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Matthias Oberli, Jochen Hesse, Werner Dubno, Walter R. C. Abegglen (Hg.)

Mühlsteinkragen und Totentanz

Der barocke Grafiker und Maler Conrad Meyer (1618–1689) aus Zürich

Mit Beiträgen von Walter R. C. Abegglen, Jonas Beyer, Jochen Hesse, Paul Michel, Matthias O berli, Susanne Pollack, Achim Riether, Mylène Ruoss und David Schmidhauser

Schwabe Verlag

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2025 Schwabe Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel, Schweiz

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Das Werk einschliesslich seiner Teile darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in keiner Form reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt, zugänglich gemacht oder verbreitet werden. Die Verwendung des Inhalts zum Zwecke der Entwicklung oder des Trainings von KI-Systemen ist ohne Zustimmung des Verlags untersagt.

Abbildung Umschlag: Conrad Meyer, Maaler und Kunstverwandte, 1650, Radierung, 15 × 10,5 cm, in: Conrad und Rudolf Meyer, Sterbensspiegel, Zürich 1650, Tf. 29, S. 65, Zentralbibliothek Zürich, 6.133 Abbildung Vorsatz: Conrad Meyer, Blick auf Zürich und die barocken Schanzen, um 1647, Feder in Braun und Grafit, 32,8 × 49,1 cm, Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, ZH, Stadt II F, 5 Pp A1

Lektorat: Regula Krähenbühl, Ammerswil

Korrektorat: Thomas Lüttenberg, München

Bildbearbeitung: Andrea Brunner, Andrea Züllig, SIK-ISEA, Zürich Umschlaggestaltung: icona basel gmbh, Basel Satz und Layout: Andreas Färber, mittelstadt 21, Vogtsburg-Burkheim Gesetzt aus der Adobe Caslon Pro, gedruckt auf MultiArt Silk Druck: Balto Print, Vilnius Printed in the EU

Herstellerinformation: Schwabe Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, Grellingerstrasse 21, CH-4052 Basel, info@schwabeverlag.ch

Verantwortliche Person gem. Art. 16 GPSR: Schwabe Verlag GmbH, Marienstraße 28, D-10117 Berlin, info@schwabeverlag.de

ISBN Printausgabe 978-3-7965-5340-0

ISBN eBook (PDF) 978-3-7965-5341-7

DOI 10.24894/978-3-7965-5341-7

Das eBook ist seitenidentisch mit der gedruckten Ausgabe und erlaubt Volltextsuche. Zudem sind Inhaltsverzeichnis, Überschriften und bibliografische Angaben verlinkt.

rights@schwabe.ch www.schwabe.ch

s usanne P O lla C k Ernste

Vorwort und Dank

Als Liebhaber und Sammler von Kunst und Kunsthandwerk zürcherischen Ursprungs mit Schwerpunkt auf dem 17. und 18. Jahrhundert fasste ich früh lebhaftes Interesse an der Person des Künstlers Conrad Meyer und seinen begabten Vor- und Nachfahren. Freundschaftliche Verbindungen führten im Jahr 2021 zur Bildung einer Interessengemeinschaft erfahrener und passionierter Kunsthistoriker und -freunde, die sich die Herausgabe einer bislang fehlenden Monografie über Conrad Meyer zum Ziel setzten. Matthias Oberli, Jochen Hesse, Walter R. C. Abegglen und ich übernahmen als Herausgeber die Verantwortung für die geplante Monografie.

Conrad Meyers unglaublich grosses Werk mit seinen vielen Facetten lud dazu ein, weitere kenntnisreiche Expertinnen und Experten für die spezifische Bearbeitung der verschiedenen Themen zu gewinnen. Sehr dankbar sind wir Jonas Beyer, Paul Michel, Susanne Pollack, Achim Riether, Mylène Ruoss und David Schmidhauser, die sich alle ohne Zögern zur Mitarbeit am Vorhaben bereit erklärten.

Mit dem Schwabe Verlag haben wir einen erfahrenen Partner für unser Projekt gefunden und in dessen Programmleiter Harald Liehr und der Projektmanagerin Sonja Peschutter kompetente und stets besorgte Betreuer unserer Publikation. Regula Krähenbühl gebührt grosser Dank für ihr akribisches Lektorat und die Bearbeitung

Das Ergebnis darf sich sehen lassen und wir sind überzeugt, dass im fruchtbaren Zusammenwirken von Autorinnen und Autoren, Verlag und den weiteren involvierten Personen unserem Künstler die ihm gebührende Reverenz erwiesen wird. Die Herausgeber möchten an dieser Stelle allen Beteiligten einen herzlichen Dank für ihr engagiertes Mitwirken aussprechen.

Wertvolle Hilfe erhielt die Herausgeberschaft von zahlreichen Museen und privaten Sammlerinnen und Sammlern, die sie bei ihren Recherchen tatkräftig unterstützten und ihnen Zugang zu Werken Conrad Meyers ermöglichten, namentlich die Werdmüllersche Familienstiftung und das Widder Hotel in Zürich. Ein besonderer Dank gilt ebenfalls Simone Gehr und Fabienne Nann von der Grafischen Sammlung des Kunsthaus Zürich. Grosszügig zeigten sich zahlreiche Institutionen bei der unkomplizierten Weitergabe von Bildmaterial, so die

Vorwort und Dank der Texte. Thomas Lüttenberg danken wir für das aufmerksame Korrektorat. Am Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA) in Zürich übernahmen Andrea Brunner und Andrea Züllig die sorgfältige Bearbeitung des Bildmaterials, während der Fotograf Martin Stollenwerk zahlreiche Neuaufnahmen erstellte, die von Franca Bernhart vor Ort oder am Institut inventarisiert wurden. Gestaltet hat das ausgewogene und schöne Layout der vorliegenden Publikation Andreas Färber.

Werner Dubn O

Graphische Sammlung ETH Zürich, das Kunsthaus Zürich, das Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA) in Zürich, das Schweizerische Nationalmuseum sowie insbesondere die Zentralbibliothek Zürich. Ohne namhafte finanzielle Beiträge von Sponsoren wäre die Verwirklichung eines Buches in der vorliegenden, aufwendigen Form nicht möglich gewesen. Zu grossem Dank verpflichtet sind wir der Stadt Zürich sowie den folgenden Stiftungen, Institutionen und privaten Donatoren:

Athene Stiftung, Basel

Beitragsfonds Finanzdepartement Stadt Zürich

Elisabeth und Werner Dubno, Zürich

Schwyzer-Winiker Stiftung, Zürich

Else von Sick Stiftung, Zürich

Heinz O. Hirzel, Zollikon

Koller Auktionen AG, Zürich

Kurt Langhard, Zürich

Caroline und Ruedi Weber, Zollikon

Zunft zur Meisen, Zürich

Thomas Boller Kunstberatung, Meilen

Conrad und Rosmarie Frey-Willenegger, Zumikon

Werner Schnellmann, Brütten

und eine Stiftung, die ungenannt bleiben will.

Zunft zur Meisen, Zürich

Abb. 1 | Conrad Meyer, Selbstbildnis, um 1650, schwarze und weisse Kreide, 20,2 × 14,5 cm (Blattmass), Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, ZEI 1.0016.003 Pp

Stimmen zu Conrad Meyer

«Von Invention ist er wunderbar hurtig; er kann machen, was er will.»

(Matthäus Merian d. Ä., 1642)

«Dieser seltene Künstler, welcher nicht nur ein berühmter Maler, sondern auch ein guter Zeichner und Kupferätzer von der ersten Classe, sowohl in Absicht auf die grosse Menge seiner Werke, als auch die Schönheit des Radierens gewesen …»

(Johann Caspar Füssli, 1769)

«Wohl an die tausend Blätter hat er radiert, die alle nur denkbaren Darstellungskreise vertreten. Zu den frühsten zählen die Neujahrsblätter der Stadtbibliothek Zürich, deren Folge 1645 die ‹Tischzucht› eröffnete. Dieses Bild voll anheimelnder Poesie kann zu den besten und liebenswürdigsten gerechnet werden, welche Schweizerkünstler des 17. Jahrh. geschaffen haben.»

(Johann Rudolf Rahn, 1908)

«[Das Doppelbildnis von Hans Martin und Elisabeth Werdmüller ist] eines der Hauptwerke Conrad Meyers und der schweizerischen Barockmalerei des 17. Jh., unter starkem Einfluss Hofmanns entstanden und mit kongenialer Verwertung holländischer Vorbilder.»

(Hans Martin Gubler, 1986)

«Besonders als Radierer war Meyer weit über die Region hinaus anerkannt. Manche seiner Darstellungen mit landschaftlichen Motiven erreichen europäischen Rang.»

(Matthias Vogel, 1998)

Abb. 2 | Conrad Meyer, Maaler und Kunstverwandte, 1650, Radierung, 15 × 10,5 cm, in: Conrad und Rudolf Meyer, Sterbensspiegel, Zürich 1650, Tf. 29, S. 65, Zentralbibliothek Zürich, 6.133

Zum Geleit

Tod zum Maaler und andern Kunstverwandten.

Reisser / Maaler / Kupferstecher / Saengermeister / Reymensprecher / Buecherschreiber / Buechertruker / wunderliche Sinnverzuker!

Beichtet wie ihr Gottes gaben lebend angewendet haben? ob zum letzen / oder schützen; ob zum schaden / oder nützen!

Antwort der Verkehrten.

Schreibfaeder / sinn und stimm / grabstikel / pensel / pressen: sind zeugen wider uns; weil Gottes wir vergessen / und der Erbawung frucht; nur suchend gunst und gelt / (owelch ein aergernus!) der argen Adamswelt.

Gegensatz der Frommen.

Buechertruken wie Gemaehld; Gesaenge wie Gedicht; da sie zu Gottes ehr; und Naechsten heil gericht / sind von der bessern welt vor laengest hochgeadlet: mehr tod ist der / alß tod; der dise künste tadlet.

aus: Conrad Meyer und Rudolf Meyer, Sterbensspiegel, Zürich 1650, S. 64.

Einleitung

Der 1618 in Zürich geborene Conrad Meyer, Spross einer auf verschiedenen Gebieten tätigen Künstler- und Handwerkerfamilie, ist zweifellos einer der bedeutendsten und vielseitigsten Maler und Grafiker des Barockzeitalters in der Schweiz. Das malerische Œuvre des im brüderlichen Atelier, beim Maler und Kartografen Joseph Plepp in Bern sowie in Frankfurt a. M. in der Merian-Werkstatt ausgebildeten Künstlers umfasst Bildnisse der Zürcher Oberschicht, diverse von der niederländischen Kunst inspirierte Landschaftszyklen seiner Heimatstadt sowie Historienbilder. Als Pionier der Schweizer Alpen- und Landschaftsmalerei nimmt Meyer eine herausragende Stellung in dieser Gattung ein. Weit über die Grenzen seiner Heimat hinaus wirkten Meyers über 1000 Radierungen und Illustrationen, beispielsweise die 1650 erschienene, von seinem älteren Bruder Rudolf begonnene Totentanzfolge sowie verschiedene religiöse und historische Sujets oder die moralisierenden Zürcher Neujahrsblätter. Beeindruckend ist auch Meyers umfangreiches zeichnerisches Werk mit Porträts, Tier- und Landschaftsstudien und Scheibenrissen für Glasmalereien. Als Gewährsmann und Mitarbeiter für Joachim von Sandrarts Teutsche Academie (1675–1679) ist Conrad Meyer zudem eine Gründerfigur der Schweizer Kunstgeschichtsschreibung.

Conrad Meyers Werke befinden sich in wichtigen Institutionen in Zürich. Das Kunsthaus bewahrt den zeichnerischen und druckgrafischen Nachlass sowie ein Dutzend Gemälde, die Zentralbibliothek besitzt einen Grossteil der Drucke, bedeutende Zeichnungen und Handschriften sowie rund zwanzig Bürgermeister- und Pastorenbildnisse. Einen grossen Bestand an Druckgrafiken des Künstlers bewahrt auch die Graphische Sammlung ETH Zürich, und im Schweizerischen Nationalmuseum befinden sich einige herausragende Land-

schaftsgemälde und Bildnisse von der Hand Conrad Meyers. Weitere seiner Porträts, Historien- und Landschaftsgemälde sowie Zeichnungen sind in Schweizer Privatbesitz dokumentiert.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden immer wieder einzelne Arbeiten Conrad Meyers an Ausstellungen gezeigt, so in Zusammenhang mit der Entwicklung der Schweizer Landschaftsmalerei und Grafik oder im Kontext barocker Bildnismalerei und Mode.1 Umso erstaunlicher wirkt daher die Tatsache, dass diese wegweisende und produktive Künstlerpersönlichkeit bisher weder mit einer Einzelausstellung noch durch eine monografische Publikation gewürdigt worden ist. Dabei lassen die Vielfalt und die Qualität von Conrad Meyers Arbeiten es mehr als gerechtfertigt erscheinen, diese zentrale historische Figur der Schweizer Kunst durch eine umfangreiche Studie einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen.

Die vorliegenden Beiträge namhafter Expertinnen und Experten stellen nun erstmals und vertieft die verschiedenen Facetten von Conrad Meyers Kunst ebenso wie ihre Nachwirkung vor. Gleichzeitig geben die Artikel interessante neue Einblicke in die Lebensumstände des tiefreligiösen Malers und seiner Zeitgenossen. In seinem einleitenden Kapitel entwirft Matthias Oberli ein Sittengemälde Zürichs im 17. Jahrhundert. Mylène Ruoss schildert daraufhin das künstlerische Ambiente, in dem Conrad Meyer gross wurde, und verortet die verschiedenen Einflüsse, die auf ihn einwirkten. Anschliessend zeichnet Matthias Oberli Conrad Meyers Ausbildung in Bern und Frankfurt a. M. nach und rückt die internationalen Kontakte Meyers zu Matthäus Merian d. Ä., Jan Hackaert und Joachim von Sandrart in den Blick. In seinem Beitrag zu Conrad Meyers Bildnismalerei charakterisiert Walter R. C. Abegglen die Merkmale der Meyer’schen Porträtkunst und verdeutlicht den Einfluss,

den sie auf nachfolgende Protagonisten in diesem Fach hatte. Jochen Hesse gibt eine detaillierte Analyse zu Meyers malerischen, zeichnerischen und druckgrafischen Ansichten seiner Heimatstadt Zürich und des zürcherischen Herrschaftsgebiets, während David Schmidhauser den Künstler als Pionier der Schweizer Landschaftsmalerei würdigt. Das umfangreiche grafische Werk Conrad Meyers wird in einer Übersicht von Matthias Oberli vorgestellt und von Achim Riether am Beispiel der religiösen Sujets und namentlich der Totentanzfolge eingehend untersucht. Susanne Pollack stellt die 1657 erschienenen Kinderspiele als didaktisch-moralische Blattfolge vor, während Paul Michel die visuellen und kommunikativen Strategien des Künstlers durch das in seinen Kompositionen oftmals anzutreffende Gestaltungsmittel des Bildes im Bild erforscht. Jonas Beyer schliesslich gibt einen konzisen Einblick in die zeichnerische Ausbildung und Technik des Künstlers.

Aufgrund dieser Disposition waren innerhalb des vorliegenden Buches einige Redundanzen nicht zu vermeiden. Die Herausgeber haben sich jedoch dazu entschieden, die Autonomie der einzelnen Beiträge höher zu gewichten und deshalb thematische oder inhaltliche Wiederholungen nicht konsequent zu eliminieren.

Begleitend zu dieser Publikation wird das Kunst Museum Winterthur ab November 2025 die erste Einzelausstellung zu Conrad Meyer ausrichten und damit diesen Pionier des Schweizer Barocks ebenfalls würdigen. Das Jahr 2025 markiert somit den Zeitpunkt, zu dem Conrad Meyer seine längst verdiente kunsthistorische Anerkennung in der Gegenwart bekommt, und es wird hoffentlich Ausgangspunkt für weitere Studien zu diesem bedeutenden Künstler und seiner Zeit werden.

Zürich, im Sommer 2025. Die Herausgeber

Anmerkungen

1 Kat. Alpenreise 1979, Kat. Im Schatten des Goldenen Zeitalters 1995, Kat. Fashion Drive 2018, Kat. Dutch Mountains 2018–2019, Kat. Im Wald 2022, Kat. Ins Licht gezeichnet 2022.

Abb. 3 | Conrad Meyer, Geistliche Buoß-Uhr…, 1665, Radierung, 18 × 13 cm, Kupfertitel, in: Johannes Müller, Geistliche Buoß-Uhr, und ernstlicher Buoß wekher, Zürich 1665, Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, Zürich K1, Schipfe I, 2

Mühlsteinkragen und Totentanz –Conrad Meyers Welt

Es war eine bedrückende Zeit, in die Conrad Meyer am 3. Oktober 1618 in Zürich als Sohn der Elisabetha Ulrich (1580–1625) und des angesehenen Malers und Kupferstechers Dietrich Meyer d. Ä. (1572–1658) hineingeboren wurde: Tod und Zerstörung prägten den Alltag der Menschen, und der Teufel schien allgegenwärtig. Die Erscheinung von drei grossen Kometen im Herbst dieses Jahres wurde – wie auch spätere Sichtungen solcher als «Zornboten Gottes» titulierter Himmelsobjekte – als weiteres böses Omen für eine wenig verheissungsvolle Zukunft gedeutet.1

Abb. 4 | Conrad Meyer, Delineation der Statt Zürich, 1647, Radierung, 13,2 × 17,5 cm, Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, ZH 1 a mit Zürichberg 1, 32 Pp A 4

Krieg, Pest und Hexenwesen

Fünf Monate bevor Conrad Meyer das Licht der Welt erblickte, ereignete sich in Böhmen der sogenannte Prager Fenstersturz. Diese handgreifliche Eskalation zwischen dem protestantischen und dem katholischen Lager entfachte einen drei Jahrzehnte währenden Krieg, der in der Folge weite Teile Mitteleuropas in ein riesiges Schlachtfeld verwandelte, auf dem auch viele eidgenössische Söldner ihr Leben liessen.2 Verschiedene Schweizer Städte reagierten auf diesen Konflikt mit dem Ausbau ihrer Befestigungsanlagen, so auch Zürich ab 1642.3 Conrad Meyer sollte sich später auf vielfältige Weise mit diesen kriegerischen Umständen seiner Zeit beschäftigen. In zahlreichen Zeichnungen und Radierungen hielt er die

Krieg, Pest und Hexenwesen

Bollwerke seiner Vaterstadt als architektonische Mahnmale der ständigen Bedrohung fest. 1655 lieferte er die Illustrationen zu Johann Hartmann Lavaters militärischen Instruktionen für die Zürcher Bürger, und in den späten 1670er Jahren bebilderte er das Exercier-Büchlein von Johannes Schalch mit Darstellungen von Kampfhandlungen nach Vorlagen von Jacques Callot und mit Schlachtordnungen4 (siehe auch Abb. 280 und 281).

Nur allmählich erholte sich die Eidgenossenschaft im Jahrzehnt von Conrad Meyers Geburt vom demografischen Kahlschlag, den 1611 ein neuerlicher Pestzug im Land hinterlassen hatte. Allein in Zürich raffte der «Schwarze Tod» in diesem Jahr fast die Hälfte der Stadtbevölkerung dahin, darunter sehr viele Kinder.5 Die Seuche, die seit Mitte des 14. Jahrhunderts in Abständen von zehn bis zwanzig Jahren Dörfer und Städte mit verheerenden Folgen heimsuchte, grassierte auch weiterhin, ehe sie hierzulande von 1667 bis 1670 ein letztes Mal wütete.6

Auch in Conrad Meyers Familie fuhr der Tod reiche Ernte ein. Seine Mutter, die zuvor sieben Knaben und fünf Mädchen das Leben geschenkt hatte, verlor unser Protagonist 1625, als er gerade einmal sieben Jahre alt war.

Conrads dreizehn Jahre älterer Bruder Rudolf, der ihn in die Kunst des Malens und Zeichnens eingeführt hatte, starb 1638 im Alter von 33 Jahren, und seine Schwester Agnes, die nach dem Tod der Mutter den Meyer’schen Haushalt führte, ging 1642 kurz vor ihrem 35. Geburtstag an den Folgen von Melancholie und schwacher Gesundheit zugrunde.7

Kein Wunder, dass diese Allgegenwart des Todes auch in der Kunst ihren Niederschlag fand.8 Im 16. und 17.Jahrhundert entstanden in der Schweiz verschiedene beeindruckende Totentanzdarstellungen in profanem und religiösem Kontext.9 Die Gebrüder Rudolf und Conrad Meyer schufen zu diesem morbiden Thema ebenfalls eine beeindruckende Gedicht- und Radierfolge unter dem Titel Sterbensspiegel, die weitherum rezipiert wurde (siehe dazu auch den Beitrag von Achim Riether).10

Das Haus zum steinernen Kindli (Neumarkt 20), das die Familie Meyer im 17. Jahrhundert in Zürich zeitweise bewohnte, ziert ein Putto mit Symbolen der Vergänglichkeit wie Totenschädel, Sanduhr und Blumen (Abb. 42, siehe dazu auch den Beitrag von Mylène Ruoss). Sich selbst stellte Conrad Meyer wiederholt in Gegenwart

Mühlsteinkragen und Totentanz – Conrad Meyers Welt

Abb. 5 | Conrad Meyer, Duellanten (nach Jacques Callot), 1678, Radierung, 11 × 18 cm, in: Johannes Schalch, Exercier-Büchlein, Basel 1680, S. 99, Universitätsbibliothek Basel, UBH AN 74

Abb. 6 | Conrad Meyer, Elf Kopfstudien und sechs Schädel, nicht datiert, Öl auf Leinwand, 58 × 88 cm, Kunsthaus Zürich, Kellersche Sammlung, 1854

Abb. 7 | Conrad Meyer, Selbstbildnis mit Totenkopf, 1647, Feder in Schwarz, 13,2 × 10,7 cm, Kunsthaus Zürich, Grafische Sammlung, Z.A.B. 1329

Krieg, Pest und Hexenwesen

Abb. 8 | Conrad Meyer, Memento mori, nicht datiert, Radierung, 10,5 × 7,4 cm, Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, Varia Embleme I, 2

Abb. 9 | Conrad Meyer, Bau[e]r, 1650, Radierung, 15 × 10,5 cm, in: Conrad und Rudolf Meyer, Sterbensspiegel, Zürich 1650, Tf. 34, S. 75, Zentralbibliothek Zürich, 6.133

Abb. 10 | Conrad Meyer, Ansicht von Zürich mit dem Wellenbergturm und Regenbogen, nicht datiert (um 1660), Öl auf Leinwand, 86,5 × 108,5 cm, Privatbesitz

von Skeletten und Totenköpfen dar, als eindringliche Mahnung, dass der Tod uns allen bevorsteht oder wie es die lateinische Redewendung knapp ausdrückt: «Memento mori»

Nicht weniger in Angst und Schrecken als Krieg und Seuchen versetzte Meyers Zeitgenossen auch das angebliche Hexenwesen. 1615 wurden Regula Frytag aus Dällikon und Anna Müller aus Lengnau von ihren Nachbarn der Hexerei bezichtigt und nach Zürich überführt.11 Im Wellenberg, dem in der Limmat stehenden Gefängnisturm, wurden die beiden Frauen mehrfach unter schwerer Folter verhört und nach ihrer Verurteilung auf einer Kiesbank in der Sihl bei lebendigem Leib verbrannt. 1701

fand in Zürich der letzte Hexenprozess statt und beendete diese dunkle Justizperiode, die im Lauf der Zeit auf Zürcher Staatsgebiet über achtzig, in der gesamten Schweiz mehrere Tausend – meist weibliche – Opfer geforderte hatte.12

Der Bestärkung des christlichen Glaubens und der Furcht vor Sünde und Verdammnis kam in diesem Umfeld eine zentrale Rolle zu, und Conrad Meyer wurde einer der bedeutendsten Illustratoren und Herausgeber von moralischer und religiöser Erbauungsliteratur, in der auch die Darstellung der Höllenqualen und des Teufels zentrale Aspekte sind.

Pest und Hexenwesen

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