West-Ost-Journal 4_2012

Page 11

11 Vortrag

Buchvorstellung und Vortrag mit Prof. Dr. Hans-Jürgen Bömelburg (Justus-Liebig-Universität)

»Als Grundgesetz der Regierung des kleinsten wie des größten Staates kann man den Drang zur Vergrößerung sehen.« König Friedrich II. von Preußen und Polen Der ohne Zweifel ungewöhnlich vielallein der Wahrheit verpflichtete seitig begabte preußische König FriedDistanziertheit im Falle Friedrich II. hat gewissermaßen auch als Hisrichs natürlich ebenso eine Fiktoriker besonderen Stellenwert. Denn tion war wie bei jedem anderen es gibt wohl kaum einen anderen Mo»Zeitzeugen«, so sagen doch narchen, der der Nachwelt eine nahezu seine geschichtlichen Werke viel lückenlose Darstellung seiner gesamten über den Politiker Friedrich aus. Regierungszeit hinterlassen hat. Und So heißt es etwa ein Stück weiter zwar nicht in Form von »Memoiren«, in dem schon zitierten Vorwort in deren Zentrum naturgemäß von 1742 mit für uns die eigene Person steht, und wie heutige Betrachter stausie viele Zeitgenossen Friednenswerter Offenheit: Mo, richs hinterlassen haben, son»Als Grundgesetz der 12.11. dern durchaus in Form von GeRegierung des kleinsten 19.00 Uhr wie des größten Staates schichtsschreibung. Sehr früh, nämlich im November 1742 kann man den Drang zur nahm der erst 30-jährige König Vergrößerung sehen.« sein erstes historiographisches Werk Diesem Grundgesetz folgte in Angriff. Der Friede von Breslau, der er selbst sogleich nach seiner den durch Friedrich knapp zwei Jahre Thronbesteigung, als er bedenzuvor ausgelösten Ersten Schlesischen kenlos die scheinbar günstige Krieg gegen die Habsburgermonarchie Gelegenheit nutzte, sich Schlesifür Preußen erfolgreich beendete, lag en anzueignen. erst wenige Monate zurück. Nach BerSpäter schrieb Friedrich II. über lin zurückgekehrt, begann Friedrich II. die Ausgangslage Preußens, als mit der Niederschrift seines ersten Geer 1740 seinem verstorbenen Vaschichtswerkes – modern gesprochen ter Friedrich Wilhelm I. folgte, in Karikatur zur dritten polnischen teilung einer zeitgeschichtlichen Darstellung der »Histoire de mon temps«: seiner eigenen jüngst unternommenen »Ce qu‘il y avait de plus fâcheux, fürchten hatte, als wenn er arrondiert politischen Schritte. Im Lauf der Jahre c‘était que l‘État n‘avait point de forme worden wäre.« erweiterte und ergänzte der König das régulière. Des provinces peu larges, Ein einziger Blick auf eine historische so frühzeitig begonnene Geschichtset pour ainsi dire éparpillées, tenaient Karte zeigt, was Friedrich II. meinte: werk – 1775 schloß Friedrich die depuis la Courlande jusqu‘au Brabant. Die territorialen Erwerbungen seiner »Histoire de mon temps« (GeschichCette situation entrecoupée multipliait Vorfahren vor allem seit dem Dreißigte meiner Zeit) ab, eine umgearbeitete les voisins de l‘État sans lui donner de jährigen Krieg hatten das KurfürstenFassung seiner Darstellung der ersten consistance, et faisait qu‘il avait bien tum Brandenburg aus seiner Lage als beiden Schlesischen Kriege. Schon plus d‘ennemis à redouter que s‘il avait Binnenstaat an die Ostseeküste vorge1763, wiederum unmittelbar nach été arrondi.” schoben. Der Große Kurfürst Friedrich Kriegsende, hatte Friedrich die »GeNatürlich schrieb Wilhelm hatte 1648 In Zusammenarbeit mit schichte des Siebenjährigen Krieges« der König, der spädurch den Westgeschrieben. Später fügte er noch eine ter zum deutschen dem Polnischen Institut fälischen Frieden Düsseldorf Darstellung der Zeit bis 1774 an. Nationalheros umHi n te r p o m m e r n Friedrich gibt sich in seinen historiogedeutet wurde, wie erhalten. Friedrich graphischen Werken den Anschein des (fast) immer Französisch – da er ja der Wilhelm I. profitierte von seiner marstreng sachorientierten, vermeintlich Meinung war, Deutsch sei »une langue ginalen militärischen Beteiligung am neutralen Beobachters. In einem ersten à demi barbare« (De la littérature AlleGroßen Nordischen Krieg durch den Vorwort von 1742 schrieb der König: mande, des défauts qu‘on peut lui reproFrieden von Stockholm (1720): Nun»Viele haben Geschichte geschrieben, cher, etc., 1780). Also übersetzen wir mehr fielen auch Vorpommern bis zur aber sehr wenige haben die Wahrheit die Einschätzung des großen PreußenPeene mit der Odermündung und der gesagt. Schlecht unterrichtete SchriftKönigs für sein Land im Jahre 1740 in reichen alten Hafenstadt Stettin sowie steller wollten Anekdoten schreiben unsere halbbarbarische Sprache: »Das die Inseln Usedom und Wollin an Branund haben sie erdichtet oder VolksÄrgerlichste aber war, dass der Staat denburg. Warum Friedrich II. vom Gegerüchte für bewiesene Tatsachen gekeine regelmäßige Form hatte. Nicht bietsstatus des Jahres 1740 ausgehend nommen und sie der Nachwelt dreist allzu große und sozusagen verstreute zunächst Schlesien anvisierte – dem aufgetischt. […] Ich halte mich [..] für Provinzen reichten von Kurland bis Grundgesetz der Vergrößerung und der verpflichtet, der Nachwelt eine wahre nach Brabant. Diese unzusammenhänLogik der Arrondierung folgend – liegt und exakte Darstellung der Ereignisgende Situation vergrößerte die Zahl auf der Hand. Die Oder nahezu insgese zu geben, die ich selbst erlebt habe der Nachbarn des Staates ohne ihm samt in preußische Hand zu bringen, […].« Zusammenhang zu geben, und führte Fortsetzung auf seite 12 Auch wenn die behauptete, angeblich dazu, dass er weitaus mehr Feinde zu


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.