Faktor 2016/1

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herausgegeben von der sozialistischen jugend wien

www.sj-wien.at heft 01 2016

DIE LINKE JUGENDZEITSCHRIFT FÜR WIEN

krieg. . t h c a m geld. menschen statt prOfite!

. SCHWERPUNKT: KRIEG.MACHT.GELD ! AB S. 12 WIR SAGEN: MENSCHEN STATT PROFITE S. 20 ZEITSTRAHL GLOBALER KONFLIKTE, AB MEDIEN & KRIEG, AB S. 22 DIE BLUME DER PARTISANIN, AB S. 25


Die FAKTOR Redaktion verwendet geschlechterbewusste Sprache, um die fehlende Sichtbarkeit von Trans*-, Interpersonen und Menschen, die sich keiner Geschlechtsidentität zugehörig fühlen, aufzuzeigen. Dafür gibt es verschiedene Strategien. Das “Binnen-I” soll darauf aufmerksam machen, wie sehr nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Sprache von Männern dominiert wird und will Frauen in den Vordergrund rücken. Der Genderstar, soll zudem den Leser*innen bewusst machen, dass es mehr Geschlechter als männlich/weiblich gibt und sich nicht alle in das starre zweigeschlechtliche Muster einordnen können bzw. wollen. Er soll zum Überdenken unserer Vorstellungen bezüglich Frauen* und Männern* anregen. Welches Bild habe ich im Kopf, wenn ich „Frau“ lese? Welche Sexualität/Hautfarbe/welchen Körper stelle ich mir vor? Beim Nachdenken darüber fällt auf, dass wir oft ganz klare, gesellschaftlich geprägte Bilder in unserem Kopf haben. Dabei sind aber alle Menschen unterschiedlich und wollen und lassen sich nicht in solch starre Kategorien einordnen.


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Inhalt Redaktion

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Kommentar der Vorsitzenden

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Außen

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Innen

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Feminism – What's it all about?

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Schwerpunkt: Krieg Der islamische Staat

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Krieg. Macht. Geld.

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Der islamische Staat

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Zeitstrahl globaler Konflikte

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Vergessen oder ausgeblendet?

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Boko Haram

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Frauenpolitischer Kommentar Die Blume der Partisanin

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News von Rechts: Wenn der rechte Rand zur Mitte wird 26

KRIEG MACHT GELD

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Wenn der rechte Rand zur Mitte wird 26

Noam Chomsky

Portrait: Noam Chomsky

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Lehrlingsrecht

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Fremd.geschämt In Zahlen

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FAKTOR, Die linke Jugendzeitschrift für Wien 01/16 Medieninhaber: Verein zur Förderung fortschrittlicher Jugendmedienarbeit Herausgeberin: Sozialistische Jugend Wien, Alle: Landstraßer Hauptstraße 96/2, 1030 Wien; office@sj-wien.at; Tel.: 01/7138713 Chefredaktion: Sarah Sulollari (SJ3), Bettina Rosenberger (SJ23) MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: Sarah Sulollari(SJ3), Ines Erker(SJ10), Simon Brezina(SJ10), Zulla Ahmetovic(SJ12), Sarah Pliem(SJ12), Julia Hess(SJ13), Marlene Mutschmann-Sanchez(SJ13), Melanie Eidler(SJ17), Simon Doujak(SJ17), Adrian Chorolez(SJ21), Magdalena Bayer (SJ21), Thomas Huber( SJ21), Marlis Zederbauer(SJ21),Marina Hanke(SJ21),Bettina Rosenberger(SJ23) Lektorat: Sarah Sulollari, Bettina Rosenberger, Julia Hess Layout: Lucia Bischof Druck: Fair Drucker Ges.m.b.H 3002 Purkersdorf, Wintergasse 52

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vor

Redaktion Liebe Leserin, lieber Leser,

❞Die FAKTOR Redaktion wünscht euch einen kämpferischen Frühling❝

Foto: Tom Jutte flickr.com

T

agtäglich bekommen wir in den Medien schlechte Nachrichten. Leider ist auch diese FAKTORAusgabe keine Ausnahme. Sie beschäftigt sich mit dem Thema Krieg. Der große Unterschied: Die Medien versuchen uns weis zu machen, dass wir nicht mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten brauchen, sondern mehr "Sicherheit" und eingeschränkte BürgerInnenfreiheiten. Die Angst vor Terror, vor flüchtenden Menschen, vor den “Anderen” wird uns überall vermittelt. Nur über Krieg zu schreiben ist zu wenig, denn wer Krieg bekämpfen will, muss sich mit den Ursachen auseinandersetzen. Warum entsteht Krieg? Warum verlassen tausende Menschen ihre Heimat? Wer gefährdet wirklich unsere Demokratie? Wir müssen

verstehen, dass wir nicht nur unmündige LeserInnen sind, sondern, dass wir alle einen Teil dazu beitragen, wie unsere Welt aussieht. Um gute Nachrichten lesen zu können, müssen wir die Welt gemeinsam verändern. Aber wir können das System erst verändern, wenn wir es verstehen. Wir dürfen die Antworten auf die vielen Probleme, die es gibt, nicht den rechten HetzerInnen überlassen, sondern müssen auf die Ursachen hinweisen. “Krieg. Macht. Geld.-Menschen statt Profite!” unter diesem Motto gehen wir am 30. April beim Fackelzug gemeinsam mit tausenden Jugendlichen auf die Straße. Sei dabei und mach einen ersten Schritt, die Welt zu verändern! Tina & Sarah

Gehört r - Fickt-Euch-Allee Lene: Grossstadtgeflüste rt - Total Eclipse of the hea Simon B. : Bonnie Tyler rst - Firestorm Sarah P. : Conchita Wu and Oh's Magda: Elle King - Ex's cit y t Adrian: M83 - Midnigh x Tina: Irie Révolté- La pai ud Pro Zulla: Heather Small deinen Traum Thomas: Dig imon - Leb l - Dolled Up In Straps Simon D. : The Nationa ake it off Marlis: Ryan Adams - Sh et (aber nie die Musik) end Marina: Ca sper - Alles r - Ich muss gar nichts Julia: Grossstadtgeflüste Gloria Sarah S. : Patti Smith-

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wort

Kommentar der Vorsitzenden

Text: Marina Hanke

Das Thema Flucht und Asyl ist weiterhin das bestimmende Thema politischer Debatten, und die Lage spitzt sich immer weiter zu.

A

nstatt an einer guten, gemeinsamen europäischen Lösung zu arbeiten, mit der eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen gewährleistet werden kann, wird die Festung Europa weiter ausgebaut. Im Vordergrund steht dabei nicht der Gedanke, den Schutzsuchenden zu helfen, sondern möglichst viele Menschen davon abzuhalten, nach Europa zu kommen. Fluchtrouten wie beispielsweise die Balkan Route werden geschlossen, Grenzsicherung wird ausgebaut und Abkommen werden verhandelt, damit Flüchtlinge möglichst schnell wieder zurückgeschickt werden können, so etwa das im März beschlossene Abkommen mit der Türkei. Gleichzeitig sitzen tausende Menschen unter den unwürdigsten Zuständen in Lagern an den Grenzen Europas, beispielsweise in Idomeni, fest und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Auch in Österreich gibt es wenig Anzeichen, dass ein (erneuter) Kurswechsel, weg von einer Politik der Grenzzäune und Obergrenzen, bevorstünde. Ganz im Gegenteil wird die politische Lage dazu genutzt, eine weitere Entsolidarisierung innerhalb der Bevölkerung anzutreiben und Politik auf dem Rücken der Ärmsten zu machen. Seit mehreren Wochen versuchen ÖVP und FPÖ die Mindestsicherung und andere sozialstaatliche Unterstützungsmaßnahmen zu torpedieren. So sollen etwa subsidiär Schutzberechtigte und Asylberechtigte keinen Anspruch auf Mindestsicherung haben. Doch es steckt noch mehr dahinter: zeitgleich wird auch eine Deckelung der Mindestsicherung für alle BezieherInnen gefordert, was eine Existenzsicherung für die Betroffenen noch mehr erschweren würde. Das Thema

Flucht und Asyl wird hier genutzt, um den Sozialstaat anzugreifen und auszuhöhlen. Die Absurdität der Vorschläge erreicht immer wieder neue traurige Höhepunkte, so etwa auch der kürzlich präsentierte Plan von Innenministerin Mikl-Leitner und Finanzminister Schelling, staatliche Fördergelder für Hilfsorganisationen und NGOs um den Betrag zu kürzen, der als Spenden an die Organisationen eingeht.

Fluchtursachen bekämpfen – nicht Flüchtende! Wenig Raum in den Debatten bekommt allerdings die Frage, wieso so viele Menschen zur Flucht gezwungen werden. Es gibt Flucht, weil das Leben vieler Menschen bedroht ist: durch Krieg, politische Verfolgung und wirtschaftliche Zerstörung. Es gibt Flucht, weil Kriege im Kampf um Ressourcen und geopolitische Interessen geführt und befördert werden. Es gibt Flucht, weil wir in einer Welt leben, in der für einige Wenige unvorstellbarer Reichtum produziert wird, indem andere ausgebeutet werden. Es gibt Flucht, weil wir in einer Welt leben, in der Profite wichtiger sind als Menschenleben. Auch europäische Länder, die jetzt eine scheinbare Überforderung mit der Anzahl an flüchtenden Menschen konstruieren und die Grenzen dicht machen, haben hier eine nicht unwichtige Rolle. Unterstützungsgelder für Krisenregionen wurden immer mehr zurückgeschraubt oder nicht ausgezahlt, auf der anderen Seite wurden Waffenlieferungen zugelassen, die die Lage noch verschärfen.

Die Sozialistische Jugend Wien hat es sich für die kommenden Wochen zum Ziel gesetzt, genau diese Fluchtursachen und Hintergründe zu benennen und in den Fokus zu rücken. Mit unserer Kampagne „KRIEG.MACHT.GELD. – Menschen statt Profite!“ sind wir jetzt auf Wiens Straßen unterwegs. Den Abschluss bildet eine große Demonstration am 30.April, der Fackelzug. Es ist unsere Aufgabe, auf Fluchtursachen hinzuweisen und eine Welt zu erkämpfen, in der niemand mehr zur Flucht gezwungen wird. Genauso müssen wir uns aber für eine menschenwürdige Asylpolitik in Europa einsetzen, damit Schutzsuchenden die Hilfe geboten wird, die sie brauchen. Wir müssen uns klar gegen eine Politik stellen, die die Menschen weiter auseinanderdividiert – und wir werden uns dabei nicht unterkriegen lassen!

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außen

Außen Text (v.l.n.r.): Adrian Chorolez, Bettina Rosenberger, Marina Hanke Foto (v.l.n.r): John Gillespie flickr.com; Chris Blakeley flickr.com; Johannes Jander flickr.com;

#FEELTHEBERN Als der unabhängige Senator und selbsterklärte demokratische Sozialist Bernie Sanders am 29. April 2015 seine Kandidatur als US- Präsident bekannt gab, wurde er als Underdog belächelt. Mit seiner Ankündigung einer „politischen Revolution“ präsentierte Sanders ein sozialpolitisches Programm, das an frühere sozialdemokratische Forderungen aus Europa erinnert: kostenloser Zugang zu staatlichen Universitäten, ein öffentlich finanziertes Gesundheitssystem, Steuern für Reiche und die Anhebung des Mindestlohns werden darin erwähnt. Außerdem fordert Sanders auch Reformen an der Wall Street. Mittlerweile zieht er bei seinen Auftritten Menschenmassen an, die größtenteils aus jungen Menschen und ArbeiterInnen bestehen. Seitdem ist die Parteiführung der Demokraten alarmiert, da sie befürchtet, dass Hillary Clinton, die von ihnen bevorzugt wird, verlieren könnte. Doch für viele Menschen in den USA, die den Glauben an das politische System verloren haben, ist Sanders die neue Hoffnung auf eine politische Revolution, die der Masse eine Stimme gibt. 6

BÜROKRATIE LÄSST MENSCHEN HUNGERN

FRAUEN IN DER ILLEGALITÄT

Seit Jahrzehnten sorgt das WFP (Welternährungsprogramm der UNO) dafür, dass Menschen in Kriegs- und Krisenregionen mit einem Mindestmaß an Lebensmitteln versorgt werden.

Das Zika-Virus fand in vielen Ländern Südamerikas eine schnelle Verbreitung. Besonders für schwangere Frauen ist das Virus gefährlich, da es Krankheiten bei Neugeborenen auslösen kann.

Das WFP soll einspringen wenn humanitäre Katastrophen drohen. Besonders in den Nachbarländern Syriens wie Jordanien, Libanon und der Türkei, also jene Staaten, die viele Flüchtlinge aufgenommen haben, spitzte sich die Lage stetig zu. Denn das WFP konnte keine Nahrungsmittel mehr ausgeben, bzw. musste die ohnehin nicht ausreichenden Rationen noch weiter kürzen. Dies war die Folge davon, dass mehrere Staaten die bereits ausgemachten Zahlungen nicht überwiesen, darunter bedingt auch Österreich. Die Regierung überwies erst im November ihren Beitrag. Die massive Verzögerung wurde damit gerechtfertigt, dass es zu Problemen beim Vertragsabschluss zwischen dem Landwirtschaftsministerium und der Austrian Development Agency (ADA) kam. Menschen fliehen nicht nur vor Terror und Bomben, sondern auch vor dem Hunger in den Flüchtlingslagern und die Mitverantwortung dafür, kann Österreich nicht abstreiten.

Die Regierungen raten Frauen dazu, ihre Kinderpläne für längere Zeit aufzuschieben. Angesichts der Gesetzeslagen sind diese Ratschläge jedoch eine Farce. Der Zugang zu Verhütungsmitteln ist für viele Frauen nicht gegeben, da sie nur zu extrem hohen Preisen erhältlich sind. Die Möglichkeit, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, ist in den meisten der hauptbetroffenen Länder illegal. Im Falle einer ungewollten Schwangerschaft bedeutet das den Weg in die Illegalität. Illegal durchgeführte Schwangerschaftsabbrüche bergen ein hohes Risiko für Verletzungen oder können sogar tödlich enden, außerdem besteht die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung. Anstatt Frauen ein Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper, durch Zugang zu Verhütungsmitteln und legalem, leistbaren Schwangerschaftsabbruch, zu ermöglichen, sollen sie in ihren Freiheitsrechten beschränkt und in die Illegalität getrieben werden.


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innen

Innen Text (v.l.n.r.): Sarah Pliem 2*, Melanie Eidler Fotos (v.l.n.r.): Erich Ferdinand flickr.com; Paul flickr.com;

BUNDESPRÄSIDENTSCHAFTSWAHL '16 Die Debatten im derzeitigen BundespräsidentInnenschaftswahlkampf sind demokratiepolitisch keine Glanzleistungen. So sprach sich der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer dafür aus, die derzeitige Regierung zu entlassen, sollte diese ihre Asylpolitik nicht ändern. Die Grenzen sollen geschützt werden, betont er, schießen jedoch sollen die SoldatInnen nur, wenn sie in Lebensgefahr sind. Der Dritte Nationalratspräsident gibt sich zwar gemäßigt, heißt jedoch als Ehrenmitglied der Burschenschaft Marko Germania und Verfasser des freiheitlichen Parteiprogramms die rassistischen Ideologien genauso gut wie "radikaler" auftretende FPÖ-PolitikerInnen. Die ÖVP beschickt die Wahl mit Andreas Khol, der zu schwarz-blauen Zeiten die rechte Hand Schüssels und Klubchef war. Auch er fordert eine Obergrenze und ist für einen “patriotischen Schulterschluss” der Parlamentsparteien mit der Regierung. Die ÖVP rückt mit Khol also noch weiter nach rechts und die FPÖ versucht ihre wahre Gesinnung hinter der Fassade der „bürgerlichen Mitte“ zu verbergen. Solche Tendenzen zeigen auf, wie wichtig es ist, rassistische Diskurse zu enttarnen und rechte Kräfte zu bekämpfen.

ALLE JAHRE WIEDER Seit 2012 lädt die FPÖ zum Akademikerball, der Nachfolgeveranstaltung des WKR-Balls, in die Hofburg ein. Auch dieses Jahr waren zahlreiche Rechtsextreme, wie beispielsweise die PEGIDAAktivistin Tatjana Festerling, unter den Gästen des Akademikerballs. Die Polizei war mit ca. 2.800 BeamtInnen im Einsatz und verordnete, auch heuer wieder, ein großräumiges Platzverbot, welches vom Heldenplatz bis zum Stadtpark reichte. AntifaschistInnen, darunter auch die SJ, mobilisierten zu der Gegendemonstration der „Offensive gegen Rechts“ (OGR), an der 8.000 Menschen teilnahmen. Im Anschluss fanden mehrere Kundgebungen statt, wie jene von „Jetzt Zeichen setzen!“ am Heldenplatz. Die Kundgebung der sozialistischen Jugendorganisationen, in der Herrengasse beim Café Central, wurde später von der Polizei eingekesselt. Die Begründung der Polizei war, dass zwei Personen, welche vorher PolizistInnen attackiert hätten, in die Menge gelaufen seien. Nach etwa einer Stunde wurde der Kessel ohne weitere Identitätsfeststellungen und Verhaftungen aufgelöst.

„VERSCHWUNDENE“ MINDERJÄHRIGE Während Europas Boulevard damit beschäftigt war hetzerische Falschmeldungen zu drucken, „verschwanden“ laut Europol, der europäischen Polizeibehörde, in den letzten zwei Jahren über 10.000 Kinder spurlos auf der Flucht. Vermutlich liegt die Dunkelziffer höher, denn viele minderjährige Schutzsuchende wurden gar nie registriert und alleine in Italien sind über 5.000 bereits registrierte Kinder und Jugendliche unauffindbar. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die rund 25 % aller Schutzsuchenden in Europa ausmachen, sind besonders gefährdet, da sie leichte Ziele für Menschenhändler*innen und sexueller Ausbeutung sind. Europol hat klare Beweise, dass einige Kinder und Jugendliche auf der Flucht sexuell missbraucht wurden. So sind es vor allem kriminelle Organisationen, die von dieser humanitären Katastrophe profitieren. Massenmedien beschäftigten sich bisher kaum mit dieser Thematik. Dies zeigt einmal mehr mit welcher Wertigkeit unsere Gesellschaft auf „Nicht-Europäer*innen“ herabblickt und wie undifferenziert die Debatten über Asylpolitik geführt werden. 7


theorie

Feminism –

WHAT'S IT ALL ABOUT? Text: Marlis Zederbauer

Politischer Kampf und politische Theorie sind immer eng verbunden. Die politischen Handlungen, die gesetzt werden, leiten sich – bewusst oder unbewusst – aus politischen Überzeugungen ab, die bestimmten Theorien folgen. Feminismus ist ein Begriff, der sowohl eine politische Bewegung als auch politische Theorie beschreibt. Allein das zeigt, dass mit „Feminismus“ nicht immer das gleiche gemeint sein muss.

D

ie Frauenbewegung ist eine der erfolgreichsten politischen Bewegungen des letzten Jahrhunderts. Auch sie ist eng mit feministischen Theorien verbunden, die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben, und deren Aussagen die jeweiligen politischen Forderungen maßgeblich beeinflusst haben. Schon immer gab es Differenzen innerhalb der Frauenbewegung, die sich aus praktischen und theoretischen Gründen ergeben haben. Ein Blick in die Geschichte der Frauenbewegung zeigt nicht nur die Kämpfe gegen Frauenunterdrückung, sondern auch die Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Konzepten von Feminismus.

Bürgerliche und proletarische Frauenbewegung Der Beginn der Frauenbewegung wird oft mit einer bestimmten Person in Verbindung gebracht: Olympe de Gouges. Sie schrieb im Zuge der französischen Revolution die „ Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ und machte damit darauf aufmerksam, dass die bürgerlichen Rechte offensichtlich nur für Männer galten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts formierte sich mehr und mehr die Frauenbewegung, die schließlich Anfang des 20. Jahrhunderts ihren ersten großen Höhepunkt hatte. Im Vordergrund standen dabei vor allem die Forderungen bürgerlicher Feministinnen: Sie forderten das Recht auf Arbeit, Bildung und Teilnahme an Wahlen. Die proletarische Frauenbewegung engagierte 8

sich vor allem innerhalb der ArbeiterInnenbewegung – wo feministische Anliegen oftmals nachgereiht wurden. Viele vertraten die Ansicht, dass mit Erreichung des Ziels – Sozialismus – auch die Unterdrückung der Frau ein Ende haben würde, dem Kampf der Frauen wurde deshalb oft keine Priorität gegeben. Durch den gemeinsamen Kampf sozialistischer und bürgerlicher Feministinnen konnten dennoch viele Errungenschaften, wie das Frauenwahlrecht, durchgesetzt werden.

Man wird nicht als Frau geboren – man wird dazu gemacht Diese berühmten Worte schrieb Simone de Beauvoir in ihrem Werk „Das andere Geschlecht“. Sie beschreiben die Idee, dass die Gesellschaft bei der Konstruktion von Geschlechtern eine bedeutende Rolle spielt. Es widerspricht der gängigen Idee, dass Unterschiede zwischen Männern und Frauen von Geburt an bestehen und somit „natürlich“ gegeben sind. Vor allem im Englisch-Sprachigen sollte sich daraus der Bedeutungsunterschied zwischen „sex“ (biologisches Geschlecht, körperliche Eigenschaften) und „gender“ (soziales Geschlecht, Rollenbilder und Charaktereigenschaften) ergeben. De Beauvoir kritisierte den ursächlichen Zusammenhang zwischen „sex“ und „gender“ und erklärte, wie Erziehung, Kultur und ähnliches das Verhalten von Frauen und Männern maß-


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theorie

❞Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau – ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus❝

Mit diesen berühmten Worten wehrte sich die Sozialistin Alexandra Kollontai gegen die Abwertung des Feminismus innerhalb der sozialistischen ArbeiterInnenbewegung.

geblich beeinflussten. Sie zeigte damit auf, dass diese Unterschiede keinesfalls natürlich, sondern konstruiert und damit veränderbar sind. Die Philosophin und Sprachwissenschafterin Judith Butler ging sogar noch einen Schritt weiter und erklärte, dass nicht nur „gender“ von der Gesellschaft konstruiert wird, sondern auch „sex“. Sie hinterfragte, unter welchen körperlichen Aspekten (anatomisch, chromosomal, hormonell, etc.) wem welches Geschlecht zugeschrieben wird Butler kritisierte damit radikal die Einteilung von Menschen zu einem von zwei, sich scheinbar gegenseitig ausschließenden, Geschlechtern. „Sex“ wurde damit ebenfalls dekonstruiert und die Debatte über eine Vielzahl von Geschlechtern und Sexualitäten eröffnet.

Keine Geschlechter = keine Unterdrückung? Im sogenannten „Postfeminismus“ wird daher versucht das binäre Geschlechtersystem, durch die Idee der Vielgeschlechtlichkeit, der vielen Identitäten zu ersetzen. Doch dadurch geht oftmals die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes gegen Unterdrückung verloren. Es braucht ein kollektives Bewusstsein, um diese Unterdrückung zu thematisieren und zu bekämpfen. Die Annahme unendlich vieler Identitäten kann aber im Gegensatz dazu, zu einer Individualisierung führen. Gerade im Neoliberalismus wird diese Individualisierung stets befeuert: Die Idee des Individuums, das im Wettkampf mit allen anderen steht und

selbst für das eigene Glück verantwortlich ist, kann mit dem Verständnis individueller Identitäten gut verbunden werden. Die herrschenden Verhältnisse, die den Rahmen unseres gesellschaftlichen Lebens und Handelns bilden, werden verschleiert und unser gemeinsamer politischer Kampf wird dadurch erschwert.

Feminismus ist nicht universell Gleichzeitig ist es notwendig, auf besondere Unterdrückungsmechanismen hinzuweisen. Lange Zeit wurden die Forderungen und Positionen weißer Feministinnen als universell angesehen. Sexismus wurde als Diskriminierung erachtet, die alle Frauen gleichermaßen betrifft. In den 60er und 70er Jahren, im Zuge der Entwicklung der Schwarzen BürgerInnenrechtsbewegung, wurde diese Sichtweise zunehmend kritisiert. Feministinnen, wie etwa Patricia Hill Collins, wiesen daraufhin, dass der dominante„Weiße Feminismus“ oftmals nur die Situation und Sichtweisen weißer Mittelschichtsfrauen miteinbezieht, und daher für Frauen, die von Rassismus betroffen sind und/oder der ArbeiterInnenklasse angehören, nur begrenzt relevant ist. Ein umfassender Feminismus muss sich daher auch mit Differenzen zwischen Frauen beschäftigen. Ein Begriff, der mit diesen Debatten einhergeht ist „Intersektionalität“: So wird beschrieben, dass verschiedene Unterdrückungsmechanismen, wie Sexismus, Rassismus, Homophobie oder

Frigga Haug (*1937)

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theorie

Unterdrückung aufgrund der Klassenzugehörigkeit, gemeinsam wirken und sich Unterdrückungsformen daher voneinander unterscheiden können.

Politische Theorie und politischer Kampf

Patricia Hill Collins (*1948)

In der politischen Praxis ist es für MarxistInnen notwendig, aktuelle politische Theorien nach Möglichkeit in die marxistische Theorie einzubetten. Es ist etwa unzureichend, die Unterdrückung von Frauen allein mit Marx zu erklären – allein deshalb, weil er sich nicht besonders ausführlich damit befasst hat. Doch es gab immer wieder Frauen, die versuchten, feministische Theorien in Einklang mit Marxismus zu bringen. Die Marxistin Frigga Haug hat als eine der ersten im deutschsprachigen Raum den Versuch gewagt, Feminismus nicht nur in den Marxismus einzubetten, sondern ihn feministisch weiterzuentwickeln, das heißt: Die Frauenbefreiung in den Marxismus einzuarbeiten. Dafür müssen die zwei Herrschaftssysteme – Kapitalismus und Patriarchat – miteinander analysiert werden. Die Erkenntnis, dass es sich beim Patriarchat um eine Herrschaft der Männer über die Frauen handelt, dass der Feminismus also dieses Herrschaftsverhältnis beseitigen müsse, ist sowohl wichtig für die theoretische Untermauerung feministischer Forderungen, als auch die eigene Identifikation als politische Befreiungsbewegung. Der Kapitalismus schafft es gleichzeitig erfolgreich, sich bereits bestehende Unterdrückungsmechanismen einzuverleiben und für sich zu nutzen. Die umfassende Analyse in Zusammenhang mit weiteren

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Unterdrückungsmechanismen erweitern unser Bild von der Funktionsweise des Kapitalismus. Ein Zusammendenken von feministischen Theorien und Marxismus ist also sinnvoll, um unsere Gesellschaft zu verstehen, und bietet damit die Grundlage für die Überwindung des Kapitalismus und die Errichtung einer Gesellschaft, die frei von Unterdrückung ist.

Judith Butler (*1956)


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schwerpunkt: krieg

Schwerpunkt: Krieg

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schwerpunkt: krieg

Krieg.Macht.Geld.

WIR SAGEN: MENSCHEN STATT PROFITE! Text: Simon Brezina und Julia Hess

Auf der ganzen Welt werden Kriege geführt. Sie zerstören die Lebensgrundlagen der Bevölkerung und kosten hunderttausenden Menschen das Leben. Warum gibt es Krieg und wer treibt ihn voran? Welche Interessen werden mit dem „Krieg gegen den Terror“ verfolgt? Welches Ziel haben Interventionen, die Regionen vermeintlich „stabilisieren“ sollen?

Fangen wir ganz von vorne an...

E

in prägender Aspekt unseres aktuellen Wirtschaftssystems, dem Kapitalismus, ist die Konkurrenz zwischen den Konzernen. Jeder Mensch wird, bei einer Auswahl von zwei gleichen Produkten - sagen wir beispielsweise Kuchen -, das Billigere nehmen. Das bedeutet, dass der Konzern, der den teureren Kuchen 12

anbietet, früher oder später pleitegeht, wenn er den Kuchen weiterhin teurer anbietet. Das heißt, er muss entweder schneller, mehr oder besser produzieren. Denn, wenn der Kuchen besser schmeckt oder billiger wird, werden Leute wieder bei diesem Konzern einkaufen. Nun muss der andere Konzern nachziehen – sonst bleiben seine Kuchen liegen. Er muss die Produktion ausbauen (mehr Filialen, Backstuben

usw.), um die Konkurrenz auszustechen. Dieser Wettstreit kann sich so stark zuspitzen bis so viel Kuchen auf dem Markt ist, dass ihn niemand mehr kaufen will – also eine Krise der Überproduktion ausgelöst wird. So eine Krise kann auch passieren, wenn Leute den Kuchen zwar kaufen wollen, aber nicht genug Geld dafür haben. Im Prozess des Wettstreits zwischen den Konzernen wird in der Regel nämlich die


schwerpunkt: krieg

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Bezahlung der Angestellten gedrückt, um den Kuchenpreis senken zu können.

Krisen und Konsequenzen Was hat eine Wirtschaftskrise nun mit Krieg zu tun? Zurück zum Kuchenbeispiel: Der Kuchen lässt sich nicht mehr verkaufen. Ob das daran liegt, dass zu viele Kuchen am Markt sind, oder ihn sich die KonsumentInnen einfach nicht mehr leisten können, ist dem Konzern eigentlich egal. Die einzige Frage, die sich stellt, ist, wie es möglich wird, dass sich Kuchen wieder verkaufen lassen. Den Kuchen wegwerfen reicht nicht, denn am nächsten Tag ist ja wieder zu viel da. Das bedeutet, dass die Backöfen, die Verkaufstheken, die Mühlen und alles was damit zu tun hat, zerstört werden müssen, damit die Produktion wieder wachsen und konkurrieren kann. All diese Dinge sind Produktionsmittel, also notwendig, um Kuchen zu machen. Produktionsmittel gehören zum „Kapital“, dem Wert, der in die Produktion gesteckt wird, um sich zu bereichern. Um der Kuchenkrise zu entkommen, braucht es also eine „Kapitalvernichtung“. Nun kann das durch eine Negativspirale des Elends passieren: Kuchen wird nicht verkauft, Konzerne machen zu, Menschen verlieren ihre Arbeit und kaufen noch weniger Kuchen. Mit der Zeit werden viele Leute alles verloren haben und es wird notwendig sein, neu anzufangen.

Warum Kuchen, wenn es auch anders geht? Alternativ hört man einfach auf, Kuchen zu produzieren und steckt das Geld in eine Industrie, deren Produkte sowieso ver-

nichtet werden. Die Waffenindustrie bietet sich an. Wenn den Menschen weis gemacht wird, dass sie bedroht werden, können ihnen auch Waffen verkauft werden. Wenn die einen Waffen kaufen, brauchen deren GegenspielerInnen auch Waffen. Wenn sich dies zwischen Staaten abspielt, wird es „Rüstungskrieg“ genannt. Als Beispiel hierfür kann der Kalte Krieg, der bis in die 90er Jahre dauerte, herangezogen werden: Nach dem Zweiten Weltkrieg begann zwischen der NATO und den Staaten des Warschauer Paktes ein Rüstungswettlauf. Profitabler als das Hochrüsten ist natürlich der Krieg selbest. Wenn jemand eine Bombe kauft und zündet, wird das produzierte Kapital direkt und sofort vernichtet. Doch diese Bombe sollte nicht im eigenen Garten gezündet werden. Viel besser wäre es, wenn der/die NachbarIn auf der anderen Seite des Flusses, dazu angestiftet wird, dem/der anderen NachbarIn die Bombe in den Garten zu werfen. Dann können immer wieder Bomben über den Fluss geliefert werden, für die natürlich bezahlt wird.

1,7 BILLIONEN EURO Militärausgaben weltweit. In anderen Worten: von jedem Euro, den Regierungen auf der ganzen Welt in ihr Militär stecken, wandern ca. 23 Cent in die Taschen eines der hundert größten Unternehmen. Viele dieser Unternehmen sind in Privatbesitz.

INFO Der Jahresumsatz des deutschen Rüstungsunternehmens Krauss-Maffei Wegmann beträgt 987,8 Millionen Euro. Allein Deutschland hätte mit seinen Rüstungsausgaben im Jahr 2015 das Programm „Mare Nostrum“, welches Flüchtlinge in Seenot vor dem Ertrinken bewahren sollte, mehr als 10.000 Mal finanzieren können.

Die Bombe im eigenen Garten hat übrigens auch Vorzüge. Wenn zum Beispiel die verkauften Bomben nicht ausreichen, um die Krise abzuwenden, müssen härtere Maßnahmen getroffen werden. Wird ein Krieg mit dem/der eigenen NachbarIn angezettelt, wird sich das Leben der GartenzwergInnen radikal verschlechtern. Auf einmal ist der/die FeindIn der/die NachbarIn, der/die den GartenzwergInnen Bomben über den Zaun wirft. Also sind alle bereit, in verschlechterten Situationen zu leben. Die einen gehen an die Front, die anderen bleiben daheim und arbeiten plötzlich doppelt so viel für weniger Lohn. Während prekäre Arbeitsumstände in 13


schwerpunkt: krieg

KRIEG NACH INNEN Während nach außen hin Krieg gegen den vermeintlichen „Feind“ geführt wird, richtet sich dieser genauso auch nach innen – gegen die eigene Bevölkerung. In den USA, ebenso wie in Europa, peitschen die Regierungen neue „Sicherheitsgesetze“ durch die Parlamente, mit denen Grundrechte deutlich eingeschränkt und die Kompetenzen von Polizei und Geheimdiensten massiv ausgebaut werden. In Österreich handelt es sich hierbei um das neue „Staatsschutzgesetz“.

SIPRI Das Stockholm International Peace Research Institute wurde 1966 in Form einer Stiftung durch die schwedische Regierung gegründet.Es ist eine wissenschaftliche Einrichtung, die sich mit globalen Entwicklungen beschäftigt und zu Fragen bezüglich Konflikte, Frieden, Sicherheit und Kooperationen forscht.

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Friedenszeiten undenkbar sind, sind sie im Krieg akzeptabel und notwendig, um den Krieg zu gewinnen.

Ein Geben und Nehmen Nun ist Krieg nicht ausschließlich dazu da, um Krisen abzuwenden und die eigene Wirtschaft zu stabilisieren. Vor allem „Interventionen“ in „instabilen“ Regionen versprechen einen leichten Zugang zu Ressourcen. Sei es durch Geld, Waffen oder Truppen, wer in einer anderen Region interveniert, erhofft sich auch etwas dabei.

Das kann zum Beispiel die wirtschaftliche Sicherung des Ölvorkommens sein. Dies war während des Irakkrieges der Fall, als die irakische Regierung, die von der USA gestützt wurde, US-amerikanischen Unternehmen den Ressourcenzugang ermöglichte. Heutzutage wird dieser Kampf nicht so offensichtlich geführt. Meist wird ein Konflikt mit Wirtschaftssanktionen eröffnet, die zwar der Volkswirtschaft schaden, aber das Finanzkapital in keinster Weise einschränken. Dann gibt es Truppenübungen oder es werden RebellInnen und kleine Kriegsparteien gefördert.


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Im Ukraine-Konflikt, der bisher tausende Menschenleben gefordert hat, gab es beispielsweise große gemeinsame Übungen mit Truppen der NATO und der Ukraine. Dabei hat die EU vor allem das Interesse, weiterhin kostengünstig mit Erdgas aus Russland beliefert zu werden.

Deckmantel „Friedensprojekt“ Seit Jahrzehnten werden im Gebiet der EU keine Kriege mehr geführt. Voller Stolz wird deshalb mit der Selbstbezeichnung

schwerpunkt: krieg

„Friedensprojekt Europa“ oder gar mit dem Friedensnobelpreis, der der EU 2012 zugesprochen wurde, geprahlt. Doch hinter diesen Begriffen versteckt sich mehr als nur ein Übereinkommen darüber, dass nie wieder Bomben auf europäisches Land abgeworfen werden sollen. Während sich die EU damit rühmt, seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr angegriffen worden zu sein, findet zeitgleich unter dem Deckmantel einer „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ eine enorme Aufrüstung des Militärs statt. Konträr zu einem wirklichen Friedensprojekt, schreibt die Europäische Union sogar in ihrer Verfassung fest, dass die Mitgliedsstaaten für eine kriegerische Auseinandersetzung allzeit bereit sein sollen. Damit soll gewährt werden, dass die eigenen wirtschaftlichen und strategischen Interessen verteidigt und auch durchgesetzt werden können Um dies umzusetzen, rief die EU 2005 sogenannte „Battle Groups“ ins Leben, die in „Krisensituationen“ schnell und flexibel andere Länder angreifen können sollen. Die einzelnen Mitgliedsstaaten stellen hierfür im Halbjahrestakt mobile und hochgerüstete Kampftruppen zur Verfügung, die bereit sind, das „Friedensprojekt Europa“ gewaltsam zu verteidigen. Dass es hierbei aber im Grunde nicht um die Wahrung des Friedens, sondern um das Verteidigen des angeeigneten Reichtums Europas geht, wird spätestens mit der Argumentation der österreichischen Regierung deutlich, die 2012 erstmals selbst Kampftruppen bereitstellte. Hannes Androsch (SPÖ) eröffnete zu dem Zeitpunkt gegenüber der „Österreich“, dass es darum ginge, „im europäischen Verbund in Zusammenarbeit mit der NATO

einsatzbereit zu sein, die Rohstoffund Energiequellen zu verteidigen, die Transportwege, Seewege und Pipelines.“ Zudem pumpen Europas Regierungen Milliarden Euro in sinnlose Kampfflugzeuge, Bomber und andere Kriegsgeräte, um die europäische Rüstungsindustrie „wettbewerbsfähig“ zu machen. Ein Blick auf den geltenden EU-Vertrag von Lissabon genügt, um zu erkennen, dass die Union auf Aufrüstung setzt: "Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern", heißt es beispielsweise in Artikel 42c. Diese Worte widersprechen der Bedeutung einer sogenannten „Friedenspolitik“ in ihren Grundzügen und stehen eindeutig im Zeichen einer europäischen Rüstungs- und Kriegspolitik, die nur eines zum Ziel hat: Den Schutz und Ausbau der wirtschaftlichen Macht Europas.

Das Geschäft mit dem Krieg 1,7 Billionen Euro haben die Regierungen dieser Welt im Jahr 2014 für das Militär ausgegeben (Studie des Friedensforschungsinstituts SIPRI). Allein in Deutschland wurden 46,5 Milliarden Euro investiert, unter anderem deshalb, weil das „Friedensprojekt EU“ dies so vorsieht. Bei einem EU-Gipfel letzten Sommer kamen die Staats- und Regierungschef-Innen der Mitgliedsstaaten überein, dass die EU-Staaten „Verteidigungsausgaben in ausreichender Höhe vorsehen müssen“, und dieser Beschluss stand auf derselben Tagesordnung wie das The15


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FACKELZUG Komm‘ am 30. April um 20 Uhr zum Fackelzug! Gemeinsam setzen wir ein starkes Zeichen gegen Krieg und seine Ursachen!

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ma „Flüchtlingskrise“. Ein schlechter Witz, möchte man meinen, doch leider handelt es sich um die erbarmungslose Realität. „Europa hat erkannt, dass Verteidigung industrielle Kompetenz braucht und nimmt dafür Geld in die Hand.“, zeigt sich Reinhard Marak, Geschäftsführer der ARGE Sicherheit und Wirtschaft in der Wirtschaftskammer Österreich, sichtlich erfreut über den Weg der EU. Denn diese Form der Politik ist zum Vorteil der gesamten Rüstungs- und Verteidigungsindustrie. In Europa erwirtschaftet diese jährlich 2,5 Prozent des BIP (Bruttoinlandsprodukt – der Gesamtwert aller Güter, die erwirtschaftet werden). In Euro-Beträgen bedeutet das zum Beispiel für das Jahr 2012 insgesamt 96 Milliarden Umsatz, wobei allein der österreichische Ableger des Industriezweigs in diesem Jahr 2,5 Milliarden einnahm. Fast alle produzierten Güter (satte 94 Prozent) wurden exportiert, also ins Ausland verkauft. Zwar ist die Ausfuhr in Länder, in denen ein bewaffneter Konflikt herrscht oder Menschenrechtsverletzungen passieren, verboten (Kriegswaffenexporte müssen vom Innenministerium genehmigt werden), doch ganz so streng scheint das nicht gesehen zu werden. Bereits Anfang 2016 – einem Jahr, das ganz im Zeichen der tausenden Kriegsflüchtlinge auf ihrem Weg zur Festung Europa steht – gab die deutsche Bundesregierung grünes Licht für Waffenexporte in Krisenländer. So wurden Medienberichten zufolge zum Beispiel über tausend Maschinengewehre und –pistolen in den Oman, in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Jordanien verkauft. Wie der Weg der Waffen nach der Ankunft in diesen Ländern weiter geht, interessiert offensichtlich

niemanden. Die Profite stehen über den Menschenleben, die mit diesen Waffen ausgelöscht werden.

Wir sagen: Menschen statt Profite! Vieles läuft falsch in dieser Welt. Während einerseits Menschen verhungern und Kriege morden und wüten, gibt es auch immer die andere Seite. Jene, die davon profitieren, dass es Herrschende gibt und Beherrschte. Jene, die Konflikte provozieren, weil sie im Endeffekt daran verdienen. Der Kampf gegen Aufrüstung und Krieg ist keineswegs ein Kampf für humanistische Grundwerte allein. Es ist im Besonderen ein sozialer Kampf gegen ein Wirtschaftssystem, das Geld in Waffen statt in Sozialleistungen steckt, ein System, das auch auf gewaltsamer Ausbeutung von Ressourcen beruht. Wir lehnen dieses System, den Kapitalismus, entschieden ab, denn es ist klar, dass die große Mehrheit der Menschen in Österreich und Europa weder an Aufrüstung und Krieg, noch an Ausbeutung und Unterdrückung interessiert sein kann. Was wir brauchen ist keine europäische Rüstungs- und Kriegspolitik, sondern eine europäische Friedenspolitik. Statt Rüstung und Krieg im Interesse des Profits wollen wir eine Gesellschaft der Gleichheit, eine Gesellschaft ohne Unterdrückung. Erst eine Welt, in der es keinen Unterschied mehr zwischen den Menschen gibt, keine UnterdrückerInnen und keine Unterdrückten, keine Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, keine Armen und keine Reichen, kann sicherstellen, dass es keinen Grund mehr für Aufrüstung und Krieg gibt. Eine solche sozialistische Welt ist unser Ziel, und dafür werden wir gemeinsam kämpfen!


faktor nr. 1/2016 schwerpunkt: krieg

Der Islamische Staat

EIN ANTIKAPITALISTISCHER INSZENIERUNGSVERSUCH Text: Zulla Ahmetovic

Wenn Medien von den Gräueltaten des Islamischen Staates berichten, stehen meistens männliche IS-Kämpfer im Fokus. Frauen finden in der Berichterstattung nur Erwähnung, wenn es um Opferzahlen geht. Kämpfende Frauen werden sowohl in der Wissenschaft, als auch in den Medien kaum berücksichtigt.

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m Mainstream wird meist nur von weiblichen Opfern und „Dschihadisten-Bräuten“ gesprochen, weibliche Täterinnen der Terrorgroßmacht IS werden hingegen nicht erwähnt. Das liegt vor allem an stereotypen Denkweisen, die Frauen gar nicht erst zutrauen eine ideologische Begeisterung zu entwickeln, gewaltbereit zu sein und grausame Taten auch auszuführen. Auch im IS gilt: Frauen sollen die nächste Generation von Kämpfern gebären und großziehen sowie sich um den Haushalt kümmern, bzw. als Lehrerin, Ärztin oder Krankenschwester dem „Kalifat“

dienen. Der IS ist schon lange kein reiner Männerbund mehr. Viele Dschihadistinnen waren nach ihrer Ankunft in Syrien darüber empört, dass sie nicht kämpfen dürfen und posteten ihren Unmut zum Beispiel auf Twitter. Ihre Intention war klar: sie wollen gemeinsam mit den Männern an der Front stehen und waren auch bereit für das „Kalifat“ zu sterben. Oftmals wird versucht zu erklären, dass junge Muslime und vor allem junge Muslimas dem IS beitreten, um sich von den Anforderungen ihrer Familien und

der Gesellschaft zu „befreien“. Sich der Terrororganisation anzuschließen ist für sie also ein Akt der Selbstbestimmung. Sie glauben im „Kalifat“ darüber entscheiden zu können unter welchen Regeln sie leben und sterben werden. Der IS hat erkannt, dass er durch Frauen noch mehr Menschen für sich gewinnen kann und beugte sich dem Wunsch der Frauen, auch kämpfen zu dürfen. Es bleibt aber dabei: eine Frau ist einem Mann im IS immer untergeordnet. Auch wenn sie bewaffnet ist und in den Dschihad zieht. So bekommt die Familie einer Selbstmordattentäterin 17


schwerpunkt: krieg

IS, ISIS ODER ISIL Als die Organisation noch unter der Leitung der Al-Quaida stand, hieß die Gruppe „Al-Quaida in Iraq“ (AQI). Nachdem Abu Bakr al-Baghdadi zum neuen Terrorchef aufstieg, änderte sich der Name der Gruppe in „Islamic State in Iraq“ (ISI) und 2013 schließlich in „Islamic State in Iraq and al-Sham“ (ISIS) um. Al-Sham ist die historische arabische Bezeichnung für das Gebiet, das heute unter anderem teilweise Syrien, Libanon, Jordanien, Israel und Palästina umfasst –die Region wird auch Levante genannt, daher wird die Gruppe auch als ISIL bezeichnet. Mit der Ausrufung des „Kalifats“ im Sommer 2014 haben sich die Initialen IS durchgesetzt. Sie werden auch von dem IS selbst verwendet, um seinen Machtanspruch als Islamischen Staat zu demonstrieren

KALIFAT Herrschaftsbereich des Kalifen Kalif: Nachfolger des Propheten Mohammeds, um seine Lehren und Schriften weiterzugeben und der globalen, muslimischen Gesellschaft als Vorbild zu dienen.

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nur die Hälfte des Entschädigungsgeldes, das den Angehörigen männlicher Attentäter zusteht.

Antikapitalismus à la IS Der Islamische Staat kämpft gegen Ungläubige. Diese Bezeichnung trifft für den IS auf jede Person zu, die nicht nach den Islam-Regeln der Terrormacht leben will. Das Terrorregime bedient sich an Stellen aus dem Koran und an anderen islamischen Schriften, interpretiert diese, vor allem was die Taten und Worte des Propheten Mohammeds betrifft, auf seine eigene Art und Weise und legitimiert somit die Ermordung von Menschen. Im Manifest der „Al-Khansaa“-Brigade wird nicht nur darauf Bezug genommen, dass der Kolonialismus Länder militärisch und wirtschaftlich unterdrückte, sondern auch, dass die Kolonialherrschaft es schaffte „ihre schmutzige Kultur und ihr materialistisches, atheistisches Ideengut überall unter den Muslimen zu verbreiten“. Sie machen den Kolonialismus für das Verschwinden der „wirklichen“ muslimischen Gesellschaft, die die Botschaften Gottes verstand und nach ihnen lebte, verantwortlich. Mit der Ausrufung des „Kalifats“ wollen DschihadistInnen die weltweite muslimische Gemeinschaft vom „falschen“, „westlichen“ Weg abbringen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Wirtschaft. MuslimInnen würden sich dann vom „Westen“ und seiner „Unreinheit“ befreien, wenn sie aufhören würden „westliche“ Währungen zu benutzen, da diese nicht im Sinne Allahs seien. Dieses Vorhaben ist für MuslimInnen allerdings schwierig, da es kaum einen Ort auf unse-

rer Welt gibt, in dem Vermögenszuwachs und Profitmaximierung nicht an erster Stelle stehen. Das ist und genau so steht es auch in dem Manifest der bewaffneten Dschihadistinnen, „dem tyrannischen Kapitalismus, der den Völkern regelrecht aufgezwungen wurde, zu verdanken.“ Aus diesem Grund wird im „Kalifat“ eine Währung aus der Zeit des Propheten eingesetzt, nämlich der Dinar. Die Papierwährung soll nicht stetig aufgewertet werden, sondern lediglich die Preise für den Handel festsetzen. Die „Al-Khansaa“Brigade argumentiert, dass alles was die Menschen zum Leben brauchen, schon von Gott gegeben ist. Dürre und Hunger sind in ihrer Weltanschauung die Strafen dafür, dass die Menschen nicht mit dem zufrieden sind was sie haben, sondern nach immer mehr Erträgen streben und im Übermaß konsumieren. Die Ideologie des Islamischen Staates basiert also darauf, dass die „religiöse Wissenschaft“ die einzig „wirkliche“ Wissenschaft sei. Alles darüber hinaus steht im Widerspruch zum Islam und bringt die Menschen vom rechten Weg ab. Der IS sieht die Erkenntnisse aus den Bereichen der Landwirtschaft, der Medizin und der Architektur sehr wohl als notwendig an. Jedoch sollen damit nicht alle „Geheimnisse der Natur“ aufgedeckt werden, sondern sie sollen lediglich zu einer Verbesserung der Lebensumstände beitragen. Für den IS besteht die einzige Lösung darin, einen Staat zu errichten, der frei von „westlicher Unreinheit“ ist und in dem MuslimInnen im Einklang mit der Islam-Interpretation des IS leben können. Als Mittel zum Zweck ist dem IS alles recht. Auch wenn dies bedeutet einem anderen Menschen das Leben zu


faktor nr. 1/2016

schwerpunkt: krieg

DIE „AL-KHANSAA“BRIGADE ist im Februar 2014 in Rakka, der Hauptstadt des „Kalifats“, gegründet worden und ist die einzige Brigade mit bewaffneten Frauen. Die Gruppe ist nach der Poetin Al-Khansaa benannt worden, die dem Propheten Mohammed begegnet sein soll. Die Kämpferinnen sind mit der Aufgabe beauftragt darauf zu achten, dass alle BürgerInnen von Rakka die strengen Gesetze des „Kalifats“ einhalten. Außerdem sind sie für die Verwaltung der Sklavinnenmärkte des IS zuständig. Weiters müssen sie Bürgerinnen bestrafen, die sich nicht an die Gesetze halten. Gelegentlich werden sie auch an Checkpoints eingesetzt.

nehmen, oder das eigene Leben für das „Kalifat“ zu opfern.

Den Bann des IS brechen Selbstmordattentäterinnen gibt es keineswegs erst seit dem IS. Während die „westlichen“ Medien und die Wissenschaft an Genderstereotypen festhielten, erkannte die Terrorgruppe schon früh, dass sie durch weibliche Mitglieder profitieren kann. Frauen fallen weniger auf und werden in der Regel nicht so streng kontrolliert wie Männer, weswegen sie oft als Selbstmordattentäterinnen eingesetzt werden. Der IS propagiert zwar Antikapitalismus, doch die Realität zeigt, dass DschihadistInnen im Möchtegern-Kalifat nicht die Verpflegung erhalten, die ihnen der IS vor

ihrer Einreise verspricht, was zeigt, dass die Einnahmen der Terrororganisation keinesfalls gerecht unter den KämpferInnen verteilt werden. Es ist die globale Ungleichheit zwischen Norden und Süden, die die Menschen in die Fänge des Terrornetzwerks treibt. Sich mit der Ideologie des Islamischen Staates zu beschäftigen, bedeutet auch sich einzugestehen, dass all die ungelösten, globalen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme dem IS in die Hände spielen. Der Terror des IS beweist umso mehr, dass wir die Zustände auf der Welt verändern müssen und, dass der Kampf gegen den Kapitalismus jetzt noch unumgänglicher ist!

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schwerpunkt: krieg

Das guatemaltekische Militär stürzte mit Unterstützung der CIA, die linksgerichtete Regierung, aufgrund einer Agrarreform, die die Enteignung der "United Fruit Company" vorsah. Um Widerstand zu leisten, gründeten sich mehrere Guerillas, es kam zu einem 36-jährigen BürgerInnenkrieg.

1954 GUATEMALA

Balkankriege: Nach dem Tod des Diktators Tito entstanden in Jugoslawien zahlreiche Unabhängigkeitsbestrebungen, diese endeten in sieben unabhängigen Staaten. Beim Massaker von Srebrenica wurden im Juli 1995 vom serbischen Paramilitär mehr als 8.000 Bosniaken ermordet.

1991-1999 EHEM. JUGOSLAWIEN

1950 1973 CHILE

1994 RUANDA

Der sozialistische, demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende wurde 1973 bei Pinochets Militärputsch ermordet. Er trat erst 1998 ab.

Als der Präsident Habyarimana bei einem Flugzeuganschlag ums Leben kam, löste dies den Genozid der Hutus an der Tutsi-Minderheit aus. In nur 100 Tagen wurden 800.000 Menschen ermordet.

Fotos: 1954 Guatmala: Public Domain; 1973 Chile By Biblioteca del Congreso Nacional, CC BY 3.0 cl; 1991-1999 Balkankrieg: Von LT. STACEY WYZKOWSKI - www.dodmedia.osd.mil, Gemeinfrei; 1994 Ruanda: Von MSGT Rose Reynolds - DF-ST-02-03035, Gemeinfrei; 2009 Nigeria: Diariocritico de Venezuela flickr.com


schwerpunkt: krieg

Die islamistische Terrormiliz Boko Haram verübt seit 2009 Anschläge in Nigeria mit dem Ziel einen neuen islamistischen Gottesstaat zu errichten.

Als Machthaber Assad die Proteste nicht beenden konnte, versank das Land im BürgerInnenkrieg. 2014 rief der Islamische Staat das „Kalifat“ in Teilen Syriens und dem Irak aus.

2009 NIGERIA

2011 SYRIEN 2016

2003 3.GOLFKRIEG Die USA und GB besetzten völkerrechtswidrig den Irak, um unter dem Vorwand der Anschläge 9/11 den Diktator Saddam Hussein zu stürzen.

2010/11 ARABISCHER FRÜHLING Nach der Selbstverbrennung eines tunesischen Gemüsehändlers, entstanden in Tunesien und Ägypten Demokratiebewegungen, unter welchen die Machthaber Ben Ali und Mubarak abdanken mussten. Daraufhin kam es in mehreren Ländern zu Protesten.Während sie in Bahrain niedergeschlagen wurden, arteten sie in Libyen und Syrien in Kriegen aus.

2014 UKRAINE Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland, kam es auch in der ostukrainischen Region Donbass zu Kämpfen zwischen ukrainischen Regierungstruppen und prorussischen SeparatistInnen.

Fotos: 2003 3.Golfkrieg: By SPC Ronald Shaw Jr., U.S. Army - DOD Defense Visual Information Center, Public Domain; 2010/11 Arabischer Frühling: By User:‫ حص_يبيل‬- User:‫حص_يبيل‬, CC0; 2011 Syrien: By Christiaan Triebert - Flickr: Azaz, Syria, CC BY 2.0; 2014 Ukraine: Von newsanna - https://www.youtube.com/watch?v=0k0TDh3tOf4 (Creative Commons Attribution), CC BY 3.0;


schwerpunkt: krieg

Vergessen oder absichtlich ausgeblendet? DIE MEDIALE BERICHTERSTATTUNG ÜBER KRIEGE

Foto: Magdalena Bayer

Das erste Land, an das die meisten von uns beim Stichwort „Krieg“ denken, ist Syrien. Dabei herrschen global gesehen momentan 21 Kriege. Warum werden also wenige Konflikte medial so stark beleuchtet und von anderen weiß die „westliche“ Welt nicht einmal, dass sie existieren? Wie werden Kriege in den Medien dargestellt, welche Perspektiven werden eingenommen und wer profitiert aus welchen Gründen davon?

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edien werden aktiv selektiert, womit das Wissen der Bevölkerung gezielt eingeschränkt und kontrolliert wird. Der Hauptgrund dafür ist die immer weiter fortschreitende Medienkonzentration. So gab es 1983 weltweit noch 50 Mediengiganten, sieben Jahre später waren es nur

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noch 23. Mittlerweile existieren nur noch wenige Medienmonopole. Genau diese marktherrschenden Unternehmen sind nun Besitzer von allen wichtigen Filmstudios, TV- Netzwerken und Musikfirmen, sowie von wichtigen Sendern, Zeitschriften und sogar Freizeitparks. Medien werden durch (in den meisten

Fällen private) Interessenten finanziert und kontrolliert. Diese verfügen über Kapital bzw. Eigentum, das ihnen diese Kontrolle ermöglicht. Dadurch können sie die Medien gestalten und bestimmen, was wann wie medial weitergegeben wird an diejenigen, die nicht an der Produktion der Medien teilhaben, weil sie nicht über Eigentum verfügen. Schon beim


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Aufzeichnen der medialen Inhalte stellt sich die Frage: Wer hat die Macht? Wer ist ihr ausgeliefert? Und wer steht bei wem in Abhängigkeit? Ein Kriegsausbruch zum Hauptabendprogramm ist eine dramatische Realität, die die Kassen für Werbeeinnahmen klingen lässt. Doch nicht alle Kriege flimmern in den Abendstunden über die Flatscreens „westlicher“ Wohnzimmer. Denn manche scheinen für die „breite Masse“ nicht interessant genug zu sein, vor allem Konflikte, die im Globalen Süden ausgetragen werden, sind davon betroffen. Man spricht von einer sogenannten "Nicht-Präsenz" der Nachrichten aus dem Süden. Stellvertretend für die vielen Konflikte, die nicht in den Schlagzeilen des europäischen Boulevards erwähnt werden, kann zum Beispiel der langjährige, aber kaum thematisierte West-Sahara-Konflikt genannt werden. Aber Medieninhalte müssen nicht nur sensationell sein, um profitable zu wirken, sondern auch anderen Interessen dienen. Mittlerweile haben auch Geheimdienste, wie die sehr bekannt gewordene NSA, ihre Hände bei der Produktion bzw. der Steuerung von Nachrichten im Spiel. Gute Beispiele, um aufzuzeigen, wie kontrolliert Informationen medial weitergegeben werden, sind vor allem jene Kriege, in denen die USA eine bedeutende Rolle spielte. In den meisten „westlichen“ Nachrichtenformaten kann sich die USA als jene „beschützende“ Kraft inszenieren, die beispielsweise den Terror der IslamistInnen bekämpft, wie Roithner es am Beispiel des Irakkriegs gegen Osama bin Laden aufzeigte. Der Kampf gegen den

schwerpunkt: krieg

Islamismus wurde und wird bis heute vor allem in den Medien ausgetragen und der/ die GewinnerIn ist der/diejenige, der/die die Meinungshoheit in der Gesellschaft gewonnen hat. Wie stark Medien das Denken und Handeln der Bevölkerung beeinflussen, ist momentan auch sehr gut in der Diskussion rund um die Asylpolitik zu sehen. Zu selten wird über persönliche Schicksale, die Situation in Kriegsgebieten oder Menschen auf der Flucht berichtet. Auch die fatalen Folgen der ungleichen Beziehungen zwischen Nord und Süd im Welthandelssystem werden kaum behandelt. Zu oft können wir stattdessen über „das Problem der Islamisierung“, die Kosten für Flüchtlinge oder erfundene Straftaten von MigrantInnen lesen. Die Folgen davon sind gravierend: denn die Gesellschaft rückt immer mehr nach rechts und Rassismus breitet sich rasant aus.

INFO Zurzeit herrschen weltweit 21 Kriege und insgesamt 424 politische Konflikte, also so viele wie seit den 90er Jahren nicht mehr. Davon wurden 49 Konflikte als „hochgewaltsam“ eingestuft. (Quelle: Heidelberger Institut)

MOMENTANE MEDIENMONOPOLE Disney, Time Warner, AOL und maximal sechs weitere.

QUELLEN Douglas Kellner: Theoretiker in Bezug auf kritische Medienkompetenz ƔƔ Thomas Roithner: Dozent für Politikwissenschaft, Friedensforscher und Journalist ƔƔ Werner Ruf: Politologe und Friedensforscher ƔƔ

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schwerpunkt: krieg

Boko Haram: blutig und brutal

NIGERIA IN DEN FÄNGEN DES TERRORS Text: Bettina Rosenberger

In Nigeria geht das Morden weiter. Bei den Blutbädern der Boko Haram kamen seit 2009 20.000 Menschen ums Leben.Tausende wurden von der Terrormiliz bereits verschleppt. Mittlerweile sind 2,5 Millionen NigerianerInnen auf der Flucht vor dem Terror.

BOKO HARAM verübt nun auch Anschläge auf Flüchtlingslager im Tschad und Nigeria. Kamerun schiebt nigerianische Flüchtlinge, aus Angst es könnten TerroristInnen unter ihnen sein, wieder nach Nigeria ab.

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it seinem Amtsantritt im Mai 2015 weckte Präsident Muhammadu Buhari Hoffnungen. Hoffnungen, dass der Alptraum namens Boko Haram ein schnelles Ende finden wird. Doch mit dem Ziel, die Terrorgruppe bis zum Jahresende 2015 zu besiegen, scheiterte Buhari. Welche sozialen, ökonomischen sowie politischen Strukturen sich hinter den blutigen Anschlägen der Boko Haram verbergen, bleibt in europäischen Nachrichtenformaten meist unbeachtet. Stattdessen werden sämtliche Kriterien der stereotypen „Afrika-Berichterstattung“ mühelos abgearbeitet. So wird der Terror als „Religionskrieg“ inszeniert. Doch, wenn wir die Klischeeschublade wieder schließen, werden wir feststellen, dass es sich nicht um einen „Religionskrieg“ handelt. So gibt es zwar viele Angriffe auf ChristInnen und SchiitInnen, dennoch ist klar, dass es die ökonomischen Strukturen sind, die zur Entstehung und dem Erfolg der Terrororganisation beigetragen haben. Boko Haram wurde im Jahr 2002 gegründet. Sie prangerte nicht nur „westliche“ Einflüsse an, sondern trat auch gegen Armut, Korruption und die ungleiche Verteilung von Vermögen auf. Als im Jahr 2009 der Gründer der Organisation, Mohammed Yusuf, vom Militär getötet wurde, radikalisierte sich die Gruppierung.

Terror und Kapitalismus Fehlende Investitionen im Norden führten gemeinsam mit einer eklatanten Vermögensungleichheit zu einem Nord-Süd-Gefälle 24

innerhalb Nigerias. Hinzu kommen noch die Umweltprobleme rund um den Tschadsee, der im Norden Nigerias liegt und an den Tschad, Kamerun und Niger grenzt. Hier leben 45 Millionen Menschen am Einzugsgebiet des Gewässers. Sie waren vorwiegend in der Landwirtschaft oder der Fischerei tätig. Durch die Auswirkungen des Klimawandels mussten die Felder intensiver bewässert werden, so trocknete der See jedoch noch stärker aus. Als immer mehr Menschen hier keine Perspektive mehr sahen, hatte es Boko Haram besonders leicht neue Mitglieder zu rekrutieren. Mit dem Ziel im Norden einen islamistischen Gottesstaat zu errichten, überfällt die Terrormiliz Dörfer und Städte, erschießt oder entführt Menschen und brennt Häuser nieder. Auch Polizeistationen, Busbahnhöfe oder belebte Märkte werden häufig angegriffen, immer öfters werden auch Kinder als SelbstmordattentäterInnen missbraucht. Seit dem Vorjahr bekommt das nigerianische Militär zwar Unterstützung aus dem Tschad, Niger und Kamerun, dies führte aber auch dazu, dass sich die Anschläge auch auf die Nachbarstaaten ausdehnten. Die zahlreichen Angriffe auf Schulen haben zur Folge, dass in den betroffenen Staaten über eine Million Kinder nicht zur Schule gehen können. Doch wo es keine Bildung gibt, geraten Menschen noch leichter in die Fänge des Terrors. Ein militärischer Kampf gegen Boko Haram wird nicht ausreichen. Erst, wenn die kapitalistischen Strukturen des Terrors erkannt werden, kann dieser auch beendet werden.


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frauenpolitischer kommentar

Die Blume der Partisanin, die für uns’re Freiheit starb. Txt: Marlene Mutschmann-Sanchez

Frauen sind Akteurinnen* im Krieg und nicht nur passive Opfer. Sie sind genauso aktive Kämpferinnen*, die mit Gewehren schießen und Granaten werfen. Doch warum ist unsere Vorstellung von Krieg dennoch männerdominiert?

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PARTISANINNEN sind bewaffnete Kämpferinnen, die nicht zu den regulären Streitkräfen eines Staates gehören. Sie sind Teil von Widerstandsbewegungen gegen Besetzungen oder autoritär errichtete Regime.

LINKS http://www.suedwind-magazin.at/ von-amazonen-partisaninnen-undflintenweibern ƔƔ http://www.spiegel.de/politik/ausland/ soldatinnen-in-der-israelischen-armeebildband-von-simon-akstinat-a-951531. html ƔƔ

enn wir uns die Geschichte und die Gegenwart aus einer feministischen Perspektive ansehen, stellen wir recht schnell fest, dass es schon immer Frauen als Soldatinnen und Freiheitskämpferinnen gegeben hat. Bereits in der frühen Geschichte gab es Kämpferinnen, wie die Amazonen, Jeanne d’Arc und auch eigene Frauenarmeen, wie z.B. in Thailand im 17. Jahrhundert. In vielen Unabhängigkeitskriegen in Lateinamerika kämpften Frauen und führten teilweise ganze Heere an. Leider geriet dies bald in Vergessenheit. Im 20. Jahrhundert kämpften Frauen als Partisaninnen z.B. im spanischen Bürger*innenkrieg (1936-1939). Während des 2. Weltkrieg nahmen Frauen in der Roten Armee Funktionen von Scharfschützinnen, Panzerfahrerinnen und Kampfpilotinnen ein. Auch die Streitkräfte der USA schufen eine eigene Einheit, die „Women Airforce Service Pilots“. Diese wurde allerdings nach Kriegsende wieder abgeschafft.

„Ok, aber wenn schon Gleichheit für alle, dann auch Wehrpflicht für Frauen!“ Die Wehrpflicht für Frauen ist nach wie vor ein beliebtes Argument in der Gleichstellungsdebatte. In Israel sind seit der Staatsgründung 1948 kinderlose Frauen zwischen 18 und 28 dazu verpflichtet sich als Soldatinnen ausbilden zu lassen.So ar-

gumentierte Israels erster Premierminister David Ben-Gurion: "die Armee ist das oberste Symbol der Pflicht, und so lange Frauen den Männern in der Erfüllung dieser Pflicht nicht gleichgestellt sind, haben wir wahre Gleichheit noch nicht erreicht.“ 2006 wurde in Israel die „Nachshol“ Aufklärungseinheit gegründet, die nur aus Frauen besteht. Die 40-köpfige Kampftruppe ist an der ägyptischen Grenze stationiert. In Norwegen gilt seit 2016 auch für Frauen die Wehrpflicht. Somit ist Norwegen das erste Land in Europa mit einem Grundwehrdienst für alle Menschen. Auch im aktuellen Bürger*innenkrieg in Syrien und der Bedrohung durch den Islamischen Staat organisieren sich kurdische Freiheitskämpferinnen in der Frauenverteidigungseinheit (YPJ=Yekîneyên Parastina Jin). Die YPJ verteidigte, als Teil der Volksverteidigungseinheit (YPG=Yekîneyên Parastina Gel), die Stadt Kobane und andere kurdische Gebiete. Geschlechterverhältnisse sind eine Querschnittsmaterie und sind in allen Bereichen der Gesellschaft zu thematisieren. Frauen sind in der Vergangenheit meistens in Unabhängigkeitskämpfen wiederzufinden, doch in immer mehr Staaten sind sie mittlerweile fester Bestandteil der lokalen Verteidigungsarmee und sogar in Führungspositionen zu verorten wie z.B. die Verteidigungsministerin in Norwegen.

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news von rechts

Wenn der rechte Rand zur Mitte wird.

ÜBER DEN RASSISTISCHEN DISKURS IN DER ASYLDEBATTE. Text: Ines Erker und Sarah Sulollari

Am 14. März rief die FPÖ zu einer Kundgebung gegen die neue Flüchtlingsunterkunft in Liesing auf. Trotz einer starken Gegenkundgebung verschiebt sich die Debatte um Flucht und Asyl immer weiter nach rechts. Was vor einem Jahr noch als rechtsextrem verurteilt worden wäre, scheint heute eine legitime Meinung zu sein.

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esonders sichtbar wird dieser Wandel in der österreichischen Medienlandschaft, die noch im Sommer entsetzt über den Lastwagen berichtete, in welchem 71 schutzsuchende Menschen starben. Heute schreiben Blätter a la Krone lieber darüber, wie man endlich mit der "Flüchtlingskrise" umginge und scheuen nicht vor rassistischen und ausgrenzenden Ausdrücken wie einer "unverantwortlichen Völkerwanderungspolitik". Nicht nur die 'Massenmedien' geben sich diesem Rechtspopulismus hin, auch vermeintlich bildungsnahe Medien verstärken Vorurteile und spielen mit ihrer Themenwahl den Rechten zu.

Mediale Berichterstattung um Köln Ein bezeichnendes Beispiel dafür war die mediale Berichterstattung um die sexualisierten Übergriffe in der Silvesternacht in Köln. Muslimische Männer wurden allesamt als eine Horde Barbaren dargestellt, die über westliche Frauen herfallen und damit eine akute Gefahr darstellen. Köln wurde zum Symbol dessen, was angeblich für Probleme durch die Ankunft von Flüchtlingen in Europa entstehen könnten. Dass die Vorfälle in Köln so viel Aufmerksamkeit von den Medien bekamen, hat leider wenig mit der Thematisierung von Gewalt an Frauen zu tun, die auch bei anderen Großveranstaltungen und in 26

vielen anderen Lebensbereichen immer vorhanden war und ist. Der eigentliche Grund ist die Herstellung einer rassistischen Allgemeinmeinung, die sich langsam aber stetig in Europa mehrte und jetzt ihre beste Begründung gefunden hat: die sogenannte "Flüchtlingskrise". Schon seit langem schaffen es rechte und rechtsextreme Parteien mit ihrem Diskurs zu dominieren, der damit in der "Mitte der Gesellschaft" angelangt ist und von den meisten etablierten Parteien gelebt wird. Auch in der Bevölkerung ist dieser Rassismus deutlicher zu spüren. Der derzeitige Konsens in der Politik ist daher: ein paar Flüchtlinge können wir schon aufnehmen, aber sicher nicht alle. Menschen, die vor Krieg, Terror und Elend flüchten, werden ihrem Schicksal überlassen, Solidarität geht nur bis dahin, wo es politisch Verantwortlichen angenehm und nützlich ist. Das Resultat ist Abschottung, Grenzräume, Sicherung und Außengrenzen. Für viele Flüchtende bedeutet diese Politik den Tod. Werte wie Menschenrechte, Offenheit und Toleranz sind mit dieser mörderischen Politik nicht vereinbar. Es braucht also ein Instrument, mit dem sich legitimieren lässt, warum diese Werte für eine Gruppe von Menschen (Flüchtlingen) außer Kraft gesetzt werden müssen: Dieses Instrument ist Rassismus. Ist die breite Bevölkerung der Meinung, dass Flüchtlinge eine Gefahr für die eigene Lebenswelt darstellen, so erscheinen die Konsequenzen weniger schlimm.

Rassismus legitimieren Was wir derzeit beobachten, ist ein Verfall der Werte, wie beispielsweise die Menschenrechte, mit denen sich Europa lange Zeit geschmückt hat. Solange Ideen wie Menschenrechte und Demokratie für die Herrschenden gefahrlos waren, da die Verletzung dieser nicht für die breite Bevölkerung offensichtlich war, konnten sie auch anerkannt werden. Da die Verletzungen durch die derzeitige Politik jedoch unausweichlich sind, wird ein Rassismus durchgesetzt, der eine unterschiedliche Wertigkeit von Menschen legitimiert.

Die verschwiegenen Kriege Die Auslöser für Flucht erfahren hingegen tendenziell kaum Beachtung: Kriegerische Auseinandersetzungen erreichen die heimische Medienlandschaft lediglich in Form der sogenannten „Flüchtlingsströme“, wobei die Ursachen ausgeblendet werden. Dieser Umgang spiegelt sich auch in Österreichs Außenpolitik wieder – am 24. Februar diesen Jahres lud die Regierung zu einer Konferenz in Wien, die sich die Eindämmung von Flüchtlingsbewegungen entlang der Balkanroute auf die Fahnen geheftet hatte. Bosnien, Mazedonien, Kroatien und fünf weitere Staaten leisteten Innenministerin Mikl-Leitners (ÖVP) Ruf nach einer „Kettenreaktion der Vernunft“ folge. Griechenland, der ersten Anlaufstelle vieler Flüchtender auf europäischem Boden, blieb die Teilnahme


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hingegen verwehrt. Entsprechend verärgert zeigte sich Premier Alexis Tsipras und auch VertreterInnen der Europäischen Union in Brüssel ließen ihren Unmut verlauten. Diese Tatsache darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die EU eine gesamteuropäische Strategie bisher missen lässt.

Freiwillige Arbeit ist keine Pflicht Mit Beginn des letzten Sommers wurde schnell deutlich, dass vor allem die Zivilbevölkerung mit Unterstützung einiger NGOs einen beachtlichen Beitrag zur Versorgung der in Österreich ankommenden Flüchtenden zu leisten vermochte. Die Bereitschaft zu freiwilliger Arbeit ermöglichte und ermöglicht es dem Staat, sich seiner Verantwortung zu entziehen. Die Freiwilligeninitiative „Train of Hope“ sowie etliche Hilfsorganisationen sahen sich in den vergangenen Monaten gezwungen, die Versäumnisse der österreichischen Bundesregierung im Bereich der Flüchtlingspolitik durch unentgeltliche Arbeit wettzumachen. Umso mehr stößt das aktuelle Vorhaben der Bundesregierung, erhaltene Spenden von staatlichen Förderungsgeldern abzuziehen, bitter auf. Hinzu kommt, dass sich das Bild von Flüchtenden in unserer Gesellschaft im Zuge des Erstarkens rechter Meinungen stetig verschlechtert. Begriffe wie „Flüchtlingsströme“ und „Flüchtlingswellen“ tragen ebenso zu einer Entmenschlichung von Menschen in Not bei, wie das bloße Rezitieren von Zahlen, die als Legitimation für menschenunwürdige Politik herangezogen werden. Ein Gros der heimischen Parteien fördert die Division der

Foto: Mike Gifford | flickr.com

Gesellschaft in „wir“ und „sie“ – Vorurteile, Entsolidarisierung und Fremdenfeindlichkeit, die ihren Status als Randerscheinung längst abgelegt hat, sind die Folge. Dieser Rassismus dient unter anderem den Bemühungen rechter Parteien, die tatsächlichen Ursachen wirtschaftlicher Probleme in Österreich unter den Teppich zu kehren und den Zusammenhang zwischen ökonomischer Schwäche und neoliberaler Politik zu verschleiern. Erfolg verzeichnen jene PolitikerInnen damit vor allem in der Mittelschicht, da diese einen drohenden Abstieg besonders zu fürchten hat.

Und was jetzt? Genau hier gilt es sich kritisch mit den Medien auseinanderzusetzen und aufzuzeigen, wo die Probleme in unserer Gesellschaft liegen. Die Entsolidarisierung der Gesellschaft und die immer prekärer werdenden Arbeitsverhältnisse sind das Resultat dieses Rechtsrucks. Der Kampf um die dominierende Meinung ist eine Notwendigkeit, um rechter Politik entgegenzutreten. Auf medialer als auch politischer Ebene müssen wir rassistischen Aussagen Paroli bieten – denn nur ein linkes Gegenkonzept ermöglicht es uns, rechten Tendenzen Einhalt zu gebieten.

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portrait

Noam Chomsky Text: Simon Doujak

„Die intellektuelle Tradition ist eine des Buckelns vor Macht, und wenn ich sie nicht betrügen würde, würde ich mich meiner selbst schämen.“ Chomsky identifiziert sich seitdem er 12 Jahre alt ist als Anarchist. Der Kontakt zu Aktivist*innen ist ihm wichtiger als zu Kolleg*innen. Er selbst sieht sich als Arbeiter.

N

oam Chomsky ist einer der bedeutendsten linken Denker*innen der USA, hat über 100 Bücher verfasst und ist einer der Vorreiter*innen der Linguistik, der analytischen Philosophie und der Kognitionswissenschaft. Seit den 50er Jahren ist er Professor für Sprachwissenschaften am MIT1 in den USA. Den 1961 errungenen Kündigungsschutz, konnte er im Laufe seiner Karriere noch öfter brauchen, da er immer wieder durch heftige Kritik an der Regierung und dem geheiligten kapitalistischen System auffiel. Als sein Posten in den 70ern auf der Kippe stand, weigerte sich das MIT seinen Vertrag aufgrund seiner linguistischen Erfolge zu kündigen.

Propagandasystem der USA zu verfassen. Darunter das Buch „Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media“, das er zusammen mit Edward S. Herman 1979 veröffentlichte. Das Vorgängerbuch „Counter-Revolutionary Violence: Bloodbaths in Fact & Propaganda“, wurde kurze Zeit nach der Veröffentlichung zurückgezogen und zerstört.

Arabien und die Türkei den IS und die AlNusra-Front in Syrien unterstützen. Wie dies funktioniert, hat Chomsky schon in den 70er Jahren analysiert. Die persönlichen Attacken gegen ihn und das fehlende Recht Antworten darauf

In diesen Büchern entwickelten Chomsky und Herman das Propagandamodell der Berichterstattung in liberalen Demokratien, mit Schwerpunkt auf die USA. Die Propagandafunktion der Medien wird durch ökonomische Zwänge erklärt und ist essentiell für den Machterhalt der gesellschaftlichen Oberschicht.

„Mutwilliges Töten unschuldiger Zivilisten ist Terrorismus und kein Krieg gegen den Terrorismus.“

Das Propagandamodell 1. Besitz:

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Ge Jeff n: t io t ra us Il l

Dies ist Noam Chomskys einfache wie präzise Analyse des Kriegs gegen den Terror. Die USA agieren schon lange unter dieser außenpolitischen Doktrin und ziehen langsam aber sicher auch europäische Kräfte in diese zerstörerische Gewaltspirale. Dabei kritisiert er vor allem die Inszenierung der USA als Beschützerin vor dem islamistischen Terror. Verschwiegen wird hingegen, dass US-Verbündete wie Saudi-

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In den vergangenen ca. 200 Jahren wurde die Markteinstiegsbarriere in den Medienzirkus immer höher, wodurch eine Konzentration der Medieneinheiten (Radio, Fernsehen, Zeitung, etc.) gefördert wurde. So hat nur noch eine elitäre Schicht Zugang zum Nachrichtenmarkt. Diese Konzentration führt zu Verstrickungen, die die Berichterstattung stark beeinflussen.

zu veröffentlichen (dieses Privileg wird von den Medieninhaber vergeben), aber auch die Doppelstandards der Massenmedien, bewegten Chomsky dazu, in den 70ern und 80ern mehrere Texte über das


faktor nr. 1/2016

portrait

1. Filter: Besitz

3. Filter: Informationsquellen

(5. Filter: Antiideologie)

Nachricht Ereignis

2. Filter: Einnahmequellen

2. Einnahmequellen: Zeitungen müssen sich durch Werbung finanzieren und daher orientieren sich die Massenmedien an den Interessen der Werbeschalter*innen. Dies hat eine tendenziöse und unkritische Berichterstattung zur Folge.

3. Informationsquellen: Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Konzentration und Färbung der Quellen, die Massenmedien für ihre Artikel benutzen. Ab einer gewissen Größe wird die Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen und politischen Instanzen über PR-Abteilungen und Pressekonferenzen abgewickelt, die einer möglichst großen Menge von Journalist*innen Informationen mit dem gewünschten politischen Spin zur Verfügung stellen. Der Konkurrenzdruck ist zu hoch und das Interesse an kritischer Berichterstattung ist zu gering, somit werden diese Informationen nicht hinterfragt. Die zweite Hauptquelle von Neuigkeiten sind Nachrichtenagenturen, die als sogenannte „Gatekeeper“³ fungieren. Der Anspruch einer Nachrichtenagentur mag möglichst objektive Berichterstattung sein. Jedoch wird schon in dieser Instanz

4. Filter: Flak (von Flugabwehrkanone)

eine Sortierung der Relevanz von gewissen Themen vorgenommen, da einerseits auch ihre Mittel nicht unbegrenzt sind, andererseits sind die Agenturen aber auch von der Kooperation mit politischen und privaten Akteur*innen abhängig.

4. Flak (von Flugabwehrkanone): Gemeint sind damit die negativen Resonanzen auf mediale Statements. Diese gehen von anderen Medien, politischen Akteur*innen oder auch Privatpersonen aus und können sich unter anderem in Klagen oder der Verweigerung der Kooperation ausdrücken. Flak ist der erste nicht primär ökonomische Filter im Propagandamodell, der durch das politische bzw. rechtliche System eines Staates geformt und durch unmittelbare Machtinteressen formuliert wird.

5. Antiideologie: Der letzte Filter ist der flexibelste und orientiert sich am stärksten am hegemonialen² Konsens des Staates. Als das Propagandamodell von Chomsky und Herman entworfen wurde, war dieser Konsens der Antikommunismus, der die Basis für die Berichterstattung über internationale politische Vorkommnisse

bildete. Heutzutage ist dieser Konsens in den USA ein „antiterroristischer“. Die Unterteilung in „Terrorist“ und „CounterTerrorist“ orientiert sich allerdings an den Machtinteressen des Staates. So ist beispielsweise negative Berichterstattung über den Terror des IS gewünscht, die Diktatur in Saudi-Arabien als wichtiger US-Verbündeter jedoch vor Kritik gefeit. Noam Chomsky zeigt uns als Anarchist die Wichtigkeit einer radikal kritischen Haltung gegenüber der hegemonialen Macht eines Staates und der Rolle, die Massenmedien bei ihrer Ausübung spielen. Mit dem Propagandamodell gibt er uns ein Werkzeug, um den politischen Spin in den Medien, die wir tagtäglich konsumieren, zu sehen und zu verstehen. Die Berichterstattung über Kriege und ihre Folgen, muss stets auch bezüglich der Machtinteressen der Herrschenden kritisch untersucht werden. Nur so können wir verhindern, in eine passive Rolle zu verfallen, in der wir unmenschliches Vorgehen und Doppelstandards legitimieren. 1 Massachusetts Institute of Technology – Eine der absoluten Top-Universitäten der USA ² Hegemonie bezeichnet die Deutungsmacht in einer Gesellschaft. ³ Gatekeeper sind Personen und Institutionen, die entscheiden können welche Informationen an Massenmedien weitergegeben werden

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noch fragen

Welche Rechte haben Lehrlinge?

TEIL 1 Teil eins zu finden in Faktor-Ausgabe 02/15

Text: Thomas Huber

SOLL ICH WIRKLICH IN KRANKENSTAND GEHEN, WENN MEINE AUSBILDNERIN SAGT, DASS SIE MICH BRAUCHT? Grundsätzlich gilt: Es ist weder im Interesse von dir, noch von deinem/deiner ArbeitgeberIn, wenn du krank arbeiten gehst! Fühlst du dich arbeitsunfähig, muss deinE LehrberechtigteR von dir oder einer Person deines Vertrauens umgehend in Kenntnis gesetzt werden. Das gilt auch für die Berufsschule, solltest du an einem Berufsschultag nicht anwesend sein können. Wir empfehlen dir, in jedem Fall einen Arzt/eine Ärztin aufzusuchen, da deinE ArbeitgeberIn eine ärztliche Bestätigung von dir verlangen kann. Im Falle einer länger andauernden Arbeitsunfähigkeit, ist deinE ArbeitgeberIn verpflichtet, dir für vier weitere Wochen die volle Lehrlingsentschädigung weiter zu zahlen. Danach wird dir für zwei weitere 30

Wochen "Krankengeld" ausbezahlt, welches genauso hoch ist wie deine Lehrlingsentschädigung, da die Differenz von der Krankenkasse getragen wird.

in mehreren Teilen (einzelne Tage, Halbtage, Stunden) beansprucht werden. Jedenfalls darf deine Lehrlingsentschädigung für diese Zeit keinesfalls gekürzt werden.

Bei einer Arbeitsverhinderung aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit steht dir für die Dauer von acht Wochen die volle Lehrlingsentschädigung und für maximal vier weitere Wochen die Differenz zwischen der Lehrlingsentschädigung und dem Krankengeld von der Krankenkasse zu.

Du bist nur dazu verpflichtet, deine/n LehrberechtigteN über die Inanspruchnahme der Pflegefreistellung in Kenntnis zu setzen und die Notwendigkeit der Pflegebedürftigkeit deiner/s Angehörigen nachzuweisen. Als nahe Angehörige gelten EhepartnerInnen, Kinder, Eltern, Enkelkinder, Großeltern Wahl- und Pflegekinder sowie LebensgefährtInnen.

MEINE MUTTER LIEGT KRANK IM BETT UND ICH MÖCHTE MICH UM SIE KÜMMERN. MUSS ICH MIR DAFÜR URLAUB NEHMEN? Ist eine Person erkrankt, die im selben Haushalt wohnt und eine eine/ein naheR AngehörigeR ist, musst du dir keinen Urlaub dafür nehmen! Dir steht in diesem Fall eine Pflegefreistellung von mindestens einer Woche zu. Die Pflegefreistellung kann auch

ICH BIN MIT MEINEM ERSTEN LEHRJAHR FERTIG UND WÜRDE GERNE IM AUGUST WEGFLIEGEN. MEINE AUSBILDNERIN SAGT, ICH DARF DIESEN SOMMER NICHT IN URLAUB GEHEN. WAS JETZT?


faktor nr. 1/2016

in zahlen

FREMDGESCHÄMT IN ZAHLEN Seit Beginn Insgesamt bestehen

424

des Krieges in Syrien im Frühjahr 2011 sind insgesamt mehr als

260'000

Menschen den Kämpfen zum Opfern gefallen.

politische Konflikte, die höchste Zahl seit den 90er Jahren.

Jeder Lehrling hat einen Anspruch auf einen 5-wöchigen Mindesturlaub (30 Werktage). Um den Zeitpunkt des Urlaubsantritts zu bestimmen, ist zwischen Lehrberechtigten und Lehrling eine Vereinbarung zu treffen. Das heißt, dass der Urlaub nicht einseitig festgelegt werden kann! Lehrlinge bis zum vollendeten 18. Lebensjahr haben auf Verlangen ein Anrecht auf 12 Werktage Urlaub zwischen dem 15. Juni und dem 15. September. Erkrankst du während des Urlaubs und dauert diese Erkrankung länger als 3 Tage, so kommt es zu einer Unterbrechung des Urlaubs. Hierzu bedarf es allerdings der Bestätigung eines/einer Arztes/Ärztin. Um den Urlaub zum gewünschten Zeitpunkt antreten zu können, ist es ratsam, möglichst frühzeitig mit dem/ der Lehrberechtigten eine Vereinbarung zu treffen. Als AnsprechpartnerInnen für Fragen stehen dir sowohl die ArbeiterInnenkammer, als auch die Österreichische Gewerkschaftsjugend zur Verfügung.

Momentan werden

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Konflikte als Kriege eingestuft.

Hilfsorganisationen schätzen, dass aufgrund der Terrormiliz Boku Haram, sich mittlerweile

1,5 Millionen Menschen auf der Flucht befinden.

Allein

17 dieser Kriege finden im Raum Asiens statt und

11 in Afrika, im Gegen-

satz dazu findet sich in Europa nur ein Krieg (Ukraine). 31


Verein zur Fรถrderung fortschrittlicher Jugendmedienarbeit Verlagspostamt 1030 Wien, P.b.b. GZ 02Z033801


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