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DIE GÄRTEN DER KÜNSTLER

Max Liebermanns „Enkelin und Kinderfrau im Wannseegarten“ (1923) zeigt seinen geliebten Garten am See.

INSPIRATIONSQUELLE, GEHEIMER RÜCKZUGSORT UND FREILUFTATELIER WELTBERÜHMTER KÜNSTLER

Wer kennt sie nicht, die magisch schön anmutenden Seerosenbilder von Claude Monet in Giverny, das blaue Haus im Palmengarten der Frida Kahlo, Emil Noldes Blumen- und Gartenbilder in Nordfriesland oder die Sonnenblumenbilder von Vincent van Gogh? Die studierte Gartenarchitektin Jackie Bennett, die stets ein Faible für Landschafts- und Naturgeschichte hatte, wollte genauer wissen, was für die Künstler den Reiz ihrer Gärten ausmachte und sie kreativ inspirierte. Paradiesisch grüne Oasen mit opulenten Blumen und Pflanzen als Ausdruck wilder oder gezähmter Natur haben seit den antiken hängenden Gärten der Semiramis Menschen in ihren Bann gezogen. Für ihr Buch besuchte die Autorin die halbe Welt.

ie unterschiedlichsten Annäherungen der Künstler an die Wunder der Natur beschreibt Bennett anhand von mehr als 20 Gärten, von denen die Künstler so D angetan waren, dass sie ihre Staffelei ins Freie trugen und malten. Blumen und Gärten waren für Künstler häufig ein überaus wichtiges Motiv. Claude Monet bewies, dass ein Garten Katalysator für Hunderte großartige Gemälde sein kann. Der Garten verändert sich je nach Jahreszeit; Farben, Stimmungen und Lichtqualitäten wechseln und liefern dem künstlerischen Blick immer wieder neue Möglichkeiten, ein und dasselbe Motiv in unterschiedlichen Variationen festzuhalten. Die Faszination geht vom Motiv sowie vom künstlerischen Blick für den Betrachter aus. Das Wesentliche im Charakter einer Blume oder Pflanze wird künstlerisch ganz unterschiedlich erfasst und dargestellt.

Das Haus in Jas de Bouffan (1876–1878) | Das Gemälde zeigt die Villa inmitten des stillen Gartens, der Cézannes Rückzugsort wurde.

Ein eigener Garten voller interessanter Pflanzen, die sie reizen, war und ist der Wunsch vieler Künstler. In diesem Buch sind es die realen Gärten, die einige der herausragendsten Künstler wie Pierre-Auguste Renoir, Paul Cézanne, Salvador Dali und Frida Kahlo geschaffen haben, um die es in diesem Buch geht. Bennett schreibt: „Aus ihren Blumengärten, Olivenhainen, Weinbergen und Gemüsebeeten können wir so viel mehr herauslesen, als wir auf den ersten Blick auf einem ihrer Bilder erkennen können.“ Der Gartenfreund als Detektiv der Kunst, so scheint es. Manche dieser Künstler waren selbst kenntnisreiche Gärtner und liebten ihre Pflanzen so sehr wie ihre Kunst. Andere wiederum gaben sich damit zufrieden, schon bestehende Gärten zu malen, oder liehen sich Gärten von Freunden aus. Rubens etwa schuf in Antwerpen ein barockes Ensemble von Garten und Haus und erwies sich als eifriger Botaniker mit sorgfältig durchdachter Designphilosophie. Auch Max Liebermann verband am Wannsee Hausarchitektur mit Reformgarten-Struktur. So ergänzten sich das Innen und das Außen auf stimmige Weise. Der Zugang zum Grün erfolgte manchmal auch ganz anders, wie beispielsweise bei Renoir, der sich in einen alten Olivenhain verliebte, den er nicht nur malte, sondern darüber hinaus vor einen Bauspekulanten rettete.

In Zeiten großer Landschaftsbilder war der Garten wie ein Mikrokosmos, der alles zusammenfasste, und ein Übungsgelände, das Blumen und interessante Motive lieferte. So konnte die Auseinandersetzung mit der Natur überschaubar erfolgen und die malerischen Fähigkeiten konnten nicht nur in der Darstellung erprobt werden, sondern überdies an einem Ort stattfinden, an dem man sich gerne aufhielt. Die Freilicht- oder Pleinairmalerei ist ein relativ junger Zweig in der Darstellung der Natur und ihrer Schönheit. Alte Meister verwendeten für die überbordenden Blumenarrangements Schnittblumen in Vasen und legten Wert auf Detailgenauigkeit und Präzision. Im Freien entstanden lediglich Skizzen; die Malerei, das Mischen und Auftragen der fein abgestimmten Farben erfolgte erst später in der Werkstatt. Schon die Herstellung der Malfarben, der Pigmente und vieler anderer Materialien verlangte eine geschützte Umgebung. Erst transportable Farben – zuerst Wasserfarben, später Öl-

farben, seit 1841 sogar in Tuben – ermöglichten das Arbeiten im Freien.

Wer einen Garten haben möchte, ist ortsgebunden und muss sein Paradies nicht nur erschaffen, sondern auch pflegen. Henri Le Sidaner, der einen herrlichen Garten im Nordosten Frankreichs sein Eigen nannte, Peder Severin Krøyer, der im Fischerdorf Skagen in Dänemark seine Gärten malte, und Joaquín Sorolla, dessen Leidenschaft den grünen Innenhöfen Madrids galt, waren beruflich erfolgreich und konnten sich diesen Luxus leisten. Vincent van Gogh, dessen ikonische Bilder Mohn, Sonnenblumen und Schwertlilien in Perfektion zeigen, fand in einem ehemaligen Kloster einen Garten, der teils formal ausgelegt und teils verwildert war. Vom ersten Tag an malte Van Gogh dort und schuf seine berühmten Bilder.

Paul Klee, ein Meister der Farbharmonie, und Wassily Kandinsky, Vertreter des Expressionismus wie der abstrakten Kunst, waren ebenfalls begeisterte Gärtner. Klee hatte schon als Kind einen „Quadratmetergarten“, Kandinsky schuf mit seiner Lebensgefährtin Gabriele Münter einen bunten Garten im bayrischen Murnau. Wenn er im Garten arbeitete, fühlte er sich „selbst als Pflanze“, schrieb Klee im Jahr 1905 seiner Verlobten, so innig war seine Verbindung zur Natur.

Mitte des 20. Jahrhunderts war das Maler-GärtnerDasein ein anerkannter Lebensstil, schreibt Jackie Bennett. Der einzige renommierte britische Künstler, der diesen Traum lebte, war Cedric Morris. Er züchtete 90 Iris-Hybriden und verewigte seine farbenprächtigen Geschöpfe in seinen Bildern. Sein Haus wurde später zur Kunstschule, sein Garten, in dem exotische und heimische Zwiebelgewächse sowie Stauden einen bunten Teppich aus Farben, Formen und Texturen schufen, begeistert Besucher und Gartenfreunde noch heute. Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts bildeten sich Künstlerkolonien in Europa und Amerika, deren Gärten mehr als nur dekorativ waren: Sie waren für die Kunst unentbehrlich und dienten als Treffpunkt und Rückzugsort sowie zum Austausch ihrer Ideen.

Das Buch von Jackie Bennett ist eine Reise zu den Gärten, den Ateliers und Häusern großer Künstlerinnen und Künstler, die von diesen geschaffen wurden, in denen diese lebten und die noch immer existieren und in vielen Fällen für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit jenen Malerinnen und Malern, die allein oder im engsten Familienkreis lebten, der zweite Teil widmet sich den Künstlerinnen und Künstlern in einer Künstlerkolonie. Sie alle ließen sich von Anbau von Früchten, Blumen und Gemüse inspirieren und erfreuten sich am Wachsen und Werden. Sie verbanden das Erschaffen ihres Gartens mit ihrer Kunst und formten die Gärten. Die Autorin spannt einen weiten Bogen von Leonardo da Vinci über Rubens, Cézanne und Renoir bis hin zu Liebermann, Sorolla, Le Sidaner, Nolde, Kahlo und Dalí. Es gelingt ihr auf unterhaltsame Weise, Lebenslauf und Lebensstil der Künstler zu beschreiben, und so erfährt der Leser viel Interessantes über die Künstlerpersönlichkeiten, deren Ideen und das Entstehen fantastischer Garten- und Blumenbilder.

Die Verbindung zwischen Malerei und Fotografie als Gegenüberstellung und Ergänzung ist hervorragend gelungen. Das profunde Wissen der Autorin wird durch ihre Darstellung in Text und Bild bestens zusammengeführt. Dass sie für ihre Gartenbücher bereits mehrfach ausgezeichnet wurde, überrascht nicht, denn die Liebe und Leidenschaft zum Garten wird in allen Bereichen dieses Buches spürbar.

Abschließend ergänzt wird das Gartenbuch durch ein Verzeichnis all jener Häuser (samt Adressen), die zur Besichtigung offen stehen; neben den Ateliers und Gärten sind auch nahe gelegene Museen und Galerien aufgelistet. So gelangt man selbst zu einem umfangreichen Bild und wandelt auf den grünen Spuren dieser großartigen Künstlerinnen und Künstler. Vor dem Aufbruch in den nächsten Urlaub empfiehlt sich somit ein Blick in dieses Buch, denn in der Nähe Ihres Urlaubsortes könnte ein lohnenswertes Ausflugsziel liegen.

Text: Hannelore Lensing

INFOBOX

DIE GÄRTEN DER KÜNSTLER Autorin: Jackie Bennett Erscheinungstermin: 2020, 224 Seiten, mit farbigen Abbildungen; Gerstenberg Verlag ISBN-10: 3836921677 € 37,10