musste erst mal gucken, wo ich die Informationen herkriege. Die einzige Information, die ich hatte, im Bezug auf professionelle Filmproduktion, war - ebenfalls über drei Ecken: Spike Jonze. Ich war und bin seit langem befreundet mit Andy Jankins, dem Grafik-Chef von Girl Skateboards, der auch früher mal bei einer BMX-Zeitschrift gearbeitet hat, die ich auch gelesen hab, und irgendwie sind wir dann Mal über sieben Ecken - über Fanzines, die wir getauscht haben - in Kontakt gekommen. Na ja, also irgendwie schoss mir dann diese Idee in den Kopf:



Warum fragst du nicht einfach Andy Jankins, ob der nicht mal Spike Jonze fragen kann, ob der Cracker – dass heißt, der Cracker war ich damals ja noch gar nicht - nicht mal ein Praktikum machen kann bei Spike Jonze, wenn der ein Musikvideo dreht. Das war damals so die Hochzeit von Spike ... das Beastie Boys Video, Sabotage, das Fatboy Slim Video; also er hat zu der Zeit einen Knaller nach dem anderen rausgehauen und dann noch die ganzen Werbespots und so weiter, also der war da richtig en vogue. Und dann habe ich das gemacht; hab mit Andy Jankins Kontakt aufgenommen und hab gesagt: „Hier, ich würd’ gern bei Spike Jonze ein Praktikum machen – kannst du mal bitte fragen, ob das geht?“ Dann hat der das gemacht, und ich bekam die Nachricht: „Ja, der Spike sagt, er macht grad seinen ersten Film und ich könnte dahin kommen, wenn ich Lust hätte." Es überrascht mich heute immer noch, dass das so war, vielleicht hab ich auch damals irgendwas falsch verstanden. Nichtsdestotrotz hatte ich dann irgendwann eine Telefonnummer vom Produktionsbüro des Films Being John Malkovich und hab da angerufen. Und ich wurde mit größter Freude empfangen. „Hi, ohh!“ – also ich war total überrascht; ich ruf da an, eine junge Frau nimmt ab, und ich sag: „Ja, hi, ich bin Christian Roth aus Deutschland. Ich will ein Praktikum machen und soll mich bei euch melden.“ Und sie sagt: „Och ja, du bist das!“ und „Hallo, super das du anrufst, wir

freuen uns auf dich! Heute schick ich dir mit FedEx das Drehbuch und du bekommst noch Skateboards und Videos – das schick ich dir heute raus! Wir freuen uns auf dich!“ Und so weiter und so fort. Ich war natürlich total überrascht, nur ... ich hab das auch komplett geglaubt. Man kann natürlich sagen, dass sei an sich schon naiv, aber ich bin eben jemand, der jetzt nicht, wenn er was Gutes von Leuten hört, auch wenn es unglaublich ist, den Leuten sofort unterstellt, sie würden lügen, oder es nicht ernst meinen. Na ja, ich hab jedenfalls gedacht: Alter, wie geil! Also hab ich ab dem nächsten Tag auf den FedEx Truck gewartet. Und jedes Mal wenn ich das Brummen eines Dieselmotors auf der Straße gehört habe, bin ich aufgesprungen zum Fenster und habe geschaut, ob das nicht der FedEx Truck war - es war dann natürlich meistens die Post oder UPS. Aber ein FedEx ist nie vor meiner Tür stehen geblieben. So nach einer Woche dachte ich mir, okay, das ist irgendwie komisch – ich muss da jetzt noch mal anrufen und fragen was damit ist, ob die das irgendwie tracken können, oder sehen wo das Paket hängt.


GREAT, WE LOOKING FORWARD!


Also rufe ich wieder in Kalifornien an, in Hollywood und hab wieder diese nette Dame am Telefon, die mir mit derselben Freundlichkeit sagt: „Oh, i’m so sorry, i got your adress wrong ... ähm, the package came back and i’m gonna send it out today and i put some extra stuff in...“ Also dieselbe Leier noch mal. Wieder, jeden Tag wenn es auf der Straße gebrummt hat, bin ich zum Fenster gerannt und nie war es der FedEx Truck. Das war der Punkt, an dem ich mir gedacht hab: Hier stimmt irgendwas nicht ... ich werde irgendwie verarscht. Und das fand ich scheiße, weil wenn die mir sagen würden: „Nee, tut mir leid, wir brauchen eigentlich niemanden“, oder so, das hätte ich natürlich verstanden. Aber eben mit dieser ... pff ... dann hat auch bei mir irgendwie so ... so etwas eingesetzt, dass ich gedacht habe: Nö, jetzt will ich das aber mal klären! Und dann rief ich wieder da an und hab wieder die nette Dame am Telefon und sage ihr: „Okay, ich möchte jetzt bitte mit wem anders sprechen – mit dem Regieassistenten oder dem Assistenten von Spike Jonze.“ Und den hab ich dann auch ans Telefon bekommen. Und hab so was gesagt wie: „Du, ich brauch“ – Larry hieß er - „Larry, ich brauche jetzt ein Datum, wann ich da sein soll, ich muss einen Flug buchen und ... ich will kommen, ich will dabei sein!“ Der hat natürlich auch wieder rumgedruckst, aber irgendwie hat er dann noch ein Datum rausgelassen. Dann und dann sollte ich da

sein – oder würden sie anfangen zu filmen. Und dann habe ich gesagt: „Okay, das ist alles, was ich wissen muss – ich bestell jetzt mein Ticket und komme rüber.“ „Yeah, great, we looking forward!“ Bla, bla, bla. Also habe ich das Ticket gekauft. Ich hatte über den Bruder meiner Frau, bekannt in den Independent-Musikkreisen, über drei Ecken jemanden gefunden, in Venice Beach, wo ich auf der Couch pennen konnte. Und so bin ich nach Kalifornien geflogen, hab mir ein Auto gemietet und mich in Venice Beach eingenistet. Es war das zweite Mal, dass ich in Kalifornien war. Aber das erste Mal in Venice Beach und das Produktionsbüro war in Downtown L.A. und direkt am nächsten Tag bin ich mit dem Mietwagen nach Downtown L.A. gefahren, um das Produktionsbüro zu suchen. Das gestaltete sich irgendwie schwierig. Ich dachte: Ich parke mein Auto irgendwo und geh lieber zu Fuß und suche das. Aber ich bin irgendwie ein bisschen in die falsche Gegend gelaufen und wollte dann im McDonalds Restaurant fragen, wo ich diese Straße, die Adresse, finden kann. Ich bin da rein gelaufen und ... es war das härteste McDonalds, das ich je gesehen habe. Zuerst hab ich mich gewundert, dass an jeder Tür ein Polizist steht. Und dann hab ich mir den Tresen angeguckt, wo die Hamburger verkauft werden, und das sah aus wie bei einer Bank – da war Panzerglas und eine Durchreiche, wo man erst das Geld reinlegt


und dann schiebt der den Burger dadurch. Da bemerkte ich: Okay, das ist nicht so die geilste Gegend. Aber dann fasste ich mir ein Herz und habe nachgefragt, bei der Polizei und die haben mir dann gesagt, wo ich hin muss... Lange Rede, kurzer Sinn: Ich geh da rein, in das Produktionsbüro und frage nach Larry: Larry kommt dann irgendwann, sieht mich und ich sehe, dass ihm die Augen aus dem Kopf fallen und er nicht glaubt, dass der Deutsche jetzt da ist ... dass er das wirklich gemacht hat. Aber so war es nun mal. Und ich hab gesagt: „Hier ist der Cracker, ich wollte mit meinem Praktikum anfangen.“ „Oh, great, it’s great that you are here! Come on, i give you the screenplay to read, and i show you the office.“ Und ab da muss man dann wirklich sagen, war die Nettigkeit schon sehr viel mehr ... echt – generell, das habe ich im Laufe meines Praktikums festgestellt, ist die Oberflächlichkeit, die man dem Amerikaner immer vorwirft, in Hollywood nochmal um ein Vielfaches größer. Die junge Dame zum Beispiel, die an der Rezeption saß, mit der ich ja so viele tolle Telefonate geführt hatte, war natürlich eigentlich keine Rezeptionistin, sondern eine Schauspielerin, so wie jeder der da rumgelaufen ist eigentlich Schauspieler war, oder Drehbücher schreibt, oder Kamera macht, oder sonst was. Aber alle waren eigentlich nett zu mir, inklusive Larry. So, jetzt war ich also da und ich habe schnell

gemerkt: Die haben das nicht wirklich ernst genommen, dass ich kommen würde. Denn es gab eigentlich keinen wirklichen, festen Job mehr für mich. Aber das war für mich eigentlich nur von Vorteil – ich war dann praktisch der Assistent von Larry, also sozusagen der Assistent von Spikes Assistent. Und dem hab ich dann immer bei so Sachen geholfen. Anfangs haben sie sich extrem geziert. „Ich weiß nicht, wie ich’ s sagen soll ... kannst du vielleicht `n paar Drehbücher kopieren?“ Und ich habe denen dann eben klargemacht, dass ich da war um was zu lernen: „Ich bin weder Schauspieler noch Kameramann, ich bin einfach `n Typ, den das interessiert – ich mach’ alles, was ihr wollt; wenn ihr die Kopien braucht, kann ich das machen!“ Und so wurde ich in jeder Abteilung der Filmproduktion eingesetzt. Aber habe auch selbstständig von mir aus gesagt: „Och, heute würde ich mal dahin gehen.“ Wie zum Beispiel zum Casting. Die hatten natürlich schon lange begonnen den Film zu drehen - also ich war jetzt nicht am ersten Drehtag da; ich glaube, der war schon halb gedreht oder so... Trotzdem wurden immer noch Leute für kleinere Rollen gecastet. Und eine meiner Aufgaben beim Casting war folgende: Mir wurden Headshots, oder Headcards, von den Schauspielern, für die sich das Casting interessierte, in die Hand gedrückt. Und hinten auf diesen Karten befand sich


eine Liste von Filmen in denen dieser Schauspieler schon mal mitgespielt hat. Diese musste ich dann unter Verwendung eines Codewortes bei der Videothek abholen. Und dann hatte ich so einen Raum, mit zwei, drei Videorekordern und musste mir die Filme angucken, so im Schnelldurchlauf und versuchen diesen Schauspieler zu finden – das waren alles nur Schauspieler für Nebenrollen und deswegen stand auf den Karten meistens noch so was drauf wie: Spielt Sanitäter im Godzilla-Film. Da musste man sich natürlich anstrengen diesen Menschen zu finden, weil die Leute vom Casting sehen wollten, wie dieser Schauspieler oder diese Schauspielerin wirkt, auf Film. Manchmal hab ich die gar nicht erkannt, musste Leute zu Rate ziehen und: „Ey, guck’ mal bitte, ob der das ist. Ist der das jetzt, oder ist er das nicht?! Da sind halt irgendwie zwanzig Sanitäter, und alle regennass und nachts...“ Dann war ich natürlich auch am Set. Das war wirklich sehr beeindruckend ... diese Szenen, die im halben Geschoss spielen, wo die Decken ganz niedrig sind. Die haben extra ein Hochhaus gemietet in Downtown L.A. und haben diese halbe Etage komplett reingebaut. Das war richtig geil. Die Schauspieler und Kameramann mussten da alle immer durchkriechen... Ich hatte einen gesunden Schuss Naivität ansonsten hätte ich es auch nicht so weit gebracht -, also habe ich mir auch nichts dabei gedacht, meinen Fotoapparat mit ans


Set zu bringen und eifrig drauf los zu fotografieren. Ich hab gemerkt, es ist schon der natürliche Instinkt den man hat, irgendwie auf Schauspieler draufzuhalten ist nicht so cool, oder irgendwas zu filmen, wo man Sachen aus dem Film sieht – also hab ich mich eher Backstage bewegt. Aber ich hab dann doch den ein oder anderen Todesblick von John Cusack geerntet und irgendwann wurde ich dann vor die versammelte Mannschaft gerufen und von der offiziellen Set-Fotografin so was von zusammengeschissen ... was ich mir einbilden würde, meine Kamera mit ans Set zu bringen, das hier wäre kein Kindergeburtstag, bla, bla, bla. Das war schon erst mal ein Schock für mich, aber nach reifer Überlegung konnte ich die Entscheidung durchaus nachvollziehen und hab meinen Fotoapparat von da an zu Hause gelassen.

Am Set hatte ich immer eine gute Zeit mit Spikes Bruder Sam. Ein total verrückter Typ. Hört sich an wie ein Klischee, aber auf ihn trifft es auf jeden Fall total zu ... ursprünglich kommen die Spiegels, also wie ja der tatsächliche Nachname von Spike Jonze lautet, von der Ostküste Amerikas und Sam Spiegel hatte seinen Audi A8 oder A6, oder was weiß ich, von New York nach Kalifornien gefahren und seit dem auch nie wieder gewaschen. Ich glaube, er hat diesen langen Trip bestimmt in Rekordzeit geschafft, denn so ist er auch immer gefahren; da konnte einem schon schlecht werden, und so wie er Auto gefahren ist, ist er auch Skateboard gefahren – also wir hatten sehr viel Spaß, haben viel gelacht und er lag auch viel auf der Fresse, aber es war lustig mit ihm. Irgendwann hieß es: „Es gibt eine kleine Party in Spikes Haus und alle sind eingeladen.“




Also sind wir dahin gefahren. Sehr beeindruckendes Anwesen, also nicht groß, aber schön und schön gelegen. Damals war Spike noch mit Sofia Coppola verheiratet. Drinnen im Haus hingen überall riesengroße Fotoabzüge von Fotos die Francis Ford Coppola geschossen hat, von Steve McQueen und wem weiß ich. Ich erinnere mich nur an das von Steve McQueen ... und an ein anderes ganz besonders. Im Schlafzimmer von Spike Jonze hing an der Wand – eingerahmt – ein Polaroid aus den siebziger Jahren, auf dem Robert De Niro in Badehose zu sehen ist wie er Sofia Coppola im Arm hält. Dieses Foto hatte so etwas normales – es hätte in jedem Fotoalbum kleben können, aber es klebt eben nicht in jedem Fotoalbum Robert De Niro im Freibad. Das hat mich sehr beeindruckt, aber leider hatte ich auch dieses Mal meine Kamera nicht dabei und konnte dieses Bild nicht festhalten ... sehr unprofessionell. Aber: Es lebt in meiner Erinnerung. Ich bin zwar kein Fan und konsumiere nicht alles, was bestimme Leute machen und tun, aber es gibt natürlich Leute die ich beeindruckend finde, und Robert De Niro gehört auf jeden Fall dazu; Spike Jonze gehört dazu und Francis Ford Coppola gehört dazu. Cameron Diaz, die ja auch in dem Film mitspielte, gehört jetzt nicht unbedingt zu den Personen, die ich als meine Topschauspielerin angeben würde. Aber wenn sich während der Drehpause auf einmal wer

neben dich setzt, dir die Hand gibt und sagt: „Hi, i’m Cameron Diaz. How are you?“, dann fällt einem doch die Kinnlade runter und – das war auch beeindruckend. Da Cameron Diaz in dem Film extrem scheiße aussah - also ein bisschen so auf Heimchen und mit unreiner Haut und langen fettigen Haaren, konnte sie von den Trailern zum Set, wo es immer Mittagessen gab, komplett ohne Bodyguard laufen, weil sie keiner erkannt hat ... also sie sah nicht so attraktiv aus, wie sie sich sonst auch immer gerne gibt und im Film und so. Zeitweise war ich auch zuständig für die Crew-Bespaßung während der Mittagspause. Ich kann mich jetzt nur noch konkret an eine Aktion erinnern; wo ich John Malkovich im Profil gezeichnet hab – ohne Haare, weil er hat ja meistens keine, sondern meistens Glatze – und die Aufgabe für die Crew war: Give John Malkovich a Hair-Do. Also man sollte eine Frisur für John Malkovich entwerfen und der Gewinner bekam, glaube ich, eine Dose Haarspray. Und solche Sachen musste ich mir dann ständig überlegen.


Über die Zeit hatte ich mich wirklich gut mit Larry angefreundet. Larry war Mexikaner und schwul. Ich hatte bis dahin nie mit einem Homosexuellen zusammengearbeitet, aber das hat jetzt auch nichts zu bedeuten - ich kannte einfach keinen. Und das hatte mich auch überhaupt nicht gestört. Er war zwar manchmal ein bisschen tuntig und hat sich am Wochenende gefreut, dass er abends dancing geht und so, aber er war sehr liebenswert - doch er war nicht so jemand, dem du einen stressigen Job wie den des Regieassistenten zumuten solltest ... und er war ja eigentlich Spike Jonzes Assistent, das ist noch mal was anderes; er war der Mann, der im Hintergrund alles abklären, absegnen und logistische Probleme lösen sollte. Wir haben uns jedenfalls gut verstanden und ich hab mich immer gefreut, ihn zu sehen. Eines Tages komme ich ins Büro und Larry war total aufgelöst. „Ah Christian, i have a very big problem! Es ist total das Chaos - die Fahrerin von John Cusack hat gekündigt, die geht zu einem anderen Film, über Motocross oder so was!“ Es ging um jene Produktionsassistentin, die John Cusack morgens abgeholt und zum Set gefahren hat. Und ich habe dann nur so aus Interesse gefragt: „Ja, wo wohnt denn John Cusack?“ – „Ja, der muss immer in Venice Beach abgeholt werden.“ Und da habe ich gesagt: „Larry! Da wohne ich doch auch! Ich kann John Cusack abholen.“ Larry hat mich total entgeistert angeguckt. Ich weiß bis heute nicht genau,

warum, weil die hat ja eh gekündigt und ich glaube nicht, dass John Cusack erst mal eine Gegenüberstellung mit den Leuten will die ihn abholen, um dann zu sagen, der oder der nicht. Na ja, auf jeden Fall hat mich Larry mit weit aufgerissenen Augen angeguckt und gesagt: „Ne, das geht auf keinen Fall; jetzt muss ich den abholen und der will immer in so einem großen Auto abgeholt werden und das traue ich mich nicht zu fahren. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Jetzt will der, dass ich einen CD-Player einbaue ... und um sechs Uhr Früh musst du vor seinem Fitnessstudio stehen mit einem heißen Kaffee und einem kalten Kaffee und einer Schachtel Zigaretten und einer Zeitung und du darfst auf keinem Fall mit ihm sprechen...“ - und so weiter - „das geht nicht, das kannst du nicht machen!“ Gut, das habe ich dann auch verstanden. Ich kam mir zwar ein bisschen blöd vor, dass ich gefragt hatte, aber so richtig nachvollziehen konnte ich seine Entscheidung nicht, ich hatte ja nur meine Hilfe angeboten. Es ging mir jetzt nicht darum, unbedingt John Cusack abzuholen, obwohl ich es sicher interessant gefunden hätte, mir dieses Ritual selber mal anzusehen und auch mit dem Typen mal in einem Auto zu fahren ... das wäre schon ein Erlebnis gewesen. Und ja, so vergingen meine Wochen als Praktikant bei Being John Malkovich.






THE FREAKS COME OUT AT NIGHT.
























END OF THE NIGHT.



„Warum muss man im Urlaub auch so einen gefährlichen Blödsinn machen? Da ist doch klar, dass so etwas schnell passiert. Rollbrett könnt ihr doch Zuhause genug fahren.“ So, oder so ähnlich reagieren viele Menschen wenn ich von der Süd-Ost-Europatour erzähle, die ich im frühen Herbst 2011 mit zwei Freunden antrat und die, verletzungsbedingt, nach knapp vier Wochen, ein relativ abruptes Ende fand.



An dieser Stelle ausführlich von allen Erfahrungen und Momenten zu berichten die mich auf dieser lehrreichen Reise bewegt und tief beeindruckt haben wäre etwas viel, deswegen lasst mich euch die Geschichte dieser Tour, stark reduziert auf ein Thema, welches sich wie ein roter Faden durch unsere Zeit auf dem Balkan zog, näher bringen.

Als ich in den letzten beiden Tagen, an denen wir unterwegs waren, über die Zeit nachgedacht habe ist mir immer deutlicher geworden was mir diese Reise gebracht hat. Es war nicht nur die wundervolle Tatsache, dass ich mir ein komplett neues Bild von der Natur, Kultur und Gesellschaft dieser Länder bilden konnte, die ich zuvor noch nie bereist hatte, sondern viel mehr eine besondere Erkenntnis. Die Erkenntnis, was ich an Skateboardfahren so liebe, warum ich trotz konstanter Verletzungen, dem ganzen Geld was ich dafür ausgebe und der definitiven Sicherheit, dass ich nie das Level erreichen werde wie die Leute deren Videos ich mir jeden Tag im Internet anschaue, noch nicht damit aufgehört habe und es trotz anderer Pläne in meinem Leben nicht vorhabe.

Was wahrscheinlich 90% aller Skateboard fahrenden Menschen neben ihrem Zeitvertreib gemeinsam haben, ist die Auffassung, dass genau dieser Zeitvertreib mehr ist als andere Sportarten, Hobbys, Lebenseinstellungen und Berufe. Das ist einfach gesagt und vielleicht auch einfach empfunden, doch weniger leicht begründet, in Worte gefasst und Außenstehenden begreiflich gemacht. Da wäre natürlich schon alleine das Format, dass man zu jeder Zeit rausgehen kann, alles, was man findet ein neues Terrain, eine neue Herausforderung bildet, dass man nicht gegeneinander sondern miteinander, jedoch trotzdem für sich alleine agiert. Dass die Motivation sowohl Ästhetik als auch Effizienz ist, dass niemand reglementiert oder bewertet. Kurz, dieses Format, welches sich, zumindest in Europa noch, von dem anderer Sportarten unterscheidet und die ihm innewohnende Freiheit und Kreativität.

Um das zu verstehen bedarf es natürlich keiner Reisen, was ich meine ist die Auswirkung dieses oben genannten Empfindens auf jeden einzelnen Menschen, der sich von der Faszination Skateboard hat anstecken lassen. Aber dazu lasst mich euch diesbezüglich von den Erfahrungen auf unserer Reise berichten:




Frisch aus der Lehranstalt entlassen und gebeutelt von einem nass grauen Sommer, schmiedeten wir fleißig Reisepläne in wärmere Gefilde. Eines Abends nach einer Flasche Rum und Alexis Sorbas war klar: wir müssen nach Griechenland! Dazu kam eine Dokumentation über die Adria Magistrale, die Küstenstraße die im Norden Kroatiens beginnt und sich stets der Adriaküste entlang, durch den kleinen bosnischen Küstenabschnitt bis nach Montenegro schlängelt, und die grobe Route stand. Es folgten wilde Diskussionen über Fortbewegungsmittel, Reisegruppe und Finanzierung, welche schlussendlich auf Kenny, Pelle und mich als Besatzung, Pelles Toyota Yaris als mobile Basis und Flaggschiff unserer Expedition und das Motto „soweit das Geld reicht und noch viel weiter“ hinausliefen.


So nahmen wir am 17.9.2011, nachdem sich die Abreise wegen diverser Zwischenfälle mehrmals verschoben hatte, endlich die erste Etappe nach Stuttgart in Angriff. Unser Aufenthalt in Stuttgart war wild, hatte aber dank grauenhaftem Wetter und einem dreckigen Kater weniger mit Skateboardfahren zu tun. Nach drei Tagen in Stuttgart machten wir uns am dritten auf nach Zürich. In Zürich war das Wetter wieder einladend und wir lernten direkt am ersten Tag einen deutschen Skater kennen der nach Zürich gekommen war, um zu studieren. Er kannte sich noch nicht so gut in der Stadt aus, aber zeigte uns alles was er wusste, unter anderem einen kleinen aber unheimlich witzigen Skatepark direkt an der Langstrasse, der Zürcher Szenestrasse. Abends sprachen wir eine Gruppe junger Männer mit Skateboard in einer Bar an, die uns umgehend einluden, mit ihnen am nächsten Tag Zürichs Skateboardfacetten kennen zu lernen. Wir verbrachten einen erlebnisreichen Tag in einer Gruppe von bis zu zehn Leuten und ich habe Ecken von Zürich kennen lernen dürfen, die ich die letzten Jahre, in denen ich immer wieder in dieser Stadt war, nicht zu Gesicht bekommen habe. Untern anderem wurden wir zu einem selbst gebauten Bowl am Rande des Industriegebiets gebracht, an dem wir am nächsten Tag noch eine Handvoll neuer Bekanntschaften machten, von denen wir voller Begeisterung fast noch herzlicher eingebunden und aufgenommen wurden. Unter anderem lernten wir Nicolas kennen, dessen Augen zu leuchten begannen, als wir ihm von unserer Reise erzählten und er berichtete uns von seinen Erfahrungen im letzten Jahr, die ihn in dieselben Regionen getragen hatten, wie sie auf unserem Plan standen. Er gab uns wichtige Kontakte und Tipps für unsere Route, empfahl uns Orte und riet von anderen ab. Als nächstes nahmen wir Kurs auf Innsbruck, welches in den letzten Monaten in der Skateboardszene für eine architektonische Bereicherung, einen öffentlichen Platz, den Landhausplatz, berühmt geworden war, der sich wirklich so gut zum Skateboardfahren eignet, dass es schwer fällt zu glauben, dass er nicht genau dafür entworfen wurde. Obdach fanden wir über einen Freund aus Kassel bei einem ehemaligen Skater der kürzlich nach Innsbruck gezogen war und uns, ohne uns zu kennen, bei sich aufnahm, obwohl schon zwei Fremde seine Gastfreundschaft in Anspruch nahmen. Abgesehen von meinem Eindruck, dass Österreich das Land mit dem allergeringsten Stilbewusstsein ist, von denen, die ich bis dato gesehen hatte, hatten wir eine wundervolle Zeit mit Dave, der vor drei






Jahren aus Gibraltar nach Innsbruck gezogen war und seinem Freund Cube, die uns die Stadt und alle Rollbrettsehenswürdigkeiten zeigten. Von Innsbruck aus starteten wir über die Dolomiten in Richtung Slowenien. Inmitten dieses atemberaubenden Teiles der Südalpen kam es zu einer allgemeinen Panikattacke, ausgelöst durch das beängstigende Verhalten unserer Bremse, die überhitzt von der steilen Passstrasse, anfing jämmerlich zu stinken und zu qualmen. Schlussendlich konnte uns Brencher Senior übers Telefon beruhigen und davon überzeugen, dass das bei so steilen Passstrassen durchaus vorkommen könne. Nach einer anderthalbstündigen Pause nahmen wir die Fahrt wieder auf und erreichten abends Postojna, eine kleine Gemeinde in Slowenien, europaweit bekannt für ihre Tropfsteinhöhle, rund 30 Kilometer von der Hauptstadt Ljubljana entfernt. Auf der Fahrt riefen wir Focho an, dessen Nummer wir von Nicolas in Zürich bekommen hatten und der so etwas wie der Vater der Skateszene von Postojna zu sein schien. Wir schilderten ihm den Zwischenfall mit den Bremsen und er versicherte, egal zu welcher Zeit wir in Postojna ankämen, wir müssten ihn nur anrufen und er hole uns vom Ortseingang ab. Gesagt getan, als wir gegen 22 Uhr eintrafen, riefen wir ihn an und er kam - und wie er kam. Nach 10 Minuten parkte ein nagelneuer 3er BMW neben uns und ein freundlich grinsender, großer, hagerer Mann Mitte 30, in durchgetretenen Vans Schuhen, kurzer Cargohose und einem ausgeblichenen Pullover, auf dem ein durchgebrochenes Skateboard abgebildet war, stieg aus. Seine Begleitung war eine etwas kleinere, bunt gekleidete, jünger wirkende Frau, die sich in den folgenden Sekunden als seine Freundin entpuppte. Nach freundlicher Begrüßung und kurzem Austausch von Namen und Befinden führte uns Focho mit seinem BMW einmal quer durch die Stadt bis kurz hinter den Ortsausgang zu einer alten, etwas abgelegenen Tankstelle. Rund um das Gebäude war, auf dem gesamten Gelände, ein vielfältiger Betonskatepark in Eigenkonstruktion entstanden. Das Innere des Tankstellenhäuschens war flächendeckend mit slowenischen und englischen Graffiti Parolen verziert, in dem einen Raum eine Miniramp, im anderen eine Menge Gerümpel, haufenweise Zementsäcke, Dreck, alte Skateboards und ein durchgesessenes Sofa. Foscho richtete uns den Generator für Strom ein, gab uns den Schlüssel und lud uns ein, uns solange häuslich einzurichten wie wir wollten. Wir tranken noch ein paar Bier und verabredeten uns für den nächsten Tag zum Skaten. Um 18.30 Uhr fuhr Fochos BMW auf den Parkplatz der Tankstelle, er hatte von 6 bis 18 Uhr gearbeitet.


Nach ein paar spaßigen Stunden zeigten wir Focho unsere vage Route und sofort hatten wir zu jedem Land einen Erfahrungsbericht mit interessanten Informationen und Empfehlungen. Wir bastelten mit ihm und seinem Wissen über den Balkan einen neuen Kurs. Außerdem erklärte er uns die slowenische Hauptstadt Ljubljana, in die wir am nächsten Tag zu fahren planten, genauestens, zeichnete Skateshops und Spots ein. Als wir am nächsten Tag in Ljubljana ankamen, hatten wir keine Probleme einen Skateshop zu finden, hatten keine Probleme Maxi Market, so etwas wie den Hauptspot zu finden und dort sofort Leute kennen zu lernen. Abends kam er mit seiner Freundin sogar noch nach Ljubljana und traf sich mit uns in einer Bar um uns zwei besetzte Künstlerviertel zu zeigen sicherzugehen, dass wir dort einen Platz zum Schlafen finden würden. Wir verbrachten eine wilde Nacht in den Strassen von Ljubljana mit Moritz aus Hannover, zwei Franzosen und einer Griechin, die wir allesamt auf einem ehemaligen Kasernengelände, welches zu einem alternativen Kunst und Szeneareal umfunktioniert wurde, kennen gelernt hatten. Wir kamen die nächsten zwei Nächte bei Moritz im Garten unter und konnten unser Auto bei ihm in der Einfahrt parken, so war es einfach, die relativ kleine, aber wunderschöne Stadt auf dem Brett zu erkunden. Zwei tolle Tage und einige Bekanntschaften später drängte uns der Wunsch nach Meer weiter in Richtung kroatische Küste. Der nächste Halt auf diesem Weg, der letzte der uns noch vor Erreichen der Adria bevorstand, war Zagreb, die kroatische Hauptstadt. Wir riefen die Nummer an, die wir von Nicolas in Zürich bekommen hatten und hatten einen freundlichen jungen Mann am Telefon, der uns voller Bedauern mitteilte, dass er spontan weg müsse aus Zagreb, aber schon einen seiner Kollegen informiert hätte, dass wir die Tage ankämen, der uns in Empfang nähme und uns die Stadt zeige. Er gab uns die Nummer von diesem Kollegen, Kiki, der sich bei uns, als wir ihm mitteilten, dass wir in Zagreb seien, dafür entschuldigte, dass er zur Zeit noch arbeite, sich aber später am Abend mit uns am selbstgebauten Bowl im Hof des Studenski Centar treffen wolle. Er gab uns die Wegbeschreibung zum Bowl und wir trafen ihn dort gegen acht Uhr mit seiner Freundin. Nachdem wir uns mit ausreichend Pivo ausgerüstet hatten, gingen wir zusammen zu einem Platz mitten in der Stadt, mit selbstgebauten Obstacles, Stufen und perfektem Boden. Es waren immer noch Leute am skaten und eine Menge Leute am Trinken und Quatschen. Wir gesellten uns dazu und machten ein paar wirklich






interessante Bekanntschaften, unter anderem mit Jelena, eine Kollegin von Kiki, die er überzeugen konnte, uns die nächsten zwei Nächte in ihrer Einzimmerwohnung aufzunehmen. Kiki musste leider am nächsten Tag wieder lange arbeiten und konnte so nicht mit uns skaten gehen, aber er hatte uns extra einen Stadtplan ausgedruckt, auf dem er gute Skatespots und Sehenswürdigkeiten eingezeichnet hatte. Jelena wusch unsere dreckige Wäsche der letzten zwei Wochen, während wir in Zagreb einen erfolgreichen Skatetag hinter uns brachten. Nach zwei amüsanten Nächten in Jelenas Residenz ging es endlich auf direktem Wege Richtung Meer. Kaum gesichtet, ausgeflippt, gestoppt und rinn in die Maus! Endlich waren wir auf der Magistrale, der Küstenstraße, die uns schon auf der Mattscheibe so in ihren Bann gezogen hatte. Wir fuhren unentwegt der Küste entlang und campten, wenn wir müde wurden. Diese Straße gilt nicht umsonst als eine der schönsten dieser Welt. Gerade im Herbst, die Temperaturen immer noch einladend heiß, das Wasser frisch aber vom heißen Sommer noch warm genug zum schwimmen, die Straße leer und die Sonne in einem Winkel über der Erde, dass der Sonnenuntergang jeden Abend den letzten an Schönheit übertrifft. Am Abend des zweiten Tages auf der Magistrale liefen wir in Split ein. Nachdem uns von dieser Stadt immer wieder als Skateboardmekka, als Barcelona des Ostens, berichtet wurde, waren wir von dem, was wir dort erlebten schwer enttäuscht. Auch wenn wir eine nette Gruppe kroatischer Skater aus dem Norden des Landes kennenlernten und wir einen idyllischen kleinen Campingplatz außerhalb der Stadt direkt am Strand komplett für uns alleine hatten, waren die drei Tage in Split ein Tiefpunkt, in der bis dahin so beeindruckenden und reibungslosen Reise. Wir fuhren von Split weiter der kroatischen Küste entlang, welche mit jedem Kilometer noch schöner, noch vielfältiger wurde, bis wir die bosnische Grenze passierten und ab da nördlich ins Landesinnere Richtung Sarajevo fuhren. Mit dem Überqueren der Grenze nach Bosnien und Herzegowina ließen wir die letzten westlichen, vom Tourismus geprägten, Bereiche hinter uns und drangen mit jedem Meter weiter vor in den wilden Osten. Wir fuhren in einem Land, in dem es, bis auf einen kleinen Abschnitt von etwa zehn Kilometern, keine Autobahnen gibt, auf einer kurvigen Landstrasse dem Fluss Nerevta entlang durch die eindrücklichen, dünn besiedelten Gebirgszüge, welche einen Grossteil der Landschaften in Bosnien und Herzegowina prägen.



Fast einen ganzen Tag dauerte die Zeitreise, vorbei an unzähligen Ruinen, angefangenen, aber nie fertig gestellten Gebäudekomplexen, Dörfern, die sich noch selbst versorgen, brennenden Müllhaufen, bis wir gegen Abend in Sarajevo daran erinnert wurden, in welchem Jahrhundert wir unterwegs waren. Wir fanden im Internet die Adresse eines Skateshops, der unsere erste Anlaufstelle war. Dort lernten wir einen jungen Mann kennen, der über die Kriegsjahre in Deutschland gelebt hatte, uns schon ein paar Spots auf unserer Karte einzeichnen konnte und in nahezu perfektem Deutsch erklärte, dass er aufgehört habe zu skaten, um Graffiti zu malen, er sich aber viel für die Entwicklung der Skateboardcommunity in Sarajevo engagiere. Er vermittelte uns weiter an einen anderen Skateboardladen, in dem wohl so etwas wie der Stadthalter der Skateboardgemeinschaft von Sarajevo zu arbeiten schien. Kris, so hieß der junge Mann, war hell auf begeistert von unserem Besuch in seiner Stadt und zeigte uns auf der Karte den größten Spot, Skenderija, wo man sich zum skaten trifft und abhängt. Er beschloss, dass wir am nächsten Tag alle zusammen skaten gehen würden. Den restlichen Tag vergnügten wir uns an diesem rot gekachelten Platz der uns als Hauptsehenswürdigkeit der skateboardgeeigneten Infrastruktur Sarajevos von Kris empfohlen wurde, bis wir Gesellschaft von drei Locals bekamen, die sich riesig freuten, dass wir in Bosnien waren, um Skateboard zu fahren und dass wir uns mit Kris bereits für den nächsten Tag verabredet hatten. Wir gingen noch alle zusammen etwas essen und erfuhren schnell, dass Skateboarding sich in diesem Land noch in einem anderen Stadium befindet als es das in Westeuropa, geschweige denn in den USA tut. Was bei uns in Deutschland von vielen Kindern jeden Tag als neue Waffe gegen die Langeweile ausprobiert wird, ist in diesem Land noch ein nicht sehr weit verbreiteter Luxus. Als wir am nächsten Tag trotz plötzlich eingebrochener Todeskälte mit Mirza und Kris auf Rollbrettmission gingen, brach nach kurzer Zeit Kris’ neues Skateboard. Das ist natürlich immer ärgerlich und macht sich auch in Deutschland in der Brieftasche bemerkbar, verdeutlichte mir aber in diesem Fall erst, wie viel Überzeugung und wie viel Liebe von diesen Menschen für ihr Hobby investiert wird. Ohne darüber nachdenken zu müssen, beschloss Kris sich kurzerhand ein neues zu kaufen, um uns den restlichen Tag noch die Stadt zeigen zu können und mit uns zu skaten. Auf unserem Weg durch die Stadt bekamen wir einen für unsere Verhältnisse erschütternden Eindruck wie präsent der Krieg im Charakter der Bevölkerung ist. Sie erzählten uns von ihren sehr persönlichen Schicksalen,




erzählten vom Zustand der Stadt während der serbischen Belagerung, gaben uns einen historischen Überblick über die Geschichte der Stadt und die Entwicklungen der hier zusammenlebenden Religionen, von den immer noch bestehenden Spannungen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Land und eröffneten uns einen Einblick, in welchem Ausmaß die Regierung und der Arbeitsmark von Korruption zerfressen ist. Kris arbeitete im Skateshop und bekam das Brett etwas günstiger, musste dafür jedoch immer noch etwa die hälfte seines Monatslohnes (!) dafür opfern. Er verdiente umgerechnet 1,25 Euro die Stunde. Wir verbrachten noch einen tollen und eindrücklichen restlichen Tag bei arktischen Temperaturen und verabschiedeten uns abends um uns auf den Weg nach Belgrad zu machen. Kris, Mirza und Sanche waren sichtlich traurig, dass wir sie schon wieder verließen und betonten mehrfach, da für sie eine Reise zu uns nach Deutschland eine finanzielle Utopie war, dass wir sie doch bitte bald wieder besuchen sollen und sie gerne in Sarajevo eine Premiere unseres Videos, für das wir unter anderem gefilmt hatten, organisieren würden. Wir machten uns auf den weiten Weg nach Belgrad und fuhren bei Temperaturen von zwei Grad durch das bosnische Gebirge, bis wir Serbien und die Autobahn erreichten, die uns direkt nach Belgrad führte. Am nächsten Morgen wurden wir im Hostel mit einem Schnaps



begrüßt und bekamen die Stadt detailliert auf einem Stadtplan erklärt. Nachdem der GutenMorgen-Schnaps seine wohltuende Wirkung entfaltet hatte, ließen wir uns bereitwillig von der serbischen Kultur übermannen und frühstückten Cevapcici und Bier. Gestärkt und bewaffnet mit unserem Insider-Stadtplan machten wir uns motiviert daran die größte Stadt des ehemaligen Jugoslawien zu erkunden. Direkt vor der größten Kirche Süd-Osteuropas, die sich seit über 70 Jahren im Bau befindet, fanden wir zufällig einen perfekten Curbspot und ein paar Skater. Wir wurden eingeladen, später noch mit ihnen durch Belgrad zu rollen und einer bot uns seine Hilfe bei der Unterkunftssuche in Budapest an. Zu alldem kam es leider nicht mehr, da ich relativ unglücklich landete und daraufhin nicht mehr in der Lage war zu gehen. Auf dem Skateboard sitzend schoben mich Pelle und Kenny durch Belgrad auf der Suche nach einem Krankenhaus. Als wir eins gefunden hatten, stellte sich dieses als Krebsstation heraus und wir wurden unfreundlichst gebeten das Gebäude zu verlassen. Wir nahmen ein Taxi zum richtigen Krankenhaus, wurden beschissen, aber kamen an. Wir verbrachten drei Stunden auf einem überfüllten Gang, trotz einer Menge eingeschlagener Köpfe und anderer Verletzungen war die Stimmung recht gut. Mein Fuß wurde drei Sekunden von einem Arzt abgetastet, der mich nach einem kurzen serbischen Kommentar in das Röntgenzimmer beförderte, in dem unter wildesten Umständen drei Röntgenbilder (das erste von meinem Brustkorb) entstanden. Auch hier sprach niemand englisch oder deutsch. Danach ging es zurück auf den Gang zu unseren Freunden, den Saturday-Night-Warriors, die in der Letzten Nacht offensichtlich relativ wild unterwegs gewesen waren. Nach einer weiteren Stunde Wartezeit schob man mich ins Gipszimmer, in dem mir von einem Arzt, dem Pelle und Kenny assistieren mussten, ohne dass mir versucht wurde näher zu bringen, was mit meinem Fuß nicht stimmte, ein Gips angelegt wurde. Danach durfte ich, auf einem Bein hüpfend und einem Zettel auf dem die serbische Diagnose stand, das Krankenhaus verlassen. Wir sprachen noch kurz mit dem Chefarzt des Krankenhauses, der uns mit Händen und Füssen vermittelte, dass die Behandlung ein persönliches Geschenk von ihm war und ich keine Rechnung zu erwarten hätte. Am nächsten Tag kauften wir die ungemütlichsten Krücken der Welt und kürzten den Verlauf unserer Reise drastisch. Wir fuhren über Budapest und Prag, in denen wir noch vier schöne, aber für mich anstrengende Tage verbrachten, zurück nach Kassel.









Ich hoffe es ist klar geworden, was ich mit dem roten Faden gemeint habe, ich sprach von der selbstverständlichen Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Offenheit mit der wir in jedem der Länder empfangen wurden. Die Tatsache, dass sich Skateboarding so stark von anderen Sportarten unterscheidet, dass man darin so viel mehr hat als nur ein Hobby, führt bei jedem einzelnen zu einem Lebensgefühl. Einem Lebensgefühl geprägt von einem ganz eigenen Ästhetikempfinden in Bewegung und Architektur, einer Harmonie von Ehrgeiz und Respekt Anderen gegenüber. Das Bewusstsein, dass es jedem, der Skateboard fährt, in einem gewissen Maß so geht und man sich auf diese Gemeinsamkeiten verlassen kann, unabhängig von Ländern, Sprachen, Kulturen, sozialen Schichten und was es da an Unterschieden gibt, die andere Menschen zu Skepsis, Angst und Vorurteilen veranlassen, das ist es, was eine Gemeinschaft, eine internationale Familie bildet, die in meinen Augen noch Ihresgleichen sucht. Gastfreundschaft, Offenheit und Toleranz sind die wertvollsten Resultate dieser Sicherheit, dass man, auch wenn man sich noch nie gesehen hat und egal wie groß die Differenzen in Sprache und Weltanschauung auch seien mögen, auf jeden Fall in einem Bereich Wertvorstellungen und Interessen teilt.

Hätten wir unsere Aktivitäten auf dieser Reise auf Sightseeing beschränkt, wäre die Chance natürlich größer gewesen noch ein, zwei Wochen länger unterwegs zu sein, noch mehr Länder zu sehen und über Land und Leute zu lernen, wären gleichzeitig aber um so viele wertvolle Erfahrungen ärmer. (Bis nach Griechenland hätten wir es vom Geld her ohnehin nicht mehr geschafft.) Außerdem sind wir in der glücklichen Position sagen zu können: Noch sind wir jung und in der Lage Skateboard zu fahren und all die Länder und Leute dieser Erde für uns noch zu entdecken!
























Intro Fotostrecke Benjamin Weymann

Hamburg & die Spree Geschichte Sven Langkabel // Transkription Martin Rost Fotos Henrich Hubbe, Max Sand & Benjamin Weymann

Narben Fotostrecke Max Sand & Benjamin Weymann

Wie ich zu "Being John Malkovich" gekommen bin Geschichte & Fotos Christian Roth // Transkription Martin Rost

The freaks come out at night Fotostrecke Benjamin Weymann

Wild Ost Text Aurelio Ghirardelli // Fotos Aurelio Ghirardelli & Kenneth Brencher

Outro Fotostrecke Benjamin Weymann // Bild 2 & 6 Max Sand

Š 2012 // Benjamin Weymann // Kunsthochschule Kassel in der Universität // Abschlussarbeit




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