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Wo Köln schön krumm klingt - z.B: Real Live Jazz im ABS Es sind Orte, wie dieser, an denen eine Stadt zum Leben erwacht. Orte, an denen Menschen, die sonst Tag für Tag wortlos auf der Straße aneinander vorbeigehen, aufeinandertreffen und im gemeinsamen Erlebnis zueinanderfinden. VON FELIX J GROSSER Langsam füllt sich die Kneipe am Gottesweg, wo der Sülz-Klettenberger Grenzstreifen sich mit dunkelrotbraunen Backsteinfassaden unterm Blätterdach der Platanen noch einmal malerisch zeigt, bevor hinter dem Bahndamm die Zollstocker Gewerbebrache beginnt. Einige Musiker sitzen noch zu Tisch, andere stimmen bereits ihre Instrumente. Erst zaghaft und testweise tastend, dann immer selbstbewusster raumgreifend, versetzen erste Klänge die Luft in Schwingung. Eine halbe Stunde später schlagen wilde Blechsoli Kapriolen über Snare Rolls und ich muss mir Mühe geben, meinen Gesprächspartner zu verstehen.

bereits in die Oberliga aufgestiegen ist. Ganz im Gegenteil: Spielwütige jeglicher Coleur sind herzlich eingeladen, sich mit klingenden Kostproben zu bewerben, sofern sie nicht über Gebühr den stilistischen Rahmen strapazieren, der von Becker mit: „Definitiv Modern Jazz, zeitgenössisch; eher straight“ umschrieben wird. Eine dicke Gage gibt’s zwar nicht zu erwarten, dafür sind allen, neben der ungeteilten Aufmerksamkeit des Publikums, Speis und Trank à la carte sicher. Sowie der mitunter gar nicht so geringe Ertrag aus der Publikumskollekte im sprichwörtlichen Hut. Ein Blick ins prall gefüllte Halbjahresprogramm beweist: für viele Künstler ausreichender Anreiz, am Sonntagabend das Rampenlicht dem Sofa vorzuziehen. Und in Zukunft? Weiter wie bisher. Zum Glück. - Livemusik im Bar-Ambiente, organisiert ohne dicke Sponsorengelder, dafür mit umso mehr Herzblut. Für Musiker Öffentlichkeit ohne Pay to Play-Abzocke und für Zuhörer die Möglichkeit Neues zu entdecken, ohne finanziell in Vorleistung gehen zu müssen.

„Das ist schon ein Veedelsding. Leute aus Ehrenfeld oder Nippes siehst du hier eher nicht“, sagt Patrick Becker, hauptberuflich Schreiner, in seiner Freizeit einer der beiden Köpfe und so etwas wie die gute Seele hin- Es sind Orte, wie dieser, an denen eine Stadt zum Leben erwacht. Orte, ter Real Live Jazz, der allsonntäglichen Konzertreihe im ABS. Er kümmert an denen Menschen, die sonst Tag für Tag wortlos auf der Straße aneisich um Organisatorisches, betreut die Musiker, lässt in der Pause den nander vorbeigehen, aufeinandertreffen und im gemeinsamen Erlebnis Hut rumgehen und sorgt für einen reibungslosen Ablauf. Das ist viel Ar- zueinanderfinden – ohne im Nachhinein vom schlechten Gefühl beschlibeit, doch Becker, der schon zu Schulzeiten Konzerte organisierte, liebt chen zu werden, nur den kommerziellen Interessen anderer gedient zu die Musik. Und der Erfolg gibt ihm recht. Es hat sich rumgesprochen, haben. Orte auch, ohne die eine lokale Musikkultur im Keim erstickt, dass hier seit viereinhalb Jahren da für die Aktiven die Möglichkeit, höchst qualitativer Sound zum Null- Eigentlich auch höchste Zeit in einer ihre Kreativität nach Außen zu tarif geboten wird. Und so pilgern im Stadt, in der die Nischenbiotope für un- tragen, sich auszuprobieren, ein Schnitt jede Woche 50 JazzbegeisPublikum zu finden zur Einkomabhängige Frequenzen, zwischen der mensfrage wird. Bedauernswert, terte in die rein optisch so gar nicht Deutungsmacht der öffentliche-recht- dass man bisweilen den Eindruck heiligen Hallen am Gottesweg. lichen Giganten einerseits und der Be- gewinnt, wo der deutsche GroßAn besonders guten Tagen auch mal liebigkeit der privaten Jingleabfeuer- stadtdschungel unter Einheitsbrei an die 200. „Es brummte hier schon maschinerie andererseits, noch ver- einbetoniert wird, verschwände wie Jeck.“, so Patrick Becker. „Das gleichsweise spärlich besiedelt sind. diese magischen Räume gleich eiPublikum kommt wegen des Jazz. ner aussterbenden Spezies.Dabei Quasseltypen gibt es nur selten.“ Kein Wunder, denn das Booking liegt wissen Becker und Khabirpour genau, dass Bestandswahrung alleine in den Händen von Riaz Khabirpour. Kennern wohlbekannt als Gitarrist, nicht trägt. Wo andere sich auf dem Erreichten ausruhen, blicken sie Komponist und eminenter Vertreter einer aufstrebenden neuen Gene- nach vorne und scheuen - ganz Jazz-like - vor Experimenten nicht zuration von Musikern, die Köln den Ruf der heimlichen Hauptstadt des rück. Real Live Jazz will im Laufe dieses Jahres mit Jazz-Livestreams jungen deutschen Jazz eingebracht hat. Im Laufe seiner Musikhoch- aus Köln starten. Was nach Zukunftsmusik klingt, ist in Wahrheit längst schulausbildung in Amsterdam, New York und Köln in unzählige mu- ausgeheckt. „Es könnte von heute auf morgen passieren“, meint Patrick sikalische Kollaborationen involviert, schöpft Khabirpour für Real Live Becker und kann sich ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen. Mit Jazz aus dem Vollen. Und so liest sich das Programm dann auch wie ein „The Nightfly“, der Jazzsendung des fabelhaften Kölner Studioradios Who is Who der lokalen Szene, garniert mit erstklassigen internationa- KölnCampus ist bereits ein kompetenter Partner fürs redaktionelle und len Einsprengseln. Namen wie Pablo Held, Paul Wiltgen, Marshall Gil- technische mit an Bord. kes, Oliver Lutz, Tylor Blanton, Matthias Akeo Nowak und Brian Seeger sprechen eine deutliche Sprache – dabei ist diese Liste nur ein winziger „Es bleibt also spannend.“, denke ich, als ich Richtung Luxemburger Auszug aus dem Gig-Archiv. Straße schlendere und hinter mir die letzte Blue Note verhallt. Was nicht heißt, dass bei Real Live Jazz nur auf die Bühne kommt, wer - Musik -

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