musikschule )) DIREKT 2.2016

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Angemessene Gage für KünstlerInnen GVL sichert zusätzliche Einkünfte Prekäre Arbeit im öffentlichen Auftrag

musikschule )) DIREKT All inclusive Der Hype um die Inklusion läuft nach wie vor auf Hochtouren. Im Herbst 2015 machten bereits fünfzig Prozent aller VdM-Musikschulen inklusive Unterrichtsangebote. Das ist beachtlich, wenn man bedenkt, dass die Potsdamer Erklärung („Musikschule im Wandel – Inklusion als Chance“) erst knapp anderthalb Jahre zuvor verabschiedet wurde. Die Frage ist allerdings, woher all die inklusionskompetenten Lehrkräfte so plötzlich kommen – dauert die berufsbegleitende Fortbildung, die der VdM an der Akademie Remscheid anbietet, doch immerhin zwei Jahre. Erstaunlich ist auch, dass offenbar sehr viele Musikschullehrkräfte finanziell in der Lage und bereit sind, über 2 000 Euro in diese Fortbildung zu investieren. So viel etwa kosten nämlich alle fünf Module nebst Unterkunft und Verpflegung – noch ohne Fahrtkosten. Sollten tatsächlich die Musikschulleitungen diese Kosten massenhaft übernommen haben? Kaum vorstellbar angesichts deren finanzieller Lage. Vielleicht aber haben die Lehrkräfte (vor allem, wenn sie Honorarkräfte sind, die ca. zwei Netto-Monatsgehälter für diese Fortbildung aufbringen müssten) an einer der Fortbildungen teilgenommen, die kostenfrei auf der Landesebene des VdM angeboten werden? In Brandenburg können Musikschullehrkräfte beispielsweise kostenlos eine Fortbildung im Rahmen des Projekts „Inklusive Musik – Instrumentalspiel für Menschen mit Behinderungen“ absolvieren. Abgesehen davon, dass Honorarkräfte die ca. sechzig Fortbildungsstunden in ihrer Freizeit absolvieren müssen statt in ihrer Arbeitszeit und an den betreffenden fünf Wochenenden keine Gelegenheit haben, ihr Einkommen anderweitig aufzubessern, müssen sie sich verpflichten, an dem Projekt, das denselben Namen wie die Fortbildung trägt, dann auch teilzunehmen. Das bedeutet, sowohl darin zu unterrichten als auch an den ein- bis zweimal jährlich stattfindenden Austauschtreffen teilzunehmen. Dass diese Zusatztermine vergütet werden, ist nicht anzunehmen. Auch künftig muss wohl davon ausgegangen werden, dass die Fortbildungen nur dann kostenfrei sind, wenn sie mit Selbstverpflichtungen verbunden sind, und dass sie weiterhin Honorarkräften nicht als Arbeitszeit angerechnet werden. Die Berliner Musikschullehrkräfte haben offenbar bereits ihre Konsequenzen gezogen: Zur Fachtagung in der Berliner Landesmusikakademie im Juni 2015 erschienen von über 1 500 gerade einmal 25. In manchen Bundesländern wird die musikpädagogische Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention dann wohl noch lange auf sich warten lassen. Anja Bossen

Ab sofort ist die DVD zum Musikschulkongress 2015 „MusikLeben – Erbe. Vielfalt. Zukunft“ in Münster beim Verband deutscher Musikschulen zum Preis von 9,50 Euro erhältlich. Die DVD enthält filmische Dokumentationen zur Eröffnungsund Abschlussveranstaltung, zu Workshops, Arbeitsgruppen, Foren und Plenumsveranstaltungen. Im Bonusmaterial wird das Thema Inklusion vertieft. Der Film hat eine Laufzeit von ca. 60 Minuten, das Bonusmaterial umfasst ca. 65 Minuten. www.musikschulen.de > Service > Publikationen

) Sie haben Fragen, Anregungen, Tipps oder Hinweise für die Redaktion? ) Sie möchten sich kritisch äußern zu unseren Themen und Beiträgen oder haben Vorschläge für neue Themen? Schreiben Sie uns: info@musikschule-direkt.de


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Die Wertschätzung der Künstlerinnen und Künstler muss gestärkt werden

Angemessene Gage Viele Künstler würden auch umsonst arbeiten, um „ihre Kunst“ machen zu können. Aber Kunst ist unsere Arbeit. Eine schöne Arbeit, ja, aber eine, die viel Arbeit macht und deshalb nicht umsonst zu haben ist. Ohne realistisch kalkulierte Honorare und Gagen laufen viele selbstständige Künstlerinnen und Künstler Gefahr, sich selbst zu unterschätzen.

)) Immer wieder ist in der Kulturpolitik und in Gruppen, die sich mit Fairness auf dem Kunstmarkt befassen, von „angemessenen Gagen“ die Rede. Hier wage ich den Versuch aufzuschlüsseln, was „angemessen“ in Zahlen tatsächlich bedeuten kann. Obacht: Die folgenden Stundensätze stellen keine tarifliche Absprache oder Verpflichtung dar; sie dienen der Orientierung und Vergleichbarkeit, und jeder Posten ist individuell und selbstständig zu verhandeln. Sie orientieren sich an einem anzunehmenden Normwert, aber es sind keine utopischen Werte. Um dies zu untermauern, zwei Beispiele vorweg: ) „Der BFFS [Bundesverband Schauspiel] hat folgende Mindestgage für Drehtage gefestigt: Für den Zeitraum zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 2015 beläuft sich diese Gage auf einen Wert von 750 Euro. Im Zeitraum zwischen dem 1. Juli 2015 und dem 30. Dezember 2016 erhöhen sich die Beiträge jeweils um 25 Euro. Dies gilt für Schauspielerinnen und Schauspieler, die ihre Ausbildung abgeschlossen haben und mindestens 18 Jahre sind.“ (Quelle: Bundesverband Schauspiel. Bühne/ Film/Fernsehen/Sprache – BFFS) ) „Alternativ zu einzelnen Layouts kann eine pauschale Session Fee gebucht werden. Im Vorfeld buchbar steht die Sprecherin/ der Sprecher dem Studio, den Kreativen und den Kunden eine Stunde für die ge-

stalterische Arbeit an Text und Spots zur Verfügung. In dieser Zeit kann an verschiedenen Textvarianten, auch für verschiedene Spots eines Kunden und einer Marke gearbeitet werden. Auch Texte zur internen Nutzung (z. B. Casefilme, MakingOfs, Vorstandspräsentationen etc.) können in diesem Rahmen mit aufgenommen werden. Ein Überschreiten der 60 Minuten wird nach den Maßstäben der Kulanz und Arbeitsatmosphäre gehandhabt, sonst in Halb-Stunden-Schritten weitergezählt. Unabhängig von der Anzahl der gesprochenen Varianten: 600 Euro“ (Quelle: Gagenliste deutscher Sprecher – GDS)

Brutto-Stundenlohn für Selbstständige Jetzt aber Tacheles: Der durchschnittliche deutsche Brutto-Monatsverdienst lag im Jahr 2014 bei 3 527 Euro brutto (Quelle: Statistisches Bundesamt) – wer es genau wissen will: Männer 3 728 Euro, Frauen 3 075 Euro. Warum der Durchschnitt? Wie der „Durchschnittsdeutsche“ haben die meisten Künstlerinnen und Künstler ein etwa vierjähriges Studium oder eine etwa vierjährige Ausbildung hinter sich. Sie haben eine durchschnittliche Weltanschauung und haben durchschnittlich viele Kinder und Scheidungen. Auch wenn Künstler in der Regel aufschreien, wenn man sie mit dem Durchschnitt vergleicht, orientiere ich mich jetzt an einem greifbaren und verständlichen Mittelwert, um einfach eine Rechengrundlage zu haben. Gehen wir von einem ledigen Angestellten aus, auf dessen Girokonto nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben von den 3 527 Euro (brutto) etwa 2 398 Euro (netto) gezahlt werden (Quelle: Finanzamt), ergibt sich aufs Jahr gerechnet, bei einer durchschnittlichen 38-Stun-

Aischa-Lina Löbbert

den-Woche, umgelegt auf die Zahl der Arbeitstage ein Verdienst von umgerechnet ca. 28 776 Euro Jahresgehalt, 14,56 Euro Stundenlohn (netto). Klingt wenig, ist auch so. Die entsprechende Berechnung aus Sicht eines Selbstständigen sieht nämlich so aus: Den abhängig Beschäftigten stehen üblicherweise 13 Monatsgehälter pro Jahr zu, und wir wollen ja auf die gleichen Brutto-Einnahmen wie der angestellte, „durchschnittsdeutsche“ Kollege kommen. Deshalb müssen wir den Brutto-Wert nehmen und einen weiteren Monat dazurechnen, dies ergibt ein Jahresgehalt von 13 x 3 527 Euro = 45 851 Euro, 23 Euro Stundenlohn. Eigentlich sollte dazu auch noch der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung von rund 20 Prozent des Bruttoverdienstes hinzugerechnet werden; schließlich sind Freiberufler und Unternehmer gezwungen, die vollständige Sozialversicherung selbst zu erwirtschaften. Da die meisten Künstler vergleichbar einem Arbeitnehmer bei der Künstlersozialkasse pflichtversichert sind und einen Teil des Beitrags (ebenfalls rund 20 Prozent) zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung aufbringen müssen, nicht aber auf Arbeitslosigkeit versichert werden, ist es schwer, den Arbeitgeberanteil aufzuschlüsseln. Fakt ist aber, dass sich die Lohnnebenkosten oder auch Personalkosten in Deutschland für den Arbeitgeber auf rund ein Drittel, also 33 Prozent belaufen. Um also die in der Rechnung noch nicht enthaltenen Kosten für z. B. freiwillige Arbeitslosenversicherung, vermögenswirksame Leistungen, Verpflegungs- und Fahrtkostenzuschüsse, Betriebsrenten, Beiträge zu Berufsgenossenschaften, Zuschläge für Mehrarbeit, Nachtarbeit oder Sonn- und Feiertagsarbeit oder gar Treueprämien, sonstige Prämien zu berücksichtigen, addieren wir


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„Wer seinen Wert versteht, tritt seinen Geschäftspartnern selbstbewusster gegenüber.“ 13 Prozent = 51 812 Euro Jahresgehalt, 26 Euro Stundenlohn.

Es gilt noch, das Jahr aufzuschlüsseln: Ausgehend von 365 Kalendertagen abzüglich Wochenenden (104 Tage), Feiertagen (8 Tage) und dem üblichen Tarifurlaub des Angestellten (30 Tage), bleiben gerade einmal 223 produktive Tage, vorausgesetzt, man ist nie krank. Dann verteilen sich die gewünschten Brutto-Einnahmen folgendermaßen auf den einzelnen Arbeitstag: 51 812 Euro Jahresgehalt, geteilt durch 223 Tage = 232 Euro Tagessatz, 31 Euro Stundenlohn.

Was sonst noch so dazukommt Auch bei uns Künstlerinnen und Künstlern ist nicht jede Stunde „fakturierbar“, also dem Kunden in Rechnung zu stellen. Neue Aufträge an Land ziehen, Anträge, Angebote oder Rechnungen schreiben, vorsprechen, netzwerken oder einfach mal „über die Kunst nachdenken“ – und last but not least die Buchführung sind effektive Arbeitszeiten. Und diese müssen wir uns auch anrechnen. Selbst wenn wir viel gebucht werden und längere Erwerbslosigkeiten (als Künstler ist man ja nie arbeitslos, nur erwerbslos) im Laufe des Jahres ausbleiben, ist eine Auslastung von zwei Dritteln gewiss nicht zu gering geschätzt. Und mal ganz ehrlich: Zwölfeinhalb Stunden pro Woche braucht doch jeder von uns für die Selbstvermarktung. Und das hebt den zu erwirtschaftenden Stundensatz schon auf 35 Euro. Außer der eigenen Arbeitskraft setzen Selbstständige weitere, oft kostenintensive Mittel ein: So gilt es, die Kosten für Räume, Büroausstattung, Verbrauchs- und Trainingsmaterial, Transportkosten, eventuelle Fremdhonorare, zusätzliche Versicherungen, Telekommunikation, Weiterbildung,

Reisen und so weiter zu erwirtschaften. Betriebsausgaben werden im Schnitt mit 15 Prozent kalkuliert, und so kommen wir auf einen Stundensatz von 40 Euro. Verkauft man als Selbstständiger Dienstleistungen, ist man ab einem Jahresgewinn von 17 500 Euro verpflichtet, Umsatzsteuer abzuführen: Auf diese Weise ergibt sich unterm Strich ein Stundensatz von über 48 Euro.

Zusammengefasst: Um auch nur auf das Gehalt zu kommen, das laut Statistischem Bundesamt Deutsche im Durchschnitt verdienen, muss ein selbstständiger Dienstleister, also auch wir Künstler, sehr zurückhaltend kalkuliert rund 48 Euro Stundenlohn, 365 Euro Tagessatz oder für sechs Wochen Proben oder eine sechswöchige Residenz eine Gage bzw. ein Honorar von 10 944 Euro in Rechnung stellen.

Wer soll das bezahlen? Aber: Was hilft es uns, den an sich angemessenen Stundensatz zu kennen, wenn wir ihn bei unseren Geschäftspartnern nicht durchsetzen können? Eine ganze Menge: ) Wer seine berufsbedingten Ausgaben und Einnahmen und den tatsächlichen Zeitaufwand für seine Arbeit übers Jahr betrachtet, weiß den Wert der eigenen Leistungen zu schätzen. ) Wer vergleicht und seinen Wert versteht, tritt seinen Geschäftspartnern selbstbewusster gegenüber, drückt nicht die Preise oder lässt sich bei Vereinbarungen über den Tisch ziehen. ) Und wer sich selbst nicht unter Wert verkauft und seinen Wert darstellen und entschlüsseln kann, kann realistische, würdige Preisangebote machen und wird damit in vielerlei Hinsicht glücklicher als mit den in der Branche üblichen Dumpingpreisen.

Weiterführende Links Gagenliste deutscher Sprecher: www.werbefilmproduzenten.de/ assets/Uploads/Empfehlung-Gagenliste-deutscher-Sprecher-GDS.pdf? Bundesverband Schauspiel. Bühne/Film/Fernsehen/Sprache: www.bffs.de Art but Fair: www.artbutfair.org Statistisches Bundesamt: www.destatis.de Künstlersozialkasse (KSK): www.kuenstlersozialkasse.de www.finanz-tools.de/stundenlohnrechner.php

Das Angebot bestimmt die Nachfrage, und der Preis ist nicht das einzige Kriterium für die Auftragsvergabe. Wenn wir Künstlerinnen und Künstler unseren Wert verstehen und weitertragen und dadurch die Politik begreift, was die Arbeit der Künstler wert ist, gibt es Hoffnung darauf, dass unsere Auftraggeber irgendwann in die Lage versetzt werden, diese Preise auch zahlen zu können. Bis dahin spricht nichts dagegen, am Ende von Verhandlungen notfalls preisliche Zugeständnisse zu machen; denn wenn beiden Parteien klar ist, was die Arbeit der Künstler eigentlich kostet, wird sich das Nicht-Gezahlte sicherlich in Wertschätzung aufwiegen. )) Aischa-Lina Löbbert ist Schauspielerin. Der Beitrag ist die Wiedergabe einer Rede vom 2. Oktober 2015 auf der Versammlung kulturpolitischer Schauspieler. www.aischalina.de


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Bares Geld

Markus Menke

Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten – klingt trocken, macht KünstlerInnen aber ganz schön „flüssig“

)) Die Vielfalt in unserem Beruf gehört zu den tollen Seiten im Musiker-Leben! Unterrichten, konzertieren, komponieren, produzieren, aufführen, einspielen, solistisch, in der Band, im Ensemble oder Orchester. Ein umfassendes Leistungsprofil, das per Urheberrechtsgesetz seit 1965 geschützt ist. Das Gesetzt definiert, wer ausübender Künstler ist: „Ausübender Künstler im Sinne dieses Gesetzes ist, wer ein Werk oder eine Ausdrucksform der Volkskunst aufführt, singt, spielt oder auf andere Weise darbietet oder an einer solchen Darbietung künstlerisch mitwirkt.“ (UrhG § 73)

Unter dem Titel „Die Welt ist eine Bühne. Wir stehen dahinter.“ hat die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) im Dezember 2015 ihre neue Informationsbroschüre veröffentlicht. Download unter: www.gvl.de > GVL > Presse & Publikationen > Publikationen

Und weiter: „(1) Der ausübende Künstler hat das ausschließliche Recht, seine Darbietung auf Bild- oder Tonträger aufzunehmen. (2) Der ausübende Künstler hat das ausschließliche Recht, den Bild- oder Tonträger, auf den seine Darbietung aufgenommen worden ist, zu vervielfältigen und zu verbreiten.“ (UrhG § 77)

Vergütung für Nutzungsrechte Das Recht an der Nutzung unserer Leistungen als ausübende Künstlerinnen und Künstler wird ausschließlich uns zugesprochen (vgl. §§ 73 und 77 UrhG). Natürlich drängt sich die Frage auf: Was bringt uns dieses Recht? Die Antwort gibt § 27 UrhG: „Hat der Urheber das Vermietrecht an einem Bild- oder Tonträger dem Tonträger- oder Filmhersteller eingeräumt, so hat der Vermieter gleichwohl dem Urheber eine angemessene Vergütung für die Vermietung zu zahlen. Auf den Vergütungsanspruch kann nicht verzichtet werden. Er kann im Voraus nur an eine Verwertungsgesellschaft abgetreten werden.“ Mit anderen Worten: Auch wenn wir jemandem das Nutzungsrecht für unsere Darbietung einräumen, müssen wir dafür eine Vergütung erhalten, darauf kann nicht verzichtet werden! Diese gesetzliche Regelung ist bares Geld wert! Das Gesetz spricht auch von einer Verwertungsgesellschaft, wohl vorausahnend, dass es der einzelnen Künstlerin schwerfallen wird, den Überblick über die Verwertung ihrer Leistungen zu behalten und mit jedem Nutzer individuell einen Verwertungsvertrag abzuschließen.

Verwertungsgesellschaft Die GVL übernimmt die notwendigen Leistungsschutzrechte für Musiker, Sänger, Schauspieler, Sprecher, Regisseure, Tänzer, künstlerische Produzenten, Veranstalter oder Dirigenten. Sie sorgt für die Abrechnung mit den Leistungsnutzern. Daraus ergibt sich eine Verteilsumme, die jährlich ausgeschüttet wird. Die jeweils aktuellen Verteilungspläne sind auf www.gvl.de veröffentlicht. Alles, was es dazu bedarf, ist der Abschluss eines Wahrnehmungsvertrags mit der GVL durch uns Künstlerinnen und Künstler. Dieser Vertrag ist kostenfrei! Die GVL erhält keine Beteiligung an unseren Leistungen wie beispielsweise Agenturen. Die eingenommenen Gelder verwaltet die GVL treuhänderisch. Lediglich die Verwaltungskosten werden von der Verteilsumme einbehalten. Die Wahrnehmungsverträge für alle Sparten sind ebenfalls auf www.gvl.de zu finden. Wie geht es weiter, wenn der Wahrnehmungsvertrag geschlossen ist? ) Im Online-Portal artsys.gvl.de melden wir unsere Mitwirkung an Produktionen. ) Die Meldungen werden geprüft. ) Die GVL gleicht die Meldungen mit Radio- und Fernsehproduktionen ab. ) Dann schüttet die GVL jährlich entsprechend ihrer Mitwirkung an Produktionen die Vergütung an Musikerinnen und Musiker aus. Drei Produktionsarten werden unterschieden: 1. Musikproduktionen: Tonträger, Rundfunkmitschnitte, Bühnenproduktionen


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„Die GVL sichert zusätzliche Einkünfte aus der Wahrung unserer Leistungsrechte.“

2. Wortproduktionen: Hörspiele, Lesungen, Kindersendungen 3. Film- und Fernsehproduktionen: Filme, Serien, Bühnenproduktionen. Immer dann, wenn eine Produktion genutzt wird, erhalten wir eine neue Vergütung – über Jahre hinweg. Das alles gilt auch für die Nutzung von Produktionen im Ausland, wenn der GVL die Rechte dafür übertragen werden. Die GVL hat entsprechende Vereinbarungen mit Schwestergesellschaften im Ausland. Den Wahrnehmungsvertrag können Künstlerinnen und Künstler aller Nationen mit der GVL abschließen!

Labels und Zweitverwertung Die technische Entwicklung hat die Verteilwege für Musikprodukte in den vergangenen Jahren erheblich verändert. Die Herstellung und die Produktion von Aufnahmen und der Aufbau eines eigenen Labels sind viel attraktiver und einfacher geworden. Auch die Rechte von Produzenten und Labels werden von der GVL vertreten. Und auch hierzu bedarf es des Abschlusses eines Wahrnehmungsvertrags. Die nächsten Schritte: ) Veröffentlichung der Musikproduktion (digital oder als CD, Platte, Kassette) ) Beantragung des Labelcodes und des Zugangs zu www.trisys.gvl.de ) Für die Distribution an Nutzer wie Sendeanstalten ist der Hersteller der Musikproduktion selbst verantwortlich. Die Sender melden genutzte Produktionen inklusiv Labelcode der GVL.

) Der Hersteller verwaltet seine Rechte an Musikproduktionen im Online-Portal www.trisys.gvl.de. ) Die GVL schüttet für genutzte Produktionen auf der Basis der Sendeminuten an die Hersteller jährlich eine Vergütung aus. Auch Hersteller von Tonträgern und Labels können die GVL mit der Wahrnehmung der Leistungsschutzrechte im Ausland beauftragen.

Wer ist zahlungspflichtig? Hörfunk- und Fernsehsender, Webradios, Kabelbetreiber, Diskotheken, Gaststätten, Hotels, Hersteller von Aufnahmegeräten und Leermedien, Videotheken, öffentliche Bibliotheken und Schulbuchverleger: Sie erhalten im Auftrag der Musikerinnen und Musiker, die mit der GVL den Wahrnehmungsvertrag abgeschlossen haben, eine Lizenz für die Nutzung der Leistungen, die als Vergütungsabgabe zu zahlen ist. Nutzungsarten sind: ) das Senden von Tonträgern und Videoclips, ) die öffentliche Wiedergabe und die Vervielfältigung, ) die Vermietung und der Verleih von Tonträgern und Filmen, ) die Kabelweitersendung künstlerischer Darbietungen.

de mit der entsprechenden Fachkompetenz die Geschicke der GVL lenken. Die Gesellschafter der GVL sind die Deutsche Orchestervereinigung und der Bundesverband Musikindustrie. Die Entscheidung sowohl über die Höhe der Vergütungsabgabe der Nutzer als auch über die Verteilungspläne für die Leistungsberechtigten trifft ein Beirat. Der GVL-Beirat besteht aus 24 Mitgliedern. Alle drei Jahre wählen die Berechtigten ihre zwölf Vertreter für alle Künstlergruppen. Weitere zwölf Beiratsmitglieder werden durch die Gesellschafterversammlung berufen, jeweils für die Dauer von drei Jahren. Die behördliche Aufsicht obliegt dem Deutschen Patent- und Markenamt.

Schlussbetrachtung Wie KSK und GEMA verbirgt sich hinter dem Kürzel GVL ein System, das es zu nutzen gilt. Mit der eingangs beschriebenen Vielfalt unseres Berufs soll es uns doch gelingen, ein auskömmliches Einkommen zu realisieren. Die GVL kann dabei eine große Stütze sein und sichert zusätzliche Einkünfte aus der Wahrung unserer Leistungsrechte an Aufführungen, die durch elektronische Medien genutzt werden. ))

Rechtsform Wie der Name schon sagt, ist die GVL eine Gesellschaft und keine Behörde. Diese Rechtsform ermöglicht, dass nicht der Staat, sondern gesellschaftlich relevante Verbän-

Markus Menke ist Direktor des Hamburger Konservatoriums. Er studierte Ökonomie, Klavier, EMP und Kontrabass und lehrt seit 1999 Berufskunde an Musikhochschulen.


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Prekäre Arbeit im öffentlichen Auftrag Annette Breitsprecher

In den vergangenen Jahren standen die Berliner Musikschulen immer wieder im Licht der Fachöffentlichkeit – leider immer aus negativem Anlass. Seit Jahren sind die Berliner Musikschullehrkräfte mit Aufnahmestopps und Stundenkontingentierungen, maroden Unterrichtsräumen und allgemeiner Raumnot, mangelnder sozialer Absicherung und einem Monatseinkommen nur wenig oberhalb der Armutsgrenze konfrontiert. Seit der Einführung neuer Honorarverträge durch die Senatsverwaltung im Jahr 2013 haben sich die Arbeitsbedingungen nochmals verschärft. Die neuen Verträge samt neuer Ausführungsvorschriften waren von der Senatsverwaltung eingeführt worden, um jeglichen

Verdacht auf Scheinselbstständigkeit der Lehrkräfte auszuschließen und Festanstellungen um jeden Preis zu vermeiden. Zu den ohnehin miserablen Bedingungen kommen seitdem noch unbezahlte Arbeitszeiten für Einzelstundenabrechnungen, chaotische Zustände aufgrund nicht funktionierender Software in der Musikschulverwaltung, falsche Honorarabrechnungen und teilweise unpünktliche Honorarzahlungen, die als klarer Vertragsbruch seitens der Verwaltung zu werten sind, hinzu. Daran haben weder ein seit dreieinhalb Jahren nicht umgesetzter Parteitagsbeschluss der SPD zur Verbesserung der Situation der Lehrkräfte noch die zusätzlich in den Haushalt eingestellte Summe von

2,5 Millionen Euro – die für die Schaffung fester Stellen verwendbar gewesen wäre statt für mehr prekäre Beschäftigung auf Honorarbasis – noch Elternproteste etwas geändert. Doch die Berliner Lehrkräfte geben nicht auf: Am 13. November 2015 veranstaltete das Kollegium der am schlimmsten betroffenen Leo-Borchard-Musikschule in Steglitz-Zehlendorf ein Protestkonzert. Die Berliner Lehrervertreterin Annette Breitsprecher schilderte in einer Ansprache zu Beginn des Konzerts, welche Folgen die Umstellung der Honorarverträge mittlerweile für die Qualität der Musikschularbeit und für die Musikschullehrkräfte hat. Anja Bossen

)) Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern, liebes Publikum – danke, dass ihr hier seid, danke, dass Sie hier sind. Musikervolk, so scheint es mir, neigt gelegentlich zum Individualismus. Vielleicht ist das einer der Grüde dafür, dass es immer so ruhig ist in unserer Zunft. Es muss schon die Hütte brennen, damit sich ein kollektiver Widerstand regt. Hier und heute regt er sich, und das ist gut so, denn er ist – leider – mehr als dringend nötig. Die schlimme Situation der Kolleginnen und Kollegen an der hiesigen Musikschule ist ja nur die Spitze eines Eisbergs (wenn auch eine momentan ziemlich weit herausragende Spitze). Und das heutige Konzert ist auch nicht das erste „Protestkonzert“. Wir erinnern uns: Es war im Jahr 2011, als die Deutsche Rentenversicherung feststellte, die auf Honorarbasis arbeitenden Berliner Musikschullehrerinnen und -lehrer (und wie wir wissen, sind das über 90 Prozent) seien mehrheitlich als scheinselbst-

ständig anzusehen. Der damalige Umgang des Senats mit dieser Feststellung trieb uns auf die Straße. Er war der Auslöser für ein großes Protestkonzert und eine ganze Reihe von Demonstrationen. Warum? Weil damals nicht ein Gedanke verschwendet wurde an die Frage, ob man infolge dieser – möglicherweise richtigen? – Feststellung der Rentenversicherung vielleicht Stellen schaffen müsse für derzeit scheinselbstständig zu miserablen Bedingungen arbeitende Menschen; für Menschen, die ihren Beruf lieben und mit Herzblut leben; für Menschen, von denen sich eine große Zahl trotz schwieriger Verhältnisse mit „ihrer“ Musikschule identifiziert hat. Nein, mit dieser Frage wurde sich nicht befasst. Einziges Interesse war, die angebliche Selbstständigkeit der Musikschullehrerinnen und -lehrer rechtlich so festzuklopfen, dass sie künftig nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Dazu wurden die neuen „Ausführungsvorschriften Musik-

schule“ erfunden. Zusammengefasst handelte es sich hierbei um das Unterfangen, unsere Vertragsverhältnisse so auszugestalten, dass nicht der Verdacht aufkommen kann, wir Musikschullehrkräfte gehörten zur Musikschule. Gegen diesen Unsinn (oder wie man aus heutiger Sicht wohl eher sagen muss: Irrsinn) zogen wir auf die Straße, mit den Forderungen nach einer vernünftigen Stellenausstattung und nach einem Tarifvertrag für freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anstelle der unseligen Ausführungsvorschriften. Das Medienecho war beachtlich, wir hatten große Unterstützung aus der Elternschaft und auch von Vertretern etlicher namhafter Kulturinstitutionen. Aber was haben wir erreicht? Böszungig könnte man sagen: Befriedungsgeld. Ja, es gab zusätzliche Mittel, sogar in nicht unerheblicher Höhe (sofern man als Bezugsgröße den Jahresetat der Berliner Musikschulen nimmt und nicht andere Baustellen im Land heranzieht …). In der Öffent-


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Fakten zu den Berliner Musikschulen

Die Situation an den Berliner Musikschulen ist nach wie vor eine große Belastung für die Lehrkräfte lichkeit entstand der Eindruck: „Aha, da passiert etwas.“ Zum einen sollte dieses Geld tatsächlich zur Schaffung von mehr festen Stellen verwendet werden. Doch was ist daraus geworden? Wie man hört, sind es wohl berlinweit mittlerweile zwei… Ein erheblicher Teil der Mittel ist, wegen später Freigabe und dem seit Jahrzehnten üblichen Verantwortungs-Pingpong zwischen Senat und Bezirken, stattdessen in Sachmittel geflossen. Zwar waren auch diese dringend nötig und überfällig, aber sie leiten keinen Strukturwandel ein. Der zweite Zweck des warmen Geldregens war die Erhöhung des Unterrichtsangebots – an sich eine gute Sache, könnte man meinen. Da der Löwenanteil des Unterrichts von Freien erbracht wird, heißt das aber de facto nichts anderes als: mehr prekäre Arbeit. Vom so dringend nötigen Tarifvertrag sind wir heute so weit entfernt wie eh und je. Stattdessen schlagen wir uns herum mit den Folgen der neuen Ausführungsvorschriften, allem voran mit dem, was diese „Einzelstundenabrechnung“ anrichtet. Was für eine traurige Verschwendung menschlicher Ressourcen, bei den Freien ebenso wie bei den nach Kräften bemühten Menschen in den Verwaltungen! Und was für ein Desaster, der Verlust dieses Stückchens sozialer Sicherheit, das in einem wenn auch viel zu bescheidenen, so doch wenigstens regelmäßigen Salär bestand. Thematisieren wir unsere Situation, so wird bei den zuständigen Stellen oft zynisch abgewiegelt. Da bekommt man zu hören, in Berlin gehe es den Honorarkräften gut, anderswo werde schließlich noch weniger gezahlt. Eine gerade in der Auswertung befindliche Umfrage von ver.di und Landeslehrervertretung allerdings lässt nicht wirklich den Eindruck von „gut gehen“

aufkommen: 60 Prozent der antwortenden Kolleginnen und Kollegen gaben an, dass ihre Rente unter 500 Euro liegen wird. Von dieser weit verbreiteten Technik, Probleme kleinzureden, anstatt sie verantwortlich zu bearbeiten – und übrigens: eine Weisung zum Abhängen von Plakaten für dieses Protestkonzert, sofern sie tatsächlich erfolgt sein sollte, würde auch in diese Kategorie gehören –, von dieser Technik also dürfen wir uns weder verwirren noch demoralisieren lassen. Wir sollten stattdessen dafür sorgen, dass das Thema „Prekäre Arbeit im öffentlichen Auftrag“ ein nicht mehr kleinzuredendes (Wahlkampf-)Thema wird! Dies sollten wir tun, dringend – obwohl wir ja eigentlich etwas anderes tun wollen. ) Eigentlich wollen wir uns auf einer ganz anderen Ebene tatkräftig einsetzen für eine gute und allen Menschen in der Stadt zugängliche musikalische Bildung: Diese Ebene wäre ein pädagogischer Alltag, der qualitativ hochwertige Arbeit fördert, anstatt sie zu behindern. ) Eigentlich wollen wir eine sensibilisierende, persönlichkeitsstärkende, zur aktiven Auseinandersetzung mit der Musik und mit dem Selbst anregende, Glückspotenziale zu Tage fördernde musikalische Bildungsarbeit leisten. Das ist es, was die Mehrheit von uns als eigentliche Berufung ansieht (eine Berufung, zu der es eigentlich auch einen passenden, richtigen Beruf gibt). ) Eigentlich wären die öffentlichen Musikschulen der gebotene Ort für diese wunderbare Arbeit. Ich danke Ihnen. ))

Annette Breitsprecher unterrichtet Klavier, Kammermusik und Korrepetition an der Musikschule Fanny Hensel in Berlin.

Institution • 12 bezirkliche Musikschulen • 157 Festangestellte (zum Teil in Teilzeit) • 2 202 Honorarlehrkräfte mit abgeschlossenem Hochschulstudium (die tatsächliche Zahl ist etwas niedriger, da diejenigen, die an mehreren Musikschulen beschäftigt sind, mehrfach gezählt sind) • ca. 51 931 MusikschülerInnen • Kosten der neuen Musikschulsoftware bislang: rund 450 000 Euro Einkommen • Honorar für freiberufliche Musikschullehrer: 22,27 Euro/45 min. • Honorar für Abnahme von Prüfungen: 9,33 bis 11,03 Euro/45 min. • keine monatlichen Abschlagszahlungen • bei vollem Beschäftigungsumfang ca. 30 % weniger Einkommen als eine Grundschullehrerin Arbeitsbedingungen der Honorarkräfte • keine vollständige (nur 80 % und erst nach drei Karenztagen) bzw. gar keine Honorarfortzahlung im Krankheitsfall • kein Mutterschutz • kein Kündigungsschutz • keine Mitarbeitervertretungsrechte Scheinselbstständigkeit • freiberufliche Lehrkräfte unterrichten wie ihre festangestellten KollegInnen – in den Räumen der Musikschulen – abhängig von den vorgegebenen Raum- und Zeitressourcen Politik • Juni 2012: Parteitagsbeschluss der SPD: „Faire Arbeitsbedingungen für die Berliner Musikschullehrer“, Umsetzung steht immer noch aus • Petition im Jahr 2013: Übergabe von 21 185 Unterschriften an den Berliner Senat, um die neuen Ausführungsvorschriften abzuwenden

Quelle: Fachgruppe Musik im ver.diLandesbezirk Berlin-Brandenburg


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Rituale im Instrumentalunterricht

Zwischen Sicherheit und Langeweile Anja Bossen

InstrumentalpädagogInnen sind ständig neuen Anforderungen ausgesetzt: Neue Unterrichtsmethoden, neue Inhalte, neue Zielgruppen, individualisiertes Lernen sollen im Unterricht angemessen berücksichtigt werden. Dass dabei des Öfteren alter Wein in neuen Schläuchen präsentiert wird, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Vielmehr geht es darum, eine Konstante aufzuzeigen, ohne die kein Unterricht auskommt: Rituale. Rituale sind trotz Individualisierung aus dem Unterricht nicht wegzudenken. Doch können sie auch zu Erstarrung und damit letztlich zu Langeweile führen.

) motorische Dimensionen, weil Rituale Verhaltens- und Handlungsmuster wiederholend praktizieren lassen. Vor allem der Gruppenunterricht setzt auf Rituale, was durch die gemeinschaftsbildende Funktion bedingt ist. Obwohl die Unterrichtsphasen im Gruppenunterricht sich meist nicht wesentlich von denen des Einzelunterrichts unterscheiden, haben dort Rituale neben der Gliederungsfunktion der Unterrichtsstunde in Abschnitte eine identitätsstiftende, das Gemeinschaftsgefühl stärkende und sozialisierende Funktion, indem Gruppenrituale wie z. B. ein Begrüßungs- oder Abschiedslied eingeführt und wiederholt werden.

)) Astrid Kaiser definiert Rituale als besondere, sozial-gestaltete, situative und aktionale Ausdrucksformen von Kultur. Rituale sind demnach in sich geschlossene, wiederkehrende Ereignisse bzw. feststehende Handlungssequenzen mit symbolischem Charakter und gleichem Ablauf, in denen verschiedene Dimensionen eine Rolle spielen können: ) sprachliche Dimensionen, weil Rituale nach bestimmten Sprachmustern ablaufen, ) emotionale Dimensionen, weil Rituale in verlässlicher Weise ablaufen und damit emotionale Sicherheit geben (was viele Kinder zuhause nicht mehr erfahren), ) kognitive Dimensionen, weil Rituale Strukturierungshilfen bei der Organisation von Abläufen darstellen, ) soziale Dimensionen, weil Rituale durch automatisierte Abläufe für alle eine feste soziale Platzierung erlauben; damit wirken sie gemeinschaftsbildend,

Arten und Funktionen von Ritualen Rituale im Instrumentalunterricht sind meist räumlich oder organisatorisch rituell. Ein Beispiel für ein räumliches Ritual ist z. B. eine zu jedem Stundenbeginn gleiche Aufstellung im Stehkreis, in dem ein Begrüßungslied gesungen wird. Aber auch das Aufhängen eines Plakats mit gemeinsam erarbeiteten Verhaltensregeln ist zu räumlichen Ritualen zu zählen. Die meisten Rituale im Instrumentalunterricht dienen allerdings der Organisation und Gliederung des Stundenablaufs. Rituale können somit dazu beitragen, den Unterrichtsverlauf zu strukturieren und ihn zu rahmen. Sie reglementieren Gruppenverhalten für einen bestimmten Zeitraum und Anlass. Dabei werden im Instrumentalunterricht oft Rituale mit Musik und Bewegung verwendet, was naheliegend,

aber nicht zwingend notwendig ist.1 Außer zum Markieren von Anfang und Ende der Unterrichtsstunde können musikbezogene Rituale z. B. zum Einsatz kommen, wenn die Konzentration sinkt, Schüler eine Pause benötigen oder wenn aufgeräumt werden soll. Für solche Situationen eignen sich Musikstücke, denen eine ganz individuelle Funktion in einer Gruppe zugesprochen werden kann: So kann dasselbe Stück in einer Gruppe als Pausenritual verwendet werden, indem man sich zur gehörten Musik bewegt (oder zu einer ruhigen Musik entspannt auf dem Boden liegt), in einer anderen Gruppe aber als „Aufräummusik“. Wird ein Stück mit einer bestimmten Situation immer wieder verknüpft, ist es als Ritual schnell etabliert. Es kann helfen, viele Worte zu vermeiden und muss auch nicht stets neu erarbeitet werden, da die Schülerinnen und Schüler bereits wissen, was kommt bzw. was von ihnen in dieser Situation erwartet wird. Dies trägt zu Stabilität und Sicherheit bei und das Unterrichtsgeschehen wird durchschaubarer. Den SchülerInnen wird dabei das Gefühl vermittelt, einen Teil der Unterrichtsstunde selbst aktiv mitgestalten zu können. Ein weiteres Argument für den Einsatz von Ritualen ist, dass sie einen Moment des Innehaltens bedeuten, der angesichts der heute üblichen Zeithetze wohltuend sein kann: z. B. ein Pausen- oder Ruheritual, das aus einer Fantasiereise zu einem gehörten Musikstück besteht. Rituale können an die Gegebenheiten in einer Gruppe angepasst werden. So kann etwa in einer multikulturellen Gruppe ein Begrü-


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Literatur

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Astrid Kaiser: 1 000 Rituale für die Grundschule, Schneider Hohengehren, Baltmannsweiler 2012 Susanne Petersen: Rituale für kooperatives Lernen in der Grundschule, Cornelsen Scriptor, Berlin 42010 www.kulturradio.de/kinder/elterntipps/ ich_kann_nicht_singen.html

ßungs- oder Abschiedslied in verschiedenen Sprachen gesungen werden. Die sicherheits- und ordnungsstiftende Funktion, die mit Ritualen verbunden ist, lässt sich besonders gut in der Flüchtlingsarbeit nutzen, der sich viele InstrumentalpädagogInnen zunehmend widmen. Gerade Flüchtlingskinder, deren Welt aus den Fugen geraten ist, die belastende Dinge erlebt haben und die neue Orientierungen brauchen, können durch die Teilnahme an musikalischen Ritualen Selbstheilungskräfte und Stabilität entwickeln. Dies bedeutet einerseits eine sprachliche Entlastung für Flüchtlinge, die kaum Deutsch können; andererseits bieten Rituale auch einen Zugang zur deutschen Sprache (z. B. wenn kommunikative Muster des Begrüßens oder Verabschiedens in einem Liedtext vorkommen).

Bausteine von Ritualen Grundsätzlich kommen verschiedene musikalische Bausteine als Rituale in Frage: ) Lieder ) Bewegung zu Musik ) Hörübungen ) kreative Gestaltungsaufgaben ) Rhythmusspiele mit Instrumenten ) rhythmische Sprachspiele. Nicht der musikalische Baustein als solcher, sondern die Situation entscheidet über die Funktion als Ritual, sofern nicht ein vorhandener Text die Situation eindeutig vorgibt wie im Fall von Begrüßungs- oder Abschiedsliedern oder rhythmischen Sprachspielen. Ansonsten kann jeder Baustein in ganz verschiedenen Situationen als Ritual

verwendet werden, allerdings immer nur ein Baustein für eine bestimmte Situation in einer Gruppe. Auch in außermusikalischen Situation haben Rituale wichtige pädagogische Funktionen. So können nach einem Streit Friedensrituale dazu beitragen, wieder zu einer Situation zu finden, in der mit dem Unterricht fortgefahren werden kann. Eine Streitsituation kann auch dialogisch mit Instrumenten ausgetragen werden, ebenso wie ein anschließendes Friedensritual. Auch für das häusliche Üben können Rituale vor allem bei jüngeren Kindern genutzt werden und motivierend wirken. So können Eltern ihre Kinder beim Üben in der Form unterstützen, dass der Beginn des Übens mit etwas eingeleitet wird, was das Kind mag. Selbst das gelegentliche Zuhören kann ritualisiert werden, indem das Kind das Geübte präsentiert und die Eltern (Geschwister, Freunde) wie ein Publikum auf Stühlen Platz nehmen und eine fiktive „Bühne“ für das Kind errichtet wird.

Auch wenn ein Ritual ursprünglich sehr beliebt war, ist es irgendwann an der Zeit, es zu wechseln – allerspätestens dann, wenn die Gruppe es durch Anzeichen von offen oder verdeckt demonstrierter Langeweile einfordert. Dem Geschick der Lehrkraft bleibt es hierbei überlassen, die Grenze zwischen Sicherheit und Langeweile zu erkennen. Rituale müssen außerdem zu einer Gruppe passen. Allzu oft ist zu beobachten, dass Lehrkräfte nur über ein sehr geringes Repertoire an Ritualen verfügen – oder nur für Randsituationen wie Begrüßen oder Verabschieden –, die sie in allen Gruppen auf die gleiche Weise einsetzen. Eine Selbstreflexion über die Gegebenheiten und Bedürfnisse in einer Gruppe und über die eigenen, oft stark ritualisierten Handlungen – wann sind sie schon stereotyp und so vorhersehbar, dass der Vorteil der Sicherheit, die sie bieten, durch Langeweile überboten wird? – kann dazu beitragen, dass die positiven Funktionen von Ritualen auch langfristig erhalten bleiben. ))

Praktischer Umgang mit Ritualen InstrumentalpädagogInnen sollten sich ein Repertoire an Ritualen für verschiedene Situationen und Altersgruppen zulegen. Oft entstehen Rituale auch aus Anregungen der SchülerInnen heraus, die es aufzugreifen und zu einem unverwechselbaren Gruppenritual zu machen gilt. Doch sollte niemand gezwungen oder überredet werden, sich an einem Ritual zu beteiligen, denn positive Funktionen können nur dann erfüllt werden, wenn das Prinzip der Freiwilligkeit gilt.

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Rituale mit Musik und Bewegung erfreuen sich allerdings auch in anderen, nicht musikbezogenen Unterrichtskontexten großer Beliebtheit.


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musikschule )) DIREKT 2.2016

© Cordula Heuberg

Mögen Bernd Dahlhaus

„Kommt drauf an.“ Diesen Satz entgegnen wir meist dann, wenn wir eine Frage nicht eindeutig beantworten können. Der Sachverhalt erscheint uns zu komplex, als dass wir aufgrund der uns verfügbaren, naturgemäß immer begrenzten Informationen eine klare Meinung fassen oder eine Entscheidung treffen könnten. Um solch eine Art „Problem“ lösen zu können, gilt es, den Hintergrund der Frage oder den Zusammenhang zu beachten. Allerdings steht dieser Kontext nicht per se fest, sondern hängt von der individuellen Sichtweise ab und ist demzufolge Ergebnis einer (meist unbewussten) Wahl.

)) Der Anthropologe und Kommunikationsforscher Gregory Bateson hat als einer der ersten Wissenschaftler systematisch die Kontextualität von Phänomenen im menschlichen Denken und Handeln zum Thema gemacht. Bateson veranschaulicht dies in seinem Buch Ökologie des Geistes mit einer Geschichte von einer Mutter, die ihren kleinen Sohn gewöhnlich mit Eiscreme belohnt, wenn er seinen Spinat gegessen hat. Dabei nutzt Bateson diese Ausgangssituation, um aus einer ungewöhnlichen Frageperspektive auf verschiedene mögliche Kontexte der Geschichte hinzuweisen, die sich aus der Ausgangssituation ergeben können.1 Im Folgenden übertrage ich diese SpinatEiscreme-Geschichte auf den Beruf des Instrumentalpädagogen und erläutere anschließend, warum ich die Beschäftigung damit auch im instrumentalpädagogischen Beruf für lehrreich und nützlich halte.

Spinat und Eiscreme im Klavierunterricht Eine Klavierlehrerin belohnt ihren Schüler gewöhnlich mit „Lob“,2 wenn er geübt hat.3 Im Lauf der Zeit sind folgende Entwicklungen vorstellbar: Der Schüler wird schließlich das Üben mögen oder verabscheuen, er wird Lob mögen oder verabscheuen oder er wird die Lehrerin mögen oder verabscheuen. Was denken Sie, was jeweils zu einer dieser sechs Entwicklungen führen könnte? Sammeln Sie im Folgenden hierzu Ihre Ideen. Welche zusätzlichen Aspekte, welche Rahmenbedingungen um die beschriebene Ausgangssituation herum können Sie erfinden, die die jeweilige Entwicklung erklären könnten? Der Schüler wird möglicherweise … 1. das Üben mögen, wenn … 2. das Üben verabscheuen, wenn … 3. Lob mögen, wenn … 4. Lob verabscheuen, wenn … 5. die Lehrerin mögen, wenn … 6. die Lehrerin verabscheuen, wenn …4

Wofür sich das lohnt Mir geht es mit dieser Geschichte nicht um die inhaltlich vordergründige Frage, wie ein Instrumentallehrer seinen (unmotivierten) Schüler kommunikativ möglichst geschickt zum Üben bringt. Mir geht es auch nicht um das Prinzip von Belohnung und Bestrafung als pädagogischer „Methode“ zur Verstärkung eines gewünschten Verhaltens.5 Und mir geht es auch nicht um das „Loben“ als solches, das immer Gefahr

läuft, den Lehrer in einer asymmetrischen Kommunikation zum Höherstehenden, zum fachlich und vor allem menschlich künstlich Überhöhten zu machen.6 Und der Sicherheit halber sei außerdem angemerkt, dass es mir auch nicht um die grundsätzliche Frage geht, wie die Beziehungsqualität zwischen Schüler und Lehrer zu beschreiben oder didaktisch zielgerichtet oder pädagogisch verantwortlich zu gestalten sei. Ich betone diese „Nicht“-Aspekte deshalb, weil ich damit auf eine häufig zu beobachtende Tendenz in kollegialen Gesprächen unter InstrumentalpädagogInnen reagieren möchte. Nach meiner Erfahrung empfinden es viele Lehrkräfte als Zumutung, wenn sie nach deren Worten mit „ungewohnten“, „verstörenden“ oder sogar „nervenden“ Fragestellungen und Blickrichtungen auf bestimmte Phänomene des Unterrichts bzw. ihres Berufs konfrontiert werden. Für viele KollegInnen scheint es leichter, zur Bewältigung von neuen, ungewohnten (gedanklichen) Anforderungen bereits gefestigte Erklärungs- und Bewertungsmuster zu (re)aktivieren. Werden Irritationen nicht zugelassen, führen auch kollegiale Gespräche häufig zu den immer selben Quintessenzen, den „persönlichen Wahrheiten“, die als Wiederholungsschleife sowohl eine persönliche wie auch eine institutionelle Weiterentwicklung erschweren oder verhindern. Batesons Spinat- bzw. die „Übe-Lob“-Geschichte irritiert mit ihrer besonderen Fragerichtung und erfordert eine ungewohnte Denkbewegung. Sie regt dazu an, ein Phänomen aus unterschiedlichen Richtungen


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Ein Plädoyer für mehr Kontextbewusstsein im Instrumentalpädagogikberuf

Instrumentallehrer Spinat?

zu betrachten, bisher nicht beachtete Aspekte zu entdecken und verschiedene Arten ihrer Verknüpfung zu erkunden. (Ein ähnlicher Effekt geschieht in einem Krimi, wenn durch die Einführung neuer Informationen die Handlung eine überraschende Wendung nimmt.) Solch eine „Denkübung“ ) „verflüssigt“ verfestigte Wahrnehmungsund Denkgewohnheiten; ) wirkt gegen Simplifizierung und Informationsvernichtung; ) hilft, neue Perspektiven zu sehen, gewohnte Sichtweisen zu ergänzen: macht das Leben „bunter“; ) ermöglicht, die Welt der anderen besser wahrzunehmen und zu verstehen; ) weckt Entdeckerfreude und Fantasie; ) ermöglicht in Situationen, die als Problem erlebt werden, ein flexibleres Verhalten.7 Ein Gefühl für diese Nutzen können Sie am besten entwickeln, wenn Sie die noch folgenden Praxisanregungen ausprobieren. Das Bewusstsein für Zusammenhänge, deren achtsame Wahrnehmung und kreative Gestaltung – kurz: eine Kontextualisierungskompetenz – bereichert sowohl das pädagogisch-didaktische Erleben und Handeln des einzelnen Lehrers im Unterricht wie auch das Erleben und Handeln im kollegialen Miteinander in der Musikschularbeit. Nicht in der getrennten Betrachtung des Pädagogisch-Didaktischen einerseits und aller anderen, außerunterrichtlichen berufsbezogenen Themen andererseits, sondern eher in der Wahl eines Fokus, der auf das Verbindende, auf das beide Bereiche Übergeordnete ausgerichtet ist, liegt das Potenzial für eine wirkliche, das heißt

eine für die Beteiligten spürbare und nachhaltige Weiterentwicklung des Instrumentalpädagogenberufs.8 Es kommt eben drauf an.

Erste Steigerung für Fortgeschrittene Und was ist, wenn der Schüler gar nicht weiß, dass es Spinat ist? Wie verändern sich die Kontexte in den beschriebenen sechs möglichen Entwicklungen, wenn der Schüler gar nicht weiß oder nicht bemerkt oder es gar keine explizite Rolle spielt, dass er „üben“ soll bzw. dass etwas Bestimmtes, für ihn möglicherweise Unangenehmes von ihm erwartet wird? Und wie verändern sich die Kontexte in den beschriebenen sechs möglichen Entwicklungen, wenn er gar nicht bemerkt, dass es sich um ein „Lob“ der Lehrerin handelt?

Zweite Steigerung für Fortgeschrittene Und andersherum? Ein Klavierschüler „belohnt“ seine Lehrerin gewöhnlich mit geübten Hausaufgaben, wenn sie ihn zuvor gelobt hat. Im Lauf der Zeit sind folgende Entwicklungen vorstellbar: Die Lehrerin wird schließlich das Üben des Schülers mögen (1.) oder verabscheuen (2.), die Lehrerin wird das Loben mögen (3.) oder verabscheuen (4.) oder die Lehrerin wird den Schüler mögen (5.) oder verabscheuen (6.). Was könnte nach Ihrer Vorstellung jeweils zu einer dieser sechs Entwicklungen führen?

Aus der Praxis für die Praxis ) Als Reflexion Ihrer Erfahrungen: An welche Gesprächssituationen im Unterricht, im Elterngespräch, in der Konferenz … erinnern Sie sich, in denen ein Missverständnis vorlag, weil die Beteiligten „über unterschiedliche Dinge“ gesprochen haben, also aus unterschiedlichen Perspektiven auf ein Thema geblickt haben, in unterschiedlichen Kontexten gedacht haben? ) Als Übung im Gespräch: In welchem gedanklichen Kontext bewegt sich Ihr Gegenüber, wenn er/sie über das Thema XY spricht? Was ist der gedankliche Rahmen, was sind die (unausgesprochenen) Vorannahmen? ) Zur pädagogisch-beruflichen Selbstreflexion: Welche Erkenntnisse könnten Sie gewinnen, wenn Sie in Ihrem pädagogischen bzw. beruflichen Denken probehalber „weil“ durch „obwohl“ ersetzen (Kontextwechsel von Ursache und Auswirkung)? Wie können Sie denken, damit folgende Aussagen plausibel werden: „Der Schüler macht Fortschritte, obwohl er Unterricht nimmt.“ „Die Arbeit in der Musikschule erscheint mir immer schwieriger, obwohl die finanziellen Mittel zunehmend gekürzt werden.“ „Ich arbeite gerne in meinem Beruf, obwohl ich meine Schüler mag.“ „Ich finde größere Gruppen problematisch zu unterrichten, obwohl ich mich nicht jedem einzelnen Schüler widmen kann.“ … ) Zur pädagogisch-didaktischen Anwendung: Wie könnten Sie in Ihrem pädagogisch-didaktischen Handeln Kontextvielfalt und Kontextwechsel nutzen? – Beispiele: „Die Bedeutung und somit die Into-


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musikschule )) DIREKT 2.2016

Joachim Thalmann (Juryvorsitz), Payam Pahlevanian (Publikumspreis), Franziska Scheffler, Dragan Ribic, Bernadett Kis, Thomas Grosse (Hochschulrektor) und Rebecca Mertel

nation und musikalische Gestaltung des Melodietons g hängen davon ab, ob in der Begleitung zugleich c und e ( g als Quinte) oder es und b ( g als Terz) erklingen.“ (Tonalität bzw. funktionale Harmonik als Kontextphänomen). „Jetzt schlage ich mal was ganz Verrücktes vor: Spiel das Stück noch einmal und mach an einer Stelle, die du dir vorher geheim überlegt hast, beim Spielen absichtlich einen Fehler, den ich dann erkennen muss.“ (Kontextwechsel durch paradoxe Intervention) … ) Welche musikpädagogischen oder (musik)wissenschaftlichen Texte kennen Sie, die Kontextualität im hier beschriebenen Sinne thematisieren? Und welche instrumentalpädagogischen Unterrichtskonzepte oder methodischen Handreichungen kennen Sie, die mit der Idee der Kontextualität arbeiten? Welche Ideen für eine instrumentalpädagogische Praxisanwendung haben Sie? ))

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Gregory Bateson: Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven, übersetzt von Günther Holl, Frankfurt am Main 1985, S. 17: „Eine bestimmte Mutter belohnt ihren kleinen Sohn gewöhnlich mit Eiskrem, wenn er seinen Spinat gegessen hat. Welche zusätzlichen Infor-

musikschule )) DIREKT erscheint

alle zwei Monate als Supplement zu üben & musizieren

Beim hochschulinternen Wettbewerb „Musik & Vermittlung“ der Hochschule für Musik Detmold müssen die Studierenden nicht nur mit ihrer künstlerischen Darbietung, sondern auch mit einer Präsentationsidee überzeugen. Der erste Preis ging an Rebecca Mertel, die dem Publikum Luciano Berios „Lied“ für Klarinette solo musikalisch-choreografisch mit dem imaginären Bild eines einsamen Wüstenwanderers erschloss. Ein zweiter Preis ging an das Duo Dragan Ribic (Akkordeon) und die Sängerin Franziska Scheffler. Ihre Aufführung von Sofia Gubaidulinas „Et Expecto“ entfaltete vor der Folie autobiografischer Erinnerungssplitter des damals vierjährigen Dragan Ribic aus dem Bosnienkrieg eine beeindruckende Dramatik. Ebenso mit einem zweiten Preis wurde Bernadett Kis ausgezeichnet. Sie setzte sich anhand der „Albumblätter“ von Hans Sitt im Dialog mit einer Handpuppe mit der Frage nach der generellen Bedeutung und Funktion von Musikvermittlung auseinander.

mationen würden Sie brauchen, um voraussagen zu können, ob sich bei dem Kind folgende Entwicklung einstellen wird: a) Es wird schließlich Spinat lieben oder hassen; b) Eiskrem lieben oder hassen oder c) die Mutter lieben oder hassen?“ 2 Dieses „Lob“ kann verbal erfolgen, mit „Fleißpunkten“ oder anderen symbolischen Handlungen der Lehrerin, denen der Schüler eine positive Bedeutung zuweist. 3 Das „Üben“ steht hier als Beispiel. Es kann auch durch andere Verhalten ersetzt werden, die eine Lehrerin von ihrem Schüler im Instrumentalunterricht üblicherweise erwartet, so beispielsweise pünktlich zum Unterricht zu erscheinen, sich respektvoll zu verhalten oder sich bei einem Klassenvorspiel zu beteiligen. 4 Ich gebe zu den sechs Punkten keine Antwortbeispiele, weil diese nach meiner Erfahrung das „Lösungs“-Denken zu sehr lenken. Ich vertraue auf Ihren Verstehenswillen, Ihre Neugier und Ihre Kreativität. Es geht nicht um eine „richtige“, sondern um eine fantasievolle „Lösung“. 5 Ich finde dies eher problematisch, weil dadurch die Entwicklung von Eigenverantwortung, Selbstwirksamkeits- und Selbstregulationsfähigkeiten des Lernenden verhindert werden. 6 vgl. hierzu die gut gemeinten, aber völlig undifferenzierten Kommentare wie „Das hast du gut gespielt“. In meinem Unterrichten ist mir eine gegenseitige Wertschätzung der Beteiligten in Form von detaillierten und wohlwollenden Rückmeldungen als Teil einer partnerschaftlichen Kommunikationskultur wichtig. 7 Diese Aufzählung zeigt in Bezug auf die Frage „wofür kontextuell denken?“ auf einer Metaebene ebenso verschiedene Kontexte auf. 8 So betrifft beispielsweise die Fähigkeit von Instrumentalpädagogen, den Umgang miteinander zu gestalten, sowohl den Anwendungsbereich

Gruppenunterricht („heterogene Gruppe“) wie auch den Anwendungsbereich Kollegium („Betriebsklima“). In Aus- und Weiterbildung und vor allem in der Praxis der Musikschularbeit werden jedoch in der Regel beide Bereiche jeweils isoliert thematisiert. – Zur Selbstreflexion des Denkens vgl. Bernhard von Mutius (Hg.): Die andere Intelligenz. Wie wir morgen denken werden, Stuttgart 22004.

Bernd Dahlhaus ist Musikpädagoge und Coach. Er leitet die Agentur für Musikpädagogik musikbäume. www.musikbaeume.de

Redaktion: Anja Bossen und Rüdiger Behschnitt Ständige Mitarbeiter: Jürgen Simon und Bernd Dahlhaus Layout: Rüdiger Behschnitt Grafik: Nele Engler


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