EKEL – in Theorie

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In diesem Zusammenhang soll der historische Wandel von Ekel in unserer Gesellschaft an einigen Beispielen dargestellt werden. Diese sind in einem spannenden Artikel von SylvieSophie Schindler geschildert: »Im Mittelalter hätte niemand sich etwas dabei gedacht, sich mit den Händen zu schneuzen und den Rotz anschließend an der Kleidung abzuwischen. Taschentücher wurden erst später gesellschaftsfähig.«63 »Im Paris des 16.Jahrhunderts herrschte beispielsweise ein entsetzlicher Gestank, darunter der Geruch nach Kot und Urin - die Notdurft durfte in der Öffentlichkeit verrichtet werden. Erst im 18. Jahrhundert hatte man im wahrsten Sinne des Wortes die Nase voll. Eine Reinigung der Luft war angesagt. In Paris wurde eigens ein Lehr­ stuhl für Hygiene ins Leben gerufen.«64 »Noch vor wenigen Jahrzehnten störte sich keiner an Haaren, die unter Achseln, an Frauenbeinen oder aus dem Bikinihöschen wucherten. Heutzutage gilt das als grober Beauty-Fauxpas, angewiderte Blicke sind einem sicher.«65 Ekelreize entstehen somit auch vor allem aus den moralischen Richtlinien und Traditionen unserer Gesellschaft. Gleichzeitig weisen die diversen Studien darauf hin, dass diese Punkte nicht nur in unserer Gesellschaft vertreten sind, sondern auch in anderen Kulturen einen großen Einfluss auf die Sensibilität der Individuen nehmen. Der Soziologiestudent Fabian Klindt beschreibt Ekel sowie das damit einhergehende Empfin­ den auf den Menschen und dessen Kultur so: »Was wir als eklig empfinden und bezeichnen ist sozial und kulturell angelernt. Ekel an sich gibt es nicht unabhängig von der- oder demjenigen, der ihn empfindet. Er ist sozial konstruiert. Wenn ich also etwas als eklig empfinde, dann nicht, weil diese Sache per se eklig ist, sondern weil sie außerhalb dessen liegt, was gesellschaftlich (Normen, Werte etc.) als ›normal‹ definiert wird. Durch diesen Dualismus (Normales, Unnormales oder ekliges, nicht ekliges) wird Ekel erst erfahr- und wahrnehmbar. So werden dann mehr und mehr klare Grenzen abgesteckt, und eine kulturelle Identität bildet sich nach und nach heraus.« 66

63 Vgl. Schindler, 2007 64 Vgl. Ebd. 65 Vgl. Ebd. 66 Facebook-Eintrag am 22.05.2011 und Antwort auf die Frage: »Was findet ihr eklig?«


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