Liedergeschichten
Birgit Ebbert

EINFÜHRUNG
Liebe (Vor-)Leserinnen und Leser, sicher ist Ihnen das auch schon passiert, dass Sie einige Takte oder Verse eines Liedes hörten, das Sie gar nicht mehr in Erinnerung hatten. Plötzlich konnten Sie den ganzen Refrain mitsingen, das Lied mitsummen oder es mit Erlebnissen verknüpfen, an die Sie lange nicht mehr gedacht hatten.
Genau diese musikalischen Erinnerungsmomente sollen die „Liedergeschichten“ bei den Seniorinnen und Senioren auslösen. In diesem Buch finden Sie in Geschichten eingebettete Musikstücke, die zum Kulturgut gehören und vermutlich alle Seniorinnen und Senioren schon einmal gehört oder gesungen haben.
Am Ende jeder Geschichte finden Sie eine Rätselfrage zu dem Lied, um das sich die Erzählung rankt. Das ist eine erste Gelegenheit, mit den Zuhörerinnen und Zuhörern über das Gehörte ins Gespräch zu kommen. Dies wird ergänzt um weitere Fragen, die die Inhalte des Liedes und der Geschichte aufgreifen. Wo es sich anbietet, erhalten Sie zusätzliche Aktivierungsideen, die Sie an die Geschichte anschließen können.
Es empfiehlt sich, die Seniorinnen und Senioren entscheiden zu lassen, ob sie im Anschluss an die Geschichte gemeinsam singen wollen. Wichtig ist, dass Sie selbst keine Scheu vor Gesang und Musik haben. Es geht nicht darum, einen Chorpreis oder einen Talentwettbewerb zu gewinnen,
DER BERGGEIST
Insgesamt vierzig Menschen saßen in dem Reisebus, der sich auf der engen Straße durchs Riesengebirge schlängelte. Sie waren unterwegs auf den Spuren von Rübezahl, dem berühmten Berggeist.
„Und was macht ihr, wenn Rübezahl plötzlich vor euch steht?“, fragte Egon in einer Sangespause mit einem breiten Grinsen seine Frau Cäcilie und ihre Freundin Adele. Die beiden saßen auf den Plätzen vor ihm und Adeles Ehemann Werner. Sie schwärmten seit der Abfahrt von dem Lied und Rübezahl. Mal sah er in ihrer Fantasie aus wie Spencer Tracy, dann wieder wie Heinrich George.
Zuletzt fand Adele: „Nein, der sieht aus wie dieser bärtige Schauspieler, der diesen einen Kommissar spielt.“
Keiner wusste, wen sie meinte, aber das war auch vergessen, als der Reiseleiter erklärte: „Sie singen die ganze Zeit von Rübezahl. Wissen Sie denn, wer das ist?“
„Der Geist der Berge“, rief Adele nach vorn.
„Genau!“ Der Reiseleiter griff den Hinweis auf. „Ein Geist.
Vielleicht ist er noch heute unterwegs. Gerade die bösen Menschen unter Ihnen sollten sich in Acht nehmen.“
„Hörst du, Egon“, flachste Werner. „Pass bloß auf.“ „Was macht der mit den Leuten?“, fragte er den Reiseleiter.
„Ach, das ist unterschiedlich. Er bestraft sie halt und tritt in verschiedenen Gestalten auf“, referierte dieser. „Solange
Er wollte zum Bus gehen, um die Geldbörse zu suchen, da rief Cäcilie: „Ach, Egon, ich habe deine Geldbörse doch in meine Handtasche getan!“
In dem Augenblick erschien auch der Rübezahl-Darsteller neben der Kassiererin des Andenkenladens. Egon schüttelte sich und nahm sich fest vor, niemals wieder an einer solchen Fahrt teilzunehmen.
In welchem Volkslied wird der Berggeist Rübezahl besungen?
(Hohe Tannen weisen die Sterne)
Lassen Sie erzählen …
• Womit verbinden Sie das Lied? Mit der Stimme Ihrer Mutter, Ihres Vaters oder des Chors, in dem Sie gesungen haben? Die Stimme eines Sängers, Duos oder Chors (Heino, Ronny, Marianne & Michael …)?
• Kennen Sie die Rübezahl-Sage?
Rübezahl ist ein Riese oder Berggeist, der im Riesengebirge unterwegs ist. Den Menschen begegnet er der Sage nach in verschiedenen Verkleidungen und Gestalten, als Mönch, als Handwerker oder auch als Tier. Ihm wird das Wetter im Riesengebirge zugeschrieben. Je nach Laune lässt er es blitzen, donnern, regnen oder die Sonne scheinen. Böse zeigt er sich in den Geschichten nur den schlechten Menschen. Wer sich gut verhält, braucht sich nicht zu ängstigen, sondern wird mit Freundlichkeit oder auch Gaben beschenkt. Diese stammen vielleicht sogar aus seinem Garten mit Wunderkräutern.
Singen Sie gemeinsam!
Hohe Tannen weisen die Sterne
1. Hohe Tannen weisen die Sterne an der Iser in schäumender Flut.
|: Liegt die Heimat auch in weiter Ferne, doch du, Rübezahl, hütest sie gut. :|
2. Hast dich uns auch zu eigen gegeben, der die Sagen und Märchen erspinnt, |: und im tiefsten Waldesfrieden die Gestalt eines Riesen annimmt. :|
3. Komm zu uns an das lodernde Feuer, an die Berge bei stürmischer Nacht.
|: Schütz die Zelte, die Heimat, die teure, komm und halte bei uns treu die Wacht. :|
4. Höre, Rübezahl, lass dir sagen, Volk und Heimat sind nimmermehr frei.
|: Schwing die Keule wie in alten Tagen, schlage Hader und Zwietracht entzwei. :| Melodie und Text: überliefert
AUTOGRAMMJÄGER
Das Capitol war das einzige Kino in der kleinen Stadt, in der Felix und seine Schwester Anna lebten. Viel war nicht los in dem Städtchen. Das Schützenfest, die Kirmes, das Fest der Kirchengemeinde und natürlich die Abende im Capitol waren die einzigen Veranstaltungen.
„Glaubst du, dass Hans Albers wirklich kommt?“, fragte die elfjährige Anna ihren Bruder Felix.
Felix wischte sich die Regentropfen aus dem Gesicht, ehe er antwortete. „Das stand doch in der Zeitung.“
Anna seufzte und trat von einem Fuß auf den anderen. Ihre Schuhe waren bereits durchnässt in der Stunde, die sie nun bereits warteten. Sie blickte auf die Uhr am Kirchturm gleich nebenan. „In zehn Minuten geht der Film los“, verkündete sie.
Felix stutzte und schaute ebenfalls zur Uhr. Zehn Minuten, das war wirklich knapp. Wie konnte es sein, dass sein großes Idol Hans Albers so spät kam? Die Plätze in dem kleinen Kino mussten inzwischen längst alle besetzt sein. Eine Kinokarte konnten sie sich nicht leisten. Und selbst wenn, hätten die Eltern niemals erlaubt, dass Anna und er abends ins Kino gingen.
Anna schaute sich suchend um. „Wo ist denn Brunhilde? Sie wollte doch kommen.“ Jetzt fiel auch Felix auf, dass sie ganz allein unter der dicken Eiche gegenüber vom Kino standen. Dabei hatten seine Freunde Albert und Wilhelm in der Schulpause laut erklärt, dass sie sich ein Autogramm
von Hans Albers holen würden. Albert hatte sogar mit einer Ausgabe der Film-Illustrierten angegeben, auf der Hans Albers abgebildet war.
„Was macht ihr denn hier?“ Felix und Anna zuckten zusammen. Unversehens war hinter ihnen Karlheinz Becker aufgetaucht, der Reporter der kleinen Tageszeitung. Ehe sie antworten konnten, sagte er schon: „Wenn ihr auf Autogramme hofft, solltet ihr am Hintereingang stehen. Das habe ich extra in meinem Artikel geschrieben.“
Felix und Anna sahen sich an. Erst kürzlich hatte der Vater die Tageszeitung abbestellt, weil das Geld knapp war. Sie wussten nur von den Mitschülern, dass Hans Albers persönlich kommen würde. Vom Hintereingang hatte niemand etwas gesagt.
Die beiden starrten den Reporter fassungslos an. Die Tür zum Kino war inzwischen geschlossen. Hans Albers war sicher längst eingetroffen. Da hatten sie über eine Stunde vergebens im Regen gestanden. Plötzlich spürten beide die nassen Füße in den durchweichten Schuhen. Das würde Ärger geben. Für nichts. Tränen mischten sich unter den Regen auf ihre Gesichter.
Doch gerade als sie sich auf den Heimweg machen wollten, hielt eine riesige Limousine vor dem Kinoeingang. Sofort stürzte der Reporter nach vorn, als der Schlag des Fahrzeugs geöffnet wurde. Felix und Anna folgten ihm, um Hans Albers ihre Schulhefte und einen Bleistift für ein Autogramm hinzuhalten, das er ihnen mit einem freundlichen „Na, mien Deern!“ und „Na, mien Jung!“ unterschrieb.
Welcher Schlager trägt denselben Titel wie ein Film mit Hans Albers?
(Auf der Reeperbahn nachts um halb eins)
Lassen Sie erzählen …
• Waren Sie schon einmal in Hamburg? Welche Sehenswürdigkeiten haben Sie besucht?
• Erinnern Sie, in welchem bekannten Film mit Hans Albers das Lied „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ noch vorkommt? („Große Freiheit Nr. 7“, 1944)
• Welche weiteren Filme mit Hans Albers kennen Sie? („Vor Sonnenuntergang“, 1956; „Das Herz von St. Pauli“, 1957; „Der Greifer“, 1958; „13 kleine Esel und der Sonnenhof“, 1958 …)
• An welchen Kinofilm haben Sie besondere Erinnerungen?
Singen Sie gemeinsam!
Auf der Reeperbahn nachts um halb eins
1. Silbern klingt und springt die Heuer, heut speel ick dat feine Oos.
Heute da ist mir nichts zu teuer, morgen geht ja die Reise los. Langsam bummel ich ganz alleine die Reeperbahn nach der Freiheit rauf, treff ich eine Blonde, recht Feine, die gabel ich mir auf.
Refrain:
Komm doch, liebe Kleine, sei die meine, sag nicht nein!
Du sollst bist morgen früh um neune meine kleine Liebste sein.
Ist dir’s recht, na dann bleib ich dir treu sogar bis um zehn.
Hak mich unter, wir wolln jetzt zusammen mal bummeln gehen.
Auf der Reeperbahn nachts um halb eins, ob du’n Mädel hast oder auch keins, amüsierst du dich, denn das findet sich auf der Reeperbahn nachts um halb eins. Wer noch niemals in lauschiger Nacht einen Reeperbahnbummel gemacht, ist ein armer Wicht, denn er kennt dich nicht, mein St. Pauli, St. Pauli bei Nacht.