Die Trahshumanistische Dystopie

DIE TRANSHUMANISTISCHE DYSTOPIE Relevanz für die Zukunftsforschung wurde Utopia für seine Bürger gemacht, “ Einst jetzt werden die Bürger für Utopia gemacht. ” (J.C. Garrett)

by

SINA WINZLER

* 28.02.1989 in Berlin + 49 179 8775030 info@sinawinzler.com sinawinzler.com

Die T​ranshumanistische Dystopie Relevanz für die Zukunftsforschung

MASTERARBEIT

zur Erlangung des Grades eines Master of Arts (M.A.) im weiterbildenden Masterstudiengang Zukunftsforschung am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin

vorgelegt von

SINA WINZLER geboren am 28.02.1989 in Berlin Matrikelnummer: 4949278 winzlersina@gmail.com

1. Prüfer: ​Univ.-Prof. Dr. Reinhold Popp 2. Prüferin: Gabriele von Ramin

Bearbeitungszeit: 21 Wochen Abgabetermin: 30.05.2018

Berlin, den 20.05.2018

Inhaltsverzeichnis Einleitung…………………………………………………………………………..

1-2

l. Transhumanismus 1. Transhumanismus in der Geschichte und seine Motive 1.1 Definition des Transhumanismus…………………………………...

2-4

1.2 Abriss von der Aufklärung zur Gegenwart………………………….

4-6

1.3 Die Hauptmotive des Transhumanismus…………………………...

7 - 13

2. ​Human Enhancement……………………………………………………..

2.1 Technologische Evolution: Vom Z3 zum Datenchip………………

13 - 16

2.2 Die Zukunft: Mind Uploading und Nanotechnologie……………….

16 - 18

3. ​Der Silicon-Valley-Transhumanismus 3.1 Das Mooresche Gesetz und die Singularität……………………….

18 - 22

3.2 Alphabets Projekte und der Transhumanismus…………………...

22 - 27

3.3 Der NASA-Research-Park…………………………………………...

27 - 28

3.4 Die Mission der Singularity University……………………………....

28 - 31

ll. Dystopie 1. Dystopie in der Geschichte und utopische Parallelen 1.1 Definition der Dystopie………………………………………………..

31 - 32

1.2 Abriss von der industriellen Revolution zur Gegenwart…………..

32 - 38

1.3 Der Wandel der Utopie zur Dystopie………………………………..

38 - 40

2. ​Inhaltliche Besonderheiten der Dystopie 2.1 Themen der Dystopie………………………………………………...

40 - 43

2.2 Merkmale dystopischer Gesellschaften…………………………….

43 - 49

2.3 Motive neuerer dystopischer Systeme……………………………...

49 - 51

3. ​Schnittstellen zwischen Transhumanismus und Dystopie 3.1 Die wissenschaftlich-technische Dystopie………………………….

51 - 54

3.2 Parallelen zum Transhumanismus………………………………….

54 - 56

l

lll. Transhumanistische und dystopische Merkmale im Vergleich 1. Analyse der unterschiedlichen Merkmale……………………………….

56 - 61

2. Analyse der gemeinsamen Merkmale…………………………………..

61 - 67

lV. Die drei Kontrollarten des Silicon Valley Transhumanismus 1. Modell der drei Kontrollmechanismen…………………………………..

67 - 71

2. ​Technologische Kontrolle 2.1 Überwachung und Kontrolle………………………………………….

71 - 74

2.2 Einschränkung der Freiheit…………………………………………..

75 - 77

2.3 Dehumanisierung……………………………………………………..

77 - 80

3. ​Wirtschaftliche Kontrolle

4.

3.1 Propaganda…………………………………………………………....

80 - 82

3.2 Konsum & Entertainment…………………………………………….

82 - 84

3.2 Isolation………………………………………………………………...

85 - 86

​Philosophische Kontrolle 4.1 Abkehr von Religion…………………………………………………..

86 - 89

4.2 Gesellschaftliche Abhängigkeit………………………………………

89 - 92

4.3 Entfremdung der Natürlichkeit……………………………………….

92 - 94

V. Auswertung 1. Ausblick auf zukünftige Entwicklungen………………………………….

95 - 97

2. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Technik………………….……..

97 - 100

Schluss……………………………………………………………………………..

100 - 101

Literaturverzeichnis……………………………………………………………...

102 - 110

ll

Abbildungsverzeichnis Winzler, Sina:​ (Abb.1) Masterarbeit: Filter und Aufbau, VI (2018).

Kurzweil, Raymond:​ (Abb. 2) The Singularity Is Near, Optikabwandlung, 24, Viking, New York, 20 (2005).

Winzler, Sina: ​(Abb. 3) Die drei Kontrollarten des Silicon Valley Transhumanismus, 69 (2018).

Winzler, Sina: ​(Abb. 4) Abstraktionsgrad Kontrollarten, 71 (2018).

EKD:​ (Abb. 5) Bischofskonferenz, REMID, BAMF, eigene Berechnungen, Optikabwandlung, https://fowid.de/meldung/religionszugehoerigkeiten-deutschland-2016, 87 (2016) [recherchiert am 14.04.2018].

Winzler, Sina:​ (Abb. 6) Zeitstrahl Human Enhancement, 96 (2018).

lll

“Einst wurde Utopia für seine Bürger gemacht, jetzt werden die Bürger für Utopia gemacht.”

(J.C. Garrett)

lV

Management Summary Im Transhumanismus geht es um die Überwindung des Menschen hin zu einem neuen Wesen, das gottgleich ist, unsterblich und allwissend. Um diesen Zustand zu erreichen, soll die natürliche Evolution durch menschlichen Eingriff gelenkt werden. Der Transhumanismus war über viele Jahrzehnte hinweg allein ein Teil der Literatur und des wissenschaftlichen Diskurses. Nun tritt er mit der explosionsartigen technologischen Entwicklung der Moderne und der erstmalig damit einhergehenden Realisierung ihrer Ziele ins Rampenlicht der Öffentlichkeit und erobert sich nicht unerhebliche, wirtschaftliche Bedeutsamkeit.

Im Silicon Valley in Kalifornien befindet sich das Zentrum des modernen Transhumanismus. Hier wird jenes Gedankengut gefördert und der ganzen Welt verbreitet (Singularity University), am transhumanen Traum der Eroberung des Weltalls geforscht (NASA Research Park) und es werden Projekte umgesetzt, die aus den Zielen des Transhumanismus, z.B. der Verlängerung der Lebensspanne, Kapital schlagen wollen (Alphabet). Scheinen jene Anstrengungen auf den ersten Blick nobel und erstrebenswert, eröffnen sie bei näherer Betrachtung jedoch ungeheure Risiken und Gefahren, vor denen die Dystopie schon seit jeher warnt. Dies tut sie durch ihre oft beißende Ironie und teilweise ungeschönte Darstellung ihrer Wirklichkeit. Meist spielen Dystopien in Parallelräumen einer alternativen Zeit, um die Handlung aus den Zwängen des zeitlichen Kontextes zu reißen und eine größere künstlerische Freiheit zu erlangen. Einige Dystopien verstehen sich zudem auch als Zukunftsbilder.

Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Gefahren aufzudecken, welche vom Silicon-Valley-Transhumanismus ​ausgehen und ob diese die Entwicklung einer Dystopie begünstigen. Dabei wird ausführlich auf die technologischen, wirtschaftlichen und philosophischen Kontrollmechanismen eingegangen, in die diese Gefahren münden.

Außerdem wird der Frage nachgegangen, wie genau die Zukunftsvision des Transhumanismus aufgebaut ist und welches Ziel sie hat.

Die Arbeit ist dabei wie ein Filter aufgebaut (Abb. 1, s. S. ​VI​): Es werden in Kapitel l und ll ausführlich die Grundlagen des Transhumanismus und der Dystopie erörtert. Schließlich folgt ein Vergleich der gemeinsamen und unterschiedlichen Merkmale in Kapitel lll. Dann werden diese gemeinsamen Merkmale in Kapitel lV auf den Silicon-Valley-Transhumanismus hin bezogen und in die Bereiche technologische, wirtschaftliche und philosophische Kontrolle aufgegliedert.

V

Letztlich folgt in Kapitel V die Auswertung, ein Ausblick auf künftige Entwicklungen und ein kurzer Abriss zum verantwortungsvollen Umgang mit der Technik, die versucht, einen Lösungsansatz zu formulieren, wie eine Technokratie noch zu verhindern ist.

Winzler: Masterarbeit: Filter und Aufbau (Abb. 1).

Die Leitfrage dieser Arbeit lautet dabei: ​Entwickeln multinationale Konzerne und Think Tanks​ im Silicon Valley eine transhumanistische Zukunftsvision, die Parallelen zu einer technologisch, philosophisch und wirtschaftlich kontrollierten Dystopie aufweist?

Diese Arbeit entsteht, da das Thema Transhumanismus bisher zu wenig Beachtung im wissenschaftlichen Zukunftsdiskurs bekommen hat. Dabei ist das Thema hochaktuell und wird in der Wirtschaft (jedoch nicht unter der Nennung des eigentlichen Namens) weltweit diskutiert.

Bei diesen Betrachtungen werden die negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft jedoch viel zu wenig beleuchtet. Fragen über die Ethik der Technologie und wie weit diese Entwicklungen gehen sollten und dürfen, finden weder in der Wissenschaft noch in der Wirtschaft genug Beachtung. Dabei sollte sich jeder Mensch die Frage stellen, wie lebenswert eine Welt ist, in der es keine Privatsphäre mehr gibt, Datenspionage an der Tagesordnung ist, menschliches Verhalten berechnet und vorhergesagt wird sowie die ständige Präsenz von Algorithmen und künstlicher Intelligenz die Menschheit in eine totale Abhängigkeit führt.

Vl

Wohin werden diese Entwicklungen gehen, wenn die transhumanistischen Träume erst erfßllt werden und Menschen in virtuellen Welten leben, Unsterblichkeit erreichen, alle zu jederzeit alles durch die Verbindung zu einer Hyperintelligenz wissen und dadurch die Stufe eines gottähnlichen Wesens erreichen? Und wem stehen diese technologischen Errungenschaften eigentlich zu?

Vll

Einleitung Der Transhumanismus ist eine philosophische Strömung, welche die natürliche Evolution des Menschen beeinflussen möchte. Während dieser jahrzehntelang nicht über den wissenschaftlichen Diskurs und die Literaturwissenschaft hinausgetreten ist, findet er im Informationszeitalter neuen Nährboden. So wird im Silicon Valley an der Realisierung transhumaner Ideale gearbeitet, die große Gefahren in sich bergen.

Die Dystopie hat seit jeher vor solchen Gefahren gewarnt, insbesondere die wissenschaftlich-technische Dystopie. Dies tut sie mit ihrer oft beißenden Ironie ​und teilweise ungeschönten Darstellung ihrer Wirklichkeit und der Handlungsverlegung in Parallelräume und alternative Zeiten, um die Handlung aus den Zwängen des zeitlichen Kontextes zu reißen.

Dieses Thema wurde aus der persönlichen Motivation heraus gewählt, auf die negativen Auswirkungen der Technologisierung aufmerksam zu machen. Gerade in der Wirtschaft ist eine fast durchweg positive Stimmung gegenüber technologischen Innovationen zu vernehmen. Dies ist kaum verwunderlich, denn die Wirtschaft strebt allein nach Gewinnmaximierung. Angefacht wird diese “Technoeuphorie” zusätzlich noch durch die Singularity University, die bereits weltweit Ableger ihrer Institution besitzt.

Viel zu wenig kritische Stimmen sprechen sich gegen diese extreme Technologisierung unserer Umwelt aus und machen auf die Gefahren aufmerksam, die diese Entwicklungen beinhalten.

Dies wirft viele verschiedene Fragen auf, die in dieser Arbeit näher erläutert werden: Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen dem Transhumanismus und der Dystopie?

Weist der Transhumanismus Parallelen zu einer Religion auf und tritt er schließlich selbst an die Stelle einer Ideologie?

Wie wird sich die Mensch-Maschine-Interaktion ändern, wenn Technologie direkt in den menschlichen Körper eingesetzt wird?

Welche Gefahren der Kontrolle bergen neue Informationstechnologien?

Geht die Menschlichkeit in einer völlig technologisierten Welt Stück für Stück verloren und inwieweit beraubt die Technologie den Menschen seiner geistigen Freiheit?

Welche Propaganda wird eingesetzt, um transhumane Ideale zu verbreiten?

Besteht die Möglichkeit, dass das breite Konsum- und Entertainment-Angebot genutzt wird, um neben dem Profitstreben die Gesellschaft in einem Zustand geistiger Leere zu halten?

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Isoliert die Technologie den Menschen von seiner Außenwelt und werden zwischenmenschliche Beziehungen dadurch destabilisiert?

Nutzt der Transhumanismus die allgemeine Abkehr der Menschen von der Religion, um seine eigenen Ideale in der Gesellschaft zu festigen?

Verliert der Mensch bald völlig seine natürlichen Wurzeln durch die Abhängigkeit von der Technologie und welche Rolle spielen dabei die Techno-Eliten?

Führen diese Entwicklungen zu einer Technokratie?

All diese Fragen lassen sich auf eine zentrale Hauptforschungsfrage herunterbrechen: Entwickeln Multinationale Konzerne und Think Tanks​ im Silicon Valley eine transhumanistische Zukunftsvision, die Parallelen zu einer technologisch, philosophisch und wirtschaftlich kontrollierten Dystopie aufweist?

Das Ziel der Arbeit ist die Schaffung einer Diskussionsgrundlage, um auf die Gefahren der Technologisierung der menschlichen Umwelt aufmerksam zu machen. Besonders in der Zukunftsforschung ist das Thema wichtig, da der Transhumanismus bisher im wissenschaftlichen Diskurs zu wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Dabei ist dieses Thema hochaktuell und verlangt nach mehr kritischen Stimmen, welche die Entwicklungen dieser enormen Technologisierung hinterfragen.

Die ersten beiden Kapitel dieser Arbeit sind Grundlagenkapitel, die sich intensiv mit dem Gegenstand des Transhumanismus und der Dystopie auseinandersetzen. Im dritten Kapitel werden die unterschiedlichen und gemeinsamen Merkmale analysiert und im vierten Kapitel auf drei Hauptkontrollbereiche des “Silicon-Valley-Transhumanismus” heruntergebrochen. Abschließend finden im fünften Kapitel eine Auswertung, ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und ein kurzer Abriss zum verantwortungsvollen Umgang mit der Technik statt. Letzterer versucht einen Lösungsansatz zu formulieren, wie sich eine drohende Technokratie noch verhindern ließe.

l. Transhumanismus 1. Transhumanismus in der Geschichte und seine Motive 1.1 Definition des Transhumanismus Der Transhumanismus setzt sich aus den lateinischen Wörtern “trans” und “humanus” zusammen. Ersteres bedeutet “hinaus”, “über”, “jenseits” und letzteres “menschlich”.

Der Transhumanismus ist eine philosophische Strömung, welche den Menschen nicht als fertiges Produkt der Evolution begreift, sondern als fehlerhaftes Wesen, das durch menschliche Einwirkung zu seiner Vollendung gelangen kann.

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Transhumanism is a loosely defined movement that has developed gradually over the past two decades. It promotes an interdisciplinary approach to understanding and evaluating the opportunities for enhancing the human condition and the human organism opened up by the advancement of technology. Attention is given to both present technologies, like genetic engineering and information technology, and anticipated future ones, such as molecular nanotechnology and artificial intelligence.1

Christopher Coenen schreibt in seinem Essay “Transhumanismus und Utopie” (2009), dass der normale Mensch eine evolutionäre Sackgasse darstellt.2 Max Moore zitiert diese Denkrichtung folgendermaßen: Transhumanism is a class of philosophies of life that seek the continuation and acceleration of the evolution of intelligent life beyond its currently human form and human limitations by means of science and technology, guided by life-promoting principles and values.3

Dieses Versprechen soll mit Hilfe von technologischen Innovationen und genetischen Modifikationen in naher Zukunft seine Erfüllung finden. Es geht um die völlige Auflösung des “Menschseins” und die Schaffung eines allwissenden, unsterblichen Gottwesens. Der menschliche Körper soll augmentiert, wissenschaftlich und technisch aufgewertet werden.

“Und gegenüber diesem historischen Produkt werden offenbar aktuell von seitens bestimmter technowissenschaftlicher Projekte Versuche zur ausdrücklichen ‘Verbesserung’ ausgerufen: Als wäre diese Form historisch schlicht ‘gegeben’ und wohl auch ​insofern ​verbesserungswürdig”.4 Die Transhumanisten bezeichnen sich deshalb auch als “Übergangswesen”, deren Transformation vor allem von ihren eigenen Entscheidungen in der Gegenwart abhängt:5 Transhumanists view human nature as a work-in-progress, a half-baked beginning that we can learn to remold in desirable ways. Current humanity need not be the endpoint of evolution. Transhumanists hope that by responsible use of science, technology, and other rational means we shall eventually manage to become post-human, beings with vastly greater capacities than present human beings have.6

Der Mensch ist damit auf dem besten Weg, “[...] sich selbst in seiner natürlichen Erscheinungsform, seiner Autonomie und unverletzlichen Würde abzuschaffen. Träfe dies tatsächlich zu, würde der aufsteigende Transhumanismus die Verkehrung des Humanismus und damit den Verlust der Humanitas bedeuten, und zwar dem Humanitas als Inbegriff der Menschlichkeit schlechthin [...]”.7 Natürliche Grenzen werden im 1

Bostrom: Human Genetic Enhancements, nickbostrom.

Vgl.Coenen: Transhumanismus, 150.

3 More (zitiert nach): Philosophy, humanity+.

4 Becker: Regulation, 144 f.

5 Vgl. Dickel: Enhancement-Utopien, 251.

6 Bostrom: Human Genetic Enhancements, nickbostrom.

7 Hansmann: Transhumanismus, 8.

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Transhumanismus nicht akzeptiert und es wird kontinuierlich versucht, sie zu durchbrechen: [...] [T]he transhumanist approach extrapolates a state of command over the inner and outer nature of man, which seems to enable him to reach out to his natural-historical basis.

8

Heute wird der Transhumanismus als Weiterentwicklung des Humanismus angesehen.

Eine philosophische Strömung, die sich im 15. und 16. Jahrhundert von Italien ausgehend in ganz Europa verbreitete. Der Humanismus folgte dem Manifest, den Menschen als zentralen Mittelpunkts des Lebens zu sehen und nicht mehr einem Schöpfergott diese Rolle zuzusprechen. Rationales Denken, Toleranz, Freiheit, Demokratie sowie Güte und Mitgefühl allen Menschen gegenüber wurden zudem als hohes Ideal betrachtet.9 Jedoch verfolgt der Transhumanismus bei genauer Betrachtung eine ganz andere Agenda, welche die Parallelen zu einer Ideologie sehr gut verdeutlichen: We are going to become Gods, period. If you don’t like it, get off. You don’t have to contribute, you don’t have to participate, but if you are going to interfere with ​me​ becoming God, you’re gonna have big trouble. And we’ll have warfare.10

1.2 Abriss von der Aufklärung zur Gegenwart Seine Ursprünge hat der Transhumanismus im Zeitalter der Aufklärung.11 Zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert breitete sich die Strömung ausgehend von England über Frankreich und den Niederlanden nach Deutschland aus und schließlich auch bis nach Nordamerika. In diesem Zeitalter galt die ​Vernunft​ als Maß aller Dinge und wurde zum Maßstab eines jeden Handelns. Man verfolgte das Ziel, sich von früheren Vorstellungen und alten Denkweisen zu befreien. Die Menschen sollten lernen, ihren eigenen Kopf zu benutzen und das gesellschaftliche System mit Hilfe ihrer Vernunft zu hinterfragen. Dies bezog sich vor allem auf den blinden Gehorsam gegenüber der Kirche und anderen Obrigkeiten.12 Immanuel Kant fasst das Zeitalter der Aufklärung folgendermaßen zusammen: Enlightenment is man’s leaving his self-caused immaturity. Immaturity is the incapacity to use one’s own understanding without the guidance of another. Such immaturity is self-caused if its cause is not lack of intelligence, but by lack of determination and courage

8

Saage: New man, 2.

Vgl. Bostrom: ​The Transhumanist FAQ, 4.

10 Seed: Human Cloning, 0:01-0:19.

11 Vgl. Bostrom: A ​ history of transhumanist thought, 4.

12 Vgl. Hähnel: Das Zeitalter der Aufklärung, Helles-Koepfchen.

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to use one’s intelligence without being guided by another. The motto of enlightenment is therefore: Sapere aude! Have courage to use your own intelligence!13

Friedrich Nietzsche wird in transhumanistischen Kreisen als einer der Begründer der Strömung angesehen.14 Dies mag vor allem an seiner Lehre des ”Übermenschen” liegen, die den modernen Menschen als Wesen beschreibt, das frei ist, seinen Weg ohne vorgegebenes Ziel zu beschreiten.15 I teach you the overman. Man is something that shall be overcome. What have you done to overcome him? All beings so far have created something beyond themselves; and do you want to be the ebb of this great flood and even go back to the beasts rather than overcome man?16

Nietzsche ging es allerdings nicht um technologische Transformation, sondern persönliches Wachstum und kulturelles Streben nach Höherem durch außergewöhnliche Individuen.17 Als im Jahr 1859 Darwin sein Werk “The Origin of Species” veröffentlichte, veränderte sich langsam die Sicht auf die Entwicklung des Menschen. Mehr und mehr sickerte die Erkenntnis in das Wesen der Menschen, dass dieser weder das Ebenbild Gottes sei, noch sich am Ende seiner evolutionistischen Entwicklung befände. Im Gegenteil - er befände sich noch ganz am Anfang. Ein Denkansatz, der die Geburtsstunde des transhumanistischen Gedankens einläutete und erste Überlegungen zuließ, die sich mit der Frage beschäftigten, ob der menschliche Körper und Geist mit Hilfe von technologischen Errungenschaften aufgewertet werden könne.18 Im frühen 20. Jahrhundert entwickelte sich dann eine breitflächig diskutierte Debatte um potentiell fehlerhaftes menschliches Erbgut im Genpool. Staaten wie Kanada, Australien, Schweden, Dänemark und Finnland implementierten daraufhin verstärkt vom Staat gesponserte Eugenikprogramme. In der Nachkriegszeit wandte man sich dann jedoch gänzlich von allem ab, was auch nur ansatzweise mit der nationalsozialistischen Ideologie zu tun hatte und Gedanken zur genetischen Umstrukturierung des Menschen durch Eugenik wurden strikt abgelehnt. Die Vision, eine Welt durch eine zwanghaft implementierte Doktrin zu schaffen, gehörte endgültig der Vergangenheit an.19 Technologie wurde nun mehr als Lösungsinstrument für soziale Probleme betrachtet, und

13

Kant: What Is Enlightenment?, 1.

Vgl. Bostrom: ​A history of transhumanist thought, 4.

15 Vgl. Prossliner: Ist der "Übermensch", Nietzsche Online.

16 Nietzsche: The Portable Nietzsche, 124.

17 Vgl. Bostrom: A ​ history of transhumanist thought, 4.

18 Vgl. Bostrom: A ​ history of transhumanist thought, 3.

19 Vgl. Bostrom: A ​ history of transhumanist thought, 6 f.

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der Fokus richtete sich nun auf Themen wie Raumfahrt, sowie Medizin- und Computertechnologie, da auf diesen Gebieten große Forschungserfolge zu verzeichnen waren.

Der Begriff des​ Transhumanismus​ wurde erstmals von Julian Huxley, einem renommierten Biologen und Bruder Aldous Huxleys (bekannt durch sein Werk “Brave New World” von 1932), geprägt. In seiner Publikation “New Bottles For New Wine” schreibt er 1957:20 The human species can, if it wishes, transcend itself – not just sporadically, an individual here in one way, an individual there in another way – but in its entirety, as humanity. We need a name for this new belief. Perhaps transhumanism will serve: man remaining man, but transcending himself, by realizing new possibilities of and for his human nature.21

Robert Ettinger und Fereidoun M. Esfandiary entwickelten im Jahr 1972 den Begriff “transhuman”,​ ​um Menschen zu beschreiben, die im Prozess waren, biologische und weltanschauliche Fesseln des gegenwärtigen Menschen abzustreifen. Sich selbst und ihre Anhänger betitelten sie als “transhumans”.22 Im Jahr 1998 gründete Nick Bostrum die “World Transhumanist Association” (WTA), um eine mehr organisatorische Basis für alle weltweit verteilten transhumanistischen Gruppen zu schaffen. Er verfolgte das Ziel, den Transhumanismus als anerkannte wissenschaftliche Disziplin geltend zu machen.23 Heute ist der Transhumanismus längst aus dem wissenschaftlichen Diskurs herausgetreten und hat sich fest in der Wirtschaft verankert. Das Zentrum der Strömung befindet sich heute im Silicon Valley, wo Technologiegiganten, wie z.B. Alphabet Inc. und der NASA Research Park, sich mit der direkten Umsetzung transhumaner Ideen, wie bspw. der Verlängerung der menschlichen Lebensspanne, der technologischen Verbesserung des biologischen Körpers und der Schaffung künstlicher Intelligenzen beschäftigen. Damit hat eine Zeit begonnen, die Julian Huxley als Epoche einer neuen menschlichen Existenz beschrieb. Nicht mehr als 61 Jahre nach seiner Publikation “New Bottles For New Wine” (1957): “I believe in transhumanism": once there are enough people who can truly say that, the human species will be on the threshold of a new kind of existence, as different from ours as ours is from that of Pekin man. It will at last be consciously fulfilling its real destiny.24

Vgl. Bostrom: ​A history of transhumanist thought, 7.

Huxley: New Bottles For New Wine, 17.

22 Vgl. Dickel: Enhancement-Utopien, 242.

23 Vgl. Bostrom: A ​ history of transhumanist thought, 15.

24 Huxley: New Bottles For New Wine, 17.

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1.3 Die Hauptmotive des Transhumanismus Wie im vorherigen Kapitel erwähnt, geht es im Transhumanismus um die Überwindung des Menschseins, um die Schaffung eines gottähnlichen Wesens, das nicht mehr von seinen natürlichen Grenzen bestimmt und begrenzt wird. Es handelt sich um eine internationale Bewegung aus verschiedenen Organisationen und Netzwerken, dessen hauptsächliches Nahziel​ es ist, die Verbesserung des Menschen mit Hilfe von pharmazeutischen, biotechnischen und anderen Mitteln herbeizuführen. Aufgrund dieser Philosophie lässt sich der Transhumanismus auch als eine Weltanschauung bezeichnen.

25

Der Transhumanismus beruht auf der Überzeugung, dass sich die Menschheit mit technowissenschaftlichen Mitteln radikal selbst verändern wird, und will diesen auf eine Selbstüberwindung des Menschen hinauslaufenden Prozess vorantreiben.26

Implantate, Prothesen (insbesondere auch mit neuroelektrischen Schnittstellen), leistungssteigernde Drogen und gentechnische Eingriffe sind nur Teile der technologischen Errungenschaften, derer sich der Transhumanismus bedienen möchte.

Der Einsatz dieser Human-Enhancement-Technologien (⇒ Technologien zur Verbesserung des Menschen auf physischer und psychologischer Ebene) sollen schließlich zur Überwindung des Todes und zur Entstehung des posthumanen Menschen, eine Art Mensch 2.0, führen. Der Zwischenschritt wäre dann ein mechanisierter Mensch, ein ​Cyborg​, der z.B. in Echtzeit mit Maschinen über eine Gehirn-Maschine-Schnittstelle kommunizieren, Gedächtnisinhalte digital abspeichern kann und Infrarotsicht besitzt.

Ergänzend dazu sollen künstliche Intelligenzen als Partner, Assistent und irgendwann sogar als Führer der Menschheit entstehen. Genaugenommen ist das Smartphone bereits eine Vorstufe dieser Entwicklung.

Das Fernziel des Transhumanismus​ ist es schließlich,27 “eine auf der Verschmelzung von Mensch und Technik sowie von Bewusstsein und auf Bewusstsein basierende (oder eine durch menschliche Intelligenz in die Welt gesetzte, rein maschinelle) extraterrestrische Zivilisation zu schaffen. In diesen Wunschzukunftsbildern sind oft die Konflikte und Probleme unserer Zeit überwunden”.28 Der Transhumanismus zeigt ebenfalls starkes Interesse an der Manipulation der Psyche (“Mood-Enhancement” oder “Cognititve Enhancement”) und damit zur rationalen Kontrolle des menschlichen Gefühlslebens:29

25

Vgl.Coenen: Transhumanismus, 135 f.

Coenen: Transhumanismus, 136 f.

27 Vgl. Coenen: Transhumanismus, 137.

28 Coenen: Transhumanismus,137.

29 Vgl. Coenen: Transhumanismus,148.

26

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Die vorherrschende transhumanistische Gedankenfigur ist hier, dass Transhumane, Posthumane und ansatzweise schon heutige Menschen ihre Intelligenz mit wissenschaftlichen Mitteln verbessern und, um immer vollständig rational handeln zu können, ihre Gefühle beliebig manipulieren können.30

Diese Vorstellung spitzt sich in den entkörperten Visionen des Transhumanismus zu, den menschlichen Geist auf einen Computer zu übertragen. Im ersten Schritt soll der biologische Körper mit Hilfe technologischer Artefakte manipuliert und beherrscht werden, um ihn schließlich zu einem Netzwerk von Gehirnen zusammen zu schließen.

Individualität und Freiheit verabschieden sich in einem gleichgeschalteten Netzwerk.

Aus den Überlegungen zu Gehirn-Computer-Schnittstellen lässt sich schlussendlich auch die Vision eines globalen Gehirns ableiten.31 D.h., die Menschen wachsen untereinander mit ihren Artefakten zu einem höheren Kollektiv zusammen. Diesem fallen, so die Transhumanisten, kosmische Aufgaben zu. Nämlich der Übergang von einer evolutionären Evolution zu einer kulturellen und die Expansion ins All. Diese dient nicht nur der Ausbreitung, sondern auch der Erreichung einer gottähnlichen Position im Kosmos.32 Der menschliche Körper soll perfektioniert werden. Der fragile und natürliche Körper soll durch einen von Menschenhand geschaffenen ersetzt werden.

Genauer: Spricht man heute affirmativ von einer ‘Perfektionierung’ des ‘gesunden’ Körpers, seiner als ‘normal’ verstandenen Form, sollte nicht vergessen werden, dass bereits die heute als ‘natürlich’ angesehene Menschenform vieles ist, aber vor allem ein historisches, ein kulturelles ​Produkt​.33

Die Kernelemente des Transhumanismus sind dabei: “[...] bereits seit bald 100 Jahren ideologisch ausgearbeitet [...]: Die Überwindung des hinfälligen menschlichen Körpers, die extreme Steigerung menschlicher Intelligenz, die rationale Kontrolle der Psyche und das Ziel der Expansion ins Weltall. Hinzu kommen hier die Entwicklung einer hoch leistungsfähigen KI sowie die Abschaffung des Leidens [...]”.34 Grunwald und Hartlieb gehen in ihrem Essay “​Auf dem Weg zum technisch optimierten Menschen?”​ (2012), näher auf die Aufgabe des Menschen im Transhumanismus ein: Im Transhumanismus wird die Aufgabe des Menschen darin gesehen, sich selbst auf wissenschaftlich-technischem Weg zu verbessern, auf diese Weise die Entstehung einer “kollektiven Intelligenz” der Menschheit zu befördern und schließlich eine neue, technische

30

Coenen: Transhumanismus,148 f.

Vgl. Coenen: Transhumanismus,153.

32 Vgl. Coenen: Transhumanismus,138.

33 Becker: Regulation, 144.

34 Coenen: Transhumanismus,138.

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Zivilisation jenseits der heutigen Menschheit zu ermöglichen. Der Mensch als “Mängelwesen”, wie ihn der Biologe und Philosoph Arnold Gehlen begrifflich erfasst hat, könne und müsse durch seine technische Perfektionierung des Status des Mängelwesens überwinden.35

Er arbeitet zudem drei Hauptmotive des Transhumanismus heraus, die seiner Meinung nach vor allem durch die Nanotechnologie Fahrt aufnehmen werden. Er spricht davon, dass der menschliche Körper und Geist gezielt umgestaltet und verbessert werden muss, um diese Ziele zu erreichen. Speziell nennt er diese Vorstellungen “Verbesserungsutopien”:36 1. Erweiterung der ​sensorischen Fähigkeit des Menschen​: Vor allem in Bezug auf die Fähigkeiten des menschlichen Auges (z.B. Verschärfung der Sehstärke oder Nachtsicht), ebenso könnte das Hörvermögen gesteigert werden.

2. Erweiterung von ​Gehirnfunktionen​ durch technische Hilfe: Z.B. Steigerung der Speicherkapazität des Gehirns, dem Vorbeugen des Vergessens von Informationen und Steigerung der Informationsverarbeitungskapazität.

3. Verlangsamung des Alterns​: Deutliche Erweiterung der menschlichen Lebensspanne, z.B. durch sofortiges Entdecken und Reparatur jeglicher Form der Degradation auf zellularer Ebene.37 Hansmann spricht in seiner Publikation “Transhumanismus. Vision und Wirklichkeit” (2015) von einer “technologischen Art der Selbstüberwindung des Menschen”38 und definiert vier Hauptmotive des Transhumanismus, die er mit “unglaublichen Abschieden”39 betitelt: 1. Der Abschied vom​ Altern und Tod ​mit der Aussicht auf das ewige Leben.

2. Abschied von​ problematischer genetischer Veranlagung​ durch die Schaffung von Wunschkindern nach genetischer Optimierung und gesellschaftlich favorisierten Maßstäben.

3. Abschied von​ unheilbaren Krankheiten​, schweren Leiden, körperlichen und mentalen Handicaps und dem Verlust an Körperteilen durch Ersetzung und Aufwertung mit Prothesen und technischen Implantaten.

Grunwald / Hartlieb: ​Auf dem Weg​, 21.

Grunwald / Hartlieb: ​Auf dem Weg​, 20.

37 Vgl. Grunwald / Hartlieb: ​Auf dem Weg​, 20.

38 Hansmann: Transhumanismus, 17.

39 Hansmann: Transhumanismus, 17.

35 36

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4. Abschied vom​ körperlichen Verfall​, Freiheit und persönlicher Eigenständigkeit.40 Ein weiteres zu ergänzendes Motiv des Transhumanismus ist die ​Steigerung der menschlichen Intelligenz​ durch genetische Manipulation und technologische Implantate bis hin zur Vernetzung mit einer kollektiven künstlichen Superintelligenz.

Im Kern zielt das transhumanistische Versprechen auf die ​verbesserungsbedürftige Qualität irdischen Daseins​ und auf das ​natürliche Ende menschlichen Lebens​, insbesondere auf das Altern mit unheilbaren Krankheiten, körperlichen und psychischen Verfallserscheinungen sowie schier unerträglich schwere Leiden - kurzum auf eine trotz aller immensen Fortschritte in Wissenschaft und Technologie bislang nicht überwundene Zurückgebliebenheit des Menschen.41

William Winwood​ ​Reade stellt in seinem Werk “The Martydom of Man” (1872) die Kernelemente der​ transhumanistischen Zukunftsvision​ auf: Die Menschheit werde in Zukunft den “Stern” Erde als ihr Vaterland betrachten und sein Fortschritt ihr Ehrgeiz sein.42 Die Körper, die wir jetzt “trügen” [...], gehörten zu den niederen Tieren, unser Geist sei schon aus ihnen herausgewachsen, wir betrachten sie bereits mit Verachtung. Einst werde die Wissenschaft den menschlichen Körper mit Mitteln transformieren, die wir heute noch nicht absehen und, selbst wenn man sie uns erklärte, jetzt noch nicht verstehen könnten. Krankheiten würden völlig ausgerottet, die Ursachen körperlichen Verfalls gänzlich beseitigt und Unsterblichkeit “erfunden” werden. Danach stehe die Auswanderung der Menschheit ins Weltall an, wobei sie die “luftlosen Saharas” von Planet zu Planet, von Sonne zu Sonne durchqueren werde. Schließlich würden die Menschen die Kräfte der Natur meistern, selbst “Welten herstellen” und eine gottähnliche Macht erlangen.43

Reade verdeutlicht seine getroffenen Aussagen noch einmal genauer in folgenden acht Punkten: 1. Sehnsucht nach der Überwindung des menschlichen Körpers (der unserem Geist nicht mehr angemessen sei) durch eine Transformation mit wissenschaftlich-technischen Mitteln.

2. Die Verachtung für den fragilen menschlichen fleischlichen Körper.

3. Der weltanschaulich-quasi-religiöse Anspruch.

4. Die extreme Langlebigkeitsperspektive.

5. Abneigung gegen die traditionellen Religionen.

6. Hoffnung auf eine technisch realisierte Unsterblichkeit (auch für das Individuum, das sich aber völlig dem großen Ganzen unterzuordnen hat).

7. Erwartungshaltung an die zukünftigen Menschen das Weltall zu kolonialisieren.

40

Vgl. Hansmann: Transhumanismus, 17.

Hansmann: Transhumanismus, 23.

42 Reade: The Martyrdom, 514.

43 Reade: The Martyrdom, 536.

41

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8. Weltenerschaffende Herrscher des Universums zu sein, gottgleich.44 Die vorherrschende transhumanistische Gedankenfigur ist im Grunde, “dass der utopische Traum eines befriedeten und individuelle wie gesellschaftliche Entfaltung ermöglichenden Erdenlebens zwar zu verwirklichen sei, aber nur dazu diene, weitreichende Entkörperlichungs- und Weltraumeroberungsvisionen zu ermöglichen”.45 Eine Expansion ins Weltall und Human Enhancement auf der einen Seite bedingt dabei die Schaffung intelligenter Maschinen auf der anderen Seite.46 There are plenty of people these days who are willing to cast off the bonds of our species by turning us into something else. We are just beginning to see the proverbial tip of the transhumanist iceberg.47

Nick Bostrom zeigt in seiner Publikation “What is Transhumanism?” (1998) und in “Human Genetic Enhancements: A Transhumanist Perspective” (2003), dass sich die transhumanen Motive bis heute nicht geändert haben und fasst diese in neun Punkten zusammen: 1. Super intelligente Maschinen:​ jede Form künstlicher Intelligenz nicht biologischen Ursprungs.

2. Lebenslanges emotionale Wohlbefinden:​ “Paradise-Engineering”, die Neukalibrierung des Wohlfühlzentrums im Gehirn.

3. Persönlichkeitspillen:​ Durch Medizin und Gentherapie ermöglichte Eliminierung unerwünschter persönlicher und die Hinzufügung neuer Eigenschaften.

4. Weltraumkolonialisierung:​ Eroberung des Weltraums durch Kolonien auf anderen Planeten und die stetige Ausweitung dieser.

5. Molekulare Nanotechnologie:​ Atom-große Maschinen, die im Stande sind, so gut wie jede chemisch mögliche Stoffkonfiguration zu bauen, inkl. menschlicher Klone.

6. Verlängerung der Lebensspanne:​ Z.B. mit Hilfe von Nanotechnologie, Gen-Therapie oder anderer biologischer Methoden.

7. Vernetzte Welt:​ Vernetzung des Lebens auf individueller, wirtschaftlicher und politischer Basis mit technologischen Mitteln.

8. Bewusstseins-Upload:​ Digitalisierung des Bewusstseins und Schaffung einer virtuellen Realität und Entwicklung von Neuro-Implantaten.

44

Vgl. Coenen: Transhumanismus,143 f.

Vgl. Coenen: Transhumanismus,147.

46 Vgl. Coenen: Transhumanismus, 153.

47 Mitchell: Mere nature, 33.

45

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9. Kryonik-Reanimation: ​Wiederbelebung der Kryonik-Patienten in einer fernen Zukunft, z.B. mit Hilfe von Nanotechnologie.48 Er schreibt außerdem: The enhancement options being discussed include radical extension of human health-span, eradication of disease, elimination of unnecessary suffering, and augmentation of human intellectual, physical, and emotional capacities. Other transhumanist themes include space colonization and the possibility of creating superintelligent machines, along with other potential developments that could profoundly alter the human condition. The ambit is not limited to gadgets and medicine, but encompasses also economic, social, institutional designs, cultural development, and psychological skills and techniques.49

Klingen diese Versprechen auf den ersten Blick wie eine Utopie, bleiben Folgen bei kritischem Hinterfragen der Heilsversprechen des Transhumanismus allerdings nicht aus.

Hansmann formuliert diesbezüglich fünf Abschiede, die aus diesen Versprechen resultieren: 1. Abschied von der Humanitas:​ D.h. von Freundlichkeit, Umgänglichkeit des menschlichen Wesens, grundsätzlichem Wohlwollen, Güte, Weltoffenheit, Milde des Geistes und sittlicher Würde.

2. Abschied von pädagogisch-programmatischer Erziehung und kritischer Bildung:​ Die nach transhumanistischen Vorgaben konstruierte strukturfunktionale Umwelt erziehlt durch höhere Effizienz und ohne Kollateralschäden durch menschliches Verhalten.

3. Abschied von diskursiver Souveränität und Autonomie​: Verbale menschliche Kommunikation wird mehr und mehr durch die Interaktion zwischen Mensch und Maschine verdrängt. Stichwort: “Brain-Computer-Interfaces”, “Internet der Dinge”.

4. Abschied von demokratisch-kontrollierter, rechtlich abgesicherter und ethisch qualifizierter Steuerung des technologischen Fortschritts und Lenkung großer Kapitalflüsse​: Durch privates Kapital geförderte Forschung und Entwicklung beschleunigen sich transhumanistische Projekte.

5. Abschied vom Streben einer humanen Gesellschaft im weltbürgerlichen Maßstab: ​Die transhumanistische Gesellschaft droht in einem digitalen Netzwerk technologischer Singularitäten zu erstarren (treffend wäre hier der Begriff Inhumanitas​).50 48

Bostrom: What is Transhumanism?, nickbostrom.

Bostrom: Human Genetic Enhancements, nickbostrom.

50 Vgl. Hansmann: Transhumanismus, 17 ff.

49

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Hansmann spricht darüber hinaus davon, dass diese Abschiede eine gemeinsame Ambivalenz zeigen, die wiederum Fragen aufwirft:51 Können diese gewichtigen Folgen aufwiegen, was die transhumanistischen Versprechen in Aussicht stellen und die unser Leben angeblich verbessern, “smart” organisieren und endlich verlängern? Wie ist mit der zu erwartenden neuen Widersprüchlichkeit technologischer “Singularitäten” einerseits und kritisch-humaner Individualität sowie sozial verankerter Persönlichkeit andererseits umzugehen? Wissen wir hinreichend und notwendig über die Folgen unseres hybriden Handelns Bescheid? Können wir diese Art der Selbstüberwindung ernsthaft wollen?52

2. Human Enhancement 2.1 Technologische Evolution: Vom Z3 zum Datenchip Human Enhancement ist die Aufwertung des menschlichen Körpers durch Technologie.

Prof. Dr. Oliver Bendel, Professor für Wirtschaftsinformatik, Wirtschaftsethik, Informationsethik und Maschinenethik, definiert Human Enhancement folgendermaßen: Human Enhancement dient der Erweiterung der menschlichen Möglichkeiten und der Steigerung menschlicher Leistungsfähigkeit, letztlich also - aus Sicht der Betroffenen und Anhänger - der Verbesserung und Optimierung des Menschen. Ausgangspunkt sind kranke oder gesunde Menschen, die mit Wirkstoffen, Hilfsmitteln und Körperteilen versorgt und mit Technologien verbunden werden.53

Sascha Dickel spricht in seinem Essay “Utopische Technologien in Technologischen Gesellschaften” (2016) von “Technologische[r] Entgrenzung”.54 Er beschreibt diese als “Instrument zur Verwirklichung einer Steigerung von Möglichkeiten”55: In technologischen Utopien wird Komplexität beiseite gefegt. In den Entgrenzungsvisionen des Transhumanismus wird der Cyborg vielmehr zur Chiffre unbändiger Freiheit.

Technologische Entgrenzung wird in den entsprechenden Diskursen vorrangig als Instrument zur Verwirklichung einer Steigerung von Möglichkeiten interpretiert.56

Er fährt fort: Der Körper wird dabei als Baustelle begriffen, an der technologische Projekte der Optimierung, Steigerung, Erweiterung, Ausdehnung und Verbesserung ihren Ansatzpunkt suchen. Das Streben nach ​zeitlicher ​Optionssteigerung mündet im Transhumanismus im Wunsch nach Unsterblichkeit durch technologisch unverwüstliche Körper.57

51

Vgl. Hansmann: Transhumanismus, 19.

Hansmann: Transhumanismus, 19.

53 Bendler: Human Enhancement, Gabler Wirtschaftslexikon.

54 Dickel: Utopische Technologien, 109.

55 Dickel: Utopische Technologien, 109.

56 Dickel: Utopische Technologien, 109.

57 Dickel: Utopische Technologien, 109.

52

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Aber auch zeitliche Optionssteigerung, im Transhumanismus als das Streben nach Unsterblichkeit durch technologisch aufgewertete Körper verstanden, ist Teilthema des Human Enhancement. Es geht um die Steigerung der Möglichkeiten des Erlebens und Handelns über bisherige biologische Grenzen hinaus, z.B. über Implantate im Körper, die irgendwann Gedankenlesen und Gedankenübertragung ermöglichen könnten.58 Mag dies vielleicht wie ferne Science-Fiction klingen, gibt es jedoch schon heute Menschen mit künstlichen Gelenken, Hörgeräten, Herzschrittmachern, Hormonspiralen, Prothesen, Zahnimplantaten und Monatslinsen. Menschen, die sich, wie Bendel beschreibt, aus medizinisch notwendigen Gründen technologisch aufgewertet haben.

Wenn dies auch nicht die gängige Vorstellung eines Cyborgs ist, so lässt sich der Definition nach jedoch die These aufstellen, dass Cyborgs bereits unter uns weilen.

Der nächste Schritt ist die technologische Verbesserung gesunder Menschen. Auch dies findet bereits statt.

So intensiv Menschen heute mit ihrem Smartphone interagieren und kommunizieren, kann das Smartphone auch als eine Art erweitertes Sinnesorgan verstanden werden.

“Es ist daher eine durchaus plausible Lesart, das Smartphone als Form des Human Enhancement zu begreifen - ein Enhancement, das gar nicht erst unter die Haut gehen muss, um seine transformative Wirkung zu entfalten”.59 Sogenannte “Wearables”, oder “Wearable Technologies”, gehen noch einen Schritt weiter.

Die Technologie wird direkt “angezogen” und damit temporär zum Teil des Körpers.

Klassische Beispiele sind dabei die ​Google Glass​, Smartwatches wie die ​Apple Watch​, Fitnessarmbänder wie das ​Fitbit​ und die Virtuelle-Realitäts-Brille ​Oculus Rift.​

Die Technologie rückt immer weiter an unseren Körper heran. Eine Tatsache, die im Jahr 1941, als Konrad Zuse zusammen mit seinem Kollegen Helmut Schreyer den ersten funktionierenden, digitalen Computer, den Z3 baute, noch völlig undenkbar war.

Der Z3 war so groß wie ein ganzer Wandschrank mit einer Leistung von 5 Hertz.60 Der erste marktfähige Personalcomputer wurde schließlich von Philip Estridge (IBM) im Jahre 1981 vorgestellt. Zwar erfand IBM den ersten Minirechner nicht, brachte ihn aber an die Massen und machte ihn populär. Der “5150 Personalcomputer” kostete 1565 Dollar und legte den Grundstein für alle zukünftigen Generationen von Personalrechnern.61 Der “Osborne 1” war der erste Laptop der Welt. Er wog 10,7 Kilogramm und hatte die Größe einer Nähmaschine. Er besaß keine Festplatte, und der Prozessor war mit 4

58

Vgl. Dickel: Utopische Technologien, 109 f.

Dickel: Utopische Technologien, 112 f.

60 Vgl. Stoller: Konrad Zuses Z3, Ingenieur.

61 Vgl. Finsterbusch: Vor dreißig Jahren, Frankfurter Allgemeine.

59

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Megahertz getaktet. Sein Bildschirm maß nur fünf Zoll und konnte mit einer Diagonalen von 13 Zentimetern auf einem schwarzen Hintergrund 1248 grüne Zeichen in 24 Teilen darstellen.62 Das erste Smartphone erschien im Jahre 1992 und entstammte erneut IBM. Das “IBM Simon” konnte Faxe verschicken, Adressbuch und Kalender verwalten und erlaubtes es dem Nutzer sogar Spiele zu spielen. Zudem war das IBM Simon das erste Gerät mit Touchscreen.63 Doch erst im Jahre 2007 begann der Siegeszug des Smartphones mit dem Iphone der ersten Generation. Appel prägte das Design des “klassischen Smartphones”, wie wir es heute kennen und löste die Zeit der Klapptelefone und anderer kursierender Designformen endgültig ab. Es war der Startschuss, der die Kommunikationstechnologie in einem nie dagewesenen Umfang in unseren Alltag integrierte.

Heute kommunizieren unsere Wearables mit unserem Smartphone und mit unseren Haushaltsgeräten. Das Internet der Dinge, das “Smart Home” ist auf dem Vormarsch.

Daten machen sich frei von technischen Geräten und werden in der Cloud gespeichert.

Das Ziel des “Internet of Everything” ist es, “allen Dingen, die bisher auf die Steuerung durch ihre menschlichen Besitzer angewiesen sind, mit Hilfe des Internets eine Art Eigenleben einzuhauchen”.64 Das Internet der Dinge wird bewirken, dass der Mensch mit Hilfe von intelligenten Gegenständen, Geräten und Umgebungen, in seinem Alltag massiv unterstützt wird. Gesundheitliche Verfassung und Arztbesuche werden durch Wearables nach Bedarf arrangiert werden. An den Anblick autonomer Fahrzeuge auf den Straßen wird man sich ebenfalls gewöhnen.65 Diese komplizierten Vorgänge sind vom Nutzer kaum noch nachvollziehbar. Kaum jemand versteht im Detail die komplexen Zusammenhänge des Internets der Dinge. Der Physiker Ranga Yogeshwar spricht deshalb von “digitaler Alchemie”.66 Der “Homo Digitalis” blickt durch eine erweiterte Realität, und erlebt surreale Räume in der virtuellen Realität, ist smart, vernetzt und immer erreichbar. Das alltägliche Leben wird immer mehr durch intelligente Algorithmen bestimmt und gelenkt. ​“Die ‘Mobile Revolution’ ist vorüber. Künstliche Intelligenz ist der Markt der Zukunft”67, so Stephan Maus im Stern vom Januar 2018.

62

Vgl. Heuzeroth: Vor 30 Jahren, Die Welt.

Vgl. Steimels: Wie alles begann, PC-Welt.

64 Schipper: Was ist eigentlich, 26.

65 Vgl. Reinhold: Smart Technology, Editorial.

66 Yogeshwar: Die Roboter kommen, 44.

67 Vgl. Maus: Begegnung der dritten Art, Stern.

63

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Noch weiter geht die NFC-Technologie (“Near Field Communication Technology”). Mit Hilfe eines in die Hand implantierten NFC-Chips ist es möglich, mit dem Smart Home zu interagieren. Der Chip liegt in einer kleinen Kapsel, die ca. 1,5 Zentimeter groß ist und wird zwischen Daumen und Zeigefinger implantiert. Mit dieser Technologie ist es zum Beispiel möglich, Türen zu öffnen, das Licht anzuschalten, sein Smartphone zu entsperren oder sich am Computer identifizieren zu lassen.68 In der Medizin gibt es ebenfalls bereits Chips, die in das Gehirn eingesetzt werden, um z.B. Querschnittsgelähmten oder Menschen, die auf eine Armprothese angewiesen sind, eine bessere Bewegungsmöglichkeit zu bieten. Das Ziel ist es, Neuroprothesen zu entwickeln, die genauso funktionsfähig sind, wie eine menschliche Extremität.

“Neuroprothesen sind in Greifweite gerückt, wir lernen das Denken immer besser zu verstehen”.69 Die Mensch-Computer-Interaktion ist damit zwar erst noch am Anfang, entwickelt sich aber stetig weiter.

2.2 Die Zukunft: Mind Uploading und Nanotechnologie Wie sieht die Zukunftsvision des Transhumanismus aus? Wie decken sich die Vorstellungen der Unsterblichkeit und Superintelligenz mit den realen technologischen Entwicklungen? Gehirnimplantate können uns intelligenter und in einem globalen neuronalen Netzwerk allwissend machen, aber sie haben nicht die Fähigkeit, der Menschheit Unsterblichkeit zu schenken.

Hier kommt die Nanotechnologie ins Spiel. Sie verspricht die physische Welt neu zu erschaffen und menschliche Gehirne sowie Körper zu einem neuen Wesen umzustrukturieren. Der menschliche Geist soll schließlich auf einen Computer übertragen werden.70 Vordenker und Visionäre sehen bereits eine Symbiose der Menschen mit der Nanotechnologie voraus. Naniten würden die Welt umgestalten, die Ursachen von Krankheiten in unserem Körper beseitigen und sogar Gegenstände aus dem Nichts erzeugen.71 In my view the most important element in uploading will be our gradual transfer of our intelligence, personality, and skills to the nonbiological portion of our intelligence. We already have a variety of neural implants. In the 2020s we will use nanobots to begin augmenting our brains with nonbiological intelligence [...].72

68

Vgl. Winzler: Google-Topia, 18.

Steinmüller, WIld Cards, 68.

70 Vgl. Kurzweil: Reinventing Humanity, 42.

71 Vgl. Steinmüller: Wild Cards, 68.

72 Kurzweil: The Singularity Is Near, 168.

69

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So Ray Kurzweil in seinem Buch “The Singularity is Near” (2005). Ein menschliches Gehirn zu digitalisieren bedeutet, all seine Details zu scannen, seine Persönlichkeit, Erinnerung, Fähigkeiten und Geschichte. Allerdings ist dieser Prozess kompliziert und schwer zu realisieren. Um solch ein hohes Level an Detailgenauigkeit zu erzeugen, bedarf es der Nanotechnologie. Mit heutigen technischen Mitteln ist so ein Prozess undenkbar.

Erst Ende 2020 wird diese Technologie voraussichtlich soweit sein, einen ernsthaften Schritt in diese Richtung zu gehen.73 Doch erst im Jahr 2030 sollen die drastischsten und einschneidendsten Veränderungen durch die Vereinigung von biologischen und nicht-biologischen Komponenten eintreten. Dadurch werden ganz neue Formen von Kommunikation möglich sein, die wir bisher nur aus Sagen und Mythen kennen.74 Dazu Kurzweil: The technology will also provide wireless communication from one brain to another. In other words, the age of telepathic communication is almost upon us.75

Gehirnimplantate werden so fortschrittlich sein, dass sie aus weit verstreuten im Gehirn verteilten Nanobots bestehen, die unsere Erinnerungen, unsere Sinne, Mustererkennung und unsere kognitiven Fähigkeiten erheblich verbessern werden.76 Sollte es uns gelingen, diese Computerleistung an die Nervenzellen des Gehirns anzukoppeln, würden die Tore zum Transhumanismus weit aufgestoßen. Die Evolution des menschlichen Intellekts würde von diesem Moment an rapide beschleunigt ablaufen.77

Der Mensch wäre im Stande zwischen der realen und der virtuellen Welt zu wechseln und in beiden Realitäten zu leben.

When we want to enter a specific virtual environment, the nanobots will suppress the signals coming from our senses and replace them with new, virtual ones. We can then cause our virtual bodies to move, speak and otherwise interact in the virtual environment.

The nanobots would prevent our real bodies from moving instead we would have a virtual body in a virtual environment, which need not be our real bodies.78 You will be able to have any type of experience - business, social, sexual, with anyone - real or simulated, regartless of physical proximity.79

Irgendwann wird es auch möglich sein, den gesamten menschlichen Geist auf einen Computer zu übertragen. Das würde bedeuten, dass selbst im Falle des Todes des biologischen Körpers in der realen Welt, der Mensch in einem virtuellen Körper im 73

Vgl. Kurzweil: The Singularity Is Near, 167.

Vgl. Kurzweil: Reinventing Humanity, 43.

75 Kurzweil: Reinventing Humanity, 43.

76 Vgl. Kurzweil: Reinventing Humanity, 43.

77 Bödefeld: Die technologische Singularität, 68.

78 Kurzweil: Live Forever, 84.

79 Kurzweil: The Coming Merging, 87 f.

74

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Cyberspace weiterleben könnte. Doch dieses Szenario, so Kurzweil, wird erst zehn Jahre später möglich sein: [T]he early 2030s is a reasonable time frame for the computational performance, memory, and brain-scanning prerequisites of uploading. Like any other technology, it will take some iterative refinement to perfect this capability, so the end of the 2030s is a conservative projection for successful uploading.80

Die Vorteile eines Bewusstseinsuploads (auch: ​Emerging Brain Technology​) sind dabei vielfältig: 1. Das digitalisierte Bewusstsein würde nicht der Alterung unterworfen sein.

2. Backups könnten im Fall der Fälle rebootet werden, so wäre eine Lebensspanne beliebig lang.

3. Die Arbeitsleistung könnte vervielfacht werden, denn ein künstliches Wesen benötigt keinen Schlaf, Nahrung, Transport, etc..

4. Durch hohe Computerleistung würde die Denkkapazität vertausendfacht werden.

5. Reisen mit Lichtgeschwindigkeit als reine Datenmenge wäre möglich, was in einer Zukunft mit Kolonien auf anderen Planeten aufgrund der großen Entfernung wichtig wäre.

6. Die Implementierung radikal verbesserter kognitiver Fähigkeiten ist einfacher in einem digitalen Gehirn als in einem biologischen.81 Doch: ​“Wie würden sich Deutungen von Gesundheit und Krankheit verschieben, wenn erst die Nanoroboter durch den Körper wandern, ihn ständig überwachen und jeden Tumor im Keim ersticken? Wir wissen es nicht. Wir können aber plausibel vermuten, dass die Welt kompliziert bleiben würde”.82

3. Der Silicon-Valley-Transhumanismus 3.2 Das Mooresche Gesetz und die Singularität Ray Kurzweil beschreibt einen Ereignishorizont in naher Zukunft, hinter den man nicht mehr blicken und keine zuverlässigen Zukunftsprognosen mehr erstellen kann.83 Diesen Zeitpunkt nennt Kurzweil die​ ​“Singularität” und legt diesen auf das Jahr 2045 fest:

80

Kurzweil: The Singularity Is Near, 167.

Vgl. Bostom: The Transhumanist FAQ, 18 f.

82 Dickel: Utopische Technologien, 109.

83 Vgl. Winzler: Google-Topia, 5.

81

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By 2045 we'll have expanded the intelligence of our human machine civilization a billion-fold. That will be the singularity and we borrowed this metaphor from physics to talk about an event horizon it's hard to see beyond.84

Er stützt sich bei seinen Prognosen auf das “Mooresche Gesetz”. Dieses besagt, dass sich die Computerkapazität ungefähr alle 12 Monate verdoppelt:85 Many different measures of information technology double every one year or 11 months. [...] In fact the speed of exponential growth is itself speeding up. So in 25 years these technologies will be a billion times more powerful than they are today.86

In einer anderen Quelle ergänzt er: Technological change is exponential, contrary to the common-sense ‘intuitive linear’ view.

So we won’t experience 100 years of progress in the 21st century - it will be more like 20,000 years of progress.87

In einem Interview mit John Brockmann im Jahre März 2002 fügte er schließlich noch an: [...] Moore’s Law itself is just one method for bringing exponential growth to computers.

People are aware that we’re doubling the power of computation every 12 month because we can put twice as many transistors on an integrated circuit every two years. But in fact, the run twice and double both the capacity and the speed, which means that the power quadruples.88

In rasanter Geschwindigkeit hat sich die Leistungsfähigkeit der Computer millionenfach vergrößert. Ebenfalls hat der Grad ihrer weltweiten Vernetzung enorm zugenommen. Um dies zu verbildlichen, kann sich ein Samenkorn vorgestellt werden, das in den Boden gepflanzt wird. Daraus würde mit gewaltiger Geschwindigkeit ein Baum wachsen, der ein gesamtes Dorf verschlingt, noch ehe geblinzelt werden kann.89 Die folgende Grafik (Abb. 2, s. S. 20) zeigt den Unterschied zwischen einem linearen (rote Quadrate) und einem exponentiellen Wachstum (gelbe Kreise) an. Beide Graphen bewegen sich in den Dimensionen von wachsender Computerkapazität (y-Ordinate) und Zeit (x-Abszisse).

84

Kurzweil: The Coming Singularity, 3:26-3:39.

Vgl. Winzler: Google-Topia, 5.

86 Kurzweil: Ray Kurzweil, 0:38-1:03.

87 Kurzweil: About, Singularity University.

88 Kurzweil: After the Singularity, 142.

89 Vgl. Lanier: Gadget, 19.

85

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Kurzweil: The Singularity Is Near, Optikabwandlung, 24 (Abb. 2).

Doch Kurzweil war nicht der Erste, der der auf ein exponentielles Wachstum berief. In den 1950er Jahren berichtete John von Neumann, ein ungarisch-amerikanischer Mathematiker und Informationstheoretiker:90 [T]he ever-accelerating progress of technology... gives the appearance of approaching some essential singularity in the history of the race beyond which human affairs, as we know them, could not continue.91

Von Neumann machte zwei wichtige Beobachtungen: Beschleunigung und Singularität.

Die erste Beobachtung bezieht sich darauf, dass der menschliche Prozess exponentiell verläuft und nicht linear. Die zweite ist, dass exponentielles Wachstum zuerst langsam, kaum erkennbar steigend verläuft und ab den “Knee of Curve” (⇒ ​der Punkt der maximalen Krümmung einer Kurve) plötzlich explosionsartig ansteigt.

Exponentielle Trends existierten noch nicht vor tausend Jahren. Technologischer Fortschritt gestaltete sich so langsam und schleppend, dass die Observationen der Gegenwart automatisch auf eine ebenso technologisch gering entwickelte Zukunft schließen ließen.92 Kurzweil schreibt in seinem Buch “The singularity is near” (2005): Today, we anticipate continuous technological progress and the social repercussions that follow. But the future will be far more surprising than most people realize, because few observers have truly internalized the implications of the fact that the rate of change itself is

90

Vgl. Kurzweil: The Singularity Is Near, 26.

Neumann (zitiert nach Kurzweil): The Singularity Is Near, 26.

92 Vgl. Kurzweil: The Singularity Is Near, 26.

91

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accelerating. Most long-range forecasts of what is technically feasible in future time periods dramatically underestimate the power of future developments because they are based on what I call the "intuitive linear" view of history rather than the "historical exponential" view.93

Wenn die Singularität eintritt, werden Mensch und Maschine zu einem hybriden Wesen verschmelzen, in ein eigenständig operierendes Artefakt mit Maschinenbewusstsein, dem Cyborg.94 Ein Szenario, das heute kaum denkbar ist.

Ray Kurzweil ist da jedoch anderer Meinung: “Wenn eine Maschine die Komplexität des Menschen erreicht oder sogar übertrifft und auch noch seine Werte teilt, werden wir anders denken. Ich betrachte das als eine Expansion unserer Zivilisation. Zwischen Maschine und Mensch wird es keinen klaren Unterschied mehr geben”.95 Die Gestalt technologischer Singularität operiert dabei aus sich selbst heraus, indem sie durch eine ausdifferenzierte Sensorik ständig Informationen aus der Umwelt filtert und mittels Algorithmen verarbeitet. So gewinnt der Cyborg eine von Umwelteinflüssen fast völlig unabhängige Eigenständigkeit und eine Art technologisch bestimmte, “singuläre” Autonomie.96 Jamie Bartlett, Autor, Journalist und Technik-Blogger für “The Telegraph”, gibt folgende Definition zur Singularität. Er beschreibt “singularity as the point at which artificial intelligence becomes so smart that it starts making even smarter versions of itself, leaving us mortals trailing behind”.97 Kurzweil dagegen definiert die Singularität folgendermaßen: “[...] [T]the Singularity is a future time when we substantially enhance our own intellectual capabilities by merging with the intelligent technologie we have created”.98 Und ergänzt: “By 2045 we'll have expanded the intelligence of our human machine civilization a billion-fold. That will be the singularity and we borrowed this metaphor from physics to talk about an event horizon it's hard to see beyond”.99 Er beschreibt die Singularität weiter als Periode, in welcher der technologische Wandel so schnell vonstatten gehen und so unvorstellbar weit fortgeschritten sein wird, dass die menschliche Existenz auf diesem Planeten irreversibel gewandelt wird. Die Menschheit soll ihre Gehirnleistung (Wissen, Fähigkeiten, charakterliche Besonderheiten, die uns zu Menschen machen) mit Computerleistung vereinen. Denken, urteilen, kommunizieren und schaffen wird in Wegen möglich sein, die uns heute kaum vorstellbar erscheinen.

93

Vgl. Kurzweil: The Singularity Is Near, 26 f.

Vgl. Hansmann: Transhumanismus, 23 f.

95 Kurzweil: Die Maschinen, 108.

96 Vgl. Hansmann: Transhumanismus, 25.

97 Bartlett (zitiert nach Hansmann): Transhumanismus, 25.

98 Kurzweil: 16B Ray Kurzweil on Modis’, 343.

99 Kurzweil: Ray Kurzweil, 3:26-3:39.

94

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Die Verschmelzung von Mensch und Maschine in Verbindung mit der explosionsartigen Entwicklung maschineller Intelligenz und Innovationen in der Genforschung, sowie der Nanotechnologie, wird in einer Welt resultieren, in der die Unterscheidung zwischen Biologie und Maschine nicht mehr möglich sein wird. Ebenso wird es sich mit der Unterscheidung zwischen der physischen und der virtuellen Welt verhalten.

Diese technologischen Revolutionen erlauben unseren fragilen Körpern mit all ihren natürlichen Grenzen, zu transzendieren. Krankheiten in ihrer heutigen Form werden ausgemerzt sein.100 Die menschliche Existenz wird schließlich einen Quantensprung in ihrer Evolution machen. Wir werden imstande sein so lange zu leben, wie wir wollen.101 “The coming into being of such a world is, in essence, the Singularity”.102

3.1 Alphabets Projekte und der Transhumanismus Es gibt heute global viele transhumanistische Strömungen, aber keine hat so immense Auswirkungen auf unsere Gesellschaft wie jene aus dem Silicon Valley. Multinationale Konzerne wie z.B. Facebook, Alphabet (u.a. Google), Apple, Oracle, Intel und Cisco erforschen und entwickeln Technologien, die wie Science-Fiction klingen und fern unserer heutigen Fähigkeiten scheinen. Nicht jedoch für die wohl größte Zukunftsschmiede im Silicon Valley, Alphabet Inc.. ​Gegründet am 23. Juli 2015 und ehemals Google (weiter als Tochterunternehmen existent), arbeitet der riesige Konzern an genau dieser Art von Technologien. Alphabet ist in verschiedene Tochterunternehmen gegliedert, die sich u.a. mit der Realisierung transhumanistischer Ideen befassen.

Google ist längst kein reines Internetunternehmen mehr, sondern ein globaler Hightech-Konzern, in rasendem Tempo aufgestiegen zur Wirtschaftssupermacht mit 60 Milliarden Dollar Umsatz und 13 Milliarden Dollar Gewinn. Das Betriebssystem Android dominiert die Smartphone-Welt. Der Konzern verlegt Glasfaserkabel, produziert Laptops, Tablets und Software. Aber auch das ist nur ein Zwischenschritt. Page ist dabei, Google gezielt in eine Zukunftsmaschine zu verwandeln, mit der die Welt von morgen fabriziert werden soll, die sie bestimmen und lenken will.103

Dabei sind vor allem folgende sechs Projekte zu nennen: 1. Nest:​ Internet der Dinge (Vernetzung) im Privatraum, auch Smart Home genannt

100

Dickel: Utopische Technologien, 109.

Vgl. Kurzweil: Reinventing Humanity, 39 f.

102 Kurzweil: Reinventing Humanity, 40.

103 Schulz: Larry und die Mondfahrer, 61.

101

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2. Verily:​ Die Entwicklung smarter Kontaktlinsen, die biologische Daten über den Nutzer sammeln, wie z.B. die Körpertemperatur und Blutalkoholkonzentration und eines die Entwicklung eines entsprechenden Armbands.

3. Calico: ​Überwindung des Todes und Verlängerung des Lebens durch Modifikation der menschlichen Gene.

4. Google: ​Entwicklung einer virtuellen Realität und dazugehöriger Technologie, Simulation eines künstlichen Gehirns (Google Brain) und eines Smart-Home-Assistenten (Google Home), die Google Suchmaschine.

5. DeepMind: ​Entwicklung einer künstlichen Intelligenz, die bei Erfolg dabei helfen soll, globale Probleme zu lösen.

6. X:​ Entwicklung einer Pille, die Krebszellen orten kann: Entwicklung einer Genom-Datenbank.

Diese Projekte sind nur ein kleiner Teil der Vielfalt an Innovationen, die Alphabet wie auch weitere Firmen im Silicon Valley entwickeln und erforschen. Sie zeigen jedoch sehr deutlich, inwieweit transhumanistische Ideale heute nicht mehr im rein philosophischen und wissenschaftlichen Kontext existieren, sondern dass sie bereits in der Umsetzung sind und damit auch auf die Gesellschaft wirken.

Nest​ ist Alphabets Versuch, Fuß im wachsenden Markt des Internets der Dinge zu fassen, auch “Smart Home” genannt. Das Unternehmen stellt intelligente Thermostate, Sicherheitskameras und Rauchmelder her, die mit dem Nutzer per Sprachsteuerung und Smartphone interagieren und sich dem Verhalten des Nutzers anpassen.104 Das Internet der Dinge “​bezeichnet die Vernetzung von Gegenständen mit dem Internet, damit diese Gegenstände selbstständig über das Internet kommunizieren und so verschiedene Aufgaben für den Besitzer erledigen können. Der Anwendungsbereich erstreckt sich dabei von einer allg. Informationsversorgung über automatische Bestellungen bis hin zu Warn- und Notfallfunktionen”.105 Auch ​Google​ entwickelt eine Technologie für das Smart Home, den Google Assistenten.

Bei den Worten “OK, Google” aktiviert sich der Assistent und erledigt per Sprachsteuerung Aufgaben für den Nutzer, wie z.B. Buchungen für Restaurants, Apothekenbestellungen, eine Playlist auf Spotify abspielen und Termine aufzeichnen.

Der Sprach-Assistent deckt die Themenbereiche Fakten und Infos, Sport, Übersetzung, Wörterbuch, Ernährung, Finanzen, Rechner und noch viele weitere ab.106 Der Schutz der

104

Vgl. Muoio: Google and Alphabet's 20, Business Insider.

Siepermann: Internet der Dinge, Gabler Wirtschaftslexikon.

106 Vgl. ​Google LLC​: Weitere Informationen.

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personellen Daten sei zurzeit gegeben und die Daten wären durch “eine der modernsten Sicherheitsinfrastrukturen der Welt geschützt”107 und können jederzeit vom Nutzer selbst gelöscht werden.108 Verily​s smarte Kontaktlinsen, die biologische Daten des Nutzers sammeln, wie die Körpertemperatur und Blutalkoholkonzentration, dienen in erster Linie einem medizinischen Zweck. Möglich ist diese Datenerfassung durch winzige Sensoren in der Linse, die den Zuckergehalt anhand der Tränenflüssigkeit im Auge bestimmen.

Verily entwickelt ebenfalls ein Gerät, das Daten wie Herzschlag, Körpertemperatur, Geräusche und Licht aufzeichnet und ausschließlich in der Medizin Anwendung finden soll. Ebenso forscht​ X​ an einer Pille, gefüllt mit magnetischen Partikeln, die Krebszellen und andere Krankheiten im menschlichen Körper orten soll. X entwickelt ebenso das dazugehörige Wearable, das die Partikelanzahl im Körper misst und aufzeichnet.109 Gegründet und aufgebaut wurde X von Sebastian Thrun. Er ist einer der weltweit führenden Experten für Robotik und künstliche Intelligenz.110 Alle drei Projekte von X sind im Bereich des Human Enhancement​ ​angesiedelt.

Darüber hinaus entwickelt X eine riesige Genom-Datenbank mit dem Ziel, Millionen von Genomen zu speichern, um dadurch einen großen Fortschritt in der Medizin zu erwirken.

Mediziner sollen dadurch die Möglichkeit haben, auf einzelne Clouds zuzugreifen, um auf diese Weise leichter Krebspatienten identifizieren zu können. Diese Informationen könnten online geteilt und es könnten virtuelle Experimente durchgeführt werden, ohne, dass der Patient überhaupt anwesend sein müsste.111 X bezeichnet seine richtungsweisenden Projekte als “Moonshots”.

Die Suche nach dem großen Wurf, irgendwo zwischen gewagter Vision und wilder Phantasie, hat einen eigenen Namen bei Google: Moonshot. Angelehnt an die berühmte Ankündigung des damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy zu Beginn der sechziger Jahre, bis Ende des Jahrzehnts einen Menschen auf den Mond schießen zu wollen.112

Dr. Astro Teller, einer der Gründer von X, der sich selbst den Titel “Captain of Moonshots” gab, definiert das Prinzip der Moonshots wie folgt: “You don't spend your time being bothered that you can't teleport from here to Japan, because there is a part of you that thinks it’s impossible. Moonshot thinking is choosing to be bothered by that”.113

​Google​: Google: Home-Hilfe.

Vgl. ​Google​: Google Home-Hilfe.

109 Vgl. Muoio: Google and Alphabet's 20, Business Insider.

110 Vgl. Schulz: Larry und die Mondfahrer, 63.

111 Vgl. Muoio: Google and Alphabet's 20, Business Insider.

112 Schulz: Larry und die Mondfahrer, 63.

113 Teller: Moonshot Thinking, 2:17-2:27.

107 108

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Das Unternehmen ​Calico​ beschäftigt sich mit einem der zentralsten Themen im Transhumanismus: Der Forschung nach der Unsterblichkeit und der ewigen Jugend.

Calico hält seine Forschungen weitestgehend geheim. Bekannt ist aber, dass spezielle Gene gesucht werden, die in bestimmten Gruppen von Menschen für eine längere Lebensspanne sorgen.114 Man kann sagen, Calico ist eine Biotech-Variante von X. Geforscht wird u.a. an der Frage, warum der menschliche Körper altersschwach wird und wie sich dieser Prozess aufhalten oder verlangsamen lässt. Die Führung von Calico hat Arthur Levinson übernommen. Er setzt auf Grundlagenforschung, wobei die Firma kein Pharmaunternehmen sein soll, sondern als Institut agieren möchte.115 We’re tackling aging, one of life’s greatest mysteries. Calico is a research and development company whose mission is to harness advanced technologies to increase our understanding of the biology that controls lifespan. We will use that knowledge to devise interventions that enable people to lead longer and healthier lives. Executing on this mission will require an unprecedented level of interdisciplinary effort and a long-term focus for which funding is already in place.116

Calicos Glaubenssatz ist, dass die Überwindung des Alterns und Verlängerung der Lebensspanne ausschließlich mit neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen und umwälzender Technologie möglich ist und dass in beiden Bereichen nur intellektuelle Freiheit und Kreativität zum Gelingen führen kann.117 ​“Ich freue mich, Calico zu verkünden, ein neues Unternehmen, das sich auf Gesundheit konzentriert, genauer gesagt, auf das Altern und die damit einhergehenden Krankheiten”118, so Larry Page, Google Mitgründer. Es soll aber nicht nur bei der Grundlagenforschung bleiben.

Schließlich sollen Medikamente entstehen, die für ein längeres und besseres Leben sorgen sollen. Calico sieht in seiner Forschung ein potentielles Milliardengeschäft.119 Google​ arbeitet an einer virtuellen Realität und hat vor allem das Ziel, diese Technologie für die breite Masse erschwinglich zu machen. So entwickelte die Abteilung beispielsweise “​Google Cardboard”.120 Ein Virtual-Reality-Headset aus Karton, das man direkt von Google für 15 Dollar erwerben kann (Stand: 23.01.2018) und mit Android sowie iOS kompatibel ist.121 Zudem steht eine Technologie in der Entwicklung, die es dem Anwender in der virtuellen Realität erlaubt, Objekte mit bloßen Fingern zu bedienen (sogenannte “Micromotions”).

114

Vgl. Muoio: Google and Alphabet's 20, Business Insider.

Vgl. Schulz: Larry und die Mondfahrer, 66 f.

116 California Life Company: Home.

117 Vgl. California Life Company: Home.

118 Page (zitiert nach Schulz): Larry und die Mondfahrer, 66.

119 Vgl. Schulz: Larry und die Mondfahrer, 67.

120 Vgl. Muoio: Google and Alphabet's 20, Business Insider.

121 Google: Get Cardboard.

115

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Die virtuelle Realität spielt im Transhumanismus eine große Rolle. Die Überwindung des Todes soll nicht nur durch genetische Modifikation erreicht werden, sondern ebenso durch die Einspeisung des menschlichen Geistes in einen virtuellen, unsterblichen Körper.

Googles Chefingenieur​ Raymond (“Ray”) Kurzweil,​ ​schreibt in seinem Buch “​The Singularity Is Near”:​ ​“The human body version 2.0 will include virtual bodies in completely realistic virtual environments, nanotechnology-based physical bodies, and more”.122 DeepMind​ ist weltführend in der Forschung von künstlichen Intelligenzen und seinem Bestreben für eine positive Einsetzung ihrer Forschungen:123 We’re on a scientific mission to push the boundaries of AI, developing programs that can learn to solve any complex problem without needing to be taught how. If we’re successful, we believe this will be one of the most important and widely beneficial scientific advances ever made, increasing our capacity to understand the mysteries of the universe and to tackle some of our most pressing real-world challenges.124

Das Unternehmen hat sich den globalen Problemen unserer Zeit verschrieben. Ob Klimawandel oder radikale Fortschritte in der Medizin, DeepMind sieht die Entwicklung einer künstlichen Intelligenz für unumgänglich, da wir als menschliche Spezies in diesen Fragen bisher zu langsame Erfolge zu verzeichnen haben. Diese Probleme seien für Menschen einfach zu komplex. Mit einer künstlichen Intelligenz aber könnte man den menschlichen Einfallsreichtum um ein Vielfaches überbieten und diese Probleme zeitnah lösen.125 Doch auch ​Google ​selbst arbeitet natürlich an einer künstlichen Intelligenz. Im Google Brain Project entwickeln Wissenschaftler eine künstliche Version des menschlichen Gehirns. Es setzt sich aus einer Milliarde Synapsen zusammen und verfolgt das Ziel, Maschinen intelligenter zu machen und das Leben von Menschen zu verbessern.126 Von der Intelligenz und Lernfähigkeit eines Menschen ist das Google Brain allerdings noch weit entfernt. Das menschliche Gehirn verfügt über 100 Milliarden Neuronen mit jeweils 1000 neuronalen Verbindungen.

Doch das Netzwerk ist stetig am lernen und wachsen. Maschinelles Lernen wird diese Art der Verbesserung künstlicher Intelligenz genannt. Das künstliche Gehirn lernt mit der Zeit immer mehr durch äußere Einflüsse dazu. Die Aufgabe besteht darin, innerhalb eines fest definierten Zeitfensters anhand von Beispielen zu lernen und danach allgemeine Schlüsse aus diesen Informationen zu ziehen. Das Google-Brain-Team stellt seine Technologien

122

Kurzweil: The Singularity Is Near, 166.

Vgl. ​DeepMind Technologies Limited​: About Us. 124 ​DeepMind Technologies Limited​: About Us. 125 Vgl. ​DeepMind Technologies Limited​: About Us. 126 Vgl. Pfeiffer: Künstliche Intelligenz, Home & Smart.

123

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zum Thema maschinelles Lernen ebenfalls anderen Entwicklern von Google als Service in der Cloud zur Verfügung.127 Ebenfalls ist die Google Suchmaschine zu nennen. Diese greift unzählige Informationen ab, auch persönliche, die sie nichts angehen. Google weiß, was Menschen denken, wie sie aussehen, was sie gerade bewegt und wo sie sich gerade aufhalten. Keine Information ist wertlos für den riesigen Datenkonzern.

Big Data beinhaltet Informationen, die für den normalen Verstand sinnlos erscheinen, aber komplizierte Algorithmen erkennen Muster und Verknüpfungen im Meer der Daten, die für die Wirtschaft von großem Nutzen sind. Die Suchmaschineningenieure arbeiten an einer riesigen Datenbank, die das gesamte Wissen der Welt miteinander verknüpfen soll.128 Aber auch die Gesellschaft wird von Big Data profitieren, zumindest in dem Maße, dass Alphabet und andere Datenkraken davon ausgiebig profitieren: Die Datenrevolution bringt den Bürgern der Zukunft zahllose Vorteile. Sie werden beispiellosen Einblick in das Denken und Handeln anderer Menschen erhalten und beobachten können, inwieweit sie sich an Normen halten oder gegen sie verstoßen - und zwar nicht nur in unserem Land, sondern in aller Welt.129

3.4 Der NASA-Research-Park Der NASA-Research-Park (NRP) liegt im Silicon Valley und beherbergt viele Start Ups und fünf Unternehmen, die tausende Arbeitsplätze garantieren: Bloom Energy, Tibion, Apprion, Nanostellar und Benetech.130 Sein Leitsatz lautet: “Accelerating Technology Transfer and Commercialization of Federal Research in Support of High-Growth Businesses”.131 Damit verfolgt der NRP dieselben Ziele wie das Weiße Haus.

Zudem befinden sich vor Ort wichtige Universitäten, wie die Singularity University, Carnegie Mellon University mit über 700 Master- und PhD-Studenten, University of California, Santa Clara University, Tasksha University und andere Lehrinstitute, die Klassen und F&E-Programme vor Ort betreiben. ​Die Vorteile des NRP liegen dabei klar auf der Hand: Nutzung der Ressourcen der NASA für größere Missionsvorteile, Verbesserung der wissenschaftlichen Forschung, des technologischen Fortschritts und des Transfers von Forschungswissen. Darüber hinaus bietet er neue Möglichkeiten für die Ausbildung von Personal für den High-Tech-Bereich.​ Ebenso befinden sich Non-Profit-Organisationen, wie die Unmanned Aerial Vehicle Collaborative, das Mars Institute und das Kentucky Science and Technology Institut auf dem Gelände.

127

Vgl. Pfeiffer: Künstliche Intelligenz, Home & Smart.

Vgl. Schulz: Larry und die Mondfahrer, 60 f.

129 Schmidt / Cohen: Die Vernetzung, 58.

130 Vgl. Chan: About NASA, National Aeronautics and Space Administration.

131 Chan: About NASA, National Aeronautics and Space Administration.

128

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Abschließend kommen noch das Solar System Exploration Research Virtual Institute, das NASA Aeronautics Institute, NASA Space Portal, NASA Earth Exchange und das NASA Connect Lab dazu, die eine wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit verfolgen.

Im Jahr 2002 begann der NASA Research Park Kooperationen mit Hochschulen, Industrie und gemeinnützigen Organisationen um Innovation und Bildung in wissenschaftlichen und forschungsrelevanten Disziplinen zu fördern. Diese Partnerschaft wird in Schlüsselbereichen wie Astrobiologie, Informationstechnologie, Biotechnologie und Nanotechnologie eine Forschungsgemeinschaft schaffen.132 Die Non-Profit-Partner des NRP fördern die technologische Bildung, stellen die Errungenschaften der Luft- und Raumfahrt, sowie der Informationstechnologie in den USA vor und fördern Bildung und Lernen in Wissenschaft, Technologie und Mathematik.

Die Industriepartner des NRP haben die außerordentliche Gelegenheit, sich mit NASA-Wissenschaftlern und Ingenieuren gegenseitig für Spitzenforschung zu engagieren.

Diese High-Tech-Unternehmen, die jetzt am NRP leasen, forschen in den Bereichen Biotechnologie, Umwelttechnologie, Nanotechnologie, Kommunikation und Heimatschutz.

133

3.3 Die Mission der Singularity University Kurzweil gründete im September 2008 zusammen mit Dr. Peter H. Diamandis (US-amerikanischer Luftfahrtingenieur) im Silicon Valley, genauer gesagt im NASA-Research-Park, die Singularity University (SU), wo nicht weniger als die größten Probleme der Menschheit diskutiert werden.134 Die Singularity University [...] ist keine Lehreinrichtung einer Universität im herkömmlichen Sinn, sondern eher eine Forschungsstation, in der sich Firmen Unterstützung bei der Lösung ihrer technologischen Aufgaben holen können.135

Die Inspiration für die SU entstammt dabei Kurzweils Buch “The Singularity is Near” (2005) und seinen Aussagen über die nahende Singularität.136 Ihre Mission ist ​“[...] to educate, inspire, and empower leaders to apply exponential technologies to address humanity's grand challenges”.137

132

Vgl. Chan: About NASA, National Aeronautics and Space Administration.

Vgl. Triano: NASA Research, National Aeronautics and Space Administration.

134 Vgl. ​Singularity Education Group​: Frequently Asked.

135 Woll: Transhumanismus und Posthumanismus, 46.

136 Vgl. ​Singularity Education Group​: Frequently Asked.

137 ​Singularity Education Group​: What is SU?.

133

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Die Singularity University ist eine globale Community, die Privatpersonen, Regierungen, Investoren, akademische Institutionen und Unternehmen mit dem richtigen Mindset, Methodenkasten und einem Netzwerk ausstatten, um Lösungen für bahnbrechende technologische Innovationen zu finden:138 “We serve these audiences with a range of products to help them understand rapidly accelerating technologies and how to apply them to positively impact billions of people”.139 Diese Produkte erstrecken sich über Lehrveranstaltungen, Konferenzen und Innovationslaboratorien.

The SU curriculum provides a broad, interdisciplinary exposure to ten fields of study: future studies and forecasting; networks and computing systems; biotechnology and bioinformatics; nanotechnology; medicine, neuroscience and human enhancement; artificial intelligence, robotics, and cognitive computing; energy and ecological systems; space and physical sciences; policy, law and ethics; and finance and entrepreneurship.140

Zusammengefasst: 1. Künstliche Intelligenz und Robotik 2. Erweiterte und virtuelle Realität 3. Synthetische Biologie 4. Energie- und Umweltsysteme 5. Medizin und Neurowissenschaft 6. Nanotechnologie und digitale Fabrikation 7. Netzwerke und Computersysteme 8. Politik, Gesetze und Ethik 9. Finanzwesen und Ökonomie 10. Synthese und Konvergenz 11. Unternehmertum 12. Unternehmensinnovation 13. Exponentielle Unternehmungen141 Ein weiterer Beteiligter an den Forschungen der SU ist Aubrey de Grey. Er ist der führende Kopf der posthumanistischen Altersforschung und ist sich sicher, schon alle theoretischen Zugänge zur deutlichen Lebensverlängerungen der Menschen gefunden zu haben, wenn nicht sogar den Schlüssel zum ewigen Leben. In zwanzig Jahren, so seine Aussage, könnte dies schon Realität sein.142 Er beschreibt den natürlichen

Vgl. ​Singularity Education Group​: What is SU?. ​Singularity Education Group​: What is SU?.

140 Garud: Singularity University, National Aeronautics and Space Administration.

141 Vgl. ​Singularity Education Group​: Frequently Asked.

142 Vgl. Nuland: Wollen Sie ewig leben?, Heise.

138 139

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Alterungsprozess des Menschen als eine "begrenzte Anzahl molekularer und zellulärer Veränderungen in unseren Körpern [...], deren schädliche Auswirkung mit der Zeit zunimmt und die man grundsätzlich verhindern könnte".143 Darüber hinaus entwickelte er ein Verfahren namens “SENS” (Strategies for Engineered Negligible Senescence), um dem Alterungsprozess entgegenzuwirken. Diese Vorgehensweise beinhaltet wesentlich mehr Technologien, als die allgemein bekannte Stammzellentherapie und Gewebeeingriffe, die vor allem technologisch und weniger biologisch ausgerichtet sind.

Das Verfahren soll bereits entstandene Schäden heilen können und versteht sich als regenerativ, nicht als vorbeugend. Hierzu lautet das Schlagwort ​rejuvenation biotechnoligies​.144 In den nächsten 30 Jahren sollen Veränderungen entstehen, die keiner vorherigen Generation in diesem Tempo offenstanden. Die Auswirkungen davon bemerken wir bereits jetzt in jedem Lebensbereich, jedem Unternehmen, jeder Industrie und jeder Gesellschaft. Dieses Entwicklungstempo wird nur noch weiter steigen.145 “The world urgently needs a new mindset and toolset to overcome the challenges of technological disruption”.146 Die Singularity University möchte der Welt ihren Stempel aufdrücken, das Denken weltweit verändern.147 “SU was founded on the premise that the world’s greatest problems are the world’s greatest opportunities”.148 Die Gründer glauben, dass die Welt bereits alle Grundlagen besitzt, um die größten Probleme unserer Zeit erfolgreich anzugehen.149 We are a platform for promoting new ways of thinking and innovating, a launchpad for emerging ventures, and a powerful global community of doers and leaders - all poised to solve humanity’s biggest problems.150

Es geht um eine weltweite technologische Transformation und daraus folgend um eine positive Auswirkung auf die Menschheit.151 Die SU spricht dabei von Exponentialtechnologien. “We believe that the solutions to the world’s most pressing challenges lie in the intersection of these exponential technologies”.152 Diese “Global Grand Challenges” (GGC), teilen sich in drei Unterkategorien:

143

De Grey (zitiert nach Nuland): Wollen Sie ewig leben?, Heise.

Vgl. SENS Research Foundation: Introduction.

145 Vgl. ​Singularity Education Group​: Frequently Asked.

146 ​Singularity Education Group​: Frequently Asked.

147 Vgl. ​Singularity Education Group​: Frequently Asked.

148 ​Singularity Education Group​: Frequently Asked.

149 Vgl.​Singularity Education Group​: Frequently Asked.

150 ​Singularity Education Group​: Frequently Asked.

151 Vgl. ​Singularity Education Group​: Exponential Primer.

152 ​Singularity Education Group​: Exponential Primer.

144

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1. Gewährleisten, dass Grundbedürfnisse aller Menschen sichergestellt sind 2. Erhaltung und Verbesserung der Lebensqualität 3. Zukünftige Risiken minimieren153 Wie auch X hat die Singularity University das “Moonshots Thinking” adaptiert. Larry Pages Philosophie des “zehnmal besser” ist auch hier oberstes Gebot. Zehnmal größer, schneller und besser als alles, was es bisher gab. Die Welt nicht nur verändern, sondern zu einem besseren Ort zu machen:154 Moonshot thinking involves taking aim at a global challenge, ideating radical solutions that can otherwise seem like the stuff of science fiction, and then leveraging some initial validation or tangible breakthrough that could make the solution achievable in the not-too-distant future.155

An der Singularity University treffen Menschen aufeinander, welche die Digitalisierung als die größte Revolution in der Geschichte der Menschheit betrachten und nicht an morgen denken, sondern schon an übermorgen.156 “Kurzweil glaubt, der Mensch sei verpflichtet, Fortschritt durch Technologie ohne Denkverbote zu fördern”.157

ll. Dystopie 1. Dystopie in der Geschichte und utopische Parallelen 1.1 Definition der Dystopie “Der Begriff setzt sich aus der altgriechischen Vorsilbe ​dys-​ (δυς), die sich mit ​miss-​, ​unoder ​übel-​ übersetzen lässt, und dem Nomen ​tópos​ (τόπος), das ​Ort​ bedeutet, zusammen. Somit handelt es sich bei der Dystopie um einen ​üblen Ort”​.158

Eine Dystopie, oder auch Anti-Utopie, bildet in der Literatur das Gegenstück zur positiven Utopie.159 Als Anti-Utopie bezeichnet man utopische Entwürfe, die “Bilder einer ‘negativen Idealität’ der Sozialordnung, einer ‘prästabilierten Disharmonie’ des staatlichen Gefüges” 160

sind. Sie zeichnet zudem ein negatives Zerrbild einer Gesellschaft, die entweder in der

Zukunft existent ist, oder in einem geschlossenen System existiert, wie bspw. auf einer

Vgl. ​Singularity Education Group​: Global Grand.

Vgl. Schulz: Larry und die Mondfahrer, 60 f.

155 ​Singularity Education Group​: Exponential Primer.

156 Vgl. Finkenzeller: Wer ist hier der Klügere? Zeit Online.

157 Finkenzeller: Wer ist hier der Klügere? Zeit Online.

158 Vgl. N.N.2: Dystopie, Wortwuchs.

159 Vgl. N.N.2: Dystopie, Wortwuchs.

160 Schulte-Herbrüggen: Utopie und Antiutopie, 119.

153 154

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Insel oder auf einem fernen Planeten und kann damit, ebenso wie die Utopie, auch in der Vergangenheit oder Gegenwart angesiedelt sein.

Doch meist beziehen sich die in einer Dystopie behandelten Szenarien auf einen zukünftigen Zeitpunkt in der Geschichte. Diese Zukunft zeigt eine Gesellschaft, die sich zum Negativen hin entwickelt hat.161 “In negativen Utopien [...] werden zeitgenössische Ereignisse, Entwicklungen und Tendenzen zu einem fiktionalen Gesellschaftsentwurf prolongiert, der noch schlechter erscheint, als die zeitgenössische außerfiktionale Gesellschaft und der damit zur düsteren Extrapolation der jeweiligen außertextuellen Gegenwart wird”.162 Oft behandeltes Thema ist die Versklavung der Menschheit oder allgemein die Beschneidung von menschlicher Freiheit, nicht selten bedingt durch eine übermächtige Technik, die von Menschen entworfen wurde, aber nicht mehr zu beherrschen ist. Des Weiteren behandelt die Dystopie oftmals den totalitären Staat und seine Machtmittel, wobei nur die Elite als kleine Gruppe Privilegien genießt und der Rest der Bevölkerung unterdrückt und ausspioniert wird. Eine Dystopie ist also eine Oligarchie und die Gesellschaft ist dabei in Ober-, Mittel- und Unterklasse geteilt.

Zusammengefasst ist eine Dystopie “[a; S.W.] futuristic, imagined universe in which oppressive societal control and the illusion of a perfect society are maintained through corporate, bureaucratic, technological, moral, or totalitarian control. Dystopias, through an exaggerated worst-case scenario, make a criticism about a current trend, societal norm, or political system”.163 Zu den wichtigsten literarischen Dystopien zählen z.B.: “My” (deutsch: “Wir”) von ​Jewgeni Samjatin (1924),​ “Brave New World” (deutsch: “Schöne neue Welt”) von ​Aldous Huxley (1932)​, 1984 von ​George Orwell (1949)​, Swastika Night (deutsch: “​Nacht der braunen Schatten”) ​von ​Katharine Burdekin (1937)​, The Machine Stops (deutsch: “​Die Maschine steht still”) ​von Edward Morgan Forster (1909), “Nova Atlantis” (deutsch: “Neu-Atlantis”) von Francis Bacon (1627), “​News from Nowhere” (deutsch: “Neues aus Nirgendland”) von William Morris (1890), “​A modern Utopia” (deutsch: “Utopia”) von Herbert George Wells (1905) und “A Clockwork Orange” (deutsch: Uhrwerk Orange) von ​Anthony Burgess​ (1962).

1.2 Abriss von der industriellen Revolution zur Gegenwart Die ersten literarischen Formen der Dystopie entstanden im 19. Jahrhundert im Zuge der industriellen Revolution. Zwar existierten schon in früheren Epochen kritische Stimmen

161

Vgl. N.N.2: Dystopie, Wortwuchs.

Layh: Finstere neue Welten, 112 f.

163 N.N.1: Utopias and Dystopias, ReadWriteThink.

162

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gegen den Fortschritt Fortschritt im Allgemeinen oder gegen die Wissenschaften, doch keine schriftlichen Zukunftsvisionen, welche ein negatives Gesellschaftsbild zeigen.164 “Nach neuestem Forschungsstand [...] lässt sich der Terminus Dystopie - als Antagonismus zum Begriff der Utopie verwendet - bereits bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen”.165 In der industriellen Revolution gab es den ersten durch Technologie und Fortschritt bedingten großen Wandel, der durch seine negativen Folgen für die Bevölkerung zu kaum gekannten sozialen Schieflagen führte. Dieser große Sprung von Handwerk und Landwirtschaft hin zu dampfbetriebener und maschineller Fertigung, die auch in Massenproduktionen mündete, führte zu gänzlich neuen Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen. Die Arbeiterklasse wurde in engen Wohnungen zusammengepfercht und lebte in eher ärmlichen Verhältnissen. Der Himmel über den Städten verdunkelte sich aufgrund der Ausdünstungen vieler Fabriken und die Luft zum Atmen wurde giftig. Es kamen Zweifel an der versprochenen Heilslehre des Maschinenfortschritts auf166, was gar eine Zerstörung des Fortschrittsglaubens167 zur Folge hatte. Diese Zweifel und Unzufriedenheit gaben den Startschuss zur geschriebenen Anti-Utopie als eigene literarische Strömung, die im 20. Jahrhundert durch die Entstehung totalitärer Regime, von Kommunismus und Nationalsozialismus, noch einmal einen literarischen Auftrieb erhielten.168 Schließlich konnte sich die Dystopie als Gattungsbegriff in der literaturwissenschaftlichen Forschung durchsetzen.169 Am Anfang der Dystopie als eigene literarische Gattung stehen drei bedeutende Autoren: Fedor Dostoevskij (1821-1881), Herbert George Wells (1866-1946) und Evgenij Zamjatin (1884-1937). Die Grundthematik der Anti-Utopie, die auch bis in die Gegenwart hinein aktuell bleibt, hat Dostoevskij formuliert. In seiner Erzählung “Aufzeichnung aus dem Untergrund” (1864), wendet er sich gegen sozial utopische Ideen:170 “Der Mensch sei mehr als ein Objekt der gesellschaftlichen Kräfte; sein Eigenwille sei zu stark, um auf reiner Vernunft basierende Lösungen für sich zu akzeptieren. Jede Gesellschaft, die irrationale Impulse ihrer Bürger mit Gewalt unterdrücken muss, wird [...] früher oder später

164

Vgl. N.N.2: Dystopie, Wortwuchs.

Layh: Finstere neue Welten, 110 f.

166 Vgl. N.N.3: Dystopie, Bücher-Wiki.

167 Vgl. N.N.2: Dystopie, Wortwuchs.

168 Vgl. N.N.3: Dystopie, Bücher-Wiki.

169 Vgl. Layh: Finstere neue Welten, 111.

170 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 33.

165

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totalitär”.171 In seinem Roman “Die Brüder Karamazoff” (1880) beschreibt er zudem den für viele Dystopien zentralen Konflikt von Glück und Freiheit:172 “Der durchschnittliche Mensch sei aus Sicht der Herrscher [...] seinem Wesen nach schwach; er verzichte allzu bereitwillig auf seine Selbstverantwortung, auch auf seine Gewissenhaftigkeit. Dies wird als Legitimation für den uneingeschränkten Machtanspruch der ‘stärkeren’ Elite genutzt”.173 Ebenso wurden in diesem Roman wichtige Grundprinzipien einer totalitären Ordnung herausgearbeitet, die seitdem ein fester Bestandteil totalitärer Staaten in dystopischer Literatur sind.174 “Dazu gehören das Vorhandensein eines festen Dogmas (Ideologie), Unmündigkeit des Einzelnen, Dominanz der Masse über das Individuum, Unterdrückung und Einschüchterung der Andersdenkenden und der Kult der herrschenden Person oder Führungselite”.175 Die Rationalisierung aller Lebensbereiche und der Fremdbestimmung des Individuums im Namen gesellschaftlicher Einheit und Harmonie sind bis heute kennzeichnend für eine literarische Anti-Utopie.

Ebenfalls einen entscheidenden Einfluss auf das Genre hat Wells ausgeübt. Er thematisiert in seinen Werken eine mögliche “devolutionistische” Gesellschaftsentwicklung und den Missbrauch von technologischen Errungenschaften durch autoritäre Systeme.

Ebenso hat er die Motivation der Protagonisten geprägt. Dazu gehören Elemente einer Liebesgeschichte und der Rebellion gegen die unterdrückende Ordnung.

Sein utopisches Werk “A modern Utopia” (1905) wird heute ebenfalls zur Gattung der Dystopien gezählt: Ablehnung der Demokratie, Unterteilung der Bevölkerung in vier Klassen mit den Wissenschaftlern als Führungselite, Befürwortung eines Weltstaates, die staatliche Überwachung der Bürger, Technisierung der Gesellschaft und die Einsetzung der Eugenik. In späteren Werken spricht sich Wells ebenfalls für die Notwendigkeit aus, die Entwicklung der Menschheit gezielt zu lenken und eine Vorwärtsentwicklung durch wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu gewährleisten.176 Als erste ​klassische Dystopie​ gilt jedoch erst Zamjatins Roman “My” (1924).177 Beschrieben wird ein Einheitsstaat, welcher viele dystopische Grundzüge teilt. Er basiert auf rationalen Prinzipien wie Gleichheit, Kollektivismus, innergesellschaftliche Harmonie und wissenschaftlichen Fortschritt. Er behandelt ebenfalls Motive und Merkmale wie den Krieg als negativen ​Einschnitt einer alten und neuen Welt, die Isolation des 171

Zeißler: Dunkle Welten, 33.

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 33.

173 Zeißler: Dunkle Welten, 33 f.

174 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 34.

175 Zeißler: Dunkle Welten, 34.

176 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 34 f.

177 Vgl. Howe: Der anti-utopische Roman, 346.

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Einheitsstaates, die Verneinung der Geschichte durch den totalitären Staat und die daraus resultierende Bedeutung für die menschliche Identität, Manipulation des Bewusstseins durch eine reglementierte Sprache, Propaganda, Veränderung der menschlichen Natur, strenge Regelung der Religiosität (Verehrung der Elite oder der Führungsperson) und ein reglementiertes Sexualleben.178 Zusammenfassend lassen sich folgende große Themenbereiche des anti-utopischen Romans festhalten, die sich bis Mitte des 20. Jahrhunderts herauskristallisiert haben: Die Anti-Utopie warnt vor der Selbstentfremdung des Individuums in einem von außen gesicherten Wohlstand, dem Verlust liberal-bürgerlicher Freiheiten als Folge der Verbreitung autoritären Gedankenguts und schließlich vor einer unkritischen Einstellungen zu den Errungenschaften von Wissenschaft und Technik.179

Die dystopischen Werke der 1950er und 1960er Jahre haben durch das Einsetzen des Kalten Krieges immer noch die Gefahren des Totalitarismus, sowie die unkontrollierte Entwicklung von Wissenschaft und Technik als zentrale Themen. Sie bauen darauf auf Orwells und Huxleys berühmte Dystopien “1984” ​(1949) ​und “Brave New World” (1932) auf, die beide die genannten Themen als zentrale Handlung verwenden. Disziplinen wie Biologie, Genetik, Psychologie und Physik, deren Erkenntnisse zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen herangezogen werden, schüren zusätzlich die Ängste in der Gesellschaft und festigen die Anti-Utopien dieser Zeit in ihrer Themenwahl.

In dem Maße, wie immer rascher die wissenschaftlich - technische Revolution das tägliche Leben verändert, wird die Gegenwart, die unsere Lebensform bestimmt, immer kürzer, dringt die Zukunft immer stärker auf sie ein. Zugleich scheint sie vielen immer weniger zu bieten. Zukunftsangst verdrängt die den Menschen tragende Zukunftshoffnung. Nicht zu Unrecht spricht [...] [man; S.W.] vom ‘Zukunftsschock’.180

1960 vollzieht sich dann ein Wandel im Vergleich zu klassischen Anti-Utopien: Die Dystopie wird nicht mehr in allen Strukturen beschrieben, sondern konzentriert sich auf ein einziges gravierendes Merkmal. Dieser enge Sichtwinkel ermöglicht es den Autoren einen Missstand besonders wirkungsvoll anzugreifen und in den Handlungen mehr Freiraum zur Entfaltung zu bieten.181 Seit Mitte der 1960er Jahre hat sich durch verschiedene Bewegungen wie die Feminismus-, Ökologie- und Friedensbewegung wieder die Hoffnung auf eine bessere Zukunft etabliert. Dies hat auch Auswirkungen auf die Dystopie, die nun auf eindeutig didaktische Stilmittel verzichtet und nun mehr zur Selbstkritik, Selbstreflexion und zur

178

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 36 f.

Zeißler: Dunkle Welten, 37.

180 Flechtheim: Ist die Zukunft, 194 f.

181 Vgl. Broich: Gattungen des modernen englischen Romans, 121.

179

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Selbstironie findet. Das Thema des Totalitarismus kam in den 1980ern wieder auf und bremste damit die hoffnungsvollen Aussichten auf eine positive Zukunft erheblich aus.

Konservative Politik im Westen und Osten beherrschte wieder das Gedankengut der Gesellschaft und erzeugte Verunsicherung und Zukunftsängste. Allerdings gibt es auch erste postmoderne Tendenzen hin zu alternativen, surrealen und fantastischen Weltentwürfen. Auch dystopische Autoren verlagerten ihre Erzählungen mehr in parallele Realitäten, welche die Gegenwart widerspiegeln und nicht mehr nur verzerren, sondern auch aus Bruchstücken neue Erzählungen konstruieren.

In der Postmoderne verzichtet die Dystopie auf totalisierende Tendenzen der Anti-Utopie und ist durch Offenheit, pluralistische Welt- und Textsicht, Ambiguität und Kontingenz gezeichnet. Zudem beunruhigt sie den Leser, indem sie ihn desorientiert und ihm die Aufgabe der Sinnstiftung zum großen Teil selbst überlässt. Sie behält außerdem einen Appell an den Leser bei.182 Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert findet eine Weitung des Blicks zurück in die ferne Zukunft statt [...]. Dabei werden der biologische evolutionäre Wandel und der extraterrestrische Raum zu immer wichtigeren Projektionsflächen von Fortschrittsvisionen.

183

Die Dystopie der Postmoderne nach 1990 hat sich schließlich als äußerst flexibel und wandlungsfähig erwiesen mit anhaltender Aktualität und hat sich den postmodernen Tendenzen angepasst. Sie behält weiter ihre gesellschaftskritische Ausrichtung bei, macht auf problematische gesellschaftliche Strukturen aufmerksam und greift verstärkt bestimmte Handlungen, Lebenseinstellungen und Denkmuster an.184 Die Dystopie weist auf selbstzerstörerische Potentiale in der Gesellschaft hin wie Selbstgefälligkeit der westlichen Welt, Verschlossenheit gegenüber anderen Denkmustern, Konsumzwang sowie selbstverschuldete Unmündigkeit oder Passivität der Bürger. Die Anti-Utopie zeigt nach wie vor Probleme der modernen Gesellschaft: Die Globalisierungsprobleme, die Benachteiligung bestimmter Randgruppen wie ethnischer Minderheiten, ehemaliger Kolonien und Frauen, aber auch Bevormundung und Einengung der breiten Massen der Bevölkerung durch Systemzwänge haben ihren literarischen Niederschlag in den analysierten Werken gefunden.185

Die Funktion der klassischen Utopie hat sich zum Ende des 20. Jahrhunderts deutlich verändert, bspw. bezieht sich das auf die Rolle der Zukunft. Die ursprüngliche Warnfunktion​, die noch bei Huxley und Orwell so stark ausgeprägt war, verliert an Bedeutung. Die satirische Dimension der Anti-Utopie tritt immer mehr hervor: 182

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 59 ff.

Coenen: Zum mythischen Kontext, 68.

184 Vgl. Layh: Finstere neue Welten, 223 ff.

185 Layh: Finstere neue Welten, 223.

183

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Verzerrung und Vergrößerung gesellschaftlicher Übel, verbunden mit beißendem Spott, Sarkasmus, Ironie und teilweise schwarzem Humor.186 Nun dient “die Verlagerung der Handlung in die Zukunft nur dem Entwurf eines parallelen Raumes, der die Wirklichkeit des Leser widerspiegeln soll. [...] [Sie; S.W.] geben ihre Gesellschaftsentwürfe als lediglich verzerrte oder allegorische Bilder der Gegenwart und nicht als Antizipation der Zukunft zu verstehen. Die Verschiebung des Fokus auf die Gegenwart geht mit der Verbreitung der postmodernen Sicht auf die Zukunft einher, die diese für immer weniger greifbar erklärt.”187 Zudem findet eine Verlagerung der imaginären Gesellschaften in “allegorische Parallelräume”188 statt, die eine Verfremdung der Gegenwart auf beliebige Weise erlauben. Diese alternativen Gesellschaften befinden sich nicht mehr weit von der Realität entfernt, was eine Auseinandersetzung mit “verzerrten gesellschaftlichen Phänomene[n]”189 vor einem bekannten Hintergrund ermöglicht.

Auch der didaktische Anspruch der Anti-Utopie wird beibehalten. Sie zeigt Konsequenzen bestimmter gesellschaftlicher Handlungen, bzw. Einstellungen auf und betont explizit die Passivität der Protagonisten ​(die jedoch selbst zu Opfern des Systems wurden).

Sie will den Leser durch eine satirische Darstellung oder durch einen Hinweis auf aktuelle gesellschaftliche Tendenzen mit relevanten Handlungsoptionen und Geisteshaltungen konfrontieren und eine Reflexion des Dargestellten sowie ein Umdenken erreichen.

Der Leser soll verleitet werden, sich mit ihrem Wertesystem zu identifizieren, um danach die Gegenwart zu beurteilen. Somit eröffnete sie Möglichkeiten einer aktiven und selbstständigen Auseinandersetzung mit der Handlung. Weiterhin steht auch der pessimistische Ausgang der Dystopien weiter im Vordergrund, ohne wirklich auf alternative Entwicklungen einzugehen. Der didaktische Anspruch steht weiter im Zentrum der Handlung, wie auch bei Huxley und Orwell, und es soll das dargestellte Horrorszenario einen ​Erkenntnisschock​ beim Leser hervorrufen. Das Ziel ist schließlich eine kritische ​Bewusstseinsweckung​ zu erreichen um ihn gegen jegliche Art der

Fremdbestimmung zu sensibilisieren. Diese führt in allen Dystopien nämlich unweigerlich zur Katastrophe.190 Heutige Dystopien finden neben der Literatur vor allem in Filmen Anwendung und sind damit aus dem rein literarischen Medium herausgetreten. Wichtige Vertreter hierfür sind z.B. “Blade Runner” (1982), “Matrix” (1999), “Minority Report” (2002), “Die Insel” (2005),

186

Vgl. Layh: Finstere neue Welten, 223 f.

Layh: Finstere neue Welten, 223.

188 Layh: Finstere neue Welten, 225.

189 Layh: Finstere neue Welten, 225.

190 Vgl. Layh: Finstere neue Welten, 224 f.

187

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“In Time” (2011) und “The Hunger Games” (2012), die teilweise auch auf einer Romanvorlage basieren.

1.3 Der Wandel der Utopie zur Dystopie Um den literarischen Wandel von der Utopie zur Anti-Utopie zu verstehen, bzw. die Entwicklung der Gattung der Dystopie aus der Utopie heraus, muss definiert werden, was eine Utopie ist. Kurzgesagt ist eine Utopie “[a; S.W.] place, state, or condition that is ideally perfect in respect of politics, laws, customs, and conditions”.191 Man kann eine Utopie als Idee bezeichnen, die so fern der Wirklichkeit liegt oder fantastisch ist, dass sie nicht verwirklicht werden kann​.192 ​“Utopia, welches im Deutschen Nirgendwo heißen könte, ist kein wirckliches, sondern erdichtetes moralisches Land [...] einige stellen sich darunter eine gantz vollkommende Regierung vor, ​dergleichen wegen der natürlichen Verderbniß der Menschen ​in der Welt nicht ist und nicht seyn kan [...]”.193 In einer Utopie sind Informationen, unabhängiges Denken und Freiheit nicht nur willkommen, sondern gern gesehen. Eine Bürgerschaft, Regierung oder eine Führungsperson bringt die Menschen als Einheit zusammen, die in Harmonie zusammenleben. Die Bürger fürchten die Welt außerhalb der Utopie nicht und die Natur wird wertgeschätzt. Die Menschen leben in Harmonie mit ihr zusammen, ohne das natürliche Gleichgewicht zu gefährden. Zudem lehnen sie soziale und moralische Werte nicht ab und leben mit einem individuellen Charakter. Wandel und Wachstum sind willkommen um gemeinsam den perfekten Staat zu formen. In vielen Utopien existiert kein Geld und die Bürger gehen nur Berufen nach, die sie erfüllen. Die Gesellschaft wird entweder von einer Bürgerschaft geführt oder von einer kommunistischen, individualistischen und sozialen Regierung. In anderen wird Technologie völlig verleugnet, da sie als widernatürlich betrachtet wird, während sie in anderen als willkommene Hilfe für die Menschheit angesehen wird. Zudem herrscht ein gemeinsam praktizierter Glaube, sodass alle Bürger dasselbe Moral- und Gerechtigkeitsempfinden besitzen.

Der Protagonist unterstützt die Ideale der Utopie, in welcher er lebt. Er hinterfragt das etablierte soziale und politische System und bringt, falls nötig, positiven Wandel ein. Er hat darüber hinaus das Gefühl, dass seine Welt sich stetig weiter verbessert und er hilft dem Leser, die positiven Aspekte seiner utopischen Welt durch seine / ihre Perspektive zu sehen.194 191

N.N.1: Utopias and Dystopias, ReadWriteThink.

Vgl. Bolz: Wuppertal braucht Mut zur Utopie, Wuppertaler Rundschau.

193 Zedler: Großes vollständiges Universal-Lexicon, Sp. 1828, 927.

194 Vgl. N.N.1: Utopias and Dystopias, ReadWriteThink.

192

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Der Wandel von der Utopie zur Dystopie beginnt im 20. Jahrhundert, als die im 19.

Jahrhundert noch weit verbreitete Ansicht, Technologie und Wissenschaft könne der Menschheit ein paradiesisches Leben ermöglichen, langsam einem wachsenden Kulturund Zukunftspessimismus weicht. Dies geschah aufgrund der langsam sichtbar werdenden Gefahren angesichts neuartiger Technologien und schwindender natürlicher Ressourcen.195 1980 kommt sogar die prominente These vom ​Tod der Utopie​ im 20.

Jahrhundert auf, die als ein direktes Echo auf die negativen Auswirkungen der fortschreitenden Technologisierung verstanden werden kann.196 So sprach Fred L. Polak 1961 vom “gegenwärtigen Niedergang der Utopie”197 und Herbert Marcuse 1967 vom “Ende der Utopie”.198 Die aus diesen veränderten Verhältnis vom Mensch zur Technik resultierenden Utopie-Entwürfen, lassen sich als negative “Fortschrittsutopien” bezeichnen, in denen technologische Themen, Fragestellungen und Neuerungen zunehmend eine wichtige Rolle spielen. Die einst noch fortschrittseuphorischen literarischen Utopien der Jahrtausendwende reichen bis zu Fancis Bacons Technokratenherrschaft in “Nova Atlantis” (1627) zurück. Bacon hebt in diesem Werk die Bedeutung von Wissenschaft und Technik als Mittel eines paradiesischen Idealzustandes hervor. Er beschreibt eine Gesellschaft, die vom Hause Salomon mit fester Hand regiert wird und den technologischen Fortschritt eisern vorantreibt. Die fortschrittsgläubigen Untertanen leben in einer technologisierten Gesellschaft, in der die Lebensverlängerung des Menschen und Heilung aller Krankheiten technologisch umgesetzt wurden. Das Ziel dieser von Vernunft geleiteten und klar strukturierten Herrschaftselite ist die Beherrschung der Natur zum Wohle des Menschen.199 “Der Zweck unserer Gründung ist die Erkenntnis der Ursachen und Bewegungen sowie der verborgenen Kräfte in der Natur und die Erweiterung der menschlichen Herrschaft bis an die Grenzen des überhaupt Möglichen”.200 “Nova Atlantis” zeigt damit nicht nur erste Parallelen zu einer anti-utopischen Gesellschaft, sondern überschneidet sich auch mit transhumanistischen Idealen. Auch in anderen Fortschrittsutopien Ende des 19. Jahrhunderts, die bereits als Gegenentwürfe zu Utopien verstanden werden können, spielt die übergeordnete und herrschende Technologie eine große Rolle. Als Beispiel sei hierfür Edward Bellamys Roman “Looking Backwards 2000-1887” (1888) zu nennen:201 195

Vgl. Layh: Finstere neue Welten, 105 f.

Vgl. Layh: Finstere neue Welten, 125.

197 Polak (zitiert nach Bloch): Das Prinzip der Hoffnung, 506.

198 Marcuse (zitiert nach Lukács): Ästhetik, 831.

199 Vgl. Layh: Finstere neue Welten, 101 f.

200 Layh: Finstere neue Welten, 102.

201 Vgl. Layh: Finstere neue Welten, 102 f.

196

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Bellamys ökonomisch orientierte Utopie von einem futuristisch industriellen Sozialstaat basiert auf unerschütterlichem Fortschrittsoptimismus und Technikgläubigkeit, Vernunftdenken und dem Streben nach sozialer Gerechtigkeit und zelebriert die Vorzüge der neuen großstädtischen Metropolen. Sie ist zudem ein prominentes Beispiel für die entstehungsgeschichtliche Kontextgebundenheit literarischer Utopien, da das, was von vielen zeitgenössischen euphorisch als positiver Utopie-Entwurf aufgenommen wurde, retrospektiv durchaus auch als dystopisch rezipiert werden kann.202

Diese fortschrittsgläubigen und technophilen Utopien wurden Ende des 19. Jahrhunderts begeistert aufgenommen. Die Verheißungen des wissenschaftlichen, technologischen und ökonomischen Wandels gingen mit einer Hoffnung auf sozialen Wandel einher. Jedoch erfährt diese Fortschrittsgläubigkeit durch den technologischen Fortschritt bedingt eine Entmystifizierung und kehrt sich in Zweifel und Skepsis gegenüber einem positiven sozialen Wandel um.

Retrospektiv betrachtet erfüllen sich viele dieser negativen gesellschaftlichen Zukunftsentwürfe in Hinblick auf den technologischen Fortschritt. Zwar haben sich viele glorifizierte Erfindungen dieser Epoche wie z.B. das Internet, das Telefon, Autos, Radio, Flugzeuge, Fernsehen, usw. realisiert und wurden teilweise sogar übertroffen,203 “[...] jedoch wird Utopia von der außertextuellen Realität nur einseitig eingeholt. Denn die Verwirklichung technologischer Visionen bedeutet nicht gleichzeitig die Erlösung utopischer Erwartungen hinsichtlich einer grundsätzlichen der Lebens- und Existenzbedingungen aller Menschen und die Erfüllung einer globalen Transformation in eine konkret mögliche, weltweite, gesamtgesellschaftliche Utopie”.204

2. Inhaltliche Besonderheiten der Dystopie 2.1 Themen der Dystopie Die Anti-Utopie als Gattung entstand als Gegenentwurf zu den um die Jahrhundertwende populär gewordenen utopischen Werken,205 “als Reaktion auf sozialistische Propaganda, Darwinismus und technologische Entwicklung”.206 Die dystopische Erzählung besitzt dabei keinerlei eigene Bedeutung, reflektiert aber:207 the obverse of the author’s social intentions, picturing as an ‘ideal’ society of entropy and mindless obedience, satiation and decadence, ironically justified as more egalitarian,

202

Layh: Finstere neue Welten, 103.

Vgl. Layh: Finstere neue Welten, 103.

204 Layh: Finstere neue Welten, 103 f.

205 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 24.

206 Seeber: Gegenutopie und Roman, 150.

207 Vgl. Blaim: Utopian Visions, 11.

203

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healthy, and attractive than the present one; the political hypothesis of the alternative society reverses the normative system of the utopian author.208

Durch die industrielle Revolution und die daraus resultierenden negativen Folgen für die Gesellschaft, entstand im ausgehenden 19. Jahrhundert schließlich eine regelrechte “Fortschrittsphobie”, die durch die negativen Erfahrungen des beginnenden 20.

Jahrhunderts, u.a. durch den Ersten Weltkrieg, noch weiter verstärkt wurde.209 Man fürchtete sich vor einer Technokratie.

Das Verhältnis vom Staat zum Individuum wird zum vordringlichsten Thema in der Dystopie. Sie stellt es in den Mittelpunkt der Darstellung, um die Grausamkeit eines Staates zu zeigen, der das Gemeinwohl über das Wohl des Einzelnen stellt.

Die Anti-Utopie verteidigt damit die individualistisch-bürgerlichen Werte, die das Staatsorgan zu unterdrücken versucht. In ihnen wird das Individuum darüber hinaus sehr in seinen Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt und seiner Privatsphäre beraubt.

Der Mensch wird zum völlig gläsernen Bürger. Er wird auf seine reine gesellschaftliche Funktion reduziert und erfährt durch die Beraubung des eigenen Namens und die Zuweisung einer Nummer, schließlich die völlige Entindividualisierung.210 Die dystopischen Entwürfe schaffen dabei so gut wie ausschließlich das Bild einer völlig normierten Gesellschaft, in welcher Freiheit und Individualität keine Bedeutung mehr haben. Der einzelne Bürger fungiert dabei als Rad im Getriebe einer reibungslos laufenden Maschinerie.211 Kennzeichnend für den anti-utopischen Roman ist jedoch auch der einzelne ‘Nicht-Angepaßte’, der sich aufgrund seines abweichenden Verhaltens zum Außenseiter der Gesellschaft entwickelt, gegen Unterdrückung, Einschränkung, der persönlichen Freiheit und Normierung rebelliert und sich damit im extremen Gegensatz zu den von Staat und Gesellschaft propagierten Verhaltensnormen befindet.212

Die Dystopie betont die Irrationalität der menschlichen Natur. Ein System, das wie in der Utopie auf reinem Vernunftdenken basiert und rational durchdacht ist, kann nicht mit der menschlichen Natur in Einklang gebracht werden und muss früher oder später in ein totalitäres System umschlagen. Die Dystopie schärft den Blick dafür. Sie behandelt auch kritisch die Frage nach der Veränderbarkeit der imperfekten Natur des Menschen und lehnt die Anpassung des Bürgers an das System ab.213

208

Pfaelzer: The Utopia Novel, 80.

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 24.

210 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 24.

211 Vgl. Meyer: Die anti-utopische Tradition, 93.

212 Huntemann: Utopisches Menschenbild, 207.

213 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 24 f.

209

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“So versucht der Staat in den klassischen Dystopien mit Hilfe der neuen Erkenntnisse aus Wissenschaft und Technik (Propaganda, Medien, psychologische Beeinflussung und medizinische Eingriffe), gezielt einen Menschen zu erschaffen, der aufgrund seiner eingeschränkten Bewußtseinskapazität die gesellschaftliche ‘Harmonie’ nicht stören kann”.214 Der Bürger wird unmündig und gerät in geistige und physische Abhängigkeit zum Staat und verliert seine Eigenständigkeit, Urteilsfähigkeit, Fantasie und seine Willensstärke.215 Er wird zum “passiven Abnehmer der Welt, die für ihn durch andere gestaltet wird”.216 Das Staatsorgan unterdrückt dabei alle menschlichen Leidenschaften und nutzt die unterdrückte Energie, um den Menschen emotional an sich zu binden. Dies wird erreicht, indem die offizielle Ideologie zur Ersatzreligion erhoben wird, die fest im Bewusstsein des Bürgers verankert ist. Zudem basiert der Staat auf einem straffen hierarischen System, das auf Zwang erbaut ist und neben dem Verlust von Rechten in Tyrannei und Chancenungleichheit mündet. Aus den Utopien entnommen ist ebenfalls die Uniformierung der Bürger und die damit einhergehende Gefangenschaft des Individuums in seiner gesellschaftlichen Rolle. Es unterliegt außerdem ständiger Überwachung und Kontrolle, die der Staat einsetzt um sich vor seinen eigenen Bürgern zu schützen.

Im dystopischen Staat herrscht außerdem eine Stagnation vor, die der Staat mit allen Mitteln versucht zu halten. Wissenschaftlicher und technischer Fortschritt sind zwar Thema, dienen aber rein dazu, das System aufrecht zu erhalten und nicht, um den Bürgern größere Chancen auf Bildung, etc. zu gewährleisten. Wachstum nach Außen ist nicht vorgesehen, da es das starre Gefüge des herrschenden Systems stören könnte.

Diese räumliche Abgrenzung von der Außenwelt führt zu217 “Einschränkungen in der Sicht- und Denkweise der Bürger, was zur Konservierung des gesellschaftlichen ​Status Quo​ beiträgt”.218 Die Auslöschung der Vergangenheit und der Verlust kultureller Traditionen sind ebenfalls in dystopischen Gesellschaften ein wichtiges Kontrollmittel. Dies wird umgesetzt, um die Bürger zu kontrollieren und unter der offiziellen Ideologie, bzw. Ersatzreligion zu einen. So wird sichergestellt, dass die Harmonie im System bestehen bleibt. Für den Protagonisten wird so die persönliche und kollektive Geschichte zu seiner Vergangenheit zum wichtigen Ankerelement.

214

Zeißler: Dunkle Welten, 25.

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 25.

216 Zeißler: Dunkle Welten, 25.

217 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 25 f.

218 Zeißler: Dunkle Welten, 26.

215

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Die ​Kulturfeindlichkeit​ der Dystopie führt mitunter dazu, dass die Kunst wie auch alles andere, dem Staat untergeordnet wird und der reinen Propaganda dient. Dies erlaubt nur ein passives Konsumieren aber lässt kein kritisches Hinterfragen zu. In Bezug auf wissenschaftlichen und technischen Fortschritt hat die Anti-Utopie die Aufgabe, vor dem Missbrauch der neuen Innovationen gegen die Menschen zu warnen. In vielen Fällen lässt der dystopische Staat Forschungen nur in Teilbereichen zu und übt auch an dieser Stelle uneingeschränkte Kontrolle aus. Die entsprechende Technologie setzt er zur Verwirklichung seiner Ziele ein. Durch die Technologisierung entsteht ein Bruch zwischen der natürlichen und dystopischen Welt, wie es auch in einer Utopie der Fall ist. Wird dieser in der Utopie von der Gesellschaft jedoch bejaht, fühlt sich der Protagonist der Dystopie seiner Natürlichkeit entrissen und die natürliche Welt außerhalb der Dystopie wird für ihn zum Ort der Befreiung von der durchgeplanten strikten Ordnung des Systems.

Letztlich ist die Beherrschung der Sprache als Bewusstseinsmanipulation in dystopischen Gesellschaften ein weiteres wichtiges Kontrollinstrument.

In dystopischen Werken wird davon ausgegangen, dass Sprache das Denken und die Wirklichkeitserfassung zum großen Teil beeinflusst. Um die Weltsicht der Bürger weiter einzuschränken, wird die Sprache kontrolliert. So werden Auflehnungen gegen das System minimiert, da die Bürger in ihrer Kommunikation stark eingeschränkt werden und selbstständiges Denken weitestgehend verhindert wird. Wirkliche zwischenmenschliche Kommunikation kommt so zum Erliegen, da sich die Bürger nur in den vorgefertigten Sprachmustern bewegen können. Dies führt zu einer Vereinsamung in der Gesellschaft und verhindert kollektives Aufbegehren:219 “Futuristic dystopias are stories about language”.220

2.2 Merkmale dystopischer Gesellschaften Elena Zeißler teilt in ihrem Werk “Dunkle Welten” die Merkmale in sechs Gruppen ein: 1. Manipulation der menschlichen Natur und hierarchische Ordnung 2. Kollektivismus, Spiritualität und Realitätserfahrung 3. Wissenschaft und Technik 4. Vergangenheit 5. Sprache 6. Machtanspruch des herrschenden Systems

219 220

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 27 f.

Cavalcanti: Utopias of/f Language, 152.

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Sie führt zudem “Brave New World” von Huxley und “1984” von Orwell als prominenteste Beispiele anti-utopischer Entwürfe an. Beim Punkt der​ Manipulation der menschlichen Natur und hierarchischer Ordnung​ im dystopischen System sehen beide Autoren eine besondere Gefahr von den neu entdeckten Möglichkeiten in Biologie und Psychologie ausgehen. Nachhaltige Veränderung der menschlichen Psyche kann dazu führen, dass sich die Bürger ihrer Unfreiheit nicht mehr bewusst sind.

Sind fast alle Diktaturen bisher an der menschlichen Natur gescheitert, die sich irgendwann gegen das herrschende System aufgelehnt hat, sehen Huxley und Orwell eine große Gefahr in der Manipulation der menschlichen Natur, die mit der Technologisierung der Gesellschaft einhergehen könnte.221 A really efficient totalitarian state would be one in which the all-powerful executive of political bosses and their army of managers control a population of slaves who do not have to be coerced, because they love their servitude [...]. The love of servitude cannot be established except as the result of a deep, personal revolution in human minds and bodies.

222 [...] [W]e cannot be at all certain that ‘human nature’ is constant.

It may be just as possible to produce a breed of men who do not wish for liberty as to produce a breed of hornless cows. [...] The radio, press censorship, standardized education and the secret police have altered everything. Mass suggestion is a science of the last twenty years, and we do not yet know how successful it will be.223

Die Anti-Utopisten wollen vor einer Zukunft warnen, in der das System dem Individuum keinen persönlichen Raum mehr zuspricht.224 Dabei werden Verfahren des Terrors, der totalen Überwachung und sogar Eingriffe in die Physis und Psyche des Menschen prophezeit, die unter Zuhilfenahme neuester medizinisch-technischer Eingriffe ermöglicht wird.225

Neben den Veränderungen der Psyche ist die hierarische Struktur das wichtigste Mittel um die gesellschaftliche Stabilität (das oberste Ziel bei Huxley und Orwell) im dystopischen System zu garantieren. In anti-utopischen Gesellschaften liegt alle Macht bei einer kleinen Minderheit. Sie beansprucht für sich die völlige Kontrolle der Bürger, über ihr Privatleben und ihre Entwicklung.226 “Uniformität und das Fehlen einer Privatsphäre inmitten einer geometrischen Struktur und Stadtplanung [...]”227 sind kennzeichnend für eine anti-utopische Gesellschaft. Medien werden zusätzlich eingesetzt, um Propaganda zu verbreiten, welche die Bürger in ihrem engen Denkrahmen gefangen 221

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 43.

Huxley: Brave New World, Vorwort.

223 Orwell: Review, 380 f.

224 Vgl. Meyer: Die anti-utopische Tradition, 45.

225 Meyer: Die anti-utopische Tradition, 45.

226 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 43 f.

227 Meyer: Die anti-utopische Tradition, 49.

222

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hält. Zeißler schreibt zudem unter ihrem Punkt des​ Kollektivismus, Spiritualität und Realitätserfahrung​, dass eine explizite Homogenität und ein Gemeinschaftsgefühl ebenfalls unabdingbar für die Stabilität im Staat sind. Um die Harmonie in der Gesellschaft zu gewährleisten, vereint die herrschende Elite oder die Führungsperson die Bürger unter einer Ideologie, um der menschlichen Sehnsucht nach Spiritualität nachzukommen und tritt selbst an die Stelle einer Gottesfigur. Diese gilt als allwissend und unfehlbar. Der Staat kreiert dabei seine eigene Realität.228 “Das Individuum wird so Teil eines Staats- oder Gesellschaftsprogramms, dem es sich unabdingbar fügen muß, damit es am vollkommenen Glück partizipieren, ja damit das Glück erst möglich gemacht werden kann”.229 Diese totale Unterordnung des Individuums unter den Staat, endet in einem völligen Antiindividualismus.230 Neben dem Versuch Individualität zu verhindern, wird das totalitäre System aus Sicht des anti-utopischen Romans von einer geradezu krankhaften Sucht zur Kollektivbildung begleitet.231 Man kann diese Staatsform als eine totalitäre Diktatur bezeichnen.232 Ihr Ziel ist eine absolute und auf allen Bereichen unkontrollierbare Macht sowie völliger Konsens, zu deren Erreichung alle Mittel der physischen und psychischen Gewalt eingesetzt werden.233 Ihr System beruht dabei auf “freiwilliger Unterwerfung”, die funktioniert, da die Bürger gezwungen sind, in einem streng hierarischen Kasten- oder Klassensystem zu leben, das mit Hilfe psychologischer Mittel stabil gehalten wird.234 Somit findet eine Abschottung der Bürger von der Wahrnehmung ihrer Außenwelt statt. Der Staat kreiert seine eigene Realität, die er mit Hilfsmitteln bewahrt.235 Das Ziel ist die Atomisierung der Gesellschaft. Die Individuen sollen voneinander getrennt in den Einflußbereich des Staates gelangen. Für diese Art der Gesellschaft ist der Begriff “Massengesellschaft” geprägt worden.236

In “Brave New World” sind dies die erlernten Parolen und die Droge Soma, welche die Bürger in einem fest gesteckten Denkraster gefangen hält.

Wissenschaft ​und​ Technik​ werden dagegen nur in bestimmten Bereichen vorangetrieben, die dem Staat als Kontrollelement dienstlich sind. Sie stagnieren ansonsten. In “Brave New World” sind dies z.B. Biotechnologie, Psychologie und 228

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 46.

Meyer: Die anti-utopische Tradition, 42.

230 Vgl. Meyer: Die anti-utopische Tradition, 42.

231 Vgl. Meyer: Die anti-utopische Tradition, 45.

232 Vgl. Meyer: Die anti-utopische Tradition, 59.

233 Vgl. Meyer: Die anti-utopische Tradition, 61.

234 Vgl. Meyer: Die anti-utopische Tradition, 63.

235 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 46.

236 Vgl. Meyer: Die anti-utopische Tradition, 45.

229

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Unterhaltungstechnologie. “1984” ist technologisch rückständiger, als sein Erscheinungsjahr. Der Fortschritt wird auch hier zurückgehalten, damit die Gesellschaft in Ignoranz und Dummheit lebt. Die einzigen geförderten Bereiche sind auch hier dem System dienlich: Kriegsführung, Überwachungstechnik und Foltermethoden. Der unabhängig denkende, forschende und wissbegierige Geist ist mit der dystopischen Welt beider Romane nicht vereinbar.

Beide Systeme basieren dabei auf keiner objektiven ​Vergangenheit​. Sie betrachten sich stattdessen am Ende ihrer Zeit angelangt, da sie in Stagnation leben.237 Durch diesen Mangel an Wandel bleibt das System “als Ganzes ein perpetuum immobile”.238 Eine Vorwärtsbewegung stünde den Stabilitätsbestrebungen im Weg und somit kommt ein alternatives Zukunftsbild gar nicht erst zustande.239 Auch die modernen totalitären Regime strebten einen Endzustand an, in dem jede politische und gesellschaftliche Entwicklung ausgeschlossen sein sollte, der Fortschritt sich also auf den technischen beschränken sollte.240

Die Vergangenheit ist dabei dem anti-utopischen System gefährlich und wird deshalb ausgemerzt, umgeschrieben oder gegenüber der Gegenwart abgewertet. in “1984” werden sogar die individuellen Erinnerungen und das Gedächtnis der Bürger technologisch manipuliert.

Neben der Manipulation der Vergangenheit ist auch die Manipulation der ​Sprache ​als Kontrollinstrument wichtig. In beiden Werken nimmt diese erheblichen Einfluss auf das Bewusstsein und die menschliche Wahrnehmung, ja gilt sogar als Grundvoraussetzung für totalitäre Systeme. In “1984” werden bspw. Werke aus der Zeit vor der Entstehung des Systems in “Neusprech” übersetzt. Der Staat sieht die konsequente Umgestaltung der Sprache als notwendig an, um das System zur Vervollkommnung zu führen.241 Das Ziel der Elite “[...] besteht darin, eine unabhängige Reflexion der außersprachlichen Wirklichkeit und den Zugang zum individuellen Bewußtsein zu verhindern”.242 In “Brave New World” wird die Sprache mit samt der Vergangenheit dagegen völlig ausgemerzt.

Heranwachsende lernen politische Floskeln, die später in politische Parolen und Leitsätze weiterentwickelt werden.

Zeißlers letzter Punkt ist der ​Machtanspruch des herrschenden Systems​. Ein wichtiges Motiv, das sich in fast allen späteren Dystopien (modifiziert) wiederfindet, ist die Frage 237

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 47.

Löffler: Macht und Konsens, 3.

239 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 47.

240 Schäfer: Science Fiction, 50.

241 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 48 f.

242 Zeißler: Dunkle Welten, 49.

238

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nach der Berechtigung des herrschenden Systems zwischen dem / der Machthaber und dem / der Rebellen. Bei Huxley geht es um das allgemeine Glück und seinen Preis. Die Menschen sind zu schwach für die Freiheit und tauschen sie gegen Sicherheit ein. In der Folge werden sie vollends entmündigt. Das System wird dabei mit dem Allgemeinwohl legitimiert. Bei Orwell dient der Machtbesitz dagegen keinem höheren Ziel, als das bloße Streben nach Macht. Die Führungselite drängt ihre Bürger dabei in eine bloße Opferrolle um ihre Überlegenheit zu demonstrieren.243 [...] [A]lways there will be the intoxication of power, constantly increasing and constantly growing subtler. Always, at every moment, there will be the thrill of victory, the sensation of trampling on an enemy who is helpless. If you want a picture of the future, imagine a boot stamping on a human face - for ever.244

Stephan Meyer teilt in seinem Werk “Die anti-utopische Tradition” (2001) jene Merkmale noch einmal genauer ein: 1. Isolation:​ Prinzip der “geschlossenen Gesellschaft” (Grundprinzip), System ist autonom und von der Außenwelt abgeschottet 2. Statik:​ Mangel an Wandel im System, politische und gesellschaftliche Entwicklungen ausgeschlossen → beschränkt auf den technischen Fortschritt 3. Kollektivismus:​ Schaffung eines allumfassenden gesellschaftlichen Werte- und Normsystems, das keinen Raum für aufkommende Konflikte lässt 4. Ökonomische Rationalität:​ Strikter Arbeitsethos, Arbeit als Selbstzweck des Lebens und Abweisung jedes Lebensgenusses 5. Homogenität, Uniformität:​ Uniformität und Fehlen von Privatsphäre durch eine geometrische Architektur und Stadtplanung, einheitliche Kleidung, bürokratisch reglementierter Alltag, Negation des Individuellen 6. Familienpolitik: ​strikter Patriarchalismus → auf gesamtes Gemeinwesen übertragen und durch ein staatliches System ersetzt 7. Eugenik:​ Lehre von der “guten Züchtung” → Verbesserung des menschlichen Genbestands (positive Eugenik), Reduzierung schädlicher Erbmerkmale (negative Eugenik) ⇒ Rassenpolitik, staatliche Kontrolle des Ehelebens & Kinderaufzucht 8. Regierungsformen: ​Gleichmachung aller Bürger ⇒ Klassen- oder Kastensystem → hierarchische Ordnung (elitäre Regierung oder Führungsperson) 9. Kasten, Klassen und Eliten: ​Unterteilung Gruppe der auserwählten herrschenden Elite und Untergebenen (Kastenstaat und Elite-Masse-Trennung)

243 244

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 49 f.

Orwell: 1984, 256.

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10. Ideologie: ​Gemeinsamer, oft religiöser Konsens, völlige Unterordnung der Bürger, Leugnung jeglicher Meinungsfreiheit 11. Kulturpolitik: ​Kulturfeindlichkeit (Kunst und Literatur sind dem Staat untergeordnet und dienen diesem), Kunst enthält immer Element der Revolte 12. Sanktionsapparat: ​Systems vollständiger Kontrolle und Überwachung → zentralisierte Überwachungsinstanzen. Bei Übertritt: physische und psychische Zwangseingriffe → Konditionierung des Individuums245 Eine weitere Definition der Merkmale dystopischer Gesellschaften ergibt sich aus folgenden Punkten: 1. Propagandakontrolle: ​Die Bevölkerung wird mit Hilfe von Propaganda kontrolliert.

2. Einschränkung der Freiheit:​ ​Informationen, unabhängiges Denken und Freiheit sind stark eingeschränkt, der Bürger wird entmündigt.

3. Gesellschaftliche Abhängigkeit:​ ​Ein Strohmann oder Konzept wird von der Gesellschaft verehrt.

4. Überwachung und Kontrolle: ​Die Gesellschaft untersteht ständiger Kontrolle und Überwachung.

5. Isolation Außenwelt:​ ​Bürger haben Angst vor der Außenwelt und sind ihr entfremdet.

6. Dehumanisierung:​ ​Bürger leben in einem entmenschlichten Zustand.

7. Entfremdung Natürlichkeit: ​Die natürliche Welt ist aus der Gesellschaft verbannt und wird mit Misstrauen betrachtet.

8. Strenge Uniformität:​ ​Bürger folgen einer strengen Uniformität. Individualität und kritisches Denken werden missachtet.

9. Utopische Illusion:​ ​Die Gesellschaft hält äußerlich das Bild einer perfekten utopischen Welt aufrecht.

Die meisten dystopischen Werke behandeln eine Welt, in welcher die Ordnung durch die herrschende Klasse oder der Führungsperson und die Illusion einer perfekten Welt durch folgende Charakteristiken sichergestellt wird: 1. Wirtschaftliche Kontrolle:​ ​Eine oder mehrere große Konzerne kontrolliert / kontrollieren die Gesellschaft durch Produkte, Werbung und / oder Medien.

245

Vgl. Meyer: Die anti-utopische Tradition, 39 ff.

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2. Technologische Kontrolle:​ ​Die Gesellschaft wird durch Technologie kontrolliert → durch Computer, Roboter, und / oder wissenschaftliche Mittel.

3. Philosophische / Religiöse Kontrolle:​ ​Die Gesellschaft wird durch eine philosophische oder religiöse Ideologie kontrolliert, oft durch einen Diktator oder eine theokratische Regierung.

4. Bürokratische Kontrolle:​ ​Die Gesellschaft wird durch ein sinnloses bürokratisches Durcheinander, strenge Regulationen und einer inkompetenten Regierung beherrscht.246 Häufig findet sich in literarischen Dystopien ein Protagonist, der die gesellschaftlichen Verhältnisse hinterfragt und in Folge seiner Erkenntnisse gegen den Machthaber oder das System aufbegehrt.247 Dieser Protagonist weist oft folgende Merkmale auf: 1. Gefühle des Gefangenseins und der Schwierigkeit zu entkommen 2. Hinterfragung des existierenden sozialen und politischen Systems 3. Glauben oder Gefühl, dass etwas extrem verkehrt innerhalb der Gesellschaft läuft in welcher er / sie lebt 4. Hilfe bei der Erkennung der negativen Aspekte der dystopischen Welt durch seine / ihre Perspektive248

2.3 Motive neuerer dystopischer Systeme In neueren dystopischen Gesellschaften kommen noch weitere Motive hinzu, die Elemente aus Huxleys “Brave New World” und Orwells “1984” miteinander verbinden. “​Freiheitsberaubung​ und ​Entmündigung​ können bei gleichzeitigem Einsatz von Ablenkungsinstrumenten wie ​Konsum ​und​ Entertainment ​sowie durch Einschüchterung, Rechtebeschneidung und Gewaltanwendung erreicht werden. [...] Während die Mehrheit der Bevölkerung unterhalten wird, vernichten Sicherheitskräfte die Abweichler auf brutale Weise, womit sie zusätzlich einen Abschreckungseffekt erzielen”.249 Auffallend bei den neueren dystopischen Entwürfen ist der zunehmende Verzicht auf den Ordnungszwang und die Betonung des Kollektivismus. Die anti-utopischen Gesellschaften sind damit offener und freier geworden und werden der postmodernen Wirklichkeit angepasst.250

246

Vgl. N.N.1: Utopias and Dystopias, ReadWriteThink.

Vgl. N.N.1: Utopias and Dystopias, ReadWriteThink.

248 Vgl. N.N.1: Utopias and Dystopias, ReadWriteThink.

249 Zeißler: Dunkle Welten, 220.

250 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 220.

247

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Der totalitäre, allmächtige und allwissende Staat, hinter dem konkrete Personen, bzw.

Parteien stehen, tritt nicht mehr in Erscheinung; [...] [nun; S.W.] bestimmen stattdessen anonyme und z.T. nebulöse Kräfte, die sich jedoch als nicht weniger restriktiv erweisen, die gesellschaftliche Organisation. Diese Art der Unterdrückung stellt sich meistens als noch erschreckender heraus, da eine gezielte Rebellion gegen die unrechtmäßige oder unterdrückerische Ordnung nicht mehr möglich erscheint.251

Am 21. Oktober 1949 verfasste Aldous Huxley einen Brief an George Orwell, bei welchem er auf diese Problematik noch einmal näher eingeht: Within the next generation I believe that the world's rulers will discover that infant conditioning and narco-hypnosis are more efficient, as instruments of government, than clubs and prisons, and that the lust for power can be just as completely satisfied by suggesting people into loving their servitude as by flogging and kicking them into obedience. In other words, I feel that the nightmare of Nineteen Eighty-Four is destined to modulate into the nightmare of a world having more resemblance to that which I imagined in Brave New World. The change will be brought about as a result of a felt need for increased efficiency.252

Wissenschaft ​und ​Technik​ sind weiterhin Kernelemente der Dystopie. Diese stehen weiterhin ganz im Dienste der machthabenden Gruppen, die diese für ihre Zwecke, wie z.B. Profitstreben und ​Festigung ihrer Macht​ missbrauchen. Ebenso verhält es sich mit der Verflachung menschlicher Beziehungen, bedingt durch die Isolation und Vereinsamung des Menschen in der Masse. Dysfunktionale Beziehungen und fehlende emotionale Sicherheit sind das Ergebnis, das sich das System zu Nutze macht. Es analysiert den Bürger in der Masse und macht ihn damit zu tiefen zwischenmenschlichen Beziehungen unfähig.

Zudem hat das Motiv der ​Veränderung der menschlichen Natur ​nichts an seiner Bedeutung eingebüßt. Der Mensch wird sich selbst entfremdet, beispielsweise durch einen gentechnischen Eingriff oder wird durch eine von außen aufgezwungene Lebensund Denkweise manipuliert.253 Charakteristisch für diese Werke sind auch weit subtilere Beeinflussungsmechanismen als unverhohlene Propaganda oder offener Terror, wie sie in der klassischen Dystopie eingesetzt wurden. Vielmehr wird nun der bereits angesprochene systeminterne Konformitätsdruck​ ​ausgeübt, dem sich zu entziehen für den Einzelnen immer schwieriger wird.254

251

Zeißler: Dunkle Welten, 220.

Huxley: Transcript 1949, Letters of Note.

253 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 220 f.

254 Zeißler: Dunkle Welten, 221.

252

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Ein weiteres beibehaltenes Motiv ist die Manipulation der ​Vergangenheit ​und Geschichte​. Die Machterhaltung der autoritären Strukturen kann nur durch die Abschaffung bzw. Umschreibung der Geschichte dauerhaft erhalten werden.

Auch die ​Sprache​ existiert weiter als zentrales Motiv. Vorgegebene Sprachmuster beeinflussen das Denken der Bürger. Eine Verarmung der Sprache geht mit einer kulturellen Verflachung der Gesellschaft einher. Dies führt schlussendlich zur Unfähigkeit der kritischen Auseinandersetzung mit der Realität.255 Weiterhin ist die ​Propaganda ​ein Hauptmotiv der neuen Dystopien. Bedeutend hierbei sind die neuen Formen der Manipulationsmöglichkeiten, “[...] was im Zeitalter der Massenmedien beinahe uneingeschränkte Möglichkeiten für [...] eine beliebige Manipulation des (öffentlichen) Bewußtseins eröffnet. Dahinter steht auch keine systemimmanente Entwicklung, die jedoch angesichts ihrer Anonymität viel bedrohlicher erscheint”.256 Anschließend lässt sich feststellen, dass die Identität des Subjekts, sowie die Verteidigung der bürgerlich-individualistischen Werte im Mittelpunkt der erzählerischen Darstellung steht. Wie schon in früheren Dystopien wird die freie Entfaltung des Individuums und seine Fähigkeit zum kritischen Denken vom System weiterhin unmöglich gemacht und konsequent unterdrückt.257

3. Schnittstellen zum Transhumanismus 3.1 Die wissenschaftlich-technische Dystopie Die Naturwissenschaften haben utopische wie dystopische Entwürfe schon immer beeinflusst. Ihre Fähigkeit, die Gesellschaft in relativ kurzer Zeit grundlegend und radikal zu verändern, ist ausschlaggebend für viele Werke des späten 19. und frühen 20.

Jahrhunderts. Vor dieser Zeit zeigten Errungenschaften aus Technik und Wissenschaft keinen bis kaum nennenswerten Einfluss auf die Gesellschaft. Dies änderte sich jedoch schlagartig mit der industriellen Revolution. Das erste Mal in der Menschheitsgeschichte wurde man sich bewusst, dass wissenschaftlicher Fortschritt mit vielen grundlegenden sozialen Veränderungen einhergeht. Schnell setzte sich die Vorstellung durch, dass man sich in gesellschaftlichen Bereichen auf immer höhere Entwicklungsformen zu bewege.

Nach dem Ersten Weltkrieg jedoch wuchs die Angst der Bevölkerung in Bezug auf den technologischen Fortschritt und seine unabsehbaren Folgen. Man fürchtet nicht nur den

255

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 221 f.

Zeißler: Dunkle Welten, 222.

257 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 222 f.

256

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gezielten Missbrauch dieser Technologien, sondern ebenfalls unkontrollierbare gesellschaftliche Prozesse, die diese Errungenschaften mit sich bringen.258 Folgende drei Bereiche lassen sich in Hinblick auf Wissenschaft und Technik in der Dystopie unterscheiden: In erster Linie beherrscht die Angst vor der​ Entwicklung neuer Massenvernichtungswaffen​ ​die Vorstellungen der Menschen im 20. Jahrhundert. Waffen wie die Atom- oder Wasserstoffbombe, die größere Teile der Welt vernichten könnten, aber auch die Entwicklung von chemischen und biologischen Waffen sind Zentrum der Angstvorstellungen.

Not until the twentieth century did many argue that technologies might be out of control or inherently dangerous. Technological determinism, which in the nineteenth century often seemed beneficent, appeared more threatening thereafter.259

Geschürt werden diese Vorstellungen noch von den einschneidenden Erlebnissen des Ersten und Zweiten Weltkrieges, ihren Einsatz moderner Massenvernichtungswaffen und durch den daraus resultierenden Verlust von Millionen von Menschenleben.

Das nächste sich wiederholende Thema in der wissenschaftlich-technischen​ ​Dystopie ist die ​Degradierung des Individuums durch Technologien​. Diese Technologien sollten das menschliche Leben eigentlich erleichtern, stattdessen wird der Mensch der Technik unterworfen und gerät in Abhängigkeit zu ihr. Komfort und Bequemlichkeit verführen oder zwingen (je nach Betrachtungsweise) den Menschen in eine passive Lebensführung.260 “Der Urheber der Maschine wird zu ihrem Sklaven und betet sie an; mehr noch, der Mensch selbst wird zunehmend einer Maschine gleich - in einer mechanisierten Umgebung verliert die Gefühlswelt an Bedeutung”.261 Der dritte Ansatzpunkt ist die Entwicklung der Massenmedien​.

Das niedrige kulturelle Niveau des Unterhaltungsangebots führt zur Banalisierung des Lebens des Lebens, zur Ablenkung und Entpolitisierung breiter Schichten der Bevölkerung.

262

Seit den 1950er Jahren und mit Einzug des Fernsehens in jeden Haushalt hat sich diese Problematik nur noch weiter verschärft. Der übermäßige Fernsehkonsum führt über kurz oder lang zu Realitätsverlust, indem der Betrachter in einer bunten, schönen, irrealen Parallelwelt versinkt. Dabei können die Fernsehsendungen sowie die Werbung als Propagandamedium missbraucht werden.263 Die kulturell leeren und anspruchslosen 258

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 97 ff.

Nye: Technology Matters, 22.

260 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 99.

261 Zeißler: Dunkle Welten, 99 f.

262 Zeißler: Dunkle Welten, 100.

263 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 100.

259

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Sendungen, die den Zuschauer in einer Scheinwelt gefangen halten, machen ihn dabei leicht zum Opfer für unterschwellige (oder offensichtliche) Propagandainhalte. Die Werbesendungen dagegen rufen den Zuschauer dazu auf, zu konsumieren, was die Schlinge der geistigen Gefangenhaltung nur noch weiter zuzieht.

Victor Lebow, ein amerikanischer Ökonom und großer Befürworter des Konsums, drückte diesen Zustand im Jahre 1955 im “Journal of Retailing” folgendermaßen aus: Television actually sells the generalized idea of consumption. It promotes the goal of higher living standards. But the commercials are an intrusion. The captive audience [is; S.W.] spending several hours a day viewing television [...].264

Diese selbstgewählte Entmündigung der Bürger wird von den Machthabern der Dystopie zur Festigung ihrer Machtposition ausgenutzt. Zudem wird, um jegliches Konfliktpotential auszumerzen, eine gezielte Büchervernichtung vorgenommen. Es wird auch der Einsatz der Medien zur Manipulation der Bevölkerung thematisiert. In Orwells “1984” werden z.B. sogenannte “Teleschirme” zur breitflächigen Propagandavermittlung eingesetzt.

Mit der Entwicklung des Computers und des Internets in den 1980er und 90er Jahren tritt noch ein weiteres Medium auf, das zur Propagandaverbreitung eingesetzt werden kann.

Die größte Sorge dystopischer Autoren ist jedoch die ​Manipulation der menschlichen Natur​:265 “Die Vorstellung, den Menschen verändern zu müssen, damit er ‘utopietauglich’ wird, ist seit Plato bei vielen Utopieautoren zu finden, die vor allem auf eugenische Mittel setzen. Biologische und psychologische Erkenntnisse des 20. Jahrhunderts eröffnen dann eine neue Dimension der Manipulation”.266 In Zamjatiins “My” werden die Bürger mit Hilfe einer Gehirnoperation dem Einheitsstaat angeglichen und in Huxleys “Brave New World” werden Menschen künstlich nach Maß erzeugt und später mit einer Konditionierung gefügig gemacht, sowie mit Drogen ruhig gestellt. In “1984” formt die “Innere Partei” den Menschen systematisch mit Hilfe von Propaganda, Terror, Folter und Hypnose um.267 Der Aspekt der Manipulation der menschlichen Natur findet sich in den Enhancement-Visionen des späten 20.

Jahrhunderts wieder. “Überdies bestehen zwischen der transhumanistischen Zukunftsvision und der neueren Sozialutopie (insbesondere im Fall der Dystopie) enge Beziehungen”.268

264

Lebow: Journal of Retailing, 5.

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 100 f.

266 Zeißler: Dunkle Welten, 101.

267 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 101.

268 Coenen: Zum mythischen Kontext, 66.

265

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Transhumane Zukunftsvorstellungen und utopische Ideen überschneiden sich. Auch in der transhumanistischen Zukunftsvision spielt die Verbesserung der menschlichen Natur eine wichtige Rolle, doch im Grunde steht die Vorstellung der technologischen Verbesserung des Menschen im Mittelpunkt transhumaner Betrachtungen und nicht direkt die Eugenik.​ ​“Der Transhumanismus ist hingegen, z.T. im Einklang mit der Eugenik, von der Idee der Perfektibilität des Lebens und speziell der menschlichen Biologie fasziniert.

Doch er geht über diese hinaus: Es geht ihm nicht nur um die Abschaffung jedweder Krankheiten und eine biologische Verbesserung der Gattung, sondern um die Überwindung der Sterblichkeit des Menschen und vor allem der Vergänglichkeit des menschlichen Geistes”.269 Er weist zudem eine tief geprägte ​Leibfeindschaft​ auf.270 Auch hier gibt es Überschneidungen mit der utopischen Vision.

3.2 Parallelen zum Transhumanismus Die Vision der Utopisten von der Mitte bis ins späte 20. Jahrhundert, die sich eine wissenschaftlich-technische Utopie erträumt hatten, entpuppt sich mit dem heutigen Kenntnisstand als reine Technokratie, als eine wissenschaftlich-technische Dystopie: Die neuen Utopisten träumen von neuen Designerdrogen, welche eine Verbesserung kognitiver Kapazitäten ermöglichen, der Verbesserung der menschlichen Leistungsfähigkeit durch Implantate, der genetischen Umgestaltung der Spezies, der weitgehenden Eliminierung von Krankheit und Tod sowie der grenzenlosen Freiheit zur Gestaltung des eigenen Körpers auf molekularer Ebene bis hin zur vollständigen Digitalisierung des menschlichen Bewusstseins [...]. Es geht ihnen mit anderen Worten um ein umfassendes​ Human Enhancement​.271

Diese Visionen stützen sich auf die Vorstellung der Verbesserung und Transformation des biologischen Körpers durch Fortschritte in der Bio- und Nanotechnologie.272 Die Ähnlichkeiten zwischen der technisch-wissenschaftlichen Dystopie und dem Transhumanismus sind unverkennbar. Man kann sogar so weit gehen zu behaupten, dass die Anti-Utopie eine Reaktion auf den Transhumanismus ist, d.h. auf die rasante technologische Entwicklung und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft.273 Im Grunde hat die Anti-Utopie des 20. Jahrhunderts durch das Aufgreifen der Themen des Transhumanismus diesen erst populär gemacht, und dass trotz ihres

269

Coenen: Transhumanismus und Utopie, 149.

Vgl. Coenen: Transhumanismus und Utopie, 148.

271 Dickel: Utopische Positionierungen: 188.

272 Vgl. Dickel: Utopische Positionierungen: 188.

273 Vgl. Coenen: Transhumanismus, 162.

270

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utopisch-selbstreflexiven und gesellschaftskritischen Charakters sowie der Kritik am Totalitarismus und der Technokratie.274 Die Dystopie weist dabei durch und durch einen ​menschenfeindlichen Charakter ​auf. Dies ist auch die Kernaussage des Transhumanismus, des kleinsten gemeinsamen Nenners. Im Transhumanismus geht es um eine ​Dehumanisierung​. Es geht um die Abschaffung des Menschen an sich und die Kreierung eines völlig neuen, göttlichen Wesens. Human Enhancement und schließlich der Mind Upload sind dabei sind Zwischenschritte, dieses Ziel zu erreichen. Der natürlich geschaffene Mensch wird vom Menschen selbst abgeschafft. Dies führt letztendlich zu einem “Ende der Menschen”.275 Sascha Dickel spricht bei diesen Zukunftsvisionen von ​Enhancement-Utopien​, die dasselbe Verständnis wie die in dieser Arbeit beschriebenen Dystopien besitzen.

In diesen utopischen Projekten geht es nicht länger um eine Transformation der Gesellschaft. Nicht etwa durch eine politische Revolution der politischen Ordnung oder der Verbesserung des Menschen durch erzieherische Maßnahmen, sondern um eine direkte Transformation des menschlichen Körpers. Diese soll mit Hilfe von Nano- und Informationstechnologien, sowie biomedizinischer Mittel vollzogen werden.

Dazu zählen Designerdrogen, welche die kognitiven Kapazitäten verbessern sollen, die Steigerung menschlicher Leistungsfähigkeit durch Implantate, die genetische Umgestaltung des Menschen, Eliminierung von Krankheit und Tod, Freiheit zur Modifikation des eigenen Körpers auf molekularer Ebene bis hin zur Digitalisierung des menschlichen Bewusstseins. Der Unterschied zwischen der klassischen Utopie und einer transhumanistischen Zukunftsversion, die mit Dickels Enhancement-Utopie gleichzusetzen ist, ist die globale und universelle Geltung des technisch verbesserten Menschen.276 Sie ist von ihrem Anspruch her nicht auf bestimmte Nationen, Ethnien, Schichten, Klassen oder Milieus begrenzt, sondern strebt vielmehr die Realisierung von Möglichkeiten an, die von allen Menschen genutzt werden können und die das Leben aller verändern sollen.

Dieser tendenziell globale Anspruch ergibt sich aus der kognitiven Fundierung dieser Utopien in Wissenschaft und Technik. Die Gleichung lautet: Weil alle Menschen grundsächlich biologische Merkmale teilen, können biomedizinische Techniken von jedermann zur Selbstoptimierung verwendet werden [...].277

Hier zeigt sich der direkte Gegensatz zur klassischen Utopie, bzw. Dystopie. Es geht nicht um die Transformation der Gesellschaft durch ein streng geregeltes System und die

274

Vgl. Coenen: Transhumanismus: 162 f.

Fukuyama: Das Ende des Menschen, Einführung.

276 Vgl. Dickel: Enhancement-Utopien, 13 ff.

277 Dickel: Enhancement-Utopien, 17.

275

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Kontrolle der Bürger durch Kollektivismus, sondern um die Transformation des Individuums​. Die transhumane Zukunftsvision setzt nicht auf Unterdrückung und Zwang, sondern übt Kontrolle durch gezielte Weckung von Wunschvorstellungen aus. Der Mensch wird nicht zur Transformation gezwungen, sondern er strebt diese aus freien Stücken an.

Der Körper soll, wie einst die Gesellschaft, nach imaginären Vorstellungen umgebaut werden. Der Traum und die Verheißung eines besseren Lebens materialisieren sich hier nicht in Form von gesellschaftlichen Entwürfen, sondern in Körperbildern, an deren Realisierung fleißig gearbeitet wird.278

Armin Grunwald spricht auch von “Technikzukünften”. Er sagt, “[d]ass die Gegenstände utopischen Denkens in einer von Wissenschaft und Technik getriebenen und auf permanente Innovation setzende Gesellschaft in hohem Maße aus Technik und Wissenschaft bezogen werden, ist nicht verwunderlich. Denn Technik, insbesondere verwissenschaftliche Technik, ist auf Zukunft ausgerichtet”.279 Technikzukünfte - darunter seien generell und unspezifisch Zukunftsvorstellungen verstanden, in denen Technik eine explizite Rolle spielt - lassen sich auf verschiedene Weise klassifizieren. Verbreitet sind Einteilungen im Kontinuum zwischen der Nähe zur Gegenwart und der Ferne unbestimmter Zukunftsbezüge. Ziele, die z.B. im Rahmen der Zielplanung in der Technikentwicklung gesetzt werden, bilden ein normatives, gegenwartsnahes und konkretes Medium des Redens über Technikzukünfte.280

Diese Art der Technik-Utopien wird von einer neuen Trägergruppe getragen. Nicht mehr klassische Intellektuelle, Philosophen, Schriftsteller sowie politische Vor- und Querdenker fungieren als Übermittler, sondern technische Visionäre sind an ihrer Stelle getreten.281

lll. Transhumanistische und dystopische Merkmale im Vergleich 1. Analyse der unterschiedlichen Merkmale Der erste zu nennende Unterschied wäre die ​Stagnation des Systems​ im anti-utopischen Entwurf. In diesem wird die technologische Entwicklung in fast allen gesellschaftlichen Bereichen zurückgehalten, um auf die Bevölkerung gezielt Kontrolle auszuüben. Stattdessen werden Überwachungs- und Propagandatechnologien gezielt gefördert. Auch erfolgt kein Wachstum über die festgefahrenen Mauern des Systems hinaus. Es ist in sich geschlossen.

278

Dickel: Enhancement-Utopien, 18.

Grunwald: Utopie und Technikfuturismus: 97.

280 Grunwald: Utopie und Technikfuturismus: 97.

281 Vgl. Dickel: Enhancement-Utopien, 18.

279

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In der transhumanen Vision dagegen gilt eine Art “Alles was kann, wird auch gemacht”. Es wird auf allen technologisch realisierbaren Ebenen ein​ grenzenloses Wachstum angestrebt (Vgl. Mooresche Gesetz) und was noch nicht umsetzbar ist, wird mit Hilfe von gezielter Forschung umsetzbar gemacht. Klare Trennlinien wie in einem dystopischen System existieren nicht, na nicht national, sondern global an der Umsetzung dieser Visionen gearbeitet wird. Ebenso gibt es das Motiv einer streng​ ​regulierten Uniformität und​ Homogenität​ in der transhumanen Zukunftsvision nicht.

Individualismus ​(ein utopisches Motiv) wird gefördert und als Mittel zur Kontrolle gebraucht. Dickel spricht in seinem Werk “Enhancement-Utopien” (2011) auch von “Individualutopien”:282 Der ​neue ​Neue Mensch setzt keinen politischen oder moralischen Konsens mehr voraus.

Die neuen Utopien versprechen vielmehr, dass zukünftig jeder ​sein eigener ​Neuer Mensch werden und sich nach seinen eigenen Wünschen und Wertvorstellungen formen kann.283

Zwar steht die globale Transformation der Menschheit als Motiv im Raum, erfolgt aber nicht aus politischem Zwang heraus, sondern baut auf dem Ego des Individuums auf. Der Individualist definiert sich als Konsument, unwissend, dass gerade dieses Motiv ihn erneut in eine künstlich erzeugte Uniformität zurückdrängt. Jeder ist ein Konsument, unabhängig vom Grad seiner Individualität. Diese Perfidie, unserem kapitalistischen Weltbild entsprungen, ist entscheidend für den Transhumanismus des 21. Jahrhunderts.

Nur durch den Drang der Ego-Befriedigung, kann eine globale Transformation der Menschheit gelingen.

Systeme basierend auf Zwang provozieren Revolutionen. Konsumenten streben nach geistiger Erfüllung durch den Konsum an sich. Dadurch verliert das äußere System seine Wertigkeit, denn das persönliche Leben und das Streben nach dem eigenen Ego steht im Vordergrund. Folglich entstehen in diesem Sinne keine gesellschaftlichen Unruhen.

Die Missachtung kritischen Denkens fällt aufgrund der fehlenden Autorität einer Elite oder Führungsperson weg. Allerdings ist fraglich inwieweit kritisches Denken überhaupt noch möglich sein wird, wenn Chips in das menschliche Gehirn eingesetzt werden, oder der noch extremere Fall, wenn das Bewusstsein digitalisiert wird. Vielleicht wird in den künstlichen Welten, in denen diese Wesen leben werden, die Individualität auch durch die Beraubung des eigenen Namens und der Zuweisung einer Nummer, wie in einem anti-utopischen Entwurf, aufgelöst. Dies jedoch ist eine reine Mutmaßung.

282 283

Dickel: Enhancement-Utopien, 251.

Dickel: Utopische Positionierungen, 191.

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Im Transhumanismus spielt außerdem die strenge ​Regelung der Religiosität​ ​keine Rolle. In der Bewegung wird zwar die Existenz eines Schöpfergottes vehement bestritten (die Verneinung Gottes ist schließlich die Grundlage des Transhumanismus), hat aber keinen Einfluss auf die Abnehmer der Bewegung, sprich die Konsumenten.

Der Transhumanismus erhebt sich selbst in die Rolle einer Religion, indem er Wunschbilder von Zukünften schafft, die durch ihren allerlösenden Charakter stark den Weltreligionen ähneln, wie bspw. dem Christentum, das ebenfalls ein Leben nach dem Tod und die Heilung aller Leiden und Krankheiten propagiert. Der Unterschied zum Transhumanismus ist jedoch die Erreichung dieser Ziele durch Menschenhand.

Das dystopische Motiv der ​geometrischen Struktur und Stadtplanung​ ​findet in der transhumanen Vision keine Anwendung. Im Gegenteil wird durch die internationale Vernetzung der einzelnen transhumanistischen Gruppen und unter dem Aspekt der globalen Wirtschaft eher das anti-utopische Motiv eines Weltstaates angestrebt. Eine Isolation des Einheitsstaates​ ist durch das grenzenlose wirtschaftliche Wachstum nicht angestrebt und stünde dem Ziel sogar im Weg. Zudem erlaubt die Vernetzung des privaten und öffentlichen Raumes (Smart Home und Smart City) eine viel umfassendere Überwachung und Kontrolle durch Technologie, als es eine geometrische Stadtanlage je leisten könnte.

Ebenfalls unterscheidet das Merkmal der ​utopischen Illusion​ ​die Anti-Utopie vom Transhumanismus. Dieser ist kein geschlossenes System, wie die Dystopie und von äußeren Faktoren abhängig und wird von ihnen beeinflusst. Die Anhänger dieser Bewegung sind meist technische Visionäre, Wissenschaftler und Unternehmer. Kritisch denkende und weltoffene Persönlichkeiten, die keinesfalls der Meinung sind, ihre Welt entspräche einer Utopie. Ganz im Gegenteil, eines der Hauptmotive im Transhumanismus ist ja die Überwindung globaler Probleme.

At Singularity University, we believe that leveraging the convergence of exponential technologies will set us on the path to solve our global grand challenges and shift from an era of scarcity to abundance.284 Creating abundance is not about creating a life of luxury for everybody on this planet; it’s about creating a life of possibility.285

Es existiert auch keine​ hierarchische Ordnung​ im transhumanen Zukunftsentwurf, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Angestrebt ist jedoch die Entwicklung einer allwissenden künstlichen Intelligenz, die über allem steht und alle globalen Probleme lösen soll. In diesem Entwurf würden dieser künstlichen Intelligenz alle Herrscher der 284 285

​Singularity Education Group​: Global Grand.

Diamandis: What is SU?, ​Singularity Education Group.

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Nationen, wie auch der Rest der Menschheit, unterstehen. Theoretisch ist auch denkbar, dass sich mehrere dieser Intelligenzen zu einer globalen Superintelligenz zusammenschließen und als Kollektiv agieren. Auch lässt sich spekulieren, ob die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird, wenn sich die Eliten die besten Körper-Upgrades kaufen können, Zugang zu Wissen haben, das nur durch bestimmte Chips oder Freischaltungen zugänglich ist und am längsten und gesündesten leben, bzw. gar die Unsterblichkeit erreichen.

Der Punkt der​ Verneinung der Geschichte​ und die​ ​Auslöschung der Vergangenheit​ ist ebenfalls kein Bestandteil des Transhumanismus. Der Verlust kultureller Traditionen besitzt keinerlei politische Relevanz, noch ist ein totalitärer Staat existent, der Interesse an dieser Art der Kontrolle hätte. Der Sinn hierbei ist die Einung des Systems unter einer gemeinsamen offiziellen Ideologie als Schaffung einer Art Ersatzreligion. Im Transhumanismus existiert aber bereits eine vereinende Ideologie, die sich an den Hauptmerkmalen des Transhumanismus orientiert und weltweit in abgewandelter Form ihre Gültigkeit besitzt.

Auch sei die ​Beherrschung der Sprache​ als ​Bewusstseinsmanipulation genannt. Auch dieser Kontrollmechanismus existiert in der transhumanen Vision nicht.

Die Weltsicht der Bürger muss nicht durch Sprachgebrauch eingeschränkt werden.

Auflehnungen gegen das System können durch die direkte Manipulation des Bewusstseins und des Denkens verhindert werden, z.B. mit Hilfe eines Chips im Gehirn, der das Denken beeinflusst oder bei Veränderung der Datenströme bei einem digitalisierten Bewusstsein.

Während in Dystopien oft eine ​Fortschrittsfeindlichkeit​ herrscht, findet man im Transhumanismus eine regelrechte ​Fortschrittseuphorie​. Keine Entwicklung die sich technologisch umsetzen lässt, wird zurückgehalten. Und an den bisher nicht umsetzbaren wird weiter geforscht. Auch die Bevölkerung hat, anders als in einer Anti-Utopie, Zugang zu diesen Technologien und kann sich als Erfinder in den Fortschritt mit einbringen.

Schließlich entscheidet der Markt über Erfolg oder Misserfolg der Innovation. Allerdings wird auch an Technologien gearbeitet, die der Dystopie entsprechen, wie bspw.

Massenvernichtungswaffen und Technologien zur Manipulation der Psyche.

Der Transhumanismus nimmt auch von der ​Eugenik ​abstand, obwohl beide Dinge sich auf die Selbststeuerung der menschlichen Evolution beziehen. Es geht nicht darum, die angeborenen Eigenschaften der Menschen zu verbessern, sondern mit technischen Mitteln den menschlichen Körper besser zu machen. ​“Alle bisherigen Utopien behandeln Visionen einer Verbesserung und Umgestaltung ungeborener Menschen durch genetische

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Selektion und Manipulation bzw. deren Neuschöpfung im Labor. Es ging letztlich um Fremd​verbesserungen. In den nun folgenden Zukunftshoffnungen geht es hingegen primär um die technische Modifikation bereits geborener Menschen und die damit eröffneten Möglichkeiten zur ​Selbst​verbesserung”.286 Der ​Kollektivismus ​ist durch seinen anti-individualistischen Charakter auch nicht Teil der transhumanen Vision. In dieser steht das Individuum an erster Stelle. Die Individualität wird genutzt, um eine Bedürfnisweckung nach den transhumanistischen Werten zu erzielen. Somit spielt das Ego dabei eine entscheidende Rolle. Das Streben nach individuellen Werten, nach einer eigenen Individualität ist Teil der menschlichen Natur und lässt sich nicht auf Dauer unterdrücken. Das wusste schon Wells, als er Anfang des 20.

Jahrhunderts diesen Aspekt der klassischen Utopie kritisierte. “Solange die Konstrukteure ‘Utopias’ die Unterschiede ignorieren, verleugnen sie die Individualität schlechthin. Die Negation des Individuellen sei die Sünde aller bisherigen Utopien gewesen, weil sie im absoluten Gegensatz zum Selbstwertgefühl des modernen Menschen stehe”.287 Der Transhumanismus kennt keine ​Staatsordnung o ​ der​ Regierungsform​. Es findet keine Gleichmachung der Bürger statt, die in ein ​Kasten- ​oder​ Klassensystem​ mündet (noch nicht). Jedoch lassen sich gewisse Vergleiche der Elite mit den Technik-Visionären der Bewegung herstellen, welche die technologische Entwicklung des Transhumanismus u.a. lenken und großen Einfluss auf ihre Motive nehmen. Zudem nehmen sie eine Art prophetische Stellung ein und werden von ihren Anhängern verehrt.

Mutmaßen lässt sich außerdem, dass es zu einer Spaltung von Bürgern in der Bevölkerung kommen wird, die sich nicht technologisch aufwerten lassen wollen und an ihrer Natürlichkeit hängen. Der sogenannte verbesserte Rest, unterscheidet sich intern wiederum durch bessere oder schlechtere Augmentierungen.

Während in vielen Dystopien eine stark ausgeprägte ​Familienpolitik​ eine Rolle spielt, die aus dem traditionellen Verbund gerissen ist und durch das System ersetzt wird, ist dies ebenfalls nicht in der modernen transhumanen Vision vertreten. Jedoch gibt es starke Überschneidungen mit der Anti-Utopie bezogen auf Geburtenkontrolle und Schaffung von Designer-Babys. So finden sich Huxleys “Test Tube Babys” aus “Brave New World” auch im Transhumanismus wieder. Nick Bostrom spricht über so ein Szenario in seinem Essay “Human Genetic Enhancements: A Transhumanist Perspective” (2003) und ”What is Transhumanism?” (1998). Jedoch: “Die Transhumanisten streiten ab, dass es sich bei den

286 287

Dickel: Enhancement-Utopien, 241.

Meyer: Die anti-utopische Tradition, 50.

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Menschenzüchtungsmaßnahmen des totalitären Staats in ​Brave New World ​überhaupt um die Nutzung von Enhancement-Technologien handelt”.288

Auch existiert keine ​Kulturfeindlichkeit​ oder geregelte ​Kulturpolitik​ wie in vielen Dystopien. Überhaupt findet sich Kunst im Transhumanismus nur in Form unabhängiger Künstler wieder, die wenig mit der eigentlichen relevanten Strömung zu tun haben. Der Transhumanismus räumt ihr keinen wichtigen Stellenwert ein. Anders verhält es sich mit der Literatur. Diese wird im wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und aufklärerischen Kontext in Verbindung mit dem Internet gebraucht, um die Ideale des Transhumanimus zu verbreiten und seine Inhalte zu vermitteln.

Einen​ Sanktionsapparat​ gibt es auch nicht in der transhumanen Vision, wenn auch die Aspekte der Kontrolle und Überwachung stark ausgeprägt sind, wenn auch momentan offiziell nur der Wirtschaft dienlich. Sanktionen wie physische und psychische Zwangseingriffe zur Konditionierung des Individuums entfallen.

2. Analyse der gemeinsamen Merkmale Die ​Manipulation der menschlichen Natur ​ist wohl mit die größte Gefahr, die vom Transhumanismus ausgeht. Wie im dystopischen Entwurf besteht die Möglichkeit des Eingriffs in die Psyche des Menschen. Dabei gehen ​Technik und totalitäre Herrschaft Hand in Hand. Dies sieht man auch in den klassischen Dystopien “My”, “Brave New World” und “1984”: Es geht um die Auslöschung des Subjektes durch Eingriffe in das menschliche Gehirn (Zamjatin), genetische Manipulation zur Einordnung des Individuums in eine statische Kastengesellschaft (Huxley) und den Einsatz von Informationstechnologien zur kompletten Unterwanderung der Privatsphäre und der Mündung in einen totalen Überwachungsstaat (Orwell).289 Waren die staatlichen Zwangseingriffe in den älteren Utopien noch ausschließlich psychologischer Natur, werden sie im anti-utopischen Roman von physischen Eingriffen begleitet. Die moderne Technik hat dazu ein ganz neues Instrumentarium entwickelt, mit dem der menschlichen Natur Gewalt angetan werder kann. Dieses Instrumentarium wird in Funktion im anti-utopischen Roman vorgeführt. Häufig findet sich der Gedanke an einen operativen Eingriff in das Gehirn, durch den die ‘Normalisierung’, d.h. eine staatskonforme Konditionierung des Individuums erzielt werden soll.290

Andere Konditionierungsmaßnahmen in Dystopien sind bspw. wichtige Nervenstränge mechanisch mittels elektrischer Strahlung zu steuern (“The New Utopia”, “Man’s World”,

288

Coenen: Zum mythischen Kontext, 67.

Vgl. Saage: Zur Differenzierung, 124.

290 Meyer: Die anti-utopische Tradition, 88.

289

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“Darkness and the Light”). Ein weiteres Umerziehungsverfahren ist die Psychoanalyse mittels derer Einfluss auf das Unterbewusstsein des Individuums genommen wird (“Brave New World”, “Land under England”). Eine Kombination beider Verfahren ist dann die Gehirnwäsche. (“1984”, “The Bright Phenix”). Zudem existiert noch die physische und psychische Folter (“1984”), biologische Selektion (“Brave New World”) und eine Lobotomie ähnliche Operation (“My”).291 Im Transhumanismus gehen derartige Gefahren von technologischer Natur aus, wie z.B. durch die​ Emerging Brain Technology​ oder einem implantierten Chip im menschlichen Gehirn.

Auch die ​Spiritualität​ ​(Ideologie)​ und​ Realitätserfahrung​ spielen im Transhumanismus eine große Rolle. Die transhumanistische Bewegung tritt selbst an die Stelle einer Ideologie, die einem Dogma gleich Glaubenssätze festlegt und somit der menschlichen Sehnsucht nach Spiritualität ihrer Anhänger nachkommt. Dies zieht eine gesellschaftliche Abhängigkeit​ nach sich292 und hat eine ​Abkehr von der Religion ​zur Folge.​ ​Der Mensch wird seinen ursprünglichen moralischen Vorstellungen entwurzelt und steht nun selbst im Zentrum allen Seins. Da es keinen allwissenden und allsehenden Schöpfergott mehr gibt, ist der Mensch selbst für sein Seelenheil verantwortlich und muss sich schließlich selbst überwinden, um Erlösung zu erlangen.

Zum Teil treten aber Techno-Utopisten wie Ray Kurzweil und Wissenschaftler der Bewegung in prophetische Positionen und treffen u.a. auch Aussagen über die Zukunft, wie z.B. Kurzweils Voraussagen über den Eintritt der Singularität im Jahr 2045. Durch die Manipulation der Psyche der Bürger lebt die Bevölkerung der Dystopie im Glauben, der eigene Staat sei der beste aller möglichen Staaten.293 Daraus folgt eine geistige ​Isolation​ und Abschottung von der Welt außerhalb des Systems. Eine autonome und geschlossene Gesellschaft ist die Folge.

Im Transhumanismus führt diese Entfremdung und Isolation zu einem verzerrten Weltbild.

Die Welt außerhalb des technisierten Lebens, das nicht von Algorithmen bestimmt wird, smart und vernetzt ist, wird nicht mehr (zumindest im Sinne einer kritischen Betrachtung) als alternativer Lebensraum begriffen, sondern als schlichtweg ​lebensunwürdig​. Eine alternative Lebensweise zur Wirtschaftswachstumsgesellschaft des kapitalistischen Systems der Spätmoderne existiert nicht mehr im öffentlichen Diskurs. Hierzu äußerte sich Hartmut Rosa in einem Interview mit der WirtschatsWoche 2014 folgendermaßen:

291

Vgl.Meyer: Die anti-utopische Tradition, 88.

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 44 ff.

293 Vgl. Meyer: Die anti-utopische Tradition, 67.

292

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“​Mittlerweile können wir uns ja eher das Ende der Geschichte vorstellen als eine Alternative zur Steigerungslogik des Kapitalismus”.294 Diese Denkweise wird in Anti-Utopien durch ​Propaganda ​geschürt, um​ ​die Bevölkerung zu kontrollieren und sie ist ebenso im Transhumanismus und der Wirtschaft auf die gleiche Weise vertreten. Ein kulturell tief angesiedeltes Unterhaltungsprogramm der Gesellschaft führt zur Banalisierung des Lebens, sowie zur Ablenkung und schließlich zur Entpolitisierung breiter Schichten der Bevölkerung.295 Nachrichten und Sendungen dienen dabei als​ Werbeträger für das System​. Durch das enorme ​Konsum ​und​ Entertainment wird​ ​die Mehrheit der Bevölkerung unterhalten und ruhig gestellt, während Sicherheitskräfte die Abweichler beseitigen.296 Ein kritisches Hinterfragen der Lebensweise und des Systems, in welchem der Bürger lebt, findet nicht mehr statt.

Dadurch wird die Harmonie und die Unantastbarkeit der Macht der Elite oder Führungsperson sichergestellt.

Ein ​strikter Arbeitsethos in einer ​ökonomischen Rationalität​, der​ ​die Arbeit als Selbstzweck des Lebens definiert, spielt zusätzlich noch eine Rolle bei der Banalisierung des menschlichen Geistes.297 ​“Der entfremdete Mensch wird nicht nur zur Ware auf dem ‘Arbeitsmarkt’, sondern auch zum Opfer seiner eigenen Arbeit. Er arbeitet nicht mehr, um zu leben, er lebt, um zu arbeiten”.298 Im Transhumanismus dient in erster Linie das Internet als “Propagandainstrument” und zur Verbreitung transhumaner Ideale. Wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Artikel und Inhalte werden verbreitet und Produkte beworben und vertrieben, die man eindeutig als transhumanistisch motiviert identifizieren kann. Auch hier greift die Steigerungslogik des Kapitalismus mit seiner Bedürfnisweckung. Neue nützliche Gadgets, die das Leben noch einfacher gestalten sollen, werden mit dem Geld gekauft, das durch ein striktes Arbeitsethos erwirtschaftet wird. Hier findet sich allerdings eine wichtige Unterscheidung zur “Arbeit als Selbstzweck des Lebens”. Im kapitalistischen Systems des 21. Jahrhundert gilt “Konsum als Selbstzweck des Lebens”, wobei die Arbeit als Trägermittel dazu dient und um, so lässt sich mutmaßen, den Geist ganz im Sinne einer Anti-Utopie fokussiert zu halten. Überwachung ​und​ Kontrolle​ ​sind in​ ​dystopischen Gesellschaften wichtige Faktoren, um die Gesellschaft unter Kontrolle zu halten. Die Bevölkerung wird mithilfe von Technologie ausspioniert und überwacht. Ein Beispiel hierfür sind die ​Teleschirme​ aus “1984”. Diese 294

Rosa: Die eingesparte Zeit, WirtschaftsWoche.

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 100.

296 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 220.

297 Vgl. Weber: Asketischer Protestantismus, 360.

298 Flechtheim: Ist die Zukunft, 193 f.

295

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fungieren neben ihrer Funktion als Propagandamedium als staatliche Überwachungskameras und befinden sich im privaten wie auch öffentlichen Raum (und lassen sich nicht abschalten, nur leiser stellen). In “Brave New World” wird die Droge Soma ​eingesetzt, um die Bevölkerung ruhigzustellen und einen Zustand der falschen Glückseligkeit zu schaffen.

Wir aber wissen, daß nie jemand die Macht ergreift in der Absicht, sie wieder abzutreten.

Die Macht ist kein Mittel, sie ist ein Endzweck. Eine Diktatur wird nicht eingesetzt, um eine Revolution zu sichern: sondern man macht eine Revolution, um eine Diktatur einzusetzen.

Der Zweck der Verfolgung ist die Verfolgung. Der Zweck der Folter ist die Folter. Der Zweck der Macht ist die Macht.299

Auch im Transhumanismus werden diese Technologien eingesetzt, allerdings mit dem Unterschied einer freiwilligen Implementierung in der Bevölkerung. Sicherheitskameras für Haushalte, künstliche Intelligenzen, das Internet der Dinge, Gehirnchips, durch die sich unangenehme Emotionen per Knopfdruck abschalten lassen, bis hin zur Digitalisierung des menschlichen Gehirns.

Wissenschaft ​und ​Technik ​werden stetig vorangetrieben und neue Entwicklungen und Innovationen auf den Markt geworfen. Eine regelrechte “Fortschrittsentgrenzung” ist die Folge.300 Neue Technologien und Gadgets, die in den Privatraum des Nutzers integriert werden, eröffnen Möglichkeiten für Missbrauch durch Unternehmen, Regierung, aber auch Hacker. Unter dem Deckmantel der Hilfsbereitschaft sammeln Alexa, Google Home, Siri und andere, private Daten und nutzen sie zur Gewinnmaximierung.

Die ​Einschränkung der Freiheit​ ​ist das Resultat. Jedoch ist dieser Punkt in gewisser Weise ein zweischneidiges Schwert. Informationen, unabhängiges Denken und körperliche Freiheit sind ausgeprägt wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Das Wissen der gesamten Welt ist jederzeit greifbar und auf dem Smartphone abrufbar, soll sogar mit einem Gehirnchip direkt in unser Bewusstsein abrufbar gemacht werden.

Durch die Globalisierung ist die Welt zusammengewachsen. Nie zuvor war es so einfach, in andere Länder zu reisen und sich dort zurechtzufinden, sowie die Sprache zu verstehen. Die Technologie löst die Fremde auf und wandelt sie in einen vertrauten Raum (bspw. durch Live-Übersetzer oder Google Maps).

Allerdings gibt es keine Garantie dafür, daß die Technik stets solch positive politischen Folgen haben wird. Viele technologische Fortschritte der Vergangenheit haben die menschliche Freiheit eingeschränkt.301

299

Orwell: 1984, 301.

Dickel: Enhancement-Utopien, 188.

301 Fukuyama: Das Ende des Menschen, 31.

300

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Doch die Menschen geraten auch in eine unfrei machende Abhängigkeit zur Technologie.

Die gesamte Zivilisation würde vom einen auf den anderen Moment zusammenbrechen, wenn die Technologie, bspw. durch eine Naturkatastrophe oder außerplanetare Bedrohung, plötzlich weltweit ausfällt. Zudem wird das Internet mehr und mehr personalisiert. So sind z.B. die Suchfragen durch den Google-Algorithmus auf den Konsumenten genauestens zugeschnitten. Eine objektive Suchanfrage ist kaum noch möglich. Ebenso wird das gesamte Leben mehr und mehr durch Algorithmen bestimmt und gelenkt. Vom Kaufverhalten, welcher romantische Partner in Frage kommt, welches Freizeitangebot genutzt werden soll und zum Schluss auch das Denken an sich.

Diese Freiheit hat jedoch auch ihren Preis, und dieser Preis besteht in der Notwendigkeit der Integration des Selbst in die Strukturen technischer Rationalität. Wir lassen uns von der Technik gefangen nehmen, da sie uns zur zweiten Natur geworden ist und wir insgeheim wissen, dass sie uns Wege des Erlebens und Handelns eröffnet, die uns sonst verschlossen bleiben würden.302

Eine weitere Parallele zwischen der Dystopie und dem Transhumanismus ist die Entfremdung der Natürlichkeit​. ​Diese ist aus der Gesellschaft verbannt und wird mit Misstrauen betrachtet.303 Das Konzept der Familie, Sexualität, Nachkommenschaft, Religiosität, Selbstdefinition, Arbeit. All diese Aspekte werden vom System abgedeckt und damit seiner natürlichen, jahrtausende alten Tradition entwurzelt. Zudem ist die Natur​ ​an sich größtenteils aus den Dystopien verbannt, was auch eine Folge der “Verstädtlichung” der Umwelt ist, die essentiell für die Systemerhaltung ist.

In der transhumanen Vision wird diese Entfremdung ad absurdum geführt bis hin zur vollständigen Auslöschung aller Menschlichkeit, die mit dem Bewusstseins-Upload seine Vollendung erfahren würde. Man kann an dieser Stelle auch von einer ​Dehumanisierung sprechen. Abschied von der Sterblichkeit, technologische Verbesserung des menschlichen Körpers, Leben in einer virtuellen Realität, Wiederbelebung lange nach dem Tod durch Kryonik, Erreichung der Allwissenheit, etc. Der Mensch wird auf eine neue Evolutionsstufe gehoben, die gottgleich ist.

Die gemeinsamen Merkmale zwischen der Anti-Utopie und der transhumanistischen Zukunftsvision wurden auf Grundlage der vorangegangenen Kapitel in sechs Kategorien in Form von ​Kontrollarten​ eingeteilt: Räumliche-, biologische-, philosophische-, wirtschaftliche-, psychologische- und technologische Kontrolle:

302 303

Dickel: Utopische Technologien, 111.

Vgl. N.N.1: Utopias and Dystopias, ReadWriteThink.

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Räumliche Kontrolle ●

Bürger haben Angst vor der Außenwelt und sind ihr entfremdet.

●

Die natürliche Welt ist aus der Gesellschaft verbannt und wird mit Misstrauen bedacht.

●

Durch die Technologisierung entsteht ein Bruch zwischen der natürlichen Welt und der Anti-Utopie.

●

Abschottung der Bürger von der Wahrnehmung ihrer Außenwelt, der Staat kreiert seine eigene Realität.

●

Isolation der Bürger von der Welt außerhalb des Systems.

Biologische Kontrolle ●

Sterben und Tod sind nicht präsent in der Wahrnehmung der Gesellschaft.

●

Überwindung der Sterblichkeit des Menschen und vor allem der Vergänglichkeit des menschlichen Geistes.

●

Biologische und technologische Verbesserung der Gattung.

●

Lebensverlängerung des Menschen und Heilung aller Krankheiten.

●

Bürger leben in einem entmenschlichten Zustand.

Philosophische Kontrolle ●

Die Gesellschaft wird durch eine philosophische oder religiöse Ideologie kontrolliert, oft durch einen Diktator oder eine theokratische Regierung → Abkehr von der Religion.

●

Die Bürger leben im Glauben, ihr Staat sei der beste aller möglichen Staaten.

●

Selbstentfremdung des Individuums in einem von außen gesicherten Wohlstand.

●

Abneigung gegen die traditionellen Religionen.

Wirtschaftliche Kontrolle ●

Ein oder mehrere große Konzerne kontrolliert / kontrollieren die Gesellschaft durch Produkte, Werbung, und / oder Medien.

●

Mehrheit der Bevölkerung wird unterhalten und ruhig gestellt, Sicherheitskräfte beseitigen Abweichler.

●

Bürger werden auf reine gesellschaftliche Funktionen reduziert, als Räder im Getriebe eines größeren Systems.

●

Ziel ist der Verlust kultureller Traditionen → (oft) Weltstaat.

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Psychologische Kontrolle ●

Das niedrige kulturelle Niveau des Unterhaltungsangebotes führt zur Banalisierung des Lebens, zur Ablenkung und Entpolitisierung breiter Schichten der Bevölkerung.

●

Der Bürger wird zum passiven Abnehmer der Welt, die für ihn durch andere gestaltet wird → passives Konsumieren aber kein kritisches Hinterfragen.

●

Medien und Unterhaltungsangebote werden eingesetzt um Propaganda zu verbreiten.

●

Manipulation der menschlichen Psyche durch Technologie und damit rationale Kontrolle des menschlichen Gefühlslebens.

Technologische Kontrolle ●

Die Gesellschaft untersteht ständiger Kontrolle und Überwachung des Privatlebens und der biologischen Entwicklung → gläserner Bürger.

●

Menschen sind zu schwach für Freiheit und tauschen sie gegen Sicherheit ein.

●

Beschneidung menschlicher Freiheiten durch eine übermächtige Technik.

●

Schaffung einer Technokratie.

●

Degradierung des Individuums durch Technologien: Komfort und Bequemlichkeit verführen oder zwingen in eine passive Lebensführung → freiwillige Unterwerfung.

●

Informationen, unabhängiges Denken und Freiheit sind stark eingeschränkt, der Bürger wird entmündigt und von außen gelenkt.

lV. Die drei Kontrollarten des Silicon-Valley-Transhumanismus 1. Modell der drei Kontrollmechanismen Im Folgenden soll nun eine Untersuchung dieser Gemeinsamkeiten aus dem Blickwinkel des Silicon-Valley-Transhumanismus erarbeitet werden, um zu beweisen, dass die dort entwickelten Zukunftsvisionen große Parallelen zu einer technologisch, philosophisch und wirtschaftlich kontrollierten Dystopie aufweisen. Dazu wird auf die im Kapitel “Transhumanismus” beschriebenen Projekte von Alphabet und auf die Motive der Singularity University eingegangen und auf die wirtschaftlichen Interessen sowie die philosophische Motivation. Um eine tiefere Analyse zu gewährleisten, werden die aufgezählten Kategorien in den drei unten genannten Kontrollarten noch einmal zusammengefasst und in weitere sechs Unterpunkte gegliedert:

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Technologische Kontrolle ●

Überwachung und Kontrolle:​ ​Die Gesellschaft untersteht ständiger Kontrolle und Überwachung, des Privatlebens und der biologischen Entwicklung → gläserner Bürger.

●

Einschränkung der Freiheit: ​Informationen, unabhängiges Denken und Freiheit sind stark eingeschränkt, der Bürger wird entmündigt und von außen gelenkt.

●

Dehumanisierung:​ ​Entwicklung der Menschheit wird gezielt gelenkt. Manipulation der menschlichen Psyche → rationale Kontrolle des Gefühlslebens, Biologische und technologische Verbesserung der Gattung und Lebensverlängerung.

Wirtschaftliche Kontrolle ●

Propaganda:​ ​Einer oder mehrere große Konzerne kontrollieren die Gesellschaft durch Produkte, Werbung, und / oder Medien.

●

Konsum & Entertainment: ​Mehrheit der Bevölkerung wird unterhalten und ruhig gestellt, Sicherheitskräfte beseitigen Abweichler.

●

Isolation:​ ​Bürger haben Angst vor der Außenwelt und sind ihr entfremdet.

Philosophische Kontrolle ●

Abkehr von Religion: ​Der Mensch wird seinen ursprünglichen moralischen Vorstellungen entwurzelt und steht nun selbst im Zentrum allen Seins.

●

Gesellschaftliche Abhängigkeit:​ ​Die Gesellschaft wird durch eine philosophische oder religiöse Ideologie kontrolliert.

●

Entfremdung der Natürlichkeit:​ ​Die natürliche Welt ist aus der Gesellschaft verbannt und Bürger sind ihr entfremdet.

Die folgende Grafik (Abb. 3, s. S. 69) zeigt ein Schalenmodell der Kontrollmechanismen, die vom Transhumanismus des Silicon Valley ausgehen. Im inneren Kern befindet sich die technologische Kontrolle​. Sie umfasste die Bereiche der ​Überwachung und Kontrolle (1), die ​Einschränkung der Freiheit ​(2)​ ​sowie die D ​ ehumanisierung ​(3).

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Winzler: Die drei Kontrollarten des Silicon-Valley-Transhumanismus (Abb. 3).

Dies ist die offensichtlichste Kontrolle und wird von der Bevölkerung direkt wahrgenommen und sogar begrüßt, allerdings selten kritisch hinterfragt. Sie dringt tief in das Privatleben vor und bestimmt dieses zu großen Teilen. Durch die Suchmaschine Google werden unzählige Daten über die Bevölkerung gesammelt und Alphabets Tochterfirmen entwickeln Produkte und Dienstleistungen, die eine noch größere Reichweite haben und den Konsumenten flächendeckend überwachen können, im privaten wie auch im öffentlichen Raum. Der Bürger wird vollständig gläsern (1). Das hat zur Folge, dass der Mensch immer unfreier wird. Suchfragen werden durch den Google-Algorithmus direkt auf den Konsumenten zugeschnitten. Eine objektive Suchanfrage ist kaum noch möglich. Ebenso wird das gesamte Leben immer mehr durch Algorithmen bestimmt und gelenkt. Beeinflusst wird z.B. das Kaufverhalten, welcher romantische Partner in Frage kommt, welches Freizeitangebot genutzt wird und auch das Denken an sich (2).

Der Transhumanismus plant, die Entwicklung des Menschen gezielt durch wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu lenken, um die Ära des Posthumanismus einzuläuten. Die Psyche des Menschen soll manipuliert und​ eingreifbar ​gemacht werden.

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Dies zu erreichen wird u.a. mit technologischen Mitteln versucht, aber auch durch das Versprechen der Unsterblichkeit und Allwissenheit (3).

Die mittlere Schale beinhaltet die ​wirtschaftliche Kontrolle​. Dieser Kontrolle sind sich viele Menschen bewusst, sie wird als einzig lebenswertes System erkannt und nicht weiter kritisch hinterfragt. Sie umfasst die Bereiche ​Propaganda​ (4)​, Konsum und Entertainment (5) sowie die ​Isolation ​(6). Durch ​die Verbreitung von passgenauer Werbung wird das Konsumverhalten der Bevölkerung beeinflusst, um spezielle Produkte und Dienstleistungen zu erwerben. So wird auch die Marktnachfrage beeinflusst und die Unternehmen sind nicht länger dem reinen Willen des Konsumenten unterworfen (4).

Zudem soll das Leben noch bequemer und einfacher werden. Eine direkte Verbreitung transhumaner Inhalte ist nicht nötig, sondern wird von der Bevölkerung von sich aus implementiert um dem Drang zum Individualismus und der Nachfrage nach Unterhaltung nachzukommen (5). Durch die Technologisierung und die Abhängigkeit von Maschinen wird der Mensch seiner Außenwelt entfremdet. Das kapitalistische System wird als das einzig wahre und richtige empfunden. Eine kritische Hinterfragung des eigenen Konsumverhaltens oder der Lebensweise findet nicht statt (6).

Die äußere Hülle der ​philosophischen Kontrolle​ umschließt die restlichen beiden Kontrollarten. Dies ist die subtilste und wird von den wenigsten Menschen erkannt, da die Auseinandersetzung damit kritisches Denken erfordert und eigene Forschungsarbeit verlangt. Sie umfasst die Bereiche der ​Abkehr von der Religion​ (7), ​der gesellschaftlichen Abhängigkeit ​(8) und denjenigen der ​Entfremdung der Natürlichkeit​ (9). Der Mensch wird seinen ursprünglichen moralischen Vorstellungen entwurzelt und steht nun selbst im Zentrum allen Seins. Da es keinen allwissenden und allsehenden Schöpfergott mehr gibt, ist der Mensch selbst für sein Seelenheil verantwortlich und muss sich schließlich selbst überwinden, um Erlösung zu erlangen (7).

Durch die subtile Implementierung transhumanistischen Gedankenguts in die Gesellschaft entsteht eine unbewusste Verehrung einer unbekannten Ideologie, die sich unter dem Deckmantel des Konsums verbirgt und äußerst schwer zu identifizieren ist. Es wird jeweils der Konsum an sich zu einer Ersatzreligion erhoben, wie auch der Transhumanismus mit seinem Versprechen der Verbesserung der menschlichen Spezies (8). So kommt es zu einer Spaltung zwischen der Welt im System und der natürlichen Welt, Lebensrhythmen, nach denen seit Jahrtausenden gelebt wurde, lösen sich in einer Technokratie vollständig auf. Die natürliche Evolution wird durch eine kulturelle ersetzt und eine Neudefinition des Begriffes Menschlichkeit implementiert (9).

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Alle drei Kontrollarten nehmen der Reihenfolge nach je an Abstraktion zu (Abb. 4, s. u.).

Dies bezieht sich vor allem auf die Offensichtlichkeit des Levels an Kontrolle, die ausgeübt wird und wie bewusst sich die Bürger dieser sind. Die technologischen Artefakte befinden sich, wie bereits erwähnt, sehr nah am Nutzer und üben eine direkte Kontrolle aus, während die wirtschaftliche Kontrolle sich schon subtiler gestaltet. Die philosophische Kontrolle ist sehr abstrakt und bedarf einer intensiven kritischen Auseinandersetzung mit der Materie. Dies geschieht allerdings kaum aus Gründen, die in den nächsten Kapiteln ausführlich erläutert werden.

2. Technologische Kontrolle 2.1 Überwachung und Kontrolle Diese Form der Kontrolle nimmt den direktesten Einfluss auf die Bevölkerung und ist damit auch im Alltag spürbar. Die Annehmlichkeiten der Technologisierung des privaten und öffentlichen Raumes überwiegen das Bewusstsein der Überwachung bei weitem.

Im Gegenteil. Viele Menschen begrüßen Technologien, die den Konsumenten nachgewiesenerweise aushorchen, freiwillig in ihrem Privatraum.

Wir lassen uns von der Technik gefangen nehmen, da sie uns zur zweiten Natur geworden ist und wir insgeheim wissen, dass sie uns Wege des Erlebens und Handelns eröffnet, die uns sonst verschlossen bleiben würden.304

Noch vor 16 Jahren erahnte kaum jemand das Ausmaß und das Potential der Informationstechnologien im Bezug auf ihren Nutzen für die Wirtschaft. So schrieb Francis Fukuyama noch im Jahr 2002 (zwei Jahre vor der Gründung von Facebook und fünf Jahre vor dem ersten Apple iPhone) im Bezug auf “1984” und “Brave New World”:

304

Dickel: Utopische Technologien, 111.

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Nachdem das jüngere dieser Bücher mehr als ein halbes Jahrhundert alt ist, können wir erkennen, daß die politischen Voraussagen des einen, “1984”, ganz und gar falsch waren, während die technologischen Prophezeiungen beider Werke in erstaunlichem Maße Wirklichkeit wurden. [...] [Es wurde behauptet; S.W.] der Personalcomputer in Verbindung mit dem Internet bedeute praktisch die Verwirklichung von Orwells Televisor.

Aber diese Neuerung wurde nicht zu einem Mittel der Zentralisierung und der Zwangsherrschaft, ganz im Gegenteil: Sie demokratisierte den Zugang zu Informationen und führte zur Dezentralisierung der Politik. Anstatt daß jeder vom Großen Bruder beobachtet wurde, konnten sich die Menschen den PC und das Internet zunutze machen, um dem Großen Bruder auf die Finger zu schauen [...].305

Heute jagt ein Überwachungsskandal den nächsten. Angefangen vom NSA-Überwachungsskandal (2013), über den Abhörskandal des Samsung Smart TV’s und die Übermittlung dieser Daten an Dritte (2015), das ständige Mithören der virtuellen und Smart Home Assistenten wie Siri, Cortana, Google Home und Alexa. Ebenso ist der im März dieses Jahres aufgetretene Facebook Skandal zu nennen, bei dem die Analysefirma Cambridge Analytica Daten von 50 Millionen amerikanischen Facebook-Nutzern ohne Erlaubnis ausgewertet hat. Dies ist der größte Datenskandal seit der Gründung der Plattform.306 Weniger als zwei Jahrzehnte später ist genau das Gegenteil von Fukuyamas Voraussagen eingetreten. Im Grunde lässt sich behaupten, dass sowohl Huxley wie auch Orwell mit ihren Voraussagen (wenn man sie als solche betiteln möchte), recht behalten haben. Doch seit den letzten Jahren scheint sich immer mehr Orwells Vision durchzusetzen. Zumindest in einem wirtschaftlichen Rahmen.

Alphabets Tochterfirmen Nest, Verily, Boston Dynamics und Google arbeiten an Projekten, die große Gefahren der Überwachung und Kontrolle in sich bergen. Nest verkauft neben Rauch- und Kohlenmonoxidmeldern, die sich von alleine mit anderen Nest-Produkten und anderer Technik, z.B. von Philips oder Bosch vernetzen, vor allem Kameras für den Innen- und Außenbereich der Wohnung, bzw. des Hauses.​ ​“Ein intelligentes Zuhause, das wirklich mitdenkt. Produkten, die mit Nest kompatibel sind, musst du nicht erst sagen, wie sie sich verbinden sollen. Oder was sie tun sollen. Sie funktionieren einfach”.307 Die Produkte lassen sich ebenfalls mit dem Smartphone verbinden und steuern. Der Nutzer hat keine Einsicht in das Ausmaß der Datensammlung, allerdings lässt sich erahnen, dass Produkte, die sich ​von alleine​ vernetzen, ständig online sind, untereinander kommunizieren und Daten sammeln.

305

Fukuyama: Das Ende, 16.

Vgl. N.N.4: Datenskandal, Computer Bild.

307 Nest Labs: Works with Nest.

306

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Die technologischen Objekte der Gegenwart sind offene Objekte, die unendlich formbar erscheinen, miteinander kombiniert werden können, sich untereinander vernetzen und miteinander auf Arten und Weisen interagieren, die für uns undurchschaubar bleiben, uns aber zugleich in kaum vorhersehbare Feedback-Schleifen einbinden, die sich unserer Kontrolle entziehen.308

Gefahr geht schlussendlich auch von Hackern aus, die persönliche Daten auslesen und zu ihren Zwecken missbrauchen können. Auch auch Dritte, denen die firmeneigenen Daten verkauft werden können, stellen Sicherheits- und Datenschutzrisiken für den Nutzer dar. Nicht einmal Orwell konnte sich in seinem Dystopia ausmalen, dass Menschen Überwachungskameras freiwillig in ihren Privatraum integrieren, dem Risiko ausgesetzt, dass jederzeit jemand mithören, oder mit​sehen​ kann. Doch dies ist nur der Beginn. Wenn sich der Bereich der Überwachung immer mehr auf den virtuellen ausweitet, eröffnet sich ein völlig neues Kontrollinstrument.

“Heute scheint sich die Diskussion vor allem auf die Themen Privatsphäre und Datenschutz zu konzentrieren, doch in Zukunft wird es auch um die Frage gehen, wer die virtuellen Identitäten und damit die Bürger selbst kontrolliert”.309 Solange wir glauben, intelligente Maschinen zielen nur auf Optimierung unseres Lebens ab, sind wir blind für die Risiken und die alte Weisheit: Wissen ist Macht. Stattdessen kehren wir freiwillig [...] unser innerstes nach außen und übersehen dabei: Niemand wird unsere Daten primär dazu nutzen, um uns ein besseres und schöneres Leben zu ermöglichen. Stattdessen werden unsere Daten im Informationskapitalismus zu einem Gewinn nur für denjenigen, der sich mit ihrer Hilfe ein genaues Bild von uns macht, um langfristig die Freiheit unseres Denkens und Fühlens abzuschaffen.310

Die Televisions- und Abhörtechnologie aus “1984” sind kaum mehr als ein schwaches Vorspiel angesichts der 311 “gewaltigen uns zur Verfügung stehenden Macht, Daten quer durch die verschiedenen Forschungsfelder zu integrieren, um neue Modelle zu entwickeln und damit die Grundlagen für ein neues Verstehen individuellen Verhaltens zu schaffen”.

312

Irgendwann “[...] wird [es sogar; S.W.] möglich sein, unerwünschtes Verhalten zu

unterbinden, bevor es anderen großen Schaden zufügt und Verhaltensformen zu unterstützen und zu ermutigen, die zu einem größeren sozialen Nutzen führen”.313 Das gleiche gilt für den Smart Home Assistant “Google Home”. Er zeichnet jede Konversation auf, die der Konsument mit ihm führt. Er reagiert auf die Worte “Ok, Google” und aktiviert sich somit. Doch um die Schlagworte wahrzunehmen, muss der Assistent 308

Dickel: Utopische Technologien, 109 f.

Schmidt / Cohen: Die Vernetzung, 120.

310 Hofstetter: Sie wissen alles, 15 f.

311 Vgl. Saage: Zur Differenzierung, 132.

312 Roco: Convergence Technologies, 141.

313 Roco: Convergence Technologies, 142.

309

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ständig aktiv sein und die ganze Zeit mithören: “Hinter der vermeintlichen Hilfsbereitschaft des Butlers versteckt sich vor allem ein kommerzielles Interesse. Wir gewöhnen uns daran, dass Alexa oder Google Home mithören. [...] Jetzt installieren die Menschen freiwillig Mikrofone und Kameras in ihre Wohnungen”.314 Der Nutzer hat keine Einsicht, wie viel diese Technologien wirklich aufzeichnen. Bei einem Hackerangriff wandelt sich der nützliche Assistent leicht in eine Wanze.

Verily verfolgt das Ziel, das Gesundheitssystem zu verbessern und höhere Heilchancen zu gewährleisten sowie bessere Prävention zu betreiben: “Verily lives at the intersection of technology, data science and healthcare. Our mission is to make the world's health data useful so that people enjoy healthier lives”.315 Die Mission ist, über eine Person möglichst viele Daten zu sammeln, um eine individuelle medizinische Vorsorge gewährleisten zu können.

How can we detect disease earlier? Understand it better and intervene in the course of the disease more precisely? Instead of episodic reactive healthcare we should promote preventative and proactive health care. We will understand disease at the individual level.

Not what makes someone sick - but what makes ​you​ sick.316

Verilys “Smart Lense Program” entwickelt eine G​lukose-Sensorlinse zur kontinuierlichen Überwachung des Glukosespiegels und eine akkommodierende Kontaktlinse für Menschen mit Alterssichtigkeit. Das Programm fügt Objekten, die routinemäßig im Alltag eingesetzt werden, Intelligenz hinzu.317 “Study Watch” dagegen ist ein medizinisches Untersuchungsgerät, das für eine nahtlose und skalierbare Datenerfassung in klinischen Studie entwickelt wurde. Das Gerät wurde hergestellt, um spezialisierte Sensoren und eine robuste Cloud-Infrastruktur zu nutzen, um physiologische Daten und Umweltdaten zu erfassen und zu analysieren.318 ​Das Risiko jedoch besteht in der Datensammlung. Auch hier ist die Gefahr von Hackern gegeben, aber vor allem die Weitergabe an Dritte, wie bspw. an die Krankenversicherung, die auf Grundlage dieser Daten die Kosten für die Versicherung anheben oder senken könnte. Eventuell müsste der Versicherte sogar bei Nichtaktivität mit Sanktionen rechnen.

Wir selbst liefern uns der Möglichkeit einer vollkommenen Kontrolle aus. Diese extreme Transparenz bereitet in einigen Staaten einer Totalüberwachung den Weg. Jede Diktatur kann sich die Hände reiben. Auch wenn wir nicht in einer Diktatur leben - wir schaffen einen Nährboden.319 314

Yogeshwar: Die Roboter kommen, 45.

Verily Life Sciences LLC: Home.

316 Verily Life Sciences LLC: Introducing Verily, 0:32-0:58.

317 Vgl. Verily Life Sciences LLC: Smart Lens.

318 Vgl. Verily Life Sciences LLC: Study Watch.

319 Yogeshwar: Die Roboter kommen, 45.

315

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2.1 Einschränkung der Freiheit Alphabets Tochterfirma Google weiß so gut wie alles über ihre Konsumenten.

Datenschutzgesetze werden dabei versucht zu umgehen: “Seit Jahren umgeht Google immer wieder Datenschutzeinstellungen und streitet sich mit den EU-Wettbewerbshütern, sammelt sensible Informationen über unser Leben, baut rücksichtslos immer genauere Nutzerprofile”.320 Auch mit Produkten wie Google Drive, Google Wallet, GMail, Google Notes, Google Calender, etc. werden weitere Daten erfasst.

Google Brain ist da keine Ausnahme. ​2012 schlossen Google-Wissenschaftler 16000 Computerkerne zu einer Maschine zusammen und zeigten ihr 72 Stunden lang ca. zehn Millionen Videobilder, woraufhin sie in der Lage war, Objekte, Menschen und Katzen zu differenzieren. Das System versucht, die neuronalen Verbindungen im menschlichen Gehirn nachzuahmen.321 Das Schlagwort ist hier ​maschinelles Lernen​.

Mittlerweile ist das künstliche Gehirn imstande, auch menschliche Gesichter problemlos zu identifizieren, sogar aus einer Auflösung von 8 x 8 Pixeln. Die künstlichen Intelligenz ist sogar fähig, das Gesicht wieder zu rekonstruieren.322 Das Risiko liegt hierbei in der Übertragung des Programms auf andere Google-Produkte, was noch wesentlich effektivere Wege zur Datensammlung eröffnet.​ ​Das Google-Brain-Team stellt bereits seine Technologien zum Thema maschinelles Lernen anderen Entwicklern von Google als Service in der Cloud zur Verfügung.323 Gleichzeitig forscht auch das Unternehmen DeepMind an einer künstlichen Intelligenz. Es wurde von Alphabet (damals noch Google) im Januar 2014 erworben und ist weltführend in seiner Erforschung künstlicher Intelligenz. DeepMind hat sich den großen Problemen unserer Zeit verschrieben und kollaboriert, ebenfalls wie das Google Brain Projekt, mit anderen Google-Teams: “[W]e also collaborate with Google teams to apply our cutting-edge research to products and infrastructure used by many millions of people across the world”.324 In Verbindung mit einer virtuellen Realität, an der Google zusätzlich arbeitet (in Kombination ​mit den “Micromotions”) wird es einmal möglich sein, eine vollständige Abhängigkeit zur Technologie zu generieren. Reale Erlebnisse können so mit künstlichen ersetzt werden und es könnte eine völlig neue Dynamik zwischen der virtuellen und der realen Welt entstehen. Eine nie gekannte Ansammlung von Daten macht das möglich. Die große Gefahr dieser Datensammlungen, bzw. die Gefahr von Big

320

Schulz: Larry und die Mondfahrer, 60.

Schulz: Larry und die Mondfahrer, 65.

322 Vgl. Rehm: Google AI, DPReview.

323 Vgl. Pfeiffer: Künstliche Intelligenz, Home & Smart.

324 ​DeepMind Technologies Limited​: DeepMind for Google.

321

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Data, liegt in ihrem Potential, den Konsumenten durch seine völlige Berechenbarkeit in eine Unfreiheit zu treiben.

Jene Industrien, die Big-Data-Produkte mit eingebauter Totalüberwachung zur Marktreife bringen, haben keine Gewissensbisse [...]. Zu groß ist der Jubel und überschäumend die Begeisterung für aufstrebende intelligente Maschinen mit ihrem augenscheinlich unermesslichen Profitpotenzial. Alles, was technisch möglich ist, wird angedacht und umgesetzt , häufig ohne Reflexion der Folgen.325

Es lassen sich Wahrscheinlichkeiten errechnen, wann ein Mensch eine Grippe bekommen wird, wohin er am Wochenende mit Freunden Essen gehen wird und welches Reiseziel er als nächstes ansteuern wird, um nur einige Beispiele zu nennen. Werden nun auf Grundlage dieser Berechenbarkeit Produktplatzierungen auf besuchten Internetpräsenzen eingebaut, Vorschläge zu Restaurants in der Nähe geschaltet oder Reiseziele vorgeschlagen, die genau auf den Nutzer zugeschnitten sind, verliert der Konsument ein wichtiges Stück seiner Selbst: seine Entscheidungsfähigkeit. Mittlerweile werden bereits große Teile des menschlichen Lebens durch Algorithmen bestimmt und damit auch gelenkt. Menschliche Handlungen werden rationalisiert und vorhersehbar. Damit werden das menschliche Denken und moralische Werte beeinflusst. "[...] [T]he force which transforms human performance into a series of dependable reactions is an external force: the machine process imposes upon men the patterns of mechanical behavior [...]".326 “The standardization of thought under the sway of technological rationality also affects the critical truth values”.327 Durch die Bequemlichkeit des Menschen auf der einen und die Gier nach Profitmaximierung auf der anderen Seite, verliert der Mensch nach und nach seine Selbstbestimmung und überlässt Maschinen das Denken. Eine geistige Gefangenschaft ist zwangsläufig die Folge. Schon jetzt lagern Konsumenten einen Großteil ihres Wissens in ihr Smartphone aus. Rein theoretisch kann man dieses somit als ​Erweiterung des menschlichen Gehirns ​betrachten.

Was uns wie in einem Sog mitreißen wird, der enorme strukturelle Veränderungen unserer Gesellschaft, unserer Rechts- und Staatssysteme mit sich bringen wird, sind ​intelligente Maschinen​, die selbstständig in der Lage sind, aus riesigen, global verfügbaren Datenmengen eine detaillierte Lageanalyse zu erstellen, die in Echtzeit beschreibt, was wir tun, denken oder wünschen. Und in einer Feedbackschleife erhalten wir die Antwort dieser Maschinen, wiederum über das Internet: einen Dreiklang aus Informations- Gefühls, und Verhaltenskontrolle. [...] Denn intelligente Maschinen werden immer öfter tägliche Arbeiten auch für uns erledigen und erwecken so den Anschein moderner Heilsbringer.

325

Hofstetter: Sie wissen alles, 15.

Marcuse: Some Social Implications, 67.

327 Marcuse: Some Social Implications: 69.

326

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Größere Bequemlichkeit, ein schöneres, besseres, optimiertes Leben setzt voraus, dass uns intelligente Maschinen sehr gut kennen müssen. Und das ist der Preis, den wir zahlen werden: Bevor uns intelligente Maschinen optimieren und steuern können, werden sie in unser Denken eindringen.328

Ebenso besteht die Gefahr, dass sich künstliche Intelligenzen so weit entwickeln, dass sie den Menschen schließlich als überflüssig ansehen. Wobei allerdings schon heute künstliche Intelligenz große Teile des Finanzsektors beherrscht und durch Algorithmen, wie erwähnt, auch unser Leben, Denken und Handeln mitbestimmt. So warnte Elon Musk in einem Interview mit dem ​Aero Astro Centennial Symposium im Jahr 2014: “I think we should be very careful about artificial intelligence. If I had to guess at what our biggest existential threat is, it’s probably that. So we need to be very careful [...]”.329 Und Stephen Hawking warnte die BBC 2014: "The development of full artificial intelligence could spell the end of the human race".330 Auch E.M. Forster erkannte bereits im Jahr 1909 die Gefahren der Abhängigkeit der Menschheit von einer künstlichen Intelligenz und beschrieb dies anschaulich in seiner dystopischen Erzählung “Die Maschine steht still” (1909). In dieser leben Menschen isoliert in Kammern unter der Erde und ihre einzige Interaktion untereinander erfolgt durch die “Maschine”. Diese lenkt und bestimmt nicht nur ihren Alltag, sondern das gesamte menschliche Leben und sogar den Tod selbst.

Die große Sorge ist, dass “[...] auch die Wissenschaft selbst korrumpiert wird und zusammen mit der Technik zu einem bloßen Werkzeug irrationaler Herrschaft degeneriert”.331 In diesem Zusammenhang kann auch von ​Technik-Absolutismus gesprochen werden.

2.2 Dehumanisierung In einer Dystopie spielt die Entmenschlichung oft eine wichtige Rolle, da sie Optimierungswerkzeug der herrschenden Kaste / der Führungsperson ist. Es können tiefe Eingriffe in das menschliche Erbgut erfolgen oder ähnliche Maßnahmen, um die Entwicklung des Menschen gezielt zu lenken. Ein ebenso beliebtes Motiv ist die Manipulation der menschlichen Psyche oder das Versprechen der Verbesserung der menschlichen Gattung zum Wohle der Gemeinschaft. Dies hat die Anti-Utopie mit dem Transhumanismus gleich, der allerdings dieses Versprechen als Heilsbringung für das

328

Hofstetter: Sie wissen alles, 11 ff.

Musk (zitiert nach Gibbs): Elon Musk, The Guardian.

330 Hawking (zitiert nach ​Cellan-Jones): Stephen Hawking, BBC News.

331 Coenen: Transhumanismus, 155.

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Individuum anpreist. Auch hier lassen sich erstaunliche Parallelen zu E.M. Forsters Erzählung “Die Maschine steht still” (1909) ziehen: “Aber in ihrem Verlangen nach Annehmlichkeiten war die Menschheit zu weit gegangen. Sie hatte die Schätze der Natur fast aufgebraucht und versank allmählich in wohlgefälliger Dekadenz. Wer ‘Fortschritt’ sagte, meinte den Fortschritt der MASCHINE”.332 Ihre Welt ist zutiefst unnatürlich geworden, weil die ​menschliche Natur​ verändert worden ist [...]: 'Im Unterschied zu Menschen, die durch Krankheit oder Sklaverei herabgewürdigt werden, sind die Menschen der 'Schönen neuen Welt' zwar entmenschlicht, leben aber nicht im Elend, sie wissen nicht, dass sie dehumanisiert worden sind, und - was noch schlimmer ist - es wäre ihnen gleichgültig, wenn sie es wüßten.333

Diese Ziele werden oft mit dem Einsatz von wissenschaftlich-technischen Maßnahmen, wie der ​Nanotechnologie, der Biotechnologie und der Informationstechnologie,​ umgesetzt und, im Falle der Dystopie, erzwungen. Fortschritte im wissenschaftlich und technologischen sowie im materiellen Bereich werden allerdings oft durch Rückschritte in anderen Bereichen erkauft, wie der Bildung oder der Kultur, und führen durch ihre Einseitigkeit auf lange Sicht zu einer ​Dehumanisierung​, wie es in vielen Dystopien Thema ist.334 Die Dehumanisierung äußert sich dabei als entmenschlichter Zustand, in welchem die Betroffenen in einer ihrer Natürlichkeit entwurzelten Existenz leben.

In der modernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ist u.a. durch die Entkopplung des Todes und des Lebens bereits eine Form der Dehumanisierung eingetreten. Der Tod wird aus dem Leben und der Wahrnehmung der Menschen verbannt. Dies hat tiefgreifende psychologische Veränderungen des Bewusstseins zur Folge, die viele Probleme mit sich bringt. Eine häufige Folge ist eine (auch durch das Überangebot der Spaßgesellschaft bedingte) ​Lebensmüdigkeit.

Dass diese Seite der mit Converging Technologies verbundenen technikfuturistischen Visionen einer Zeit des Booms des Anti-Aging prominenten Status erlangt, ist wohl kaum ein Zufall. Die Probleme einer Gesellschaft, die Sterben und Tod zwar immer weiter aus ihrer Mitte verdrängt hat, und die, gerade weil Sterben und Tod nicht mehr im normalen Leben präsent sind, mit ihrer Existenz immer weniger zurecht kommt [...].335

Die Dehumanisierung wird in einer Dystopie nach transhumanistischen Maßstäben jedoch nicht erzwungen. Sie wird von den Bürgern gewollt und sogar gefordert, um dem Zwang nach Vergnügen und Bequemlichkeit nachzukommen.

Forster: Die Maschine steht still​, ​63.

Fukuyama: Das Ende des Menschen, 19.

334 Vgl.Coenen: Transhumanismus, 158.

335 Grunwald: Utopie und Technikfuturismus,101.

332 333

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Alphabets Zukunftsschmiede X entwickelt aktuell eine Pille, die Krebszellen orten kann und mit magnetischen Partikeln gefüllt ist. Dazu wird ein Wearable entwickelt, das diese Partikel im menschlichen Körper orten kann. X arbeitet darüber hinaus an einer Genom-Datenbank, die durch die Speicherung von Millionen von Genomen einen Fortschritt in der Medizin erzielen möchte. Die Informationen des Patienten sollen den behandelnden Ärzten in einer Cloud zur Verfügung stehen. Dadurch sind bessere Rundumbehandlungen möglich.336 Die Pille ist eine Form der Augmentierung des menschlichen Körpers und ein Vorbote der Nanotechnologie, die sich in diesem Fall kontinuierlich im Körper des Patienten befinden und diesen medizinisch überwachen soll. Dies könnte später auch als Präventionsmaßnahme Anwendung finden. Diese Art des Eingriffs in den menschlichen Körper und die Veröffentlichung und Digitalisierung genetischer Informationen ist der erste Schritt zu einem neuen Menschen in dessen Evolution künstlich eingegriffen wird. Hier werden die Parallelen zum Transhumanismus deutlich.

Bei Alphabets Tochterfirma Calico zeigen sich diese Parallelen noch klarer. Das Unternehmen hat sich der Forschung nach Unsterblichkeit und der ewigen Jugend verschrieben. Die Frage nach der Alterung des menschlichen Körpers und wie sich dieser Prozess aufhalten lässt, sind konkreter Forschungsgegenstand.337 Aber auch Aubrey de Grey, ein Forschungsbeteiligter an der Singularity University, arbeitet an der Aufhebung des Todes. Als ​führender Kopf der posthumanen Altersforschung ist er sich zudem sicher, alle theoretischen Zugänge zur deutlichen Lebensverlängerung des Menschen gefunden zu haben, wenn nicht sogar den Schlüssel zum ewigen Leben. In zwanzig Jahren, so Grey, könnte dies bereits Realität sein.338 Der Tod ist jedoch ein elementarer Bestandteil des Lebens. Schon vor Jahrtausenden haben Menschen versucht, den Tod zu überwinden. Es ist einer der ältesten Träume der Menschheit und würde uns durch seine Beseitigung aus den Fängen unserer biologischen Evolution reißen. Religion würde ihren Sinn verlieren und die Wissenschaft hätte sich ein für alle Mal über Gott erhoben. Der Mensch würde selbst zu einem Gottwesen werden. „Der Tod muß abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter“,339 so Bazon Brock im Jahre 1990. Ein Zitat, das die Motivation des Transhumanismus auf den Punkt bringt. ​Auf dieser Motivation gründen sich auch sämtliche Enhancement-Visionen, die moralisch durchaus fraglich

336

Vgl. Muoio: Google and Alphabet's 20, Business Insider.

Vgl. Schulz: Larry und die Mondfahrer, 66 f.

338 Vgl. Nuland: Wollen Sie ewig leben?, Heise.

339 Brock: Die Re-Dekade, 53.

337

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sind. Das Ziel ist die durch Zufall entstandene Evolution in eine planbare Richtung zu lenken.

“Humanity, for whatever progress we have made, is the result of an unguided, natural, 3.8 billion year long experiment of chemistry. Evolution is the process that has made you what you are. But it is nor farseeing. Is does not, and can not, consider the future [...]”.340

Human Enhancement wird dann nicht mehr nur als reine Chance begriffen (deren Alternative der Status quo ist), sondern scheint der einzige Ausweg für eine Welt zu sein, die von nicht kontrollierbaren Prozessen beherrscht wird und allgemein auf einen Abgrund zusteuert.341

2. Wirtschaftliche Kontrolle 2.1 Propaganda Die mittlere Schale des Modells behandelt die wirtschaftliche Kontrolle. Dieser sind sich viele Menschen bewusst, sie wird jedoch als einzig wahres System erkannt und nicht weiter kritisch hinterfragt. Auch hier lässt sich Hartmut Rosas Kommentar erneut passend anfügen: “​Mittlerweile können wir uns ja eher das Ende der Geschichte vorstellen als eine Alternative zur Steigerungslogik des Kapitalismus”.342 Dies liegt auch vor allem daran, dass ein Großteil der menschlichen Identität vom Konsum bestimmt wird. Dies beginnt bei der Kleiderwahl, über die Marke des Autos, des Smartphones, hin zu scheinbar simplen Aktivitäten wie der Wahl des Urlaubsortes. Dabei ist es irrelevant, ob es sich beim Konsumieren um eine Aktivität oder ein Produkt handelt. In einem System, das​ alles kommerzialisiert, sogar den Tod, gibt es kaum mehr die Möglichkeit, auszusteigen.

We need things consumed, burned up, worn out, replaced, and discarded at an ever increasing pace. We need to have people eat, drink, dress, ride, live, with ever more complicated and, therefore, constantly more expensive consumption.343

Begonnen hat diese Entwicklung mit dem Beginn der exponentiellen Beschleunigung im 18. und 19. Jahrhundert, bedingt durch die Technologisierung. Die meisten Wirtschaften vor dieser Zeit haben bedarfsdeckend operiert. Doch ab diesem Zeitpunkt wird Innovierung und Steigerung plötzlich zum Grundprinzip der Systemerhaltung.

​Hagan-Walker: PostHuman: An Introduction to Transhumanism, 0:37-0:55.

Vgl. Dickel: Enhancement-Utopien, 276.

342 Rosa: Die eingesparte Zeit, WirtschaftsWoche.

343 Lebow: Journal of Retailing, 3.

340 341

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Das Bruttosozialprodukt muss stetig wachsen in einer kapitalistischen Gesellschaft.344 Interessanterweise läutet dieser Zeitraum auch die Geburtsstunde der Dystopien ein.

Ein wichtiger Bereich der Wirtschaft ist das Schaffen eines Kaufzwangs mit Hilfe unterschwelliger Manipulation durch z.B. durch Werbung, die an das Ego des Konsumenten appelliert oder sein durch Konsum bestimmtes Selbstwertgefühl herabsetzt.

Dies wird mit Werbung erreicht. Oder, anders ausgedrückt, mit Propaganda - der Verbreitung von ideologischen Meinungen und Ideen mit dem Ziel, die Bevölkerung in einer bestimmten Art zu beeinflussen.

Mit Einzug des Fernsehens in jeden Haushalt in den 1950er Jahren hat sich diese Problematik noch weiter verschärft. Ein niedriges Unterhaltungsprogramm führt zur Banalisierung des Lebens sowie zur Ablenkung.345 Nachrichten und Sendungen dienen dabei als ​Werbeträger für das System​. “Television actually sells the generalized idea of consumption. It promotes the goal of higher living standards. But the commercials are an intrusion. The captive audience [is; S.W.] spending several hours a day viewing television [...]”.346 Ossip K. Flechtheim, einer der Begründer der Futurologie in Deutschland, schreibt in seinem Werk “Ist die Zukunft noch zu retten?” von 1987: “[...] [S]o könnten in der Tat die Menschen so weit ‘eingeschläfert’ werden, daß sie ‘freiwillig’ auf jedes selbstständige Denken und Handeln verzichten. Wer könnte auch auf Dauer einer Propaganda widerstehen, die einem das Wort im Munde umdreht und [...] die Überwachung als ‘Sicherung der Freiheit’ ausgibt. Diese Welt von morgen bestünde dann aus relativ zufriedenen Konsumenten oder gar glücklichen Robotern, deren Widerstandswille ein für alle Male gebrochen wäre”.347 Flechtheim spricht weiter von einem “sanften Totalitarismus”, wie es auch bei Huxley der Fall war.348 Mit der Entwicklung des Computers und des Internets in den 1980er und 90er Jahren tritt schließlich das Internet und der Computer als neues und erweitertes Propagandainstrument zu Tage. Werbung kann nun durch Datensammlung gezielt auf den Nutzer zugeschnitten werden und wird individualisiert. ​Dies macht sich auch der Transhumanismus zu eigen und nutzt in erster Linie das Internet zur Verbreitung transhumaner Visionen. Wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Artikel und Inhalte werden verbreitet und Produkte beworben und vertrieben. ​Die Gesellschaft wird offener für neue Technologien, Werte und Inhalte des Transhumanismus durch gezielte Propaganda.

344

Vgl. Rosa: Rasender Stillstand, 6:08-7:53.

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 100.

346 Lebow: Journal of Retailing, 5.

347 Flechtheim: Ist die Zukunft, 205.

348 Vgl. Flechtheim: Ist die Zukunft, 205.

345

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Mit dem Umbau Googles im Jahr 2012 zur Zukunftsschmiede und 2015 zu einer regelrechten Zukunftsmaschinerie unter dem Namen Alphabet, hat sich im Silicon Valley einiges getan. Viele der transhumanen und transhumanistisch inspirierten Projekte haben es zur Marktreife gebracht und werden weltweit beworben. Die Propaganda spielt allerdings auch noch in einem anderen Bereich des Silicon Valleys eine Rolle. In der Singularity University werden ​Privatpersonen, Regierungen, Investoren, akademische Institutionen und Unternehmen mit dem richtigen Mindset, Methodenkasten und einem Netzwerk ausstatten, um Lösungen für bahnbrechende technologische Innovationen zu finden.349 Außerdem bietet sie ​Unterstützung für Firmen bei der Lösung komplizierter technologischer Aufgaben.350 Ihre Mission ist ​“[...] to educate, inspire, and empower leaders to apply exponential technologies to address humanity's grand challenges”.351 Mit anderen Worten, die Singularity University möchte der Welt ihren Stempel aufdrücken und das Denken weltweit verändern.352 Sie überträgt damit ihre Ideale und Überzeugungen auf ihre Partizipanten, die dieses Wissen mitnehmen und ihrerseits weiterverbreiten. Die SU hat zudem bereits auf der ganzen Welt expandierte Standorte, um noch mehr Leute aus der Wirtschaft, Investoren und Regierungen zu erreichen. Schlussendlich kann auch dies als Propagandaverbreitung verstanden werden - denn auch hier werden wieder ideologische Meinungen und Ideen verbreitet um die Partizipanden zu beeinflussen (und damit auch indirekt die Wirtschaft, Regierungen, etc.).

3.2 Konsum & Entertainment “In den neuen technologischen Utopien steht [...] die Erweiterung des Erlebens und Handelns auf Basis biologischer Modifikationen im Vordergrund”.353 Es gilt:​ ​Konsum als Selbstzweck des Lebens​.

Dies ist in ihren Anfängen auch schon in unserer Gesellschaft der Fall. Das kapitalistische System hat jeden Bereich des Lebens kommerzialisiert. Ein Leben ohne Konsum ist nicht mehr möglich und würde einen vollständigen Austritt aus der Gesellschaft verlangen. Das Erleben und die eigene Person stehen im Vordergrund des Lebens.

Transhumanistische Utopien offerieren ein Modell immerwährender Verbesserbarkeit in vielfältige Richtungen, das vollumfänglich kompatibel mit einer beschleunigten Wachstumsgesellschaft erscheint - einer Gesellschaft, die selbst auf Optionssteigerung

349

Vgl. N.N.: About, Singularity University.

Woll: Transhumanismus und Posthumanismus, 46.

351 N.N.: About, Singularity University.

352 Vgl. N.N.: Commonly Asked, Singularity University.

353 Dickel: Utopische Positionierungen: 189 f.

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programmiert ist - und in der Technologie zunächst immer als Steigbügelhalter weiterer Optionssteigerung und Entgrenzung gedeutet wird.354

Der Konsum an sich wird zum Lebensinhalt, und, um es provokativ auszudrücken, zur neuen Religion erhoben. Er verspricht Seelenheil, wenn auch nur für kurze Zeit. Ist der Effekt abgeklungen, wird erneut konsumiert. Glückseligkeit besitzt somit ein Verfallsdatum.

Our enormously productive economy demands that we make consumption our way of life, that we convert the buying and use of goods into rituals, that we seek our spiritual satisfactions, our ego satisfactions, in consumption.The measure of social status, of social acceptance, of prestige, is now to be found in our consumptive patterns. The very meaning and significance of our lives today expressed in consumptive terms. 355

Das Selbstwertgefühl des Bürgers befindet sich damit in direkter Abhängigkeit zu Statussymbolen, wie z.B. Einkommen, Vermögen, beruflicher Anerkennung, Titeln und Orden und sogar der Freizeitgestaltung. Aus Sucht nach einer Ersatzbefriedigung stürzt er sich in sinnleeren Konsum.356 Dabei ist dieser mittlerweile der bestimmende Faktor des Selbst geworden. Er definiert das Individuum und kehrt das Innere durch seine Zurschaustellung materiellen Gutes nach außen. Die Selbstdarstellung ist ein wichtiger Faktor des Prinzips des Individualismus.

The philosophy of individualism established an intrinsic connection between individuality and property. According to this philosophy, man could not develop a self [...]. The domain thus conquered and cultivated had become part and parcel of his own 'nature'. Man removed the objects in this domain from the state in which he found them, and made them the tangible manifestation of his individual labor and interest. They were his property because they were fused with the very essence of his personality.357

Diese Perfidie, die unserem kapitalistischen Weltbild entsprungen ist, ist entscheidend für den Transhumanismus des 21. Jahrhunderts. Nur durch den Drang der ständigen Ego-Befriedigung, kann eine globale Transformation der Menschheit gelingen. Dies erzeugt jedoch großen Druck auf das einzelne Individuum.

The costs of distribution actually represent the pressure needed to maintain the high level of consumption. [...] The total result of the pressure is to change the pattern of living. The persuasive techniques for instilling new wants into the consumer may result, in buying the new Hi-Fi set, or the new refrigerator, or the new car, and result also in displacing or postponing the purchase of clothes, or furniture, or vacation trips. [...] ​The greater the pressures upon the individual to conform to safe and accepted social standards, the more

354

Dickel: Utopische Technologien, 113 f.

Lebow: Journal of Retailing, 3.

356 Vgl. Flechtheim: Ist die Zukunft, 194.

357 Marcuse: Some Social Implications, 77.

355

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does he tend to express his aspirations and his individuality in terms of what he wears, drives, eats- his home, his car, his pattern of food serving, his hobbies.358

Technologische Applikationen übernehmen dabei einen Großteil des Entertainment-Angebotes. Filme werden über das Smart-TV, den Computer, das Tablet oder das Smartphone angeschaut. Musik und Spiele, Social-Media, Fotos, Unterhaltungen und Einkäufe erfolgen ebenfalls über letzteres. Das Smartphone wird dabei immer mehr zum Dreh- und Angelpunkt der Vernetzung. Aber auch die virtuelle und erweiterte Realität wird in absehbarer Zeit einen Großteil des Vergnügungsangebotes übernehmen. Mit der Technologisierung steigt das Angebot für neue Formen des Konsums und Entertainments stetig an, ebenfalls die Nachfrage. Der Konsument ist in einem Datennetz gefangen, das seinen Geist beschäftigt hält. Diese Gefangenschaft unterliegt jedoch keinem auferlegten Zwang. Er wird von der Gesellschaft begrüßt und selbst generiert. Das reichhaltige Konsum- und Entertainment-Angebot verführt mit seiner Vielzahl an Unterhaltungs- und Entfaltungsmöglichkeiten. Es existieren starke Parallelen zu Huxleys “Schöner neuen Welt”, die ganz im Kontrast zu Orwells düsterem Zukunftsentwurf des Zwangs und der Enthaltsamkeit steht: “Endlich kamen die Aufsichtsräte zur Einsicht, daß es mit Gewalt nicht ging”. Es komme [...] eher darauf an, die Menschen zu verführen, in einer “wohlgeordneten” Gesellschaft zu leben, als sie dazu zu zwingen. In dieser Welt sind Leid und soziale Konflikte abgeschafft, es gibt keine Depressionen, keine Illusionen, keine Einsamkeit, keine emotionalen Schwierigkeiten, Sex ist etwas Positives und leicht zu bekommen.359

Kritisches Denken, das einen Ausweg aus diesem Kreislauf ermöglichen würde, wird durch das unendlich große Angebot der Spaßgesellschaft und durch die Bedürfnisweckung des Konsums weitestgehend verhindert. Individuelle Werte wie der soziale Status sind wichtiger als die kritische Auseinandersetzung mit dem System. ​Der Bürger wird zum “passiven Abnehmer der Welt, die für ihn durch andere gestaltet wird”.360 “Die verschiedenen Geräte, Bildschirme und Maschinen in der Wohnung der Zukunft werden nicht nur nützlich sein, sondern Unterhaltung, Ablenkung, geistige und kulturelle Bereicherung, Entspannung und soziale Kontakte bieten”.361 Jedoch wird​ ​die Mehrheit der Bevölkerung durch dieses enorme Konsum- und Entertainment-Angebot der Spaßgesellschaft unterhalten und ruhiggestellt.362

358

Lebow: Journal of Retailing, 1 ff.

Fukuyama: Das Ende des Menschen, 18.

360 Zeißler: Dunkle Welten, 25.

361 Schmidt / Cohen: Die Vernetzung, 40.

362 Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 220.

359

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3.2 Isolation Es existieren zwei Arten der Isolation. Einmal die Isolation in der Masse (u.a. durch Technologie) und die Isolation der Welt außerhalb des (kapitalistischen) Systems.

Ersteres zeigt sich vor allem in der Verflachung menschlicher Beziehungen, bspw.

Freundschaften oder Ehe, zum Teil bedingt durch technologische Isolation und zum anderen durch den Lebensstil. ​Die große Gefahr hierbei ist, dass sich das System diese dysfunktionalen Beziehungen und die fehlende emotionale Sicherheit zu Nutze macht.

Solche intensiven Beziehungen kosten Zeit und Kraft und setzten eine einigermaßen humane Umwelt voraus. Unsere heutige krisengeschüttelte Gesellschaft bietet jedoch keine besonders günstige Umgebung für die Entfaltung von Liebe, Fürsorge und Verantwortung; sie fördert viel eher den Egoismus des einzelnen, der sich im Konkurrenzkampf durchsetzen muß.363 Unzureichender Wohnraum und Isolierung im Wohnsilo führen zu Kontaktlosigkeit selbst in der Nachbarschaft.364

Man kann sogar soweit gehen und behaupten, dass des System den Bürger gezielt zu tiefen zwischenmenschlichen Beziehungen unfähig macht, um die entstandene Bedürfnislücke zu nutzen um ihn noch stärker an sich zu binden und die Wirtschaft weiter anzukurbeln. Durch diese Manipulation der Psyche lebt der Bürger im Glauben, sein Staat sei der beste aller möglichen Staaten.365 Daraus erfolgt eine geistige Isolation und Abschottung von der Welt außerhalb des Systems.

Im Transhumanismus führt diese Entfremdung und Isolation zu einem verzerrten Weltbild.

Die Welt außerhalb des technisierten Lebens, das nicht von Algorithmen und technischen Helfern bestimmt ist, wird nicht mehr als alternativer Lebensraum begriffen, sondern als schlichtweg ​lebensunwürdige​ Existenz (Vergleich hier mit der Dritten Welt). Eine alternative Lebensweise zur Wachstumsgesellschaft der Spätmoderne existiert nicht mehr im öffentlichen Diskurs. E.M. Forsters Erzählung “Die Maschine steht still” (1909) liefert eines der deutlichsten Beispiele für die Abhängigkeit der Menschen von Technologie.

In dieser Dystopie leben die Menschen in einer unterirdischen, abgekapselten Welt mit allem Komfort: Das ganze Leben ist durch die “Maschine” perfekt geregelt. Sie haben kein Bedürfnis mehr nach persönlichen Begegnungen, die Maschine gibt das Denken vor - und ausschließlich über sie wird kommuniziert. Das Handbuch der Maschine ist zu einer Art Bibel geworden, die ein jeder anbetet wie einen Gott. Doch die Menschen sind gefangen in ihrer vollkommenen Abhängigkeit von der Technik, die sie schon bald nicht mehr kontrollieren können...366

363

Flechtheim: Ist die Zukunft, 189 f.

Flechtheim: Ist die Zukunft, 194.

365 Vgl. Meyer: Die anti-utopische Tradition, 67.

366 Runge: Die Maschine steht still, Inhalt.

364

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“Die Maschine steht still" ist vielleicht eines der beeindruckendsten Zukunftsbilder, die je geschrieben wurden. Forster sieht das Internet, Skype, Luftverkehr, künstliche Intelligenz und unsere Abhängigkeit zu ihr voraus. Er hält der heutigen Welt einen Spiegel vor, und das in einer Zeit, in der es in den wenigsten Haushalten überhaupt Strom gab.

Jahrzehnte, bevor der erste Computer überhaupt erfunden wurde. Der Austritt aus diesem System ist nur durch den Tod möglich oder durch “Heimatlosigkeit”, die das Aussetzen auf die Erdoberfläche bedeutet und damit, aufgrund giftiger Luft, ebenfalls den Tod. Durch die Technologisierung der Lebenswelt isoliert sich der Mensch immer mehr von seiner Umwelt. Natürlich existieren menschliche Beziehungen, auch tiefe Bindungen, doch verlieren sie aufgrund des starken Ich-Bezugs der heutigen Zeit immer mehr an Bedeutung. Das Leben findet zum Großteil am Computerbildschirm statt, in einer simulierten Realität. Die Kommunikation findet zwar nicht ausschließlich, wie bei Forster, über das Internet statt, jedoch zum großen Teil.

Darüber hinaus werden alternative Lebensentwürfe vom Großteil der Bevölkerung belächelt oder mit Mitleid bedacht wird. Unter diesen Entwürfen sind beispielsweise autonome Öko-Kommunen zu verstehen oder der Lebensstil eingeborener Völker.

Lebensstile, die vor allem auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit und des Miteinanders beruhen und nicht auf dem Prinzip des “Homo oeconomicus”, eines ​Nutzenmaximierers​.

Eine derartige Sicht beschränkt das kritische Denken und lässt wenig Raum für Überlegungen einer nachhaltigen Wirtschaft. Natürlich existieren solche Denkanstöße. So wird es z.B. in Ländern wie Deutschland als Tugend angesehen, den Müll zu trennen. An der Gesamtsituation ändert sich jedoch im Grunde nichts, da sich das Kaufverhalten nicht wandelt. Um es mit den Worten von Dennis L. Meadows in seinem Bericht “The Limits to Growth” von 1972 zu sagen: Taking no action to solve these problems is equivalent to taking strong action. Every day of continued exponential growth brings the world system closer to the ultimate limits to that growth. A decision to do nothing is a decision to increase the risk of collapse.367

4. Philosophische Kontrolle 4.1 Abkehr von Religion Seit der Aufklärung und des Humanismus steht der Mensch selbst im Mittelpunkt seines Daseins. Dies steht im direkten Zusammenhang mit der Abkehr von einem Leben nach Gottes Maßstab (im Glauben, dass die Taten im diesseitigen Leben dasjenige im Jenseits beeinflussen) hin zu einem selbstbestimmten Leben nach eigenem Ermessen 367

Meadows: The Limits to Growth, 183.

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(im Glauben, dass nach dem Tod nichts mehr kommt). Mit einer überragenden Mehrheit von 36,2% an Bürgern ohne Religionszugehörigkeit und Konfessionsfreien, die diese Ansicht vertreten und nach diesem Regelmaß leben, überrascht dies kaum (Abb. 5, s. u.).

Die römisch-katholische Kirche kommt noch auf 28,5%, dicht gefolgt von der evangelischen Kirche mit 26,5%. Auf den gerinsten prozentualen Wert kommen konfessionsgefundene Muslime mit 4,9% und sonstige Religionszugehörigkeiten mit 3,9% (Stand 2016).

EKD: Bischofskonferenz, REMID, BAMF, eigene Berechnungen, Optikabwandlung (Abb. 5).

Dies hat eine regelrechte ​Todesflucht​ zum Ergebnis und eine Zentralisierung des Diesseits. Durch den Wegfall des Erlösungsversprechens des Paradieses wird die Erlösung im Diesseits gesucht. Das erfolgt meist mit der Partizipation an der Spaßgesellschaft und einem extremen Individualismus, der in einem exzessiven Konsum mündet.

Auf dem Höhepunkt seiner Fortschrittsgläubigkeit hatte der Mensch gehofft, den Tod, wenn nicht zu besiegen, so doch immer weiter hinauszuschieben. Heute bemächtigt sich der Mensch eine verstärkte Existenz- und Todesangst. Auf ein sinnentleertes Leben wirft der Tod wieder düstere Schatten. [...] Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit droht nicht nur der Tod des Individuums, sondern die Auslöschung der Gattung Mensch. [...] In

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unserem säkularisierten Jahrhundert scheinen auch überkommene Religionen oder Ideologien nicht mehr in der Lage zu sein, als Seelentröster dieses Vakuum zu füllen.368

In einer Gesellschaft, die an das grenzenlose Wachstum, und damit auch an grenzenlosen Konsum gewöhnt ist, nimmt auch das Verlangen nach mehr nicht ab, im Gegenteil. Es wird nie gesättigt und verleitet den Konsumenten zu immer erneuten Käufen. Bei einigen kann dies teilweise krankhafte Auswüchse annehmen und äußert sich im Kaufzwang oder Kaufsucht. Dies erhöht erneut die Abhängigkeit zum System.

Der Glaube an einen Schöpfergott passt dabei nicht zum modernen aufgeklärten Menschen. Traditionelle Werte verlieren ihre Gültigkeit und werden durch moderne ersetzt. Der Mensch im Zentrum ist das neue Maß aller Dinge. Das Erleben und Erfahren ist wichtiger, als sein Leben den Maßstäben eines Gottes unterzuordnen.

Doch nicht nur im kapitalistischen westlichen Weltbild, auch im Transhumanismus wird die Existenz eines Schöpfergottes vehement bestritten. Der Transhumanismus erhebt sich selbst in die Rolle einer Religion, indem er Wunschbilder von Zukünften schafft, die durch ihren prophetischen und paradiesischen Charakter klassischen Religionen ähneln, die z.T. ebenfalls ein Leben nach dem Tod und die Heilung aller Leiden und Krankheiten als Heilsversprechen beinhalten. Man kann deshalb fast schon von einer​ Technoreligion sprechen. Der Unterschied im Transhumanismus ist jedoch die Erreichung dieser Ziele durch Menschenhand. Er tritt an die Stelle einer Ideologie, die einem Dogma gleich Glaubenssätze festlegt und somit der menschlichen Sehnsucht nach Spiritualität nachkommt.369 ​Der Mensch wird seinen ursprünglichen moralischen Vorstellungen entwurzelt und steht nun selbst im Zentrum allen Seins.

Da es keinen allwissenden und allsehenden Schöpfergott mehr gibt, ist der Mensch selbst für seine Erlösung verantwortlich und muss sich schließlich selbst überwinden, um diese zu erlangen. “Wer seinen Schöpfer zu verehren wünsche, müsse dies durch die Verehrung der Menschheit tun”.370 Neben dem quasi-religiösen Anspruch und der Überwindung des menschlichen Körpers mit Hilfe von wissenschaftlich-technischen Mitteln, ist dem Transhumanismus auch eine Verachtung gegenüber dem fragilen, biologischen menschlichen Körper zu eigen. Ein Körper nach transhumanen Ansprüchen ist nicht mehr seinen Emotionen, Krankheit und dem Tod unterworfen. Ebenfalls soll der zukünftige Mensch nicht mehr an sein irdisches Dasein gefesselt sein. Er wird das Weltall kolonisieren und welterschaffender Herrscher

368

Flechtheim: Iste die Zukunft, 195.

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 44 ff.

370 Reade: The Martyrdom, 536.

369

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des Universums sein, gottgleich.371 Dies sind die Heilsversprechen, die dem Transhumanismus zu eigen sind und im Silicon Valley teilweise bereits realisiert werden.

Die Ähnlichkeiten zu einer Religion sind dabei kaum zu leugnen, getarnt unter dem Deckmantel der Wirtschaftlichkeit und mit dem nötigen Kapital ausgestattet, diese Visionen in die Gesellschaft einfließen zu lassen. Zusammen mit der generellen Abkehr von den klassischen Religionen und der Hinwendung zu einem selbstgefälligen Lebensstil, ist der Mensch offen für Alternativentwürfe von Quasi-Religionen, die augenscheinlich keine sind, aber dennoch dem tief verwurzelten Wunsch nach Spiritualität des Menschen nachkommen. Dabei sieht der Transhumanismus die Erfüllung seiner Agenda als unumgänglich an. Die einzige Erlösung würde der Mensch finden, wenn er sein Seelenheil selbst in die Hand nähme. Glauben und Traditionen stehen dem Fortschritt dabei im Weg und damit auch der transhumanistischen Zukunftsvision.

4.2 Gesellschaftliche Abhängigkeit Die Abhängigkeit der Gesellschaft von einer Führungselite oder Führungsperson in Dystopien, kann sich je nach Kontroll- und Manipulationsgrad bis hin zu einer religiösen Verherrlichung der herrschenden Kaste auswachsen. Dies geschieht vor allem durch die Manipulation der menschlichen Psyche, sei es durch Konditionierung vom Kindheitsalter an und Drogen wie bei Huxley oder mit Hilfe von Propaganda wie bei Orwell. Diese nachhaltigen Veränderungen der menschlichen Psyche haben jedoch zur Folge, dass sich die Bürger ihrer geistigen Unfreiheit nicht mehr bewusst sind.372 Der Transhumanismus zeigt ebenfalls ein starkes Interesse an dieser Art der Manipulation und an der rationalen Kontrolle des menschlichen Gefühlslebens.373 Durch die subtile Implementierung transhumanistischen Gedankenguts in die Gesellschaft, z.B. über das Internet, entsteht eine unterbewusste Verehrung einer Ideologie, die sich unter dem Deckmantel des Konsums verbirgt und äußerst schwer zu identifizieren ist. Es wird zum einen der Konsum zu einer Ersatzreligion erhoben, wie auch der Transhumanismus mit seinem Versprechen der Verbesserung der menschlichen Spezies und der Unsterblichkeit. Der Konsum erreicht dies durch die ständige Neugenerierung einer inneren Leere und der Weckung des Haben-Wollens.

371

Vgl. Coenen: Transhumanismus,143 f.

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 43.

373 Vgl. Coenen: Transhumanismus,148.

372

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The technological process not only levels individuality but also tends to transcend it where it concurrent with scarcity. Mechanized mass production is filling the empty spaces in which individuality could assert itself.374

Der Transhumanismus tritt gleich selbst an die Stelle einer Ideologie, die einem Dogma gleich Glaubenssätze festlegt.375 Er nutzt dabei die Urängste des Menschen, bezogen auf den Tod und das Streben nach ewiger Jugend aus, um seine Anhängerschaft zu mehren.

Diesem Versprechen kommt er mit Konvergenztechnologien nach, wie z.B. mit Hilfe von Biotechnologie, Nanotechnologie, Informationstechnologie und den Neurowissenschaften​.

Jedoch existiert das Problem, wie eine gesellschaftliche Umsetzung dieser Konvergenztechnologien aussehen soll und welche Auswirkungen sie auf die zukünftige Struktur unserer Gesellschaft haben wird. Allein schon aufgrund der Uninformiertheit der Masse ist zu befürchten, dass diejenigen, die den technologischen Fortschritt so vehement vorantreiben, starke Eigeninteressen pflegen. Aufgrund ihres Wissensvorsprungs und ihrer ökonomischen Macht sind sie durchaus imstande sind, die Massen zu manipulieren.

Die Risiken der Technologisierung werden dabei klein geredet, damit das versprochene “goldene Zeitalter” seine suggestive Kraft auf die Massen entfalten kann.376 Man muss sich fragen: “Ist die Furcht vor einer exklusiv implizierten Agenda des Transhumanismus berechtigt, wonach das Versprechen der Unsterblichkeit nur einer kleinen”377 “Kaste der Götter (vorbehalten ist; O.H.), die man schon heute fast nie sieht und denen sterbliche Menschen in einem Maße wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit gleichgültig sind”?378 Diese Furcht ist durchaus berechtigt, wenn die Gefahr des Missbrauchs durch die führende Kaste mit eingeklammert wird: Die hier relevanteste [...] Gedankenfigur [...] ist der Missbrauch der Technowissenschaften durch technokratische Eliten. Diese Eliten wenden sich nicht nur gegen Individualität und Menschlichkeit, sondern auch gegen eine bedürfnisorientierte Technik sowie letztlich gegen die Wissenschaft selbst, insbesondere durch die Verteufelung des Zweifels und der Emotionen sowie durch die Unterdrückung jeder Verbesserung der Lebensbedingungen “von unten” und allen geistigen Fortschritts.379

374

Marcuse: Some Social Implications, 76.

Vgl. Zeißler: Dunkle Welten, 44 ff.

376 Vgl. Saage: Zur Differenzierung, 131 f.

377 Hansmann: Transhumanismus, 108.

378 Lohmann: Editorial, 14.

379 Coenen: Transhumanismus, 161.

375

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Man darf jedoch nicht von der Annahme ausgehen, dass diejenigen, die an den Schaltern sitzen und die Technologisierung privat finanzieren, diese Position auch zukünftig halten können werden.380 Um ein solches Szenario auszuschließen, müsste die Elite ​selbst ​Technologieentwickler sein. In der Folge betritt eine neue, potenzielle Machtelite die Bühne: Biotechnologie-Entwickler mit relativ kleiner finanzieller Basis könnten nämlich versuchen, die Macht zu übernehmen, indem sie die am weitesten entwickelten Erweiterungen nicht zum Kauf anbieten, sondern exklusiv sich selbst implantieren.381

Einschlägig qualifizierte Wissenschaftler, Ingenieure und ihre privaten und öffentlichen Geldgeber, in deren Auftrag anwenderbezogene Forschungen betrieben werden, könnten diesen Platz künftig einnehmen. Inwiefern diese neue Machtelite jedoch demokratischen Kontrollen unterliegt, wird erst die Zukunft zeigen.382 Technologie-Entwickler könnten also mittelfristig immensen evolutionären Vorteil erlangen [...]. Notwendig sind nur das Verschaffen eines evolutionären Vorteils und dessen partieller Einsatz auf dem Gebiet der Ökonomie.383

Eine Gesellschaft, in der das Ausmaß an Eigentum ​das​ Entscheidungskriterium darstellt (und die das "Überleben des Tüchtigsten" praktiziert), wird die Verfügbarkeit solcher Technologien zmd. am Anfang über den Preis regeln. Vorrangig vermögende Bürger werden entscheiden, wer welche Erweiterungsstufe bekommt.384 Mit anderen Worten: Die Elite, diejenigen mit dem meisten Kapital, werden die besten technologischen Verbesserungen erhalten. Dies verschafft den verbesserten Menschen einen enormen evolutionären Vorteil gegenüber der nicht verbesserten Bevölkerung.

Ihre Machtansprüche würden sie nicht mehr aus dem verfügbaren Kapitel ableiten, sondern aus ihrem weit überlegenen Intellekt, den sie außer in der Wissenschaft, Rechtsprechung und Politik, für eine verbesserte Position am Markt einsetzen könnten: Nur Personen, die auf dem neuesten technologischen Stand sind, hätten die besten Chancen im Wettbewerb. Dies führt zur Entstehung von “Technologie-Dynastien”.

Wenn dies eintreten sollte, wäre es immer schwerer, vorhandene Machtstrukturen innerhalb des Systems zu durchbrechen.385 “Hierarchische Strukturen in der Gesellschaft würden nicht nur vermittels mehr oder weniger freiwilligen Respekts vor Höhergestellten aufrechterhalten, sondern vorrangig durch unterschiedliche intellektuelle Kapazitäten der

380

Vgl. Saage: Zur Differenzierung, 132.

Bödefeld: Die technologische Singularität, 70.

382 Vgl. Saage: Zur Differenzierung, 132.

383 Bödefeld: Die technologische Singularität, 71.

384 Vgl. Bödefeld: Die technologische Singularität, 69.

385 Vgl. Bödefeld: Die technologische Singularität, 69 f.

381

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Angehörigen verschiedener Stufen, wie es schon in Aldous Huxleys ​Schöne neue Welt anklingt”.386 Wie würde sich eine Zukunft gestalten, “[...] in der sich die Eliten nicht nur über Eigentum, sondern auch über Implantate vom gemeinen Menschen abheben? Werden einfache Menschen dann überhaupt noch ‘benötigt’? Wird die Bestimmung des Wertes einer Person über die Anzahl und Qualität seiner Implantate stattfinden? Wird es eine Unterteilung in höhere und niedere Menschen geben”?387 Eine konkrete Antwort darauf wird die Zeit zeigen müssen.

4.3 Entfremdung der Natürlichkeit Durch die Technologisierung entsteht ein Bruch zwischen der natürlichen und der dystopischen Welt, wie es auch in einer Utopie der Fall ist. Die natürliche Welt ist dabei aus der Gesellschaft verbannt, was auch eine Folge der “Verstädtlichung” der Umwelt ist.

Darüber hinaus wird ihr mit Misstrauen begegnet.388 Dieser Bruch wird in der Utopie von der Gesellschaft bejaht, währenddessen sich der Protagonist der Dystopie seiner Natürlichkeit entrissen fühlt und die natürliche Welt außerhalb der Dystopie wird für ihn zum Ort der Befreiung von der durchgeplanten strikten Ordnung des Systems.

Das Konzept der Nachkommenschaft, Sexualität, Familie, Religiosität, Arbeit und Selbstdefinition werden vom System völlig abgedeckt und damit ihrer natürlichen, jahrtausendealten Traditionen entwurzelt. Lebensrhythmen, nach denen seit vielen Generationen gelebt wurde, lösen sich in einer Technokratie vollständig auf.

Der Naturbegriff ist dabei in unserer Kultur zu einem Symbol des Guten und Bewahrenswerten geworden. Man kann behaupten, dass dies gerade an der Technologisierung der Lebenswelt liegt, wenn diese Aussage auf den ersten Blick auch widersprüchlich erscheint.389 Jenes, das rar geworden ist, erhält einen neuen, kulturell unschätzbaren Wert in der Gesellschaft. Das Attribut "natürlich" kann dabei als Gegenbegriff für all jenes fungieren, das in gewohnte und über lang praktizierte Lebensweisen eingreift und diese verändert. Der Begriff der Natur verschmilzt somit mit dem Begriff der Tradition.390

386

Bödefeld: Die technologische Singularität, 70.

Bödefeld: Die technologische Singularität, 72.

388 Vgl. N.N.1: Utopias and Dystopias, ReadWriteThink.

389 Vgl. Dickel: Utopische Technologien, 108.

390 Vgl. Schulz-Schaeffer: Sozialtheorie, 36.

387

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Mit Verweisen auf Natürlichkeit wird die Sphäre des Gewohnten und traditionell Erwarteten vor den Unwägbarkeiten einer unbekannten Zukunft kulturell geschützt. Wer sich heute auf Natürlichkeit beruft, meint somit eigentlich die Vertrautheit der Lebenswelt. Doch hilft die Flucht in eine idealisierte Natur in einer durch und durch technisierten Welt nicht mehr weiter.391

Die Technologisierung unserer Lebenswelt ist zum Teil des alltäglichen Lebens geworden, doch lässt sich die Frage stellen, ob dieser Zustand wirklich natürlich ist. Im Grunde führt dies zur These, die auch der Transhumanismus vertritt: Der Mensch definiert sich durch sich selbst, durch seine technischen Errungenschaften, die ihn erst zum Menschen machen. Er ist als einziges Lebewesen imstande, Werkzeuge herzustellen und nicht nur natürliche Gegenstände als solche umzufunktionieren.

Das Ziel des Transhumanismus ist letztlich die “[...] Überwindung biologischer Grenzen und der damit verbundenen Verheißung eines Ausbruchs aus dem Gefängnis der Natur [...]”.392 ​Der Mensch definiert sich nach der Theorie des Transhumanismus nicht durch seine Biologie, sondern durch seine Kultur. Er ist demnach ein natürliches und kulturelles Wesen (diesen Zustand versucht der Transhumanismus jedoch aufzulösen).

Diese Behauptung ist jedoch mehr als fraglich, wenn man sie auf die extreme Technologisierung der Moderne bezieht. Jahrtausende lebte der Mensch nach mehr oder weniger denselben Traditionen und natürlichen Gesetzmäßigkeiten.

Doch all dies änderte sich abrupt im 19. Jahrhundert und nahm im 20. Jahrhundert erst richtig an Fahrt auf. Mit der Geburtsstunde des Computers im Jahre 1941, begann eine rasante Entwicklung, deren Ende auch heute kaum absehbar ist. Der Siegeszug der Informationstechnologie änderte die menschliche Lebenswelt so rasant, dass eine Anpassung an den neuen Lebensraum kaum möglich ist. Tagesrhythmen werden durch Algorithmen bestimmt, die Technologie wächst immer näher an den menschlichen Körper heran.

Die Wirtschaft formt heute in großem Maße viel stärker die Märkte als der Konsument. Sie nutzt die Bequemlichkeit und Kuriosität der Bevölkerung aus, um Wachstum zu garantieren. Begründet wird dies mit der immer komplizierter werdenden technologischen Welt. Im Grunde generiert die Wirtschaft ein Problem und bietet dann Lösungen an, welche die Wirtschaft erneut ankurbeln. Natürlich spielt dabei auch der Individualismus eine große Rolle: “The crowd is an association of individuals who have been stripped of all 'natural' and personal distinctions and reduced to the standardized expression of their abstract individuality, namely, the pursuit of self-interest”.393 Individualität bedeutet 391

Dickel: Utopische Technologien, 108.

Hasselmann: Vom Einwandern, 13.

393 Marcuse: Some Social Implications, 71.

392

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schließlich nichts anderes, als Eigeninteresse. Dabei könnte mit der Hinwendung zu einer Gesellschaft, die mehr auf das Allgemeinwohl ausgelegt ist, auch ein großer Teil der Natürlichkeit zurückerobert werden: ​“The less individuality is required to assert itself in standardized social performs, the more it could retreat to a free 'natural' ground".394 Auch im Utopie-Diskurs erheben sich kritische Stimmen gegen diesen Bruch mit der Natürlichkeit und gegen die Eroberung des Lebensraumes durch Technologien. Die Gefahr hierbei ist auch vor allem die einseitige Entwicklung von Technik, die vor allem dem System und den Eliten zunutze ist und nicht der Gesellschaft.

Auf der einen Seite wenden sich einige utopie-kritische Stimmen gegen die einseitige Entwicklung bestimmter technischer Erfindungen, der Wissenschaft an sich, oder gegen technische Entwicklung selbst, die nach Ansicht vieler im zunehmenden Maße die Natur zerstört und den Menschen von seiner Umwelt entfremdet. Auch gilt die Sorge der Unterordnung des Menschen und menschlicher Ethik unter das Primat der Wissenschaftsund Technikentwicklung [...].395

Auch die Ethik ist ein wichtiger Bestandteil der Menschlichkeit. Dazu gehören zum einen das ethische Empfinden und zum anderen eine diesem Empfinden gerecht werdende Umwelt. Beides wird von einer Technokratie untergraben. Künstliche Intelligenz und Algorithmen kennen keine Ethik. Nur jene, welche ihnen einprogrammiert wurde. Es stellt sich die Frage, inwieweit künstliche Intelligenzen und Algorithmen zur ethischen Reflexion moralischer Grundsätze imstande sein werden. Wie werden diese digitalen Konstrukte diese Konzepte künftig wahrnehmen? Es besteht die Gefahr einer Rationalisierung der Lebenswelt.

Wenn die Technik den Menschen immer mehr Entscheidungen abnimmt, spielt Ethik eine immer mehr untergeordnete Rolle. Dies gilt auch für die Natürlichkeit. Zum einen erhält sie durch ihre Rarität in der technologisierten Lebenswelt einen hohen Stellenwert (erobert auch stellenweise wieder Stadträume zurück). Zum anderen wird sie jedoch, besonders wenn Natürlichkeit mehr im Sinne der Ursprünglichkeit menschlichen Daseins verstanden wird, immer mehr aus dem Alltag verbannt. Die Technologisierung wird wohl in absehbarer Zeit nicht mehr aus dem Lebensraum verschwinden und stattdessen immer weiter ansteigen.​ “Wir können der technologischen Bedingung unserer Existenz nicht entkommen”.396

394

Marcuse: Some Social Implications, 77.

Meyer: Die anti-utopische Tradition, 282.

396 Dickel: Utopische Technologien, 108.

395

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V. Auswertung 1. Ausblick auf künftige Entwicklungen Die Gefahren, die vom Transhumanismus und insbesondere vom Silicon-Valley-Transhumanismus ausgehen, wurden in den vorangegangenen Kapiteln ausführlich erörtert. Die Entwicklungen in den Bereichen der t​echnologischen, wirtschaftlichen und philosophischen Kontrolle begünstigen die Entwicklung einer Dystopie, die von der Wirtschaft vorangetrieben wird. Die technologische Kontrolle hat eine Überwachung und Datenspionage zur Folge, welcher sich viele Menschen bewusst sind, jedoch die Annehmlichkeiten durch diese Technologien nicht aufgeben wollen. Dabei werden nicht nur Daten gespeichert, sondern auch das menschliche Verhalten analysiert und ausgewertet. Zudem schränkt die Technologisierung den Menschen in seiner Freiheit ein. Eine geistige Gefangenschaft ist zwangsläufig die Folge. Der Mensch verliert nach und nach seine Selbstbestimmung und überlässt Maschinen das Denken. So gerät er in eine gefährliche Abhängigkeit zur Technologie.

Die Dehumanisierung äußert sich als Entwurzelung des natürlichen Zustands, in welchem die Menschen Jahrtausende lang gelebt haben. Traditionen lösen sich in einer technologisierten Welt vollständig auf. Der biologische Körper wird technologisch aufgewertet und so Stück für Stück entmenschlicht. In der wirtschaftlichen Kontrolle wird zum einen mit Hilfe von Propaganda die Wirtschaft angekurbelt, indem durch diese Art der Werbung ein Haben-Wollen beim Konsumenten generiert wird. Zum anderen nutzt der Transhumanismus Propaganda zur Verbreitung ​seiner Visionen, vor allem über das Internet. Ein Leben ohne Konsum ist nicht mehr möglich und würde einen vollständigen Austritt aus der Gesellschaft verlangen. Das Erleben und die eigene Person stehen im Vordergrund des Lebens. Konsum und Entertainment werden zur Sinnstiftung des eigenen Lebens und halten den Menschen vom Hinterfragen seiner Lebenssituation ab.

Dieses Leben führt früher oder später zur Isolation in der Masse und zur Isolation von der Welt außerhalb des kapitalistischen Systems. Ersteres zeigt sich vor allem in der Verflachung menschlicher Beziehungen und zweiteres darin, dass alternative Lebensräume als ​lebensunwürdig ​begriffen werden.

Die philosophische Kontrolle hat Auswirkungen auf die Spiritualität des Menschen. Das Leben in der Spaßgesellschaft und grenzenloser Konsum versprechen Erlösung im Diesseits. Der Mensch muss nicht mehr auf die Erlösung nach dem Tod warten und wird selbst zum Maß aller Dinge. Dies bildet auch die Grundlage des Transhumanismus.

In diesem spielt auch die Techno-Elite eine wichtige Rolle. Durch die Technologisierung der Lebenswelt entsteht eine große gesellschaftliche Abhängigkeit. Dabei tritt der

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Transhumanismus selbst an die Stelle einer Ideologie ​und kommt der menschlichen Sehnsucht nach Spiritualität nach. Es entsteht ein Bruch zwischen der natürlichen Welt und der Welt innerhalb des Systems. Die natürliche Welt ist dabei größtenteils aus der Gesellschaft verbannt. Der Mensch entfernt sich immer mehr von seinem natürlichen Ursprung.

Mögen diese Entwicklungen auf den ersten Blick eventuell willkürlich erscheinen, nehmen sie jedoch an Konkretheit zu, wenn der Fokus auf die Agenda des Silicon-Valley-Transhumanismus gelenkt wird. Das eigentliche Ziel des Transhumanismus ist die Digitalisierung des menschlichen Gehirns (Emerging Brain Technology) und die Erreichung der Singularität. Die Schritte, die zu der Erreichung dieses Ziels eingeleitet werden müssen, nennen sich in ihrer Gesamtheit Human Enhancement. Es geht darum, die Technologie immer näher an den menschlichen Körper zu bringen.

Winzler: Zeitstrahl Human Enhancement (Abb. 6).

Die obere Grafik (Abb. 6) basiert ​auf eigener Schätzung und Kurzweils Aussagen über das Mooresche Gesetz und die Singularität. Seit der Implementierung des ersten Apple Smartphones im Jahr 2007 hat sich die komplette Art, wie Menschen miteinander kommunizieren, gewandelt.

Erst drei Jahre früher wurde Facebook gegründet und eröffnete die Möglichkeit, über die webseiteninterne Chat-Funktion, kostenfrei (zum Preis der persönlichen Daten) miteinander zu kommunizieren. ​Der nächste Schritt ist die Wearable Technology und hat mit den ersten Produkten, wie der Apple Watch, 2015 ihren Anfang genommen.

Wearables sind Technologien, die direkt am Körper getragen werden. Dazu zählen u.a.

Datenbrillen, Smartwatches und Fitnessarmbänder. Schließlich soll die Technologie direkt in ​den Körper implementiert werden. Angefangen mit Chips, die in die Handflächen eingesetzt werden. Dies wird heute auf freiwilliger Basis bereits in einigen Ländern wie Schweden praktiziert, könnte allerdings irgendwann einmal den Ausweis und die Krankenkassenkarte ersetzen. Mit den NFC-Chips lassen sich zudem Daten kontaktlos austauschen und es lässt mit dem Smart Home interagieren.

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Wann diese Technologie jedoch zum Standard wird, kann heute noch keiner genau sagen, schätzungsweise ab 2025. Dann sind natürlich auch noch ganz andere Innovationen auf diesem Gebiet denkbar, die durch die freie Marktwirtschaft viele neue Produkte und Dienstleistungen entstehen lassen werden. Schließlich erfolgt ab ca. 2032 die Augmentierung des menschlichen Gehirns und bildet damit die erste wirkliche Vorstufe der ​Emerging Brain Technology. Zu diesem Zeitpunkt ist die Gesellschaft bereits daran gewöhnt, dass sich Technologie am und im Körper befindet und die Möglichkeit, das Gehirn technologisch aufzuwerten, ist verlockend. Intelligenzsteigerungen sind denkbar, auch die globale Vernetzung miteinander und / oder mit einer künstlichen Intelligenz und die Implementierung einer virtuellen Realität, die es erlaubt, in zwei Welten gleichzeitig zu leben und zu interagieren.

Mit dem Upload des menschlichen Gehirns auf einen Computer ca. 2041 wäre dann der transhumane Traum der Unsterblichkeit und Allwissenheit erreicht. Der Mensch würde seine natürliche Hülle abstreifen und könnte gänzlich in utopischen künstlichen Welten leben. 2045 wäre dann schließlich die Singularität erreicht und die Menschen würden einen gottähnlichen Zustand erreichen. Doch wohin kann die gesellschaftliche Entwicklung unter Berücksichtigung der transhumanen Agenda des Silicon Valley und der benannten Kontrollmechanismen künftig gehen? Wie gestaltet sich eine solche transhumanistische Dystopie?

2. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Technik Es gibt keine konkreten Antworten auf diese Frage. Es lässt sich jedoch erahnen, dass der Trend der Überwachung und völligen Durchleuchtung der Bürger weiter vorangetrieben werden wird, ebenso wie die transhumanistische Agenda des Silicon Valley. Wenn sich die Prophezeihungen Kurzweils erfüllen, werden auch die in dieser Arbeit beschriebenen Gefahren zur Realität werden, zumindest, wenn nichts dagegen unternommen wird.

Die Implementierung eines Ethikrats auf nationaler Ebene für technologische Entwicklungen wäre z.B. eine Lösung, um diesen Gefahren entgegenzuwirken. So könnte jede Nation, unter Berücksichtigung ihrer Kultur Komma entfällt Entscheidungen treffen, wie sie diesen Entwicklungen gegenübertreten möchte. In einer völlig überwachten Welt wird auch früher oder später die Freiheit in Mitleidenschaft gezogen. Entscheidungen werden mehr und mehr von Maschinen übernommen werden, die anhand von Wahrscheinlichkeiten unsere Bedürfnisse und Zukunft errechnen.

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Wenn die Singularität eintritt, wird die Überwachung schließlich zur Vollendung gelangen.

Wenn der menschliche Geist nur noch aus Datenströmen besteht, ist ein ständiges Auslesen der Daten und ihre Manipulation wahrscheinlich. Alphabet und Co arbeiten derweil weiter an Projekten, um jene transhumanistischen Zukunftsvisionen zu erfüllen.

Dabei hilft ihnen die Affinität der Bürger zum ständigen Konsum und die Implementierung ihrer Agenda durch das Internet und anderer Medien. So werden die Menschen immer offener für Innovationen und neue technologische Errungenschaften, die vorher nie gebraucht wurden, künftig aber nicht mehr aus dem Leben wegzudenken sind. Eine Umkehr scheint die logische Konsequenz, doch dies ist aufgrund der starken Abhängigkeit durch die Technologie kaum noch denkbar, es sei denn, ein völliger Ausstieg aus dem System würde erfolgen. Dies würde allerdings den Verlust sämtlicher Lebensstandards der Moderne mit sich bringen.

Angesichts dieser scheinbaren Ausweglosigkeit scheint Orwells Warnung vom Jahr 1949 wie der Nachhall einer verpassten Chance: ​“Don’t let it happen. It depends on you”​.397 Doch Hoffnung auf eine bessere Welt mit einem verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie darf nicht aufgegeben werden.

Alle großen Technikutopien der letzten Jahre waren zugleich Dystopien: die Verbesserung des Menschengeschlechts durch Eugenik, Roboter, die den Menschen mühselige Arbeit abnehmen und die Arbeit besser erledigen als sie; die Lösung aller Knappheitsprobleme durch Atomspaltung oder -fusion; die Ausmerzung von Fehlentscheidungen durch eine kybernetische Durchorganisation der Gesellschaft; das “globale Dorf”, das alle und alles mit allen und allem vernetzt. Das gilt auch für die heute populären ​Big​-​Data​-Visionen [...].398 Große Utopien führen leicht in den Totalitarismus.399

“Verantwortungsvoll mit Technik umzugehen bedeutet, stets neu auszuhandeln, was erwünscht ist”.400 Ein Umgang mit Technik, welcher die Freiheitsoptionen des Menschen auf lange Sicht hin mehrt, muss einige Anforderungen erfüllen: 1. Die Gesellschaft ist weder ​für, ​noch​ gegen ​Technik, behält sich jedoch vor, bestimmte Anwendung gewisser Technologien nötigenfalls einzuschränken oder gar zu verbieten.

2. Technikbeschränkungen sind legitim, wenn diese demokratisch gefällt werden.

3. Sie basieren auf dem besten vorhandenen Wissen darüber, was Techniken bewirken, weil solches Zukunftswissen jedoch stets unvollständig und vorläufig ist, müssen die Entscheidungen widerrufbar sein. Neuverhandlungen zur Frage was 397

Orwell (zitiert nach Crick): George Orwell, 395.

Hänggi: Fortschrittsgeschichten, 232.

399 Hänggi: Fortschrittsgeschichten, 234.

400 Hänggi: Fortschrittsgeschichten, 235.

398

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erwünscht ist, müssen jederzeit geführt werden können → Handlungen sind zu vermeiden, die prinzipiell unumkehrbare Folgen haben können (Vorsorgeprinzip).

4. Die Verwendung von Technik muss nachhaltig sein und darf nicht die Freiheitsoptionen künftiger Generationen beeinträchtigen (Nachhaltigkeit).

5. Techniken dürfen keine Kontrollapparate erfordern, die sich ihrerseits nicht demokratisch kontrollieren lassen.

6. Technologien sollen die Resilienz einer Gesellschaft stärken (Resilienz ⇒ die Fähigkeit, rechtzeitig auf Störungen reagieren und sich verändernden Rahmenbedingungen anpassen zu können).

7. Die Gesellschaft darf beim Außer-Kontrolle-Geraten einer Technologie nicht darauf vertrauen, dass künftige Techniken das Problem lösen werden → kein Verlass auf künftigen Fortschritt. Mit einer Fehlfunktion muss gerechnet werden.

8. Die Gesellschaft orientiert sich nicht an der Vergangenheit, die angeblich verantwortungsvoller mit Technik umging als die Gegenwart → neue Techniken aufzugeben um alte zu reaktivieren erfordert eine intensive Prüfung.

9. Die Gesellschaft bleibt “innovativ”. Innovation ist jedoch kein Fetisch und Technik wird nicht auf den Akt ihrer Erneuerungen reduziert. High-Tech ist weiterhin existent, gilt allerdings nicht als einziger Ausdruck technischer Ingeniosität.401 In einer kapitalistischen vom Wachstum getriebenen Gesellschaft ist die Steigerung die einzig logische Konsequenz. Deshalb benötigen wir S​ozialtechniken​: “Formen des Wirtschaftens, des Investierens und der sozialen Sicherung, die nicht wachstumsabhängig sind. Wie sie aussehen, wird sich zeigen müssen - bisher haben sich die Wirtschaftswissenschaften kaum um entsprechende Ideen bemüht”.402 Anzumerken ist jedoch, dass die Methoden unerwünschte Technologien loszuwerden, zuallererst welche für den Umgang mit der Macht sein müssen (z.B. Demokratie- und Zivilgesellschaftstechniken). Die Prämisse hier lautet, niemanden ​zu ​mächtig werden zu lassen und die Macht derer, die sie ausüben, zu beschneiden.403 Es dürfte nicht wieder eine solche Großutopie, bzw. Dystopie entstehen. Eine Alternative wären viele Kleinutopien, die auf mehr nationaler Ebene fungieren.

Wichtig ist vor allem, einen anderen Umgang mit der Technik zu pflegen und Wahlfreiheiten zu schaffen, welche Techniken genutzt werden sollen, auch wenn diese sich gegen herrschende Trends stellen.404 Insofern bleibt zu hoffen, dass sich in Zukunft 401

Hänggi: Fortschrittsgeschichten, 234 ff.

Hänggi: Fortschrittsgeschichten, 237.

403 Vgl. Vgl. Hänggi: Fortschrittsgeschichten, 238.

404 Vgl. Hänggi: Fortschrittsgeschichten, 239.

402

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mehr kritische Stimmen erheben und ein öffentlicher Diskurs entsteht, der sich um die Gefahren und Risiken moderner Informationstechnologien und transhumaner Ideale dreht.

Dadurch wird verhindert, dass eine Technokratie erst entstehen kann. Zudem muss ein neuer Umgang mit Technologien entstehen, der mit mehr Verantwortung vollzogen wird und sich nicht mehr ​gegen ​die Gesellschaft richtet, sondern ​für ​sie arbeitet.

Schluss Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Schnittstellen zwischen Transhumanismus und Dystopie zu analysieren. Darüber hinaus wurde die Frage erörtert, ob im Silicon Valley an der Realisierung einer transhumanistischen Zukunftsvision gearbeitet wird, die Parallelen zu einer technologisch, philosophisch und wirtschaftlich kontrollierten Dystopie aufweist.

Zu diesem Zweck wurden die Grundlagen des Themas erarbeitet, indem der Transhumanismus wie auch die Dystopie in ihrer Gänze durchleuchtet wurden. Auf diesen Informationen aufbauend wurden die unterschiedlichen und gemeinsamen Merkmale untersucht. Die Gemeinsamkeiten wurden dann auf den Silicon-Valley-Transhumanismus bezogen und in die Kontrollbereiche Technologie, Wirtschaft und Philosophie aufgespaltet und ausgewertet. Abschließend erfolgte ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und es wurde ein Lösungsvorschlag formuliert, wie die Entstehung einer Technokratie zu vermeiden ist, indem künftig ein verantwortungsvoller Umgang mit der Technik in der Gesellschaft praktiziert wird.

Die gestellten Forschungsfragen wurden dabei ausführlich beleuchtet. Dabei ergab sich, dass Transhumanismus und Dystopie jeweils viele gemeinsame aber auch unterschiedliche Merkmale aufweisen. Dies relativiert allerdings nicht die Gefahren, die von den Schnittstellen ausgehen. Die thematischen Überschneidungen geben Aufschluss über die Aktualität des Themas, das bisher im Zukunftsdiskurs viel zu wenig diskutiert wurde. Was die drei untersuchten Kontrollarten betrifft, so konnte anhand der einzelnen Unterpunkte gezeigt werden, dass die Gefahren einer drohenden Technokratie nicht von der Hand zu weisen sind. Es droht eine flächendeckende Überwachung, die den Verlust der geistigen Freiheit bedeuten könnte und die Beraubung dessen, was uns ​menschlich macht. Darüber hinaus wird die Gesellschaft durch das große Konsum- und Entertainment-Angebot abgelenkt und ruhiggestellt. Propaganda sorgt für einen regelrechten Konsumzwang. Dadurch isolieren sich Menschen immer mehr von der Welt außerhalb des Systems. Dieser Lebenswandel hat auch eine Abkehr vom Glauben zur Folge. Der Mensch sieht sich selbst im Zentrum seines Lebens. Rechenschaft ist er nur

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noch sich selbst und dem System schuldig. Dies hat eine Abhängigkeit vom System zur Folge und damit auch zur Technologisierung, die mit dem System eng verflochten ist. Ein Ausstieg ist undenkbar, da die Welt außerhalb des Systems als nicht lebenswert betrachtet wird. Dies führt zu einem Bruch mit der natürlichen Welt.

Andererseits musste festgestellt werden, dass anhand der nicht zu leugnenden Unterschiede die Frage gestellt werden muss, ob die Zukunftsvision des Silicon Valley wirklich zwangsläufig in eine Dystopie führt, oder ob die positiven Seiten der transhumanen Bewegung sich nicht auch nachhaltig vorteilhaft auf die Gesellschaft auswirken können. Zwar kann anhand dessen darauf geschlossen werden, dass eine Dystopie in naher Zukunft eventuell nicht in Erscheinung tritt, jedoch sollten die Augen vor den Gefahren einer Technokratie nicht verschlossen werden, nur weil es neben den Negativpunkten auch positive Punkte gibt. Es muss ein öffentlicher und wissenschaftlicher Diskurs erfolgen, der sich diesen globalen Entwicklungen intensiv widmet. Außerdem sollte darüber nachgedacht werden, einen Ethikrat auf nationaler Ebene zu implementieren, der sich mit den ethischen Bedenken gegenüber diesen Technologien auseinandersetzt (insbesondere in Bezug auf künstliche Intelligenz). So kann jede Nation unter Berücksichtigung ihrer Kultur Entscheidungen treffen, wie mit diesen Gefahren umzugehen ist.

Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Frage, ob ​multinationale Konzerne und Think Tanks​ im Silicon Valley eine transhumanistische Zukunftsvision entwickeln, die Parallelen zu einer technologisch, philosophisch und wirtschaftlich kontrollierten Dystopie aufweist, differenziert beantwortet werden muss. Einerseits existieren genug Gemeinsamkeiten, um diese Frage positiv zu beantworten, andererseits können auch die Unterschiede zwischen Transhumanismus und Dystopie nicht von der Hand gewiesen werden. Somit lässt sich abschließend feststellen, dass die Frage nicht klar beantwortet werden kann, die Gefahren dieser Entwicklung aber unbedingt einen höheren Stellenwert im Zukunftsdiskurs einnehmen sollten. Denn wenn sich keine kritischen Stimmen erheben, wird die Technokratie unaufhaltsam ihren Siegeszug fortsetzen.

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Eigenständigkeitserklärung Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne unerlaubte fremde Hilfe angefertigt, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und die den benutzten Quellen und Hilfsmitteln wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt.

Berlin, den 20.05.2018 Unterschrift

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