Martin Meier-Pfister
Skan dale und sen
Reputations- und Kommunikationsstrategien für Führungskräfte
Martin Meier-Pfister
Skandale und Krisen
Reputationsmanagement und Kommunikation: Anregungen für Führungskräfte
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ISBN Print 978-3-03980-042-1
ISBN E-Book 978-3-03980-043-8
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NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG
«Everybody’s got plans … until they get hit.»
Mike Tyson
Einleitung, Struktur und Dank
Krisen und Skandale prägen Unternehmen und Führungskräfte. Sie können einen entscheidenden Einfluss auf die weitere Entwicklung einer Firma, die Karriere einer VR-Präsidentin, eines CEO haben. Der Schutz der Reputation gewinnt in einer Krise Priorität. Warum? Weil eine Krise Geld kostet, das man wieder reinholen kann, solange man die Reputation bewahrt. Unter enormem Druck ist eine strategisch und taktisch klug konzipierte Kommunikation zu definieren und rasch und pragmatisch umzusetzen. Das ist anspruchsvoll. Die Wirtschaftswelt ist voller Beispiele, wo dies nicht oder ungenügend geschehen ist. Guter Rat ist also teuer, zuweilen im wahrsten Wortsinn. Vor dem Hintergrund ist dieses Buch entstanden. Es stellt sich die Frage, warum es dieses braucht. Es gibt bereits viele Bücher über Krisenkommunikation. Diese fünf Gründe haben mich dazu bewogen:
1. Viele Bücher beschreiben im Wesentlichen eine Auswahl interessanter Krisenfälle und leiten daraus Handlungsempfehlungen ab; das gilt übrigens auch für Chat GPT & Co.1 Es sind dies im Wesentlichen Leitfäden oder Handbücher, die zu dem Schluss verleiten, man könne eine Krise «managen», wenn man denn nur einen tauglichen Plan habe. Dem ist aber häufig nicht so. Viele Krisen kann man eben nicht «managen», man kann lediglich mehr oder weniger passend auf diese reagieren, mit ihnen umgehen. Dieses Buch zeigt auf, wo es Handlungsfreiheiten gibt und wo deren Grenzen liegen.
1 Apropos Chat GPT oder andere KI-Instrumente: Wo nicht spezifisch referenziert, ist jedes Wort in diesem Buch vom Autor geschrieben worden. Allerdings habe ich Perplexity zur Recherche gewisser Sachverhalte oder zum Beibringen wissenschaftlicher Evidenz zu von mir selbst gemachten Erfahrungen verwendet. Wo aus Büchern oder Studien zitiert wird, ist der Autor, die Autorin genannt und das entsprechende Werk im Literaturverzeichnis aufgeführt.
2. Daran anschliessend: Ich will es besser machen als andere Vertreter meiner Zunft, welche Schulz (2001) vor einigen Jahren wie folgt kritisiert hat: «Doch mehr noch als bei den Publikationen zur PR stossen wir beim Spezialfall Krisen-PR auf eine unüberschaubare Anzahl von Rezeptbüchern. In erster Linie sind dies die Visitenkarten mehr oder weniger anerkannter PR-Berater. Fast mag man an eine bekannte Reihe von Reparaturanleitungen für Autobastler denken; denn die Literatur zur Krisen-PR beginnt erst mit der Panne; von Prävention oder Rehabilitierung keine Spur» (S. 97). Diese Aspekte sind hier integriert.
3. Die meisten Bücher sind von Spezialisten für Spezialisten geschrieben. Dieses Buch destilliert die Erkenntnisse für Verwaltungsräte und Führungskräfte, insbesondere VR-Präsidenten und CEOs. Für diese geht es in einer Krise häufig um alles oder nichts. Hier wird diskutiert, was eine Krise mit dem Führungspersonal anstellt (siehe Kapitel 7).
4. Einige Aspekte, die in einer Unternehmenskrise zentral sind, werden in der einschlägigen Literatur nicht beleuchtet. Etwa wie Kommunikation im Krisenfall angemessenen kalibriert werden kann (Kapitel 5) oder wie sich juristische und kommunikative Handlungsprinzipien in der Krise unterscheiden (Kapitel 12).
5. Die Wissenschaft widmet sich, oft als Teilgebiet der Reputationskonstitution, seit vielen Jahren dem Thema Krisenkommunikation. So interessant diese Aufsätze und Bücher sind, sind die Theorien, Hypothesen und die Sprache oft unnötig kompliziert. Und die Erkenntnisse für Praktiker ungeeignet, da zu abstrakt. Als Beispiel mag diese wissenschaftliche Definition von Medien dienen, die ich einmal gelesen habe: «[Medien sind …] Angebote an kognitive und kommunikative Systeme, unter ihren jeweiligen Systembedingungen Wirklichkeitskonstruktionen zu erzeugen» (von Pechmann2, 1996, S. 121). Aha.
2 von Pechmann zitiert hier S. J. Schmidt.
Einleitung, Struktur und Dank
Was qualifiziert mich als Autor für dieses Buch? Es sind dies primär Erfahrungen aus gut dreissig Jahren Tätigkeit als Unternehmensberater für Reputations- und Kommunikationsfragen. Aus der Nähe erlebt habe ich insbesondere die nachstehenden Krisensituationen. In einigen lief das Krisenmanagement gut oder war zumindest tolerabel, bei einigen nicht und es endete im Fiasko. Oder die Krise war dergestalt, dass gutes Krisenmanagement nichts hat ausrichten können. Es ist darum kein Zufall, dass unter den zahlreichen Zitaten und Redewendungen in diesem Buch eines fehlt respektive hier in einen anderen Kontext gestellt wird: dass jede Krise eine Chance sei. Dem ist nicht so. Es wendet sich leider nicht immer alles zum Guten. Fehler, auch grobe und unverzeihliche, können überall geschehen und fatale Folgen haben. Niemand ist gegen eine Krise immun.
Diese Fälle werden auf den folgenden Seiten entweder detaillierter beschrieben oder haben wesentlich zu den in dem Buch präsentierten Erkenntnissen beigetragen:
• Ein aktivistischer Leerverkäufer attackiert ein Technologieunternehmen.
• Der VR-Präsident einer Grossbank verletzt elementare Covid-Regeln und muss das Unternehmen verlassen.
• CEO und COO einer börsenkotierten Firma müssen wegen vermeintlichen Missbrauchs von Covid-Kurzarbeitsgeldern für zwei Monate in Untersuchungshaft. Verwaltungsrat und Management werden komplett ausgetauscht.
• Ein prominenter Universitätsprofessor publiziert eine bahnbrechende Studie. Dann wird publik, dass die dafür eingekauften Daten gefälscht waren. Er steht die Krise durch, nicht zuletzt dank umsichtigen Reputationsmanagement.
• Ein Geheimdienstbericht deckt auf, dass fremde Länder viele Jahre über eine Schweizer Firmengruppe zugunsten des BND und des CIA abgehört wurden. In den Fall verwickelte Unternehmen werden dank seriöser Vorbereitung vor der medialen Eskalation geschützt.
Einleitung, Struktur und Dank
• Ein VIP wird mit gehackten privaten Informationen aus einem früheren Strafverfahren unter medialen Druck gesetzt. Er bewahrt ruhig Blut und bleibt in Amt und Würden.
• Ein Aktionärsaktivist lanciert eine Breitseite gegen den VR-Präsidenten einer kotierten Firma. Der tritt zur Unzeit zurück, das führungslose Unternehmen wird zum Übernahmeopfer.
• Der Finanzchef eines globalen Multis begeht Suizid und belastet den VR-Präsidenten schwer. Dieser tritt zwei Tage später zurück und verschlimmert damit die Krise.
• Raider aus Österreich blasen zur Attacke auf einen angeschlagenen Industriekonzern.
• Eine börsenkotierte Medizinaltechnikfirma – mit einem Höchstwert von über CHF 2 Mrd. – geht nach dem Aufdecken eines Bilanzskandals in Konkurs.
• Eine Fluggesellschaft geht in Konkurs. Ein vormals nur in Fachkreisen bekannter Sachwalter übernimmt das Zepter und steht über Nacht im medialen Rampenlicht.
Die Liste illustriert, wie unterschiedlich die Ursachen für eine Krisensituation sein können. Sie können etwa kategorisiert werden in endogen versus exogen ausgelöste Krisen, nach Art der Ursache (personelle, technische, finanzielle, kommerzielle, naturbezogene Risiken etc.) oder nach Verschuldungsgrad. Nach meiner Erfahrung ist für die Reputation und Kommunikation zentral, wie eine Krise entsteht. Ich unterscheide nachfolgend drei idealtypische Formen, die unterschiedliche Prinzipien und Herangehensweisen erfordern:
• eine heikle Sache, die sich zur Krise auswächst – eine schleichende Krise (der häufigste Fall)
• die Krise aus heiterem Himmel – eine plötzliche, akute Krise
• eine sich abzeichnende Krise, auf welche man sich in Ruhe vorbereiten kann – eine absehbare Krise
Einleitung, Struktur und Dank
Diese drei Kapitel bilden den Kern des Buchs, sie finden sich im Teil II. Vorher werden im Teil I grundlegende Konzepte der Krisenkommunikation sowie zentrale Reputationsthemen skizziert. Dieser Teil I enthält ausgeprägt kopflastige Themen und schwerer verdaubare Kost. In Teil III werden relevante Teilaspekte der Krisenkommunikation beschrieben. Wo möglich, werden Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen skizziert. Das Executive Summary kommt zum Schluss. Ungeduldige Geister können direkt auf die Seite 137 springen und dieses Buch danach auf den Stapel der gelesenen Bücher legen.
In allem, was folgt, ist Krisenkommunikation als Teil des Krisenmanagements begriffen. Dabei sind Führungskräfte in diesem Teilaspekt des Krisenmanagements, im Gegensatz zu vielen anderen, besonders exponiert. Das gilt insbesondere für die CEOs. Daher ist im Folgenden vielfach von ebendiesen CEOs die Rede, wobei klar ist, dass andere Führungskräfte und insbesondere die Person im VR-Präsidium in Krisensituationen ebenfalls eine eminent wichtige Rolle einnehmen können.
Martin Meier-Pfister Zürich, April 2025
Dank
Die genannten Erfahrungen habe ich im Beratungsteam von IRF gemacht. Hier habe ich im Lauf der vergangenen 23 Jahre die in diesem Buch beschriebenen Erkenntnisse gewonnen. Dabei habe ich von der Zusammenarbeit mit zahlreichen Mitstreiterinnen und Mitstreitern profitiert. Sie alle aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Hier bloss die Einsicht, dass ich nicht alles «selbst erfunden» habe.
Beim Buchprojekt und Manuskript mit Ideen und Feedback zu einzelnen Themen und Passagen unterstützt haben mich insbesondere Dominique Gerster, Valentin Handschin, Martina Müri, Jürg Stähelin
Einleitung, Struktur und Dank und Marina Winder. Laura Berkes hat relevante Literatur recherchiert. Vielen Dank.
Einige Kapitel reflektiert haben kritische Geister in meinem näheren und weiteren beruflichen Umfeld: Maja Bauer-Balmelli, Andreas Bohrer, Daniel Dedeyan, Eveline Saupper, Zeno Staub und Chris Tanner. Danke für die wertvollen Rückmeldungen. Einige ihrer Kommentare habe ich direkt übernommen, einige Aspekte habe ich auf der Basis genauer ausgeleuchtet. Unter anderem das Thema Entschuldigungen in Japan. Mein Studienfreund Olaf Zorzi hat mich dazu «aufgeschlaut». Vielen Dank.
Reputationsmanagement und Krisenkommunikation ist «Learning by doing». Gelernt habe ich in erster Linie in konkreten Krisenfällen, von Kundinnen und Kunden. Diskretion geht über alles. Hier nur so viel: Danke für das Vertrauen!
Krisen und Skandale sind kein Wohlfühlthema. Um dem Ernst der Sache gelegentlich etwas Humor abzugewinnen, hat Peter Butschkow seinen feinen Stift zu Papier gebracht. Ein Gewinn.
Danke dem Schwabe Verlag und NZZ-Libro, insbesondere Susanne Franzkeit, Harald Liehr und Makbule Rüschendorf, für die konstruktive, unkomplizierte Zusammenarbeit.
Krisen verlangen nicht nur Unternehmen, sondern auch den involvierten Personen – Beratern inklusive – und ihren Familien einiges ab. Grazie mille an Caterina, Livio und Romano für die Unterstützung und Nachsicht.
Teil I Grundlagen
1.
Konzeptionelle Überlegungen
Zum Start des Buches ein paar grundlegende Gedanken. Zunächst zur Begriffsklärung: Was ist eine Krise, was ein Skandal?
Der Begriff Krise ist abgeleitet vom altgriechischen Wort κρίσις (krísis), welches Entscheidung oder Urteil bedeutet. Er entstand in medizinischem Kontext und bezeichnete ursprünglich den Wendepunkt in einer Krankheit, entweder in Richtung Heilung oder Tod. Der Begriff hebt damit die Notwendigkeit hervor, in einer Krisensituation wichtige Entscheidungen zu treffen.
Hier eine gute Krisendefinition im Unternehmenskontext: «Die Unternehmenskrise ist eine durch ein Ereignis oder eine kritische Entwicklung ausgelöste Periode der Destabilisierung des Unternehmens. Sie ist verbunden mit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des unternehmerischen Handelns und kann im Extremfall in eine Bestandsgefährdung münden. Eine Krise geht einher mit einer beschleunigten Veränderung, einer Reduktion der Abschätzungssicherheit und einer Abnahme der Vorhersagbarkeit» (Kullick3, 2008, S. 27).
Ein Skandal ist ein Ereignis, Verhalten oder Zustand, das oder der gegen gesellschaftliche, moralische oder rechtliche Normen verstösst und deshalb öffentliche Empörung, Aufregung oder grosses Interesse auslöst. Typische Formen eines Skandals im Wirtschaftskontext sind Korruption, Betrug, Machtmissbrauch oder Verletzung rechtlicher Normen. Nicht jedes Fehlverhalten wird automatisch zum Skandal.
3 Zitiert hier Bruno Brühwiler.