Stadtforschung Statistik - Ausgabe 2/2015

Inhalt

Schwerpunkt

Heft 2 | 2015

Statistik und Informationsmanagement

Moderation: Stefan Böckler 2

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53 Sinn und Unsinn bei der Raumordnungsprognose Claus Schlömer, Jana Hoymann

Deutsche Großstädte im Netz internationaler Wanderungen Nadine Körner-Blätgen, Gabriele Sturm Zur ökonomischen und sozialen Lage der Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien Herbert Brücker, Andreas Hauptmann, Ehsan Vallizadeh

17 Armutszuwanderung nach Deutschland und in deutsche Städte: Mythos und/oder Wirklichkeit?

Stefan Böckler 25 Erfassung und Erklärung der kleinräumigen Konzentration der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien am Beispiel der Stadt Duisburg Sebastian Kurtenbach

37 Die Zuwanderung aus Südosteuropa: darf, soll oder muss man auch von Roma sprechen?

Max Matter 42 EU-Freizügigkeit für bulgarische und rumänische Staatsbürger – im Spannungsfeld zwischen Hoffnung, Lebenswirklichkeit und kommunalem Engagement Elisabeth Pater, Marijo Terzic

46 Die Struktur der Migrantenökonomie in Stuttgart – Sonderauswertung des Unternehmensregisters Ulrich Stein

62 Anforderungen an künftige Zensen in Deutschland aus Sicht der Städte Positionspapier des Verbandes Deutscher Städtestatistiker 64 Gitterbasierte Auswertungen des Zensus 2011 Michael Neutze 68 Neue Wohnungsmarktprofile für alle Kommunen in Nordrhein-Westfalen Ann-Kristin Häusler

Historie

32 Ein Blick hinter die Zahlen: Inhalte und Realitäten der Armutsmigration Joachim Krauß

Stadtforschung

59 Erschließung und Nutzung von kleinräumigen Informationen in der deutschen Städtestatistik Michael Haußmann

70 Von der Vorratsstatistik zum Informationsmanagement – Rückblick auf die kooperative Verfahrensentwicklung in der Städtestatistik Klaus Trutzel

Entdeckt 77 Rezension des Buches „Leitfaden für Britische Soldaten in Deutschland 1944“ 78 Veröffentlichungen: - Stuttgart und die europäische Urban Audit Befragung von 2012 - Von TTIP zu Big Data – Mitteilungen des Berliner Wissenschaftszentrums - Heidelberger Schriften zur Stadtentwicklung - „Kinder, wie die Zeit vergeht“ – 150 Jahre Frankfurter Statistik - Nirgendwo erwünscht: Zur Armutsmigration aus Zentralund Südosteuropa in die Länder der EU-15 unter besonderer Berücksichtigung von Angehörigen der Roma-Minderheiten

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Nadine Körner-Blätgen und Gabriele Sturm

Deutsche Großstädte im Netz internationaler Wanderungen

Das Wachstum deutscher Großstädte beruht zu einem großen Teil auf dem seit 2010 wieder positiven Außenwanderungssaldo der Bundesrepublik. Deshalb werden hier Außenwanderungsstatistiken – auf Kreisebene und für ausgewählte Großstädte – vorgestellt. Im Abgleich mit Bestandsdaten kann festgestellt werden, dass sich der positive Außenwanderungssaldo der jüngst vergangenen Jahre vor allem aus EU-internen Wanderungen speist. Zwischen 2009 und 2013 waren diese durch Bürgerinnen und Bürger aus Bulgarien und Rumänien dominiert.

Rahmung Seit Mitte der 1950er Jahre ist die Bundesrepublik erst Gastarbeiterland und dann Einwanderungsland geworden. Zunächst galt für angeworbene Arbeitskräfte das Rotationsprinzip, so dass zwischen 1955 und 1973 etwa 14 Mio. Ausländer einreisten und 11 Mio. in ihre Herkunftsländer zurückkehrten. Seither haben sich infolge geänderter politischer und ökonomischer Rahmenbedingungen die Migrationsphasen für Deutschland mehrfach geändert.

Laut OECD (2014) war 2013 die Zuwanderung nach Deutschland im vierten Jahr in Folge gestiegen. Dabei führten bereits 2012 die EU-Freizügigkeitsregelungen dazu, dass die Wanderungen zwischen den EU-Staaten erstmals die legalen dauerhaften Zuwanderungen von außerhalb Europas überstiegen.

Als nach der jüngsten Finanzkrise wirtschaftsstärkstes Land in Mitteleuropa nahm Deutschland 2012 bereits ein Drittel der freizügigkeitsbedingten EU-Binnenwanderungen auf. 2013 lag der Außenwanderungssaldo bei etwa 437.000 Personen – zusammengesetzt aus 459.000 Wanderungsüberschuss an Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit und 22.000 Wanderungsverlust an Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Die EU-Binnenwanderungen sind vor allem wegen der von Jahr zu Jahr stark gestiegenen Zuwanderung aus den beiden 2007 beigetretenen Ländern Bulgarien und Rumänien in den Diskussionsfokus geraten.

Nadine Körner-Blätgen Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Bonn. Arbeitsschwerpunkte: Humangeographie, Bevölkerungsstatistik, (kleinräumig) vergleichende Stadtbeobachtung : nadine.koerner@bbr.bund.de Dr. Gabriele Sturm Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Bonn.

Arbeitsschwerpunkte: Raum- und Stadtsoziologie, Methoden empirischer Sozialforschung, Umfrageforschung, (kleinräumig) vergleichende Stadtbeobachtung : gabriele.sturm@bbr.bund.de

Überlagert wird dieser Aspekt aktuell von der Flüchtlingsfrage: Nach etwa 20 Jahren funktionierender Abschottungspolitik erweist sich diese als ein Problem, auf das Staat und Kommunen genauso wie deutsche Gesellschaft und hier lebende Personen wenig vorbereitet sind. 2013 wurde Deutschland mit knapp 110.000 Flüchtlingen, die hier erstmals einen Asylantrag stellten, absolut gesehen zum europaweit größten Aufnahmeland.

Allerdings bleiben diese Antragstellenden nicht dauerhaft in Deutschland: Als „schutzbedürftig“ wurden 2013 von 80.978 Asylanträgen gut 20.000 Flüchtlinge anerkannt, was laut ProAsyl einer „Schutzquote“ von 24,9 % entspricht.1 Wie die aktuelle Diskussion der EU um einen internen Aufnahmeschlüssel ausgehen wird, ist noch nicht abzusehen.

Schlüsselwörter: Migration – Außenwanderungssaldo – Großstädte – Innerstädtische Raumbeobachtung

Im Weiteren wollen wir zunächst anhand der Außenwanderungssalden einen Blick auf die Zuwanderung nach Deutschland auf Ebene der Kreise werfen. In einem zweiten Schritt

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

sollen dann die Großstädte fokussiert werden, für die stellvertretend 33 Städte des Kooperationsprojekts „Innerstädtische Raumbeobachtung“ (IRB) anhand untergemeindlicher Daten analysiert werden. Obwohl Außenwanderungsdaten aufgrund der nicht einheitlich erfolgenden Aufnahme in den Melderegistern nicht genau sind, hoffen wir, einige Aspekte der gegenwärtigen internationalen Wanderungsdynamik in Deutschland erhellen zu können.

Deutschland als Ziel internationaler Migration Im Jahr 2012 lag der Außenwanderungssaldo2 für die Bundesrepublik bei + 4,6 Personen auf 1.000 Einwohner (E). Auf Kreisebene bewegt sich der Wert zwischen + 40,7/1.000 E im Landkreis Fürth und - 1,8/1.000 E im Landkreis Nienburg. Bei

diesen Zahlen ist jedoch Vorsicht geboten, denn extrem hohe positive Außenwanderungssalden gehen in der Regel damit einher, dass in dem Kreis eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge angesiedelt ist – wie beispielsweise Zirndorf im Landkreis Fürth. Darunter fallen in der Karte viele Kreise in der höchsten Ausprägungsstufe für den Indikator Außenwanderungssaldo: Karlsruhe, Trier, Neumünster, Eisenberg im SaaleHolzlandkreis, Friedland im Kreis Göttingen oder Gießen. Als Stadt mit dem höchsten Außenwanderungssaldo und ohne zusätzliche Flüchtlingseinrichtungen ist Offenbach am Main zu nennen – dort kamen 2012 auf 1.000 international bereits sehr stark durchmischte Einwohner zusätzlich weitere 16,9 neu aus dem Ausland Zugewanderte. Beim Vergleich der beiden Karten ist zudem zu erkennen, dass eine stabile oder gar positive Gesamtwanderungsbilanz vieler Kreise auf den Gewinnen aus der Außenwanderung beruht.

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Über die letzten Jahrzehnte betrachtet beruhte das Bevölkerungswachstum der Bundesrepublik ausschließlich auf Zuwanderungsgewinnen. Der bislang höchste positive Saldo war 1992 zu verzeichnen. Nach der 1993 beschlossenen Einschränkung des Grundrechts auf Asyl (u. a. Drittstaatenregelung, sichere Herkunftsstaaten) sank die Zuwanderung nach Deutschland deutlich – und damit auch der Wanderungssaldo.

Wie hat sich der Außenwanderungssaldo seither verändert?

Zunächst ist festzustellen (Abb. 1), dass die im Zeitvergleich zu beobachtenden Schwankungen vor allem auf unterschiedlich ausgeprägter Zuwanderung beruhen, während sich die Abwanderungszahlen in einer mehr oder weniger ähnlichen Größenordnung halten. Die jüngste Finanzkrise und die Kriege im Nahen Osten haben seit 2009 zu stark steigenden Zuwanderungszahlen geführt mit jährlichen Steigerungsraten. Differenziert nach dem siedlungsstrukturellen Kreistyp des BBSR (Abb. 2) ist zudem festzustellen, dass die Zuwanderung in den Abbildung 1: Entwicklung des Außenwanderungssaldos der Bundesrepublik differenziert nach Zuzügen und Fortzügen, 1991 bis 2012.

Abbildung 2: Entwicklung des Außenwanderungssaldos nach siedlungsstrukturellem Kreistyp, 1995 bis 2012.

letzten Jahren vor allem in Großstädten ankommt. Dabei ist zu bedenken, dass etwa die Hälfte der Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge nicht in Großstädten liegt.

Zuwanderung aus dem Ausland in deutsche Großstädte Bei der aktuellen auf Großstädte gerichteten Wanderungsdynamik ist es sinnvoll, die damit einhergehenden kleinräumigen Bewegungen zumindest für einen Teil der Städte anhand des Katalogs der „Innerstädtischen Raumbeobachtung“ (IRB) auch städtevergleichend zu betrachten. Für 33 IRB-Städte liegen untergemeindliche Wanderungsdaten von Ausländern aus dem und in das Ausland für die Jahre 2006 bis 2013 vor. In diesen 33 Städten lebten Ende 2013 insgesamt 13,5 Mio. Menschen, von denen 2,2 Mio. keine deutsche Staatsangehörigkeit hatten. Wir beschränken unsere Auswertungen im Folgenden auf diese Städte, die in Abbildung 3 aufgeführt sind.

Abbildung 3: IRB-Städte mit Daten zu Zu-/Fortzügen von Ausländern aus dem bzw. in das Ausland 2006–2013, nach Bevölkerungszahl und regionaler Einbettung.

Für die Stadtteile dieser Städte betrachten wir als erstes, wie der Außenwanderungssaldo der ausländischen Bevölkerung für das Jahr 2013 aussah. Um den Stellenwert dieses Indikators im Hinblick auf die unterschiedlichen Ausländeranteile in diesen Städten zu verdeutlichen, beziehen wir den Saldo zum einen auf die Gesamtbevölkerung eines jeden Stadtteils, sofern diese mindestens 100 Personen umfasst; zum anderen beziehen wir den Saldo nur auf die ausländische Bevölkerung der Stadtteile, in denen mindestens 50 Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit gemeldet sind. Damit können wir zeigen, wie sich Aussagen ändern, wenn als Bezugsgröße die fragestellungsrelevante Population geändert wird.

Mit der Interpretation starten wir bei dem obersten Tortendiagramm der Abbildung 4, das die Stadtteile aller 33 hier betrachteten IRB-Städte versammelt. Da zeigen die Stadtteile der Innenstadt (innerer Kreis) deutlich dunklere Farben als die beiden äußeren Ringe. Bezogen auf die innerstädtische Lage gibt es also relativ mehr Stadtteile der Innenstadt mit Außenwanderungssalden von 14 und mehr zugewanderten Ausländern auf 1.000 Einwohner (5. Quintil) als in Stadtrandlage.

Die in die IRB-Städte erfolgende Einwanderung ist also in der Innenstadt sichtbarer als in Stadtrandgebieten. Absolut gilt dies nicht, da in Innenstadtlagen der Großstädte wesentlich weniger Bevölkerung wohnt als in Stadtrandlagen.

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Abbildung 4: Außenwanderungssaldo ausländischer Bevölkerung je 1.000 Einwohner für IRB-Stadtteile nach innerstädtischer Lage, 2013.

Abbildung 5: Außenwanderungssaldo ausländischer Bevölkerung je 1.000 Ausländer für IRB-Stadtteile nach innerstädtischer Lage, 2013.

Das oberste Tortendiagramm der Abbildung 5 zeigt über die drei Lagen vergleichsweise ausgeglichene Verteilungen. Dem liegt zugrunde, dass 2013 im Durchschnitt aller IRB-Städte in der Innenstadt 20,5 %, in Stadtteilen des Innenstadtrandes 15,5 % und in Stadtteilen des Stadtrandes 11,2 % Ausländer wohnten (BBSR 2015b: 15). Wird das Wanderungsplus also auf die bereits im Stadtteil lebende ausländische Bevölkerung bezogen, erscheinen innenstädtische Quartiere mit offenbar nach wie vor geeignetem Wohnraum für neu Zuwandernde nicht mehr so offensichtlich als präferiertes Ziel. Diese Verteilung legt eher den Schluss nahe, dass Neubürgerinnen und Neubürger dorthin gehen, wo sie Vertrautes finden – wozu insbesondere Landsleute aus ihrem Herkunftsland zählen.

tendiagramm der Salden je 1.000 Ausländer sieht dies dann fast umgekehrt aus. In den ostdeutschen IRB-Städten wohnten 2013 im Durchschnitt nur 4,8 % ausländische Bevölkerung.

Die Tortendiagramme der Außenwanderungssalden zeigen im Vergleich zu denen der süddeutschen Städtegruppe ein nahezu komplementäres Bild.

Die Tortendiagramme für die regionalen Städtegruppen sind entsprechend zu lesen. Vor allem der Vergleich der beiden Torten der süddeutschen und/oder der beiden ostdeutschen Städtegruppen zeigt, welch hohen Einfluss die Bezugsgröße des Ausländeranteils beim Städte- und Stadtteilvergleich hat. Die süddeutschen IRB-Städte hatten 2013 einen durchschnittlichen Ausländeranteil von 20,9 % (BBSR 2015b: 8). Da dieser Anteil in den IRB-Städten insgesamt bei 15 % lag, zeigen überproportional viele Stadtteile im Tortendiagramm der süddeutschen Städte sehr hohe Außenwanderungssalden je 1.000 Einwohner (5. Quintil) in allen Lagen. Im parallelen Tor-

Im Unterschied zu früheren Darstellungen von Wanderungssalden für IRB-Stadtteile fällt zudem auf, dass bei einer Klassifizierung der auftretenden Werte in Quintile – die hier für den Vergleich der Salden mit unterschiedlichen Bezugsmerkmalen sinnvoll ist – es keine Klasse mit ausschließlich negativen Wanderungssalden mehr gibt. Hinsichtlich der Außenwanderungssalden ausländischer Bevölkerung im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung gab es 2013 nur für 146 (9 %) der 1617 hier betrachteten Stadtteile einen negativen Saldo. Dieser kann unter anderem auf Gentrifizierungsprozesse in diesen Stadtteilen hinweisen: Durch Aufwertung steigen Mieten, so dass Haushalte mit geringeren Einkommen fortziehen. Zahlreiche Ausländerhaushalte zählen zu diesen verdrängungsgefährdeten Haushalten. Wenn ein ausländischer Haushalt dann in einen anderen Staat wandert bzw. in das Herkunftsland zurückkehrt, dürften neu zuwandernde Ausländer derartige Stadtteile in der Regel nicht als erste Anlaufstation wählen.

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

2013 lebten in allen 51 IRB-Städten 21,3 Mio. Einwohner (2006: 20,3 Mio.). Die Zahl der Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit hatte in diesen Städten zwischen 2006 und 2013 von 2,9 auf 3,2 Mio. zugenommen (Tiefststand von 2,8 Mio. Ende 2009). Zum Vergleich: Die Zahl der EU2007-Bürgerinnen und -Bürger stieg in diesen Städten zeitgleich von 51.000 (im Jahr vor dem EU-Beitritt) auf 273.000 (im Jahr vor Inkrafttreten der Arbeitnehmerfreizügigkeit). Auch wenn wir die Außenwanderungssalden im Zeitvergleich hier nur für einen Teil der IRB-Städte betrachten können, muss sich das starke Stadtwachstum auch für diese Städtegruppe in dauerhaft positiven Außenwanderungssalden ausdrücken. Die Abbildungen 6 und 7 bestätigen mit ihren Zeitverläufen diese Erwartung:

Für die meisten Städtegruppen unterscheiden sich die Zeitverläufe kaum, wenn als Bezugsgröße statt der Einwohner insgesamt nur die Zahl der Bevölkerung ohne deutsche Staatsangehörigkeit in den Blick genommen wird (Abb. 7). Ausnahme ist hier wiederum die Gruppe der sechs ostdeutschen IRB-Städte.

Bei niedrigem Ausländeranteil variiert der Außenwanderungssaldo über die Jahre nur zwischen + 0,7 und + 3,4/1.000 Einwohner – jedoch zwischen + 20,3 und + 96,4/1.000 Ausländer.

Differenziert nach innerstädtischer Lage zeigen insgesamt die Stadtteile der Innenstadt im Zeitvergleich nicht nur die höheren Außenwanderungssalden (Abb. 4 & 5), sondern auch die diesbezüglich deutlicheren Steigerungsraten (Abb. 6 & 7).

Die Gesamtheit der hier betrachteten 33 IRB-Städte weist den niedrigsten Außenwanderungssaldo mit + 2,9/1.000 E im Jahr 2008 auf. Bis 2013 stieg der Saldo auf + 11,5/1.000 E. Nach innerstädtischer Lage differenziert stieg der Saldo in Stadtteilen der Innenstadt durchschnittlich von + 6,7/1.000 E in 2008 auf + 22,3/1.000 E in 2013 – in Stadtrandlagen stieg er von + 1,9/1.000 E in 2008 auf 9,6/1.000 E in 2013. Nur die drei nordwestdeutschen IRB-Städte Bremen, Hamburg, Kiel wiesen für die beiden Krisenjahre 2008 und 2009 negative Außenwanderungssalden auf, die sich insbesondere in Stadtteilen der Innenstadt bemerkbar machten.

Einordnung

Abbildung 6: Entwicklung des Außenwanderungssaldos ausländischer Bevölkerung je 1.000 Einwohner nach innerstädtischer Lage, 2006 bis 2013.

Abbildung 7: Entwicklung des Außenwanderungssaldos ausländischer Bevölkerung je 1.000 Ausländer nach innerstädtischer Lage, 2006 bis 2013.

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Die internationale Wanderungsdynamik hat in den jüngst vergangenen Jahren die EU und so auch Deutschland erreicht.

Dabei ist Zuwanderung nach Deutschland seit dem Krisenjahr 2008 zunächst durch EU-interne Wanderungen und zusätzlich seit 2013 durch die zunehmende Aufnahme von Flüchtlingen geprägt. Da die Auslandswanderungen im IRB-Katalog nicht nach Staaten unterschieden sind, müssen wir für eine Einschätzung der vorgestellten Befunde einen Umweg gehen.

Zunächst ist festzustellen, dass sich die Außenwanderungs-

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salden ausländischer Bevölkerung in den betrachteten 33 IRBStädten über die vier Jahre 2010 bis 2013 auf 472 000 Personen aufaddieren. Die Bevölkerung hat in diesen Städten zeitgleich aber nur um 342 000 Personen zugenommen. Folglich sind Großstädte mit ihren hohen Außenwanderungssalden häufig nur erster Ankunftsort in Deutschland – von hier aus verteilen sich Einwandernde nach unterschiedlichen Kriterien auf die Orte, in denen sie Einkommens- und Lebensmöglichkeiten (zu) finden (hoffen).

Für eine weitere Einschätzung gehen wir davon aus, dass die für 33 Städte ermittelten Größenordnungen sich ähnlich auf die Gesamtheit aller IRB-Städte übertragen lassen. Deshalb schauen wir nun auf Bestandsveränderungen aller IRB-Städte, die mehr als 85 % der Großstadtbevölkerung repräsentieren.

Von Ende 2009 bis Ende 2013 hat die Zahl der Ausländer in den IRB-Städten insgesamt um 387.000 Personen zugenommen.

Diese Zunahme stammt rein zahlenmäßig aus den Außenwanderungsgewinnen und speist zu zwei Drittel das Großstadtwachstum dieser Jahre (insgesamt um 590.000 Personen auf 21,3 Mio. IRB-Bevölkerung). Die Zahl der EU-Bürgerinnen und -Bürger aus Bulgarien und Rumänien hat von 2009 bis 2013 in den IRB-Städten um 189.000 Personen zugenommen. Das ist fast die Hälfte der Zunahme ausländischer Bevölkerung während dieser Jahre. Daraus ist zu schließen, dass sich Einwandernde unterschiedlich auf Stadt bzw. Land verteilen: Die überproportional hohe Bevölkerungszunahme aus EU2007Staaten in Großstädten entspricht nicht den bundesdurchschnittlichen Außenwanderungssalden nach Herkunftsländern – da lag im Jahr 2013 der Saldo der Zuwanderung aus Polen höher als der aus Bulgarien und Rumänien aufaddiert.

Im Durchschnitt blieben die analysierbaren Außenwanderungssalden der IRB-Städte – entgegen den Salden der Bundesrepublik insgesamt – auch in den Jahren 2008 und 2009 positiv. Sie spiegeln im Zeitverlauf gleichwohl die (häufig ökonomischen) Push- und Pull-Faktoren zwischen den Staaten, seit den EU-Erweiterungen insbesondere die zwischen den EU-Staaten. So schätzt Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dass 70 % des Zuwan-

derungsanstiegs in Deutschland auf die ökonomischen Ungleichgewichte zwischen den EU-Staaten zurückzuführen sind. Derzeit kann noch nicht eingeschätzt werden, wie sich die Aufnahme von Flüchtlingen in den Großstadtstatistiken abbilden wird. Auf jeden Fall verweisen die hier berichteten Befunde auf eine stark zunehmende Internationalisierung deutscher Großstädte. Man könnte auch sagen: Stadt entsteht aus Migration – schon immer und stetig neu. Da sich die Migration nach Deutschland seit 2013 weiterhin stark ändert, ist sie hinsichtlich ihres Einflusses auf Stadtentwicklung im Aufmerksamkeitsfokus zu behalten.

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„Die Schutzquote im Asylverfahren betrug 2013 in der ersten Instanz – beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) – genau 24,9 % von allen Fällen inklusive derer, für die das BAMF die Zuständigkeit ablehnt („Dublinfälle“), das Schutzgesuch also gar nicht inhaltlich prüft. Rechnet man diese Dublinverfahren und die sonstigen „formellen Erledigungen“ heraus, liegt die Schutzquote insgesamt bei fast 40 % (N.K-B/G.S.: auch bereinigte Gesamtschutzquote genannt). … Nach den offiziellen Zahlen (inklusive Dublinfälle) erhielten 13,5 % eine Anerkennung als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention (mitgezählt 1,1 %, denen auch die Asylberechtigung nach dem Grundgesetz zuerkannt wurde). Darüber hinaus erhielten 11,4 % den so genannten subsidiären Schutz. Bei dieser Gruppe wird seit 2013 noch einmal unterschieden: zwischen europarechtlichem subsidiären Schutz oder nationalem subsidiären Schutz (zum Beispiel wegen nicht behandelbarer Krankheiten, Gefahr für Leib und Leben). Die europarechtlich subsidiär Geschützten zählen wie die GFK-Flüchtlinge zur Kategorie „international geschützt“ – ihre Rechtssituation ist dennoch schlechter als diejenige der Anerkannten“ (ProAsyl 2015). 36,7 % der Anträge wurden als Dublinfälle (Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats) inhaltlich nicht geprüft und 38,5 % wurden abgelehnt.

Der Außenwanderungssaldo wird aus den Zu- und Abgängen während des angegebenen Zeitraums gebildet und auf die Endbevölkerung dieses Zeitraums bezogen. Die Zuverlässigkeit der Wanderungssalden wird durch eine Untererfassung bei den An- und Abmeldungen beeinträchtigt. Es können zudem starke örtliche bzw. regionale Verzerrungen auftreten: Aus- und Übersiedler bzw. Asylbewerber werden in Kreisen und kreisfreien Städten mit zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen als Außenwanderungsgewinne erfasst, während die anschließenden Fortzüge als Binnenwanderungsverluste registriert werden.

Literatur BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.)/Janich, Helmut (Projektleiter) (2015a): INKAR online – Indikatoren und Karten zur Raumbeobachtung. Zugriff: http:// www.inkar.de.

BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.)/Körner-Blätgen, Nadine; Sturm, Gabriele (Autorinnen) (2015b): Informationen aus der vergleichenden Stadtbeobachtung – Internationale Migration in Großstädte. BBSR-Analysen KOMPAKT, Heft 11/2015. Bonn.

BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.)/Sturm, Gabriele (wiss. Redaktion) (2013): StadtZoom – Analysen kleinräumig vergleichender Stadtbeobachtung.

Informationen zur Raumbeobachtung, Heft 6/2013. Stuttgart. bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.)/Swiaczny, Frank (Autor) (28.01.2014): Internationale Wanderung und Migranten.

Zugriff: http://www.bpb.de, Gesellschaft, Migration, Kurzdossiers, Demografischer Wandel und Migration.

OECD (Hrsg.) (09.12.2014): Internationaler Migrationsausblick 2014. Zugriff: http://www.oecd. org, Berlin Centre, Publikationen.

Panwinkler, Tobias; Schön, Karl Peter (2014): Freizügigkeit und Migration in die EU. In: Informationen zur Raumentwicklung, 6/2014, S. 497–516.

ProAsyl (Juni 2015): Zahlen und Fakten 2013. Zugriff: http://www.proasyl.de, Themen, Zahlen und Fakten, Archiv.

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Herbert Brücker, Andreas Hauptmann und Ehsan Vallizadeh

Zur ökonomischen und sozialen Lage der Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien

Die Einführung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit für Staatsbürger aus Bulgarien und Rumänien am 1. Januar 2014 führte bereits im Vorfeld zu einer intensiven öffentlichen Debatte.

Dieser Beitrag untersucht anhand verschiedener sozio-ökonomischer Indikatoren die Situation der Bulgaren und Rumänen in Deutschland im ersten Jahr der Freizügigkeit. Es zeigt sich, dass viele Befürchtungen nicht eingetreten sind. So sind die Beschäftigungsquoten stark gestiegen und sind heute deutlich höher als bei anderen Migrantengruppen. Allerdings ist der Leistungsbezug ebenfalls deutlich gestiegen. Insgesamt zeichnet sich ein differenziertes Bild ab, das sich wenig für pauschale Zuschreibungen eignet. Weil die Gewinne der Zuwanderung aus Bulgaren und Rumänien überwiegend bei beitragsbezogenen Transfersystemen wie Rente und Krankenversicherungen realisiert werden, die Kosten aber sehr stark von den Kommunen getragen werden, sollte über Umverteilungen innerhalb des föderalen Systems nachgedacht werden.

Prof Dr. Herbert Brücker Forschungsbereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bamberg. : herbert.bruecker@iab.de Andreas Hauptmann Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA). : andreas.hauptmann@iab.de Ehsan Vallizadeh Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA). : ehsan.vallizadeh@iab.de Schlüsselwörter: Arbeitnehmerfreizügigkeit – Arbeitsmarktintegration – Bulgarien – Rumänien – EU-Erweiterung – Zuwanderung

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Einleitung

Die Migration von Bulgaren und Rumänen nach Deutschland ist im Januar 2013 durch ein Positionspapier des Deutschen Städtetags in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt: Unter dem Begriff der „Armutszuwanderung“ hatte der Städtetag damals vor der Migration aus Bulgarien und Rumänien gewarnt und mehr Geld für die Kommunen gefordert. Durch die nachfolgende Medienberichterstattung ist dann in der Öffentlichkeit ein Bild entstanden, in dem die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumnänien überwiegend mit der Zuwanderung von Roma identifiziert wurde. Dieser ethnischen Minderheit wurde unterstellt, dass sie kulturell, sozial und wirtschaftlich nicht in der Lage sei, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Unter dem Slogan „Wer betrügt der fliegt“ wurde zudem von der CSU unmittelbar vor Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit suggeriert, dass Migranten aus Bulgarien und Rumänien missbräuchlich Leistungen des Sozialstaats in Anspruch nehmen. Als Ergebnis des daraufhin eingerichteten Staatssekretärsausschusses der Deutschen Bundesregierung wurde infolgedessen ein Maßnahmenpaket beschlossen, das von dem gezielten Einsatz von EU-Mitteln, zusätzlichen Zuweisungen an die Kommunen bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen zur Prävention und Sanktionierung von Leistungsbetrug reicht. Die Autoren dieses Beitrages haben sich bereits im Vorfeld dieser Debatte mit den Auswirkungen der EU Osterweiterung auf die Migration beschäftigt, dazu gehörte auch die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise in den wichtigsten Zielländern der Migration aus Bulgarien und Rumänien – Spanien, Italien und Griechenland – hatten wir mit einem deutlichen Anstieg der Wanderungszahlen gerechnet. Allerdings konnten wir nicht vorsehen, wie sich die soziale und ökonomische Integration der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien entwickeln würde. Wir haben deshalb das Positionspapier des Deutschen Städtetags zum Anlass genommen, alle uns verfügbaren Statistiken auszuwerten, um ein möglichst genaues Bild der ökonomischen und sozialen Lage der Migration aus Bulgarien und Rumänien zu gewinnen. Diese Statistiken sind in vielen Bereichen sehr präzise – so lässt sich exakt und zeitnah nachvollziehen, wer als abhängig Beschäftigter im Arbeitsmarkt partizipiert, wer Leistungen der Grundsicherung und Kindergeld erhält und wie hoch das Lohnniveau ist. Ähnliches gilt auch für die aufgedeckten Betrugsfälle. Andere Angaben wie etwa zum Bil-

Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

dungsniveau der Einwanderer oder der Zahl der Selbständigen müssen aus Haushaltsbefragungen gewonnen werden und sind folglich – auch aufgrund begrenzter Fallzahlen – deutlich unsicherer. Schließlich sind über andere wichtige soziale und ökonomische Phänomene keine Daten verfügbar. Das gilt nicht nur für Aspekte wie Schwarzarbeit, die sich naturgemäß einer Erfassung entziehen, sondern auch die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch XII, darunter fällt z. B. die Versorgung von akut erkrankten Menschen ohne Krankenversicherungsschutz. Schwierig ist es auch Ausgaben für Sozialarbeit oder Bildung statistisch zu erfassen. Insofern kann unsere Forschung immer nur einen Teil der sozialen und wirtschaftlichen Realität abbilden, obwohl Phänomene, die sich der Messbarkeit entziehen, selbstverständlich auch zum Bild gehören. Hier liegen jedoch die Grenzen einer evidenzbasierten Wirtschafts- und Sozialforschung.

Seit unseren ersten Erhebungen zur sozialen und wirtschaftlichen Lage im Frühjahr 2013 haben sich viele Einschätzungen bestätigt, andere Entwicklungen ließen sich erst im Zeitverlauf erkennen. Die wesentlichen sozialen und ökonomischen Trends lassen sich aus unserer Sicht wie folgt zusammenfassen: Erstens hat die Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa zu einer Migrationsumlenkung der Migrationsströme aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland geführt, die durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit noch verstärkt worden ist. Im Jahr 2014 ist die Bevölkerung aus Bulgarien und Rumänien um 124.000 Personen gewachsen, nach 90.000 Personen im Jahr 2013. Im Jahr 2015 dürfte der Bevölkerungszuwachs leicht auf 130.000 bis 140.000 Personen steigen. Das ist eine durchaus erhebliche Zuwanderung. Befürchtungen einer Massenzuwanderung mit mehreren hunderttausend Personen haben sich aber nicht bestätigt. Zweitens sind die Migranten aus Bulgarien und Rumänien überwiegend erwerbstätig, insbesondere seit Einführung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit sind die Beschäftigungs- und Erwerbsquoten deutlich gestiegen.

Drittens zeichnet sich seit Beginn der Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht nur eine zunehmende Integration in den Arbeitsmarkt, sondern auch ein deutlich steigender Leistungsbezug ab. Der Anteil von Leistungsbeziehern der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II („Hartz-IV“) hat im Frühjahr 2015 das durchschnittliche Niveau der ausländischen Bevölkerung erreicht. Viertens gibt es für einige in den Medien und der politischen Öffentlichkeit geäußerten Behauptungen wenig Evidenz: So sind die Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien nicht besonders kinderreich, sondern eine der kinderärmsten Ausländergruppen in Deutschland. Auch ist die Zahl der des Leistungsbetrugs Tatverdächtigen verschwindend gering. Fünftens sind unter sozialen und ökonomischen Gesichtspunkten die Bevölkerungen aus Bulgarien und Rumänien in Deutschland nicht miteinander zu vergleichen: die Rumänen zählen zu den wirtschaftlich am besten integriertesten, die Bulgaren zu den mit am schlechtesten integrierten Ausländergruppen in Deutschland. Sechstens stellt sich die wirtschaftliche und soziale Entwicklung regional sehr unterschiedlich dar: So sind die Bulgaren und Rumänen in den deutschen Großstädten schlechter in den Arbeitsmarkt integriert als im deutschen Durchschnitt. Zwischen den Großstädten zeichnen sich erhebliche Unterschiede, vor allem zwischen den süddeutschen

Großstädten und den Ballungsräumen in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Bremen ab. Die soziale und ökonomische Lage der Migranten aus Bulgarien und Rumänien stellt sich damit sehr differenziert dar, je nach Bevölkerungsgruppe und Region, und eignet sich deswegen wenig für pauschale Zuschreibungen.

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Was ist eigentlich „Armutszuwanderung“?

„Armutszuwanderung“ ist ein Begriff, der in die öffentliche Diskussion eingeführt wurde, um politische Ziele zu erreichen. Das soll hier nicht bewertet werden. Uns interessiert die Frage, ob dieser Begriff analytisch sinnvoll ist, um die soziale und ökonomische Struktur der Migration aus Bulgarien und Rumänien zu beschreiben. Dass Einkommensdifferenzen ein wesentliches, wenn auch nicht das einzige Motiv, für Wanderungsbewegungen sind, gehört seit Ravenstein (1885), Hicks (1932) oder Sjaastad (1962) zum Allgemeingut der Migrationstheorien. Zwar nehmen die Wanderungsbewegungen zwischen den „reichen“ Ländern der OECD in den letzten beiden Dekaden überdurchschnittlich zu, aber der überwiegende Teil der Migrationsbewegungen erfolgt nach wie vor von ärmeren in reichere Länder. Insofern müssten wir, wenn mit dem Begriff der „Armutsmigration“ gemeint sein sollte, dass Menschen aus ärmeren in reichere Länder wandern, mehr als 90 Prozent der Migration nach Deutschland als Armutsmigration klassifizieren. Das ergibt wenig Sinn.

Aber wie „arm“ sind Bulgarien und Rumänien wirklich? Insgesamt liegt das Einkommensniveau von Bulgarien und Rumänien im unteren Mittelfeld der Herkunftsländer der Zuwanderung nach Deutschland. Nach der Klassifikation der Weltbank zählen Bulgarien und Rumänien zu den Ländern „höheren mittleren Einkommens“ (Weltbank 2015), also zu den Schwellenländern. Innerhalb der EU sind sie aber die beiden ärmsten Mitgliedsstaaten. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lag 2013 bei rund 13.000 Euro zu Kaufkraftparitäten (vgl. Abbildung 1). Das entspricht 41 Prozent des deutschen Niveaus. Damit waren die Pro-Kopf-Einkommen etwas geringer als in der Türkei, aber deutlich höher als im Durchschnitt der Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Die europäische Finanzund Wirtschaftskrise hat auch diese beiden Länder betroffen, aber ihre Wachstumsraten liegen inzwischen wieder über dem EU-Durchschnitt. Die Arbeitslosenquoten lagen in Rumänien Abbildung 1: Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Kaufkraftstandards, ausgewählte EU-Länder, 2006–2013

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

mit 6,8 Prozent deutlich unter, in Bulgarien mit 11,4 Prozent im Jahr 2014 leicht über dem EU-Durchschnitt (10,2 Prozent) (vgl. Abbildung 2). Humankapitalausstattung dieser Länder ist, gemessen an dem Anteil mittlerer und höherer Bildungsabschlüsse, zwar geringer als in Deutschland, liegt aber weit über dem Niveau anderer Länder vergleichbaren Einkommens (Weltbank 2015).

Abbildung 2: Arbeitslosenquote, ausgewählte EU-Länder, 2006–2014

Man könnte Armutsmigration aber auch anders definieren: etwa dass die Migranten aus Bulgarien und Rumänien aus den ärmsten Schichten ihrer Herkunftsländer stammen. Ein solches Bild legen Teile der Medienberichterstattung nahe, in dem etwa davon die Rede ist, dass die große Mehrheit der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien zu der ökonomisch und sozial diskriminierten Minderheit der Roma in den Herkunftsländern gehört. In der Migrationsliteratur wird ein solches Phänomen unter dem Begriff der „ungünstigen Selbstselektion“ diskutiert (Borjas 1987). Ökonomisch könnte eine solche ungünstige Selbstselektion dadurch erklärt werden, dass die Ungleichheit der Einkommensverteilung in den Herkunftsländern höher als in den Zielländern ist, so dass die Erträge der Migration für die ärmeren Gruppen der Gesellschaft höher als für die reicheren ist. Höhere soziale Transferleistungen in den Zielländern könnten das verstärken. Tatsächlich ist jedoch weltweit die Migrationsrate von Hochschulabsolventen rund viermal höher als die von Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, obwohl im Durchschnitt die Einkommen in den Herkunftsländern der Migration sehr viel ungleicher als in den Zielländern verteilt sind (Brücker et al. 2012). Dies kann durch die im Vergleich zum Einkommen höheren Migrationskosten ärmerer Bevölkerungsgruppen erklärt werden (Grogger u. Hanson 2008; Brücker u. Defoort 2009).

Auf Grundlage der bestehenden Daten lässt sich nur begrenzt klären, inwieweit sich die Sozialstruktur der Bulgaren und Rumänen vom Durchschnitt der Bevölkerungen in den Herkunftsländern unterscheidet. Die – sicherlich mit Messfehlern behafteten – Daten des Mikrozensus zur Bildungsstruktur der Bevölkerung aus Bulgarien und Rumänien sprechen eher dafür, dass die Zuwanderer weitgehend dem Durchschnitt der Bevölkerungen in den Heimatländern entsprechen. Dafür sprechen auch die recht hohen Beschäftigungsquoten.

Ganz sicher weicht die Bildungs- und Sozialstruktur der in Deutschland lebenden Bulgaren und Rumänen erheblich von

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STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

der durchschnittlichen Bildungs- und Sozialstruktur der Roma in den Herkunftsländern ab (Brücker et al. 2013). Allerdings ist die Bildungs- und Sozialstruktur der Bulgaren und Rumänen in Deutschland sehr heterogen, so dass auch erhebliche Teile der Migrationsbevölkerung hier sowohl aus den unteren wie auch höheren Schichten der Herkunftsländer stammen.

Unter arbeitsmarkt- und integrationspolitischen Gesichtspunkten ist die eigentlich interessante Frage, wie die Bulgaren und Rumänen sich in Deutschland in Wirtschaft und Gesellschaft integrieren. Diese Frage wird zwar vom Einkommensniveau und der Humankapitalausstattung in den Herkunftsländern und der Selbstselektion der Migranten beeinflusst, ist damit aber nicht identisch. Sie lässt sich zudem auf einer empirisch sehr viel gesicherteren Datenbasis beantworten. Wie bei der Zuwanderung aus den meisten anderen Herkunftsländern ist zu erwarten, dass sich die Migranten aus Bulgaren und Rumänen schrittweise in Arbeitsmarkt und Gesellschaft integrieren, d. h. in Hinblick auf Erwerbstätigkeit, Erwerbsstatus, Löhne und viele andere Indikatoren zunächst hinter der deutschen Bevölkerung zurückliegen, aber schrittweise konvergieren. Die Migrationsforschung spricht von „Arbeitsmarktassimilation“.

Insofern ist zu erwarten, dass die Bulgaren und Rumänen wie alle anderen relevanten Zuwanderergruppen zunächst „ärmer“ als die deutsche Bevölkerung sind. Dies muss aber nicht so bleiben. Um die längerfristige Konvergenz von Löhnen und Beschäftigungschancen zu untersuchen, ist es noch zu früh.

Aber erste Trends, auch im Vergleich zu anderen Migrantengruppen, lassen sich erkennen. „Armutsmigration“ ist also aus unserer Sicht ein unscharfer Begriff, der analytisch wenig zum Verständnis der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien wie auch aus anderen Herkunftsländern beiträgt. Man kann die dahinter stehende Frage aber auf die Füße stellen: Wie sind die Chancen, dass sich Bulgaren und Rumänen in Wirtschaft und Gesellschaft integrieren und nicht dauerhaft eine „arme“ Bevölkerungsgruppe bleiben?

Dies wird in den folgenden Abschnitten untersucht.

3

Migrationsumlenkung nach Deutschland

Bulgaren und Rumänen sind nicht nur die beiden ärmsten Mitgliedsstaaten der EU, sondern auch die Mitgliedsstaaten mit der höchsten Auswanderung. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs kann die Auswanderung von Bulgaren und Rumänien auf mindestens 15 Prozent der Bevölkerung der Heimatländer geschätzt werden.1 Das entspricht der Abwanderung aus Ostdeutschland seit Öffnung der Mauer. Der Großteil dieser Migration entfällt auf die Mitgliedsstaaten der EU. Vor der Wirtschafts- und Finanzkrise in der EU waren Italien, Spanien und Griechenland die wichtigsten Zielländer der Migration aus Bulgarien und Rumänien. Allein in Italien und Spanien leben mehr als zwei Millionen Bulgaren und Rumänen. Diese Länder sind alle drei, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, erheblich von der Finanz- und Wirtschaftskrise betroffen. Damit sind die Beschäftigungschancen und Löhne von Bulgaren und Rumänen in den klassischen Zielländern der Migration erheblich gesunken. In Spanien beobachten wir seit

Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Ausbruch der Finanzkrise eine Nettoauswanderung von Bulgaren und Rumänen, in Italien einen deutlichen Rückgang der Zuwanderung. Zugleich ist die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland seit Ausbruch der Finanzund Wirtschaftskrise deutlich gestiegen. Dies gilt bereits für die Periode vor dem Auslaufen der Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit, hat sich aber danach beschleunigt.

Dieser Umlenkungsprozess lässt sich quantifizieren. Ein neues ökonometrisches Schätzverfahren, das nicht nur die Veränderung der bilateralen Wanderungsbedingungen, sondern auch die Veränderung ökonomischer und institutioneller Variablen in alternativen Zielländern der Migration berücksichtigt, kommt zu dem Ergebnis, dass sich rund 70 Prozent des Anstiegs der Zuwanderung nach Deutschland seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 durch die Verschlechterung der ökonomischen Bedingungen in alternativen Zielländern erklären lässt (Bertoli et al. 2013). Für die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien liegt der Anteil sogar bei 80 bis 90 Prozent.

Die Einführung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit hat diesen Prozess weiter beschleunigt, war aber nicht ausschlaggebend. Ohne die Finanz- und Wirtschaftskrise wäre die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien in Deutschland deutlich geringer.

Insgesamt ist die Bevölkerung aus Bulgarien und Rumänien in Deutschland im Jahr 2013 um 90.000 Personen und im Jahr 2014 um 124.000 Personen gewachsen (vgl. Abbildung 3). Im Jahr 2015 ist mit einem leichten Anstieg auf 130.000 bis 140.000 Personen zu rechnen. Insgesamt entfällt damit zwischen einem Fünftel und einem Viertel der Zuwanderung nach Deutschland auf Staatsbürger aus Bulgarien und Rumänien. Dies ist ein deutlicher Anstieg gegenüber der Zeit vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise, aber auch keine Masseneinwanderung. Bei einer Erholung der südeuropäischen Krisenstaaten von der Finanz- und Wirtschaftskrise wird die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien zwar nicht wieder auf ihr Ausgangsniveau zurückfallen, aber deutlich gegenüber dem gegenwärtigen Niveau sinken.

4

Qualifikationsstruktur

Zuverlässige Registerdaten zur Qualifikationsstruktur der in Deutschland lebenden Bulgaren und Rumänen existieren nicht. Die umfassendste Erhebung der Bildungs- und Schulabschlüsse bildet der Mikrozensus, eine amtliche Haushaltsbefragung. Grundsätzlich ist der Mikrozensus so angelegt, dass durch ein randomisiertes Stichprobendesign und die verpflichtende Teilnahme repräsentative Aussagen ableiten lassen. Allerdings, so wird mitunter argumentiert, könnten die Ergebnisse dadurch verzerrt sein, dass bildungsferne Schichten eine geringere Kooperationsbereitschaft aufweisen oder Interviews etwa an fehlenden Sprachkenntnissen scheitern.

Dies kann nicht ausgeschlossen werden, so dass die Ergebnisse mit einer gewissen Vorsicht zu interpretieren sind.

Nach den Angaben des Mikrozensus hatten 23 Prozent der 25bis 64-jährigen Bulgaren und Rumänen, die 2013 in Deutsch-

Abbildung 3: Entwicklung der in Deutschland lebenden Bevölkerung aus Bulgarien und Rumänien, 2006–2014

land lebten, einen Hochschulabschluss, 51 Prozent einen mittleren beruflichen Abschluss und 25 Prozent keine abgeschlossene Berufsausbildung. Bei den Neuzuwanderern, die im Jahr 2013 zugewandert sind, sieht das Bild deutlich schlechter aus: unter ihnen hatten 21 Prozent der gleichen Altersgruppe einen Hochschulabschluss, 36 Prozent eine abgeschlossene Berufsausbildung und 43 Prozent keine abgeschlossene Berufsausbildung.2 Ergänzend können noch die Angaben der IAB-SOEP-Migrationsstichprobe hinzugezogen werden. Die IAB-SOEP-Migrationsstichprobe ist eine Haushaltsbefragung von Migranten in Deutschland, die durch ein randomisiertes Stichprobendesign und ein aufwändiges Befragungsverfahren, das u.a. bei Sprachproblemen den Einsatz von Dolmetschern vorsieht, versucht Verzerrungen durch mangelnde Kooperationsbereitschaft zu korrigieren. Bulgaren und Rumänen sind in der Stichprobe überrepräsentiert. Nach der IAB-SOEP-Migrationsstichprobe verfügten unter den 2013 in Deutschland lebenden Bulgaren und Rumänen 27 Prozent über einen Hochschulabschluss, 42 Prozent über mittlere berufliche Bildungsabschlüsse und 22 Prozent über keinen beruflichen Bildungsabschluss, 10 Prozent befanden sich in Bildung und Ausbildung.3 Das Bild stimmt also, bei Unterschieden im Detail, weitgehend mit dem Mikrozensus überein.4 Man kann also, bei aller Vorsicht, von einer Polarisierung der Qualifikationsstruktur der in Deutschland lebenden Bulgaren und Rumänen sprechen. Zwar liegt der Anteil der Hochschulabsolventen leicht über dem Durchschnitt der deutschen Bevölkerung, aber der Anteil der Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung ist deutlich höher als im Bevölkerungsdurchschnitt. Insbesondere in der jüngeren Zuwanderung sind Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung stark vertreten.

5

Integration der Bulgaren und Rumänen in den Arbeitsmarkt

Seit Einführung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit sind die Beschäftigungs- und Erwerbsquoten der Bulgaren und Rumänen stark angestiegen und die Arbeitslosenquoten leicht gesunken. Insgesamt sind sie gegenwärtig, gemessen an der Erwerbsbeteiligung, besser als der Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung in den Arbeitsmarkt integriert.

STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Vor Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit war die Quote der abhängig Beschäftigten unter den Bulgaren und Rumänen im erwerbsfähigen Alter zur Jahresmitte 2013 mit 51 Prozent noch relativ niedrig, sie betrug im Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung zum gleichen Zeitpunkt 49 Prozent und im Bevölkerungsdurchschnitt 66 Prozent. Dies ist auch auf die Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit zurückzuführen, die die Beschäftigungsmöglichkeiten für Bulgaren und Rumänen ohne Hochschulabschlüsse vor dem 1. Januar 2014 stark einschränkten. Diese Beschränkungen haben auch zu einigen Besonderheiten der Beschäftigungsstruktur geführt: Vor Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit war ein hoher Anteil der Bulgaren und Rumänen als Saisonarbeitskräfte in Deutschland tätig, auch waren die Anteile in der Gast- und Landwirtschaft hoch (Brücker et al. 2013).

Die hohen Beschäftigungsanteile in Branchen wie dem Hotelund Gaststättengewerbe und der Landwirtschaft spiegeln sich auch in der Tätigkeitsstruktur wieder. Der Anteil der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten Bulgaren und Rumänen in Tätigkeiten mit niedrigem Anforderungsniveau (sogen.

Helfer) lag im September 2014 mit über 50 Prozent deutlich höher als der Anteil der anderen EU-Zuwanderungsgruppen und der ausländischen Bevölkerung (vgl. Abb. 4). Viele von ihnen dürften unterhalb ihres Qualifikationsniveaus beschäftigt sein.

Die Beschäftigungs- und Tätigkeitsstruktur der Bulgaren und Rumänen schlägt sich auch in vergleichsweise niedrigen Löhnen und Gehältern wider. Zum Jahresende 2013 beliefen sich die mittleren Monatsverdienste der vollzeitbeschäftigten Bulgaren und Rumänen auf knapp 1.900 Euro (Brücker et al. 2014).

Dies entspricht den Verdiensten von Staatsbürgern aus den

Abbildung 4: Beschäftigungsstruktur der Sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigte, September 2014 (in Prozent)

Ländern der ersten Osterweiterungsrunde wie Polen, Tschechien und Ungarn, ist aber deutlich niedriger als im Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung insgesamt (2.500 Euro) und der deutschen Bevölkerung (3.000 Euro).

Im weiteren Verlauf ist davon auszugehen, dass sich die Löhne und Gehälter von Bulgaren und Rumänen schrittweise anpassen werden. So zeigen Ergebnisse der IAB-SOEP-Migrationsstichprobe, dass die Verdienste von Migranten 10 Jahre nach ihrem Zuzug um rund 70 Prozent steigen. Ob dies auch für die Bulgaren und Rumänen gilt, kann gegenwärtig noch nicht beurteilt werden. Für das Jahr 2014 liegen, aufgrund einer Revision der Beschäftigungsstatistik, noch keine aktuellen Informationen vor.

Im ersten Jahr seit Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist die abhängige Beschäftigung von Bulgaren und Rumänen

Tabelle 1: Ausgewählte Arbeitsmarktindikatoren EU-2 Monat

Gesamt

Bulgarien

Rumänien

EU-81)

EU-42)

Ausländer3)

Deutschland4)

Bevölkerungstand (Personen)5) Dez. 2013

414.226

146.828

267.398

925.068

1.132.181

7.633.628

-

Dez. 2014

538.606

183.263

355.343

1.025.506

1.180.822

8.152.968

-

Beschäftigte (Personen)6) Dez. 2013

132.959

40.483

92.476

407.800

494.429

2.901.930

35.107.848

Dez. 2014

235.982

72.592

163.390

475.987

524.836

3.177.517

35.598.536

Arbeitslosigkeit (Personen)7) Dez. 2013

16.455

7.755

8.700

46.379

63.807

506.796

2.873.806

Dez. 2014

27.181

13.702

13.479

51.743

65.215

526.641

2.763.521

Arbeitslosenquote (in Prozent)

8)

Dez. 2013

11,4

16,6

9,0

11,4

11,8

15,7

7,8

Dez. 2014

10,8

16,5

7,9

11,0

11,4

15,0

7,5

1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

EU-8 bezeichnet die Beitrittsstaaten vom 01.05.2004: Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowenien, Slowakei, Tschechien, und Ungarn.

EU-4 bezeichnet die südeuropäischen Mitgliedsstaaten: Griechenland, Italien, Portugal und Spanien.

Ausländische Bevölkerung insgesamt.

Bevölkerung in Deutschland insgesamt.

Quelle: Ausländerzentralregister, eigene Berechnungen.

Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Berechnungen des IAB. Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen.

Die Arbeitslosenquoten werden hier aus Gründen der Datenverfügbarkeit nicht wie üblich zur Basis der Erwerbspersonen, sondern zur Basis der abhängig Beschäftigten berechnet. Sie fallen damit definitionsgemäß höher als Quoten auf Basis aller zivilen Erwerbspersonen. Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Berechnungen des IAB.

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STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

um 103.000 Personen auf insgesamt 236.000 zum Jahresende 2014 gestiegen (vgl. Tabelle 1). Im gleichen Zeitraum erhöhte sich die in Deutschland lebende Bevölkerung aus diesen beiden Ländern um 124.000 Personen. Dieser starke Anstieg der Beschäftigung kann nur dadurch erklärt werden, dass auch viele Bulgaren und Rumänen die bereits in Deutschland gelebt haben, eine abhängige Beschäftigung aufgenommen haben.

Entsprechend sind die Beschäftigungsquoten gestiegen: Die Quote der abhängig Beschäftigten an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter stieg um 13 Prozentpunkte auf rund 50 Prozent im Dezember 2014, im April 2015 betrug sie 59 Prozent. Die Beschäftigungsquote der Bulgaren und Rumänen liegt damit über dem Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung (49 Prozent), aber etwas unter dem Bevölkerungsdurchschnitt insgesamt (67 Prozent). Hinzu kommt ein Anteil von 15 bis 20 Prozent Selbständigen und nicht abgabepflichtigen Saisonarbeitskräften, so dass sich im April 2015 eine geschätzte Erwerbsquote von 74 bis 79 Prozent ergibt.

Auch ist der Anteil der geringfügig Beschäftigten unter den abhängig Beschäftigten von 30 Prozent im Juni 2013 auf 26 Prozent im Juni 2014 gesunken. Insgesamt handelt es sich beim Zuzug der Bulgaren und Rumänen also überwiegend um Arbeitsmigration.

rung insgesamt und vergleichbar mit der Arbeitslosenquote von anderen EU-Zuwanderungsgruppen. Im April 2015 ist sie auf 9,9 Prozent gesunken (vgl. Tabelle 1).5 Auch bei der Entwicklung der Arbeitslosenquote zeichnen sich Unterschiede zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen ab. Während die Arbeitslosenquote bei Rumänen zwischen Dezember 2013 und Dezember 2014 um knapp 1 Prozentpunkt auf 7,9 Prozent sank, ist sie bei Bulgaren mit 16,5 Prozent fast konstant geblieben.

Insgesamt ist die Entwicklung bei den Bulgaren und Rumänen ähnlich wie bei den Ländern der ersten EU-Osterweiterungsrunde verlaufen: Nach Einführung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit sind auch dort die Beschäftigungsquoten gestiegen und die Arbeitslosenquoten gesunken – allerdings in unterschiedlichem Ausmaß.

6

Bulgaren und Rumänen im deutschen Sozialstaat

Trotz der positiven Arbeitsmarktentwicklung steigt der Anteil der Transferleistungsbezieher unter den Bulgaren und Rumänen kontinuierlich. Seit Einführung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit hat sich der Anstieg des Transferleistungsbezugs sogar beschleunigt. Belief sich der Anteil der Bezieher von Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II („Hartz-IV“) zum Jahresende 2012 noch

Die Arbeitslosenquote der Bulgaren und Rumänen lag im Dezember 2014 bei 10,8 Prozent und ist im Vergleich zum Dezember 2013 um 0,6 Prozentpunkte gesunken. Sie war im Dezember 2014 niedriger als bei der ausländischen Bevölke-

Tabelle 2: Ausgewählte Indikatoren zum Leistungsbezug EU-2 Monat

Gesamt

Bulgarien

Rumänien

EU-42)

EU-81)

Ausländer3)

Deutschland4)

Leistungsempfänger im SGB II (Personen)5) Dez. 2013

45.260

24.461

20.799

99.852

126.108

1.211.932

6.041.123

Dez. 2014

83.082

46.285

36.797

116.060

138.947

1.303.004

6.025.595

Anteil der Leistungsempfänger im SGB II (in Prozent)

6)

Dez. 2013

10,9

16,7

7,8

10,8

11,1

15,9

7,4

Dez. 2014

15,4

25,3

10,4

11,3

11,8

16,0

7,3

Anteil der „Aufstocker“ an den abhängig Beschäftigten (in Prozent)

7)

Dez. 2013

7,1

12,4

4,7

6,3

6,9

9,6

3,4

Dez. 2014

9,1

17,1

5,5

6,4

7,3

9,4

3,3

Anteil der „Aufstocker“ an den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (in Prozent)8) Dez. 2013

36,0

37,5

34,3

35,9

36,4

31,3

29,8

Dez. 2014

40,9

42,0

39,5

36,6

37,4

31,2

29,3

1) 2) 3) 4) 5) 6)

EU-8 bezeichnet die Beitrittsstaaten vom 01.05.2004: Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowenien, Slowakei, Tschechien, und Ungarn.

EU-4 bezeichnet die südeuropäischen Mitgliedsstaaten: Griechenland, Italien, Portugal und Spanien.

Ausländische Bevölkerung insgesamt.

Bevölkerung in Deutschland insgesamt.

Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen.

Anteil der Leistungsempfänger im SGB II an der jeweiligen Bevölkerung. Die ausgewiesenen Werte können sich von den amtlichen Hilfequoten unterscheiden.

Dies resultiert aus leicht unterschiedlichen methodischen Abgrenzungen, sowie einer unterschiedlichen Datenbasis. Aus erfassungssystematischen Gründen können sich für das AZR und die Bevölkerungsfortschreibung unterschiedliche Werte ergeben. Für die Bundesdeutsche Bevölkerung insgesamt wurde ein Wert von knapp 82 Mio. unterstellt. Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit und Ausländerzentralregister, eigene Berechnungen.

7) Anteil der abhängig beschäftigten Leistungsbezieher im SGB II (sog. „Aufstocker“) an allen abhängig beschäftigten Personen der jeweiligen Bevölkerungsgruppe.

Abhängig beschäftigte Leistungsbezieher sind definiert als erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die einen laufenden Leistungsanspruch in der Grundsicherung für Arbeitsuchende haben und gleichzeitig Bruttoeinkommen aus abhängiger Erwerbstätigkeit beziehen. Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen.

8) Anteil der erwerbstätigen Leistungsbezieher im SGB II an allen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen.

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

auf 9,3 Prozent und zum Jahresende 2013 auf 10,9 Prozent, so ist er bis zum Jahresende 2014 um 4,5 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr auf 15,4 Prozent gestiegen. In absoluten Größen ist die Zahl der SGB-II-Leistungsbezieher von 45.000 Personen im Dezember 2013 auf 83.000 Personen im Dezember 2014 gestiegen (vgl. Tabelle 2). Im Frühjahr 2015 hat der Anteil der SGB-II-Leistungsempfänger das Niveau der ausländischen Bevölkerung erreicht. Im April 2015 lag die Quote bereits bei 16,8 Prozent und damit 0,3 Prozentpunkte über dem durchschnittlichen Niveau der ausländischen Bevölkerung in Deutschland.

Der gleichzeitige Anstieg von Beschäftigungsquoten und Leistungsbezieherquoten seit Einführung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit ist auf den ersten Blick überraschend.

Die wichtigste Ursache dürfte in den niedrigen Verdiensten und der breiten Streuung der Verdienste von Bulgaren und Rumänen liegen (s. o.). Dies führt zu zwei Phänomen: Erstens ist der Anteil der erwerbstätigen Leistungsbezieher („Aufstocker“) höher als bei anderen Migrantengruppen. So waren im Dezember 2014 rund 41 Prozent der erwerbsfähigen SGB-IILeistungsempfänger aus Bulgarien und Rumänien erwerbstätig, im Vergleich zu rund 31 Prozent in der ausländischen Bevölkerung in Deutschland. Zweitens reichen die Verdienste auch nicht aus, um die Familien zu unterhalten, so dass auch unter den Bulgaren und Rumänen, die nicht im erwerbsfähigen Alter sind (überwiegend Kinder) die Quoten der Leistungsbezieher sehr hoch sind. So waren im Dezember 2014 30 Prozent der Leistungsbezieher aus Bulgarien und Rumänien als nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte registriert, im Vergleich zu 20 Prozent in der ausländischen Bevölkerung. Ähnlich wie bei der Beschäftigung fallen die Leistungsbezieherquoten bei den Bulgaren und Rumänen weit auseinander: So lag die SGB-II-Leistungsbezieherquote der Rumänen im Dezember 2014 bei 10,4 Prozent, die der Bulgaren jedoch bei

25,3 Prozent. Die Leistungsbezieherquote der Rumänen lag damit deutlich unter dem Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung (16,0 Prozent), die der Bulgaren deutlich darüber.

Einige in der Öffentlichkeit häufig geäußerte Befürchtungen über die Bulgaren und Rumänen können durch die Daten dagegen nicht bestätigt werden. So ist eine Massenzuwanderung von kinderreichen Familien keineswegs zu erkennen, im Gegenteil, die Bulgaren und Rumänen sind genauso kinderarm wie der Bevölkerungsdurchschnitt in Deutschland. Im Dezember 2014 waren 10,7 Prozent der hier lebenden Bulgaren und Rumänen kindergeldbezugsberechtigt, im Vergleich zu ebenfalls 10,7 Prozent im Bevölkerungsdurchschnitt (vgl.

Tabelle 3). Im Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung betrug dieser Anteil 14,7 Prozent, bei den Staatsbürgern aus den Ländern der ersten Osterweiterungsrunde 14,6 Prozent und aus den südeuropäischen Krisenstaaten 13,2 Prozent (vgl.

Tabelle 3). Auf jeden Kindergeldbezugsberechtigten entfallen in der bulgarischen und rumänischen Bevölkerung 1,6 Kinder, im Vergleich zu ebenfalls 1,6 im Bevölkerungsdurchschnitt und 1,9 im Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung. Damit beziehen die in Deutschland lebenden Bulgaren und Rumänen weniger Kindergeld als die meisten anderen ausländischen Bevölkerungsgruppen. Für die Hypothese, dass viele Bulgaren und Rumänen wegen des Anspruchs auf Kindergeld nach Deutschland kommen, gibt es vor dem Hintergrund dieser Zahlen also keine statistischen Belege.

Ebenso wenig finden sich Belege, dass „Sozialmissbrauch“ oder „Sozialleistungsbetrug“ unter der bulgarischen und rumänischen Bevölkerung besonders verbreitet seien. Die polizeiliche Kriminalstatistik zählte 2013 195 und 2014 213 Verdachtsfälle auf Leistungsbetrug zu Lasten des Staates oder der Sozialversicherungen (Bundeskriminalamt 2015). Damit liegt der Anteil der Bulgaren und Rumänen, bezogen auf die Leistungsbezieher, unter dem Anteil der deutschen Bevölkerung.

Tabelle 3: Kindergeldbezug, Dezember 2013 und Dezember 2014 EU-2 Monat

Gesamt

Bulgarien

Rumänien

EU-81)

EU-42)

Ausländer3)

Deutschland4)

Kindergeldberechtigte5) Dez. 2013

37.647

16.015

21.632

121.932

147.453

1.126.700

8.737.208

Dez. 2014

57.610

22.900

34.710

149.553

155.650

1.198.185

8.797.510

Anteil der Kindergeldbezugsberechtigten6) Dez. 2013

9,1

10,9

8,1

13,2

13,0

14,8

10,7

Dez. 2014

10,7

12,5

9,8

14,6

13,2

14,7

10,7

Dez. 2013

14,6

16,8

13,4

21,4

21,9

27,6

17,5

Dez. 2014

17,5

19,6

16,4

23,8

22,2

27,4

17,7

Anteil der Kinder7)

1) 2) 3) 4) 5) 6)

EU-8 bezeichnet die Beitrittsstaaten vom 01.05.2004: Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowenien, Slowakei, Tschechien, und Ungarn.

EU-4 bezeichnet die südeuropäischen Mitgliedsstaaten: Griechenland, Italien, Portugal und Spanien.

Ausländische Bevölkerung insgesamt.

Bevölkerung in Deutschland insgesamt.

Quelle: Statistik der Familienkasse, eigene Berechnungen.

Anteil der Kindergeldberechtigten an der jeweiligen Bevölkerung. Für die Bundesdeutsche Bevölkerung insgesamt wurde ein Wert von knapp 82 Mio. unterstellt.

Quelle: Ausländerzentral-register, eigene Berechnungen.

7) Anteil der Kinder, für die Kindergeld geltend gemacht werden konnte, an der jeweiligen Bevölkerung. Für die Bundesdeutsche Bevölkerung insgesamt wurde ein Wert von knapp 82 Mio. unterstellt. Quelle: Ausländerzentralregister, eigene Berechnungen.

14

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

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Regionale Unterschiede

Mehr noch als Zuwanderer im Allgemeinen, konzentriert sich die in Deutschland lebende Bevölkerung aus Bulgarien und Rumänien auf einzelne Großstädte und bestimmte Kommunen. Hieraus ergeben sich besondere Herausforderungen aber auch Chancen für die jeweilige Arbeitsmarktintegration. Eine detaillierte Ausführung übersteigt den Rahmen dieses Beitrags. Allerdings sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Lage in einzelnen Städten und Gemeinden sich von der bundesweiten Lage zum Teil erheblich unterscheidet. Für eine umfangreiche Analyse verweisen wir auf Brücker et al. (2013) bzw. auf den Beitrag von Stefan Böckler in dieser Zeitschrift.

Zum 31. Dezember 2014 lebten in sechs deutschen Städten mehr als 10.000 Bulgaren und Rumänen: Berlin (35.000), München (27.000), Frankfurt (16.000), Hamburg (14.000), Duisburg (11.000) und Nürnberg (11.000). Der größte Anteil an der Bevölkerung entfällt auf Offenbach (5,4 Prozent). Dabei lassen sich zwei Trends erkennen: Zum einen ist die Lage in diesen Großstädten im Durchschnitt schlechter als die bundesweite Entwicklung. Offenbar sind die Bulgaren und Rumänen in den ländlichen Regionen und Mittelzentren besser in den Arbeitsmarkt integriert als in den Großstädten. Zum anderen unterscheidet sich die Lage zwischen den Großstädten erheblich.

In der räumlichen Verteilung der Bulgaren und Rumänen spiegeln sich zwei Umstände. Zum einen finden sich unter den zugangsstärksten Städten solche mit vorteilhaften Arbeitsmarktbedingungen wie hohe Löhne und niedrige Arbeitslosigkeit.

Zum anderen gibt es Städte bei denen sich andere Gründe anführen lassen, wie zum Beispiel günstiger Wohnraum.

Die Unterschiede in der räumlichen Verteilung und den dahinterstehenden Migrationsmotiven spiegeln sich in deutlich verschiedenen Arbeitsmarktlagen. Im Dezember 2014 waren die Arbeitslosenquoten der Bulgaren und Rumänen besonders hoch in Berlin, Dortmund und Duisburg. Die Arbeitslosenquote lag dabei zwischen 22 und 33 Prozent (Brücker et al.

2015a). Diese Städte zeichnen sich auch durch zum Teil extrem niedrige Beschäftigungsquoten aus. Besonders geringe Arbeitslosenquoten weisen dagegen München, Stuttgart und Karlsruhe (7 bis 8 Prozent) auf. Mit Ausnahme von Dortmund und Stuttgart sind 2014 die Arbeitslosenquoten der Bulgaren und Rumänen in den 15 zuwanderungsstärksten Städten gesunken.

Köln tragen erhebliche Integrationslasten. Dies betrifft nicht nur Leistungen nach dem SGB II wie die Kosten der Unterkunft, sondern auch Kosten für Sozialarbeit und das Quartiersmanagement, die Übernahme der Kosten bei akuten Erkrankungen von Personen ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz und vieles andere. Vielerorts wurde auf diese Herausforderungen mit einem erheblichen Engagement und Mitteleinsatz reagiert. Das lässt sich teilweise auch in den sozioökonomischen Indikatoren ablesen. Zu Beginn des Anstiegs der starken Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien waren in einzelnen Städten große Teile der Zuwanderer weder erwerbstätig noch haben sie Leistungen der Grundsicherung bezogen. Heute steigt beides, die Beschäftigung und der Leistungsbezug. Auch letzteres ist in gewissem Sinne eine Integrationsleistung die durch eine umfassende Betreuung durch die Kommunen möglich wurde und der Verarmung großer Bevölkerungsgruppen entgegenwirkt. Dies ist ein wichtiger erster Schritt für eine spätere umfassendere Integration in den Arbeitsmarkt und gesellschaftliche Teilhabe.

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Schlussfolgerungen

Die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien stellt sich viel zu vielschichtig dar, als dass sie einseitig unter dem Begriff der Armutsmigration zusammengefasst werden könnte. Auf der einen Seite hat sich, insbesondere seit Einführung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Beschäftigung sehr günstig entwickelt. Dies gilt auch im Vergleich zu anderen Ausländergruppen. Auf der anderen Seite steigt der Leistungsbezug, nicht nur, aber vor allem weil die Verdienste der Bulgaren und Rumänen noch sehr gering sind. Dies ist auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen: Die vergleichsweise hohen Anteile von Personen ohne berufliche Abschlüsse, die Beschäftigung unterhalb des Qualifikationsniveaus und die migrationstypische Erscheinung, dass sich eine Lohnkonvergenz erst im Zeitverlauf ergibt. Hinzu kommt, dass es unter den Bulgaren und Rumänen auch Gruppen gibt, die sich offenbar nur schwer in den Arbeitsmarkt integrieren lassen.

Ein ähnliches Bild ergibt sich für den Anteil der SGB-II-Leistungsbezieher an der Bevölkerung aus Bulgarien und Rumänien. Im Dezember 2014 war dieser besonders hoch in Köln, Berlin und Bremen und belief sich auf 28 bis 34 Prozent (Brücker et al. 2015b). Besonders gering waren die Anteile dagegen in Augsburg, München und Stuttgart (7 bis 8 Prozent).

Im Gegensatz zur Arbeitslosenquote ist der Anteil der SGB-IILeistungsbezieher in allen betrachteten Städten ähnlich wie im bundesweiten Durchschnitt gestiegen.

Der gegenläufige Verlauf von Beschäftigungs- und Leistungsbezug stellen die Arbeitsmarkt und Sozialpolitik vor erhebliche Herausforderungen. Aus Sicht der Arbeitsmarktpolitik sind die Förderung der Sprachkompetenz, die Anerkennung von beruflichen Abschlüssen und für bestimmte Zielgruppen die Förderung des Erwerbs von beruflichen Abschlüssen die wichtigsten Instrumente. Rund ein Drittel der Migranten in Deutschland haben nach ihrem Zuzug Berufsabschlüsse in Deutschland erworben, das dürfte bei den Bulgaren und Rumänen langfristig nicht anders sein. Die Sozialpolitik steht insbesondere auf kommunaler Ebene je nach Problemlage vor großen Herausforderungen, die im vorhergehenden Abschnitt skizziert wurden: Unterbringung, Quartiersmanagement, Sozialarbeit, Versorgung von akut Erkrankten usw. Sie müssen außerdem die soziale Integration, auch von ethnischen Minderheiten, und die Akzeptanz in der Gesellschaft sicherstellen.

Insbesondere die stark belasteten Kommunen wie Berlin, Duisburg und Dortmund, aber auch Bremen, Offenbach und

Die Gewinne aus der Zuwanderung und die Kosten der Integration sind unterschiedlich verteilt. Zu den wichtigsten

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Gewinnern zählen vor allem die beitragsfinanzierten Sozialversicherungssysteme, vor allem die Renten-, Pflege- und Krankenversicherungen, die Belastungen tragen vor allem die Kommunen. Es ist darum eine der wichtigsten Aufgaben des föderalen Systems hier einen fairen Lastenausgleich herzustellen, dies ist ordnungspolitisch vor allem Aufgabe des Bundes.

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Die Bevölkerung aus Bulgarien und Rumänien ist seit 1990 um 15 Prozent geschrumpft (Weltbank 2015). Da einige Bulgaren und Rumänen, die sich im Ausland aufhalten, noch in den Heimatländern registriert sind, kann die tatsächliche Auswanderung noch einige Prozentpunkte darüber liegen.

Sonderauswertung, Statistisches Bundesamt (2014) Eigene Auswertung der IAB-SOEP-Migrationsstichprobe.

Die Fallzahlen sind in der IAB-SOEP-Migrationsstichprobe zu gering, um etwa für die jüngste Zuwanderung im Jahr 2013 statistisch belastbare Aussagen zu machen.

Die Arbeitslosenquoten werden hier aus Gründen der Datenverfügbarkeit nicht wie üblich zur Basis der Erwerbspersonen, sondern zur Basis der abhängig Beschäftigten berechnet. Sie fallen damit definitionsgemäß höher als Quoten auf Basis aller zivilen Erwerbspersonen aus (Bundesagentur für Arbeit 2009).

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Borjas, George J. (1987): Self-selection and the earnings of immigrants, In: American Economic Review, 77, 4, 531–555.

Brücker, Herbert; Defoort, Cecily (2009): Inequality and the self-selection of immigrants: theory and new evidence, In: International Journal of Manpower, 30, 7, 742–64.

Brücker, Herbert; Bertoli, Simone; Facchini, Giovanni, Mayda; Anna Maria; Peri, Giovanni (2012): Understanding Highly Skilled Migration in Developed Countries, In: Bori, Tito; Brücker, Herbert; Docquier, Frédéric; Rapoport, Hillel (Hrsg.), Brain Drain and Brain Gain. The Global Competition to Attract High-Skilled Migrants, Oxford University Press, S. 16–198.

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Brücker, Herbert; Hauptmann, Andreas; Vallizadeh, Ehsan (2013): Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien: Arbeitsmigration oder Armutsmigration? In: IAB-Kurzbericht, 16/2013, Nürnberg.

Brücker, Herbert; Hauptmann, Andreas; Vallizadeh, Ehsan (2014): Zuwanderungsmonitor Bulgarien und Rumänien, Dezember 2014. In: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Aktuelle Berichte, Nürnberg.

Brücker, Herbert; Hauptmann, Andreas; Vallizadeh, Ehsan (2015a): Zuwanderungsmonitor Bulgarien und Rumänien, Februar 2015. In: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Aktuelle Berichte, Nürnberg.

Brücker, Herbert; Hauptmann, Andreas; Vallizadeh, Ehsan (2015b): Zuwanderungsmonitor Bulgarien und Rumänien, April 2015. In: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Aktuelle Berichte, Nürnberg.

STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

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Statistisches Bundesamt (2014), Mikrozensus 2013, Sonderauswertung, Wiesbaden Weltbank (2015): World Development Indicators, Washington D.C.

Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Stefan Böckler

Armutszuwanderung nach Deutschland und in deutsche Städte: Mythos und/oder Realität?

Seit geraumer Zeit wird in Wissenschaft und Politik darüber diskutiert, ob es sich bei den seit 2007 aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland zugewanderten EU-Bürgern vorwiegend um Arbeitsmigranten oder eher um sogenannte Armutszuwanderer handelt. Diese Entgegensetzung wird aufgrund von begrifflichen Überlegungen und Daten aus der Beschäftigungs-, Leistungs- und Bildungsstatistik in Bezug auf Deutschland und vor allem ausgewählte deutsche Städte einer konzeptionellen und empirischen Überprüfung unterzogen.

Wenn es darum geht, den spezifischen Charakter der seit dem EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens massiv zugenommenen Zuwanderung aus beiden Ländern nach Deutschland zu benennen, wird vermutlich am häufigsten der Terminus „Armutszuwanderung“ verwendet.

Wie bei allen anderen in diesem Kontext vorgenommenen Charakterisierungen ist allerdings die Angemessenheit auch dieses Begriffes stark umstritten.

Im Folgenden soll es darum gehen, wesentliche Annahmen dieser zum Teil politisch hoch besetzten Kontroverse einer begrifflichen und empirischen Überprüfung zu unterziehen.

Gefragt und geprüft werden soll, ob und in welchem Umfang die Zuschreibung „Armutszuwanderung“ auf einer ideologiekritisch aufzuklärenden Mythenbildung oder auf tatsächlichen Merkmalen der Situation dieser Zuwanderergruppen beruht bzw. ob je nach Kontext beide Bewertungen dieses Begriffes als zutreffend zu bezeichnen sind.

Konzeptionelle Vorklärungen: Arbeits- vs. Armutsmigration Ausgangspunkt der Debatte ist im Regelfall die Entgegensetzung von Arbeits- und Armutsmigration. Mit der Rede von „Armutsmigration“ wird unterstellt, dass die aktuelle Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien sich in einem grundsätzlichen Sinn unterscheidet von den seit den 1950er Jahren erfolgten „Arbeitsmigrationen“ nach Deutschland und auch von den aktuellen Formen einer „arbeitsbasierten“ Zuwanderung.

Dr. Stefan Böckler Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Stabsstelle für Wahlen, Europaangelegenheiten und Informationslogistik der Stadt Duisburg : s.boeckler@stadt-duisburg.de Schlüsselwörter: Zuwanderung – deutsche Städte – Armutsgefährdung – Südosteuropa

Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass diese Form der Entgegensetzung begrifflich nicht zutreffend ist, insofern als beide Begriffe sich auf unterschiedliche Dimensionen der sozialen Situation von Menschen beziehen. „Arbeitsmigration“ betrifft offensichtlich die Frage der Einbeziehung der Zuwanderer1 in das Berufsleben, während „Armutszuwanderung“ im Regelfall auf eine unzureichende Teilhabe an der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums mit bestimmten Konsequenzen für die Lebenssituation der Zuwanderer zielt, also ihre Einkommenssituation betrifft.

Aus diesem Grund schließen sich beide Merkmale auch auf empirischer Ebene nicht aus: Wie der auch in Deutschland zu-

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

nehmend hervorgetretene Tatbestand der working poors zeigt, kann auch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung für die Betroffenen mit einer Armutssituation verbunden sein.2 Dessen ungeachtet besteht ein enger Zusammenhang zwischen beiden Dimensionen: Eine gelungene Integration in das Berufsleben verringert deutlich das Risiko der Entstehung von Armutssituationen, und umgekehrt erhöht die Exklusion aus dem Beschäftigungssystem – sofern nicht andere Erwerbsquellen zur Verfügung stehen – solche Risiken erheblich.

Auch aufgrund der im Folgenden dargestellten Datenlage scheint es von daher durchaus sinnvoll, die spezifische Situation der bulgarischen und rumänischen Zuwanderer im Spannungsfeld zwischen „Armuts-“ und „Arbeitsmigration“ zu verorten.

Als Vergleichsgruppe bieten sich die seit Mitte der 1950er Jahre nach Deutschland zugewanderten „Gastarbeiter“ an, bei denen zumindest für den Zeitpunkt ihrer Zuwanderung kein Zweifel in Bezug auf ihre Zugehörigkeit zur Gruppe der „Arbeitsmigranten“ bestehen kann. Die Situation dieser Gruppe weist sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zu derjenigen der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien auf: 1. Die „Gastarbeiter“ stammten vorwiegend aus wirtschaftlich unterentwickelten Gebieten der Herkunftsländer, waren in der Mehrzahl beruflich schlecht qualifiziert und befanden sich in den Herkunftsländern in einer sehr schwierigen Beschäftigungssituation mit den entsprechenden Folgen für die Herausbildung von Armutssituationen3. Ähnlich wie die bulgarischen und rumänischen Zuwanderer (Hanganu/ Humpert/Kohls 2014, S. 70; Tarnovschi 2012) kam also ein großer Teil dieser Zuwanderer aus der Armut.

2. Auch in Bezug auf die Wanderungsmotivation ist von Gemeinsamkeiten zwischen beiden Gruppen auszugehen: Das ausschlaggebende Motiv für die Wanderung nach Deutschland (und in andere wirtschaftlich erfolgreiche europäische Staaten) bestand bei den klassischen Arbeitsmigranten darin, durch die Auswanderung für sich und ihre Familien ihre Armutssituation im Herkunftsland zu überwinden. Als entscheidendes Medium hierfür wurde die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit in den Zielländern gesehen. Zu den Wanderungsmotiven der Neuzuwanderer liegen bisher keine repräsentativen Daten vor, aber die tatsächlichen Bemühungen und Erfolge großer Teile der Zuwanderer, auf dem regulären und informellen Arbeitsmarkt sowie in selbständiger Tätigkeit Beschäftigung zu finden, weisen daraufhin, dass auch hier der Suche nach Arbeit eine zentrale Bedeutung zukommt.

3. Entscheidende Unterschiede zeigen sich aber bei der faktischen Umsetzung dieses arbeitsorientierten Projekts. Bei den Arbeitsmigranten der 1950er bis 1970er Jahre war der Erfolg dieses Projekts gewissermaßen garantiert. Ihre Anwerbung in den Herkunftsländer beruhte in der Regel auf dem Vorhandensein eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsangebotes in Deutschland, und dementsprechend

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lag die Quote der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den Anfangsjahren der Arbeitsmigration sehr hoch. (Noch 1973, also im Jahr des Anwerbestopps, übten mehr als 65 % der in Deutschland lebenden Ausländer eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus.)

Trotz der Benachteiligungen dieser Gruppe im Lohnniveau bildeten Armutssituationen während ihres Aufenthalts in Deutschland daher eher die Ausnahme.

Diese Bedingungen und damit auch Folgen der Zuwanderung liegen nun bei den bulgarischen und rumänischen Zuwanderern zweifellos nicht vor: Weder ist schon mit ihrer Zuwanderung institutionell ihre Integration in den deutschen Arbeitsmarkt garantiert, noch haben sie – wie zu sehen sein wird – bisher tatsächlich einen der ersten Phase der Gastarbeiterzuwanderung vergleichbaren Zugang zum Arbeitsmarkt gefunden.

Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass sich auch unter den klassischen Arbeitsmigranten die Situation inzwischen deutlich verschlechtert hat: Mit den quantitativen und qualitativen Veränderungen des Arbeitsplätzeangebotes seit der ersten Hälfte der 70er Jahre und der damit verbundenen hohen Arbeitslosigkeit dieser Gruppen (1990 war der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten – allerdings auch aufgrund des verstärkten Familiennachzugs nach 1973 – auf 33 % gesunken), haben sich auch bei ihnen zunehmend Armutssituationen herausgebildet: 2013 war die Armutsgefährdungsquote bei Personen mit Migrationshintergrund mit 26,6 % mehr als zwei mal so hoch wie diejenige von Personen ohne Migrationshintergrund (12,6 %). Die Quote bei Ausländern lag mit 32,0 % noch deutlich darüber (Statistische Ämter 2015).

4. Für die Zuordnung von Zuwanderern zur Gruppe der Arbeits- bzw. Armutsmigranten ist darüber hinaus auch die Frage ausschlaggebend, wie die Zukunftsperspektiven dieser Zuwanderer in Bezug auf eine Integration ins Beschäftigungssystem aussehen. In dem Maße, indem sich hier positive Aussichten ergeben, verringern sich die Risiken für die Herausbildung von Armutssituationen, mit der Verschlechterung der Beschäftigungsperspektiven nehmen diese zu. Aufgrund des weiterhin deutlich schlechteren Bildungsniveaus auch bei den Kindern und Enkeln der „Gastarbeiter“ stehen die Vorzeichen für eine zukünftige Verringerung von Armutssituationen nicht gut; für die Neuzuwanderer wird dies zu prüfen sein.

Aufgrund dieses Vergleichs unterschiedlicher Zuwanderergruppen wird folgende Arbeitsdefinition für „Armutszuwanderer“ vorgeschlagen: Es handelt sich um Personen, die aus Armutssituationen im Herkunftsland stammen, die im Zielland weiterhin in Armutssituationen leben und geringe Aussichten haben, diesen in Zukunft zu entkommen. Dabei bleibt die Frage der Motivation der Zuwanderung gänzlich unberücksichtigt; für das Vorliegen von Armutszuwanderung werden ausschließlich tatsächliche vergangene, aktuelle und aufgrund von Daten voraussagbare zukünftige Verhältnisse als ausschlaggebend betrachtet.

Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Methodische Fragen der Erhebung von „Armutszuwanderung“ von Bulgaren und Rumänen und die verwendete Datenbasis Zur Messung der „Armut“ von Personen wird im Regelfall der einkommensbezogene Indikator der „Armutsgefährdungsquote“ verwendet. Damit ist der Anteil der Personen an der jeweiligen Bezugsbevölkerung bezeichnet, deren Einkommen weniger als 60 % des Medians des Äquivalenzeinkommens dieser Bevölkerung ausmacht. Da sich Armut auch über den familiären Kontext von Personen definiert, wird dieses Äquivalenzeinkommen auf Basis des bedarfsgewichteten Pro-Kopf-Einkommens je Haushaltsmitglied berechnet. Für einen Einpersonenhaushalt ergab sich für 2013 und bei Bezug auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland daraus eine Armutsgefährdungsschwelle von monatlich 892 Euro (Statistische Ämter 2015).

Nun stehen leider für die hier interessierende Gruppe der Bulgaren und Rumänen keine zuverlässigen und aktuellen Daten zu ihrer Einkommenssituation zur Verfügung. Aus diesem Grund wird im Folgenden der in bisherigen Studien (z. B. bei Brücker et al. 2013) zum Thema immer wieder eingeschlagene Weg der Abschätzung der Armutsgefährdung über eine Kombination von Beschäftigungs- und Transferleistungsdaten beschritten.

Dabei stellt sich zum einen das oben schon angedeutete Problem, dass aus Beschäftigungsdaten unmittelbar keine Aussagen über das Bestehen oder Nicht-Bestehen von Armutssituationen abgeleitet werden können, zum anderen die Schwierigkeit, dass diese Daten sich nicht auf Haushalte, sondern auf Einzelpersonen beziehen. Im Falle der Leistungsdaten (hier vor allem der SGB-II-Daten: allen anderen Transferleistungen kommt bisher nur untergeordnete Bedeutung zu) liegt zwar durch die Bildung von Bedarfsgemeinschaften ein solcher Haushaltsbezug vor.

Will man aber beide Datentypen gemeinsam auswerten und interpretieren, so bleibt kein anderer Weg als ihre personenbezogene Zusammenführung. Da sich Beschäftigungsdaten im Regelfall auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15–65 Jahre) beziehen, kann auch in Bezug auf die SGB-II-Bezieher für eine Zusammenführung unterschiedlicher Daten nur diese Altersgruppe als Bezugsgruppe verwendet werden.

Um aufgrund von Beschäftigungsverhältnissen und Transferleistungsbezug eine Aufgliederung dieser Altersgruppe in armutsgefährdete bzw. nicht-armutsgefährdete Personen vorzunehmen, werden folgende Gruppen unterschieden, denen dann jeweils ein entsprechender „Armutsgefährdungsstatus“ zugeschrieben wird: 1. sozialversicherungspflichtige Beschäftigte ohne Bezug von aufstockenden Leistungen (nicht-armutsgefährdet) 2. selbständig Beschäftigte und mithelfende Familienangehörige ohne Bezug von aufstockenden Leistungen (nichtarmutsgefährdet) 3. ausschließlich geringfügig Beschäftigte ohne Bezug von aufstockenden Leistungen (armutsgefährdet) 4. Leistungsbezieher im SGB-II (inkl. der Personen mit aufstockenden Leistungen aus den ersten drei Gruppen) (armutsgefährdet) 5. Nicht-Erfasste (nicht zuordenbar: Grauzone)

Valide Daten auf Bundes- und Städteebene liegen zur 1., 3. und 4. Kategorie vor. Die Anzahl der selbständig Beschäftigten insgesamt lässt sich aufgrund vorliegender Mikrozensusdaten für das Jahr 2013 und darauf basierter Städteschätzungen der Bundesagentur für Arbeit nur grob abschätzen. Insofern stellt auch die Anzahl der Selbständigen ohne aufstockende Leistungen nur eine Schätzung dar. Da als Folge der Herstellung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit zum 01.01.2014 seitdem die Anzahl der gewerbetreibenden Bulgaren und Rumänen bundesweit und auch in den einbezogenen Städten deutlich zugunsten der abhängig Beschäftigten zurückgegangen ist, überschätzen die hier angegebenen Werte sicherlich den Selbständigenanteil zum 30.09.2014.

Die letzte Gruppe ergibt sich als sachlich undefinierte Restkategorie. Wegen fehlender Daten lassen sich hier keine Zuordnungen hinsichtlich der Armutsgefährdung der Mitglieder dieser Gruppe treffen. Zu ihr gehören eine Vielzahl von Untergruppen mit ganz unterschiedlichen Beschäftigungs- und Einkommenssituationen (Schüler, Studierende, Beamte, Rentner, Bezieher von Einkommen aus Vermögen, Bezieher von andersartigen Transferleistungen, nicht-erwerbstätige Ehe- und Lebenspartner etc). Es ist zwar davon auszugehen, dass es zwischen den verschiedenen hier betrachteten Bevölkerungsgruppen systematische Unterschiede in der Zusammensetzung dieser Restkategorie gibt; hierzu liegen aber bis auf wenige Ausnahmen (z. B. für Studierende) keine Daten für alle einbezogenen Gruppen vor.

Die verwendeten Daten entstammen im Wesentlichen einer in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Städtetag und der Stadt Dortmund von der Duisburger Stabsstelle für Wahlen, Europaangelegenheiten und Informationslogistik erstellten städtevergleichenden Datensynopse, für die die beteiligten Städte Daten der Bundesagentur für Arbeit aus der Bevölkerungsstatistik und der Statistik Service West Daten aus der Beschäftigungs- und Leistungsstatistik4 bereit gestellt haben.

Beteiligte Städte waren Bochum, Dortmund, Duisburg, Gelsenkirchen, Hamburg, Hannover, Hof, Köln, Mannheim, München, Nürnberg, Offenbach, Regensburg und Saarbrücken.

Die verwendeten Bildungsdaten entstammen repräsentativen Umfragen wie dem Zensus und dem Mikrozensus.

Der Bezugsmonat der Auswertung ist im Regelfall der September 2014, für den die im Moment aktuellsten Beschäftigungsdaten zur Verfügung stehen. Abgewichen wird hiervon bei den Bildungsdaten, die sich auf das Jahr 2011 beziehen.

Vergleichsgruppen und -räume sowie Auswertungsstrategie Die Frage nach einer bei bulgarischen und rumänischen Zuwanderern spezifisch ausgeprägten Armutsproblematik soll in Bezug auf die Vergleichsgruppen der deutschen Staatsbürger und die der Ausländer insgesamt angegangen werden. Insbesondere soll geprüft werden, ob die Armutsproblematik bei diesen Neuzuwandern deutlicher ausgeprägt ist als in der Gruppe der Ausländer insgesamt, die einen beträchtlichen

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Teil der klassischen Arbeitsmigranten umfasst, aber wie schon angesprochen, heute im Vergleich zur deutschen Bevölkerung von einer besonderen Armutsproblematik betroffen ist.

Bulgarische und rumänische Armuts- und Arbeitspopulationen in Deutschland und in ausgewählten deutschen Städten

In Bezug auf regionale Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Ausprägung von Armutsrisiken werden Daten für die Bundesrepublik insgesamt und für ausgewählte deutsche Städte analysiert, die besonders von der Zuwanderung betroffen sind.

Zur Vereinfachung der Auswertung werden nicht die Ergebnisse für alle beteiligten Städte dargestellt und analysiert, sondern eine Auswahl in Bezug auf typische Muster der Kombination von Arbeits- und Armutsprägung der Zuwanderung getroffen.

Die Auswertungsergebnisse nach den oben definierten Kategorien und Bevölkerungsgruppen weichen aufgrund der genannten methodischen Differenzen und Unschärfen erwartungsgemäß von den Ergebnissen einer einkommensbasierten Bestimmung von Armutsgefährdung ab. Für die deutsche und ausländische Bevölkerung ergibt die hier vorgenommene Schätzung eine Armutsgefährdung von ca. 14,3 % bzw. 22,1 % gegenüber den oben genannten Werten aus der amtlichen Armutsgefährdungsstatistik von 12,6 % bzw. 32,0 %. Diese Abweichung ist vermutlich auf unterschiedliche Familienstrukturen und eine unterschiedliche Zusammensetzung der „Grauzone“ zurückzuführen. Dessen ungeachtet und angesichts der zum Teil sehr deutlichen Befunde können der Auswertung wichtige Hinweise auf die Verteilung von Armutssituationen in den untersuchten Gruppen entnommen werden. Im Fokus stehen dabei der Vergleich der Situation der bulgarischen und rumänischen Zuwanderer mit derjenigen der Ausländer insgesamt und der Vergleich zwischen verschiedenen regionalen Kontexten.

Aus früheren Auswertungen (Böckler 2015) hat sich eine starke Spreizung dieses Spektrums (mit einer deutlichen Tendenz hin zur Polarisierung) ergeben: Als besonders privilegiert in Bezug auf die Integration dieser Zuwanderer in den Arbeitsmarkt und ihre geringe In-Anspruchnahme von Sozialleistungen haben sich die süddeutschen Städte München, Nürnberg und Regensburg gezeigt; als besonders benachteiligt in beiden Hinsichten die Ruhrgebietsstädte Dortmund, Duisburg und Gelsenkirchen. Für beide Städtegruppen werden zusammenfassende Werte berechnet (und mit der Bundessituation verglichen), um so das weit ausgreifende Spektrum von Arbeitsund Armutsprägungen auf Seiten der Zuwanderer besonders deutlich herauszuarbeiten.

Auf Bundesebene zeigen sich zunächst keine besonders ausgeprägten Unterschiede zwischen den Ausländern insgesamt und den EU-2-Zuwanderer: Der prekäre Bereich umfasst bei

Abbildung 1: Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15–65) nach „abgesicherten“ und Armutsgefährdungsbereichen

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

den Ausländern 22,1 %, bei den EU-2-Zuwanderern 19,1 %.

Deutlich werden aber ausgeprägte Unterschiede zwischen den Teilgruppen der EU-2-Zuwanderung: Bei den Bulgaren macht dieser Bereich 24,8 % aus, bei den Rumänen nur ca.

16,2 %. Wie auch andere Studien (Brücker u. a. 2013, Böckler 2015) gezeigt haben, steht die rumänische Gruppe in Bezug auf ihre Arbeitsmarktintegration und ihre relativ geringe InAnspruchnahme von SGB-II-Leistungen deutlich besser da als die bulgarische. Auch bei der„Grauzone“ ergeben sich keine ausgeprägten Unterschiede zwischen den Ausländern insgesamt und den Bulgaren und Rumänen. Für die Bundesebene weisen die Daten also auf eine insgesamt vergleichbare Armutsgefährdung beider Vergleichsgruppen hin.

In den „privilegierten“ Städten stellt sich die Situation erwartungsgemäß günstiger dar. In allen Gruppen ist der „rote“ Bereich deutlich kleiner als auf Bundesebene. Für die Ausländer insgesamt sind dies 15,7 %, für die Bulgaren 15,1 %, für die Rumänen 9,1 % und für die EU-2-Zuwanderer zusammen genommen 11,3 %. Die Situation beider Teilgruppen der EUZuwanderer ist hier also etwas bzw. deutlich besser als die der Ausländer insgesamt.

Besonders deutliche Unterschiede ergeben sich im Regionalvergleich zwischen den privilegierten und den benachteiligten Städten. Dies betrifft zunächst die deutlich größere Spannweite des „roten“ Bereichs in den benachteiligten Städten bei allen Gruppen. Für die Bulgaren und Rumänen ist dieser Bereich in den benachteiligten im Vergleich zu den privilegierten Städten mit 21,0 % fast doppelt so groß. Auffällig hierbei ist allerdings, dass der entsprechende Wert der Ausländer in letzteren Städten mit 33,0 % noch deutlich höher liegt.

Was in Bezug auf die bulgarischen und rumänischen Zuwanderer besonders in den Blick fällt ist die unterschiedliche Spannweite des „grünen“ Bereichs und der „Grauzone“ in beiden Städtegruppen. Während in München, Nürnberg und Regensburg mehr als die Hälfte der Bulgaren und Rumänen sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder selbständig sind (51,2 %), sind dies in Dortmund, Duisburg und Gelsenkirchen nur 18,1 %.

Diese Werte liegen darüber hinaus in den Ruhrgebietsstädten deutlich unter denjenigen der Ausländer insgesamt (33,8 %).

Die Grauzone in den süddeutschen Städten umfasst 37,6 % der EU-2-Zuwanderer, in den Ruhrgebietsstädten 60,9 % und ist in diesen Städte auch deutlich ausgeprägter als bei den Ausländern (33,2 %).

keinen Zugang zu den Teilsystemen von Beschäftigung und Leistungsbezug gefunden haben. Aufgrund qualitativer Befunde aus diesen Städten ist davon auszugehen, dass ein weiter Bereich dieser Grauzone aus Personen in höchst prekären Lebenssituationen besteht, sodass hier von einer deutlichen Verstärkung der schon in den quantitativen Daten fassbaren besonders ausgeprägten Armutsproblematik auszugehen ist.

Insgesamt weisen die Daten darauf hin, dass die Armutsgefährdung von Bulgaren und Rumänen auf Bundesebene weitgehend derjenigen von Ausländern insgesamt vergleichbar ist, in den benachteiligten Städten aber eine Ausprägung und Ausdifferenzierung aufweist, die sich deutlich von derjenigen der Ausländer insgesamt unterscheidet.

Ein Blick in die Zukunft (und in die Grauzone): Vorhandene und mangelnde Voraussetzungen für eine gelingende Integration in den Arbeitsmarkt Was die gelieferte Momentaufnahme für die weitere Entwicklung von Armuts- und Arbeitssituationen unter den bulgarischen und rumänischen Zuwanderern besagt, ist nur schwer abzuschätzen. Selbst wenn man die Trendlinien der Entwicklung seit 2006 nachzeichnen würde, ließen sich daraus keine hinreichenden Aufschlüsse in Bezug auf die weitere Fortsetzung der festgestellten Trends ableiten.

Sinnvoller ist es, den Blick auf einen aktuell wirksamen Bereich zu lenken, der entscheidenden Einfluss auf die zukünftigen Beschäftigungsmöglichkeiten ausübt, nämlich die bildungsmäßigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt. Besondere Bedeutung kommt dafür den beruflichen Bildungsabschlüssen zu, insofern als diese unmittelbar den Weg ins Beschäftigungssystem ebnen. Ein Blick auf die diesbezüglichen Voraussetzungen auf Seiten der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien könnte darüber hinaus auch Hinweise darauf liefern, in welche Richtung in Zukunft eine Klärung der „Grauzonen“ dieser Zuwanderung insbesondere in den benachteiligten Städten zu erwarten ist.

Offensichtlich liegt in den benachteiligten Städten eine spezifische Situation in Bezug auf die Arbeitmarktintegration und die Armutsgefährdung der bulgarischen und rumänischen Zuwanderer vor. Zum einen weisen diese Städte eine höhere Armutsgefährdung als im Bund und insbesondere als in den privilegierten Städten auf; zum anderen hat dort nur ein ganz geringer Anteil dieser Zuwanderern den Zugang zu einem gesicherten Beschäftigungsverhältnis gefunden.

Bildungsdaten liegen im Regelfall nur als Ergebnis bundesweiter repräsentativer Erhebungen, wie dem Zensus und dem Mikrozensus, vor. Aufgrund der begrenzten Fallzahl solcher Erhebungen lassen sich die erhobenen Stichprobenbefunde zumindest für kleinere Bevölkerungsgruppen wie die der bulgarischen und rumänischen Zuwanderer meist nicht auf die kommunale Ebene herunterbrechen. Im Folgenden wird daher nur auf Bundesdaten und Daten für die beiden die bisher einbezogenen Städte umfassenden Länder Nordrhein-Westfalen und Bayern zurückgegriffen. Auch wenn diese Daten dem Mikrozensus und dem Zensus 2011 entstammen, geben sie Hinweise in Bezug auch auf die aktuelle bildungsmäßige Zusammensetzung der bulgarischen und rumänischen Zuwanderer.

Wesentliche Anteile der Dynamik in Bezug auf die Verteilung von Arbeits- und Armutssituationen spielen sich dort aber in der Grauzone derjenigen 60 % ab, die bisher noch überhaupt

Aus Tabelle 1 (Quelle: Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2013, S. 100) wird deutlich, dass die EU-2 Zuwanderer insgesamt mit einem Akademi-

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

keranteil von 22,1 % zu einem größeren Anteil hochqualifiziert sind als die Deutschen ohne Migrationshintergrund mit 18,1 %.

Bei den seit 2007 nach Deutschland gekommenen Neuzuwanderern sinkt dieser Anteil allerdings auf 20,9 %. Dessen ungeachtet ist davon auszugehen, dass hier ein erhebliches qualifiziertes Arbeitskräftepotential besteht, das auch dazu geeignet sein könnte, dem in Deutschland abzusehenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Tabelle 2 (Quelle: Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2013, S. 103) spricht demgegenüber für eine starke Polarisierung innerhalb der EU-2-Zuwanderer. Den ca. 20 % Hochqualifizierten unter ihnen stehen ca.

30 % Personen ohne Berufsabschluss gegenüber. Dieser Wert hat sich bei den nach 2007 Zugewanderten sogar noch deutlich auf nahezu 40 % verschlechtert. Er ist damit fast viermal so hoch wie der entsprechende Wert bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund und nahezu doppelt so hoch wie bei den anderen EU-Ausländern.5 Schon auf Bundesebene zeichnet sich also innerhalb der bulgarischen und rumänischen Zuwanderer eine große Gruppe ab, die aufgrund ihrer geringen beruflichen Qualifikation (und der kaum vorhandenen Sprachkenntnisse) nur geringe Aussichten auf eine Integration in dauerhafte und auskömmliche Beschäftigungsverhältnisse besitzt. Im Regionalvergleich zwischen Nordrhein-Westfalen und Bayern bestätigen sich

diese Polarisierung innerhalb der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien und die im Städtevergleich aufgewiesenen regionalen Unterschiede.

Sowohl in Bayern als auch in Nordrhein-Westfalen steht einer relativ großen Gruppe von Hochqualifizierten ein größerer Bereich von Personen ohne Berufsabschluss gegenüber, wobei insbesondere die geringe Besetzung des mittleren Bereichs ins Auge fällt. Im unteren Qualifikationsbereich sind die Werte der bulgarischen und rumänischen Zuwanderer mit denjenigen der Ausländer insgesamt vergleichbar, bei den Hochqualifizierten liegt ihr Anteil höher. Bestätigung in den Daten findet auch die regionale Differenzierung, die sich bereits bei den Beschäftigungs- und Leistungsdaten gezeigt hat: Mit 49,7 % liegt der Anteil der bulgarischen und rumänischen Zuwanderer ohne Berufsabschluss in NRW um 14,5 Prozentpunkte über demjenigen in Bayern (35,2 %).

Wenn man aus diesen Daten Folgerungen für die zukünftige Entwicklung der Schwerpunktsetzungen zwischen Armutsund Arbeitsmigration ableiten kann, ergibt sich eine ähnlich ungünstige Prognose in Bezug auf die Arbeitsmarktintegration bulgarischer und rumänischer Zuwanderer wie für die aktuelle ausländische Bevölkerung insgesamt. Besondere Risiken zeichnen sich auch hier in NRW als demjenigen Land ab, zu dem die in Bezug auf die Beschäftigungs- und Leistungsbezugssituation benachteiligten Kommunen gehören.

Tabelle 1: Hochqualifizierte zwischen 25 und 44 Jahren nach Zuzugsjahr und Herkunftsgruppe Akademiker in der jeweiligen Bevölkerungsgruppe Herkunftsgruppe

Gesamt

Zuzug vor 2004

absolut in tsd.

anteilig

2.941

18,1 %

EU14, zugewandert

114

26,2 %

52

17,9 %

62

45,6 %

EU10, zugewandert

73

19,0 %

42

18,4 %

31

20,7 %

EU2*, zugewandert

29

22,1 %

20

24,1 %

9

20,9 %

ohne Migrationshintergrund

absolut in tsd.

Zuzug seit 2004

anteilig

absolut in tsd.

anteilig

Nicht zutreffend

* Für Unionsbürger aus EU2-Staaten wurde die Zuwanderung vor und seit 2007 betrachtet.

Quelle: Statistisches Bundesamt 2012g; eigene Berechnung

Tabelle 2: Personen ohne Berufsabschluss zwischen 25 und 44 Jahren Personen ohne Berufsabschluss Herkunftsgruppe

Gesamt

Zuzug vor 2004

absolut in tsd.

anteilig

1.351

8,3 %

EU14, zugewandert

132

30,3 %

103

35,4 %

29

21,3 %

EU10, zugewandert

75

19,5 %

40

17,5 %

35

23,3 %

EU2*, zugewandert

40

30,5 %

23

26,4 %

17

39,5 %

ohne Migrationshintergrund

absolut in tsd.

Zuzug seit 2004

anteilig

absolut in tsd.

anteilig

Nicht zutreffend

Anmerkung: Unter den Personen ohne Berufsabschluss sind keine Personen, die sich zum Erhebungszeitpunkt in einer berufsqualifizierenden Ausbildung befanden * Für Unionsbürger aus EU2-Staaten wurde die Zuwanderung vor und seit 2007 betrachtet.

Quelle: Statistisches Bundesamt 2012g; eigene Berechnung

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STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Abbildung 2: Berufsabschlüsse der 25–44-Jährigen in Bayern und Nordrhein-Westfalen

Für die weitere Entwicklung ist auf dieser Basis eher zu erwarten, dass sich die umfangreiche Grauzone in diesen Kommunen eher in Richtung auf eine deutliche Zunahme von (dann auch statistisch erfassbaren) prekären Lebenslagen hin „klärt“6 als hin zu einer deutlichen Steigerung von abgesicherten Lebenssituationen.

Fazit: Arbeitszuwanderung und Armutszuwanderung, aber mit eindeutigen regionalen Akzenten und großen Herausforderungen für die Zukunft Trotz der methodischen Unzulänglichkeiten des hier vorgeschlagenen Vorgehens liefern die vorgelegten Daten deutliche Hinweise für eine empirische Prüfung der Gegenüberstellung von Arbeitszuwanderung und Armutszuwanderung.

Zunächst hat sich dabei gezeigt, dass es sich offensichtlich um eine falsche Entgegensetzung handelt. Auf Bundesebene sind ca. 20 % der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien hochqualifiziert, und ca. die Hälfte von ihnen hat den Weg in abgesicherte und auskömmliche Beschäftigungsverhältnisse gefunden. Allerdings ist auch auf Bundesebene die Armutsgefährdung dieser Zuwanderer ähnlich ausgeprägt wie bei der stark armutsgefährdeten Gruppe der Ausländer. Insofern ist auch auf Bundesebene von einer erheblichen Armutsproblematik in dieser Gruppe auszugehen. Die Daten zu ihrer beruflichen Qualifikation lassen darüber hinaus nicht erwarten, dass sich diese Situation kurz- und mittelfristig verbessern wird.

Deutlich schwieriger noch stellt sich die Situation in einem Teil der betroffenen Städte dar, hier vor allem den Ruhrgebietsstädten mit ihrer an sich schon schwierigen wirtschaftlichen Situation: Dort überwiegt die „Armutsbevölkerung“ schon heute den Anteil derjenigen Bulgaren und Rumänen, die sich in auskömmlichen Beschäftigungsverhältnissen befinden, und liegt schon heute eine massive In-Anspruchnahme der sozialen Sicherungssystem vor. Aufgrund der im Bundesvergleich besonders ausgeprägten Defizite bei den Berufsqualifikationen der Zuwanderer (und der vorliegenden Längsschnittdaten zum Sozialleistungsbezug) ist hier für die Zukunft darüber hinaus eine Verkleinerung der identifizierten umfangreichen „Grauzone“ in Richtung auf eine Ausweitung des „roten Bereichs“ zu erwarten.

Für den Moment ist also davon auszugehen, dass ein nicht unbeträchtlicher (und in manchen regionalen Kontexten mehrheitlicher) Anteil der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien zur Gruppe der Armutszuwanderer im oben definierten Sinn gehört: Sie sind gekommen aus Armutssituationen, leben aktuell in Armut und riskieren auch für die Zukunft, in solchen Situationen zu verbleiben.

Vermieden oder zumindest eingegrenzt werden könnte ihre Zugehörigkeit zu dieser Risikogruppe nur durch massive und nachhaltige arbeitsmarkt-, sozial- und vor allem bildungspolitische Interventionen zur Verbesserung der Arbeitsmarktintegration der aktuellen erwerbsfähigen Bevölkerung und vor allem der Nachkommen dieser Gruppe – und dies vor allem in den besonders betroffenen Städten.

STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

23

Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

1 2

3 4

Zur Verbesserung der Lesbarkeit des Textes wird hier und im Folgenden auf die Verwendung der weiblichen Personenbezeichnungen verzichtet.

Ob sich das durch die Einführung des Mindestlohnes in Zukunft ändern wird, bleibt abzuwarten. Zumindest 2014 bezieht noch eine gewisse Anzahl auch der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ergänzende SGB-II-Leistungen.

Zur Anwerbung und Situation der „Gastarbeiter“ siehe Bade/Oltmer 2004, S. 71 ff. und Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik (Hrsg.) 2015. S. 28 ff.

An diesem Ort möchte ich mich bei den Mitarbeitern/-innen des Statistikservices West, insbesondere meinem dortigen Ansprechpartner Jean-Claude Schenck, bedanken für die geduldige Bereitschaft, sich mit immer wieder neuen und neu definierten Datenanfragen auseinanderzusetzen und dann auch die entsprechenden Daten kurzfristig und qualifiziert zur Verfügung zu stellen. Genauso möchte ich mich bei den Mitarbeitern des Statistischen Landesamts Nordrhein-Westfalen IT.NRW bedanken, die mir die Bildungsdaten aus dem Zensus

5

6

2011 zur Verfügung gestellt haben. Und schließlich möchte ich mich auch bei Thomas Handke bedanken, der mit großer Geduld an der nicht immer unkomplizierten Erstellung der Tabellen und Grafiken gearbeitet und mir auch in fachlicher Hinsicht eine Vielzahl von hilfreichen Anregungen gegeben hat.

Wenn man berücksichtigt, dass auch verpflichtende Befragungen wie der Zensus und der Mikrozensus den Anteil der Schlechtqualifizierten aufgrund sprachlicher und andersartiger Zugangshindernisse auf Seiten dieser Gruppen systematisch unterschätzen, ist davon auszugehen, dass dieser Anteil sogar noch deutlich höher liegt. Siehe hierzu Beyersdorff/Böckler 2014, S. 56.

Diese Tendenz wird auch von den vorliegenden Längsschnittdaten bestätigt: Bis Ende Oktober 2014 hat sich die Anzahl der in Dortmund gemeldeten SGB-II-Bezieher gegenüber dem Dezember 2013 um 121,9 % , in Duisburg um 126,7 % und in Gelsenkirchen gar um 325,4 % erhöht. Die entsprechenden Werte liegen für München bei 16,2 %, für Nürnberg bei 50,4 % und für Regensburg bei 39,1 %.

Literatur Bade, Klaus R./Oltmer, Jochen (2004): Normalfall Migration, Bonn.

Beyersdorff, Burkhard/Böckler, Stefan (2014): Die Beschäftigungs- und Bildungssituation bulgarischer und rumänischer Zuwanderer in Deutschland und den deutschen Kommunen.

In: Stadtforschung und Statistik, 1, S. 53–58.

Böckler, Stefan (2015): Die Herstellung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit für EU-2-Zuwanderer zum 01.01.2014. Beschäftigung und Transferleistungsbezug von bulgarischen und rumänischen Zuwanderern in Deutschland und in deutschen Städten. Duisburg, trendInfo 5.

24

Brücker, Herbert/Hauptmann, Andreas/Vallizadeh, Ehsan (2013): Arbeitsmigration oder Armutsmigration? Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien. IAB-Kurzbericht 16.

Hanganu, Elisa/Humpert, Stephan/Kohls, Martin (2014): Zuwanderung aus den neuen EUMitgliedstaaten Bulgarien und Rumänien. Forschungsbericht 24. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (Hrsg.) (2013): Erfolgsfall Europa? Folgen und Herausforde-

STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

rungen der EU-Freizügigkeit für Deutschland.

Jahresgutachten. Berlin.

Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2015): Sozialberichterstattung. Armut und soziale Ausgrenzung, http://www.amtlichesozialberichterstattung.de/A1armutsgefaehrdungsquoten.html, aufgerufen am 15.06.2015.

Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) (2015): Immer bunter.

Einwanderungsland Deutschland. Bonn.

Tarnovschi, Daniela (Hrsg.) (2012): Roma from Romania, Bulgaria, Italy and Spain between Social Inclusion and Migration. Constanta.

Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Sebastian Kurtenbach

Erfassung und Erklärung der kleinräumigen Konzentration der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien am Beispiel der Stadt Duisburg Der Beitrag untersucht mittels kleinräumiger Daten der amtlichen Statistik die Konzentration von Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien auf nur wenige Stadtteile am Beispiel der Stadt Duisburg. Zu Beginn wird das stadtsoziologische Konzept der Ankunftsgebiete erläutert und anschließend die Neuzuwanderung aus Rumänien und Bulgarien untersucht. Ziel ist es zum einen das Konzept der Ankunftsgebiete empirisch zu belegen und zum anderen die Möglichkeiten und Grenzen der amtlichen Statistik zur Erfassung und Erklärung kleinräumiger Zuwanderungsschwerpunkte zu diskutieren.

In Deutschland gibt es rund 12.000 Kommunen, aber nur wenige verzeichnen einen Zuzug von Bulgaren und Rumänen aus prekären Lebenssituationen. Selbst in den medial prominenten Beispielen wie Duisburg, Dortmund, Berlin oder Hamburg sind es nur wenige Stadtteile, in denen sich u.a. armutsgefährdete Neuzuwanderer aus den EU-2 Staaten niederlassen. Erst durch diese kleinräumige Konzentration entstehen die bekannten Bilder von „Arbeiterstrichen“ oder überbelegten Wohnungen. Für die kommunale Praxis ist es bedeutsam zu verstehen, wieso nur wenige Stadtteile zum Ziel armer Zuwanderer werden und wie solche Quartiere statistisch erfasst und beschrieben werden können. Im Rahmen dieses Beitrags wird zu Beginn das stadtsoziologische Konzept der Ankunftsgebiete diskutiert und anschließend, am Beispiel der Stadt Duisburg, im Zusammenhang mit der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien empirisch überprüft.

1

Ankunftsgebiete: Erklärung kleinräumiger Zuwanderung

Sebastian Kurtenbach M. A. Sozialwissenschaft, Doktorand am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität zu Köln und Mitarbeiter am Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR) der Ruhr-Universität Bochum. Forschungsschwerpunkte in der Stadt- und Migrationsforschung: Kontexteffekte, Westdeutsche Großsiedlungen, Zuwanderung aus Südosteuropa und sozialer Wandel. : sebastian.kurtenbach@zefir.rub.de Schlüsselwörter: Ankunftsgebiete – Kleinräumige Statistik – Zuwanderung – Rumänien – Bulgarien – Duisburg

Die zahlreichen Debatten zu Migration in den vergangenen Jahren sowie die steigende Zahl der Zuwanderer haben deutlich gemacht: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Doch die Zuwanderung verteilt sich nicht proportional über die Länder und auch nicht über die Stadtteile (Kurtenbach 2015b).

Wenn Deutschland ein Einwanderungsland ist, dann bilden sich auch Einwanderungsstadtteile aus (Kurtenbach 2015a).

Solche Quartiere existieren in den klassischen Einwanderungsländern wie z. B. den USA bereits seit langem, wie bereits Burgess (1925|1984) anhand der „zone in transition“ in seinem Stadtmodell darstellt. Jedoch sind nicht alle Wohngebiete, in denen Zuwanderer, leben gleichzeitig Ankunftsgebiete. Ankunftsgebiete zeichnen sich durch das gleichzeitige Auftreten von fünf Merkmalen aus: 1. Ethnische und soziale Segregation: Ankunftsgebiete sind bereits über einen längeren Zeitraum von ethnischer und sozialer Segregation gekennzeichnet (Strohmeier 2006). Durch die Migrationshistorie des Quartiers und der Bevölkerung sind Ausgrenzungstendenzen gegenüber Neuzuwanderern mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit weniger stark ausgeprägt als in anderen Wohngebieten.

2. Konstant hohe Fluktuation: Typisch für Ankunftsgebiete sind die Zuwanderung von außerhalb der Stadtgrenze in das Quartier sowie Fortzüge aus dem Ankunftsgebiet in

STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

25

Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

einen anderen Stadtteil der Kommune oder wieder aus der Kommune hinaus. Eher zu vernachlässigen sind Wanderungsgewinne aus anderen Wohngebieten derselben Kommune, da sie vergleichsweise gering ausfallen. Durch die Normalität eines ständigen Kommens und Gehens etabliert sich eine Integrationsroutine der lokalen Bevölkerung und der sozialen Angebote im Quartier (Staubach 2013).

3. Sockelbevölkerung: Länger ansässige Migranten können Neuzuwanderern erste Orientierungshilfen bieten, Alltagswissen oder Arbeitsgelegenheiten vermitteln oder selbst Wohnmöglichkeiten bereitstellen. Familienmitglieder oder Freunde können als „Brückenköpfe“ fungieren (Häußermann/Siebel 2003, Karakasoglu 1996). Zudem ist davon auszugehen, dass sich Neuzuwanderer und jene Teile der Sockelbevölkerung, die mit den Neuzuwanderergruppen in Kontakt sind, dieselbe Sprache (z. B. Türkisch) sprechen (Cöster 2015, Kurtenbach 2015a).

4. Arbeitsplätze für Geringqualifizierte: In Ankunftsgebieten finden auch geringqualifizierte Neuzuwanderer ohne Kenntnisse der Sprache der Mehrheitsgesellschaft erste Arbeitsmöglichkeiten. Dabei handelt es sich oft um illegale oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Im Idealfall werden die Jobs mit der Zeit besser bezahlt und ggf. sogar formelle Qualifikationen erworben.

5. Migrationstypische Opportunitäten: Da Neuzuwanderer spezifische Dienstleister, z. B. für Geldüberweisungen ins Ausland ohne eigenes Bankkonto verstärkt nachfragen, siedeln sich diese verstärkt in Ankunftsgebieten an (Kurtenbach 2013). Dazu gehören auch Wohnmöglichkeiten oder Angebote der Sozialen Arbeit.

Dabei besteht keine Notwendigkeit, dass der Typus „Ankunftsgebiet“ als eine Ausprägung segregierter Quartiere nur für einen Stadtteil einer Stadt zutrifft. Zudem können eines oder mehrere Merkmale bei einem Stadtteil zu finden sein, allerdings bedarf es des Zusammentreffens aller Merkmale zur Klassifikation als Ankunftsgebiet.

Klassifikation von Ankunftsgebieten mittels Daten der amtlichen Statistik Die amtliche Statistik besteht in der Regel aus Daten, die während oder für einen Verwaltungsakt anfallen. Mittels der amtlichen Statistik ist es möglich Aggregate in Raumeinheiten, wie Bevölkerungsgruppen in den Stadtteilen, beschreiben und klassifizieren zu können. Eine Verknüpfung unterschiedlicher amtlicher Datenquellen auf der Individualebene ist in Deutschland bislang eher die Ausnahme. Im Sinne einer theoriegeleiteten und strukturfindenden Herangehensweise müssen Indikatoren bestimmt werden, welche die Merkmale von Ankunftsgebieten möglichst gut abbilden.

Daten der amtlichen Statistik sind demnach nicht darauf ausgelegt, Ankunftsgebiete zu klassifizieren, wodurch ihre Qualität für ein solches Vorhaben hinter Primärerhebungen zurückbleibt. Ein Beispiel bildet die Annahme, dass Neuzuwanderer und Sockelbevölkerung dieselbe Sprache sprechen.

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STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

In Deutschland liegt bislang keine (räumliche) Erhebung des Sprachrepertoire der Quartiersbevölkerung vor, wodurch die Annahme nicht geprüft werden kann. In der Folge kann dieser Zusammenhang zwar theoretisch angenommen, mit Daten der amtlichen Statistik aber nicht geprüft werden. Gleiches gilt für die Annahme, dass den Neuzuwanderern in Ankunftsgebieten auch illegale Arbeitsgelegenheiten vermittelt werden.

Dies gilt sowohl für die Aufnahme als auch für die Vermittlung einer Erwerbstätigkeit, insbesondere wenn der Arbeitsort in einem anderen Teil der Stadt liegt.

Tabelle 1 zeigt die Operationalisierung der Merkmale von Ankunftsgebieten, die mit gängigen Indikatoren der amtlichen Statistik abgebildet werden können.

Tabelle 1: Operationalisierung der Merkmale von Ankunftsgebieten Merkmal

Indikatoren

Ethnische und soziale Segregation

- Ausländeranteil - Arbeitslosenanteil

Fluktuation

- Zu- und Fortzüge

Sockelbevölkerung

- Ausländer mit einer Wohndauer von mindestens 5 Jahren an derselben Adresse

Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien: Forschungsstand Die Diskussion um die Zuwanderung aus Südosteuropa ist geprägt von zwei Positionen: einer relativierenden und einer problematisierenden. Erstere verweist insbesondere auf die relativ gute Arbeitsmarktintegration und ihr überdurchschnittliches Qualifikationsniveau EU-2 (Rumänien und Bulgarien) Zuwanderer (Brücker u. a. 2013). Anzumerken ist, dass die zugrundeliegende Datenbasis auf (freiwilligen) Selbstauskünften beruht. Inwiefern die Verteilung mit der Grundgesamtheit aller Rumänen und Bulgaren in Deutschland übereinstimmt, ob und welche Verzerrungen vorliegen, ist nicht klar. Insgesamt zeigt das Zuwanderungsmonitoring des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) (2015) eine positive Entwicklung der Arbeitsmarktintegration der EU-2 Zuwanderer, wobei sich die Gruppen der Rumänen und Bulgaren unterschiedlich entwickeln. Rumänen sind demnach zunehmend besser auf dem Arbeitsmarkt integriert als Bulgaren. Zudem wird das Qualifikationsniveau in der Regel mit dem der bereits ansässigen (ausländischen) Bevölkerung verglichen (SVR 2013)2 und nicht mit der Akademikerquote des Herkunftskontextes. So lag 2012 in Deutschland die Gesamtzahl der akademischen Absolventen pro 1.000 der Bevölkerung im Alter von 20 bis 29 Jahren bei 55,6, in Bulgarien jedoch bei 66,3 und in Rumänien sogar bei 75,4 (Datenquelle Eurostat). Zudem wird die räumliche Verteilung der Zuwanderung nur sekundär berücksichtigt und nicht auf kleinräumiger Ebene diskutiert.

Auf der anderen Seite findet sich eine Skizzierung der Überforderung von Kommunen und prekären sozialen Verhältnis-

Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

sen, wie sie im Positionspapier des Deutschen Städtetages (2013) zur Zuwanderung aus Südosteuropa dargestellt ist.

Die armutsgefährdete Lage einiger EU-2 Neuzuwanderer in Duisburg diskutieren Bukow und Jonuz (2013) anhand qualitativer Interviews mit Zuwanderern aus den EU-2 Staaten sowie Experteninterviews. Sie stellen heraus, dass mit der Migration die Hoffnung auf sozialen Aufstieg einher geht.

Die Binnensicht der Zuwanderer in Ankunftsgebieten wird weniger diskutiert. Ein Beispiel dafür ist die ethnografische Arbeit von Cöster (2015) zu Duisburg-Marxloh. Sie zeigt zum einen die ausgeprägte Heterogenität der Neuzuwanderergruppen und zum anderen die alltäglichen Benachteiligungspraktiken, denen Neuzuwanderer ausgesetzt sind. Kurtenbach (2013) untersucht die Dortmunder Nordstadt mit Hilfe eines Mehrmethodendesigns, wozu auch teilnehmende Beobachtungen an sechs Orten gehören. Er zeigt die raum- und gruppenabhängige Nutzung der Plätze und formuliert einen Zusammenhang zwischen Opportunitäten, Raumnutzung und kleinräumlicher Konzentration der Zuwanderung. Staubach (2103) diskutiert, ebenfalls am Beispiel der Dortmunder Nordstadt, wie Soziale Arbeit mit und für die Gruppe der Neuzuwanderer in einem Ankunftsgebiet umgesetzt werden kann.

Der vorliegende Beitrag knüpft an den bisherigen Forschungsstand an und vertieft die Diskussion um Ankunftsgebiete, da eine theoriegeleitete und datenbasierte kleinräumige Her-

angehensweise bislang unterbelichtet geblieben ist. Auch wird diskutiert, wie Kommunen Ankunftsgebiete klassifizieren können. Dabei steht im Vordergrund das Konzept der Ankunftsgebiete am Beispiel Duisburgs zu überprüfen und einen rekonstruktiven Blick auf die Zuwanderung zu werfen.

Hinzu kommt die kritische Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen der amtlichen Statistik zur Erfassung und Erklärung von Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien.

Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien: eine Untersuchung am Beispiel Duisburg Insbesondere für die Neuzuwanderung aus Rumänien und Bulgarien ist das Konzept der Ankunftsgebiete gewinnbringend, da es einen analytischen Rahmen eröffnet, um die Voraussetzungen für Zuwanderungsschwerpunkte zu untersuchen.

Zugleich können anhand dieser Gruppe auch die Grenzen der amtlichen Statistik für die Untersuchung der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien aufgezeigt werden. Dazu wird, am Beispiel der Stadt Duisburg, in einem ersten Schritt die Entwicklung der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien auf gesamtstädtischer Ebene diskutiert. In einem zweiten Schritt wird mittels explorativer Faktoren- und anschließender Clusteranalyse, das auf Ebene der 46 Ortsteile der Stadt Duisburg Ankunftsgebiet der Stadt identifiziert und die Zuwanderung aus den EU2 Staaten in dieses dargestellt.

Abbildung 1: Altersstruktur der Bulgaren in Duisburg im Vergleich mit Bulgarien und Vergleich der Altersstruktur von Rumänen in Duisburg mit Rumänien

Datenquelle Duisburg: Stabsstelle für Wahlen, Europaangelegenheiten und Informationslogistik der Stadt Duisburg; Datenquelle Rumänien und Bulgarien: Eurostat; Angaben in Prozent; Datenstand: 31.12.2014

STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

In Duisburg waren am 31.12.2014 12.134 Rumänen und Bulgaren gemeldet (Datenquelle AZR), was zugleich die größte Population in den Kreisen und kreisfreien Städten in NRW ausmacht. Die rumänische und bulgarische Bevölkerung in Duisburg lässt sich als ethnisch divers (Cöster 2015) und sehr jung beschreiben. Während sich ersteres nicht mit der amtlichen Statistik belegen lässt, zeigt diese im Vergleich mit der Altersstruktur der jeweiligen Herkunftsgesellschaft deutliche Unterschiede (Abbildung 1). Nach Duisburg kommen vor allem Kinder und (potenzielle) Eltern. Dies wiederum führt in einer Kommune im Altersprozess ggf. zu kurzfristigen Engpässen in der Aufgabenerfüllung der Kinder- und Jugendhilfe sowie in der Bereitstellung von Schulplätzen (Kurtenbach/ Bogumil 2014).

Auch wenn in der öffentlichen Debatte vermutet wird, dass es sich bei einem Teil der Zuwanderer um Roma handelt, kann dies mittels der amtlichen Statistik nicht geprüft werden. Denn für die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung liegen in Deutschland keine Zahlen vor. Es wird einzig das Merkmal der Staatsangehörigkeit erfasst, weswegen die ethnische Diversität durch nationalstaatliche Zugehörigkeit überdeckt wird.

Aufgrund dessen wird keine analytische Unterscheidung der ethnischen Volksgruppen der Rumänen und Bulgaren getroffen, sondern einzig die Staatsangehörigkeit berücksichtigt.

Zur Identifikation des Ankunftsgebietes Duisburgs wird im ersten Schritt auf Ebene der 46 Ortsteile eine Faktorenanalyse errechnet. Ziel ist es, möglichst trennscharfe Faktoren zu gewinnen, weswegen die Rotationsmethode Varimax gewählt wird. Die Auswahl der Indikatoren unterlag zum einen der Verfügbarkeit und zum anderen inhaltlichen Überlegungen. Zur Schätzung sozialer Segregation wurde der Indikator „Anteil der

Tabelle 2: Rotierte Komponentenmatrix (schöne Faktoren!)

Faktor 1 Segregation

Faktor 2 Fluktuation

Kommunalitäten

Arbeitslosenanteil

0,88

Ausländeranteil

0,92

0,81 0,97

Bevölkerungsanteil der unter 6-Jährigen

0,91

0,85

Fluktuationsquote

0,75

0,92

Anteil der Bevölkerung mit einer Wohndauer von unter 1 Jahr

0,81

0,97

Anteil der Bevölkerung mit einer Wohndauer ab 5 Jahren

-0,75

0,88

Ausländische Bevölkerung mit einer Wohndauer unter 1 Jahr an derselben Adresse

0,90

0,85

Sockelbevölkerung Erklärte Varianz

0,96 54,7 %

0,93 34,9 %

Extraktionsmethode: Analyse der Hauptkomponente, Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung, Rotation konvergierte in 3 Iterationen, Nur Faktorenwerte ab +/- 0,7 ausgewiesen, Crombachs alpha = 0,7

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STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

Arbeitslosen an allen Erwerbspersonen im Alter von 15 bis 65 Jahren“ gewählt, da mit der SGB II Quote nicht alle Transferleistungsempfänger ausgewiesen werden. Zur Erfassung der ethnischen Segregation wird der Ausländeranteil herangezogen. Da aufgrund demografischer Entwicklungen davon ausgegangen wird, dass in Ankunftsgebieten mehr Kinder leben als im städtischen Durchschnitt, wird der Anteil der unter Sechsjährigen miteinbezogen. Die Fluktuationsquote, berechnet als Anteil der Summe aus Zu- und Fortzügen an der Bevölkerung, dient der Erfassung der Durchgangsfunktion. Hinzu kommt der Anteil der Bevölkerung mit einer Wohndauer von unter einem Tabelle 3: Beschreibung der Cluster Cluster

N

Arbeitslosenanteil

Ausländeranteil

Anteil der Sockelbevölkerung

1

1

2,2 %

7,1 %

2,1 %

2

17

5,1 %

7,0 %

5,1 %

3

8

10,4 %

19,3 %

15,6 %

4

7

11,0 %

19,5 %

10,7 %

5

10

11.9 %

18,8 %

12,6 %

6

3

15,7 %

48,2 %

26,6 %

Abbildung 2: Räumliche Verteilung der Cluster

Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Jahr an derselben Adresse sowie im Kontrast die Bevölkerung mit einer Wohndauer ab 5 Jahren an derselben Adresse. Die Neuzuwanderung wird, unabhängig von der Nationalität, geschätzt durch den Anteil der ausländischen Bevölkerung mit einer Wohndauer von unter einem Jahr an derselben Adresse.

Zur Erfassung der Sockelbevölkerung wird der Indikator des Anteils der ausländischen Bevölkerung mit einer Wohndauer ab 5 Jahren an derselben Adresse an der Gesamtbevölkerung herangezogen. An dieser Stelle wird die Gruppe der Neuzuwanderer aus Rumänien und Bulgarien noch nicht berücksichtigt.

Die Faktorenanalyse ergab zwei Faktoren mit einer Gesamtvarianzaufklärung von 89,6 %. Der erste Faktor zeigt das Ausmaß der Segregation an, der zweite Faktor die Fluktuation und Stabilität eines Quartiers. Auf Grundlage der Faktoren wurde eine hierarchische Clusteranalyse zur Bestimmung der optimalen Clusteranzahl gerechnet (Ward-Methode). Die optimale Clusteranzahl ist 6. Mit dem Ergebnis wurde anschließend eine Clusterzentrenanalyse gerechnet, da diese Zuordnung der Fälle zu den Clustern eine bessere Lösung erwarten lässt.

Aufgrund dieses zweistufigen Verfahrens wurde auf den Test von Mojena verzichtet (Bacher u. a. 2010: 243). Tabelle 3 zeigt Werte ausgewählter Indikatoren in den jeweiligen Clustern.

Abbildung 2 zeigt die räumliche Verteilung der Cluster auf Ebene der Ortsteile.

Cluster sechs weist die Kriterien eines Ankunftsgebietes auf.

Dort ist der Arbeitslosen- sowie der Ausländeranteil überdurchschnittlich hoch, ebenso die Fluktuation und der Anteil der Sockelbevölkerung. Ein erster analytischer Befund zeigt, dass sich dort auch eine erhöhte Konzentration von Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien findet. Aus kommunalpolitischer Sicht kommt erschwerend hinzu, dass die Ankunftsgebiete in Duisburg räumlich nicht zusammenhängen, wie z. B. in DortTabelle 4: Entwicklung der Segregation im Cluster 6 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Rumänen

0,69

0,59

0,56

0,51

0,55

0,49

0,54

Bulgaren

0,62

0,61

0,55

0,55

0,53

0,54

0,47

Datenstand für 2015 ist der 30.05; Die Anzahl der Baublöcke variiert mit maximal N=2 über die Jahre.

mund (Kurtenbach 2015a). Dies bedeutet für die Kommune einen Mehraufwand an Ressourcen und das Ausscheiden der Möglichkeit, diese auch gebündelt einsetzen zu können.

Neuzuwanderung aus Rumänien und Bulgarien nach Duisburg Bevor es zu einer kleinräumigen Untersuchung der Zuwanderung auf Ebene der Cluster kommt, bedarf es einer getrennten Betrachtung der Segregation der Neuzuwanderer aus Rumänien und Bulgarien. Denn auch wenn Rumänien und Bulgarien in Bezug auf armutsgeprägte Zuwanderung inhaltlich und semantisch verbunden werden, handelt es sich dennoch um unterschiedliche Zuwanderergruppen3. Abbildung 3 macht das unterschiedliche Ausmaß der Segregation in Duisburg anhand des Segregationsindex von Duncan und Duncan (1955) deutlich. Er kann einen Wert zwischen 0 und 1 annehmen und gibt den Anteil der Gruppe an, die theoretisch im Merkmalsraum (Hier: Gesamtstadt) umziehen müsste, um eine Gleichverteilung zwischen allen Teileinheiten (Hier: Ortsteile; N =46) herzustellen.

Die Werte legen den Schluss nahe, dass die bulgarischen Zuwanderer stärker ungleich über die Duisburger Ortsteile verteilt sind, als die rumänische Bevölkerung. Eine hypothetische Erklärung für das erhöhte Ausmaß der Ungleichverteilung wäre, dass es sich bei den bulgarischen Zuwanderern um ebensolche handelt, die auch der türkischen Sprache mächtig sind und vermehrt dorthin ziehen, wo bereits türkischsprachige Gruppen ansässig sind. Eine solche Pull-Funktion würde für rumänische Zuwanderer nur eingeschränkt gelten.

Wie bereits am Beispiel der Dortmunder Nordstadt (Kurtenbach 2013) gezeigt werden konnte, ist auch innerhalb der Ankunftsgebiete von einer Segregation auszugehen. Durch die kleinräumige Konzentration der Zuwanderung rumänischer und bulgarischer Zuwanderer in vermutlich prekären Lebenslagen4, erklärt sich auch die kleinräumige Konzentration von Opportunitäten (Kurtenbach 2013), wodurch die Funktion des Ankunftsgebietes stabilisiert wird. Tabelle 4 zeigt den Segregationsindex für Rumänen und Bulgaren auf der Ebene der Baublöcke im Cluster 6.

Abbildung 3: Entwicklung des Segregationsindex Abbildung 4: Zusammensetzung und Größe der EU-2 Zuwanderer in den Ortsteilen des Cluster 6

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Insgesamt sind die Werte als sehr hoch einzuschätzen. Der Effekt der Abnahme der Segregation ist durch das absolute Anwachsen der Gruppe zu erklären. Dennoch bleiben die Werte auf hohem Niveau. Für die theoretischen Überlegungen bedeutet dies, dass die Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien selbst innerhalb des Ankunftsgebietes deutlich segregiert sind und es dadurch mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit zur Entwicklung von Opportunitätskonzentrationen kommt. Zudem ist zu vermuten, dass sich um die Wohnstandort- und Opportunitätskonzentrationen spezifische gruppen- und zeitabhängige Raumnutzungsmuster ausbilden (Kurtenbach 2013). Auf dieser Grundlage kann jedoch nicht ermittelt werden, ob beide Gruppen sich in unterschiedlichen Zonen der Ankunftsgebiete konzentrieren.

Die Verteilung der Rumänen und Bulgaren in den drei Ortsteilen mit Ankunftsfunktion (Cluster 6) zeigt die unterschiedliche Größe der Zuwanderergruppen, allerdings mit der Tendenz einer erhöhten Konzentration bulgarischer Bewohner, was die Befunde der gesamtstädtischen Ungleichverteilung der bulgarischen Gruppe stützt (Abbildung 3).

Um die Ankunftsfunktion besser zu verstehen, die in allen drei Ortsteilen erfüllt wird, bedarf es einer Rekonstruktion der Migrationsentwicklung von Rumänen und Bulgarien innerhalb der Cluster (Abbildung 5). Insbesondere ab dem Jahr 2012 nimmt die Zuwanderung in Cluster 6 stark zu. Gründe dafür können mit Daten der amtlichen Statistik nicht abgebildet und daher nur hypothetisch formuliert werden. Zum einen ist mit der vollen Personenfreizügigkeit seit dem 01.01.2014 die Zuwanderung zur Arbeitssuche wesentlich erleichtert worden, zum anderen ist auch von Pull-Effekten einer bereits ansässigen Community auszugehen.

Abbildung 5: Entwicklung der Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren in den Clustern

Abbildung 6: Entwicklung des Anteils der Rumänen und Bulgaren an der jeweiligen Bevölkerung im Cluster 6

Abbildung 7: Veränderung ausgewählter Bevölkerungsgruppe im Cluster 6 zwischen 2007 und 2014, jeweils im Vergleich zu 2006

Die Zuwanderungshistorie in den drei Ortsteilen des Clusters 6 ist unterschiedlich verlaufen. Hochfeld war von Beginn an der Zuwanderungsschwerpunkt, Marxloh hingegen wurde im Vergleich erst langsam zum Zuwanderungsschwerpunkt, was auch an den Benachteiligungspraktiken der bereits ansässigen Bevölkerung begründet liegen könnte (Cöster 2015). Bruckhausen hingegen hat im Zeitverlauf eine „Mittelposition“ der drei Ortsteile eingenommen, verzeichnet aber seit 2013 keinen nennenswerten Zuwachs an Bewohnern mit rumänischer oder bulgarischer Staatsangehörigkeit (Abbildung 6).

In den Ankunftsgebieten ist zudem ein deutlicher Rückgang der Bevölkerung bereits länger ansässiger Gruppen zu verzeichnen. Abbildung 7 zeigt die Entwicklung der Bevölkerung mit deutscher und türkischer Staatsangehörigkeit im Vergleich zu rumänischer und bulgarischer Bevölkerung.

Zu erkennen ist die deutliche Abnahme der deutschen und türkischen Bevölkerung im Cluster 65. Ob der Fortzug der türkischen Bewohner Folge eines sozialen Aufstiegs ist, lässt sich mit Daten der amtlichen Statistik nicht belegen. Eher dient das Ergebnis zur Formulierung weitergehender Forschungsfragen.

Beispielsweise bedarf es der Untersuchung der Motive, die zur Umzugsentscheidung führten. Ist diese auf die Zuwanderung von EU-2 Bürgern zurückzuführen? Wie verhält sich die Sockelbevölkerung im Gebiet? Ist der Erwerb von Eigenheimen

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in einem anderen Stadtteil Ursache des Umzugs? Theoretisch sind selektive Fortzüge einer etablierten Gruppe durch Schellings (1971; Friedrichs 1995) Modell der Distinktion zu erklären, wodurch ab einem Tipping Point sich selbst verstärkende Umzugsketten in Gang gesetzt werden. Empirisch kann dies in weiterführenden Arbeiten untersucht werden. Für die Untersuchung der Binnenorganisation und Konflikte innerhalb des Quartiers eignet sich das Konzept der Figuration von Elias (1996), welches die Ausschlusspraxen der Etablierten gegenüber Neuankömmlingen in den Mittelpunkt stellt.

Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Fazit Ziel des Beitrages war es, das Konzept der Ankunftsgebiete am Beispiel der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien in Duisburg zu überprüfen und zugleich Grenzen und Möglichkeiten der Erfassung und Erklärung kleinräumig konzentrierter Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien mithilfe der amtlichen Statistik zu diskutieren. Dazu wurde zu Beginn das Konzept der Ankunftsgebiete diskutiert und der Forschungsstand zur Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien nach Deutschland wiedergegeben.

Als Fallbeispiel wurde die Stadt Duisburg gewählt, in der in NRW die meisten Staatsbürger aus Rumänien und Bulgarien leben. Mittels einer explorativen Faktorenanalyse wurden die 46 Ortsteile einer Faktoren- und anschließenden Clusteranalyse unterzogen, aus der sich sechs Gruppen von Ortsteilen ergaben. Das Cluster mit den Stadtteilen Marxloh, Bruckhausen und Hochfeld weist dabei die Charakteristika eines Ankunftsgebiets auf. Die drei Ortsteile dieses Clusters, die räumlich nicht zusammenhängen, wurden hinsichtlich der Entwicklung der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien detailliert untersucht.

Es konnte gezeigt werden, dass mithilfe der amtlichen Statistik auf kleinräumiger Ebene, Ankunftsgebiete klassifiziert werden können und auch Segregationstendenzen innerhalb der Ankunftsgebiete feststellbar sind. Zudem finden sich Hinweise auf selektive Wanderungsbewegungen vonseiten etablierter Bewohnergruppen. Der Beitrag zeigte aber auch die Grenzen

der amtlichen Statistik. Denn es finden sich keine verlässlichen Indikatoren, die Hinweise auf Konflikte, die gegenseitige Wahrnehmung der Bewohnergruppen oder vermutete Benachteiligungspraktiken zwischen Alteingesessenen und Neuzuwanderern. Zur Klärung dieser und anschließender Fragestellungen bedarf es weiterer Forschung, wozu die amtliche Statistik Daten zur Ortsauswahl und Beschreibung zur Verfügung stellen kann.

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Für die hilfreichen Hinweise sowie für die sachdienliche Datenlieferung bedanke ich mich bei Herrn Dr. Böckler von der Stabsstelle für Wahlen, Europaangelegenheiten und Informationslogistik der Stadt Duisburg.

Aus Ermangelung einer anderen Datenquelle wird dazu der Mikrozensus 2010 oder 2012 herangezogen, der Daten aus Selbstauskunft zum Bildungsabschluss enthält. Ob die rechtlichen Einschränkungen für arbeitssuchende EU-2 Ausländer zum Zeitpunkt der Datenerhebung einen Einfluss auf die Datenqualität haben, ist nicht klar. Hinzu kommt, dass armutsgefährdete Gruppen mit Zuwanderungsbiographie mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit unterrepräsentiert sind.

Auch die Vermutung, dass die unterschiedlichen Romagruppen, die sich aller Vermutung nach unter den Zuwanderergruppen aus Rumänien und Bulgarien befinden, sich mittels Romanes als Lingua Franca problemlos verständigen könnten, ist nicht in allen Fällen gegeben.

Im Rahmen der amtlichen Statistik liegen keine Daten vor, die Rückschlüsse auf die ökonomische Situation der Rumänen und Bulgaren in den Ankunftsgebieten zulassen.

Neben Wanderungsverlusten können auch Geburten und Sterbefälle, und im Falle der türkischen Bevölkerung, auch Einbürgerungen zu der Entwicklung beitragen.

Literatur Bacher, Johann; Pöge, Andreas; Wenzig, Knut (2010): Clusteranalyse. Anwendungsorientierte Einführung in Klassifikationsverfahren, München, Oldenbourg Verlag.

Brücker, Herbert; Hauptmann, Andreas; Vallizadeh, Ehsan (2013): Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien. Arbeitsmigration oder Armutsmigration? IAB-Kurzbericht 16: S. 1–12.

Bukow, Wolf-Dietrich; Jonuz, Elizabeta (2013): Wissenschaftliche Begleitung für eine interkommunale Kooperation zur Entwicklung eines Handlungsrahmens „Zuwanderung aus Südosteuropa“ ForschungsKollegSiegen: Siegen/Köln.

Burgess, Ernest W. (1925|1984): The Growth of the City. In: The City – Suggestions for Investigation of Human Behavior in the urban Enviroment. Park, Robert E.; W. Burgess, Ernest (Hrsg.), S. 47–62. Chicago/London.

Cöster, Anna Caroline (2015): „Gekommen, um zu bleiben?!“ Eine ethnographische Sicht auf die Zuwanderung von Personen aus Rumänien und Bulgarien in den Duisburger Stadtteil Marxloh. In: El-Mafaalani, Aaladin; Kurtenbach, Sebastian; Strohmeier, Klaus Peter (Hrsg.). Auf die Adresse kommt es an. Segregierter Stadtteile als Problem- und Möglichkeitsräume begreifen. Weinheim und Basel, im Druck.

Deutscher Städtetag (2013): Positionspapier des Deutschen Städtetages zu den Fragen der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien.

Berlin: Deutscher Städtetag.

Duncan, Otis Dudley; Duncan, Beverly (1955): A Methodical Analysis of Segregation Indexes.

American Sociological Review 20: S. 210–217.

Elias, Norbert (1996): Was ist Soziologie?, Weinheim und München.

Friedrichs, Jürgen (1995): Stadtsoziologie, Opladen.

Häußermann, Hartmut; Siebel, Walter (2003): Die Stadt als Ort der Integration von Zuwanderern.

Kulturpolitische Mitteilungen, 1(100), S. 68–71.

IAB (2015): Aktuelle Berichte. Zuwanderungsmonitor Bulgarien und Rumänien. Zuwanderungsmonitoring.

Karakasoglu, Yasemin (1996): Brückenkopffunktion der ethnischen Kolonie. Zur Rolle der zweiten Generation. In: Krapf, Ernst; Kiesel, Doron (Hrsg.). Politische Kultur und politische Bildung Jugendlicher ausländischer Herkunft. Frankfurt am Main. S. 49–60.

Kurtenbach, Sebastian (2013): Neuzuwanderer in städtischen Ankunftsgebieten. Opportunitätsstrukturen und Nutzung des öffentlichen Raums durch Neuzuwanderergruppen in Ankunftsgebieten am Beispiel der rumänischen und bulgarischen Zuwanderer in der Dortmunder Nordstadt, Bochum.

Kurtenbach, Sebastian; Bogumil, Jörg (2014): Armutszuwanderung aus Rumänien und Bulgarien – Möglichkeiten und Grenzen kommunalen Handelns. Verwaltung und Management (4): S. 207–212.

Kurtenbach, Sebastian (2015a): Ankunftsgebiete – Segregation als Potenzial nutzen. In: El-Mafaalani, Aaladin; Kurtenbach, Sebastian; Strohmeier, Klaus Peter (Hrsg.). Auf die Adresse kommt es an. Segregierter Stadtteile als Problem- und Möglichkeitsräume begreifen. Weinheim und Basel, im Druck.

Kurtenbach, Sebastian (2015b): Ankunftsgebiete – Erklärungen für die räumliche Konzentration armutsgeprägter Zuwanderung. In: Dokumentation der internationalen Tagung „Global Social Work – Lokale und regionale Herausforderungen der Armutszuwanderung aus Südosteuropa“ vom 28.02.2014 an der Fachhochschule Dortmund, Hrsg. Banu Citlak, Sebastian Kurtenbach, und David H. Gehne, Bochum: Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR), S. 52–57.

Park, Robert E.; Ernest W. Burgess (1925|1984): The City – Suggestions for Investigation of Human Behavior in the Urban Enviroment. Chicago/ London: The University of Chicago Press.

Schelling, Thomas C. (1971): Dynamic models of segregation. Journal of Mathematical Sociology, 1, S. 143–186.

Strohmeier, Klaus Peter (2006): Segregation in den Städten, Bonn.

Staubach, Rainer (2013): Armutszuwanderung aus Südosteuropa : Ansatzpunkte zur Förderung von Diversität in „Ankunftsstadtteilen“.

Erkundungen in der Dortmunder Nordstadt. vhw, 5, S.254–260.

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Joachim Krauß

Ein Blick hinter die Zahlen: Inhalte und Realitäten der „Armutsmigration“

Die politisierte Debatte hat zu einem geringen Verständnis der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien beigetragen. Sie war ein Illustrationsmittel und keine analytische Größe. Es ist ein junger Migrationsprozess mit Übergangsbereichen und steten Veränderungen. Statistische Untersuchungen zeigen in dem beweglichen Feld Tendenzen auf und keine langfristigen Entwicklungen. Zur Interpretation der Daten fehlen Kenntnisse über die Situationen, Motive und Perspektiven der Menschen. Eine große soziale Einheit toleriert ungenaue Daten und fehlerhafte Einschätzungen, kleinere sind auf Exaktheit angewiesen, um angemessen handeln zu können. Der Beitrag plädiert für ergänzende kleinräumige Untersuchungen, die sowohl die Herkunfts- wie auch die Ankunftsorte einschließt.

Joachim Krauß M. A., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am N.U.R.E.C. Institute Duisburg e.V. Themenschwerpunkte: Vorurteilsforschung, aktuelle und historische Situation von Sinti und Roma, Neuere und Neueste Geschichte Südosteuropas : j.krauss@nurec.de Schlüsselwörter: Armutsmigration – Roma – Rumänien – Bulgarien – Duisburg

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Die deutsche Debatte um eine sogenannte Armutsmigration aus Bulgarien und Rumänien hat einmal mehr die Bedeutung von Zahlen und ihre Wirkkraft im politischen Wettstreit verdeutlicht. Auch wenn die Form der numerischen Zusammenfassung dieser Zuwanderung als unsachlich widerlegt wurde, so sorgte die breit vorgetragene inhaltliche Interpretation für die Einberufung des umfassendsten interministeriellen Ausschusses seit der deutschen Einheit auf bundespolitischer Ebene. Über einen Zeitraum von acht Monaten tagten Staatssekretäre aus 11 Ministerien zu Maßnahmen gegen einen nicht näher bezifferten Missbrauchsverdacht beim Bezug sozialer Leistungen.1 Der Abschlussbericht ergab diesbezüglich keinen Handlungsbedarf. (BMI u. BMAS 2014) Mit zeitlichem Abstand betrachtet, müssen die Ausschussergebnisse als marginal gelten. Es ist feststellbar, das der vom Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung (IAB) herausgegebene monatliche Monitor zur Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien einen mindestens ebenso wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion geleistet hat (Brücker et al. 2015).

Die mediale Aufmerksamkeit gilt nunmehr anderen Themen und die bundespolitische Bereitschaft zur Unterstützung bei lokalen Problemlagen hat erkennbar abgenommen. Dieses Zusammenspiel von politischer und medialer Agenda lässt die lokalpolitischen Akteure mit Aufgaben zurück, die sie nicht allein auf ihrer Einflussebene bewältigen können, wie z. B. der fehlende Krankenversicherungsschutz bei einem Teil der Zugewanderten.

Aus wissenschaftlicher Sicht eröffnet der Rückgang tagespolitischer Aufmerksamkeit einen differenzierten und angemessenen Blick auf die methodischen Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Grenzen der Datenerfassung sowie ihrer Interpretation.

Die Operationalisierung der Armutsmigration als einem gesellschaftsweiten Phänomen erfolgte anhand statistischer Auswertungen und Prognosen in Verbindung mit einer verallgemeinernden Beschreibung von Problemlagen. Hierbei stand die normative Einordnung vor der Analyse und dem Wissen um die wesentlichen Merkmale des Migrationsprozesses. Als ein sehr wesentlicher Mangel in der Debatte kann die geringe regionalwissenschaftliche Expertise gelten.2 Die beiden Herkunftsländer stellen weiterhin eine Terra incognita dar. Und auch die Distanz zu den als Armutsmigranten erfassten Menschen blieb hoch.

Nicht zuletzt ist der deutliche Fokus der Debatte auf Roma zum Zweck der Komplexitätsreduktion ein Resultat dieser Mängel. Im vorliegenden Beitrag wird die dahinter verborgene Komplexität entlang der Voraussetzungen zur Datenerhebung skizziert.

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Mengen anstelle statistischer Größen Die Interpretation der bulgarischen und rumänischen Gesamtzuwanderung des Jahres 2012 als Armutsmigration hatte umgehend breiten Widerspruch ausgelöst und wurde anhand statistischer Daten widerlegt (Brücker et al. 2013). Dabei ging es den Initiatoren der Debatte nicht um eine statistisch genaue Ermittlung der Zuwanderung aus beiden Ländern, sondern um die Illustration eines gesellschaftlichen Missstandes, den es zu beheben galt (Städtetag 2013). Dafür wurde die öffentliche Aufmerksamkeit gesucht, da höhere politische Entscheidungsgremien keinen Handlungsbedarf sahen. In der politischen Auseinandersetzung ist der Einsatz von Zahlen und Mengen dank ihres rationalen und objektivierenden Charakters ein probates Mittel, um Aufmerksamkeit für ein Anliegen zu erzeugen. Darin lag das primäre Interesse bei der Debatte und im konkreten Fall wurden statistisch nicht bestimmbare Größen durch entsprechende Sprachbilder verdeutlicht: „Jeden Tag kämen ganze Busladungen“, „wöchentlich müssten neue Schulklassen eröffnet werden“, speziell nach Berlin zögen „ganze Roma-Dörfer“ und wiederholt wurde darauf hingewiesen, dass kein Ende des Zuzugs absehbar wäre. Die Produktion und Reproduktion von Zahlen folgten dem Prinzip der stillen Post sowie einer Logik maximaler Ziffern.

Dabei sind statistische Erhebungen ein Schlüssel zur Schaffung zuverlässiger Datengrundlagen und konkreter Handlungsansätze. Außerdem können sie der Aufklärung und zum Abbau von Angst und Ressentiments dienen. Um diesen Zweck erfüllen zu können, sind sie in ihrem Entstehungskontext und unter Beachtung der Rahmenbedingungen darzustellen und zu diskutieren. Wenn dieses unterbleibt, können sie Bedrohungsszenarien Vorschub leisten. In der Debatte um die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien kam es zu keiner realistischen Einschätzung des Migrationspotentials nach Deutschland. Zum einen, da die längerfristige Migrationsentwicklung beider Länder nicht ausreichend Beachtung fand. Zum anderen wurde die Sorge vor einer Migration, die nach Art und Umfang nicht beherrschbar wäre, entlang der Romazugehörigkeit verhandelt und damit eine Homogenität der Zuwandernden unterstellt. Hinzu kommt, dass die unterschiedlichen Bedingungen in den Ankunftsstädten und in den Herkunftsorten kaum Beachtung fanden.

„EU-2“ Nach den monatlichen Datenaufstellungen des IAB zeigen sich im bundesweiten Rahmen für beide Zuwanderergruppen deutliche Unterschiede in den Arbeitsmarktindikatoren (Brücker et al. 2015). Gleichfalls fallen die im Bundesmaßstab durchaus günstigen Ergebnisse in einzelnen Kommunen umso negativer aus (Beyersdorff u. Böckler 2014). Durch die Zusammenfassung beider Gruppen als „EU-2-Zuwanderung“ geht diese Kenntnis verloren. Die sprach- und schreibökonomische Formel „EU-2“ ist ein Jahr nach dem Eintritt der vollständigen Personenfreizügigkeit so wenig sinnvoll und aussagefähig, wie die Zusammenfassung der ostmitteleuropäischen Beitrittsländer von 2004 als „EU-8“.3

Auch darüber hinaus gibt es wichtige Gründe, beide Länder vergleichend, aber jeweils einzeln zu betrachten. Gründe für die vergleichende Betrachtung sind der zeitgleiche Beitritt zu Nato und EU sowie soziostrukturelle Parallelen, die aus älteren und jüngeren historischen Entwicklungen resultieren. Zu nennen ist ein in Teilen gemeinsames osmanisches Erbe, der kommunistische Modernisierungsversuch und die schwierige sozioökonomische Gesamtsituation in der postkommunistischen Zeit, die mit einer Verarmung breiter Bevölkerungsschichten einherging. Wichtige auch migrationsrelevante Unterschiede sind die Zughörigkeit zu unterschiedlichen Sprachgruppen.

Im bulgarischen Fall begründet sie eine kulturell und politisch enge Anbindung an Russland, während die romanische Sprachzugehörigkeit des Rumänischen, neben dem historisch hohen Stellenwert Frankreichs, für Rumänen auch in Italien und Spanien geringere Sprachbarrieren schafft.

Auch für eine handlungsorientierte Betrachtung in Deutschland ist eine getrennte Untersuchung relevant, um zu einem angemessenen Verständnis der Zuwanderung zu gelangen.

So verblieben nach der langen osmanischen Dominanz in Bulgarien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts große türkische und türkisch kulturalisierte Bevölkerungsanteile in dem Land. Diese Bevölkerung unterlag insbesondere in der Spätphase des bulgarischen Kommunismus einer massiven Verdrängungs- und Assimilierungspolitik, die bis in die Gegenwart anhält (Arndt 2013). Als eine Folge daraus weisen die türkischsprachigen Bevölkerungsgruppen durchschnittlich schlechtere Sozialmerkmale auf als die bulgarische Bevölkerungsmehrheit.

Deutschland ist für diese Bevölkerungsgruppen aufgrund der großen türkischsprachigen Gemeinden ein attraktives Zielland. Am Duisburger Beispiel zeigt sich, dass die Zuwanderung aus Bulgarien ganz wesentlich aus Ortschaften erfolgt, die einen hohen türkischsprachigen Bevölkerungsanteil aufweisen.

Diese Information ist ganz wesentlich, um zu erkennen, dass es sich weder um einen unendlichen noch um einen unkontrollierten und ziellosen Zuzug handelt. Für die Zuwanderung aus Bulgarien ist für Duisburg von einer insgesamt homogeneren soziostrukturellen und in Teilen soziokulturell einheitlichen Zuwanderung auszugehen.

Die Zuwanderung aus Rumänien wirkt sehr viel heterogener, so stammen die Zugewanderten auch in Duisburg aus Orten aller Landesteile und sie bilden einen breiten Querschnitt der rumänischen Gesamtbevölkerung ab. Für Rumänien ist zu beachten, dass das Land aus historisch unterschiedlich geprägten Landesteilen besteht, die bis in die Gegenwart einen unterschiedlichen Entwicklungsstand aufweisen. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs gehörten die westlichen Landesteile zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie, woraus sich hohe Ähnlichkeiten mit den ostungarischen Regionen ergeben, auch bilden ungarische Bevölkerungsgruppen die größte Minderheitengruppe in Rumänien. Aus Ungarn ist gleichfalls eine langandauernde Westmigration zu verzeichnen, die gleiche soziostrukturelle Züge aufweist. Zu einer vergleichenden Betrachtung mit Rumänien ist es indessen nicht gekommen, geschweige denn zu einer solchen Problematisierung. Diese

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erfolgte vorrangig anhand der Gleichsetzung von Rumänien mit Roma, wodurch der problematische Teil der Zuwanderung benannt schien (Krauß 2008).

Roma als größte europäische Minderheit Die Debatte um eine Armutszuwanderung ist zeitlich und inhaltlich nicht von den Aktivitäten der EU-Kommission zur Verabschiedung der Europäischen Rahmenstrategie zur Integration der Roma im Jahr 2011 zu trennen (EU-Kommission 2011). Im Kontext der Handlungsaufforderung an die Mitgliedsstaaten wurde nachhaltig die Formel von „zehn bis zwölf Millionen Roma“ geprägt, allerdings mit unterschiedlichen regionale Bezugsräumen (welt-, europa- oder EU-weit).4 Angesichts der Ohnmacht der EU-Institutionen gegenüber den Ausweisungen bulgarischer und rumänischer Bürger durch italienische Behörden im Jahr 2008 und zwei Jahre später durch Frankreich, war die Unterscheidung zwischen den Daten für Europa und für die EU von geringerer Relevanz als die politische Signalwirkung einer symbolischen Ziffer. Die Angabe von 11.256.900 Roma in Europa umfasst gleichfalls die Länder der EU, aber u. a. auch die Russische Föderation (825.000) und die Türkei (2,75 Mio.) (EU-Kommission 2011: 17–18).

Für die EU geht die Kommission von 6,2 Millionen Roma in den Mitgliedsländern aus. Allerdings lagen für 15 von 27 Mitgliedsstaaten (2011) weder offizielle noch sonst gesicherte Zahlen über den Anteil von Roma, Sinti, Kale oder Manusch u. a. Gruppen vor. Im Fall der ost-, ostmittel- und südosteuropäischen Länder gelten die Volkszählungsergebnisse wiederum als unzuverlässig. Angesichts dessen hat die EU-Kommission Zahlen des Europarates übernommen, die aus sogenannten Mindest- und Maximalschätzungen das arithmetische Mittel bilden. Die Konsequenzen sind für die einzelnen Länder sehr unterschiedlich. Im Fall Sloweniens liegt das Mittel der Schätzwerte um das ca. 2,5-fache über der offiziellen Zahl von 3.246.

Das entspräche einem Anteil von 0,4 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Unter den EU-Ländern ergibt sich für Rumänien mit 1,3 Mio. die höchste absolute Differenz zwischen dem Volkszählungsergebnis (2002: 535.140) und dem geschätzten Mittel (1,85 Mio.). Die EU-Kommission errechnete daraus einen Bevölkerungsanteil von über 8 Prozent (EU-Kommission 2011: 18).

Diese Vorgehensweise war ein Instrumentarium der frühen 1990er Jahre, als keine gesicherten Informationen zur Zahl und Situation der Roma vorlagen. Inzwischen wurde für Rumänien und andere ostmittel- und südosteuropäische Länder eine sehr viel genauere Datenlage geschaffen. Anlässlich der Volkszählung von 2011 deklarierten sich 621.600 Personen (3,3 Prozent) als Roma (Institutul naţional de statistică 2011: 5). Gegenüber den Ergebnissen von 1992 bedeutet das eine Zunahme um ca. 50 Prozent und es erscheint realistisch, von einer Gesamtzahl von ca. 1 Millionen Roma in Rumänien auszugehen (Sandu 2005). Nicht nur im rumänischen Fall werden sie in ihrer Gesamtheit und als spezifische Zuwanderergruppe verstanden.

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Randständigkeit Das Bild der Randständigkeit von Roma hat sich weithin durchgesetzt und lässt sie als eine Summe von geschätzten 12 Millionen Sozial- und damit Problemfällen erscheinen. Seit 1990 und insbesondere mit dem Beitrittsprozess zur EU wurden zahlreiche Erhebungen zur Situation der Roma in Ostmittelund Südosteuropa durchgeführt (Rughinis 2010). Die verkürzte Ergebniswiedergabe lautet dahin: „In allen Ländern Europas sind über zwei Drittel der Roma arbeitslos; in Ländern wie die Slowakei und Bulgarien sind es über 80 Prozent. 90 Prozent der Roma leben in Armut.“ (Torres 2013: 42). In der Generalisierung kommt es zu Fehlaussagen. In bestimmten lokalen Zusammenhängen lassen sich entsprechende Zahlen ermitteln, und die Verelendung als Resultat aus Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung hat in den Jahren seit dem EU-Beitritt eher zu- als abgenommen (Preoteasa et al. 2012). Aber – und es ist das, was unzulässiger Weise immer wieder erfolgt – diese Ergebnisse sind nicht pauschal auf die Gesamtheit der Roma eines Landes oder der EU zu projizieren (Hossu u. Vincze 2014).

Beispielhalft sei auf die notwendige Unterscheidung im Fall niedrigqualifizierter Schul- und Berufsabschlüsse verwiesen.

Die statistischen Ergebnisse können für eine traditionell ausgerichtete Siedlung mit engem Familienverband jenen einer assimilierten aber sozial unterprivilegierten Siedlung gleichen, auch wenn in beiden Fällen die Konsequenzen grundverschieden sind. Allerdings ist die Notwendigkeit zur Differenzierung durch die Gleichsetzung von Roma mit sozioökonomischer Randständigkeit und deren Auswirkungen auf die Bildungs-, Beschäftigungs-, Wohn- und Gesundheitssituation weitgehend aus dem Blick geraten.

Die Roma umfassen Gruppen in sehr unterschiedlicher sozialer Lage, die sich darüber hinaus nach vielfältigen Faktoren (zum Beispiel Religion, Siedlungsraum, Sprache) unterscheiden (Mihok 1999: 166–67). Den Bemühungen um repräsentative landesweite Datenerhebungen zur Situation der Roma sind angesichts der bestehenden Unterschiede und den Divergenzen zwischen Auto- und Heterodefinition klare Grenzen gesetzt (Rughinis 2010 u. Rughinis 2011). Die daraus resultierenden Schwierigkeiten begründen eine unzureichende analytische Tiefe und verringern die Zuverlässigkeit der verfügbaren Daten, derer es aber für die politische Handlungsleitung bedürfte. Ein entscheidender Schritt um diese Grundlage zu schaffen ist die kleinräumliche Untersuchung der Herkunfts- und der Ankunftsregionen.5

Lokale Einblicke – Duisburg Während eine große soziale Einheit eine höhere Toleranz gegenüber ungenauen oder unzutreffenden Daten und fehlgehenden Einschätzungen aufweist, sind kleinere soziale Einheiten auf eine möglichst hohe Exaktheit angewiesen. Das umso mehr, wenn es um konkrete Handlungsanforderungen geht.

Zum Beispiel sind auf Stadt- und Stadtteilebene allgemeine Aussagen zur Ausgangssituation in einem Herkunftsland weniger von Bedeutung als die spezifische Situation in einer oder

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mehreren Regionen. Gleichfalls können sich Kenntnisse über die Zuwanderung in einem Stadtteil als kaum übertragbar auf die Verhältnisse in einem anderen erweisen.

Nachdem in Duisburg bis 2012 die bulgarische Zuwanderergruppe als sehr problematisch galt, hat sich diese Sichtweise auf die aus Rumänien Zugewanderten übertragen. Rumänische Staatsbürger werden heute als besonders schwierige Mieterklientel wahrgenommen und als Belastung für die Nachbarschaft, gepaart mit Bildungsferne und einem hohen Integrationsbedarf.

Gleichzeitig lag nach Daten des IAB die Arbeitslosenquote von Bulgaren und Rumänen im April 2015 im gesamtstädtischen Maßstab zugunsten letzterer um über 12 Prozentpunkte auseinander (37,6 Prozent und 25,1 Prozent) (IAB 2015).6 Die Verteilung in den Stadtteilen macht darüber hinaus deutlich, dass sich die bulgarischen Gruppen lokal konzentrieren, hingegen die Rumänen sehr viel breiter im Stadtgebiet verteilt leben. Für Duisburg ist sehr eindeutig von einer an die türkische Community gebundenen Zuwanderung aus Bulgarien zu sprechen. Dass die Zugewanderten mit jener die Sprache und mehrheitlich die Religion teilen, erweist sich abseits der offiziellen Arbeitsmarktdaten als wichtige Ressource in den Bereichen Beschäftigung und Wohnung, womit auch die längere Aufenthaltsdauer erklärbar ist. Den Zugewanderten aus Rumänien fehlen diese Ressourcen und ohne Integration in den offiziellen Arbeitsmarkt sind sie mit einer Summe sozialer Problemlagen konfrontiert. Für diesen Teil der rumänischen Zuwanderer ist der Kindergeldbezug häufig die einzige sichere Einkommensquelle, insofern sie über eine dauerhafte Meldeadresse verfügen.

In diesem Punkt zeigen sich auch die Grenzen der statistischen Erfassung und die gebotene Umsicht in der Interpretation der vorhandenen Daten. Die bisherigen Untersuchungsergebnisse der Studie des NUREC-Instituts zeigen, dass zahlreiche Personen ihrer Meldeadresse verlustig gingen. Die Gründe dafür sind so vielschichtig wie die Konsequenzen. In einem Fall, der nicht einmalig ist, meldete sich eine zwölfköpfige Familie im Zeitraum von vier Jahren viermal bei der Einwohnermeldebehörde neu an, ohne den Duisburger Raum dauerhaft verlassen zu haben. Die Neuanmeldungen wurden notwendig, da es aufgrund der Dauer zwischen den Wohnungswechseln jeweils zu Abmeldungen kam. Damit war ein wiederholt unterbrochener Kindergeldbezug verbunden, der die einzige sichere Einnahme für die Familie darstellt.

Im längerfristigen Datenverlauf können sich Entwicklungen wie diese Mehrfachzählung ausgleichen, jedoch zeigt der Fall, dass der noch junge Migrationsprozess mit einem unsicheren Datenbestand einhergeht. Daraus sollte allerdings nicht der leichtfertige Umgang mit den Daten erfolgen, wie im folgenden Beispiel, bei dem die Gesamtzahl der Zugewanderten aus Bulgarien und Rumänien nach Duisburg als Personenkreis ohne Krankenversicherung interpretiert wird: „Rund 12.000 EU-Zuwanderer ohne Krankenversicherung leben derzeit in Duisburg, davon 4.000 Kinder, so die aktuelle Schätzung der Stadt“ (Brandt 2015). Bei dieser Lesart werden auch alle regulär Beschäftigten mit ihren Familien eingerechnet, wodurch ein hochdramatisches Bild erzeugt wird, das allerdings den realen Verhältnissen nicht entspricht.

Roma als „spezifische Zuwanderergruppe“ Die bundesweite Statistik zeigt für die Zuwanderung aus Rumänien ein weitgehend positives Bild. Der beschriebene Fall liegt konträr dazu und eine Summe ähnlicher Fälle hatte man vor Augen, um den Missbrauch der Freizügigkeit in der EU und beim Bezug von Sozialleistungen zu problematisieren.

In der Armutsmigrationsdebatte wurde die Zuordnung Roma als selbsterklärend für soziale Problemlagen verstanden. Auch Leistungsverweigerung seitens der Zuwanderer und mangelnder Nutzen für die Aufnahmegesellschaft wurden thematisiert (Nonnenmacher 2012). Möglicherweise konditionierte die Erwartung die Wahrnehmung, wodurch Roma als homogene und ausschließlich problematische Zuwandergruppe erschienen. Zahlreiche Beispiele kontrastieren dieses Bild und verlangen nach einer Differenzierung, die hinter den statistischen Größen nicht die individuellen Fälle und Rahmenbedingungen verdrängt.

Exemplarisch seien zwei Beispiele angeführt: Zum ersten sei auf die Roma eines rumänischen Dorfes verwiesen, die seit 2001 nach Zahl und Umfang ansteigend in Arbeitsteams für ein bis zwei Aufenthalte pro Jahr und eine Dauer von bis zu drei Monaten in deutschen Landwirtschaftsbetrieben legal tätig sind. Die über 100 Personen sind für die Zeit ihres Aufenthaltes kindergeldberechtigt, aber Anträge stellen sie nicht, gleichfalls leisten sie Beiträge zur Kranken- und Sozialversicherung.

Das zweite Beispiel ergibt sich aus dem Umfeld einer Romni, die nach ihrem Hochschulstudium das Büro für Roma-Angelegenheiten eines Landkreises in Rumänien leitete und in dieser Position EU-Projekte verwaltete und koordinierte. Im Jahr 2007 ging sie mit ihrer Familie nach Deutschland, um hier mit ihrem Mann jeweils als Selbständige im Reinigungsgewerbe zu arbeiten, da sie in Rumänien keine Zukunftsperspektive sahen. Aus dem Heimatort sind im Laufe der Jahre über 70 Familien nach Deutschland gekommen und bestreiten ihren Lebensunterhalt durch Arbeit, auch wenn die Auftrags- und Beschäftigungssituation oftmals prekär ist. Die Kinder, die sich auf maximal drei pro Familie beschränken, besuchen Bildungseinrichtungen von der Kita bis zum Gymnasium.

Fazit Die Debatte um die sogenannte Armutsmigration hat aufgrund der sehr politischen Ausrichtung nur zu einem geringen Verständnis der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien beigetragen. Sie war ein Illustrationsmittel um einem offensichtlichen Handlungsbedarf Nachdruck zu verleihen, als analytische Größe kann sie hingegen nicht gelten. Überhöhte bzw. unzutreffend interpretierte Ziffern erzeugten eher Bedrohungsszenarien, als dass sie zu einer Handlungsgrundlage beitrugen. Auf der bundespolitischen Ebene als einer großen sozialen Einheit sind die Auswirkungen ungenauer Dimensionierung weniger spürbar, aber in lokalen Handlungszusammenhängen können sie zu Fehleinschätzungen und Fehlmaßnahmen führen. Je kleiner eine soziale Einheit, desto wichtiger ist die richtige Dimensionierung und die Kenntnis

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der unmittelbaren Situation sowie der Hintergründe. Bei der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien handelt es sich um einen Migrationsprozess von noch kurzer Dauer. Er geht mit zahlreichen Übergangsbereichen einher und unterliegt steten Veränderungen. Statistische Untersuchungen können in diesem beweglichen Feld Tendenzen aufzeigen, langfristige Entwicklungen sind hingegen noch nicht darstellbar. Für die sachgerechte Interpretation der Daten fehlen zudem weiterhin notwendige Kenntnisse über die Situationen der Menschen, ihre Motive und Perspektiven.

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Hinzukamen noch die Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration sowie das Bundespresseamt.

Die, wenn überhaupt, durch Journalisten wie Rolf Bauerdick und Norbert Mappes-Niediek erbracht wurde.

Einige Länder gehören der EURO-Zone an und sie sind geprägt von relevanten soziostrukturellen und kulturellen Unterschieden.

In einer Kommissionsveröffentlichung aus dem Jahr 2003 galt die Zahlenangabe noch weltweit. http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/ brochure_roma_oct2003_de.pdf Das Nurec-Institut in Duisburg führt von April bis Oktober 2015 eine entsprechende Pilotstudie durch.

Im Februar 2014 lag die Differenz bei über 17 Prozentpunkten.

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Max Matter

Die Zuwanderung aus Südosteuropa: darf, soll oder muss man auch von Roma sprechen?

Wird man Zuwandernden aus Bulgarien und Rumänien – unter ihnen auch Roma – eher gerecht, wenn man auf jede ethnische Zuschreibung verzichtet um sie vor weiteren antiziganistischen Anfeindungen, denen sie auch hier ausgesetzt sind, zu schützen?

Oder darf, soll oder muss gar die ethnische Herkunft genannt werden, weil nur so deutlich gemacht werden kann, dass ihre Wanderungsgründe nicht primär oder alleinig wirtschaftlicher Art sind, sondern sie vor der extremen Ausgrenzung, Benachteiligung und Unterdrückung in ihren Herkunftsländern fliehen?

Prof. Dr. Max Matter bis 2010 Professor für Volkskunde/Europäische Ethnologie an der Albert-Ludwigs Universität Freiburg. Mitglied im Rat für Migration, dem European Academic Network on Romani Studies und im Bundesweiten Arbeitskreis zur Verbesserung der Bildungsbeteiligung und des Bildungserfolgs von Sinti und Roma. Schwerpunkte: Migration, Integration, Minderheiten. : max.matter@eu-ethno.uni-freiburg.de Schlüsselwörter: Armutswanderung – Roma – Lage der Roma in Europa – freiwillige Migration – forcierte Migration

Erste Eindrücke: Roma wandern zu Als wenige Monate nach dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur Europäischen Union in Berlin und in einzelnen Ruhrgebietsstädten sich die lokale Bevölkerung durch Menschen aus diesen Ländern verunsichert und gestört fühlten, da diese in Parkanlagen, in an den Straßenrändern geparkten Autos oder in maßlos überbelegten Wohnungen nächtigten und sehr laut und unordentlich gewesen seien, meinte man rasch festmachen zu können, wer hier zugezogen war. So schrieb die Westdeutsche Allgemeine Zeitung am 3. Juni 2008: „Nach Angaben der Behörden handelt es sich um Sinti und Roma“.1 Als sich im Mai 2009 im Görlitzer Park in BerlinKreuzberg eine Gruppe von ca. vierzig Menschen, angeblich eine rumänische Großfamilie aus der Minderheit der Roma niederließ, veröffentlichten die verschiedenen Berliner Tageszeitungen neben Textbeiträgen auch Bilder, die Matratzenlager an Mauern oder in Gebüschen, liegen gelassener Müll, bettelnde Kinder und Frauen und ärmlich gekleidete, „schmutzige“ Kinder zeigten, die bei den Betrachtern aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft den Eindruck hervorriefen, es handele sich hier um „asoziales Verhalten“ und um „selbst verursachtes Elend“. Bewusst oder vielleicht auch nur unbewusst knüpfte man an „Asozialen“-Diskurse an, wie sie auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg bezogen auf so genannte „Zigeuner“ geführt worden waren.2 Betrachtet man die damals erschienenen Zeitungsartikel, gewinnt man den Eindruck, die Presseleute hätten mit der Berichterstattung über diese Zuwanderer ihre liebe Müh‘ und Not gehabt. Man wusste nicht, wie man die neuen „Nachbarn“ bezeichnen sollte oder durfte. So war neutral und politisch korrekt von bulgarischen und rumänischen Staatsbürgern oder von Südosteuropäern die Rede, aber eben auch von „Sinti und Roma“ und von Menschen aus aller Herren Länder bzw. von Menschen, die mit Autos mit Kennzeichen aus halb Europa gekommen waren3, und die sich nicht an die hier geltenden Regeln gehalten hatten. Anfänglich versuchte man die Zugewanderten durch eine Vielzahl „kleiner Nadelstiche“, d. h. häufige Polizeikontrollen, Bußen wegen Ruhestörung, illegaler Müllentsorgung und schlecht gewarteter Autos bis hin zur Androhung, die Kinder einzelner Familien in Heime einzuweisen einerseits und durch Zahlung von „Rückkehrprämien“ andererseits zur Weiterwanderung oder zur Rückkehr zu bewegen.

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Die Verstetigung des Problems verlangt nach Auseinandersetzungen mit dessen Komplexität: keine vorschnelle Etikettisierungen Als aber ab 2010 immer mehr Menschen aus Südosteuropa kamen und immer mehr Kommunen von dieser Zuwanderung betroffen waren, wurde schnell klar, dass man diese Menschen nicht einfach vergraulen konnte, dass man Lösungen zu ihrer Eingliederungen finden musste. Die von der Zuwanderung besonders betroffenen Kommunen bildeten Arbeitskreise, Lenkungsgruppen, die Handlungskonzepte, -empfehlungen, Strategien usw. ausarbeiteten, die inzwischen beschlossen sind und nach den jeweiligen (finanziellen) Möglichkeiten umgesetzt werden. In ihren Handlungskonzepten benennen und beschreiben die einzelnen Kommunen die Zugewanderten sehr unterschiedlich. Übereinstimmend wird betont, dass es sich um eine sehr heterogene Gruppe, dass es sich um Bürger Bulgariens und Rumäniens und so um Bürger der Europäischen Union handele. Während die Berliner Strategie schon im Namen Bezug auf „ausländische Roma“ nimmt und bereits eingangs feststellt, dass es sich bei den Zuwanderern „zu einem großen Teil um Roma“ handele, verzichtet das Duisburger Handlungskonzept „zum Umgang mit der Zuwanderung von Menschen aus Südost-Europa“ von 2011 und der Sachstandsbericht zu diesem Handlungskonzept vom Januar 2013 fast gänzlich auf eine ethnische Zuschreibung. So ist dort zu lesen, man wolle in dem Bericht, der sich wesentlich mit Armutsmigration befasse „auf eine Einteilung der Menschen in Roma und Nicht-Roma verzichten und lediglich auf das gemeinsame Merkmal der bulgarischen oder rumänischen Staatsbürgerschaft zurückgreifen“ (Stadt Duisburg, Referat für Integration Januar 2013: 3). Ähnlich verhält es sich in den Papieren der Städte Dortmund und Mannheim. Auch hier geht es grundsätzlich um Armutsmigration, um eine Zuwanderung aus Südosteuropa, es wird aber ein Teil der Zugewanderten als Roma benannt, etwa wenn beschrieben wird, dass die Herkunftsländer zwar Strategien zur Verbesserung der Lage der Roma entwickelt, diese aber nicht wirklich umgesetzt hätten.

Auch das „Positionspapier des Deutschen Städtetages zu den Fragen der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien“ vom 22. Januar 2013, das ausführlich auf „Armutszuwanderung“ eingeht, erwähnt Roma lediglich an zwei Stellen und nur am Rand. Auch der Abschlussbericht der Bund-Länder Arbeitsgemeinschaft „Armutswanderung aus Osteuropa“, die im Februar 2013 ihre Arbeit aufgenommen hatte, spricht ausschließlich von Armutswanderern und erwähnt Roma unter ihnen nicht (Freie und Hansestadt Hamburg 2013).

Begründet wurde und wird diese Sprachregelung damit, dass man nicht wisse, ob unter den Zugewanderten Roma seien und wer unter ihnen sich selber als Rom bzw. Romni sähe. Ein gewichtiges Argument dafür, Roma unter den Zugewanderten nicht als Angehörige dieser Minderheitengruppen, sondern als Staatsbürger ihres Herkunftslandes zu sehen, ist die Tatsache, dass sie u. a. wegen ihrer Diskriminierung als Roma ihr Herkunftsland verlassen haben und zum Ausdruck bringen, dass sie hoffen, dass sie und ihre Kinder hier nicht wiederum wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit ausgegrenzt und benachteiligt werden. Behauptet wurde, dass wenn man von

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Roma spreche, mitgebrachte, aber auch hier gepflegte Ethnisierungen, Kulturalisierungen und Etikettisierungen weiter verstärkt würden 4. Gelegentlich wird vorgebracht jede Form von Ethnie bezogener Datenerhebung sei verwerflich, wenn nicht illegitim. Verwiesen wird dann meistens auf missbräuchliche Verwendung von solchen Daten in der Vergangenheit.

Keine verlässlichen Daten „Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden in der Bundesrepublik Deutschland generell keine bevölkerungsstatistischen und sozioökonomischen Daten auf ethnischer Basis erhoben“, somit kennt die allgemeine Bevölkerungsstatistik und auch die Wanderungsstatistik des Statistischen Bundesamtes das Merkmal „Ethnie“ nicht (Bundesministerium des Innern 2014: 35).

Deshalb fehlt eine empirische Basis für eine Aufgliederung der Zuwanderer nach ethnischen Kriterien. Damit fehlen verlässliche Zahlenangaben über den prozentualen Anteil von Roma unter den Zugewanderten insgesamt. Auch Schätzungen sind problematisch. Nach Artikel 3 des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats ist es allein das Recht der einzelnen Individuen, frei darüber zu entscheiden, ob sie als Angehörige, ob er als Angehöriger einer Minderheit behandelt werden möchte oder nicht (Europarat 1995).

Damit ist die Zuordnung einer Person zu einer ethnischen Gruppe von außen (etwa aufgrund ihres Phänotyps) und erst recht gegen ihren Willen nicht zulässig. Korrekt wäre also, nur diejenigen Roma zu nennen – und als solche in Zählungen oder Schätzungen miteinzubeziehen – die sich selber als Roma oder als Angehörige einer Roma-Untergruppe bekennen. Solche Selbstzuordnungen sind nicht starr, sondern stark kontextabhängig: ein und dieselbe Person kann sich je nach Situation als Kalderasch5, als Rom, aber auch als Rumäne bezeichnen. Eine Selbstzuordnung zu einer Romagruppe erfolgt meist dann, wenn sich der Betroffene von einer solchen Zuordnung Vorteile, wie Asylgewährung oder wenigstens die Aufschiebung einer Rückführung, verspricht. Deshalb verfügt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in ihrer Asylstatistik Zahlen über ethnische Zugehörigkeit bzw. über „Volkszugehörigkeit“, da dieses Merkmal in Asylverfahren eine wichtige Einflussgröße sein kann. So liegen dem BAMF auch Zahlen über Roma unter den bulgarischen und rumänischen Asylantragstellern vor.6 Wenn sich streng genommen Rückschlüsse aus der Asylstatistik auf die Wanderungsstatistik verbieten, so geben die Zahlen für die Jahre nach der Aufhebung der Visumspflicht (2001 bzw. 2002) bis zum EU-Beitritt dieser Länder doch gewisse Anhaltspunkte über die Neigung von Roma, ihr Land in Richtung Deutschland zu verlassen (vgl. Tabelle 1).

Auffällig sind die hohen Prozentzahlen der Roma unter den bulgarischen Antragsstellern. Roma machen 2002 89,1 %, 2003 75,1 %, 2004 69,4 %, 2005 77,3 % und 2006 92,3 % aller AsylErstanträge bulgarischer Staatsbürger aus. Auch wenn die Zahlen bezogen auf rumänische Staatsbürger die um Asyl gebeten haben und auch der prozentuale Anteil der Roma unter ihnen, wesentlich tiefer lagen als bei den Bulgaren und von diesen Zahlen nicht auf die Zuwandererzahlen hochgerechnet werden kann und soll, so lassen sie doch die Vermutung zu, dass der

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Tabelle 1: In Deutschland gestellte Erstanträge von bulgarischen und rumänischen Asylantragstellern 2002 bis 2006

Quelle: Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge

Romaanteil unter den Zugewanderten signifikant über dem Romaanteil an der Gesamtbevölkerung in den Herkunftsländern liegen dürfte. Dies wird auch von Informanten bestätigt, die vor Ort in ihrer Arbeit mit zugewanderten bulgarischen und rumänischen Staatsbürgern tagtäglich in Kontakt sind.

Hier werden für einzelne Stadtteile Schätzungen zwischen 50 bis gegen 90 % Romaanteilen an den Zugewanderten aus Südosteuropa genannt7. Während viele betroffene Kommunen neutral von einer Zuwanderung aus Südosteuropa und/oder von einer Armutseinwanderung sprachen, stellte der Berliner Bezirk Neukölln in seinen – insgesamt bereits vier – Roma-Statusberichten klar heraus, dass sich unter den Zugewanderten viele Roma befänden. Die meisten von ihnen lebten in prekären Lebensverhältnissen. Die Anzahl der Familien könnte aus Sicht des Bezirksamtes und des zuständigen Polizeiabschnitts aber lediglich geschätzt werden, weil die erforderlichen belastbaren Daten fehlten. Auch noch im 4. Roma-Statusbericht vom Mai 2014 heißt es, dass „aus der praktischen Erfahrung vor Ort angenommen werden (könne), dass ein großer Teil der Zuzügler zur Ethnie der Roma“ gehöre. Dass unter den Zugewanderten auch in den Kommunen, die einen ethnischen Ansatz ablehnen, ebenfalls Roma sind, belegen etwa Hinweise auf Kinder, die neben Bulgarisch, Rumänisch auch/oder Romanes sprechen (Stadt Duisburg, Kommunales Integrationszentrum 2014: 28 u. 33).

Es geht nicht um die Frage, wie viele Menschen unter den Zugewanderten aus Südosteuropa einer Romaminderheit angehören, sondern darum, zu zeigen, dass in einzelnen Städten bzw. in einzelnen Stadtvierteln Roma einen signifikanten Anteil an der zugewanderten Bevölkerung aus Bulgarien und Rumänien ausmachen und es hilfreich für deren Integration sein kann, dies auch wahrzunehmen und zu berücksichtigen.

Wichtiger als bundesweite Daten sind so Daten die auf einzelne Städte oder Stadtteile bezogen sind.

„Freiwillige“ oder „erzwungene“ Migration? – „Armutsmigration“ verschleiert Fluchtgründe Eine Reduzierung auf das Soziale, auf armutsbedingte Migration, blendet die Tatsache aus, dass es sich bei den Zugewanderten um – im Herkunfts- wie im Zuzugsland – ausgegrenzte und benachteiligte Minderheiten handelt und dass ihre Diskriminierung gerade auch eine Ursache ihrer Armut ist. Wenn man diese Wanderung als eine allgemeine „Armutswanderung“ betrachtet, kann man den Zugewanderten leicht unterstellen, ihre Wanderung sei rein wirtschaftlich motiviert gewesen. Wirtschaftliche Gründe wurden aber schon wäh-

rend der Asyldebatten der frühen 1990er Jahren nicht als berechtigte „Flucht“-Gründe anerkannt. So genannte „Wirtschaftsflüchtlinge“ galten und gelten als „unechte Flüchtlinge“. Argumentiert wird dann damit, dass lediglich der höhere Lebensstandard hier diese Armen angezogen hätte, obwohl sie auch in ihren Herkunftsländern ein Auskommen gehabt hätten. An Stammtischen vorgebracht werden dann Parolen wie, Armutsflüchtlinge sollten in ihren Herkunftsländern und von diesen versorgt werden, Deutschland sei nicht das „Sozialamt Europas“. Eine andere Abwehrstrategie ist die, zu sagen, die die kämen, wären ohnehin nicht „die ärmsten der Armen“ und hätten so auch keinen moralischen Anspruch auf Hilfe. Dazu kommt, dass Armut in unserer Gesellschaft gerne als mindestens zum Teil selbst- oder mitverschuldet gewertet wird. Die Tatsache, dass ein wesentlicher – wenn sicher auch nicht alleiniger – Grund für die große, fast erdrückende Armut vieler Roma im östlichen Europa in ihrer mehrfachen Diskriminierung (Bildung, Arbeit, Wohnen, Gesundheitsfürsorge usw.) liegt, fällt so leicht außer Betracht. Romamigration erscheint so nicht als eine Form des Protests gegen die Unterdrückung, unter der sie in ihren Herkunftsländern leiden.

Antiziganismus auch in Deutschland Wenn wir wissen, dass in einigen Städten bzw. Stadtteilen unter den Zugewanderten aus Südosteuropa ein beträchtlicher Teil Roma sind, wäre es m. E. falsch, dies einfach zu übersehen und sie lediglich als bulgarische oder rumänische Staatsangehörige zu sehen, da wir sonst viele wichtige Aspekte nicht ansprechen können, die für ein Verständnis der Situation zwingend erforderlich sind und ohne deren Beachtung eine Reihe von Lösungsansätzen erst gar nicht angedacht werden können. So erfahren sie Ablehnung von Deutschen und von früher Zugewanderten nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit, sondern weil sie Roma sind. Wenn es im Zweiten Roma-Statusbericht des Bezirksamtes Berlin Neukölln heißt: „Beschimpfungen und Gesten sind keine Seltenheit und auch in der „Rangordnung“ der anderen Nationalitäten, stehen die Unionsbürger aus den neuen Beitrittsländern – Familien aus Rumänien, Bulgarien, Kroatien oder Polen an letzter Stelle.

Unterschwellig wirkt ein bestehender Antiziganismus, der auch von den Elternhäusern weiter über die Kinder gegeben wird und für die Bildungseinrichtungen eine zusätzliche Herausforderung bedeutet“, dann dürfte das weniger damit zu tun haben, dass hier Rumänen, Bulgaren, Kroaten und Polen zugezogen sind, sondern wohl eher weil unter ihnen viele einer Romaminderheit angehören.

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Spezielle Förderbedürfnisse Aufgrund ihrer jahrzehntelangen mehrfachen Diskriminierung und Benachteiligung und insbesondere ihrer schlimmen Lebensumstände, die sich seit der politischen und wirtschaftlichen Wende von 1989/90 nicht verbessert, sondern eher zunehmend verschlechtert hat, ergeben sich auch spezifische Integrationsprobleme, die einen besonderen Betreuungs- und Unterstützungsaufwand notwendig machen.8 Kinder, die mit zehn oder elf Jahren keinen altersgemäßen Entwicklungs- und Bildungsstand aufweisen, die nicht alphabetisiert sind, die wenig oder keine schulische Vorerfahrung haben und auch die Landessprache ihres Herkunftslandes nicht genügend beherrschen, brauchen mehr und vielleicht auch didaktisch spezielle Zuwendung und mehr an Zeit. Ähnliches gilt auch für Maßnahmen der Jugend- und Erwachsenenbildung.

Wir müssen uns mit der Lage der Roma in den Herkunftsländern auseinandersetzen Wenn wir zu Kenntnis nehmen, dass unter den aus Südosteuropa Zugewanderten auch ein beträchtlicher Teil Roma sind, dann sehen wir uns fast gezwungen uns auch mit ihrer Lage in den Herkunftsgebieten und mit der Situation der Roma in Europa insgesamt zu befassen. Dann werden wir auch begreifen, dass bei den in vielen Ländern des östlichen Europa verbreiteten extremen Vorurteilen und dem Hass auf diese Minderheitengruppen, das Problem nicht kurzfristig dadurch aus der Welt geschaffen werden kann, dass die EU oder einzelne Zuwanderungsländer von den Herkunftsländern verlangen, die Lebensbedingungen für ihre Roma-Minderheiten zu verbessern.

Wir müssen uns selber besser informieren, die Bevölkerung aufklären und mehr Wissen über Roma in den Schulen vermitteln. Obwohl zu Roma-Minderheiten und zu ihrer Lage in den einzelnen Ländern Europas Literatur von nicht geringem Umfang zur Verfügung steht, deuten Berichte, Stellungnahmen, Analysen usw. von Politikern, Medienschaffenden und weiteren Multiplikatoren auf einen immer noch erschreckend geringen Kenntnisstand zu diesen ethnischen Minderheiten hin. Zahlreiche falsche und pauschalisierende Bilder sind im Umlauf. Selbst europäische Organisationen, wie die Europäische Union und der Europarat, die in den letzten Jahren viel zur Verbesserung der Situation der Roma-Minderheiten in Europa getan haben und weiterhin tun, tragen mit ihren Definitionen, Schätzungen zur Größe der nationalen Minderheiten und mit ihren Förderpolitiken dazu bei, dass falsche, überkommene Bilder weiter aufrecht erhalten werden.9 So ist es fraglich, ob man die Roma, wie dies das Europäische Parlament 2005 in einer Resolution getan hat, als die „größte ethnische Minderheit Europas“ bezeichnen kann. (European Parliament 2005)

Wer sind die Roma?

Die Roma gibt es nicht. Romagruppen unterscheiden sich in ihren Sprachen und Dialekten, in ihren Religionen, im Grad ihrer Assimilation an die gesellschaftliche Umwelt, nach der Siedlungsweise usw. Und auch innerhalb einer Gruppe gibt es so etwas wie soziale Schichtung oder Ansehenshierarchien.

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Der französische Romaexperte Jean-Pierre Liégeois sprach daher von einem Mosaik, das „aus Elementen besteht, die in bestimmter Weise miteinander verbunden sind“. (Liégeois 2002: 77) Klaus-Michael Bogdal spricht von „Rom-Völkern“ wohl weil er zum Ausdruck bringen will, dass es sich nicht um eine Einheit, sondern um eine Vielfalt handelt. (Bogdal 2011: 9) Roma bilden anders als von der EU und dem Europarat (und einigen Romanationalisten) gerne dargestellt, keine Einheit, sind keine in sich geschlossene ethnische Gruppe, sondern bilden ein Konglomerat ethnischer Gruppen.

Wenn wir von dieser Vielfalt wissen, dann kann uns dies davor bewahren in die Ethnisierungs- oder Kulturalisierungs-Falle zu tappen, d. h. bestimmte Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen als Ausdruck ethnischer Zugehörigkeit und nicht als Folge langjähriger Ausgrenzung und Benachteiligung zu sehen. Genau wie wir sind Roma verschieden. Erfahrungen zeigen, dass sich die Zugewanderten in Bezug auf ihre Integrationsbereitschaft, -bemühungen und -erfolge stark unterscheiden. Aufgrund der großen Heterogenität zwischen den verschiedenen Romagruppen kann eine bei einer Gruppe erfolgreich angewandte Strategie bei einer anderen völlig versagen. Die Romabevölkerung einer Stadt kann sich von Stadtteil zu Stadtteil in ihrem nationalen und regionalen Herkommen, ihrer Sprache, Religion und Lebensweise usw. stark unterscheiden.

Trotz ihrer Verschiedenheit werden Regelverstöße einzelner immer wieder der Gesamtgruppe der Roma zugerechnet.

Vielfach sind Anschuldigungen gegen Roma aber auch nur Ausdruck tiefsitzender Vorurteile. Ein solches Vorurteil ist etwa ihre angebliche Geringschätzung formaler Bildung.

Der zweite Roma-Statusbericht des Bezirks Neukölln macht deutlich, dass Schwierigkeiten in der Beschulung von RomaKindern aber nicht per se in der Bildungsferne und -unwilligkeit der Roma liegen, sondern dass strukturelle Probleme der überforderten Kommunen ihre Ursachen sind. So würden etwa in Neukölln viele Roma-Eltern ihre Kleinkinder gerne in eine Kita oder in einen Kindergarten geben, da sie einsehen, dass ihren Kindern dann der Übergang in die Schule leichter fiele, es fehlt aber an den Kita- und Kindergartenplätzen. (BerlinNeukölln 2012: 9 f.)

Einzelne Kommunen – auch solche, die aus den verschiedensten Gründen beschlossen haben, die ethnische Zugehörigkeit der Zugewanderten nicht explizit zur Kenntnis zu nehmen – haben inzwischen mit Informationsveranstaltungen für ihre Mitarbeitenden über Roma in Europa, Maßnahmen zum Vorurteilsabbau und Kampagnen gegen Antiziganismus usw. begonnen. Dies zeigt, dass man auch etwas für Roma tun kann, auch wenn man nicht explizit darauf hinweist, dass unter den Zugewanderten auch Roma sind. Ob nun als Roma bezeichnet oder nicht, müssen wir uns diesen Zuwanderern in einem besonderen Maß zuwenden. Wie es sicher richtig und schön im Zweiten Roma-Statusbericht des Bezirks Neukölln heißt, kann „das bewusste Zugehen auf diese Ethnie mit dem Angebot der Unterstützung im Rahmen der hier geltenden Regeln in einem geeinten Europa die einzige Antwort sein“ (Berlin-Neukölln 2012: 20).

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Diese – zwar um politische Korrektheit bemühte – Bezeichnung war aber falsch, da sich unter den Zugewanderten wohl keine Sinti befanden. Als Sinti bezeichnen sich Teile der Nachfahren derer, die zu Beginn des 15. Jahrhunderts vom indischen Subkontinent über das Byzantinische Reich und den Balkan nach Westeuropa gekommen waren und seit rund 700 Jahren hier leben. Sie sind fast alle deutsche Staatsbürger. Roma kamen ab Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem östlichen Europa.

Die nach 1945 auf Sinti bezogenen „Asozialen“-Diskurse sollten die deutsche Mehrheitsgesellschaft von ihrer Schuld an den Verbrechen, die man den „Zigeunern“ angetan hat entlasten, indem man die „Schuld“ gewissermaßen umdrehte und behauptete die „Zigeuner“ seien selber schuld gewesen an ihrer Verfolgung, die nicht aus Gründen der „Rasse“, sondern wegen ihres sozial unangepassten Verhaltens erfolgt sei. (Frings 2015) Dies lässt die Assoziation mit „Fahrenden“ aufkommen. Dies ist aber falsch: die allermeisten Roma im östlichen Europa sind seit Jahrzehnten sesshaft.

Eine auf eine Ethnie bezogene Wahrnehmung des Phänomens „Zuwanderung aus Südosteuropa“ mag die Gefahr einer Essentialisierung und Pauschalisierung mit sich bringen, wenn man Menschen, die dieselbe Sprache sprechen, eine gemeinsame Geschichte haben und sich als „Wir-Gruppe“ verstehen, unterstellt, damit auch in ihren Charaktereigenschaften, Verhaltensweisen usw. weitgehend gleich zu sein. Dies entspricht aber nicht dem Verständnis einer wissenschaftlichen Kulturanthropologie von ethnischen Gruppen.

Kalderasch (auch Kalderaš, Kalderash, Kalderasha, Kalderara, Kelderara) sind eine Gruppe der Roma die sich früher als Kupfer- und Kesselschmiede betätigt haben. Kalderasch leite sich vom rumänischen Wort căldărar (Kessel) ab.

Die Zahlen aus der Asylgeschäftsstatistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge verdanke ich dem Referat 124: Statistik.

Herbert Brücker, Forschungsbereichsleiter (Internationale Vergleiche und Europäische Integration) im Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bamberg, der als Experte zu einer Anhörung des Ausschusses für „Men-

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schenrechte und humanitäre Hilfe“ des Deutschen Bundestages am 12.

November 2014 zur „Lage der Sinti und Roma in Deutschland und in der EU – Ausgrenzung und Teilhabe“ eingeladen war, wies dort Aussagen von „Experten“ als „anekdotische Evidenz im Alltag“ zurück und meinte: „Wir wissen aus der Sozialforschung, dass solche Aussagen hochgradig verzerrt sein können, z. B. weil Gruppen mit sozialen Problemen sehr viel auffälliger als gut integrierte Gruppen sind. Insofern können Aussagen von Experten, die als Sozialarbeiter oder Behördenmitarbeiter täglich Umgang mit Roma und anderen ethnischen Minderheiten haben, nicht auf die Gruppen insgesamt verallgemeinert werden.“ Brücker scheint ein sehr eingeengtes Verständnis von Sozialforschung, als rein quantitative Forschung, zu haben. Qualitative Sozialforschung bzw. ethnographische Methoden im Eiverständnis und unter Miteinbeziehung der Betroffenen dürften Daten erbringen, die für die Planung und Durchführung von Maßnahmen hilfreich sein könnten. Es geht nicht darum, Schätzungen, die Personen vor Ort vorgenommen haben „auf die Gruppe insgesamt“ zu verallgemeinern. Dass Zahlenangaben zu Roma häufig interessengeleitet und problematisch sind, zeigt die Diskussion „ Roma migrants in the UK and the number games“, die von November 2013 bis März 2014 im European Academic Network on Romani Studies geführt worden ist (siehe auch Matter 2015: 47–53).

Das heißt nicht, dass ich mich hier für „ethnie-„ bzw. „Roma-spezifische“ Förderungen – wie die auch immer aussehen könnten – ausspreche. Die Förderung sollte im Sinne der EU-Empfehlung „10 gemeinsame Grundprinzipien für die Einbeziehung der Roma“ explizit aber nicht exklusiv – ausdrücklich aber nicht ausschließlich an Roma richten. Möglichst viele Verbesserungen sollte im Rahmen allgemeiner Fördermaßnahmen und nur in Ausnahmefällen durch spezielle Romaprogramme erreicht werden.

Zentral ist hier die Vorstellung von einer „europaweiten ethnischen Minderheit“, die mindestens ansatzweise eine Einheit der Roma suggeriert. In inzwischen etwas abgeschwächter Weise halten diese Organisationen immer noch am Bild des „wandernden“ bzw. „fahrenden“ Rom fest, obwohl der größte Teil der europäischen Roma seit langem sesshaft ist. Dies sind nur zwei von weitaus mehr Beispielen, die gegeben werden könnten.

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Stadt Duisburg, Referat für Integration (2013): Zuwanderung von Menschen aus Südost-Europa. Sachstandsbericht zur Umsetzung des Duisburger Handlungskonzeptes. Duisburg.

Stadt Duisburg. Kommunales Integrationszentrum (2014): Zuwanderung von Menschen aus Südosteuropa. II. Sachstandsbericht zur Umsetzung des Duisburger Handlungskonzeptes.

Duisburg.

Stadt Mannheim. Der Oberbürgermeister (2012): Neuere EU-Binnenzuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Sachstandsbericht und erste Handlungsempfehlungen. Nr. V 674/2012.

Mannheim.

Yarris, Kristin and Castañeda, Heide (2015): Special Issue Discourses of Displacement and Deservingness: Interrogating Distinctions between “Economic” and “Forced” Migration.

Introduction. In: International Migration, Vol. 53/3. S. 64–69.

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Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Elisabeth Pater und Marijo Terzic

EU-Freizügigkeit für bulgarische und rumänische Staatsbürger – im Spannungsfeld zwischen Hoffnung, Lebenswirklichkeit und kommunalem Engagement In Duisburg, wie in wenigen anderen Städten, stellt sich die faktische Situation der aus Bulgarien und Rumänien zugewanderten Menschen zum bundesweiten Vergleich anders dar. Die Hoffnung auf eine verbesserte Lebensperspektive erfüllt sich in vielerlei Hinsicht nicht, denn sowohl die besondere Charakteristik der nach Duisburg Zuwandernden, als auch die Lebensumstände, auf die sie treffen, stellen sie selbst und die Stadtgesellschaft vor enorme Herausforderungen, die nur mit gezielten Maßnahmen, abgestimmtem Handeln und finanzieller Unterstützung der Kommunen zu bewältigen sind.

Duisburg gehörte in den letzten Jahren zu den deutschen Kommunen mit der (gemessen an der Gesamtbevölkerungszahl) größten Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien.

2013 hat Duisburg darüber hinaus mit einem Zuwachs der gemeldeten bulgarischen und rumänischen Staatsangehörigen von 3.994 Personen den höchsten prozentualen Zuwachs in Deutschland zu verzeichnen gehabt. Am 01.06.2015 sind hier 12.354 bulgarische (6.263) und rumänische (6.091) Staatsbürger gemeldet. Am 31.12.2014 waren es vergleichsweise 10.926 Personen dieser beiden Staatsangehörigkeiten. Diese rapide Entwicklung stellt die Stadt vor enorme finanzielle und sozialpolitische Herausforderungen. Obwohl die Stadt Duisburg viel Erfahrung in Sachen Integration hat und eine Stadt der Vielfalt ist, ist sie erstmals mit Armutszuwanderung (im Sinne der Definition in Böckler 2015) in einer solchen Größenordnung konfrontiert. Die Zuwanderung aus Südosteuropa wird daher zum integrationspolitischen Schwerpunktthema.

EU- Freizügigkeit: Hoffnung der Zuwandernden

Elisabeth Pater Stadt Duisburg, Leiterin des Kommunalen Integrationszentrums : e.pater@stadt-duisburg.de Marijo Terzic Stadt Duisburg, stellvertretender Leiter des Kommunalen Integrationszentrums : m.terzic@stadt-duisburg.de Schlüsselwörter: Integration – Lebenswirklichkeiten – Zukunftsperspektiven – Duisburg

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Aufgrund der ihnen zustehenden europäischen Freizügigkeitsrechte und in Folge sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Ausgrenzung in den Herkunftsländern, hoffen die Zuwanderer durch Migration auf eine verbesserte Lebensperspektive. Diese Hoffnungen waren bereits lange vor Eintritt der Arbeitnehmerfreizügigkeit vorhanden. Seit dem 01.01.2014, da nun die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für diesen Personenkreis gilt, besteht die Annahme der Zuwandernden, schnell(er) in Deutschland Arbeit finden zu können als in ihren Herkunftsländern. Die Erwartungshaltung, die bisherigen und häufig prekären Lebensverhältnisse mit der Migration nach Deutschland hinter sich zu lassen, wurde gefestigt. Hinter dieser Haltung steht der tiefe Wunsch nach gesicherten, besseren Lebensbedingungen, um sich und den eigenen Kindern eine bessere Zukunftsperspektive ermöglichen zu können.

Die Migration nach Deutschland bietet demnach die Chance durch sozialen Aufstieg Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen nicht mehr ausgesetzt zu sein. Entgegen der Hoffnungen der Zugewanderten zeigen seit 2014 gewonnene Erkenntnisse, dass sich die Lebensverhältnisse der Südosteuropäer in Duisburg nicht hinreichend geändert haben. Somit brachte die volle EU- Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht die Verbesserung im erhofften Ausmaß. In Duisburg ist die Zahl der

Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

SGB-II Leistungsbezieher seit dem 01.01.2014 von vorher 916 auf nunmehr 2.047 gestiegen. Ein Großteil der rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen jedoch lebt weiterhin unter dem Existenzminimum (SGB II) und folglich in prekären Lebensverhältnissen.

Die besondere Charakteristik der Zielgruppe in Duisburg (und in einigen anderen Kommunen) Problematisch für die Planung von Integrationsmaßnahmen ist, dass die Zuzugsentwicklung der Zuwandernden nicht prognostizierbar ist und eine hohe Fluktuation herrscht. Sichtbar wird dies zum Beispiel in melderechtlichen vor-Ort- Überprüfungen, die aufzeigen, dass eine große Anzahl von Personen, zwar an der betreffenden Anschrift gemeldet, aber dort faktisch nicht mehr wohnhaft ist. Häufig bei diesen Zuwanderungsgruppen sind kinderreiche Familienverbände. 32 % der zuwandernden Bulgaren und Rumänen sind im Alter von 0 bis 15 Jahren. Davon entfallen 38,09 % auf Rumänen und 25,04 % auf Bulgaren. Entgegen dem bundesdeutschen Trend haben 94,56 % der bulgarischen und 89,61 % der rumänischen Unionsbürgerinnen und -bürger im SGB-II-Bezug keine abgeschlossene Berufsausbildung. Dieses überwiegend niedrige Bildungs- und Qualifikationsniveau schränkt die Vermittlung in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ein und begrenzt die Beteiligung am Erwerbsleben weitgehend auf niederschwellige (Helfer-)Tätigkeiten. Stellen dieser Art sind in Duisburg nicht in ausreichendem Maße vorhanden und meist hart umkämpft.

Eine Folge dieser prekären Situation ist der enorm erschwerte Zugang zum regulären Wohnungsmarkt. Ein weiteres großes Problemfeld ist der teilweise fehlende oder ungeklärte Krankenversicherungsschutz. Die Summe dieser Charakteristika erschwert gesellschaftliche Teilhabe erheblich und schürt und bestärkt zudem die Vorbehalte der Mehrheitsbevölkerung.

Herausforderungen der Lebenswirklichkeit der Zuwandernden – Ausgangssituation bei der Ankunft in Deutschland Wie bereits eingangs erwähnt, herrscht eine hohe Erwartungshaltung an Deutschland als einem wirtschaftlich starken, chancenreichen und rechtstaatlichen Aufnahmeland. Die fehlenden Sprachkenntnisse sowie die geringen schulischen und beruflichen Qualifikationen stellen deutliche Hemmnisse im Bereich des Arbeitsmarktzuganges dar. Des Weiteren erfahren die Zuwandernden große Skepsis und Vorbehalte durch weite Teile der Gesellschaft. Eine weitere außerordentliche Herausforderung stellen die neuen und bislang unbekannten Normen und Lebensweisen in Deutschland dar, die häufig vollständig neu zu erlernen sind. Aufgrund des eingeschränkten Stellenmarktes im niedrigqualifizierten Bereich und der hohen Bereitschaft Arbeitsverhältnisse aufzunehmen, um die Familie zu versorgen und elementare Grundbedürfnisse zu befriedigen, entsteht Schwarzarbeit. Dadurch kommt es zu einem schwerwiegenden Dilemma. Während der Aufenthaltsstatus

legal ist, ist er jedoch durch Einkommen und/oder Sozialleistungen in Deutschland selten vollständig abgesichert. Kommt es nun zum Beispiel zu einem widerrechtlichen Bezug von Sozialleistungen, so droht der Verlust der Freizügigkeit. Es kommt zu einem Leben unter dem sogenannten „Existenzminimum“. Dies hat wiederum Auswirkungen auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung und zum regulären Wohnungsmarkt.

Herausforderungen im Lebensbereich Bildung Aufgrund der Tatsache, dass 38,09 % der Zuwandernden Kinder im Alter von 0 bis 15 Jahren sind, stellt die Bildung das wichtigste Handlungsfeld dar. Mit erfolgreichen Bildungsverläufen tragen die Kinder nicht nur zur Sicherung des Fachkräftebedarfs, sondern auch zur Integration ihrer Familien bei. Im Zentrum steht die Sicherstellung des Schulbesuchs, die angesichts steigender Zuzugszahlen und der prekären Lebenslagen der zugewanderten Familien eine äußerst komplexe Herausforderung darstellt. Allen Kindern stehen unmittelbar nach ihrem Zuzug nach Duisburg eine Beratung und anschließend eine schulische Förderung zu, zunächst in Vorbereitungsklassen. Über die bestehende Schulpflicht muss erst einmal aufgeklärt werden.

Das Kommunale Integrationszentrum der Stadt Duisburg hat im Jahr 2014 1.432 Kinder und Jugendliche beraten. Davon sind 254 aus Bulgarien und 462 aus Rumänien. Viele der Kinder und Jugendlichen haben eine geringe Schulerfahrung, und müssen sich daher nicht nur Deutsch in Wort und Schrift aneignen, sondern auch eine grundständige Bildung nachholen. Oftmals besteht Alphabetisierungsbedarf, und Kinder mit bulgarischer Herkunft müssen das lateinische Schriftsystem erlernen. Häufig fehlen Schulzeugnisse aus dem Heimatland. Sprachliche Barrieren der Eltern erfordern den Einsatz von Dolmetschern oder herkunftssprachlichen Fachkräften. Längere Lernzeiten, als die gemäß Erlasslage auf zwei Jahre begrenzte, sind oftmals erforderlich, ebenso besondere Kompetenzen des Lehrpersonals, die durch passgenaue Fortbildungsangebote ausgebaut werden.

Dies, sowie die stetige Ausweitung der schulischen Kapazitäten, insbesondere in den Vorbereitungsklassen, erfolgt in Duisburg in gemeinsamer Aktion von Stadt und Land (Drucksache-Nr. 15-0302). So existierten im Schuljahr 2014/2015 insgesamt 105 Vorbereitungsklassen an allen Schulformen. Alle diese Faktoren führen zu einem erhöhten Personal- und Verwaltungsaufwand, der die bereits angespannte Haushaltslage strapaziert.

Herausforderungen im Lebensbereich Wohnen Duisburg ist mit vielen, renovierungsbedürftigen und leer stehenden Wohnungen ein Zuzugsschwerpunkt. Die Vermietung oft sehr baufälliger Wohnungen, für die Mieter schwer zu finden sind, erfolgt oft mit überhöhten Mietpreisen an die Zuwandernden, die ihrerseits aufgrund ihrer nicht gesicherten finanziellen Verhältnisse kaum Chancen auf dem seriösen Wohnungsmarkt haben. So kommt es zu Überbelegungen und folglich zu problematischen Mietsituationen. Das Ergebnis für die Unionsbürgerinnen und -bürger ist ein Übergang von den prekären Lebensverhältnissen in der Heimat in neue prekäre Lebensverhältnisse in Deutschland.

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Im 2014 wurde eine Task Force „Problemimmobilien“, zusammengesetzt aus vielfältigen Fachbereichen und Behörden, eingerichtet. Die zu überprüfenden Immobilien werden aufgrund verschiedener Kriterien ausgesucht, z. B. baulicher Zustand der Immobilie, Beschwerdelage vor Ort und Meldedaten. In gemeinsamen Ortsterminen wird der Zustand der Objekte nach den einschlägigen Vorschriften, insbesondere dem Wohnungsaufsichtsgesetz NRW, der Landesbauordnung und dem Infektionsschutzgesetz beurteilt. Häufig werden bauliche Mängel, mangelhafte sanitäre Anlangen, gefährliche elektrische Anlagen, Schädlingsbefall und Vermüllung festgestellt. Im Jahr 2014 wurden zehn Häuser mit 142 Wohnungen überprüft. Die vorgefundenen Mängel sind oftmals so gravierend, dass einzelne Wohnung oder Häuser direkt geräumt und geschlossen werden mußten.

Herausforderungen im Lebensbereich Gesundheit Beim Zuzug nach Duisburg sind die Möglichkeiten ärztlicher Behandlung durch fehlenden bzw. eingeschränkten oder schwer zu aktivierenden Krankenversicherungsschutz stark eingeschränkt. Dies ist insofern gravierend, als der gesundheitliche Zustand sowie der Impfstatus oftmals ärztliche Interventionen erforderlich machen. So hatten zum Beispiel 90 % der Kinder und Jugendlichen aus Südosteuropa in den Jahren 2007 bis 2013 bei Schuleingangsuntersuchungen einen fehlenden bzw. ungeklärten Versicherten- und Impfstatus. Kinder und Jugendliche rumänischer und bulgarischer Herkunft müssen zwar in ihren Heimatländern vorversichert sein, es fehlen jedoch zum Teil Dokumente, und es mangelt an Mitwirkung und/oder Kenntnis der Betroffenen. In der Konsequenz gestaltet es sich für die Zielgruppe schwierig eine Krankenversicherung in Deutschland zu erhalten, zumal es auch zu Abrechnungsschwierigkeiten mit der Vorversicherung kommt. Die komplexen Fragen, die im Zusammenhang mit der Klärung eines eventuell vorhandenen Versicherungsschutzes im Heimatland oder dem Zugang zur hiesigen – gesetzlichen oder privaten – Krankenversicherung entstehen, stellen die Fach- und Beratungskräfte in den Hilfestrukturen „vor Ort“ häufig vor große Probleme. Die mangelhafte gesundheitliche Basisversorgung erschwert jedoch auch die Integration in die Stadtgesellschaft, Kindergärten, Schulen und Arbeitsverhältnisse.

Im Sommer 2014 hat das Gesundheitsamt der Stadt Duisburg in Kooperation mit der AWO-Integrations gGmbH mit der Umsetzung eines Sprechstundenmoduls „Das GesundheitsNetz“ in Duisburg-Hochfeld begonnen. Dadurch werden Minderjährige ohne Versicherungsschutz mit einer kostenlosen Basisgesundheitsversorgung unterstützt. Medizinisches Fachpersonal und sich ehrenamtlich engagierende Kinderärzte untersuchen hier vor Ort. Des Weiteren wurde ein Netzwerk an Heilberuflern (MediNetz) ins Leben gerufen, die bei Bedarf unentgeltlich für eine weiterführende Behandlung zur Verfügung stehen. Mehr als drei Viertel (77 %) der Patienten sind unter 10 Jahren.

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Resultierende Aufgabenstellung für die Kommune Die sich aus der Lebenswirklichkeit der Zuwanderer ergebenden strukturellen Probleme und Regelungsdefizite können seitens der Kommune lediglich punktuell angegangen werden, da die kommunalen Handlungsspielräume durch Vorgaben determiniert sind, die auf Landes-, Bundes oder EU-Ebene entschieden werden. Zudem sind die erforderlichen Kosten für nachhaltig wirksame Maßnahmen, z. B. in den Handlungsfeldern Qualifizierung, Wohnen und Jugendhilfe (hier besonders die notwendige Unterbringung in Kindertageseinrichtungen) für die besonders von der Armutszuwanderung betroffenen Kommunen nicht aufzubringen. Daher sind eine Koordinierung aller Einzelmaßnahmen, ein abgestimmtes Handeln aller behördlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure und eine gezielte Fördermittelakquise Grundvoraussetzung, um die wichtigsten Ziele im Kontext der Zuwanderung zu verfolgen. In Duisburg besteht Konsens über die zentralen Ziele „Sicherung des sozialen Friedens“, „Mindeststandards für Kinder“ und „Integration in den Arbeitsmarkt“ (Drucksache Nr. 11-1934). Auf dieser Basis sind seit März 2013 verbindliche Arbeits- und Entscheidungsstrukturen installiert, sodass Handlungsstrategien und -ansätze entwickelt werden konnten (Drucksache Nr. 13-0029/), mit denen Integrationsmaßnahmen für die Zugewanderten aus Südosteuropa vorgehalten und Verbesserungen für das Zusammenleben in der Duisburger Stadtgesellschaft erzielt werden konnten. Hervorzuheben sind hier die bereits beschriebene Etablierung des „MediNetz“ sowie die erhebliche Ausweitung der Förderkapazitäten für schulpflichtige Kinder und Jugendliche.

Durch Akquise von Landes-, Bundes- und EU-Mitteln sowie Stiftungsgeldern konnten weitere Projekte umgesetzt werden: „Unser Haus Europa“, gefördert durch das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales (MAIS) und den Europäischen Sozialfonds (ESF) und durchgeführt in Kooperation von Kommune und Gesellschaft für Beschäftigungsförderung (GfB), zielt auf Arbeitsmarkintegration und ist mit den Bausteinen Erstberatung, Kompetenzfeststellung und Basisqualifizierung für Helfertätigkeiten, Deutschförderung sowie Coaching auf die Bedarfslage der Zielgruppe ausgerichtet. Mit dieser Maßnahme konnten mehrere hundert Personen erreicht und über 100 in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse vermittelt werden. Die angedockten niederschwelligen Begegnungsstätten (AWO-Integrations gGmbH), ermöglichen durch ergänzende Beratungsangebote und offenen Austausch Zugänge und schaffen Vertrauen. Der Tatsache, dass die Unionsbürgerinnen und -bürger aufgrund ihrer Hilfebedürftigkeit häufig Ziel von massiver Ausbeutung sind, wird so entgegengewirkt.

Das Projekt „Integrationslotsen“, finanziert durch Fördermittel des Landes NRW beim Verein „Sprachförderung Duisburg e. V.“ zielt auf eine Unterstützung der Zuwandernden ab, um diese an ein selbstständiges Leben heranzuführen, damit sie eine eigene Lebensgrundlage für sich und ihre Familie sichern.

Fünf der acht Lotsen kommen aus Rumänien und drei aus

Schwerpunkt EU-Zuwanderung aus Südosteuropa: Chancen und Risiken

Bulgarien. Durch ihre Herkunft können sie die sprachlichen Barrieren zu den Zugewanderten überwinden und sie auf Augenhöhe in ihrem Integrationsprozess begleiten und unterstützen. Sie verstehen sich als Bindeglied und Brückenbauer zwischen städtischen Institutionen und Zuwanderern. Ihre Vermittlungsstärke und Vermittlungskompetenz hilft bei der sozialen, sprachlichen, schulischen, beruflichen und kulturellen Integration. Durchschnittlich bewältigen die acht Integrationslotsen 180 Einsätze pro Monat.

In dem Modellprojekt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge „Unterstützung und Begleitung für Neuzuwanderer aus südeuropäischen, südosteuropäischen Ländern und den EU-8-Staaten bei einer Integrationskursteilnahme“ können in Duisburg 500 Berechtigungsscheine für Integrationskurse an die Zielgruppe anteilig auf zwei Jahre ausgegeben werden. Die sprachliche Förderung zielt zum einen auf die Arbeitsmigration der Unionsbürgerinnen und -bürger ab. Zum anderen soll aber auch der soziale Frieden gesichert werden, da durch Sprache erst eine Verständigung, nicht nur mit Kindergärten oder Behörden, sondern auch mit Nachbarn möglich ist. Dadurch können bestehende Vorurteile abgebaut werden.

Von der „Open Society Initiative for Europe“ gefördert, wird die qualitative Studie „Neuzuwanderer und Alteingesessene in deutschen Städten – bulgarische und rumänische Zuwanderer und ihre Wahrnehmung durch die alteingesessene Bevölkerung“, die NUREC e. V. in Zusammenarbeit mit der Stadt Duisburg durchführt, um zur Objektivierung der Erkenntnisse und Meinungen über die Neubürgerinnen und -bürger aus Rumänien und Bulgarien beizutragen. Erste Ergebnisse liegen im Herbst 2015 vor. Die Studie soll einen Beitrag zur Versachlichung der politischen Diskussion leisten, Informationen für gezielte Maßnahmen in den Bereichen Ordnungs-, Beschäftigungs-, Gesundheits-, Wohnungs- und Integrationspolitik bereitstellen und eine „größere“ repräsentative Studie vorbereiten.

Ausblick Die von der Armutszuwanderung besonders betroffenen Kommunen wie Duisburg haben ihre Herausforderungen angenommen und führen Maßnahmen zur Integration und zur Sicherung des sozialen Friedens, teils aus eigenen Mitteln, teils mit externer Unterstützung durch. Um die erzielten Erfolge zu stabilisieren und ausbauen zu können, ist es erforderlich, dass erfolgreiche Projekte über die jeweils begrenzten Zeiträume hinaus finanziell unterstützt werden. Daher wird eine optimale Inanspruchnahme bereits angekündigter bzw. ausgeschriebener Förderprogramme sowie eine Akquise weiterer Finanzmittel im Zentrum des Bemühens stehen müssen. Dafür wurde im Oktober 2014 die Projektgruppe/ Task Force „Finanz- und Fördermittelakquise“ etabliert, die die Kompetenzen der Fördermittelexperten mit den Kompetenzen der jeweiligen Fachämter bündelt.

Begleitend dazu werden Anregungen und Initiativen in Richtung Land, Bund und EU mit dem Ziel einer minimalen bürokratischen Ausgestaltung der Antrags-, Umsetzungs- und Abrechnungsmodalitäten von Förderprogrammen sowie einer gerechten Verteilung der Finanzmittel an die Kommunen weiterhin verfolgt. Dies wird unter anderem durch die aktive Mitwirkung der Stadt Duisburg in der AG „Zuwanderung von Menschen aus Rumänien und Bulgarien“ des Deutschen Städtetages erfolgen.

Wünschenswert und für die nachhaltige Wirksamkeit aller bereits initiierten, umgesetzten und geplanten Maßnahmen dringend erforderlich, ist eine verlässliche und längerfristige finanzielle Perspektive. Nur so können die Kommunen die erforderliche Basisversorgung hinsichtlich Gesundheit, Wohnen und Bildung insbesondere für die nachwachsende Generation so sicherstellen, dass die von den Zuwanderern erhoffte Lebensperspektive Wirklichkeit werden kann.

Literatur Böckler, Stefan (2015): Armutszuwanderung nach Deutschland und in deutsche Städte: Mythos und/oder Realität? In: Stadtforschung und Statistik, 2.

Drucksache-Nr.: 11-1934 „Handlungskonzept der Stadt Duisburg zum Umgang mit der Zuwanderung von Menschen aus Süd-

ost- Europa“ auf: https://www.duisburg.de/ ratsinformationssystem/bi/vo0050.php?__ kvonr=20058906 Drucksache-Nr.: 13-0029/5 „Dritter Sachstandsbericht zum Handlungskonzept der Stadt Duisburg zum Umgang mit der Zuwanderung von Menschen aus Süd- Ost- Europa“ auf: https://

www.duisburg.de/ratsinformationssystem/bi/ vo0050.php?__kvonr=20065938&search=1 Drucksache-Nr.: 15-0302 „Aktuelle Situation des Schulbesuchs für zugewanderte Kinder und Jugendliche“ auf: https://www.duisburg.de/ ratsinformationssystem/bi/to0040.php?__ ksinr=20055990&toselect=129888

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Stadtforschung

Ulrich Stein

Die Struktur der Migrantenökonomie in Stuttgart – Sonderauswertung des Unternehmensregisters Über die Struktur der Migrantenökonomie ist wenig bekannt, da die Nationalität von Unternehmern in aller Regel nicht erfasst wird oder erfasst werden kann. Dennoch bietet sich das bei den Statistischen Landesämtern geführte Unternehmensregister als Datenquelle für eine Auswertung zur Migrantenökonomie an.

Die in diesem Register enthaltenen Daten stammen von der Bundesagentur für Arbeit, von Finanzbehörden und aus einzelnen Bereichsstatistiken, wie z. B. aus Erhebungen des Produzierenden Gewerbes, des Handels und des Dienstleistungsbereichs. Die Nationalität eines Unternehmers ist kein Merkmal des Unternehmensregisters. Mit Hilfe einer Namensanalyse kann jedoch die Nationalität bzw. der Migrationshintergrund der Unternehmer ermittelt werden.

Ulrich Stein Dipl.-Ökonom, nach langjähriger Tätigkeit am Statistischen Landesamt Baden-Württemberg und am Statistischen Amt der Landeshauptstadt Stuttgart seit 2015 als freier Statistiker tätig. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Preisanalysen im Immobilienbereich, Datenanalysen und Modellrechnungen, statistische Beratung : info@stein-statistik.de Schlüsselwörter: Unternehmensregister – Migrantenökonomie – Methodik – Migrationshintergrund – Stuttgart

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Einleitung Die Nationalität von Unternehmern ist eher ein Stiefkind in der statistischen Berichterstattung. Dies hat verwaltungspraktische, aber auch inhaltliche Gründe. Die Nationalität von Unternehmern ist für die Verwaltung als Information immer nur von Bedeutung (und steht dann einer statistischen Auswertung offen), wenn es darauf ankommt, eine verantwortliche Person zuverlässig identifizieren zu können. Beispielsweise wird die Nationalität und der Geburtsort bei Gewerbean-, ab- oder ummeldungen erhoben, wenn eine natürliche Person den Ansprechpartner darstellt (= bei Personengesellschaften). Inhaltlich besteht die Schwierigkeit, dass eine Kategorisierung nach der Nationalität bei wichtigen Arbeitgebern wie den größeren Kapitalgesellschaften (organisiert z. B. als Aktiengesellschaften oder GmbHs), dem öffentlichem Dienst oder den Kirchen wenig angebracht ist und auch dem Selbstverständnis dieser Institutionen nicht unbedingt entsprechen dürfte. Es handelt sich hier um juristische Personen, mit eigener Rechtspersönlichkeit ohne Nationalität. Diese ist letztlich natürlichen Personen vorbehalten.

Als Datenquelle für eine Auswertung zur Migrantenökonomie bietet sich das bei den Statistischen Landesämtern geführte Unternehmensregister an. Hierbei handelt es sich um eine regelmäßig aktualisierte Datenbank, in der alle Unternehmen verzeichnet sind, die entweder umsatzsteuerpflichtig sind (mehr als 17.500 Euro Umsatz/Jahr) oder mindestens einen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aufweisen. Die im Register enthaltenen Daten stammen von der Bundesagentur für Arbeit, von Finanzbehörden und aus einzelnen Bereichsstatistiken, wie z. B. aus Erhebungen des Produzierenden Gewerbes, des Handels und des Dienstleistungsbereichs. Die Nationalität eines Unternehmers ist kein Merkmal in dieser Datenbank. Mit Hilfe einer Namensanalyse kann jedoch die Nationalität/der Migrationshintergrund der Unternehmer ermittelt/vermutet werden. Aufgrund der längeren Datenlieferungswege und dem Datenbereinigungsbedarf weisen die Daten des Unternehmensregisters einen zweijährigen Zeitverzug auf (die hier präsentierten Daten beziehen sich auf den Datenstand 2011, für weitergehende Analysen der Stuttgarter Migrantenökonomie vgl. Gieck und Stein 2015.).

Stadtforschung

Ergebnisse der Auswertung Segmentierung der Wirtschaft Die Stuttgarter Gesamt-Ökonomie wird im Kontext dieser Auswertung gedanklich in drei Segmente unterteilt. Das erste Segment umfasst die Institutionen (juristischen Personen) ohne Gewinnabsicht (öffentlicher Dienst, Kirchen, Vereine).

Ihnen kann eine Nationalität des Gründers nicht oder nicht sinnvoll zugeordnet werden. Auch steht dieses Segment für eine „Unternehmensgründung“ oder für eine unternehmerische Aktivität im Wesentlichen nicht offen. Etwa ein Fünftel aller Beschäftigten arbeitet in diesem Segment.

Im zweiten Segment sind die gewinnorientierten Kapitalgesellschaften mit weiter Kapitalstreuung zusammengefasst. Auf dieses Segment entfallen etwa ein Viertel der Arbeitsplätze und ein entsprechend hoher Anteil an der wirtschaftlichen Wertschöpfung. Die Unternehmen in diesem Segment könnten aufgrund ihrer globalen Tätigkeit und Kapitalstreuung aber nur noch schwer der von deutschen oder nicht-deutschen Unternehmern geprägten Ökonomie zugeordnet werden. Ihr Geschick bestimmen leitende Angestellte, die im Auftrag der Kapitaleigentümer handeln (beispielsweise wurde der Anteil am Grundkapital der Daimler AG im Februar 2015 nach Angaben des Unternehmens nur zu 32,1 % in Deutschland gehalten (Daimler 2015). Zwar handelt es sich bei den bedeutendsten Vertretern dieses Segments (Daimler AG, Porsche AG, Allianz AG usw.) ursprünglich um „deutsche“ Unternehmen. Allerdings wurden sie vor mehr als einer Berufslebensspanne gegründet und haben sich zu „Weltkonzernen“ entwickelt. Für eine unternehmerische Aktivität von Einzelpersonen steht diese Art der Unternehmensorganisation und Kapitalbeschaffung zudem kaum offen. Die Institutionen/Unternehmen im ersten und zweiten Segment stellen im Kontext einer Analyse zur Migrantenökonomie eher „neutrale“, keinem Herkunftsland zuzuschlagende Institutionen dar.

Das dritte Segment der Ökonomie setzt sich aus den durch ihre Unternehmer geprägten Unternehmen zusammen, unterteilt noch in einen von Unternehmern deutscher Herkunft geprägten Teil und die „Migrantenökonomie“. In diesem Segment befinden sich die in der Analyse stehenden Personengesellschaften und die GmbHs. Es umfasst 29 300 (= 91 %) der 32.400 Stuttgarter Betriebsstätten und 186.000 (= 58 Prozent) der 350.200 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (Datenstand 2011). Bezogen auf die gewinnorientierten Unternehmen der Gesamtökonomie sind 98 Prozent der Betriebsstätten und 78 Prozent der Beschäftigten dem „unternehmergeprägten“ Segment zugehörig. Die Nationalität des Unternehmers kann über die Namensanalyse letztlich für 24.700 Betriebsstätten mit 129.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ermittelt werden, also in 84 Prozent der potenziell möglichen Fälle.

Gründer nicht-deutsch sind. Dieser Anteil beträgt 14,0 Prozent, wenn statt der Nationalität der Migrationshintergrund des Gründers/der Gründer betrachtet wird. Bezogen nur auf das von Unternehmern geprägte Wirtschaftssegment betragen die entsprechenden Anteile der Migrantenökonomie an den Beschäftigten 14,7 Prozent (Nationalität) beziehungsweise 24,1 Prozent (Migrationshintergrund).

An der Zahl der gegründeten Betriebsstätten (als einem Indikator für die unternehmerische Initiative) gemessen, gewinnt die Migrantenökonomie an rechnerischem Gewicht. 29,9 Prozent der Betriebsstätten im unternehmergeprägten Teil der Wirtschaft werden von Migranten geführt (18,6 Prozent von Ausländern). Für die unternehmerische Aktivität in der Stadt ist die Migrantenökonomie also bedeutsamer als für den Arbeitsmarkt.

Die Frage der Bedeutung der Migrantenökonomie für den Standort Stuttgart ist letztlich nur vor dem Hintergrund eines Erkenntnisziels zu beantworten. Stellt man sich die Gesamtwirtschaft als einen Kuchen mit 12 Kuchenstücken vor, vereint die Migrantenökonomie letztlich 1 bis 3,5 Kuchenstücke auf sich, je nachdem welcher Kuchen verteilt werden soll (Betriebe oder Beschäftigte) und als wie groß der zu verteilende Kuchen definiert wird (unternehmergeprägte Wirtschaft oder Gesamtwirtschaft).

Betriebsgrößenstruktur Im Folgenden werden die strukturellen Unterschiede zwischen den von Unternehmern mit beziehungsweise ohne Migrationshintergrund geführten Betrieben vorgestellt. Die Fragen richten sich danach, in welchen Branchen Unternehmer mit Migrationshintergrund relativ stark vertreten sind, welche Branchenvorlieben je nach dem Herkunftsland des Unternehmers bestehen, wie groß die Unternehmen sind und in welchen Gebieten in der Stadt die der Migrantenökonomie zugehörigen Betriebe verstärkt anzutreffen sind.

Abbildung 1: Anteil der Betriebe der Migrantenökonomie in Stuttgart 2011 nach der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten

Aufgrund der Vielzahl von inhaltlichen und praktischen Fallstricken in der Auswertung ist die Frage, welchen Beitrag die Migrantenökonomie zur Gesamtwirtschaft stellt, letztlich schwierig zu beantworten. Bezogen auf die Gesamtwirtschaft (= die drei hier unterschiedenen Segmente zusammengefasst) arbeiten 8,5 Prozent der Beschäftigten in Betrieben, deren

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Stadtforschung

Tabelle 1: Beschäftigtengrößenstruktur der Stuttgarter Betriebe im Unternehmensregister im Jahr 2011

Abbildung 2: Anteil der Betriebsstätten der Migrantenökonomie an allen Betriebsstätten in Stuttgart 2011

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Stadtforschung

Zur Vereinfachung erfolgt diese Analyse vorwiegend für das dritte Segment der Wirtschaft, also dem von Unternehmern geprägten Teil, in dem der Markteintritt eines Unternehmers im Regelfall auch erfolgt. Zur höheren Übersichtlichkeit wird auch nur der Migrationshintergrund der Unternehmer und nicht zusätzlich noch die Nationalität betrachtet. Als Indikator wird vorrangig die „Zahl der Betriebsstätten“ gewählt, also eher der unternehmerischen Initiative als der Bedeutung für den Arbeitsmarkt Beachtung geschenkt.

Insgesamt sind die Betriebsstätten in der Migrantenökonomie nur etwas kleiner als im unternehmergeprägten Segment der Wirtschaft. 4,2 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte weist ein Betrieb eines Unternehmers mit Migrationshintergrund im Schnitt auf. Bei den Unternehmern im unternehmergeprägten Wirtschaftssegment insgesamt sind es 5,2. Der Anteil der Betriebsstätten ohne Beschäftigte beträgt in der Migrantenökonomie 54 Prozent (vgl. Abbildung 1) und entspricht so in etwa, wie auch die Betriebsgrößenstruktur insgesamt, dem Durchschnitt in der unternehmergeprägten Wirtschaft.

Deutlich dagegen sind die Unterschiede in der Betriebsgrößenstruktur zwischen der unternehmergeprägten Wirtschaft und der Gesamtwirtschaft. Durch den Einbezug aller Segmente, steigt der durchschnittliche Bestand an Beschäftigten je Betrieb auf 10 (vgl. Tabelle 1).

Räumliche Verteilung Die räumliche Aktivität der Unternehmer mit Migrationshintergrund in Stuttgart ist in Abbildung 2 zu erkennen. Gelb eingefärbt sind die Gebiete mit einem durchschnittlich hohen Anteil der Betriebe der Migrantenökonomie an allen Betrieben im unternehmergeprägten Segment der Ökonomie (um die 30 Prozent). Rötliche Farbtöne weisen auf die Gebiete mit hohen Anteilen an Betrieben der Migrantenökonomie hin, grüne auf relativ niedrige. Das Kartenbild entstand, indem für jeden Kartenpunkt die 30 nächstliegenden Betriebsstätten ermittelt wurden und für diese 30 Betriebsstätten der Anteil an Migrantenbetrieben berechnet wurde. Das räumliche Muster der Aktivität der Migrantenökonomie entspricht in etwa dem der räumlichen Verteilung der Wohnorte der Migranten. Das heißt, dass die Betriebsstätten von Unternehmern mit oder ohne Migrationshintergrund tendenziell wohnortnah liegen.

Des Öfteren dürfte die Adresse der Betriebsstätte/des Büros der Wohnadresse der Wohnung entsprechen (die Selbstständigkeit also von zuhause aus betrieben werden). Auch liegt in den Fällen, in denen die Dienstleistungen dem Kunden wohnortnah angeboten werden sollen, eine Spezialisierung des Unternehmers auf die Kunden der eigenen Ethnie nahe. Im Ergebnis sind die zur Migrantenökonomie zählenden Betriebe im nördlich gelegenen Stadtgebiet (entlang des Neckartals und in Zuffenhausen) relativ stark vertreten. Auf Stadtbezirksebene weisen Zuffenhausen und Bad Cannstatt mit 41 beziehungsweise 37 Prozent die höchsten Anteile an Betrieben der Migrantenökonomie auf. Die niedrigsten Anteile sind in Sillenbuch (21 %) und Degerloch (22 %) festzustellen.

Herkunftsländer In der Tabelle 2 sind die Betriebe nach der Herkunft der Unternehmer aufgeschlüsselt. Innerhalb der Migrantenökonomie

Tabelle 2: Betriebsanteile nach Branchen und Migrationshintergrund in der unternehmergeprägten Wirtschaft

Abbildung 3: Anteil der Betriebe innerhalb der Migrantenökonomie in Stuttgart 2011 nach Migrationshintergrund der Unternehmer

stellen die aus Ländern des ehemaligen Jugoslawiens stammenden Unternehmer mit einem Betriebsanteil von 14 Prozent die größte Zahl an Betrieben. Die Betriebe hinzugerechnet, die von Unternehmern mit türkischem, italienischem, griechischem, spanischem oder portugiesischem Migrationshintergrund geleitet werden (die also aus den klassischen Anwerbeländern stammen), ergeben in der Summe etwa die Hälfte der Betriebsstätten der Migrantenökonomie (vgl. Abb. 3).

Branchenstruktur Die Branchenwahl der Unternehmer aus Deutschland und weiterer deutschsprachiger Länder weicht von derjenigen der Unternehmer mit Migrationshintergrund relativ stark ab (siehe Tabelle 3). Deutlich häufiger als in der Migrantenökonomie anzutreffen sind von deutschstämmigen Unternehmern geführte

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Stadtforschung

Betriebe im Bereich der freien Berufe, der Warenherstellung, dem Gesundheits- und Sozialwesen und der Finanzdienstleistungen/Versicherungen. Dagegen wählen Unternehmer mit Migrationshintergrund überproportional häufig eine Tätigkeit im Gastgewerbe, im Bereich der Verkehrs-/Post- und Kurierdienste, in der Gebäudebetreuung und im Kfz-Handel/der Kfz-Reparatur. In den sonstigen Branchen (z. B. der Informationstechnologie und Finanzdienstleistungen) sind Unternehmer mit und ohne Migrationshintergrund ähnlich oft in der Branchenstruktur vertreten. Die Branchenpräferenzen deuten insgesamt auf unterschiedlich hohe, durch Sprachkenntnisse und berufliche Qualifikation bedingte Markteintrittsbarrieren hin. In der Konsequenz konzentrieren sich die Unternehmer in der Migrantenökonomie tendenziell auf Branchen, die niedrigere Voraussetzungen an die Qualifikation der Unternehmer stellen. In der Folge dürften die Unternehmer in der Migrantenökonomie größerer Konkurrenz ausgesetzt sein, als die vor Neueintritten besser geschützten Marktnischen aktiven deutschstämmigen Unternehmer.

Mit dem Begriff „Migrantenökonomie“ wird nahegelegt, dass die strukturellen Unterschiede innerhalb der Migrantenökonomie kleiner sind als die zwischen der von deutschstämmigen Unternehmern geprägten Ökonomie und der Migrantenökonomie. Diese Denkweise ist trügerisch, denn innerhalb der Migrantenökonomie sind die Unterschiede zwischen den Ethnien in der Branchenwahl ebenfalls groß. Eine den deutschen Unternehmern vergleichbare Branchenwahl weisen z. B. Unternehmer auf, die aus angelsächsischen/skandinavischen

Ländern, Frankreich, Russland und mit Abstrichen aus dem spanischen oder portugiesischen Sprachraum stammen.

In der Tabelle 3 sind die Ethnien und die Branchen aufgeführt, für die sehr charakteristische ethnische Strukturunterschiede zu beobachten sind. So ist die relativ große Bedeutung des Gastgewerbes in der Migrantenökonomie v. a. auf Unternehmer mit griechischem, italienischem, asiatischen, indischen und türkischem Migrationshintergrund zurückzuführen. Bei allen diesen Herkunftsnationen spielt das Gastgewerbe eine doppelt so wichtige Rolle als in der Gesamtökonomie. Am attraktivsten ist das Gastgewerbe für die Unternehmer, die aus dem griechischen Sprachraum stammen: Knapp ein Drittel aller griechischen Unternehmer sind in der Gastronomie tätig.

Der hohe Anteil der Baubranche in der Migrantenökonomie ist im Wesentlichen auf Unternehmer aus Ex-Jugoslawien zurückzuführen: jeder fünfte Unternehmer mit (ex-)jugoslawischem Migrationshintergrund ist im Baubereich tätig. Unternehmer aus dem arabischen Sprachraum weisen dagegen eine hohe Branchenneigung für den Kfz-Handel/die Kfz-Instandhaltung auf (vgl. Tabelle 4).

Frauenanteil Erkenntnisse zur Geschlechtsstruktur der Unternehmer in der Migrantenökonomie/der unternehmergeprägten Ökonomie können aus einer Unternehmensregisterauswertung nicht abgeleitet werden. Hier muss auf eine Auswertung der Gewerbeanmeldungen (von Personengesellschaften) zurückgegriffen werden (die folgenden Daten beziehen sich auf

Tabelle 3: Branchen und Ethnien mit besonders starken Abweichungen in der Branchenstruktur*

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Stadtforschung

den Zeitraum 2004 bis 2011): Die Wahrscheinlichkeit, dass innerhalb eines Jahres ein Stuttgarter Einwohner mit Migrationshintergrund eine Gewerbeanmeldung vornimmt/eine Betriebsstätte gründet ist mit 1 Prozent pro Jahr um ein Drittel höher als die bei Einwohnern ohne Migrationshintergrund (0,6 Prozent/Jahr). Dieser Unterschied darf allerdings nicht überbewertet werden, da der freiberufliche Bereich (mit relativ vielen deutschen Gründern) in der Gewerbeanzeigenstatistik unberücksichtigt bleibt. Der Frauenanteil unter den Gründern in der Migrantenökonomie beträgt 27 Prozent. Er liegt damit um 7 Prozentpunkte unter dem Wert der Gründer ohne Migrationshintergrund (34 Prozent).

Methodik der Unternehmensregisterauswertung Wie oben erwähnt, weisen die Daten des Unternehmensregisters einen zweijährigen Zeitverzug auf. Wenn wie an dieser Stelle v. a. Erkenntnisse zur Struktur gewonnen werden sollen und die Datenaktualität entsprechend nicht von zentraler Bedeutung ist, stellt das Unternehmensregister die vollständigste und belastbarste Informationsquelle zum Unternehmensbestand dar. Jedoch enthält das Unternehmensregister das Merkmal „Nationalität“ nicht. Auf Umwegen (einer Analyse von Nachnamen oder Nachnamensbestandteilen in der Anschrift eines Unternehmens/eines Unternehmers oder dem Firmennamen) lässt sich die Herkunft eines Unternehmers jedoch abschätzen.

Die Namensanalyse und Zuordnung einer Nationalität ist aber in einigen Fällen inhaltlich nicht sinnvoll: 6 Prozent aller im Unternehmensregister verzeichneten Unternehmen sind Vereine, Religionsgesellschaften, Gebietskörperschaften und Genossenschaften. Diese Institutionen sind in der Summe zwar bedeutende Arbeitgeber und stellen knapp ein Fünftel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Stuttgart.

Abbildung 4: Kreis der Unternehmen/Institutionen in Stuttgart, bei denen die Zuordnung einer Nationalität (sinnvoll) möglich ist

Wegen der oft fehlenden Gewinnabsicht sind sie in einem engeren Sinne aber nicht unternehmerisch tätig und weisen zudem als juristische Personen keine Nationalität auf. Auch bei Aktiengesellschaften und ausländischen Gesellschaftsformen ist eine Zuordnung einer Nationalität inhaltlich nicht sinnvoll.

Die Gesellschaften sind juristische Personen ohne Nationalität.

Die z. T. unter Sach- oder Fantasienamen firmierenden Gesellschaften entziehen sich zudem relativ oft einer Namensanalyse. Diese wenigen (Groß-)Unternehmen vereinen ein weiteres Viertel der Stuttgarter Beschäftigten auf sich.

Auch in dem Namen der am weitesten verbreiteten Form der Kapitalgesellschaft, der GmbH, muss in der Firmierung kein Name einer natürlichen Person auftauchen. Jedoch liegen hier Geschäftsführung und das Kapital an der Gesellschaft oft noch in einer Hand oder in wenigen Händen und oft taucht der Name des Gründers im Namen der Firma auf. Die Vermutung, dass der Geschäftsführende auch der Gründer ist, liegt bei den GmbHs nahe, vor allem, wenn die GmbH keine weiteren Angestellten als den Geschäftsführer hat. Sehr zuverlässig sind dagegen bei den Ein- und Mehrpersonengesellschaften die Nachnamen der Unternehmer, der Firmierung oder der Anschrift im Unternehmensregister zu entnehmen und stehen für die Nationalitätszuordnung zur Verfügung.

Der Kreis der Unternehmen mit auswertbaren Namensinformationen umfasst letztlich 91 Prozent aller im Unternehmensregister enthaltenen Betriebsstätten, die allerdings zusammen „nur“ 58 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aufweisen (vgl. Abbildung 4). Aber auch in den einer Zuordnung von Nationalitäten grundsätzlich berücksichtigten Fällen ist eine Zuordnung nicht immer möglich: Letztlich verbleiben etwa 24.700 Betriebsstätten mit 129.000 Beschäftigten in der Auswertung. Die Zuordnung einer Nationalität/eines Migrationshintergrunds ist somit in 84 der Prozent Fälle, in denen es inhaltlich sinnvoll ist, möglich. Aus Datenschutzgründen erfolgten alle geschilderten Rechen- und Arbeitsschritte beim Statistischen Landesamt Baden-Württemberg, da Namensund Adressinformationen nicht vom Statistischen Landesamt an Dritte weitergegeben werden dürfen.

Rechenweg Sind die Nachnamensbestandteile aus den entsprechenden Merkmalsspalten herausgelesen, kann nun die Nationalität/ der Migrationshintergrund des Unternehmers zugeordnet werden, genauer: eine Nationalitäten-Wahrscheinlichkeit beziehungsweise die Wahrscheinlichkeit eines Migrationshintergrunds. Die „Nationalitätenstruktur“ eines Namens leitet sich aus dem Stuttgarter Einwohnerregister her: Mit welcher Wahrscheinlichkeit weist ein erwachsener Einwohner mit dem Nachnamen X, die Nationalität Y auf? In 80 Prozent der 92.000 in Stuttgart anzutreffenden Nachnamen ist diese Zuordnung eindeutig, was aber auch daran liegt, dass die meisten Nachnamen selten sind und oft nur von wenigen Familien getragen werden. Je häufiger ein Nachname ist und je größer das Gebiet, in dem er vorkommt, auf desto mehr Nationalitäten verteilt sich tendenziell ein Nachname. Der Nachname „Garcia“ weißt z. B. zu 62 Prozent auf einen spanischen Migrationshintergrund hin, zu 9 Prozent auf eine deutsche Herkunft,

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Stadtforschung

zu 5 Prozent auf eine mexikanische, zu 3 Prozent auf eine portugiesische usw. (auch die Dominikanische Republik, die USA, Kolumbien, Brasilien, Kuba, Angola, Peru und Frankreich tauchen auf dieser „Garcia-Liste“ auf ). Tabelle 4 enthält beispielhaft für einige herkunftslandspezifisch häufige Namen die Wahrscheinlichkeiten, mit der ein Namensträger die Nationalität/den Migrationshintergrund des Landes aufweist.

Gering sind dabei die Unterschiede in der Nationalitäts- und Migrationshintergrundwahrscheinlichkeit v.a. bei Menschen, die aus EU-Mitgliedsländern stammen. Erstrebenswerter scheint hingegen die Einbürgerung für Menschen zu sein, die aus Nicht-EU-Staaten (wie z. B. der Türkei) stammen (zum Unterschied zwischen Nationalität/Staatsbürgerschaft und Migrationshintergrund siehe Infokasten 1).

Im einfachen Fall, dass einem Unternehmen nur ein Nachname zugeordnet ist, wird in den weiteren Berechnungen das Unternehmen gedanklich gemäß der „Nationalitäts-/ Migrationshintergrunds-Bestandteile“ des Namens „zerlegt“.

Ein „Garcia-Unternehmen“ wird also zu 62 Prozent spanisch, zu 9 Prozent deutsch, … Handelt es sich nun um eine Mehrpersonengesellschaft, wird der Fall komplizierter. Wenn z. B. ein Herr Garcia und eine Frau Müller ein Unternehmen gemeinsam führen/gründen, werden die jeweiligen Anteile zunächst addiert und dann durch die Zahl der vorhandenen Unternehmer dividiert. Garcia deutet zu 9 Prozent, Müller zu 91 Prozent auf eine deutsche Herkunft des Gründers hin. Der Migrationshintergrund des durchschnittlichen Gründers wäre dann im Mittel zu 50 Prozent deutsch (= (9+91)/2). Der „Spanien-Anteil“ betrüge 31 Prozent (= (62+0)/2).

Literatur Daimler (2015): Aktionärsstruktur nach Region 28.02.2015. Online unter http://www.daimler.com/investor-relations/daimler-aktie/aktionaersstruktur (Abruf 18.05.2015) Gieck, Jochen; Stein, Ulrich (2015): Stuttgarter Unternehmer mit Migrationshintergrund. Eine Studie zur Stuttgarter Migrantenökonomie. In: Statistik und Informationsmanagement 74, Monatsheft 3/2015. S. 84–114.

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Tabelle 4: Zusammenhang zwischen Nachname und Nationalität/Migrationshintergrund gemäß dem Stuttgarter Einwohnerregister (Stand 2011)

Infokasten 1 „Migrationshintergrund“ Als Einwohner mit Migrationshintergrund zählen in der Einwohnerstatistik alle Ausländerinnen und Ausländer, Eingebürgerte, im Ausland geborene Deutsche sowie Aussiedlerinnen und Aussiedler. Kinder unter 18 Jahren, von denen mindestens ein Elternteil einen Migrationshintergrund hat, zählen ebenfalls zu den Einwohnern mit Migrationshintergrund (familiärer Migrationshintergrund). Der Ausländeranteil an der erwerbsfähigen Stuttgarter Bevölkerung (18 bis 64-Jährige) betrug Ende 2011 26 Prozent, der Anteil der Erwerbstätigen mit Migrationshintergrund 40 Prozent. 35 Prozent der erwerbsfähigen Einwohner mit Migrationshintergrund haben die deutsche Staatsbürgerschaft.

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Claus Schlömer und Jana Hoymann

Sinn und Unsinn bei der Raumordnungsprognose

Die Raumordnungsprognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadtund Raumforschung (BBSR) ist eine wichtige Ergänzung zu den kommunalen Stadtprognosen. Sie ist überwiegend mittel- bis langfristig orientiert, und die aktuelle Ausgabe umfasst zudem den Zensus. Die Raumordnungsprognose bietet vor allem eine abgestimmte und konsistente Sicht aller Stadt- und Landkreise.

Sie verwendet dagegen kein lokales Detailwissen, welches die Bevölkerungsentwicklung beeinflussen könnte.

1

Raumordnungsprognose und Zensus

Die neue Raumordnungsprognose (ROP) des BBSR ist die achte Version seit der deutschen Einigung. Sie umfasst den Prognosezeitraum zwischen den Jahresenden 2012 und 2035. Die große Besonderheit dieser ROP 2035 besteht darin, dass in ihr erstmals der Zensus 2011 berücksichtigt wird.

Im Jahr 2011 wurde – nach jahrzehntelanger Pause – eine Volkszählung im weiteren Sinne durchgeführt. In den alten Ländern waren es 24 Jahre, in den neuen Ländern sogar 30 Jahre ohne Zensus. Nach deren Ergebnis erwiesen sich die bis dato geführten Bevölkerungsstatistiken als korrekturbedürftig. Insbesondere der gezählte Bevölkerungsbestand erbrachte eine um ca. 1,5 Mio. kleinere Bevölkerungszahl als jene, die als Fortschreibung aus der letzten Volkszählung und den zwischenzeitlich angefallenen Bevölkerungsbewegungen (Geburten, Sterbefälle, Wanderungen) errechnet worden war.

Besonders betroffen davon waren die meisten Städte. Die Ursache dafür ist, dass überproportional viele Personen aus Städten ins Ausland abwandern, es aber keine überprüfbare Abmeldepflicht gibt. Allerdings haben die aktuell hohen Außenwanderungsgewinne die Städte wieder „aufgefüllt“.

Dr. Claus Schlömer Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Referat I 1 „Raumentwicklung“, Bonn : Claus.Schloemer@bbr.bund.de

Der Hauptzweck einer Raumordnungsprognose liegt darin, Erkenntnisse über künftige Entwicklungen für die Raumordnungspolitik von Bund und Ländern bereitzustellen. Raumordnung benötigt als übergeordnete, überörtliche und zusammenfassende Planung Informationen, die sie bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützen. Da die Bevölkerung in vielen fachlichen Bereichen eine zentrale Rolle spielt, ist unmittelbar einsichtig, dass eine Bevölkerungsprognose gerade für diese Zwecke zukunftsbezogene Informationen bereitstellen kann und muss. Dazu zählen aber auch die Entwicklung der privaten Haushalte und die Entwicklung der Erwerbspersonen als Grundlage für das Arbeitsangebot. Die Raumordnungsprognose 2035 betrachtet deshalb drei Merkmalsgruppen: Bevölkerung, private Haushalte und Erwerbspersonen. Hier wird aber nur die Bevölkerungsprognose behandelt. Die beiden anderen Prognosen werden bei Schlömer et al. (2015) aktuell vorgestellt. Eine ausführliche Dokumentation des Modells befindet sich in Schlömer (2012).

Schlüsselwörter: Prognose – Bevölkerung – Kreise – Deutschland

Das Konzept der Raumordnungsprognose 2035 wurde gegenüber den vorangegangenen Versionen beibehalten. Es

Dr. Jana Hoymann Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Referat I 1 „Raumentwicklung“, Bonn : Jana.Hoymann@bbr.bund.de

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handelt sich weiterhin um eine zweckgebundene Prognose für die Politikberatung, um eine Status quo-Prognose bezüglich ausgewählter politischer Rahmenbedingungen, um eine mittelfristige Prognose, um eine Prognose für ganz Deutschland, deren räumliche Teilergebnisse der nunmehr 402 Kreise Mosaiksteinchen für die Gesamtschau darstellen.

Die Prognosemodelle verlangen ein Festlegen von Parametern, die sich auf die Zukunft beziehen. Es handelt sich dabei um Raten, die bestimmte Verhaltensmuster beschreiben. In der Regel werden diese Parameter für längere Zeiträume der Vergangenheit ermittelt und mit einer inhaltlichen Begründung in die Zukunft verlängert. Wichtige Basis für die Analysen der Vergangenheit sind in sich konsistente Zeitreihen, die als Stützzeiträume für die Annahmen fungieren. Der Zensus 2011 löste diese Kontinuität auf, die Zeitreihen weisen einen Strukturbruch auf. Deshalb mussten die bewährten Verfahren mehr oder weniger modifiziert werden. Um gleichwohl mit langjährigen Erfahrungswerten arbeiten zu können, wurde teils auf Annahmen der bisher aktuellen ROP 2030 (Schlömer 2012) zurückgegriffen und diese mit neu gewonnenen Erkenntnissen aus dem Zensus kombiniert. Einzig die künftigen internationalen Zuwanderungsströme werden im Prognosemodell nicht mit Raten aus der Bevölkerung abgeleitet, sondern in absoluten Werten festgelegt. Solche Annahmen sind von der aktuellen Bevölkerungsstatistik unabhängig und bedürfen insofern keiner Zensuskorrektur. Im Folgenden werden die zensuskorrigierten Annahmensätze vorgestellt.

2

Annahmen und Methodik

Die Modellparameter zum Fertilitätsverhalten wurden zensuskorrigiert. Mit den korrigierten Bestandszahlen und den aktuellen Geburten der Jahre 2010 bis 2012 wurden bereinigte Fertilitätsraten – und als ein Sammelindikator dieser altersspezifischen Werte – die zusammengefasste Geburtenziffer (total fertility rate, TFR) berechnet. Diese konnten verglichen werden mit den bisher verwendeten, fehlerbehafteten Raten.

Die relative Abweichung zwischen den beiden TFR-Werten auf der Kreisebene wurde als Korrekturfaktor verwendet. Der komplette Annahmensatz der ROP 2030 wurde um dieses Vielfache angehoben – oder gesenkt. Damit wurde der Niveaueffekt der Zensuskorrektur voll berücksichtigt, ein möglicher altersstruktureller Effekt in den einzelnen Kreisen hingegen nicht.

Dieser Fehlerquelle wird eine vernachlässigbare Auswirkung zugeschrieben, da bereits der Niveaueffekt relativ gering ist.

Die bis 2030 erreichten Werte der TFR wurden als konstant auch für die folgenden fünf Jahre angenommen. Auch dies ist vertretbar, empirisch wegen der hohen Zeitstabilität des Fertilitätsverhaltens und konzeptionell wegen des Status-quoCharakters dieser Prognose.

Die Modellparameter zum Mortalitätsverhalten basierten bisher auf Arbeiten des Statistischen Bundesamtes für die gesamträumliche Ebene. Der Annahmensatz für die untere Variante der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung wurde für die ROP 2030 räumlich ausdifferenziert. Für den Gesamtraum bis 2035 weisen die Männer eine Lebenser-

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wartung von 81,7 und die Frauen von 86,4 Jahren auf. Im Statistischen Bundesamt wurden seit 2012 intensive Prüfungen unternommen, inwiefern die Zensuskorrektur der Bevölkerung Auswirkungen auf die alters- und geschlechtsspezifischen Mortalitätsraten und – als deren Gesamtindikator – auf die Lebenserwartung hat. Ergebnis war, dass mit der korrigierten Bevölkerung nur solch geringe Abweichungen auftraten, dass die Amtliche Statistik für die neu erstellte Vorausberechnung bei ihren bisherigen Annahmen bleiben kann. Auf diese Annahmen greift das BBSR wiederum zurück. Die Prognose des Mortalitätsverhaltens auf Bundesebene reicht bis 2060. Sie deckt damit die Verlängerung des Prognosezeitraums in der ROP ab. Die räumliche Ausdifferenzierung, erst auf die Raumordnungsregionsebene und letztlich auf die Kreisebene folgt dem bisherigen Schema.

Die Modellparameter des Binnenwanderungsmodells konnten teils beibehalten werden und mussten teils korrigiert werden.

Die Beschreibung des Binnenwanderungsverhaltens ist zweistufig angelegt. Mobilitätsraten geben den Anteil einer Bevölkerungsgruppe an, der im Verlaufe eines Jahres seinen Wohnstandort wechselt. Von wo nach wo dieser Umzug stattfindet, ist die Frage der zweiten Stufe. Diese Verflechtung zwischen Herkunft und Ziel einer Wanderung wird mit Informationen ermittelt, die vom Zensus unabhängig sind und somit keiner Korrektur bedürfen. Anders die Mobilitätsraten. Analog zu den Neuberechnungen des Fertilitätsverhaltens wurden für die Jahre 2010 bis 2012 zensuskorrigierte Fortzugsraten errechnet.

Als Stützzeitraum für die Prognoseannahmen wären diese drei Jahre entschieden zu kurz, da die Fortzüge einzelner Jahre oder kurzer Zeiträume erheblichen Schwankungen unterliegen. Um einen stabilen langjährigen Durchschnittswert für das Mobilitätsverhalten zu ermitteln, wurden deshalb diese korrigierten Raten mit fehlerbehafteten Werten zu einer Gesamtzeitreihe als Stützzeitraum zusammengeführt. Aus ihnen wurden jene Fortzugsraten abgeleitet, die das Binnenwanderungsvolumen im Prognosemodell erzeugen sollen. Hinter dieser Vermischung von zensuskorrigierten und fehlerbehafteten Fortzugsraten steht die Einschätzung, dass der dabei gemachte Niveaufehler geringer ist als bei Verwendung eines, obwohl zensuskorrigiert, kurzen Stützzeitraumes.

Das Ziel, über die Auswahl des Stützzeitraumes aktuelle und gleichzeitig stabile, mithin prognosefähige Daten zu gewinnen, ist nur als Kompromiss erreichbar. Ein solcher optimaler Zeitraum kann theoretisch in jeder Region anders aussehen.

Er könnte auch für bestimmte Altersgruppen oder Wanderungsformen jeweils separat gewählt werden. Weil aber jeder Fortzug aus einer Raumeinheit gleichzeitig einen Zuzug in eine andere Raumeinheit darstellt, wäre eine solche Annahmensetzung, nicht mehr konsistent, so plausibel sie auch aus der Sicht einzelner Regionen oder Städte sein kann. Es ist also ein gemeinsamer Zeitraum zu wählen, der insgesamt prognosefähig ist. Diese Erwartung ist die zentrale Annahme im Bereich der Wanderungen.

Die Außenwanderungen sind die bei weitem schwierigste Komponente bei der Annahmensetzung. Trennt man wiederum zwischen dem Wanderungsvolumen und dessen Ver-

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ortung nach Herkunft und Ziel, dann lassen sich immerhin relativ stabile räumliche Muster erkennen. Das Niveau der Außenwanderungen, Zuzüge mehr noch als Fortzüge, zeigt im Zeitverlauf so große Schwankungen wie sonst keine andere Komponente der Bevölkerungsbewegungen. Auch wird keine andere Komponente so stark politisch diskutiert und beeinflusst. Prognostiker lösen in der Regel - das Niveauproblem, indem sie mehrere Varianten für das internationale Wanderungsgeschehen anbieten; - das Verlaufsproblem, indem sie erst gar nicht versuchen, Aussagen zum zeitlichen Verlauf der Außenwanderungen zu treffen. Stattdessen wird gerne ein langfristiger Durchschnittswert vorgegeben und allenfalls der Übergang zwischen dem aktuellen Wert zu Prognosebeginn und diesem Durchschnittswert verstetigt.

Diesem Schema folgt die ROP 2035 ebenfalls. Allerdings werden in der ROP keine Varianten angeboten. Als langfristiges Niveau der Nettowanderungen wird ein jährlicher Gewinn von ca. 200 Tsd. Personen angenommen. 2013 war der Saldo allerdings mehr als doppelt so hoch und 2014 wurde sogar der dreifache Saldo registriert. Als Anpassungsphase werden die fünf Jahre bis 2018 vorgegeben, in denen sich eine Halbierung der Nettowanderungen vollziehen soll. In der Summe der 23 Prognosejahre kommt es dann zu rund 4,9 Mio. Personen an Nettowanderungen oder einem durchschnittlichen jährlichen Gewinn von knapp 212 Tsd. Dieser Wert liegt relativ nahe bei dem Langfristwert des bisherigen Wanderungsgeschehens seit Gründung der Bundesrepublik, etwas niedriger als der Durchschnitt seit der Einigung. Nach unserer Einschätzung ist dieser mittlere Wert der Vergangenheit eher eine Untergrenze für das künftige Geschehen.

Die seit 40 Jahren anhaltende niedrige Fertilität der Bevölkerung hat sich in der Altersstruktur der Bevölkerung niedergeschlagen. Der Anteil Frauen zwischen 15 und 45 Jahren wird im Zeitraum 1990 bis 2035 von 21,6 % auf 15,8 % gesunken sein (-4,8 Mio. Frauen). Der Alterungsprozess der Bevölkerung, bestehend aus der sinkenden Anzahl junger und der steigenden Anzahl älterer Menschen wird sich nach 2025 beschleunigen und erst in den 2040er Jahren seinen Höhepunkt erreichen. Durch weiterhin niedrige Geburtenzahlen und die Alterung der Bevölkerung wird sich der Sterbeüberschuss bis 2035 gegenüber 2012 verdoppeln und 7 Mio. Personen umfassen. In diesem Zeitraum können die Außenwanderungsgewinne die Sterbeüberschüsse nicht mehr ausgleichen. Die Bevölkerung wird um 2,2 Mio. auf 78,2 Mio. abnehmen.

Karte 1: Sehr sinnvoll: Veränderung der Bevölkerungszahl 2012 bis 2035 in Prozent

Das Prognosemodell arbeitet jedoch nicht mit Nettowanderungen. Statt eines Wanderungssaldos müssen vielmehr Zuzüge und Fortzüge festgelegt werden. Diese Bruttoströme haben jeweils eigene altersstrukturelle und räumliche Eigenschaften.

Wanderungen beeinflussen in einem sekundären Effekt nicht nur die Bevölkerungsgröße, sondern auch die künftigen Bevölkerungsbewegungen.

Das Statistische Bundesamt hat in seiner neuesten Prognose von April 2015 zwei Varianten der Außenwanderung angeboten. Nach einer Übergangsphase, in der den hohen Außenzuzügen Rechnung getragen wird, liegt der Wanderungssaldo ab 2021 bei 100 bzw. 200 Tsd. Personen.

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Sinn und Unsinn der Raumordnungsprognose

Der Bevölkerungsprozess besitzt mit seinen verschiedenen Komponenten des demographischen Wandels eine hohe Stabilität. Der Strukturbruch durch den Zensus führt nur zu marginalen Änderungen gegenüber den bisher erwarteten Trends der Dynamik, der Alterung und der siedlungsstrukturellen Entwicklung. Lediglich die Internationalisierung des Bevölkerungsprozesses wird sich aufgrund der höher erwarteten Zuwanderung beschleunigen.

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Abbildung 1: Bedingt sinnvoller Vergleich von Städten und Raumordnungsregionen

Quelle: BBSR-Bevölkerungsprognose 2012-2035/Zensus

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Die Bevölkerungsdynamik in den Regionen verläuft uneinheitlich. Ursache dafür sind neben dem natürlichen Saldo und den internationalen Wanderungsbewegungen die Binnenwanderungen, die die Dynamik verstärken oder abschwächen.

Das Nebeneinander von wachsenden und schrumpfenden Regionen wird durch die Binnenwanderungen akzentuiert.

Langfristig – über 2035 hinaus – tendieren praktisch alle Regionen zur Bevölkerungsabnahme.

Obwohl Karte 1 die Entwicklung aller Kreise darstellt, ist Vorsicht geboten, Ergebnisse einzelner Kreise oder kreisfreier Städte isoliert zu betrachten. Es ist aber erkennbar, dass nur noch die großen städtischen Zentren und ihr Umland eine stabile bzw. wachsende Bevölkerung aufweisen. In Abbildung 1 wird deutlich, dass die zehn ausgesuchten großen Städte in Deutschland alle einen ähnlichen Entwicklungsverlauf nehmen werden.

Bedingt durch hohe Zuwanderungszahlen werden die Städte in den kommenden Jahren weiter wachsen. Erst ab einem Zeitraum um 2025 wird ihre Bevölkerungszahl sinken. Es ist aber schwer zu beantworten, ab welchem Jahr die Bevölkerung tatsächlich sinken wird, oder ob sie den in Abbildung 1 ablesbaren maximalen Bevölkerungswert tatsächlich erreichen wird. Diese Entwicklungen hängen z.B. sehr stark von der Entwicklung der Außenwanderungssalden ab. Diese von politischen Entwicklungen bedingte Größe kann nicht vorhergesagt werden. Es kann aber eine Annahme darüber getroffen werden, wie in der vorliegenden Prognose erfolgt.

So zeigen die Karte 1 und die Abbildung 1, dass zwar einige Kernstädte in Zukunft deutliche Bevölkerungsverluste hinnehmen müssen, die dazugehörige Umlandregion aber noch ein so deutliches Bevölkerungswachstum aufweist, dass es die Verluste der Kernstadt zumindest zeitweise kompensieren

Tabelle 1: Sehr sinnvoller Kreistypenvergleich

Quelle: BBSR-Bevölkerungsprognose 2012-2035/Zensus

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kann. Die Raumordnungsregionen sind zudem relativ groß.

In den meisten Fällen wird sich das Wachstum auf den stadtnahen Bereich konzentrieren.

Tabelle 1 stellt mit einer alternativen Methode, die Ergebnisse sinnvoll räumlich differenziert dar. Sie zeigt die Bevölkerungsentwicklung nach Altersgruppen und siedlungsstrukturellen Merkmalen gegliedert. Hier wird bestätigt, was in Abbildung 1 bereits erkennbar war. Die Städte altern nicht so schnell wie ihr Umland. Proportional wandern auch künftig viele junge Menschen in die großen Städte. Auf Grund der geringen Geburtenzahlen, wird aber die Größe der Nachfolgegeneration immer kleiner. Die Zuwanderung kann diese Entwicklung künftig nicht mehr kompensieren und es kommt zu einer Abnahme der Bevölkerung auch in den großen Städten ab ca. 2025.

Vor allem die ländlichen Kreise (Typ 3 und 4) haben überproportional große Verluste bei den jungen Menschen. Sie können den natürlichen Verlust durch Binnen- oder Außenwanderung meistens (anders als die Städte oder ihr Umland) nicht kompensieren.

Besonders starke Gewinne an Älteren weisen alle Typen außer den kreisfreien Kernstädten auf. Das westdeutsche Umland (Typ 2) der kreisfreien Städte wächst dadurch bis 2035 noch leicht. Die geburtenstarken Jahrgänge sind in den vergangenen Jahrzehnten, als sie in der Familiengründungsphase waren, ins Umland der Städte (Typ 2) gezogen und altern dort.

Dieses Verhalten sorgt nun dafür, dass der Anteil älterer Menschen im Umland der Städte überproportional steigt. Dieser Kohorteneffekt tritt vor allem in den südlichen Landesteilen zu Tage.

Literatur Bucher, Hansjörg (2014): Der Zensus 2011 und seine Auswirkungen auf demographische Eckwerte. In: Europa regional 20. 2012 (2014) 4, S. 137–149, ergänzt durch eine Deutschlandkarte aus dem IfL. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.) (2012): Raumordnungsbericht 2011. Bonn.

Schlömer, Claus (2012): Raumordnungsprognose 2030: Bevölkerung, private Haushalte, Erwerbspersonen. Analysen Bau.Stadt.Raum, Band 9. Bonn.

Schlömer, Claus; Bucher, Hansjörg; Hoymann, Jana (2015): Die Raumordnungsprognose 2035 nach dem Zensus. BBSR-Analysen KOMPAKT 05/2015. Bonn.

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In den neuen Ländern ist der Anteil älterer Menschen bereits heute hoch. Daher nimmt ihr Anteil im Prognosezeitraum nicht mehr so stark zu wie in den alten Ländern. Eine Ursache dafür war zudem die starke Abwanderung junger Menschen vor allem während der Einigung Deutschlands. Im Zusammenspiel mit dem vorübergehenden Einbruch der Geburtenzahlen zu Beginn der 1990er Jahre ist die Generation der gebärfähigen Frauen im Prognosezeitraum sehr klein.

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Fazit

Die Prognose verwendet kein lokales Detailwissen, welches die Bevölkerungsentwicklung beeinflussen könnte. Stattdessen dienen die Ergebnisse der Kreise und der Raumordnungsregionen als „Mosaiksteinchen“, um ein größeres Gesamtbild für ganz Deutschland zusammenzufügen. Die Prognoseergebnisse der Einzelteile sind nicht das primäre Erkenntnisziel.

Es besteht darin, dass die Regionalergebnisse zu einander in einem abgestimmten und konsistenten Verhältnis stehen.

Insofern liefern regionale Ergebnisse vor allem die relative Position innerhalb gesamträumlicher Prozesse und sind im regionalen Einzelfall zu ergänzen um weiteres Expertenwissen vor Ort. Hier kommt die Stadtprognose ins Spiel.

Die Erläuterung verdeutlicht auch, dass Prognoseergebnisse immer im Kontext vergangener Entwicklungen zu interpretieren sind, in der Regel verschiedener Auswertungsformen bedürfen, um ein sinnvolles Gesamtbild zu erhalten und nicht mit der „Lupe“ auf einzelne Städte geschaut werden darf, sondern der räumliche, zeitliche und politische Kontext zu berücksichtigen ist. Die Raumordnungsprognose und die Stadtprognose können sich gegenseitig nicht ersetzen, beide Prognosearten können sich aber sinnvoll ergänzen.

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Michael Haußmann

Erschließung und Nutzung von kleinräumigen Informationen in der deutschen Städtestatistik

Im föderalen staatlichen Verbund sind die Städte und Kreise diejenigen, die für ihre Aufgaben die feinste Granularität statistischer Daten benötigen. Die größten Herausforderungen sind dabei zum einen die Überwindung von Zugangshürden zur Erschließung von geeigneten Daten, zum anderen der bestmögliche Datenschutz ohne Verlust der Aussagekraft. Nachdem untergemeindliche Ergebnisse von Großzählungen als wichtige Datenquelle für kleinräumige Informationen inzwischen größtenteils versiegt sind, werden Registerstatistiken als Ersatz immer wichtiger. Deren Wert kann unter anderem durch den vermehrten Einsatz von GIS-Technologie mit flexiblen Darstellungs- und Verschneidungsmöglichkeiten vermehrt werden. Auf dem Weg zu einem transparenteren „Open Government“, in dem die Bürger/-innen Planungsentscheidungen besser verstehen und beeinflussen können, kann die Kommunalstatistik ein wichtiger und zuverlässiger Wegbereiter sein. Ein möglicher Beitrag der Städtestatistik zu einer alle föderalen Ebenen umfassenden, integrierten staatlichen Dateninfrastruktur ist nicht nur vor diesem Hintergrund nicht zu gering zu schätzen.

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Die heutige Rolle der Städtestatistik

Mit der Verankerung des Sozialstaatsprinzips in der deutschen Verfassung (Art. 20 GG) ergibt sich die Verpflichtung für den Staat, vorausschauend zu planen. Dies kann nur dann verantwortungsvoll geschehen, wenn passende objektive Grundlageninformationen zur Verfügung stehen. Auf der kommunalen Ebene sind die Städte und Gemeinden nach dem Prinzip der Selbstverwaltungsgarantie (Ar. 28 GG) dabei frei in Ihrer Entscheidung, wie sie sich die notwendigen Informationen besorgen. Im Laufe der vergangenen 150 Jahre hat sich dabei das Netzwerk der deutschen Kommunalstatistik etabliert, in welchem vor allem die größeren Städte sowie einige Kreise und Regionalverbände über abgeschottete Statistikstellen verfügen. Diese sind rechtlich in der Lage, ansonsten dem strengen Datenschutz unterliegende Einzeldaten aufzubereiten und anderen in aggregierter Form weiterzugeben.

Die größte Zielgruppe der Städtestatistik ist traditionell die kommunale Planung, welche die lokale Infrastrukturplanung (u. a. Schulen, Kindertagesstätten, Pflegeheime), die formale Bauleitplanung (u. a. Flächennutzungspläne, Bebauungspläne, Abgrenzung von Sanierungsgebieten) und die konzeptionelle Planung (u. a. Rahmenpläne, Wohnungsmarktkonzepte) umfasst.

Hinzu treten vermehrt Nachfrager außerhalb der Stadtverwaltungen, da die technische Verarbeitung von Statistikinformationen und deren Integration in eigene Projekte deutlich einfacher geworden ist. Zur „klassischen“ Rolle als interner Datenlieferant für spezifische Fragestellungen gesellt sich damit mehr und mehr die Anforderung, als Datenprovider aufzutreten und kommunalstatistische Daten nach außen zugänglich zu machen.

Michael Haußmann Dipl.-Geogr., Leiter der Abteilung Bevölkerung und Wahlen am Statistischen Amt der Landeshauptstadt Stuttgart, seit 2014 Vorsitzender des Verbandes Deutscher Städtestatistiker : michael.haussmann@stuttgart.de Schlüsselwörter: Städtestatistik – VDSt – Big Data – Zensus – Dateninfrastruktur

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Der Datenbedarf der Städtestatistik

Der Datenbedarf der Kommunen ist kleinräumig. Viele kommunale Planungen betreffen lokale Nachbarschaften, die sich teilweise mit Hilfe der Kleinräumigen Gliederung des Stadtgebiets (Baublockseite – Baublock – daraus aggregierte statistische Einheiten) eingrenzen lassen, teilweise werden freie Abgrenzungen gewählt (z. B. Einzugsbereiche). Im Idealfall liegen die Daten georeferenziert auf der Ebene der Gebäu-

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de (Straße/Hausnummer) vor und können so GIS-gestützt flexibel aggregiert werden. Für Planungszwecke werden auf kleinsträumiger Ebene in erster Linie die Zahl und Struktur der Einwohnerinnen und Einwohner, der Gebäude und Wohnungen, der Arbeitsplätze sowie Umwelt- und Verkehrsinformationen benötigt.

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Abbildung 1: Die Hauptaufgaben der Kommunalstatistik

Die Datenquellen der Städtestatistik

Die skizzierten Bedarfe lassen sich heute mit den zugänglichen Datenquellen nur teilweise befriedigen. Dies liegt in vielen Fällen nicht unbedingt an einem Mangel an erhobenen Daten, sondern resultiert vielmehr aus der fehlenden Zugänglichkeit.

3.1 Datenversorgung der Kommunen: Status-Quo Die derzeit wichtigste Datenquelle der Kommunalstatistik ist das Einwohnermelderegister. Dieses ist aus kommunaler Sicht zum einen gut zugänglich, zum anderen durch die entwickelten kommunalen Standards einfach zu erschließen.

Außerdem können mit Hilfe der gemeinsam im KOSIS-Verbund entwickelten Softwarekomponenten wichtige inhaltliche Zusatzinformationen generiert werden.

Es existieren zwar zahlreiche weitere Datenquellen, die für untergemeindliche Datenauswertungen in Frage kommen, hier mangelt es jedoch meist an der Zugänglichkeit, oftmals mit Bedenken bei der datenschutzrechtlichen Abwägung begründet. In Eigenregie oder im Städteverbund durchgeführte Umfragen können Registerauswertungen nicht ersetzen, da diese aufgrund der Stichprobengröße nicht für feinräumige Analysen geeignet sind und nicht alle Städte die entsprechenden Ressourcen zur Durchführung zur Verfügung haben.

Quelle: Eigene Darstellung

3.1 Datenversorgung der Kommunen: Potenziale Um die Datenversorgung der Kommunen deutlich zu verbessern, müssen keineswegs teure zusätzliche Erhebungen durchgeführt werden. Ein gemeindefreundliches Verhalten bei der datenschutzrechtlichen Abwägung, welche bereits heute vorliegenden Daten möglichst auf der Ebene Straße/ Hausnummer an die abgeschotteten kommunalen Statistikstellen weitergegeben werden können, würde bereits einen Quantensprung auslösen.

Tabelle 1: Ausgewählte Datenquellen der Städtestatistik (eigene Darstellung) Datenquelle

Positiv

Negativ

Einwohnermelderegister: Demografie

+ Aktuell + Straße/Hausnummer + Sekundärinfos ableitbar (Haushalte, Migrationshintergrund)

- Derzeit keine ausreichenden Qualitätssicherungsinstrumente - Vielfalt der datenführenden Systeme

Register der Bundesagentur für Arbeit: + Theoretisch Straße/Hausnummer Erwerbstätigkeit, Bildung, + Daten zum Bildungsstand und Pendlerverflechtungen zur Erwerbstätigkeit

-

Eingeschränkte Granularität Teilweise schwer georeferenzierbar Umfasst nicht gesamte Bevölkerung Derzeit Einzelvereinbarungen mit den Städten notwendig

Statistisches Unternehmensregister: Arbeitsstätten und Arbeitsplätze

+ Theoretisch Einzeldaten + Theoretisch Straße/Hausnummer

- Zweigbetriebe werden am Unternehmenshauptsitz erfasst

Gebäude- und Wohnungszählung des Zensus 2011

+ Einzeldaten + Straße/Hausnummer

- Straße/Hausnummer muss gelöscht werden (keine dauerhafte Verfügbarkeit) - Daten können durch statistische Korrekturen in kleinen Raumeinheiten stark von der Realität abweichen

Daten der Bundes- und Länderstatistik + Lange Zeitreihen + Verlässlich und Qualitätsgesichert + Teilweise untergemeindlich aufgliederbar

- Zugang zu untergemeindlich aufgegliederten Daten wird in vielen Fällen nicht gewährt (teilweise unterschiedlich je Land)

Eigene Umfragen

- Nur mit Einschränkungen untergemeindlich aufgliederbar - Kostenintensiv

+ Auf kommunale Fragestellungen exakt zugeschnitten + Teilweise im deutschen oder europäischen Städteverbund koordiniert

Quelle: Eigene Zusammenstellung

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STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

Statistik & Informationsmanagement

Potenziale staatlicher Verwaltungsregister: Um die Potenziale der im Verwaltungsvollzug bereits vorliegenden Daten für die Aufgabenerfüllung der Städte besser erschließen zu können, müssen die Verwaltungsregister mit Hilfe von Qualitätssicherungsmaßnahmen hinsichtlich ihrer Statistik-Tauglichkeit verbessert werden. Dazu bedarf es insbesondere geeigneter gesetzlicher Bestimmungen.

Potenziale künftiger Zensen: Die Städtestatistik sieht keine Zukunft im bisherigen Zensusmodell, das zwar auf den kommunalen Melderegisterdaten basiert, aber umfangreiche und komplexe Korrekturen u. a. mit Hilfe einer HaushaltsStichprobe vorsieht, ohne dass diese Korrekturen in den Melderegistern nachvollzogen werden. Dieses Modell birgt die entscheidende Schwäche, dass zeit- und kostenaufwändige Melderegister-Korrekturen vor jedem Zensus von neuem durchgeführt werden müssen. Die Ergebnisse des Zensus 2011 lagen unter anderem deshalb erst rund vier Jahre nach dem Erhebungsstichtag vollständig vor. Die Klagen von 350 Kommunen gegen die Feststellung ihrer amtlichen Einwohnerzahl im Rahmen des Zensus 2011 indizieren deutlich einen entsprechenden Handlungsbedarf.

Besser wäre es, statt der wiederkehrenden Behandlung der Symptome (rechnerische Korrektur der Melderegisterdaten vor jedem Zensus) die Ursachen zu beheben (nachhaltige Qualitätssicherung des Melderegisterbestands im Verwaltungsvollzug). Daraus würden sich folgende Vorteile ergeben: 1) Es können langfristig Kosten eingespart werden, da Stichprobenerhebungen zur Qualitätssicherung nicht mehr im bisherigen Maße notwendig wären (Zensus 2011: Befragung von rund 10 % der Bevölkerung). Dadurch würde die Bevölkerung auch deutlich weniger belastet.

2) Die Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl wäre wesentlich einfacher und besser nachvollziehbar, die Akzeptanz dürfte deutlich höher sein.

3) Die Inventur statistischer Kennwerte könnte um ein Mehrfaches beschleunigt werden, sodass wir flächendeckend über deutlich aktuellere Daten verfügen könnten (Zensus 2011: Veröffentlichung der Ergebnisse rund vier Jahre nach dem Stichtag).

4) Die Zweigleisigkeit „amtliche/kommunale Einwohnerzahl“ würde aufgehoben, wir hätten in vielen Bereichen auf allen föderalen Ebenen durchgängig konsistente und vergleichbare Statistiken. Dies würde zu einer erheblichen Reduzierung des Anpassungs-Aufwands beispielsweise für Nutzer aus der Wissenschaft und der Privatwirtschaft führen.

Um aktuelle umwelt- und wohnungspolitische Fragestellungen in den Städten beantworten zu können, muss die Gebäude- und Wohnungszählung weiterhin als Vollerhebung durchgeführt und um Fragen z. B. zur Miete, zum Wohnungsleerstand und zum energetischen Gebäudezustand ergänzt werden. Die Städte müssen außerdem in die Lage versetzt werden, aus den Zensusdaten ein dauerhaftes statistisches Gebäude- und Wohnungsregister als Grundlage für die Stadtentwicklungsplanung aufzubauen.

Potenziale von Big Data: Wenn wir unsere Städte „smarter“, d. h. effizienter und sozial gerechter gestalten möchten, werden wir um die vermehrte Nutzung von Prozessdaten, beispielsweise aus der Sensorik oder aus offenen Online-Quellen nicht umhin kommen. Welche Rolle die Städtestatistik spielen wird, dies in einer intelligenten und verantwortungsvollen Weise zu tun, dürfte neben der Entwicklung von neuen Anwendungskonzepten sicherlich ebenfalls entscheidend von der Daten-Zugänglichkeit abhängen.

3.3 Standardisierungsbemühungen der Städtestatistik Wenn Statistikdaten von verschiedenen Providern in einer Dateninfrastruktur nutzbringend bereitgestellt werden sollen, müssen diese miteinander vergleichbar sein. Unterschiedliche Erhebungsmethoden und Definitionen erschweren dies. Deshalb hat sich die Städtestatistik schon früh im Verband Deutscher Städtestatistiker organisiert und bis heute zahlreiche inhaltliche und technische Standards entwickelt. Beispielhaft zu nennen sind dabei etwa die im KOSIS-Verbund entwickelten Softwarekomponenten HHStat, MigraPro und AGK sowie die interkommunalen Datensammlungen KOSTAT, IRB und UrbanAudit.

3.4 Die Städtestatistik als Teil der Dateninfrastruktur In Deutschland entstehen von staatlicher Seite derzeit zwei Zugänge zu standardisierten staatlichen Daten: 1) Im Rahmen der GDI-DE in Form einer technisch und inhaltlich stark regulierten Plattform, die vorrangig auf die Umsetzung der europäischen INSPIRE-Richtlinie abzielt.

2) Im Rahmen der OpenData-Bewegung in einer weniger stark regulierten, freieren Form.

Beiden Ansätzen liegt der Gedanke zu Grunde, dass Daten im Internet gut auffindbar sein müssen und dass die Nutzer über den Inhalt der Daten, deren Qualität und Nutzungsbedingungen einfach Auskunft erhalten können.

Zweifelsohne ist eine Dateninfrastruktur ohne einen städtestatistischen Beitrag nicht vollständig. Gleichwohl erfordert es einen gewissen Aufwand, die Daten dauerhaft auf die neuen Plattformen zu bringen. Da die Kommunalstatistik im Rahmen der Geodatenzugangsgesetze des Bundes und der Länder nicht dazu verpflichtet ist, Daten in der GDI-DE bereitzustellen („Freiwilligkeitsaufgabe“), müssen entsprechende Anreize geschaffen werden, um die Hürden knapper Ressourcen überspringen zu können. Dies gilt analog für OpenData-Portale, auch wenn die Teilnahme hier aus technischer Sicht wohl niederschwelliger zu sein scheint.

4

Fazit: Die Städtestatistik auf dem Weg in die Zukunft

Wohin soll es langfristig gehen? Die Städtestatistik ist sicherlich gut beraten, neben der vorrangigen Erfüllung der stadtinternen Aufgaben verstärkt im Verbund mit verschiedenen Partnern weiter an einem interkommunal standardisierten und gut zugänglichen Datenangebot zu arbeiten. So gewinnen nicht nur die kommunalstatistischen Informationen an Wert, sondern auch die deutsche Dateninfrastruktur insgesamt.

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Anforderungen an künftige Zensen in Deutschland aus Sicht der Städte Die Mitglieder des Verbands Deutscher Städtestatistiker (VDSt) haben auf ihrer Frühjahrstagung 2015 in Chemnitz ohne Gegenstimme ein Positionspapier der Städte zum Zensus 2021 und zu künftigen Zensen in Deutschland verabschiedet. In der Stadtforschung und Statistik wird dieses Papier nochmals dokumentiert:

Die amtlichen Einwohnerzahlen haben auf zahlreichen, die kommunale Ebene betreffenden Themenfeldern und nicht zuletzt für die kommunale Finanzausstattung aller Städte und Gemeinden eine elementare Bedeutung.

Die Städte und Gemeinden benötigen zur Erfüllung ihrer Selbstverwaltungsaufgaben adäquate statistische Daten in untergemeindlicher Gliederungstiefe. Sie sind dabei darauf angewiesen, dass die amtliche Statistik die entsprechenden Daten flächendeckend und vergleichbar periodisch zur Verfügung stellt.

Aus kommunaler Sicht ist es sinnvoll, die amtlichen Einwohnerzahlen und Strukturdaten direkt aus den Verwaltungsregistern zu gewinnen, besonders, wenn diese zuvor in normierter Weise ertüchtigt wurden. Grundsätzlich hätte dies für die Kommunalstatistik den Vorzug von mit der amtlichen Statistik kohärenten Datenquellen.

Die Einwohnerzahlermittlung muss, unter Wahrung der informationellen Selbstbestimmung der Bürger, für die politischadministrativen Entscheidungsträger der kommunalen Ebene vollständig nachvollziehbar und auf dem Rechtsweg gemäß VwVfG vollumfänglich überprüfbar sein.

Die methodisch-statistischen Grundlagen zur Ermittlung und Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl müssen gesetzlich so geregelt und veröffentlicht werden, dass sie das verfassungsrechtlich verbriefte Recht der Kommunen auf interkommunale Gleichbehandlung1 nicht einschränken.

Die Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl bedarf hinsichtlich Methodik, Rechtssicherheit, praktischer Umsetzung und den normierten Qualitätsvorgaben zwingend einer Bewertung durch neutrale und unabhängige Gutachter, die den Zensus kontinuierlich vor, während und nach der Erhebung wissenschaftlich begleiten.

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I. Prozedurale Anforderungen 1. Um die Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit der Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl gewährleisten zu können, sind die erforderlichen Unterlagen sowohl in den abgeschotteten örtlichen Erhebungsstellen als auch in den an der Ergebnisermittlung beteiligten statistischen Ämtern des Bundes und der Länder bis zur Unanfechtbarkeit der Feststellungsbescheide eines Bundeslandes aufzubewahren und den Beteiligten bei Bedarf vollumfänglich zugänglich zu machen.

2. Die normativen Grundlagen künftiger Zensen müssen die rechtsstaatlich gebotene Klarheit und Bestimmtheit erfüllen und für deren Durchführung eine verbindliche Qualitätsvorgabe zur Erreichung eines hohen Grades an Genauigkeit und Wahrheitsgehalt der erhobenen Daten enthalten.

3. Es sind gesetzliche Regelungen zum Rechtsschutz der Kommunen zu treffen.

4. Bei den zutreffenden Regelungen zu Organisations- und Verfahrensfragen im Rahmen des Vollzugs künftiger Zensen durch die Länder ist strikt auf Normengleichheit zu achten.

II. Anforderungen bezüglich des zu erhebenden Datenkatalogs 1. Es ist sicherzustellen, dass grundlegende Strukturdaten zur Bevölkerung im Rahmen von Zensen in untergemeindlicher Gliederungstiefe zur Verfügung stehen. Dazu gehören insbesondere Daten zum Bildungsstand, zur Erwerbstätigkeit, zur Einkommenssituation, zur Religi-

STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

onszugehörigkeit, zu den Pendlerbeziehungen zwischen Wohn- und Arbeitsort und zur Verkehrsmittelwahl. Wie bei früheren Volkszählungen üblich, müssen diese Daten untergemeindlich kleinräumig aufschlüsselbar sein.

2. Die Gebäude- und Wohnungszählung (GWZ) sollte erneut als eigenständige Vollerhebung durchgeführt werden. Aufgrund des spezifischen kommunalen Datenbedarfs und mit Blick auf die dauerhafte Verwendung der GWZ-Ergebnisse als Basis einer kommunalen statistischen Gebäude- und Wohnungsdatei soll die Gebäudeadresse für die Nutzung in einer abgeschotteten kommunalen Statistikstelle als Erhebungsmerkmal eingestuft werden.

Im Rahmen der GWZ sind folgende Merkmale über die bisherigen Mindestanforderungen des EU-Pflichtprogramms hinaus zu erheben: - Wohnungskaltmiete - Heizungsart je Wohnung (nicht je Gebäude) - eingesetzte Heizenergie - Modernisierungsstand/Energiestatus - Energieeffizienz - senioren-/behindertengerechte Ausstattungselemente, wie z. B. rollstuhlgerechter Zugang zum Haus, Aufzug, barrierefreie Wohnungsausstattung - Leerstand (Dauer, Gründe)

III. Anforderungen an die Zensusorganisation Für den Fall, dass der nächste Zensus nach denselben methodischen Grundsätzen wie der Zensus 2011 durchgeführt werden soll, sind die nachfolgenden Anforderungen aus der Sicht der Städte formuliert:

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1. Die umfangreichen Erfahrungen der Kommunen beim Zensus 20112 sind bei der Vorbereitung und Durchführung des neuen Zensus zu berücksichtigen. Die kommunale Seite ist in allen Erhebungsphasen des künftigen Zensus, aufgrund ihrer administrativen und technischen Besonderheiten, in angemessener Form einzubinden.

2. Aufgrund der zentralen Bedeutung des Anschriften- und Gebäuderegisters (AGR) als Ausgangsbasis der Stichprobe sowie als Leitband der Erhebungssteuerung des Zensus, müssen an dessen Aufstellung und Aktualisierung unter unmittelbarer Beteiligung der Gemeinden höchste Qualitätsansprüche gestellt werden.

Beim Aufbau des AGR kann aus kommunaler Sicht auf die Verwendung der Adressdaten der Bundesanstalt für Arbeit verzichtet werden. Eine dauerhafte Speicherung des AGR über den Zensus 2021 hinaus ist zweckmäßig und aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung anzustreben.

3. Das Projektmanagement der Zensusdurchführung ist transparent und unter Einbindung der Kommunen zu errichten; insbesondere notwendig ist eine unverzügliche Kommunikation von Projektänderungen und -verzögerungen.

4. Die zum Einsatz kommenden IT-Verfahren sollten in Zusammenarbeit mit den Kommunen getestet werden.

5. Um die bilaterale Kommunikation zu verfestigen, ist bei den Statistischen Landesämtern dauerhaft ein ZensusMitarbeiterstamm vorzuhalten.

6. Den örtlichen Erhebungsstellen ist für die Durchführung der Haushaltsstichprobe jeweils der Melderegisterabzug zum Zensusstichtag mit den aktuellen Namenslisten der an den Stichprobenanschriften gemeldeten Einwohner an die Hand zu geben.

7. Erhebungsbeauftragte sollten ihre Tätigkeit ehrenamtlich ausüben. Dabei sind eine vollständige Steuerbefreiung der Aufwandsentschädigung und eine abzugsfreie Ausbezahlung dieser an Transferleistungsempfänger bundesweit zu regeln.

8. Verstöße gegen die Auskunftspflicht müssen konsequent als Ordnungswidrigkeit einschließlich der Einleitung von Bußgeldverfahren geahndet werden.

9. Im Rahmen der Ersatzvornahmen der GWZ muss eine unmittelbare Befragung der Auskunftspflichtigen oder ersatzweise der Bewohner durch die Erhebungsstelle möglich sein.

10. Die Möglichkeit einer optionalen Durchführung der GWZ durch eine örtliche Erhebungsstelle ist zu prüfen.

11. Die Bereitstellung der Zensusdaten muss deutlich zeitnäher (spätestens 18 Monate nach dem Stichtag) erfolgen, um einen effizienten Nutzen für die kommunale Planung und Steuerung zu erzielen.

12. In zeitlicher Nähe zur Veröffentlichung der Zensusergebnisse ist ein Qualitätsbericht vorzulegen, dem u. a. Kontrollerhebungen zugrunde liegen.

V. Anforderungen an das Geheimhaltungsverfahren

IV. Anforderungen an die Rückübermittlung der Zensusergebnisse

1. Das vorrangige Nutzungsrecht der Gemeinden für untergemeindliche kleinräumige Daten muss auch bei den Zensusergebnissen beachtet werden.3 2. Im Rahmen der Durchführung des Zensus ist bei Übertragung von Aufgaben auf die Kommunen das Konnexitätsprinzip zu beachten.

1. Die Rückübermittlung der örtlichen Zensusergebnisse der Bevölkerungserhebung sowie der Gebäude- und Wohnungszählung in die abgeschotteten kommunalen Statistikstellen muss auf der Ebene der Adresse und der Einzeldatensätze zur dauerhaften Speicherung erfolgen.

2. Die Kommunen legen insbesondere auch auf die Übermittlung des Einzeldatenbestands vor der Korrektur durch Stichprobe und Hochrechnung Wert.

3. Die rückübermittelten Daten müssen soweit vorkonfektioniert sein, dass sie durch die kommunalen Statistikstellen einfach auswertbar sind, ohne dass der Umfang der Informationen geschmälert wird. Die Beschreibung von „Baukastensystemen“ erfüllt diese Anforderung nicht.

4. Die Rückübermittlung der Zensusergebnisse muss in allen Bundesländern einheitlich erfolgen, um die Erstellung von Importschnittstellen im städtestatistischen Verbund zu vereinfachen.

Im Rahmen des Geheimhaltungsverfahrens müssen die Anforderungen der Kommunen zur Veröffentlichung von untergemeindlichen Daten berücksichtigt werden. Durch die Veröffentlichung z. B. von prätabular geheim gehaltenen Daten darf die Möglichkeit der untergemeindlichen Veröffentlichung durch die Kommunen nicht eingeschränkt werden.

VI. Anforderungen an die Bevölkerungsfortschreibung Regelungen zur Bevölkerungsfortschreibung müssen frühzeitig getroffen werden; insbesondere sind Vorkehrungen zur Verhinderung des Doppelabzugs von „Karteileichen“ zu treffen.

VII. Wahrung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie

1 2

3

Der Zensus 2011 als Problem interkommunaler Gleichbehandlung, Prof. Dr. Mario Martini, Speyer 2011, S. 113 ff.

Deutschlandweite Umfrage der Stadt München unter den Erhebungsstellen, 2012; Dokumentation des VDSt Zensus-Workshops in Karlsruhe, 2013; Erfahrungsbericht des AK Zensus des Städtetags Baden-Württemberg, 2014.

Rechtsgutachten zur Stellung der Städtestatistik von Prof. Dr. Jan Ziekow, Speyer, 2013, S. 78 f.

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Michael Neutze

Gitterbasierte Auswertungen des Zensus 2011

1

Zensusergebnisse auf Gitterbasis – Warum erst jetzt?

Volkszählungen haben als Vollerhebung ihre Stärke in der sehr feinen regionalen Auflösung der Ergebnisse. Unterhalb der Gemeinden gibt es verschiedenste Gliederungen, wovon die kleinste im Allgemeinen die Blockseite ist. Es ist diese Blockseite, die lange Zeit als einzige untergemeindliche Auswertungsebene im Bundesstatistikgesetz (§10 Abs. 2 BStatG) vorgesehen war. Nach den Regelungen des Zensusgesetzes 2011 (§22 Abs. 2 ZensG 2011) werden Zensusergebnisse auf Blockseiten nur auf Ersuchen der Kommunen erstellt, nachdem diese der amtlichen Statistik entsprechende Gliederungen vorgelegt haben. Im Ergebnis liegen in Deutschland Zensusauswertungen für Blockseiten nicht flächendeckend vor.

Erst mit der Änderung des BStatG zum 01.08.2013 – also über zwei Jahre nach dem Zensusstichtag, und damit zu einem Termin, zu dem schon erste Zensusergebnisse veröffentlicht worden waren – wurde die regionale Zuordnung der Erhebungsmerkmale zu Gitterzellen rechtlich möglich. Diese Gitterzellen müssen eine Gitterweite von mindestens 100m aufweisen und bei Veröffentlichungen müssen die üblichen gesetzlichen Regelungen zur Geheimhaltung eingehalten werden.

2

Michael Neutze Dipl. Geograph, arbeitet seit 1998 im Statistischen Bundesamt und leitet dort seit 2006 in der Zensusgruppe das Referat „Gebäude- und Wohnungszählung, Veröffentlichungskonzept für den Zensus“. Daneben ist er spezialisiert auf die Informationsvisualisierung im Internet. : michael.neutze@destatis.de Schlüsselwörter: Zensus 2011 – Georeferenzierung – INSPIRE – Gitterzelle – Rasterdaten

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Der Zensusatlas – Erste Beispielanwendung für Visualisierung auf dem 1 km-Gitter

Bei einer Fläche Deutschlands von annähernd 360.000 km² sind Statistiken schon mengenmäßig auf dem 1 km-Gitter nicht mehr tabellarisch darstellbar, noch dazu lassen sie sich auch ausschnittsweise kaum in Tabellenform interpretieren, da nur die wenigsten Menschen überhaupt eine Vorstellung von der Verortung einer Gitterzelle haben dürften.

Entsprechend ist eine Visualisierung in Kartenform notwendig, die neben der statistischen Information als Farbflächenkarte auch Orientierungspunkte (Hauptstädte, Grenzen, Verkehrswege, Flüsse etc.) in Form von einblendbaren Kartenebenen anbieten muss. Aufgrund der mit 1 km Seitenlänge schon recht feinen Auflösung sind Vergrößerungs- und Suchfunktionen unabdingbar.

Im April 2015 haben die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder im Rahmen ihres Internetauftritts zensus2011.de

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einen Zensusatlas mit insgesamt zehn thematischen Karten aus den Bereichen Bevölkerung und Wohnen veröffentlicht.

Diese Beispielanwendung ermöglicht erstmals einer breiten Öffentlichkeit eine Vorstellung von gitterbasierten statistischen Ergebnissen. Insbesondere die grenzenlose Darstellung zwischen Stadt und Umland mit durchgängig vergleichbaren kleinsträumigen Einheiten in Form der 1 km-Gitterzelle macht die Vorteile dieser Auswertung sofort deutlich.

Bei der Beschäftigung mit dem Atlas kann es häufig vorkommen, dass man die Orientierung verliert und es wird erforderlich, zusätzliche Kartenebenen einzublenden. Damit wird deutlich, dass die Einheitlichkeit der Gitterzellen auf der Habenseite die Vergleichbarkeit bietet, diese Gleichförmigkeit aber eben künstlich ist und keine lebensweltliche Entsprechung findet.

Zu allen im Atlas angebotenen Karten sind auch die Daten als kostenfreier Download auf zensus2011.de verfügbar. Dabei wird für die Verhältniszahlen (z. B. Anteil der unter 18-Jährigen) sowohl die Variante mit klassierten Werten angeboten, die der Darstellung im Atlas direkt entspricht, als auch mit spitzen Werten, die sich dann in andere Klassen einteilen lassen.

Der Vorteil der klassierten Daten liegt darin, dass über die Zusammenfassung in vordefinierte Klassen (z. B. 60 bis unter 80 m²) auch Werte dargestellt werden können, die bei spitzer Angabe (z. B. 75 m²) geheim gehalten werden müssten. Der Da-

tensatz der spitzen Werte enthält daher eine deutlich höhere Zahl an Gitterzellen, die aus Geheimhaltungsgründen keine Daten enthalten können. Aus diesem Grund ist es auch nicht möglich, dass im Online-Atlas Klassengrenzen eigenständig verändert werden können.

Das Gitter wurde entsprechend dem europäischen INSPIRE Standard definiert und sichert so die bestmögliche Vergleichbarkeit zu anderen Statistiken.

3

Gitterbasierte Daten als Bausteine zur Bildung beliebiger Aggregate – Anwendungsfälle des 100 m-Gitters

Die Nutzung von Gitterdaten steht erst am Anfang und es kann noch nicht gesagt werden, ob und für welchen Maßstab die Farbflächenkarten wie im vorgenannten Atlas die Hauptnutzung sein wird. Gerade auf der Ebene des 100 m-Gitters werden die Besetzungszahlen mitunter sehr niedrig. Durch das datenverändernde Geheimhaltungsverfahren können insbesondere bei niedrigen Besetzungszahlen hohe relative Abweichungen entstehen, so dass die nachgewiesenen Werte einer einzelnen Zelle nur bedingt verlässlich sind.

Die 100m-Gitterzelle hat aber eine ganz andere Stärke. Sie ist so fein, vergleichbar mit der Größe eines Fußballfeldes, dass

Abbildung 1: Der gitterbasierte Zensusatlas mit einem Ausschnitt von Berlin und Umland

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damit beliebige andere räumliche Abgrenzungen wie mit Pixeln ausgefüllt werden können. Solche Abgrenzungen können Belastungspuffer entlang von Emissionsquellen (Flughafen, Eisenbahntrasse, Autobahn) sein. Aber auch administrative Abgrenzungen, die sich im Zeitverlauf durch Gebietsreformen verändert haben, können so näherungsweise abgebildet werden. Gleichzeitig enthalten die dauerhaft gespeicherten Einzeldaten aber keinen Anschriftenbezug, womit Anforderungen des Datenschutz umgesetzt werden.

4

Fallbeispiel Einzugsgebiet von Einkaufszentren

Zur Verdeutlichung des bisher gesagten wollen wir als Fallbeispiel für eine Aggregatbildung aus normierten Gitterzellen das Einzugsgebiet zweier Einkaufszentren betrachten, das sich über jeweils mehrere Bundesländer erstreckt. Es handelt sich dabei um das Rhein-Neckar-Zentrum an der Südspitze Hessens, das die Agglomeration Mannheim-Ludwigshafen zu seinem Einzugsbereich zählt. Zum anderen das Einkaufszentrum Nova Eventis (ehem. Halle-Saale Park) zwischen Leipzig und Halle. Abbildung 2 zeigt übersichtsartig auf der Deutschlandkarte die beiden Standorte sowie die betrachteten Einzugsgebiete mit einem Radius von 20 bzw. 30 km.

Die betroffenen Bundesländer weisen eine unterschiedliche Gemeindestruktur auf und die These ist, dass ein Vergleich der Einzugsgebiete auf administrativer Ebene dadurch das Ergebnis zusätzlich verfälschen könnte. Bei unserer Betrachtung werden die Verkehrsanbindung von Siedlungskernen und damit die Reisezeiten zu dem jeweiligen Zielpunkt außer Acht gelassen.

Das Beispiel soll lediglich einen stark vereinfachten Anwendungsfall vorstellen. Wenn in der kommunalen Raumplanung Reisezeiten zu einem Standort in Form von Isochronen-Karten vorhanden sind, so können die nachfolgenden Berechnungen damit in gleicher Weise durchgeführt werden und würden ein noch realistischeres Bild des Einzugsbereichs ergeben.

In einem Geographischen Informationssystem (GIS) wurden für den entsprechenden Ausschnitt die Bevölkerungsdaten im 100 m-Gitter geladen sowie die Gemeindegrenzen zum Zensusstichtag. Um die Standorte der Einkaufszentren wurden Einzugsgebiete von 20 bzw. 30 km Radius gebildet und somit die Gemeinden bzw. Gitterzellen bestimmt, die von diesem Radius ganz oder teilweise eingeschlossen werden. Für die so selektierten Einheiten wurde die Summe der Einwohner gebildet.

Tabelle 1 zeigt das Ergebnis als absolute Bevölkerungszahl, den prozentualen Unterschied der beiden Berechnungsmethoden sowie als Anhaltspunkt für die Gemeindestruktur die Anzahl der betroffenen Gemeinden.

Abbildung 2: Lage und Größe der untersuchten Einzugsbereiche von Einkaufszentren

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STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

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Tabelle 1: Aggregatbildung über administrative Grenzen bzw. geographische Gitter im Vergleich Rhein-Neckar

Nova Eventis

Einzugsbereich im Radius von …

20 km

30 km

20 km

30 km

Gitterzellen 100 m

1.180.391

1.786.044

742.189

1.154.694

Gemeinden

1.377.687

2.015.513

1.051.273

1.394.536

16,7 %

12,8 %

41,6 %

20,8 %

61

165

29

70

Bevölkerung am 9. Mai 2011 in …

Relative Abweichung Gemeinde vs. Gitterzelle Zahl der Gemeinden

Es bestätigt sich die These, dass mit der 100m-Gitterzelle eine beliebige Form (hier ein Kreis mit Radius 20 bzw. 30 km) genauer ausgefüllt werden kann als mit der Aufsummierung von Gemeindedaten. Ebenfalls ist gut zu sehen, dass es in einer vergleichbaren Fläche an der Grenze von Sachsen-Anhalt und Sachsen weniger Gemeinden gibt als in dem entsprechenden Gebiet zwischen Hessen, Baden-Württemberg und RheinlandPfalz. Im Umkehrschluss führen die größeren Gemeinden zu einer höheren Abweichung der berechneten Bevölkerungszahl zwischen dem Gitteransatz und der Aufsummierung der Gemeindedaten. Am Rande sei bemerkt, dass der 20 kmEinzugsbereich des Rhein-Neckar Einkaufszentrums bereits über so viele Einwohner verfügt, wie es bei dem Nova-Eventis Zentrum erst in einem 30 km Radius gibt.

5

Fazit

Dieser Beitrag sollte die beiden Anwendungsfälle des kleinräumigen Bezugssystems Gitterzelle für den Zensus 2011 beleuchten. Einerseits die Farbflächenkarten, die von ihrer Art her an das bekannte Vorgehen bei administrativen Abgrenzungen anknüpfen. Hier besteht der Vorteil, dass auch für große Gemeinden wie u. a. Hamburg und Berlin eine mit dem

jeweiligen Umland vergleichbare untergemeindliche Darstellung möglich wird und damit die Prozesse insbesondere an der Grenze zwischen Stadt und Umland genauer untersucht werden können. Andererseits erkauft man sich diese Darstellung mit dem Verlust des Wiedererkennungseffektes von natürlichen Grenzen (Flussläufe etc.). Karten auf Gitterbasis benötigen daher immer eine Hintergrundkarte, die die Orientierung anhand von Verkehrswegen und Gebäudeblöcken ermöglicht.

Es kann nicht oft genug gesagt werden, dass gitterbasierte Auswertungen solche auf administrativer Ebene nicht ersetzen, sondern nur ergänzen können. Schließlich wird eine Reihe von politischen Handlungsfeldern (Gewerbesteuerhebesätze u. v. a. m.) eben gerade für administrative Einheiten entschieden und nicht für künstliche Gitterzellen.

Während der Zensusatlas mit der 1 km-Gitterzelle eine weithin sichtbare Anwendung für die Öffentlichkeit darstellt, ist die Funktion der 100 m-Gitterzellen zur Bildung von Aggregaten eher eine Form der Sonderauswertung. So schicken z. B. Forschungsinstitute aus ihrem Arbeitsgebiet gewonnene Lärmpegelmessungen rund um Flughäfen in Form von Shapefiles an die statistischen Ämter, die diese mit den Zensusdaten verschneiden und damit für solche Betroffenheitsklassen die aufaggregierten Daten berechnen.

STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

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Statistik & Informationsmanagement Praxis

Ann-Kristin Häusler

Neue Wohnungsmarktprofile für alle Kommunen in Nordrhein-Westfalen

Seit 2009 gibt es die Wohnungsmarktprofile der NRW.BANK für alle Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen. Sie bieten mit grafisch aufbereiteten wohnungsmarktrelevanten Indikatoren einen ersten Überblick über die Themenfelder Wohnungsbestand, Bautätigkeit, Bevölkerung, Arbeitsmarkt und Soziales sowie Preise und stehen zum kostenlosen Download zur Verfügung. In der nun erschienenen Version, die auf dem Datenstand 2013 basiert, wurde die Indikatorenauswahl überarbeitet, die Datengrundlage an die Zensusergebnisse angepasst und eine umfassende Neugestaltung des Layouts vorgenommen.

Ann-Kristin Häusler M. Sc. Geographie, seit 2009 Referentin bei der NRW.BANK, Bereich Wohnraumförderung, Wohnungsmarktbeobachtung : ann-kristin.haeusler@nrwbank.de Schlüsselwörter: Wohnungsmarkt – Nordrhein-Westfalen – Wohnraumförderung – Zensus 2011

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STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2015

Wie viele Wohnungen wurden in den letzten zehn Jahren fertiggestellt? Wie ist die Alters- und Haushaltsstruktur der Bevölkerung vor Ort, schrumpft oder wächst die Kommune?

Und wie viele Jahresnettoeinkommen muss ein Durchschnittsverdiener aufwenden, um sich hier ein Eigenheim leisten zu können?

Die Wohnungsmarktprofile der NRW.BANK beantworten diese Fragen auf einen Blick.

Bereits seit dem Jahr 2009 veröffentlicht die Wohnungsmarktbeobachtung der NRW.BANK Wohnungsmarktprofile für Nordrhein-Westfalen. Sie sind für alle 396 kreisfreien und kreisangehörigen Kommunen des Landes verfügbar. Jedes Profil enthält grafisch aufbereitete wohnungsmarktrelevante Indikatoren, die Interessierten einen ersten Überblick über die Wohnungsmarktsituation einer Gemeinde ermöglichen. Nach umfangreicher inhaltlicher und gestalterischer Überarbeitung sind die Profile im März 2015 in einer neuen Version mit dem aktuellsten erhältlichen Datenstand 2013 erschienen.

Mit der Neugestaltung der Wohnungsmarktprofile wurden auch die Datenhandhabung und die Produktion der Profile komplett neu aufgebaut. Eine Access-basierte Datenbank ermöglicht dabei die Speicherung der jeweils aktuellsten Daten. Die Erstellung der PDF-Dateien erfolgt fast vollständig automatisiert, die Indikatorensammlung kann für zukünftige Ausgaben flexibel angepasst werden.

Ziel der Profile ist, auch Kommunen – und anderen interessierten Akteuren – mit geringen Personalressourcen im Themenfeld Wohnen eine Grundlage zu geben, um die Situation am Wohnungsmarkt einzuschätzen und die gewonnenen Informationen in ihre Planungen und Strategien einfließen zu lassen.

Die Profile enthalten ein Basisset an ausgewählten Indikatoren aus den Themenfeldern Wohnungsbestand, Bautätigkeit, Bevölkerung, Arbeitsmarkt und Soziales sowie Preise. Sie sind ausreichend, um eine allgemeine Einschätzung der Wohnungsmarktsituation vorzunehmen. Kurze Texte erläutern die Abbildungen und helfen bei der Interpretation. Bei weiterführendem Interesse kann über die angegebenen Quellen auf ergänzende Zahlen aus der amtlichen Statistik oder aus eigenen Datenbeständen zurückgegriffen werden. Die Profile richten sich somit sowohl an Einsteiger als auch an erfahrenere Wohnungsmarktbeobachter sowie an andere Marktakteure. Seit ihrem Erschei-

Statistik & Informationsmanagement Praxis

nen werden die Wohnungsmarktprofile von unterschiedlichen Nutzergruppen nachgefragt, vor allem von Kommunalverwaltungen, Maklern und Wohnungsunternehmen.

Die weitaus meisten verwendeten Daten stammen aus der amtlichen Statistik von IT.NRW oder der Bundesagentur für Arbeit und sind kostenlos und für jeden frei erhältlich. In einer Übersichtstabelle sind ergänzende Daten zu Angebot und Nachfrage zusammengestellt, zum Beispiel der Anteil von Wohnungen in Mehrfamilienhäusern am Bestand und der unter 18-Jährigen an der Gesamtbevölkerung. Ansonsten wurde bewusst darauf verzichtet, die zugrundeliegenden Rohdaten in einer Sammlung zusammenzufassen.

Abb. 1: Durchschnittliche Bevölkerungsentwicklung in Prozent pro Jahr (hier am Beispiel der Stadt Köln)

Haushaltsgrößenstruktur zur Verfügung. Durch die neue Datengrundlage entstehen in einigen Zeitreihen Brüche, etwa bei der Fortschreibung des Wohnungsbestandes ab dem Berichtsjahr 2010, bei derjenigen der Einwohnerzahl ab dem Berichtsjahr 2011. Die Darstellungen umfassen dennoch einen Zeitraum von zehn Jahren, um eine Einordnung aktueller Trends in die langfristige Entwicklung zu ermöglichen.

Dort, wo die amtliche Statistik an ihre Grenzen stößt, weil entsprechende Daten nicht oder nicht flächendeckend vergleichbar erhoben werden, sind die Profile um ausgewählte Daten kommerzieller Anbieter ergänzt. Somit können auch Aussagen zur Kaufkraft oder zur Höhe von Miet- und Kaufpreisen getroffen werden.

Abb. 2: Baulandpreise für EFH-Grundstücke in Köln u. Umgebung

Quelle: NRW.BANK: Wohnungsmarktprofil Köln 2014, Datenbasis: IT.NRW

Ein Praxisbeispiel: Dem Profil für die Stadt Köln ist beispielsweise zu entnehmen, dass die Zahl der preisgebundenen Mietwohnungen seit dem Jahr 2004 auf unter 50.000 gesunken ist.

Entsprechend der Fortschreibung des preisgebundenen Wohnungsbestandes, die die NRW.BANK auf Basis ihrer eigenen Darlehensverwaltung und Angaben der Kommunen erstellt, wird die Zahl öffentlich geförderter Wohnungen weiter sinken.

Gleichzeitig liegt die mittlere Angebotsmiete bei über sieben Euro und macht die Stadt zu einem der teuersten Wohnungsmärkte des Landes. Bei steigender Bevölkerungszahl nimmt seit dem Jahr 2011 auch die Zahl der Arbeitslosen tendenziell zu. Es ist daher damit zu rechnen, dass die Marktlage im preisgünstigen Wohnungssegment weiterhin angespannt bleibt.

Die gleiche Betrachtung kann genauso auch für alle anderen nordrhein-westfälischen Kommunen erfolgen. Vergleiche sind möglich, da nahezu ausschließlich Daten aus der amtlichen Statistik verwendet werden, die flächendeckend verfügbar sind. Zusätzlich werden für einige Indikatoren die kommunalen Werte denen der entsprechenden Gemeindegrößenklasse gegenübergestellt.

Die Datenbasis wurde, wo dies erforderlich war, an die Ergebnisse des Zensus 2011, der Gebäude- und Wohnungszählung beziehungsweise deren Fortschreibungen angepasst. So stehen nun unter anderem neue Zahlen zum Wohnungsbestand und dessen Baualter, zur Bevölkerungsentwicklung und zur

Quelle: NRW.BANK: Wohnungsmarktprofil Köln 2014

Neu in der aktualisierten Version ist die kartografische Darstellung einiger Indikatoren. Auf einen Blick kann hier der kommunale Wohnungsmarkt in einen regionalen Kontext eingeordnet werden. Um für jede Kommune eine möglichst aussagefähige Vergleichsregion anbieten zu können, wurde Nordrhein-Westfalen vorab in elf verschiedene Kartenausschnitte unterteilt.

Die Wohnungsmarktprofile sind als PDF-Dateien zum kostenfreien Download auf der Website der NRW.BANK verfügbar. Dort finden Interessierte auch weitere Publikationen der Wohnungsmarktbeobachtung zu Struktur und Trends der Wohnungsmärkte in Nordrhein-Westfalen und zum preisgebundenen Wohnungsbestand: http://www.nrwbank.de/wmp

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Historie

Klaus Trutzel

Von der Vorratsstatistik zum Informationsmanagement – Rückblick auf die kooperative Verfahrensentwicklung in der Städtestatistik Die Städtestatistik kann auf eine über hundertjährige Geschichte interkommunaler Zusammenarbeit zurückblicken. Bis in die 1960er Jahre gründete sie sich – über Gemeinschaftsveröffentlichungen wie das Statistische Jahrbuch Deutscher Gemeinden hinaus – vor allem auf einen Austausch von Verfahrens- und Methodenwissen. Das änderte sich mit der Verbreitung automatisierter Datenverarbeitung in Verwaltung und Wirtschaft und deren Vordringen bis in die privaten Haushalte. Eingespielte Verfahren zur Aufbereitung großer Datenmengen mündeten früher als „Einmalstatistik“ in umfangreichen Tabellenprogrammen.

Diese Beschränkungen konnten überwunden und Zug um Zug der Weg zu einer problemorientierten Stadtforschung gebahnt werden. Der Beitrag blickt auf die Pionierleistungen kooperativer Städtestatistik zurück, die mit einer standardisierten kleinräumigen Gliederung und den Lochkartenverfahren der Datenverarbeitung begannen und bis heute zu einem voll ausgebauten metadatengesteuerten statistischen Informationsmanagement geführt haben. Diese Kooperationserfolge suchen in der Städtelandschaft Ihresgleichen und wurden nicht zuletzt dadurch möglich, dass die Führungsebene mit dem Deutschen Städtetag seinerzeit die politische Bedeutung einer leistungsfähigen Wissensorganisation für die Kommunen im föderalen Staatsaufbau erkannt und gefördert hat. Die Zusammenarbeit mit der staatlichen Statistik zu einer auch den Datenzugang umfassenden kohärenten Statistik-Infrastruktur zu entwickeln, ist eine offene Forderung, deren Verwirklichung einen gemeinsamen politischen Willen voraussetzt und zeigen könnte, dass sich das Gemeinwohl auch in einem föderal gegliederten Staat verwirklichen lässt.

Klaus Trutzel Ehem. Leiter des Amts für Stadtforschung und Statistik der Stadt Nürnberg, 1986 bis 1994 Vorsitzender des VDSt, Mitbegründer und 1981 bis 2004 Vorsitzender des KOSIS-Verbunds, bis 2013 Betreuer der KOSIS-Gemeinschaft Urban Audit und National Urban Audit Coordinator : kum.trutzel@t-online.de Schlüsselwörter: Statistik – Datenverarbeitung – Standardisierung – Verband Deutscher Städtestatistiker – KOSIS – Geschichte

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Die traditionelle Welt der Einmalstatistik Große Datenmengen ad-hoc auszuwerten, ist heute schon fast selbstverständlich geworden. Da mutet der Produktionsprozess amtlicher Statistiken, wie er noch vor gut 50 Jahren üblich war, fast anachronistisch an. Der Weg zur modernen Datenverarbeitung wurde allmählich beschritten und folgte der Verbreitung des Computers in Wirtschaft und Verwaltung und der Eroberung immer weiterer Lebensbereiche durch die automatisierte Datenverarbeitung. Dabei war die Statistik mit dem Einsatz der Hollerithmaschinen für die damaligen Großzählungen sogar einst Vorreiter dieser Entwicklung.1 In all den Jahren haben sich die grundlegenden methodischen Schritte statistischer Datenaufbereitung allerdings kaum verändert: Damals wie heute bestimmt die Statistik, um Massenerscheinungen in ihrer größenmäßigen Erscheinung begreifbar zu machen, den Katalog der interessierenden Aspekte (Merkmale), z. B. Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit, und zählt (oder schätzt), wie oft deren Ausprägungen vorkommen. Die Häufigkeiten dieser Ausprägungen lassen sich in Tabellen darstellen, die in den Tabellenfeldern die Häufigkeiten ausweisen, mit denen die gewählten Merkmale und ihre Ausprägungen in der zugrundeliegenden Gesamtheit auftreten. Die Betrachtung der fast unendlichen Vielfalt individueller Profile wird auf bestimmte Aspekte beschränkt und zu einer meist tabellarischen Darstellung der Häufigkeiten verdichtet. Das Ergebnis solcher Verdichtungen vermittelt einen auf die definierten Aspekte beschränkten Blick auf die zugrundeliegende Gesamtheit. In einer Tabelle nach dem Alter und Geschlecht erfährt man nichts über die Staatsangehörigkeit, bei einer Gliederung nach Altersgruppen, z. B. in 10-Jahresschritten, nichts über die Verteilung innerhalb einer solchen Altersgruppe, z. B. die Zahl der 10–15-Jährigen und der 15–20-Jährigen. Die Definition der Tabellen und ihrer Merkmalskombinationen bestimmt also deren Informationsgehalt. „Jede Aggregation von Daten bringt … einen Informationsverlust mit sich. Er ist erwünscht, wenn dadurch Unwesentliches unterdrückt und das Wesentliche herausgearbeitet wird, jedoch schädlich, wenn wichtige Sachverhalte verwischt werden. Dies tritt immer ein, wenn die Gruppenbildung nicht auf die Fragen abstellt und dadurch in der Aggregation wichtige Unterscheidungsmerkmale unberücksichtigt bleiben oder Teilgesamtheiten, anders als gewünscht (z. B. nach abweichenden Altersgruppen) zusammengefasst werden.“2

Historie

Diese Tatsache erklärt, warum in Zeiten manueller Aufbereitung großer Datenbestände, z. B. eines Zensus, wie überhaupt in der früher überwiegend auf Primärerhebungen fußenden Bundesstatistik, sehr sorgfältig abgewogen wurde, welches Informationspotential man mit den begrenzten Ressourcen auf Vorrat erzeugen wollte. In der Regel war die Aufbereitung, bedingt durch die zu verarbeitenden Masse der Erhebungsbogen, ein einmaliger Vorgang, der sich als aufwändiger Arbeitsschritt an die Datenerhebung anschloss. In der Statistik waren der Datenaufbereitung häufig eine Verschlüsselung der Klartextangaben und deren Übertragung auf Signierbelege vorgeschaltet. Ohne IT waren diese Belege nach den gewünschten Merkmalskombinationen von Hand zu sortieren und auszuzählen. Bei quantitativen Merkmalen, wie Körpergewicht, Einkommen etc., die zu ihrer Verdichtung eine Addition der einzelnen Werte erfordert hätten, wurden zur leichteren Verarbeitung meist Klassen gebildet und je Klasse die Häufigkeit ermittelt, mit der sie in der zugrundeliegenden Gesamtheit auftraten.

Um möglichst vielfältig auskunftsfähig zu sein, wurden vorab umfangreiche Tabellenprogramme entwickelt und im Zuge der Aufbereitung mit den je Merkmalskombination aufgetretenen Häufigkeiten gefüllt. So entstanden in der amtlichen Statistik – nach vorgedachten Fragestellungen – riesige Tabellenberge, deren Nutzung – trotz des eingeschränkten Informationspotentials – immer noch extrem aufwändig war. Sie prägten das Image der amtlichen Statistiker und trugen ihnen zu Unrecht den Ruf als Verwalter von Tabellenfriedhöfen ein.

Das änderte sich zunächst auch nicht, als bei den Großzählungen Anfang des vorigen Jahrhunderts die sogenannten Lochkarten zum Einsatz kamen.3 Sie ersetzten zwar die Erhebungsbogen und Signierbelege als Auszählungsmedien, erlaubten es aber kaum, bei neuen Fragestellungen die Auszählungen einfach zu wiederholen. Immerhin konnte man im Zuge der Aufbereitung leichter Teilmengen selektieren und diese nun maschinell nach der Häufigkeit der vorgedachten Merkmalskombinationen auszählen.

Prinzipiell „verhindert die Aggregation, dass Daten problemorientiert miteinander verknüpft werden können, wie dies z. B. zwischen Einwohnerdaten zur Bildung von Haushalten, oder zwischen Einwohner- und Wohnungsdaten zur Analyse der Wohnungsversorgung erforderlich ist. Um die vorab nicht bekannten planerischen Fragestellungen beantworten und hierfür die Daten entsprechend auswählen, verknüpfen, gliedern und aggregieren zu können, müssen die Basisdaten als Einzeldaten vorgehalten werden. … Die Automation der Verwaltungsregister, besonders des Einwohner- und künftig des Grundstückwesens kommt diesem Anliegen entgegen.“4 Statistikproduzenten und Statistiknutzer dachten noch Jahrzehnte primär in den Kategorien vordefinierter Tabellenprogramme, so dass z. B. die Ministerkonferenz für Raumordnung des Bundes und der Länder der amtlichen Statistik solche Tabellenprogramme vorgab. Noch heute bilden sie den Hintergrund für das Tabellenprogramm der amtlichen Statistik, wie es von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder in ihrer Datenbank GENESIS angeboten wird. Mit diesen Vor-

gaben sollten allerdings zugleich die dezentral handelnden Statistischen Landesämter veranlasst werden, einheitliche und untereinander wie über die Zeit vergleichbare Statistiken zu erzeugen. Deshalb sind auch heute, mit der Möglichkeit, große Mengen von Mikrodaten im Computer ad-hoc auszuwerten, solche Vorgaben keinesfalls überflüssig geworden. Wo immer es darum geht, die Vergleichbarkeit der statistischen Ergebnisse zwischen verschiedenen Produzenten oder über die Zeit sicherzustellen, sind Standards und Vorgaben einzuhalten, die sich auf die Datenquellen, die Grundgesamtheiten, die Erhebungs- und Aufbereitungsmethoden, die Definition der Merkmale und Ausprägungen, ihre Gruppierung sowie die Aufbereitungsergebnisse beziehen.

Der Übergang von der tabellarischen Vorratsstatistik zur problemspezifischen ad-hoc Auswertung bedeutet also nicht, dass frühere Herangehensweisen inzwischen ersetzt wurden, sondern vielmehr, dass im Zuge des technischen Fortschritts in der Informationsverarbeitung inzwischen erweiterte Auswertungsmöglichkeiten bestehen. Denn nun hängen die Analysemöglichkeiten nicht mehr davon ab, dass bei der einmaligen Datenaufbereitung die ad-hoc interessierenden Merkmalskombinationen bereits vorgedacht waren und dass ansonsten Zusammenhänge nur zwischen unabhängig voneinander „auf Vorrat“ erzeugten Aggregaten untersucht werden konnten; vielmehr kann man nun auch bei großen Datenmengen die Mikrodaten durch gezielte Selektion und Merkmalskombination problemorientiert ad-hoc aufbereiten und so Zusammenhänge in ihrem individuellen Auftreten direkt feststellen. In der Städtestatistik mit ihrer Nähe zu den kommunalen Registern hat diese Entwicklung schon sehr früh eingesetzt und lässt sich in ihrer Abfolge gut nachzeichnen.

Am Anfang stand die Lochkarte Mitte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts erkannten städtestatistische Ämter die Chancen, die ihnen die Verwaltungsautomation eröffnete. In Nürnberg z. B. hatte die Stadt 1963 ihre Wahl- und Lohnsteuerkartei auf Lochkarten umgestellt.

Das nutzte die neu gegründete Abteilung Stadtforschung der nunmehr als „Amt für Stadtforschung und Statistik“ firmierenden Dienststelle, um die Sortiermaschine des Rechenzentrums mit sog. Fachzählern auszustatten und damit Lochkarten nicht nur in die gewünschte Reihenfolge zu bringen, sondern auch die Zahl der einer Gruppe zugehörigen Einwohner zu ermitteln. Jede Veränderung bewirkte Veränderungen im Lochkartenbestand, die man auszählen konnte. Der Grund dieser Änderung war allerdings erst dann eindeutig zu erkennen, als die Meldesachbearbeiter die Vorgaben der Statistik befolgten, Wegzüge z. B. immer mit der statistischen Kennung für Wegzüge zu versehen und diese nicht mehr als „Karteiberichtigungen“ zu verbuchen. Entsprechend war auch mit den anderen Änderungsarten wie Geburt, Sterbefall, Zuzug oder innerstädtischer Umzug zu verfahren. Das gelang umso eher, als die Führung der den gesamten Einwohnerbestand umfassenden „Wahl- und Lohnsteuerdatei“ in der Zuständigkeit des Statistischen Amtes lag. Sie war die Keimzelle des späteren automatisierten Melderegisters. Für einige Zeit liefen hierzu

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die Meldebelege vor ihrer verwaltungsmäßigen Erfassung durch die Hände der Statistiksachbearbeiter, die sie mit den korrekten Änderungsschlüsseln versahen. So wurde Mitte der 60er Jahre die Registerführung „statistiktauglicher“ gemacht und der Grundstein für eine Registerstatistik gelegt, die später zur wichtigsten Informationsquelle der kommunalen Statistik und Planung wurde.

Dies war auch die Zeit, in der es der Stadtforschung immer weniger genügte, die Veränderungen in der Stadt nur zu beschreiben und hierzu die Bewegungsvorgänge in Tabellen zahlenmäßig zu dokumentieren. Vielmehr verlangte die neue Stadtentwicklungsplanung, den Ursachen dieser Veränderungen nachzugehen. Die kommunale Stadtforschung erforderte nun problemorientierte Selektionen und Analysen der Mikrodaten. Sie waren erst dann wirklich möglich, als man von den Lochkarten auf Magnetbänder umstellte.

Zuvor hatte man mit Hilfe der Lochkarten eine auf den Bewegungsvorgängen fußende kleinräumige Fortschreibung des Bevölkerungsbestandes eingeführt, welche die bis dahin manuelle Auszählung der Meldebelege seit der Volkszählung 1961 mit einbezog und fortan teilautomatisiert betrieben werden konnte. In einer 1971 verfassten Schrift heißt es: „Waren die in zehnjährigem Abstand stattfindenden Großzählungen bis vor kurzem die einzige Quelle umfassender Strukturdaten, so gewinnen mit zunehmender Datenfülle und Genauigkeit die Verwaltungsdateien – und hier insbesondere die Einwohnerdatei – für statistische Auswertungen an Bedeutung. Immer mehr wandeln sich die Großzählungen zu Inventuraufnahmen, mit deren Hilfe die Dateien als neue, fortgeschriebene Quelle statistischer Strukturdaten überprüft und ergänzt werden.“5

Die räumliche Komponente problemorientierter Auswertung Die vielfältigen Anforderungen aus Verwaltung und Planung verlangten auch wechselnde gebietliche Zuordnungen der Sachdaten. Um sie den Schulsprengeln, Stimmbezirken, Verkehrszellen oder Bürgerversammlungsbereichen zuzuordnen, führten viele Städtestatistische Ämter – einer Empfehlung des Deutschen Städtetages (DST) folgend6 – im Vorfeld der Wohnungszählung 1968 und des Zensus 1971 die Kleinräumige Gliederung nach Blöcken und Blockseiten ein und sorgten für eindeutige Ortsangaben in den Registern. Straßen erhielten eindeutige Straßenschlüssel und Gebietsgliederungsdateien verknüpften die Adressen in den Registern mit den Einheiten der Kleinräumigen Gliederung, die gesondert fortgeschrieben wurden. Mit der Digitalisierung ihrer Grenzen eröffnete sich auch der Weg zur maschinellen Kartierung, zunächst auf den Druckern der Großrechner, mit der Entwicklung der graphischen Datenverarbeitung in den 80er Jahren auch auf Plottern, die damals zuerst im Bau- und Planungsbereich zur Verfügung standen.

Was vierzig Jahre später mit dem Zensus 2011 die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder mit ihren Gebäudeadressen erstmals mit großen Schwierigkeiten mehr schlecht als recht

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erprobten, war in der Städtestatistik Mitte der 1970er Jahre bereits gängige Praxis7. Man hatte gelernt, dass die erfolgreiche Zuordnung wesentlich von einer in ihrer Qualität kontrollierten Datenbasis abhängt. Diese Kontrolle ist am ehesten vor Ort zu leisten, auf staatlicher Ebene alleine aber wohl zum Scheitern verurteilt. Das theoretische Konzept für die Führung eines Raumbezugssystems, das die statistische Gebäudedatei, eine Adresszentraldatei und die Kleinräumige Gliederung miteinander verknüpft, wurde von der Städtestatistik mit Förderung des Bundesforschungsministeriums im PENTA-Projekt vorbereitet und mit Unterstützung des Bundesbauministeriums dann in der Methodenstudie Wohnungsmarktbeobachtung umgesetzt.8

Die Städtestatistik im länderübergreifenden Forschungs- und Entwicklungsvorhaben Einwohnerwesen Auf Betreiben der Stadt Gelsenkirchen erwirkte die Arbeitsgemeinschaft Kommunale Datenverarbeitung in NordrheinWestfalen (AKD) 1973 die Förderung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie zur Entwicklung eines übergreifenden automatisierten Einwohnerwesens. In der hierfür geschaffenen Forschungs- und Entwicklungsgemeinschaft Einwohnerwesen kooperierten die Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB), die Stadt Hagen für die KDN der Siemens-Anwender, die Datenzentrale BadenWürttemberg mit der Kommunalen Arbeitsgemeinschaft für elektronische Datenverarbeitung in Baden-Württemberg (KOAG) als Projektträger, die Datenzentrale Schleswig-Holstein und die Stadt Gelsenkirchen für die AKD der IBM-Anwender.9 Teilvorhaben waren - eine parametergesteuerte Datensatzauswahl und Ausgabeaufbereitung für sporadische Auswertungen und - eine Bevölkerungsstatistik mit Bestands- und Bewegungsstatistiken, beides unter Federführung der Datenzentrale Baden-Württemberg, außerdem -

der Aufbau und die Fortführung einer Gebietsgliederungsdatei unter der Federführung der Datenzentrale Schleswig-Holstein.

Wie Manfred von Schaewen, Leiter des Statistischen Amtes der Stadt Stuttgart, als Vertreter der Städtestatistik in den Gremien der Entwicklungsgemeinschaft, 1976 in seinem Bericht an den Statistischen Ausschuss des Deutschen Städtetages feststellt10, bildete der umfangreiche Katalog von 27 Einzeltabellen den Schwerpunkt der Entwicklungen im Teilvorhaben Statistik. Die Datenzentrale Baden-Württemberg bestand darauf, „dass das Leistungsspektrum der seit 1969 eingeführten landeseinheitlichen Grundstufe Einwohnerwesen durch ein neues Verfahren voll abgedeckt wird … Unabhängig von der Forderung der Realisierung dieses Tabellenkatalogs bleibt nach wie vor die Forderung der Kommunen nach dem Zugriff auf die zu verarbeitenden Einzeldatensätze, um mit vorhandenen Sonderprogrammen oder Standard-Software problembezogene Auswertungen durchführen zu können.“11

Historie

Bereits 1972 hatte nämlich der Verband Deutscher Städtestatistiker in einer gemeinsamen Sitzung der Verbandsausschüsse auf der Statistischen Woche in Mainz zum Thema „Verwaltungsautomation, Städtestatistik und Planungsinformationssysteme“ Regelungen empfohlen, welche … „sicherstellen, dass 1. bereits beim Aufbau und der Organisation der Dateien für den Verwaltungsvollzug die Voraussetzungen für statistische Auswertungen zur Gewinnung planungsrelevanter Informationen geschaffen werden und hierzu 2. Arbeitsteams gebildet werden, in denen außer den Nutzern im Verwaltungsvollzug und EDV-Fachleuten auch jeweils Statistiker vertreten sind.“12 Und zur Automation des Einwohnerwesens forderte die Kommunalstatistik bei dieser Tagung: „1) Sicherung eines weiterhin unbeschränkten Zugangs der Kommunalstatistik zu den Daten des Einwohnerwesens; 2) Aufnahme der statistisch relevanten Merkmale in die Datensätze, in statistisch auswertbarer Form; 3) Automatisierung der Bevölkerungsstatistik und Archivierung der statistisch relevanten Individualdaten.“13 Es war damals nämlich keineswegs unbestritten, dass kommunalstatistische Ämter personenbeziehbare Mikrodaten „auf Vorrat“ vorhalten durften. Es war noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, bis man verstand, dass die Archivierung der Mikrodaten im Statistischen Amt „erforderlich“ war, um für problemorientierte Zeitvergleiche gerüstet zu sein.

Weitergehende Empfehlungen, vor allem zu den damals anstehenden rechtlichen Regelungen im Bundesmeldegesetz und in den Landesmeldegesetzen wurden seinerzeit vorgetragen aber nicht beschlossen.14 Nach einer die Zielrichtung bestätigenden Diskussion erklärte der Sprecher des 1972 neu gegründeten Verbandsausschusses „Kommunalstatistik und Verwaltungsautomation“ in seiner Zusammenfassung: „Anders als die amtliche Statistik, deren Aufgaben im bevölkerungsstatistischen Gesetz festgelegt sind, lassen sich die Anforderungen an die Städtestatistik im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung nicht von vorneherein abschließend bestimmen. Aus diesem Grund ist die Kommunalstatistik auch weniger an regelmäßigen Auswertungen mit fest vorgegebenen Tabellenköpfen als vielmehr am freien Zugang zu den Individualdaten interessiert, weil sie nur so den wechselnden Anforderungen problembezogener Auswertungen gerecht werden kann.“15 In seinem Bericht über die vom Ausschuss durchgeführte Bestandsaufnahme bei 18 Städten empfahlt Günter Müller vom Statistischen Landesamt Hamburg der Mitgliederversammlung des Verbands Deutscher Städtestatistiker im Hinblick auf die verbesserungswürdige Zusammenarbeit zwischen den Ebenen der amtlichen Statistik, darauf hinzuwirken, dass … „den Städten die Individualdaten der amtlichen Statistik in Form von Magnetbanddoppeln … zur Verfügung stehen“ und „die aufwendige Programmierung und Aufbereitung von Vorratstabellen … schrittweise durch ein System von Dateien und allgemeinen Abfrage-, Auswahl-, Verdichtungs- und Analyseprogramme zu ersetzen.“16

Gerd Kark, Leiter des Statistischen Amtes der Stadt Düsseldorf kam bei seinem abschließenden Beitrag zu der Prognose, „dass wir immer weniger geneigt sein werden, ‚auf Verdacht‘ aufwendige Vorratstabellierungen zu machen, sondern uns immer mehr darauf beschränken werden, auf gezielte Fragen gezielte Antworten zu geben“, wofür er den Einsatz von Standard-Statistik-Software empfiehlt.17 Auf der 5. Sitzung des VDSt-Ausschusses Kommunalstatistik und Verwaltungsautomation am 19./20.11.1973 in Berlin legt Klaus Trutzel folgenden Kurzbericht zur Automation im Einwohnerwesen vor (Auszug): „1. Die vom Ausschuss … vorbereiteten und vom Statistischen Ausschuss des Deutschen Städtetags am 15.3.1973 verabschiedeten Empfehlungen der Städtestatistik - zur Automation in der Kommunalverwaltung und - zur Automation im Einwohnerwesen wurde inzwischen von der Hauptgeschäftsstelle des DST allen Mitgliedstädten und betroffenen Institutionen des Bundes, der Länder und Gemeinden zugestellt (vgl. auch MIttDST. 930/73 und 931/73 vom 19.10.1973). Sie sind in die ‚Zielvorstellungen der Automation im Einwohnerwesen‘ des KGSt18-Gutachterausschusses übernommen worden. Ebenso fließen sie in die Beratungen des AK ‚Automation im Einwohnerwesen und Bevölkerungsstatistik‘ bei Statistischen Bundesamt ein.

Der Vorsitzende des Unterausschusses Einwohnerwesen im AK II der Innenministerkonferenz der Länder hat die Empfehlungen allen Mitgliedern des Unterausschusses zugestellt.

2. Bei seiner 55. Sitzung am 11./12. Oktober 1973 hat sich der Statistische Ausschuss des DST erneut mit den kommunalpolitischen Problemen der Automation im Einwohnerwesen befasst. … Der Statistische Ausschuss hat sämtlichen Beschlussvorschlägen, die zu den ‚regelungsbedürftigen Tatbeständen‘ unterbreitet worden waren, zugestimmt.“19 Der im VDSt-Ausschuss Kommunalstatistik und Verwaltungsautomation organisierten Städtestatistik war es also gelungen, mit tatkräftiger Unterstützung durch den Deutschen Städtetag und seinen Statistischen Ausschuss ihr Anliegen bekannt zu machen und dafür allgemeine Zustimmung zu erlangen.

Wie viele andere Städte fertigt Nürnberg seit Umstellung auf den Großrechnerbetrieb Ende der 1960er Jahre periodische Bestandsauszüge aus dem Melderegister, ergänzt so die schon länger gesammelten Daten der Bevölkerungsbewegung und baut darauf seine gesamte kleinräumige Bevölkerungsstatistik auf. In der Anfang 1973 beim Statistischen Bundesamt gebildeten Arbeitsgruppe „Automation im Einwohnerwesen und Bevölkerungsstatistik“ beriet man nicht nur über eine Objektivierung des Hauptwohnsitzbegriffs für die Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl, man diskutierte auch über die Möglichkeit, folgende amtlichen Statistiken stärker an das Einwohnerwesen zu binden: - Wanderungsstatistik, - Geburtenstatistik, - Sterbefallstatistik, - Eheschließungsstatistik und - die Statistik des Bevölkerungsstandes.20

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In der Bundesstatistik blieb dieses Vorhaben allerdings auf die Wanderungsstatistik beschränkt, weil die Statistiken der natürlichen Bevölkerungsbewegung Merkmale enthielten, die so aus dem Melderegister nicht zu gewinnen waren.

Die in der Verwaltungsautomation und in der Statistik, vor allem in der Städtestatistik betriebenen Vorhaben zur statistischen Nutzung der Verwaltungsdaten befruchteten einander und mündeten beim Forschungs- und Entwicklungsvorhaben Einwohnerwesen 1976 – über die Tabellenprogramme hinaus – in die Definition einer Grundform der aus dem Meldewesen regelmäßig zu gewinnenden Statistikdatensätze, - Statistik-Bestandsdatensatz und - Statistik-Bewegungsdatensatz.

Sie wurden später weiter ausdifferenziert und vor allem so gestaltet, dass damit auch die darauf aufsetzenden Verfahren der kommunalen Bevölkerungsstatistik versorgt werden konnten.

Verfahrensentwicklung zur kommunalen Planungsunterstützung im PENTA I-Projekt Die vielversprechende Entwicklung im FE-Vorhaben Einwohnerwesen motivierte das Bundesforschungsministerium, 1978 einem Förderantrag des Instituts DATUM e. V. zu entsprechen und die Entwicklung von „Verfahren und Methoden für Planungs- und Entscheidungshilfen auf der Basis eines automatisierten Einwohnerwesens“ finanziell zu unterstützen. Im Statistische Ausschuss des Deutschen Städtetages berichtete die Hauptgeschäftsstelle des DST bei dessen 62. Sitzung 1977 in Stuttgart, dass DATUM vorgeschlagen habe, in Fortführung des Forschungs- und Entwicklungsvorhabens „Automation im Einwohnerwesen“, in dem u. a. die für die künftige Kommunalstatistik und kommunale Planung relevanten Daten aus dem Meldewesen festgelegt worden seien, auf dieser Grundlage Planungs- und Entscheidungshilfen zu entwickeln.21 Für Anwendungen in - Kommunalstatistik und Stadtforschung - Stadtentwicklung – Stadtplanung und Regionalplanung - Landesplanung und Raumordnung sowie - Überregionale Bevölkerungsforschung sollten folgende Hilfen entwickelt werden, - Verknüpfungshilfen - problembezogene Datenaufbereitungen - flexibles Berichtswesen - Wirkungsanalysen und Prognoseverfahren - Infrastrukturbedarfsberechnungen.

Mitte 1978 bewilligte das Bundesforschungsministerium die Mittel für eine 1. Projektphase, an der vier Pilotanwender zu beteiligen waren, - die Freie und Hansestadt Hamburg - das Bayer. Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen - die Anstalt für kommunale Datenverarbeitung in Bayern und - die Stadt Nürnberg.

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Der Kommunale Arbeitskreis (KAK), der das Vorhaben fachlich begleitete, hat in der 1. Projektphase wesentlich zur Konkretisierung und Abstimmung des Entwicklungskonzepts beigetragen. Vor allem hat er zusammen mit dem Lenkungsausschuss für die 2. Projektphase ein auf den Ressourcenrahmen und die kommunalen Bedürfnisse abgestimmtes Arbeitsprogramm durchgesetzt und zusammen mit dem Förderungsgeber darauf hingewirkt, dass die parallel geförderten Vorhaben PENTA (DATUM e. V.) und REST22 (Statistisches Landesamt Berlin) durch einen gemeinsamen Systemrahmen verknüpft werden sollten.

Damit sollte der Grundstein gelegt werden für ein offenes, herstellerungebundenes statistisches Informationssystem für die kommunale Planung. Die (unfertigen) Ergebnisse der 1. Projektphase hatten gezeigt, dass DATUM e. V. dazu wohl nicht in der Lage war. Bemühungen um die Anlauffinanzierung eines Transfer-Projekts scheiterten und DATUM musste den Betrieb einstellen.

… und ihre Fortführung durch den neu geschaffenen KOSIS-Verbund in PENTA II Nun ging es darum, die bisherigen Entwicklungen zu sichern, sie so weit wie möglich zu Ende zu führen und den Städten tatsächlich verfügbar zu machen. Der Statistische Ausschuss des DST hat daher bereits bei seiner Sitzung im November 1980 in Remscheid das Vorhaben unterstützt, „durch die Vereinigung in einem Verbund die allgemeine Nutzung, Weiterentwicklung und Pflege der Programme des Kommunalen Statistischen Informationssystems auf der Grundlage der Forschungsvorhaben PENTA und REST für die Kommunen sicherzustellen.“23 Das Präsidium des Deutschen Städtetages befürwortete auf Vorschlag der Hauptgeschäftsstelle24 bei seiner 227. Sitzung am 25. Mai 1981 in Hamburg die Grundsätze für einen Nutzungs- und Wartungsverbund bei ADV-Programmen zur Statistik- und Planungsunterstützung und den Vorschlag der Hauptgeschäftsstelle, als möglichen Träger den Verband Deutscher Städtestatistiker (VDSt) oder den Deutschen Städtetag (DST) selbst ins Auge zu fassen.

Unter der Trägerschaft des Verbands Deutscher Städtestatistiker etablierte sich am 01.12.1981 in Nürnberg der Verbund für Wartung und Weiterentwicklung des Kommunalen Statistischen Informationssystems. Er verabschiedete auf der Basis eines im VDSt-Ausschuss Kommunalstatistik und Verwaltungsautomation erarbeiteten Satzungsentwurfs am 10.02.1982 in Wiesbaden seine Geschäftsordnung und am 15.09.1982 in Berlin sein geringfügig verändertes Statut25.

Am 15. Juni 1982 bewilligte das Bundesforschungsministerium den Antrag des KOSIS-Verbunds, die Entwicklungen aus PENTA I abzuschließen und den Prototyp eines bausteinförmig gegliederten Statistischen Informationssystems herzustellen. Die Ergebnisse hat der KOSIS-Verbund in seinem Abschlussbericht vom 15.09.1983 vorgestellt.26 Einige dieser Ergebnisse, wie die Mikrosimulation der Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung sind inzwischen untergegangen, andere wurden später, als eine weitere Bundesför-

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derung nicht mehr zu erlangen war, von themenbezogenen Städtegemeinschaften unter dem Dach des KOSIS-Verbundes selbständig weiterentwickelt und gemeinsam getragen.

Mit DUVA zum statistischen Informationsmanagement Das all diesen Entwicklungen zugrunde liegende Ziel, die wechselnden planerischen Fragestellungen ohne jeweilige Neuprogrammierung vom Arbeitsplatz des Statistikers aus gezielt beantworten zu können, hatte mit der Gründung des KOSIS-Verbunds einen organisatorischen Rahmen gefunden.

Informationstechnisch ging es nun darum, die Daten aus den verschiedenen Quellen, vor allem aus den Verwaltungsregistern, in einem Informationsmanagementsystem so verfügbar zu machen, dass neben den Basisfunktionen Recherche, Selektion, Aggregation und Ausgabe auch alle für die Verarbeitung notwendigen Informationen bereitstanden. Darüber hinaus sollten die Verarbeitungsschritte der Erfassung, Auswahl, Verknüpfung und Verdichtung nachvollziehbar dokumentiert sein. Es ging also um den technischen Kern des Statistischen Informationssystems. Dieser wurde zunächst unter dem Namen SIS (Statistisches Informationssystem) als ganzheitliches Großrechner-Verfahren in Angriff genommen. Schon bald aber gaben die meisten beteiligten Städte einem baukastenförmig zu gestaltenden PC-System den Vorzug. Von der Stadt Stuttgart mit einer Anlauffinanzierung großzügig unterstützt, gründete eine Reihe von Städten Ende der 1980er Jahre die KOSIS-Gemeinschaft DUVA, um gemeinsam dieses auf den Datenbeschreibungen aufbauende und mit den Klartextangaben zu steuernde System zu schaffen. Die Gemeinschaft der SIS-Anwender bestand noch einige Jahre weiter, schloss sich aber, soweit in den beteiligten Städten nicht andere (herstellergebundene) Informationssysteme (wie COGNOS in Köln) zum Einsatz kamen, schließlich der DUVA-Gemeinschaft an.

Dieses herstellerunabhängige System, wurde im Netzwerk der beteiligten Städte ständig weiterentwickelt und konnte so ganz auf die Anforderungen der Städtestatistik ausgerichtet werden.

Die Ziele dieser Entwicklung, die mit Lochkartenauswertungen Mitte der 1960er Jahre begann, scheinen heute weitgehend erreicht. Feste Tabellenprogramme, wie sie noch im Forschungsund Entwicklungsvorhaben Einwohnerwesen entworfen wurden, spielen dabei keine Rolle mehr. Die Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit wird in diesem städteübergreifend entwickelten und gepflegten System durch die Vereinbarung der Basisdaten und der Verarbeitungsprozeduren gesichert und in DUVA nachvollziehbar gestaltet. Über die DST-Standard-Statistikdatensätze des Einwohnerwesens hinaus sind inzwischen weitere Standard-Datensatzbeschreibungen zu kommunalen und staatlichen Quellen entstanden. Die meisten städtestatistische Ämter haben die Bedeutung einer geordneten Datenhaltung, vor allem abgestimmter Daten- und Prozessbeschreibungen für die Qualitätssicherung erkannt.

Diese führen gerade nicht zu starren Tabellenprogrammen, sondern erleichtern gezielte, wohl dokumentierte und damit nachvollziehbare Auswertungen. Nicht zuletzt ersparen sie dem einzelnen Amt aufwändige Basisarbeiten und fördern die Zusammenarbeit bei der weiteren Verfahrensentwicklung.

Die Systeme zur Führung der Kleinräumigen Gliederung in der Verknüpfung mit der Adresszentraldatei und statistischen Gebäudedatei sind hierzu ebenso überzeugende Beispiele wie die kooperativen Verfahren zur kleinräumigen Bevölkerungsvorausrechnung (SIKURS), zur Haushaltegenerierung und -prognose sowie zur Ermittlung des Migrationshintergrundes. Für letztere vereinbarte die KOSIS-Gemeinschaft HHSTAT nicht nur Definitionen und Verfahrensweisen, sie konnte sich auch auf gemeinsam erarbeitete Referenzverzeichnisse für die Geburtsorte der Migranten stützen und so vergleichbare Ergebnisse erzielen.

DUVA ermöglicht inzwischen eine gemeinsame Datenhaltung auf dem DUVA-Server und stellt Anwendungsprogramme zunehmend auch im Internet zum dezentralen Einsatz bereit.

DUVA wird heute für so unterschiedliche Anwendungen wie die formulargesteuerte Datenerhebung und die maschinelle Kartierung genutzt und soll bald auch Datenübermittlungen nach SDMX-Standard und Datenangebote im Rahmen der deutschen und europäischen Informationsinfrastruktur unterstützen.

Planung kann als Lernprozess nun in allen seinen Phasen statistisch fundiert werden. Als Einstieg dienen nach wie vor Tabellenangebote, wie die Innerstädtische Raumbeobachtung und die Datensammlung des Urban Audit, zu denen die Metadaten einen komfortablen Zugang eröffnen. Wenn die Zusammenhänge näher untersucht werden sollen, bietet DUVA eigene Analysewerkzeuge zur dezentralen Anwendung; die im System organisierten Daten können aber auch an universelle Methodenprogramme wie SPSS oder an spezielle Instrumente, wie die Bevölkerungs- und Haushalteprognose übergeben werden, und deren Ergebnisse ins System wieder zurückgespielt werden. Nun bereitet DUVA den Anschluss eines professionellen Berichtssystems vor. Es liegt an den Stadtforschern in den Städten, diese Möglichkeiten im Interesse aktiver Planungsunterstützung auch zu nutzen.

Die Probleme der Datenverarbeitung bereiten heute keine grundsätzlichen Probleme mehr. Anders sieht es beim Zugang zu Datenquellen aus, die an sich vorhanden, der kommunalen Statistik aber verschlossen sind. Die nach einheitlichen Grundsätzen erhobenen Daten der Bundes- und Landesstatistik könnten in diesem die kommunale Planung unterstützenden statistischen Informationssystem eine noch größere Rolle spielen, wenn die abgeschotteten kommunalen Statistikstellen – über den Zensus 2011 hinaus – grundsätzlich Zugang zu den Mikrodaten der staatlichen Statistik hätten, um sie problemorientiert auswählen, verknüpfen und verdichten zu können. Das läge gewiss im gesamtgesellschaftlichen Interesse und wäre auch ein wichtiger Beitrag zu einer kohärenteren Statistikdaten-Infrastruktur in Deutschland.

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Vgl. z. B. Grohmann, Heinz: Von den Wurzeln der Statistik zum Informationsmanagement, In: Zahl und Entscheidung 1879–2004, Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum des Verbandes Deutscher Städtestatistiker, Zeitschrift Stadtforschung und Statistik 2/2004, S. 32 ff.

Trutzel, Klaus: Organisation und Rechtsgrundlagen der statistischen Datenverarbeitung in den Städten, In: Verband Deutscher Städtestatistiker (Hrsg.), Städtestatistik und Stadtforschung – Leistungen, Aufgaben, Ziele – 100 Jahre Verband Deutscher Städtestatistiker 1879–1979, Hamburg 1979, S. 200 f.

Vgl. z. B. Elsner, Eckart: Planungsinformationen für eine Stadt – Statistische Tradition und moderne Technik im ältesten statistischen Amt, In: Städtestatistik und Stadtforschung – Leistungen, Aufgaben, Ziele – ebenda S. 190 ff.

Trutzel, Klaus: a. a. O. S. 201.

Schneider, W. und Trutzel, K.: Integration von Stadtforschung, Statistik und Einwohnerwesen, Reihe D, Heft 1 der Beiträge zum NürnbergPlan, Stadt Nürnberg, Arbeitsgruppe Nürnberg-Plan (Hrsg.), Nürnberg 1971, S. 32.

Vgl. Deutscher Städtetag: Niederschrift über die 43. Sitzung des Statistischen Ausschusses am 16./17. März 1967 in Mönchengladbach.

Siehe DST Beiträge zur Statistik und Stadtforschung Heft 6 „Kleinräumige Gliederung des Gemeindegebietes und Gliederung des Gemeindegebiets nach Blöcken und Blockseiten sowie Entwurf einer Empfehlung zur Ordnung des Straßen-/Hausnummernsystems als Grundlage der Lokalisierung und Zuordnung von Daten unter Einsatz der ADV“, In: Deutscher Städtetag, Reihe H, DST-Beiträge zur Statistik und Stadtforschung, Heft 6, Köln 1976.

Vgl. Vorbericht zur 70. Sitzung des Statistischen Ausschusses des Deutschen Städtetages am 04./05.06.1981 in Berlin, sowie Methodenstudie Wohnungsmarktbeobachtung im Auftrag des Verbandes Deutscher Städtestatistiker und in Abstimmung mit der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung, vorgelegt von Friedrich von Klitzing und gemeinsam betreut von der Stadt Nürnberg und der BfLR, in: Reihe H der DST-Beiträge zur Statistik und Stadtforschung, Heft 29, Köln 1985.

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Vgl. Föcker, Egon: Gemeinschaftsentwicklung im Einwohnerwesen – ein gelungener Versuch?, in ÖVD/Online 8/1982, S. 87 ff.

Von Schaewen, Manfred, Tabellenprogramm für statistische Auswertungen im Rahmen des Forschungsvorhabens Einwohnerwesen, Vorbericht für die 60. Sitzung des Statistischen Ausschusses DST am 6./7. Mai 1976 in Berlin.

Ebenda Verband Deutscher Städtestatistiker: Bericht über die 72. Tagung 1972 in Mainz, S. 160, Mainz/Bad Ems 1973.

Ebenda, S. 160 f.

Ebenda, S. 171.

Klaus Trutzel, ebenda, S. 177.

Ebenda, S. 194.

Ebenda, S. 200.

KGSt – Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung Verband Deutscher Städtestatistiker, Bericht über die 74. Tagung in Dortmund 1974, S.174 ff., Dortmund o. J. Unveröffentlichte Vorlage zur 4. Sitzung des VDSt-Ausschusses Kommunalstatistik und Verwaltungsautomation am 24./25.05.1973 in Düsseldorf, Nürnberg, 21.05.1973.

Vgl. Vorbericht der Hauptgeschäftsstelle DST für die 62. Sitzung des Statistischen Ausschusses DST am 28./29. April 1977 in Stuttgart.

Ein vom Bundesforschungsministerium parallel zum PENTA-Projekt gefördertes Vorhaben des Statistischen Landesamts Berlin.

Vgl. Deutscher Städtetag: Niederschrift über die 69. Sitzung des Statistischen Ausschusses am 06./07.11.1980 in Remscheid.

Wimmer, S.: Vorbericht für die 227. Sitzung des Präsidiums des Deutschen Städtetages am 25.05.1981 in Hamburg, Köln, 06.05.1981.

Vgl. Statistisches Landesamt Berlin: Ergebnisniederschrift der 2. Sitzung des KOSIS-Verbundes am 10. Februar 1982 in Wiesbaden vom 25.02.1982 und VDSt-Ausschuss Kommunalstatistik und Verwaltungsautomation, Niederschrift über die 3. Mitgliederversammlung des KOSIS-Verbunds am 15. September 1982 in Berlin vom 27.09.1982 KOSIS-Verbund, PENTA II: Methodenbausteine für ein offenes standardisiertes statistisches Informationssystem, Nürnberg 15.09.1983.

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Leitfaden für Britische Soldaten in Deutschland 1944 Instructions for British Servicemen in Germany 1944 Das Statistische Jahrbuch Deutschland bietet auf gut 600 Seiten einen sicher sorgfältig ausgesuchten und aufbereiteten Querschnitt über die von der deutschen Statistik erhobenen Daten, mit dem sich Interessierte ein objektives Bild von Themen machen können, die Wirtschaft, Politik und Medien beschäftigen. Deutschland in ein paar tausend Tabellen und Grafiken, die einleitend zu jedem der 27 Kapitel kurz verschlagwortet sind. Man muss also viel blättern und gewinnt doch kaum einen Überblick über Deutschland und die Deutschen.

eine Warnung vor einem „merkwürdigen Volk“. Die Soldaten sollten psychologisch geschult werden, um nicht auf die Propagandamittel der Nazis hereinzufallen. Es sollte ihnen aber auch deutlich gemacht

Sehr konkret und teilweise auch ziemlich skurril wird beleuchtet, was wir gerne essen und trinken, welche Sportarten wir betreiben und wie wir feiern. Vierhunderttausend Soldaten haben 1944 diesen Leitfaden erhalten, der ihr Bild von uns Deutschen entscheidend geprägt hat.

Uns kann dieses faszinierende historische Dokument auch heute noch einen Spiegel vorhalten, und das Bild von uns, das wir in diesem Spiegel sehen, ist manchmal erschreckend, manchmal amüsant und oft unfassbar komisch.

Bei Wikipedia geht es schon kürzer. Die PDF-Datei des Deutschland-Artikels umfasst ohne Verweise „nur“ 81 Seiten (DIN A4).

Doch es geht noch kompakter: Als sich britische Soldaten 1944 auf den Weg nach Deutschland machten, steckte ein kleines Büchlein in ihren Hosentaschen.

Eine Anleitung des britischen Außenministeriums auf 61 Seiten DIN A6, wie mit uns Deutschen umzugehen sei, ein Attest der britischen Zivilisiertheit und

werden, dass sie sich allen Deutschen gegenüber immer fair zu verhalten hätten.

Text: Verlag/Hubert Harfst

& ISBN: 978-3-462-04634-2, 8,00 Euro,

Cover: Kiepenheuer & Witsch

erstmals veröffentlicht 1943 durch das Foreign Office. Zweisprachige Ausgabe (Englisch/Deutsch) bei Kiepenheuer & Witsch (KiWi 1415), Köln, 2014, 160 S.

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Heidelberger Schriften zur Stadtentwicklung Stadt Heidelberg, Amt für Stadtentwicklung und Statistik (Hrsg.)

In der Reihe der Heidelberger Schriften zur Stadtentwicklung sind gleich zwei Berichte neu erschienen: der Heidelberger Nachhaltigkeitsbericht 2014 und die Ergebnisse der Bürgerumfrage zur Lebensqualität in Heidelberg.

Der Heidelberger Nachhaltigkeitsbericht ist ein interessanter quantitativer und qualitativer Ansatz zur Stadtbeobachtung mittels eines ausgeklügelten Indikatorensystems, das zur Erfolgskontrolle des stadteigenen Stadtentwicklungsplans genutzt wird. Bereits in 2004, 2007 sowie 2011 wurden dieselben Indikatoren erhoben und können nun in der Zeitreihe mit den Ergebnissen von 2014 verglichen werden. Mit rund 80 Indikatoren, die aus Daten des Verwaltungsvollzugs und der amtlichen Statistik gewonnen wurden, werden alle Zielbereiche des Stadtentwicklungsplans dargestellt; durch die hohe Verdichtung der Indika-

toren können komplexe Sachverhalte anschaulich dargestellt werden. Der Bericht ergänzt mittels der erhobenen Indikatoren die Wohnbedarfsprognose, die CO2-Analyse, den Sozialbericht oder auch die Ziele des Klimaschutz-Masterplans und deckt von Daten zum Öffentlichen Haushalt, den Bereich Wohnen, Arbeiten, Soziales, Umwelt, Kultur und Mobilität jene Bereiche ab, die der Stadtentwicklungsplan als Ziele vorgegeben hat. Auf den beiden letzten Seiten sind die verwendeten Indikatoren bzw. Leitlinien kompakt aufgeführt.

Die Grundlage der Heidelberg-Studie 2014 zu Leben und Kultur in der Stadt ist eine von der Forschungsgruppe Wahlen durchgeführten Umfrage, bei der repräsentativ 1.050 Heidelbergerinnen und Heidelberger ihre Meinung zur Lebensqualität per Telefonumfrage äußerten.

Interessant sind neben den üblichen Fra-

gen zur Lebensqualität die Ergebnisse zu den Themenfeldern Verkehrsmittelnutzung in Heidelberg, Politik in der Stadt, Bürgerbeteiligung und zur Kultur. Die Auswertung zum Themenfeld „Bücherkauf“ ergibt, dass 19 % der Heidelberger Bürger ihre Bücher im Internet bestellen und es starke Unterschiede beim Bücherkauf zwischen den Altersgruppen gibt.

Wer sich dafür interessiert, kann beide Publikationen über das Amt für Stadtentwicklung und Statistik beziehen oder im Internet unter www.heidelberg.de als Download erhalten.

Günther Bachmann

& Heidelberger Schriften zur Stadtent-

wicklung, herausgegeben von der Stadt Heidelberg, Amt für Stadtentwicklung und Statistik 2015.

Kostenfrei abrufbar im Internet www. heidelberg.de

„Kinder, wie die Zeit vergeht“ – 150 Jahre Frankfurter Statistik Stadt Frankfurt am Main, Bürgeramt, Statistik und Wahlen (Hrsg.)

In diesem Jahr wird die Frankfurter Kommunalstatistik 150 Jahre alt: aus diesem Anlass haben die Kolleginnen und Kollegen ein mit Fachbeiträgen gespicktes Heft der Frankfurter Statistischen Berichte 2015 – eine alte Tradition aufgreifend – vorgelegt.

In einem informativen Beitrag stellt Dr. Bauer mit vielen Dokumenten und historischen Fotos die Geschichte des kommunalstatistischen Amtes vor. Bemerkenswert aktuell sind die abgedruckten Karikaturen zu den Leiden eines Volkszählers von 1875, spannend dargestellt die Entwicklung des Statistikamtes von der Weimarer Republik zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933, die Geschichte des Amtes in der Zeit von

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Zweiter Weltkrieg, Judenvernichtung und „staatsfeindlicher Äußerungen“ eines Mitarbeiters im Statistikamt bis zum demokratischen Neuanfang nach 1945.

Dr. Wolfsteiner, der Leiter der Frankfurter Statistik, beschreibt die Problematik moderner Großstadtstatistik zwischen Volkszählung, Zensus und Open DataDebatte, die Kollegen Dobroschke und Gebhardt beleuchten die kleinräumige Bevölkerungsprognose der Stadt Frankfurt bis 2040 und Frau Gutberlet erläutert die Beschäftigungsschwerpunkte der Nicht-nur-Bankenstadt Frankfurt. Die wachsende Stadt benötigt Wohnquartiere, Frau Jeschke beschreibt diese anhand einer Fahrt mit der S-Bahn Linie 6 und Dr. Gutfleisch stellt differenziert die

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Ergebnisse der Lebensqualitätsanalyse des Urban Audit Projektes und der koordinierten Umfrage für 2012 vor. Der informative Band endet mit einem Bericht über Frankfurts Partnerstädte von Kollegen Brücher und ist über das Bürgeramt, Statistik und Wahlen erhältlich oder per Internet unter www.frankfurt. de/statistische_berichte als Download der Fachaufsätze verfügbar.

Günther Bachmann & Frankfurter Statistische Berichte

2015, 7,00 €, herausgegeben von der Stadt Frankfurt am Main, Bürgeramt, Statistik und Wahlen 2015, 148 S. Kostenfrei abrufbar im Internet unter www.frankfurt.de/statistische_ berichte

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Stuttgart und die europäische Urban Audit Befragung von 2012 Anke Schöb Wie bereits bei den Frankfurter Statistischen Berichten ist auch die Urban Audit-Befragung von 2012 ein wichtiges Thema der Monatshefte des Stuttgarter Statistischen Amtes, veröffentlicht in Heft 1/2015. Anke Schöb stellt die Stuttgarter Ergebnisse in den europäischen Rahmen: mit sehr aussagekräftigen Grafiken, übersichtlichen Tabellen und informativen Zusammenfassungen werden die Themenfelder der Umfrage wie z. B. Beschäftigungsmöglichkeiten in der jeweiligen europäischen Stadt, die Integra-

tion der Ausländer, die Wohnungssuche oder die Luftqualität anschaulich aufbereitet, weitere Themen wie die Zufriedenheit mit dem öffentlichen Nahverkehr, der Gesundheitsversorgung oder den Sportanlagen werden mittels Tabellen vorgestellt. Sehr gelungen ist vor allem die Darstellung der europäischen Städte in verschiedenen Größenklassen, so dass nicht kleinere Städte wie Freiburg oder Konstanz mit Hamburg oder Berlin verglichen werden. Das Monatsheft des Stuttgarter Statistischen Amtes, Heft

1/2015, kann für 3 Euro von der Internetseite der Stadt Stuttgart unter www. stuttgart.de/statistik heruntergeladen werden.

Günther Bachmann

& Statistik und Informationsmanage-

ment, Monatsheft 1/2015, 4,00 Euro, herausgegeben von der Stadt Stuttgart, Statistisches Amt 2015, 89 S., kostenpflichtig abrufbar unter www. stuttgart.de/statistik-infosystem

Von TTIP zu Big Data – Mitteilungen des Berliner Wissenschaftszentrums Den Besucherinnen und Besuchern der Statistischen Woche ist Jutta Allmendinger als engagierte Vortragende wohlbekannt; als Leiterin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung ist sie die Herausgeberin der WZB-Mitteilungen.

Diese Publikation versammelt aktuelle Forschungsberichte aus dem WZB-Institut, die uns Statistikerinnen und Statistiker sowie Stadtforschungsinteressierte immer wieder Themen zum Nachdenken anbietet.

spezifische, wenn auch nicht unproblematische Funktion …“ hat und „… ungerechtfertigte Privilegien für Investoren“ insbesondere aus den fortgeschrittenen Industrieländern darstellt. Das andere spannende Thema ist ein klassisches Statistik-Thema: Big Data. „Was wir aber wirklich brauchen, ist eine Diskussion darüber, was Big Data mit den Menschen macht.“

& WZB Mitteilungen, Heft 148 (Juni 2015), herausgegeben von der Präsidentin des

Aus diesem Grund endet der Bericht darüber an dieser Stelle, denn das Thema Big Data wird im nächsten Heft der Zeitschrift zum Titelthema mit (hoffentlich) interessanten und kritischen Beiträgen.

Die WZB-Mitteilungen können kostenlos bei der WZB in gedruckter Form oder als Download von der Internetseite unter http://www.wzb.eu/de/publikationen/ wzb-mitteilungen bezogen werden.

Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung 2015. Kostenfrei abrufbar im Internet unter www.wzb.eu/de/publikationen/wzb-mitteilungen

Günther Bachmann

Das aktuelle Heft 148 von Juni 2015 hat zum einen den Schwerpunkt TTIP, wo z. B. vom Autor Mattias Kumm zu den TTIP-Vorgängern festgestellt wird, dass „die Schiedsgerichtbarkeit als Teil von Investitionsschutzabkommen eine

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Entdeckt Bücher

Nirgendwo erwünscht: Zur Armutsmigration aus Zentral- und Südosteuropa in die Länder der EU-15 unter besonderer Berücksichtigung von Angehörigen der Roma-Minderheiten Max Matter

& ISBN 978-3-7344-0021-6, 39,80 Euro,

erschienen im Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts., 1. Aufl. 2015, 336 S.

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Die Einwanderung von Roma gilt vielen in Westeuropa als Problem. Roma haftet das Stigma an, arm zu sein und sie werden oft als Belastung für den Wohlfahrtsstaat dargestellt. Regelmäßig werden dabei die großen Unterschiede zwischen den Roma- Gruppen übersehen.

Die Bekämpfung des Rassismus denjenigen gegenüber, die zu uns kommen, weil sie auf der Flucht sind oder von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen, wird nicht ausreichend als politische Aufgabe anerkannt, alte antiziganistische Vorurteile werden von der Politik aufgegriffen und verstärkt. Die Großstädte, die besonders von der Zuwanderung betroffen sind, fühlen sich über Gebühr finanziell belastet und von der Bundesregierung allein gelassen. Die zur Verfügung stehenden EU-Gelder zur „Roma-Inklusion“ kommen in vielen Ländern nicht oder nur unzureichend zum Einsatz – sei es aufgrund von Korruption oder aufgrund bürokratischer Hürden.

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Es ist zu befürchten, dass die Gründe für das Versagen der strategischen Entwicklungsvorgaben der EU bei den Roma selbst gesucht werden: Das Vorurteil „Die wollen sich ja gar nicht integrieren“ in Verbindung mit dem in der Bevölkerung, bei Medienschaffenden und selbst bei Politikern noch weit verbreiteten Bild des „wandernden“ bzw. „fahrenden“ Volkes, hält sich hartnäckig.

Der Band liefert sachliche Grundlagen für eine Diskussion über gesellschaftspolitische Aufgaben und politische Entscheidungen zur Verbesserung der Inklusion und Teilhabe von Roma in Deutschland. Max Matter gelingt es, die Brücke von der fachwissenschaftlichen Diskussion zum kommunalen Alltag zu schlagen.

Text: Verlag