Microsoft Word - Kritik Brucknerfest 18.9.07

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BRUCKNER KLASSISCH ANDERS (18.09.2007) Kent Nagano mit der Erstfassung der „Vierten“ und dem Bayerischen Staatsorchester Ein Internationales Brucknerfest hat die Verpflichtung, Bruckner in seiner ganzen Tradition darzustellen. Das Brucknerhaus Linz hat schon 1975 recht getan, die bis dort öffentlich nicht gespielte „Erstfassung“ der Vierten Symphonie unter Kurt Wöss „uraufführen“ zu lassen. Umso berechtigter war eine abermalige Aufführung dieser Erstfassung (bei der viele Unbedarfte vergebens auf das ihnen sonst „bekannte“Jagd-Scherzo warteten) mit dem Bayerischen Staatsorchester unter dem Dirigenten Kent Nagano in der Stiftskirche St.Florian am Dienstagabend. Das Orchester spielte mit sauberster Intonation und wechselnden Schattierungen der Klänge und erinnerte damit an seine Glanzzeit unter Sawallisch. Ist bei einem Bruckner-Symphoniesatz an sich schon die Gefahr, dass die einzelnen „Blöcke“ zu sehr den Blick auf das Ganze verstellen, so erst recht bei dieser Fassung der „Vierten“; bremst man – wie Nagano – das Ende der Blöcke mit ausladenderen Ritardandi, kann es kaum gelingen, Zusammenhänge über die Generalpausen hinweg herzustellen, was im Kopfsatz vor der Coda schlichtweg sogar zu einem Bruch führte. Das Adagio formte der Japaner wie einen Trauermarsch im gehämmerten Ductus des „Andante quiasi Allegretto“; satte Geigenklänge, Präzision im Holzbläsersatz und gute dynamische Abstufungen verhalfen zu einem „runden“ Eindruck ebenso, wie die kluge Orchesteraufstellung (offensichtlich von Orchestern mit Originalinstrumenten in historischer Aufstellungspraxis erspäht) mit den Kontrabässen in hinterster Reihe – gleich den Pfeifen für das Pedal in einem Orgelkasten. Beim die Neugier weckenden Scherzo gingen die Pferde durch: die Bombastik überwog, und der bisher vernommene „entmystifizierte“, sachliche Klang wich einer Klangwolke, auf der man die Lettern des diesjährigen Festmottos imaginär vernahm „klassisch anders“: Der Finalsatz – auch um über 100 Takte länger als in der üblich gespielten Fassung – stand noch im Klangsog des Scherzos: die Pauken erdrückten schier den Tuttiklang, den Nagano wie den „organo-pleno-Knopf“ einer Orgel zu lieben scheint: weniger der entschlackte, „entmystifizierte“ Bruckner stand am Dienstagabend in St.Florian da, als der, wie man ihn „klassisch“ durch Jahrzehnte schon erleben konnte. Insofern dem Motto getreu war der Diensagabend „klassisch“ und auch schon wieder „anders“. Rupert Gottfried Frieberger


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