Stadtforschung Statistik - Ausgabe 1/2015

Inhalt

Heft 1 | 2015

Schwerpunkt 2

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Statistik und Informationsmanagement

Generationen analysieren, beobachten und besreiben – ein Angebot für Stadtforschung, Statistik und für kommunale Planung Hermann Breuer

65 Migranten als Untersuchungsgruppe in der Stadtforschung – Nutzung von Namen in der Städtestatistik Tobias Gramlich

Kann man Generationen sehen?

Ein Versuch zur Messung von Werteorientierung von Generationen Jaqueline Berg

19 Wie leben und wohnen Generationen? Ergebnisse aus GWZ und Haushaltsegenerierung am Beispiel Berlins Verena Kutzki, Marco Schwarz 27 Wolfsburg: Generationenwechsel in einer jungen, dynamischen Stadt Verena Lichtenstein 36 Abgrenzung und demografische Analyse von Generationen: Herausforderungen für das Informationsmanagement Pasquale Frisoli, Ansgar Schmitz-Veltin

76 Wohnungsleerstand in Stuttgart – Ergebnisse der Gebäude- und Wohnungszählung 2011 Lucas Jacobi 84 Einsatz von Befragungssoftware in der Kommunalstatistik Stefanie Bröcker 87 Mikrodaten im Statistischen Informationssystem Berlin-Brandenburg Katja Baum, Ramona Voshage

Historie 90 100. Ausgabe des Statistisches Jahrbuchs Deutscher Gemeinden Rudolf Schulmeyer

Stadtforschung 43 Wie sich Menschen mit niedrigen Löhnen in Großstädten verteilen – Eine räumliche Analyse für Deutschland Philipp vom Berge, Norbert Schanne, Christopher-Johannes Schild, Parvati Trübswetter, Anja Wurdack und Ana Petrovic 50 Pendelkosten und Zweitwohnungsbedarfe – ein explorativer Ansatz für die Stadtforschung Sebastian Eichhorn, Martin Schulwitz 61 Einwanderungsland Deutschland: Großstädte als Orte der Integration gefragt Nadine Körner-Blätgen, Gabriele Sturm

Entdeckt 96 Rezension des Buches „Warum dick nicht doof macht und Genmais nicht tötet“ 98 Buchvorstellungen: - Erfahrungsberichte der Städte zum Zensus 2011 - Wahlen, Wahlrecht und Gewählte in Leipzig - Hamburger Sozialmonitoring Bericht 2014 - Wohnungsmarkt Stuttgart 2012 - Räumliche Auswirkungen der internationalen Migration - Soziale Mischung in der Stadt

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Schwerpunkt Generationen als Beobachtungsgegenstand von Stadtforschung und Statistik

Hermann Breuer

Generationen analysieren, beobachten und beschreiben – ein Angebot für Stadtforschung, Statistik und für kommunale Planung

Hermann Breuer Stadt Köln – Amt für Stadtentwicklung und Statistik, Abteilung Statistik und Informationsmanagement : hermann.breuer@stadt-koeln.de Schlüsselwörter: Generation – Inter- und Intragenerational – Baby Boomer – Einstellungs- und Verhaltensmuster – Szenarien – Stadtforschung – Statistik

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Untersuchungen und Berichterstattung über generationenspezifische Unterschiede in Einstellungen und Verhalten haben Konjunktur.1 Artikel über Generationen finden sich in der Tagespresse oder im Feuilleton der Sonntags- und Wochenzeitungen. Vielfach beruhen sie auf Analysen von Meinungsforschungsinstituten. Auftraggeber sind oftmals Stiftungen und nicht zuletzt Unternehmen, die sich über Einstellungsunterschiede, Motivationsstrukturen und Nachfragepotenziale in und zwischen den Generationen Klarheit verschaffen wollen.

Ein Grund für das gesteigerte Interesse an Analysen über Generationen könnte im Charakter der Ergebnisberichterstattung liegen. Aus den eher anekdotischen Berichten über Zeitzeugen der jeweiligen Generation, kombiniert mit generalisierenden Aussagen aus Studien entsteht ein schlüssiges Bild, in dem die Leserschaft ihre Lebensumstände, die von älteren oder jüngeren Familienmitgliedern oder von Freunden wiedererkennen (stellvertretend hierzu: Gaschke 2015, 2011; Jeges 2012, 2014).

Die Berichterstattung über Generationen formiert generationsspezifische Kindheits-, Schul-, Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen in Kombination mit wirtschaftlichen und Wohnverhältnissen, Freizeitvorlieben, Konsum- und Kulturbedürfnissen zu generationsspezifischen bzw. -typischen Lebenslagen. Zusätzlich ermöglicht sie oft auch Ausblicke auf die weitere Entwicklung der beschriebenen Generationen. Die hierbei gebotene Zusammenschau von üblicherweise thematisch getrennt dargestellten Lebenssphären scheint für die Leserschaft einen hohen Wiedererkennungswert zu haben (Maase, 2005, S. 230 ff.).

Unabhängig von den Analysen, die den Weg in eine breitere Öffentlichkeit finden, ist das Thema seit langem in der Soziologie, aber auch in der Psychologie, in Betriebswirtschaft und Personalmanagement, in der Pädagogik sowie der Kulturwissenschaft Gegenstand von Diskursen, die sich mit der Aussagefähigkeit von „Generation“ befassen (z. B. Hurrelmann 2014; Jacobs Krönung-Studie/Inst. f. Demoskopie Allensbach 2014; Bruch/Kunze/Böhm 2010; Rump/Eileres 2012; Metzler/ Werner/Zibrowius 2014).

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung wird kontrovers und polarisierend geführt (siehe hierzu Jureit; Wildt (Hg.), 2005, die in Ihrem Sammelband Generationen, die unterschiedlichen Positionen vereinen). Dieser Beitrag will eine überblickshafte Einführung zum Umgang mit den Widersprüchen und Einschränkungen zum Thema geben und neben dem Für und Wider aber auch das Potenzial von „Generation“ als Erklärungsfaktor und Beschreibungskategorie für Stadtforschung und Statistik erschließen.

Schwerpunkt Generationen als Beobachtungsgegenstand von Stadtforschung und Statistik

Generation im Alltag vertraut…

Generation ist ein Alltagsbegriff, der in vielfachen Kontexten benutzt wird: genealogisch, zur Zuordnung zu einem bestimmten Geburtszeitraum, bisweilen auch verbunden mit einer ersten Zuweisung eines generationsspezifischen Verhaltens und Habitus („der stammt ja noch aus einer anderen Generation …“).

Einordnungen oder Einteilungen in Generationen finden sich aber auch im Technischen Bereich in der Bezeichnung neuer Motoren-, PC- oder Programmgenerationen. Aber auch Wissen oder Lehrinhalte finden sich in Generationen eingeordnet, ebenso wie die sie Anwendenden, was sich in den Begriffen „Lehrer-, Forscher- oder Planer-Generation“ wiederfindet.

Diesen Zuweisungen ist gemein, dass die mit ihnen verbundenen Bewertungskontexte weitgehend als bekannt und konsensual gelten: Die Nutzung von Generation als Beschreibungs- und Erklärungskontext kommt im Alltagsgebrauch weitgehend ohne Definitionen aus.

…als Forschungsgegenstand umstritten und schwierig abzugrenzen Ungleich schwieriger stellt sich Generation als Forschungsgegenstand dar. Im Wesentlichen gibt es zwei Ansätze, Generationen abzugrenzen. Vielfach werden Generationen im Kontext von Ereignissen abgegrenzt, für die eine prägende Wirkung auf die Angehörigen der jeweiligen Generation angenommen wird. Dies gilt zum Beispiel für den 2. Weltkrieg, der für die Abgrenzung der sogenannten „Kriegs- und Nachkriegsgeneration“ 1939–1954 reklamiert wird. Diese Form einer ereignisbezogenen Abgrenzung muss sich mit der Frage auseinandersetzen, wie weit der Zeitraum reicht, in dem die prägenden Ereignisse Wirkung entfalten und handlungsleitend sind. So umfasst zwar die Erfahrung von Hunger und die Angst ums Überleben der Kriegsgeneration nahezu alle Personen dieser Generation und zwar unabhängig vom Alter und auch weitestgehend unabhängig von deren sozialer Stellung. Für die sogenannte 68er Bewegung, die ebenfalls für die Namensgebung einer Generation verantwortlich ist, gilt dies bereits nicht mehr. Die Annahme prägender Ereignisse muss sich allerdings mit Fragen über deren Reichweite auseinander setzen, also, wie lange die reklamierten Ereignisse eine prägende Wirkung ausüben und wen sie prägen? Alle in diesem Zeitraum lebenden Personen? Oder nur jene, die die prägenden Ereignisse wahrnehmen und im intendierten Sinne bewerten? Fragen, die bei jedem Prägungsereignis wohl anders zu beantworten sind (vgl. Klein 2003; Knoch 2005; Lepsius 2005).

Eine andere Gruppe von Generationsabgrenzungen orientiert sich an demographischen Gesichtspunkten Hierbei wird der Zeitraum, in dem eine Frau Kinder bekommen kann, zur Definition der Dauer von Generationen genutzt. Allerdings schwankt dieser Zeitraum, nicht zuletzt in Abhängigkeit kultureller Wertbestimmungen und Verhaltenskonventionen und hätte somit, je nach soziokulturellem Kontext, verschiedene Generationenabgrenzungen zur Folge. Im Ergebnis gibt es eine größere Zahl von Generationenabgrenzungen mit unterschiedlichen Herleitungen.

Für die nachfolgenden Überlegungen wurde mit einer pragmatischen Abgrenzung gearbeitet, die von der Verortung der Generation der sogenannten „Geburtenstarken Jahrgänge“ ausgeht. Die Generation der „Geburtenstarken Jahrgänge“, auch Baby-Boomer genannt, ist eine Generation die sich in allen vom 2. Weltkrieg betroffenen Ländern findet und durch stark steigende Geburtenzahlen auszeichnet. Vielfach wird sie auf die Jahre 1955 bis 1969 begrenzt2. Ausgehend von dieser normativ verorteten Generation werden die nachfolgenden, oder vorangehenden Generationen über eine Zeitraum von jeweils 15 Jahren begrenzt.

Die jeweils verwendete Abgrenzung von Generation ist nicht nur für die Stadtforschung, sondern vor allem für die Statistik als Datenbereitsteller von hoher Bedeutung. Daher versucht der Beitrag von Frisoli und Schmitz-Veltin in diesem Themenschwerpunkt einen Einstieg in die Abgrenzungsdiskussion.

Alters- oder Generationsbezug: Was lässt sich mit Generationszugehörigkeit erklären?

So plausibel die Zuschreibung von Einstellungen oder Verhalten als generationenbezogen erscheint, Reichweite und Wirkung von Generationszugehörigkeit sind umstritten und gelten für viele als empirisch kaum nachweisbar. Neben der bereits erwähnten Reichweitenproblematik wird auch eine wertekonstituierende und verhaltensleitende Prägung durch die in der betreffenden Generation vorgefundenen soziokulturellen Rahmenbedingungen angezweifelt.

Naheliegend erscheint es, anstelle von Generationszugehörigkeit Alter als Erklärung für unterschiedliche Verhaltensdisposition anzunehmen: So würde zum Beispiel nicht die Zugehörigkeit zu einer Generation, sondern die Alterszugehörigkeit als Erklärung, für die höhere Affinität der „Generation Y“ (1985–1999) für Social Media gegenüber der vorhergehenden „Generation Golf“ (1970–1984) herangezogen werden. Die Hypothese lautete: „Jüngere haben eine höhere Affinität zu Social Media, als Ältere“. Allerdings ist diese Hypothese ebenso wenig zu beweisen, wie die, dass ein generationaler Einfluss für diese spezifische Medienaffinität verantwortlich ist. Denn: ein Vergleich der Altersgruppe, die in der sogenannten „Generation Y“, mit den altersgleichen Angehörigen der „Generation Golf“ ist vom jetzigen Messzeitpunkt aus nicht mehr möglich.

Hierzu müsste das Medienverhalten bei den Mitgliedern der Generation Golf in der gleichen Altersphase, wie der, in der sich die heutigen Mitglieder der „Y-Generation“ befinden, untersucht worden sein; was schon deshalb nicht möglich ist, weil „Social-Media“ als kollaborative Medientechnologie für die Jugendlichen der Generation Golf noch nicht zur Verfügung stand.

Die „Einmaligkeit“ soziokultureller Rahmenbedingungen machen Generationenvergleiche nahezu unmöglich. Offenbar ist für Verhaltens- und Einstellungsmuster in verschiedenen Generationen eine Zeitbezogenheit wirksam, die sowohl objekt- wie subjektgebunden wirkt, was allerdings wiederum für die Wirksamkeit generationsspezifischer Einflüsse spräche: In jeder Generation durchlaufen die ihnen Zugeordneten dieselben Altersgruppen – ihre Einstellungen, Handlungsund Aktionsmuster unterscheiden sich jedoch mehr oder

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Schwerpunkt Generationen als Beobachtungsgegenstand von Stadtforschung und Statistik

weniger deutlich voneinander. Die Beobachtung, dass sich die heutigen „Senioren“, d. h. die der „Kriegs- und Nachkriegsgeneration“ (1939–1954) von den „Alten“ der „Vorkriegsgeneration“ (1924–1938) in ihren Einstellungsmustern oder Verhalten unterscheiden, kann als Ergebnis einer generationsspezifischen Sozialisation und Werte-, bzw. Einstellungsprägung sowie der sozioökonomisch verschiedenen Rahmen- und Lebensbedingungen aufgefasst werden, in denen die Generationen aufgewachsen sind. Aus der Rückschau ist dies allerdings empirisch nicht zu beweisen.3 Offenbar erfordert die Messung von generationenabhängigem Verhalten generationenübergreifende Messkonzepte, oder den Einsatz von Zeitmaschinen, mit denen „rückwirkend“ das Entstehen von Einstellungen und Verhalten von Personen in derselben Altersphase beobachten werden könnte. Als denkbare Quelle empirischer Langzeitvergleiche mit „Zeitmaschinen-Qualität“ könnte sich die Allbus-Umfrage entpuppen, die seit 1980 durchgeführt wird. Mit ihr könnten verschiedene Generationen in gleichen Phasen ihrer Entwicklung (Jugend, im Erwerbs- und Familienalter, usw.) intergenerational verglichen werden. Der Vorschlag von Klein, sich Langfrist-Panels zu bedienen, nähme die Messung der Stabilität oder Veränderbarkeit von Verhaltensdispositionen intragenerational in den Blick (Klein 2003, S. 106).

Gute Argumente für Generation als Beschreibungsfolie Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt: Generationen sind Abgrenzungskategorien. Mit dieser Form der Einteilung oder Abgrenzung ist jedoch ein anderer Anspruch verbunden, als bei der Abgrenzungskategorie „Alter“. Alter ist eine Voraussetzung, um Einstellung und Verhalten für Subgruppen einer Gesamtbevölkerung messen und beschreiben zu können. Alter kann jedoch, bis auf wenige Ausnahmen, wie zum Beispiel bei altersspezifischer Gebrechlichkeit, Verhalten nicht erklären.

Die Befunde unterschiedlicher Einstellungen und Verhalten in denselben Altersphasen in unterschiedlichen Generationen machen jedoch Annahmen zur Wirkung generationaler Einflüsse nachvollziehbar: Wenn zum Beispiel die derzeitige Erwerbsquote der 30- bis 40-jährigen Frauen deutlich höhere Werte aufweist, als die ihrer gleichaltrigen Geschlechtsgenossinnen vor 20 Jahren, dann bietet hierfür das Alter keinen Erklärungsansatz, sondern das gesellschaftliche Umfeld, das die heutigen 30- bis 40-jährigen Frauen vor veränderte Anforderungen stellt, ihnen aber auch verbesserte Möglichkeiten zur Erwerbsteilhabe bietet.

Ein weiteres Beispiel ist die Beobachtung der Marktforschung, dass die über 14-Jährigen der Generation Z (ab 2000 Geborene), deren Altersgenossinnen und –genossen in der (vorhergehenden) Generation „Y“ eine hohe, als altersspezifisch aufgefasste Markenaffinität aufwiesen, mittlerweile den bekannten prestigeträchtigen Labels und ihren Verkaufsstätten den Rücken kehren. Das bei der Kleidung ersparte Geld wird für die neuen „Extensions“ dieser noch jungen Generation verwendet: teuerste IK-Technik (vgl. Julia Löhr und Roland Lindner; Sinkende Absatzzahlen. Hollister ist nicht mehr cool; FAZ vom 11. November 2014).

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Ein drittes Beispiel ist die Feststellung bzw. Befürchtung der alpenländischen Tourismusindustrie um aktuelle und bevorstehende Umsatzrückgänge. Diese werden nicht nur mit dem Klimawandel und der schlechter bzw. unzuverlässiger werdenden Schneelage begründet, sondern mittlerweile auch mit der Affinität der Jüngeren und ökonomisch potenten der Generationen Y und Golf für Fernreisen im Winter auf die Südhalbkugel (Zellmann/Mayrhofer 2015).

Diese Beispiele unterschiedlicher Werte-, Einstellungs- und Verhaltensmuster von Angehörigen derselben Altersgruppe in verschiedenen Zeitphasen, lassen sich nur durch den Verweis auf weitere, nicht altersbezogene Faktoren erklären: Generationsbezogenheit ist einer davon. Als Erklärungsansatz bleibt Generation allerdings sperrig und unvollkommen.

Generationen und ihre Verhaltensmuster nicht erklären, aber beschreiben Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt: Die Erfahrungskontexte von Generationen weisen offenkundig einen mehrdimensionalen Charakter auf: einflussnehmende Prozesse und Ereignisse überlappen sich und haben auf die in der betreffenden Generation Lebenden je nach Alter, sozialer Lage und Grundeinstellung völlig verschiedene Reichweiten. Hinzu kommt, dass die Personen, die einer Generation angehören ihrerseits einflussnehmende Wirkung auf die Mitglieder einer zeitlich benachbarten Generation ausüben, mit dem Ergebnis zeitverzögerter, generationenübergreifender Lerneffekte. Beispiele für generationsübergreifender Beeinflussung sind die Entwicklung und Etablierung ökologischen Gedankenguts, vom belächelten Nischenthema zum systemimmanenten Gesellschaftsziel „Nachhaltigkeit“, oder auch die Frauenbewegung, die sich schrittweise von einer Rechte erkämpfenden, zu einer Gesellschaft verändernden Strömung weiterentwickelt hat.

Die Mehrdimensionalität von Generationen und ihre Erklärungsunschärfen sind neben der beschrieben Zeitgebundenheit weitere Faktoren, die einem kausalen, empirischen Nachweis für generationales Verhalten entgegenstehen. Somit stellt sich Generation als eine Art Sammelbecken zugeschriebener und vermuteter Einstellungs- und Verhaltensmustern dar – verbunden mit einem hohen persönlichen Wiedererkennungswert. Diese vielfach beklagte Selbstreferentialität ist Zugang und Schranke zugleich für die Wahrnehmung und Bewertung des Generationenkonzeptes.

Eine Definition von Generation könnte angesichts dieser Melange lauten: Generationen sind durch ihren Geburtszeitraum beschriebene Gruppen, die vielfachen, zeitgebundenen Umfeldfaktoren ausgesetzt sind. Sie erscheinen als eine Art Zeit- und Verhaltenscontainer, in denen eine spezifische Mischung von Wert- und Einstellungsmustern vorzufinden ist, die den Verhaltens- und Werteprofilen anderer Generationen verschieden ist.

Für die mit Stadtforschung und Statistik Befassten wäre es eine lohnenswerte Grundlagenarbeit, zunächst einmal Generationen in ihren Einstellungs- und Verhaltensmuster zu beschreiben (siehe hierzu der Beitrag von Jacqueline Berg in diesem Heft).

Schwerpunkt Generationen als Beobachtungsgegenstand von Stadtforschung und Statistik

Einsatzmöglichkeiten des Beschreibungskonstruktes Generation für Stadtforschung und Statistik

Golf geschuldet, die deutlich, d. h. um fast ein Viertel geringer besetzt ist, als die vorangehende Generation der Baby Boomer (vgl. Abb. 1).

Beispielhaft für die Nutzung von Forschungsergebnissen zu Generationen ist die Marktforschung. Sie ist ein wichtiger Initiator und Konsument von Generationenstudien, mit denen die Marktforschung die Generationengebundenheit von Kaufverhalten, Produktzustimmung und Konsumstilen beobachtet vgl. Kecskes, 2012). Für die Marktforschung sind Generationen offensichtlich mehr als Geburtskohorten, sondern Kohorten, die bezüglich ihrer Einstellungs- und Handlungsmuster generationsspezifisch agieren. Gestützt auf diese Hypothese nutzt Marktforschung den Generationsansatz zur Einschätzung von Konsum- und Marktverhalten.

Bei der Unterstützung kommunaler Planung und Entwicklung stehen Stadtforschung und Statistik vor vergleichbaren Herausforderungen wie die Marktforschung. Vor allem kommunale Handlungsfelder, die vom demographischen Wandel betroffen sind, werden durch ein Denken in Generationenbezügen unterstützt.

Beim demographischen Wandel als Beobachtungsfeld von Stadtforschung und Statistik liegt der Schwerpunkt bei der Beobachtung weniger auf dem biologischen Altern der Gesellschaft, das durch die Zunahme der Lebenserwartung zu einem höheren Durchschnittsalter führt. Es sind vor allem die unterschiedlichen Besetzungsstärken von (zwei) aufeinanderfolgenden Generationen, die zu dem bekannten und vorhersagbaren Alterungseffekt führen. Die Alterung der Gesellschaft ist vor allem der auf die Baby Boomer folgenden Generation

Es sind somit zum einen die unterschiedlichen Mengengerüste der Generationen, die sich auf die Nachfragemenge nach kommunalen Angeboten und Leistungen auswirken. Zusätzlich zu den quantitativen Veränderungen sind aber auch Kenntnisse über die Unterschiede im aktionsräumlichen Verhalten für die planerische Anpassung kommunaler Angebote und Infrastrukturen erforderlich.

Zu den unterschiedlich groß besetzten Generationen gibt es von Stadtforschung und Statistik noch nicht viele Auswertungen zu deren Einstellungen und Verhaltensdisposition.

Eine Kernfrage ist hierbei, ob bzw. in welchem Umfang sich Verhaltensdispositionen, die in einer Generation ermittelt werden, tatsächlich im Zeitverlauf Bestand haben. Es gibt einige Hinweise, dass sich einmal herausgebildete Verhaltensdispositionen einer Generation mit fortschreitendem Alter nicht grundlegend ändern. Ganz vordergründig betrifft dies zum Beispiel Mode und Geschmacksfragen, wie Musikstile oder –interpreten.4 Aber auch die Affinität zu Parteien und Wahlverhalten scheinen bis zu einem gewissen Grad eine generationenspezifische Stabilität aufzuweisen.5 Eine solche Stabilität kann keineswegs auf alle Werteeinstellungen und Verhaltensdispositionen einer Generation übertragen werden, sondern muss für die jeweiligen Fragestellungen überlegt und getestet werden. Hieraus könnte sich ein Beobachtungsauftrag ergeben, für den Stadtforschung und Statistik ein Messund Erhebungsdesign entwickeln müssten. Spezielle Items zur

Abbildung 1: Generationenverteilung der Bevölkerung im Bundesgebiet (2013)

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Schwerpunkt Generationen als Beobachtungsgegenstand von Stadtforschung und Statistik

Beobachtung von Einstellungen, Bedarfslagen und Verhalten gehören hierzu ebenso, wie die Nutzung bzw. nachträgliche Auswertung zurückliegender Befragungen mit dem Ziel intergenerationaler Vergleiche von Generationen.

Für Stadtforschung und Statistik ist das Denken in Generationenbezügen eine Ergänzung und gleichzeitig eine Grundlage für Projektionen und Entwicklungsszenarien: - Die Kenntnis generationsspezifischer Bildungsverfassung bietet die Möglichkeit, aus der Abfolge von Generationen und ihrem Durchaltern frühzeitig Hinweise zu künftigen Qualifikationsstrukturen am Arbeitsmarkt zu erhalten.

- Die Beobachtung von Generationen könnte die Auseinandersetzung um die künftige Mobilitätsentwicklung und Verkehrsmittelwahl auf bessere Grundlagen stellen. Gleichzeitig wären sowohl das hiermit in Verbindung stehende Einkaufsverhalten, die Internetnutzung und der hiervon ausgehende Veränderungsdruck auf die Einzelhandels- und Zentrenstruktur generationenspezifisch zu analysieren.

- Die Auffassung einer Generationenabhängigkeit der aktuellen und der künftigen Alterspflegestrukturen erlaubt die Entwicklung von Modellrechnungen zu den künftigen Arrangements von ambulanter und familialer Pflege.

- Ohne die sachgerechte Einschätzung der Wirkung des Generationenwechsels ist eine zukunftsgerichtete Projektion der kommunalen und regionalen Wohnungsmärkte kaum denkbar.

Generationen als Verhaltenscontainer auffassen Die Generationen lassen sich bildlich als „Container“ vorstellen für die angenommen wird, dass Ähnlichkeiten in der Zusammensetzung ihrer Einstellungen und Verhaltensdispositionen bestehen. Keinesfalls soll hiermit behauptet werden, dass die Struktur von Einstellungen und Verhaltensdispositionen in einem Generationen- bzw. Verhaltenscontainer weitgehend homogen sei. Dies ist bei einzelnen Aspekten sicher vorstellbar. Die als Verhaltenscontainer beschriebenen Generationen weisen allerdings eine spezifische Zusammensetzung von Verhaltens- und Einstellungsdifferenzierung auf, die sich von der anderer Generationen charakteristisch unterscheidet. Je sicherer von einer generationenspezifischen Verhaltensstabilität ausgegangen werden kann, desto eindeutiger kann ein generationsspezifisches Verhalten in Szenarien für die Projektion künftiger Entwicklungen genutzt werden.

Sehr eingängig haben Blinkert und Gräf 2009 Analysen und Szenarien zu den Herausforderungen erarbeitet, die sich in Zukunft für die Pflege und Betreuung älterer, auf Unterstützungsleistungen angewiesenen Personen ergeben und hierbei den Vorteil einer generationenbezogenen Sichtweise genutzt.

Die sich grundlegend verändernden Rahmenbedingungen für die Ausübung familialer Pflege wurden von ihnen zu einem Modell entwickelt, mit dem die Entwicklung der häuslichen Pflegequoten abgeschätzt werden konnte. Jonas hat 2012 die Modellüberlegungen von Blinkert und Gräf (2009) auf der Basis einer Generationeneinteilung und unter Nutzung der Kölner Einwohnerprognose (Amt für Stadtentwicklung und Statistik, 2011) angewendet und Projektionen zur Entwicklung des künftigen Pflegebedarfs und –potenzials berechnet.

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Prozesse der Stadt- und Regionalentwicklung wären in der jüngeren Vergangenheit mit generationenspezifischen Szenarien möglicherweise grundlegend anders bewertet worden: So wäre das etwa seit 2008 nahezu sprunghaft einsetzende Einwohnerwachstum der Städte mit einem Generationenszenario bereits sehr viel früher erkenn- und beschreibbar gewesen.

Eine altersspezifische Betrachtung der Einwohnerzuzüge hätte frühzeitig gezeigt, dass in den Städten ein Wanderungsplus ausschließlich für die 18 bis 30-Jährigen bestand. Bucher und Schlömer identifizierten sowohl die vergangenen Einwohnerverluste der Städte, wie auch die aktuellen Zuwächse als Reflex bzw. kalkulierbare Größe auf der Besetzungsstärke der Bildungs-, Ausbildungs- und Berufseinsteigerjahrgänge der jeweiligen 18 bis 30-Jährigen (vgl. H. Bucher und C. Schlömer, 2012).

Die Bedeutung dieser strategischen Altersgruppe auf das Städtewachstum beruht allerdings nicht nur auf einem Kohorteneffekt. Hier war zusätzlich ein Generationeneffekt wirksam: Die für das ab Mitte 2000 einsetzende bzw. sich deutlich verstärkende Städtewachstum verantwortlichen 18 bis 30-Jährigen gehörten zu den Geburtsjahrgängen der Generation Golf und der Generation Y. Gegenüber ihren jeweiligen Elterngenerationen, der Kriegs- und Nachkriegsgeneration sowie der BabyBoomer ergaben sich jeweils veränderte Bildungsanforderungen der Gesellschaft. Aber auch die Zugangsbedingungen für eine Bildungsteilhabe hatten sich verändert. Mit jeder Generation steigerte sich der Anteil derer, die ein (Fach-)Hochschulstudium absolvierten. Die gestiegenen Gymnasialquoten bzw. die gestiegene Nutzung weiterer Zugangsmöglichkeiten zu einer (Fach-)Hochschulausbildung sind ein nahezu klassischer Generationeneffekt, bei dem die veränderte Bildungsteilhabe der Kinder im generationalen Übergang von der Eltern- auf die Kindergeneration nicht zuletzt Teil der Familiengeschichte ist und zum anekdotischen Erfahrungsumfeld generativer Prozesse gehört. An dieser Stelle kreuzen sich überdies die deskriptiven Informationen zu einem generationsspezifischen Bildungsverhalten mit den Messkonzepten zu sozialer Mobilität und den Anforderungen einer Bildungsforschung.

Im Ergebnis erzeugte dieses Produkt aus größerer Kohortenstärke und erhöhtem Bildungsverhalten eine Zuwanderungswelle, die vielfach als „Renaissance der Städte“ gewertet wird6.

Die Diskussion um das jüngste Einwohnerwachstum der Städte und die Frage, wie lange bzw. unter welchen Bedingungen es anhält, zeigt überdeutlich den Charme aber auch die Notwendigkeit, solche Entwicklungsfragen unter Berücksichtigung von Generationeneffekten zu analysieren. Die dringend erforderliche Auseinandersetzung mit der Frage, welche Auswirkungen bevorstehende Generationeneffekte auf die Wohnungsmärkte der derzeitigen Wachstumsstädte haben, ist überfällig und gehört auf die Agenda kommunaler Stadtforschung und Statistik.

Wie lautet das Fazit?

(1) Im Grunde stehen Analysen, die die Wirkung von Generationeneffekten auf Verhalten und Einstellungen nachweisen, vor denselben Problemen, wie jede Evaluationsforschung: Im Nachhinein sind die Ursache-/Wir-

Schwerpunkt Generationen als Beobachtungsgegenstand von Stadtforschung und Statistik

kungskonstellationen, die einer Generationszugehörigkeit zugeschreiben werden, aufgrund ihrer Generationengebundenheit nicht mehr überprüfbar. Die normative und selbstreferentielle Vorgehensweise bei der Erklärung generationaler Effekte ist daher nur allzu verständlich, wenn nicht sogar alternativlos.

(2) Die Nutzung generationsspezifischer Beschreibungen ist als Ergänzung zu verstehen, mit der vor allem Entwicklungsunterschiede und -prozesse beobachtet werden können. Die Vorstellung des Durchalterns von Generationen mit unterschiedlicher Besetzungsstärke, die unterschiedliche Einstellungs- und Verhaltensmuster aufweisen, ist bestens geeignet, Szenarien zu entwickeln. Für die Statistik bedeutet die Beschreibung von Generationen und ihrem Verhalten eine wichtige Ergänzung ihrer Beobachtungsaufgabe.

(3) Generationen dürfen nicht auf die Aufgabe von Beschreibungs- und Deutungsmustern begrenzt werden. Auch diejenigen, die grundlegende Strukturen vordenken, planen und verantworten, also Hochschullehrer und Forscher, Planer, Politiker und auch Investoren gehören Generationen an. Der alltagssprachliche Begriff einer Planer- oder Politikergeneration verweist auf deren Wirkungsanteile bei der Gestaltung von Gesellschaft und Umwelt. Hierzu gehören auch Planungsleitbilder, die ihrerseits eine Generationengebundenheit aufweisen, wie zum Beispiel das bis ins heutige Planungsrecht wirksame Prinzip der Funktionstrennung7, städtebauliche Wohnsiedlungsleitbilder, wie das der Gartenstadt, oder die Großwohnsiedlungen der 60iger und 70iger Jahre, die suburbanen Einfamilienhausringe, oder auch Verkehrsplanungsleitbilder, wie das der „Autogerechten Stadt“.

(4) Auch deren Überwindung und Ablösung ist als ein generationenübergreifender Prozess zu verstehen. So geht das gestiegene Verständnis für Wachstumsrestriktionen unter dem Credo der Nachhaltigkeit auf die 68er Generation zurück, deren Maximen jedoch nicht in „ihrer“ Generation, also bei den Angehörigen der Kriegs und Nachkriegsgeneration, sondern von den nachfolgenden Generationen der Baby Boomer sowie der Generation Golf akzeptiert und umgesetzt wurde. Die interessante Frage, ob und wie inter- und intragenerationale Beeinflussungsprozesse und – ggfs. zeitverzögert – Lernprozesse stattfinden, erscheint als ein Arbeitsfeld, das Stadtforschung und Statistik wohl kaum selbst betreiben, jedoch unterstützen sollten.

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Kaspar Maase hat die „Karriere“ des Generationenbegriffs in der Öffentlichkeit zwischen 1950 und 2002 ausgewertet und eine Steigerung von durchschnittlich sieben jährlichen Veröffentlichungen in den 50er Jahren auf 112 Publikationen zwischen 2000 und 2002 festgestellt (Maase S.122, in Jureit / Wildt (Hg.), Hamburg 2005 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Baby-Boomer Dass für den Forschungsgegenstand „Generationen“ seit den Überlegungen von Karl Mannheim in dem 1928 veröffentlichten, für die Soziologie richtungsweisenden Text „Das Problem der Generationen“ offensichtlich noch kein Messkonzept entwickelt wurde, das in der Lage wäre, generationsübergreifend vergleichbare Messbedingungen zu schaffen, ist offenkundig auf die weitgehend einmaligen und damit generationsgebundenen Wirkungsbedingungen zurückzuführen. Die Voraussetzungen, um einen generationalen Einfluss empirisch zu messen sind deshalb nicht gegeben, weil die Faktoren, die für ein generationsspezifisches Verhalten verantwortlich sein sollen, an die entsprechende Generation gebunden scheinen und daher bei den Angehörigen einer vorhergehenden oder nachfolgenden Generation empirisch nicht verglichen werden können.

Unsere anekdotischen Alltagserfahrungen geben deutliche Hinweise auf generationsgebundene Verhaltensdispositionen: So wird die ab jetzt ins Rentenalter hineinwachsende Generation der Baby Boomer nicht (alpenländische) Volksmusik, sondern Rock und Heavy Metal konsumieren und eine bis dato nicht gekannte Motorrad-Dichte auf die Straßen bringen.

Vergleiche der repräsentativen Wahlstatistik deuten auf eine Generationengebundenheit des Wahlverhaltens: Sowohl die Zunahme der Nichtwähler, wie auch die zunehmende Volatilität der Wahlberechtigten, die mit dem Eintritt neuer Generationen in das Wahlalter festzustellen ist, können als Hinweis auf eine Generationengebundenheit interpretiert werden. Die deutlich höhere Wahlbeteiligung und der geringere Anteil an Wechselwählern bei den älteren Wahlberechtigten repräsentieren das Wahlverhalten der Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsgenerationen. Obwohl den heutigen die Werte- und Einstellungskontexten ausgesetzt, übernehmen sie nicht das Wahlverhalten nachfolgender Generationen; ihr Wahlverhalten bleibt ihrem Wahlverhalten der 50iger und 60iger Jahren noch ähnlich.

Die umstrittene Frage zur Existenz einer „Renaissance der Städte“ sollte überdies nicht isoliert aus Wanderungssalden und hieraus resultierenden Einwohnerzuwächsen abgeleitet werden. Eine Renaissance der Städte drückt sich unter anderem auch im Investorenverhalten der Immobilienwirtschaft aus (siehe auch Just 2012) Siehe hierzu die Dissertation von Kuder zu städtebaulichen Leitbildern 2001, S. 140 ff.

Die Darstellung von Generationen als Forschungsgegenstand und Konstrukt für die Beschreibung und Erklärung von Einstellungen und Verhalten hat zum einen die Komplexität des Generationenthemas gezeigt. Andererseits ist erkennbar geworden, dass – wenn man sich auf Generation als Abgrenzung für zusammenhängende Bedarfslagen, Bewertungen und Verhalten einlässt – eine sinnvolle Erklärungs- und Beschreibungsgrundlage für räumliche Interaktion und Einstellungsmuster zur Verfügung steht, die Stadtforschung und Statistik stärker nutzen könnten.

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Schwerpunkt Generationen als Beobachtungsgegenstand von Stadtforschung und Statistik

Literatur Blinkert, Baldo; Gräf, Bernhard (2009): Deutsche Pflegeversicherung vor massiven Herausforderungen. Deutsche Bank Research, Demografie Spezial, Aktuelle Themen 442 Bucher, Hansjörg und Schlömer, Claus : Eine demographische Einordnung der Reurbanisierung. In: Die Attraktivität großer Städte: ökonomisch, demographisch, kulturell. Ergebnisse eines Ressortforschungsprojekts des Bundes. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) Bonn, 2012. S. 66–72 Bruch, Heike; Kunze, Florian; Böhm, Stephan: Generationen erfolgreich führen – Konzepte und Praxiserfahrungen zum Management des demographischen Wandels. Wiesbaden, 2010 Gaschke, Susanne: Generation Zuviel – DIE WELT 25. Januar 2015 Gaschke, Susanne: Demografie: Entspann dich, Alter! – DIE ZEIT 11. April 2011 Hurrelmann, Klaus und Albrecht, Erik: Die heimlichen Revolutionäre: Wie die Generation Y unsere Welt verändert. Nordhausen, 2014 Illies, Florian: Generation Golf. Eine Inspektion.

Berlin, 2000 Jacobs Krönung-Studie/Institut für Demoskopie: Generationenbilder. Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Befragung. Allensbach am Bodensee, 2013 Jeges, Oliver: Generation Maybe hat sich im Entweder-oder verrannt. In: DIE WELT vom 23.März 2012 Jeges, Oliver: Generation Maybe. Berlin, 2014 Jessen, Johann; Siedentop, Stefan; Zakrzewski, Philipp: Rezentralisierung der Stadtentwicklung? Kleinräumige Analyse des Wanderungs-

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geschehens in deutschen Großstädten. In: Brake, Klaus; Herfert, Günter (Hg.): Reurbanisierung – Materialien und Diskurs in Deutschland. Wiesbaden 2012 Jonas, Andrea: Szenarien zum Pflegebedarf und -potenzial in einer Großstadt: Das Beispiel Köln. In: Breuer, Hermann; Schmitz-Veltin, Ansgar (Hrsg.): Szenarien zur demografischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung in Städten und Regionen. Stadtforschung und Statistik, Themenbuch 1. Köln, 2013 Just, Tobias: Investitionen in die Innenstädte: Reurbanisierung aus Eigeninteresse der Investoren. In: Brake, Klaus; Herfert, Günter (Hg.): Reurbanisierung – Materialien und Diskurs in Deutschland. Wiesbaden 2012 Jureit, Ulrike und Wildt, Michael: Generationen.

In: Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs. Hamburg, 2005 Kecskes, Robert: Auf der Suche nach einem kohärenten Qualitätsversprechen. GfK SE. Nürnberg, 2012 Klein, Markus: Gibt es die Generation Golf? Eine empirische Inspektion. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 55, 2003, S. 99–115 Knoch, Habbo: Gefühlte Gemeinschaften. Bild und Generation in der Moderne. In: Jureit, Ulrike und Wildt, Michael: Generationen. In: Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs. Hamburg, 2005 Kuder, Thomas: Städtebauliche Leitbilder - Begriff, Inhalt, Funktion und Entwicklung, gezeigt am Beispiel der Funktionstrennung und -mischung. Fakultät VII Architektur Umwelt

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Gesellschaft der Technischen Universität.

Berlin, 2001 Lepsius, M. Rainer: Kritische Anmerkungen zur Generationenforschung. In: Jureit, Ulrike und Wildt, Michael: Generationen. In: Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs. Hamburg, 2005 Löhr, Julia und Lindner, Roland: Sinkende Absatzzahlen, Hollister ist nicht mehr cool. Der einstigen Kultmarke von Abercrombie & Fitch laufen die Kunden davon; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.11.2014 Maase, Kaspar: Farbige Bescheidenheit. Anmerkungen zum postheoretischen Generationsverständnis. In: Jureit, Ulrike und Wildt, Michael: Generationen. In: Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs. Hamburg, 2005 Metzler, Christoph ; Werner, Dirk ; Zibrowius, Michael: Arbeitsmarktergebnisse und berufliche Ziele der Generation Y im Vergleich zur Generation X. In: IW Trends, Institut der deutschen Wirtschaft. Köln, 2014/3 Rump, Jutta: Im Gespräch: „Die Ochsentour hat ausgedient“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.06.2013 Rump, Jutta und Eilers, Silke: Die jüngere Generation in einer alternden Arbeitswelt: Baby Boomer versus Generation Y. Institut für Beschäftigung und Employability IBE. Ludwigshafen, 2012 Zellmann, Peter; Mayrhofer, Sonja: Muss Österreich auf seinen (Winter)Volkssport verzichten?; Institut für Freizeit- und Tourismusforschung (IFT), Forschungstelegramm 1/2015

Schwerpunkt Generationen als Beobachtungsgegenstand von Stadtforschung und Statistik

Jacqueline Berg

Kann man Generationen sehen?

Ein Versuch zur Messung von Werteorientierung von Generationen

Jacqueline Berg Stadt Köln – Amt für Stadtentwicklung und Statistik, Abteilung Statistik und Informationsmanagement : jacqueline.berg@stadt-koeln.de Schlüsselwörter: Generationen – Umfrage – Werte/Einstellungen – Traditionalismus – Faktorenanalyse – Korrespondenzanalyse

Wie umstritten Generation als mess- und nachweisbarer Erklärungsfaktor für Werte, Einstellungen oder Verhalten aufgefasst wird, ist im einleitenden Beitrag von Hermann Breuer beschrieben. Jenseits aller Diskurse um die Nachweisbarkeit der Ursachen für unterschiedliche Werteeinstellungen in Generationen sollte auch auf kommunaler Ebene eine Auseinandersetzung mit Generationen und ihren Einstellungen und Verhaltensmustern stattfinden.

Bürgerbefragungen als Untersuchungsmaterial sind für derartige Analysen alternativlos. Im nachfolgenden Beitrag zur Analyse von Werteeinstellungen in Generationen wurde auf Daten einer Bevölkerungsumfrage zurückgegriffen, die das Amt für Stadtentwicklung und Statistik der Stadt Köln durchgeführt hat. In der „Demografieumfrage 2009“ wurden Einstellungsmerkmale zu Kindern und zur Rolle der Frau erhoben.

Die Analysen sollten die Unterschiedlichkeit von Einstellungen der Generationen zu diesen Themen überprüfen. Der Untersuchungsansatz dieses Beitrags hat daher vor allem einen deskriptiven Anspruch, d. h. es geht zunächst darum festzustellen, ob bzw. welche Verhaltens- und Einstellungsunterschiede in Generationen vorhanden sind.

In einem ersten Schritt wurden die Altersangaben der Befragten in eine pragmatisch abgegrenzte Generationeneinteilung recodiert, die sich wie folgt darstellt: Um die Besetzungsstärken der Generationen in Köln zu verdeutlichen, sind in der folgende Tabelle 1 die Abgrenzungen der Generationen mit ihrer jeweiligen Besetzungsstärke (Einzeljahrgänge) in Köln und der Bundesrepublik Deutschland dargestellt. Hier ist das Zuwanderungsplus durch hinzuziehende Studenten, Auszubildende oder Berufseinsteiger in den Generationen „Golf“ und den „Digital Natives“ gut erkennbar.

Die Lebensbedingungen, die gesellschaftlichen Erwartungen und die ökonomischen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten 80 Jahren – also der Zeitraum, der die hier betrachteten Generationen umfasst – deutlich verändert. Für die Generationen nach dem zweiten Weltkrieg haben sich die Arbeitsmarktstrukturen erkennbar und grundlegend verändert.1 Die Veränderungen betreffen den Zeitpunkt des Erreichens einer auskömmlichen oder ausbildungsadäquaten Erwerbsarbeit und bringen zunehmende Einschränkungen für die Dauerhaftigkeit und Sicherheit einmal erreichter beruflicher Position mit sich. Sie beeinflussen aber auch die Einstellungen zur Rolle der Frau und die Erwartung an ihre Erwerbstätigkeit, sowie zu Elternschaft und zu Kindern.

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11.150 der 13.200 Fragebögen der Demografieumfrage konnten die fünf Generationen ausgewertet werden. Zur Ermittlung der Einstellung der Bevölkerung zu Kindern wurden 13 entsprechende Items in die Befragung aufgenommen, u. a. ausgewählte Einstellungsitems des Familiensurvey des Bundesministeriums für Familie, Senioren, und Jugend (siehe Abb. 2).

Darüber hinaus enthielt die Befragung eine Fragenbatterie mit sechs Items aus dem ALLBUS zur Rolle der Frau in Partnerschaft und Familie (siehe Abbildung 3) sowie die Frage, auf der Tabelle 1: Abgrenzung der Geburtsjahrgänge und ihre Besetzungsstärke in Köln und im Bundesgebiet 2013

Berechnung des Inglehart-Index‘ beruht (siehe Abbildung 4).

Die beiden letzten Fragen dienten vorrangig der empirischen Ermittlung von Milieus in Köln.2

1. Univariate Herangehensweise Einstellung zu Kindern In unserer Gesellschaft ist durch das Vorhandensein sozialer Sicherungssysteme die materielle Versorgung im Alter abgekoppelt vom Vorhandensein von Kindern. Somit ist die Entscheidung für oder gegen Kinder eher das Ergebnis biologischer Gegebenheiten, ökonomischer und sozialer Ressourcen oder von Zukunftsängsten. Ein wichtige Rolle bei den Abwägungsprozessen der Vor- und Nachteile von Kindern für die persönlichen Lebensziele dürfte nicht zuletzt die persönliche Einstellung spielen, die man grundsätzlich zu Kindern hat und welchen Wert man ihnen beimisst.3 Aber auch wenn man nicht vor dem Entscheidungsprozess für oder gegen Kinder steht, spielt in der älter werdenden, zunehmend kinderlosen Gesellschaft die Einstellung zu Kindern eine nicht unerhebliche Rolle für das gesellschaftliche Zusammenleben der Generationen.

Dass Kinder nach wie vor einen universellen Wert haben, sieht man daran, dass die Aussage „Es macht Spaß, Kinder im Haus zu haben und sie aufwachsen zu sehen“ einhellige Zustimmungswerte über alle fünf Generationen von annähernd 100 Prozent aufweist.

Abbildung 1: Altersabgrenzung der Generationen und Besetzungszahlen in der Demografieumfrage 2009

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Neben diesem emotionalen Aspekt, der von allen Generationen einhellig geteilt wird, zeigt das Antwortverhalten der Befragten jedoch erkennbare Einstellungsunterschiede in den fünf Generationen. So findet sich bei der Vorkriegsgeneration ein Einstellungsmuster, das sie von den nachfolgenden Generationen deutlich unterscheidet. Es ist diese Generation, die den Wert eigener Kinder für die gesellschaftliche Anerkennung stärker bejaht als die anderen Generationen. Die Befragten dieses Alters wurden in einer Zeit geboren, in der erst mit der Geburt eigener Kinder die Adoleszenz als vollendet galt und in der Kinder ein Statussymbol darstellten. So ist diese Generation deutlich stärker als die Nachfolgegenerationen der Meinung, dass Kinder zu einem erfolgreichen Menschen gehören.

Dies gilt auch für die Einstellung, dass Kinder mit einer höheren Anerkennung in der Gesellschaft verbunden sind.

Auch ist die Generation der vor dem Krieg Geborenen stärker der Meinung, dass es ein Vorteil sei, Kinder zu haben, da diese einem im Alter helfen könnten. Tatsächlich sind es die Kinder

dieser Generation, die nicht nur ein ausreichendes Potential für die Pflege ihrer Elterngeneration stellen. Die Töchter dieser Generation hat aufgrund ihrer geringeren Erwerbsbeteiligung zudem eher die Möglichkeit, sich um die Eltern zu kümmern.

In diesem Punkt unterscheidet sich die Kriegs-/Nachkriegsgeneration bereits deutlich von ihrer Vorgängergeneration: Zwar hat die Kriegs- und Nachkriegsgeneration in den Baby Abbildung 3: Einstellung zur Rolle der Frau in Partnerschaft und Familie

Abbildung 2: Fragenbatterie „Einstellung zu Kindern“

Abbildung 4: „Inglehart-Index“

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Boomern und z. T. noch in der Generation „Golf“ faktisch, d. h. zahlenmäßig ein großes Pflegepotenzial diese Elterngeneration weiß aber um die Doppelbelastung ihrer Kinder durch Beruf und Familie. Gleichzeitig wirkt sich die zunehmende erwerbsbedingte Mobilität der nachfolgenden Generationen aus. Im Ergebnis hegen offensichtlich die Angehörigen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration keine allzu große Erwartung an die Unterstützung durch die eigenen Kinder.

Am geringsten teilen die „Baby Boomer“ die Auffassung, dass Kinder im Alter eine Hilfe sein können. Dies erscheint wie eine

Vorwegnahme ihrer eigenen Pflegesituation im Alter. Neben der deutlich geringeren Kinderzahl, die diese Generation hat, stehen die veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen einer familialen Unterstützung vielfach entgegen.

Auffällig ist, dass sich die Generation „Golf“ sowie die jüngste Generation der Digital Natives in ihren Einstellungen zur potentiellen Unterstützungsleistung von Kindern wieder der Vorkriegsgeneration annähern. Dieser Befund ist hoch spannend, kann allerdings in diesem Beitrag nicht vertiefend analysiert werden: Hier könnte sich eine (neue) Idealisierung

Abbildung 5: Kinder im Haus zu haben und sie aufwachsen zu sehen macht Spaß

Abbildung 8: Kinder sind gut um jemanden zu haben, der einem im Alter hilft

Abbildung 6: Zu einem/r erfolgreichen Mann/Frau gehören auch Kinder

Abbildung 9: Kinder machen eine Einschränkung der Berufsarbeit notwendig

Abbildung 7: Mit einem Kind habe ich in unserer Gesellschaft eine höhere Anerkennung

Abbildung 10: Kinder sind eine finanzielle Belastung

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intragenerativen Zusammenlebens abbilden, hier kann sich aber auch die in der eigenen Kindheit erfahrene Wertschätzung von behüteter aufgewachsenen und ökonomisch besser ausgestatteten Kindern äußern.

Die Einstellung der Baby Boomer zu Kindern scheint – wie auch die der nachfolgenden Generation „Golf“ – maßgeblich von der Stellung im Lebenszyklus geprägt zu sein. Die Baby Boomer waren 2009 – im Jahr der Befragung – zwischen 40 und 54 Jahre alt, die Generation „Golf“ war zwischen 25 und 39 Jahre alt – also befanden sich beide Gruppen mitten in der Familienphase. Erstere mehrheitlich mit Kindern in der Pubertäts- und Ausbildungsphase, letztere mit Klein- oder Grundschulkindern.

Dieser Umstand bestimmt vor allem die problembezogene Sichtweise der Angehörigen der beiden Generationen auf Kinder: Hier stehen die fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie („Einschränkung der Berufsarbeit“) im Vordergrund.

Die berufliche Einschränkung geht zumeist Hand in Hand mit einer finanziellen Belastung. Die Einschätzung der finanziellen Belastung teilen in allen Generationen mehr als 6 von 10 Befragten. Die aktuell, d. h. zum Befragungszeitpunkt mit Kindererziehung befassten Baby Boomer und Angehörigen der Generation „Golf“ stimmen noch etwas stärker zu, als die übrigen Generationen. Dies kann als Reflex auf veränderte familialen Lebensumstände und Erwartungen aufgefasst werden, die an die Eltern dieser beiden Generationen gerichtet sind.

Bei der Generation „Golf“ fällt zudem auf, dass die ihr Angehörenden vergleichsweise stark der Meinung sind, Kinder ließen zu wenig Zeit für eigene Interessen. Dies dürfte auf den erhöhten Betreuungsaufwand für Klein- oder Grundschulkinder zurückzuführen sein.

Vergleicht man die verschiedenen Items miteinander so fällt auf, dass die „Digital Natives“ ein Antwortmuster zeigt, das sie etwas von ihren beiden Vorgängergenerationen der Baby Boomer und der Generation „Golf“ abhebt und das sich eher wieder dem Einstellungsmuster ihrer Großelterngenerationen anzugleichen scheint.

Obwohl dieser Beitrag nicht die Nachweisbarkeit generationaler Prägung von Verhaltensmustern zum Ziel hatte, weist die durchgeführte Kreuztabellierung von Einstellungen zu Kindern und Generationenzugehörigkeit auf das Vorhandensein generationsspezifische Unterschiede. Unterschiede im

Abbildung 11: Kinder lassen zu wenig Zeit für eigene Interessen

Antwortverhalten der Generationen, die zeittypische und damit generationenspezifische Effekte nahelegen, sind nur bei den beiden älteren Generationen erkennbar.

Die bei den Baby Boomern und der Generation „Golf“ gemessenen Einstellungen zu den drei übrigen Generationen dürften sich durch lebenszyklusspezifische Begleitumstände – sprich: Erziehungsphase der Kinder – erklären. Vor allem die Befunde einer Annäherung bei den Einstellungen zu Kindern zwischen den Vor- und Kriegs- bzw. Nachkriegsgeneration und der jüngsten Generation sollten weiter untersucht werden.

Einstellung zur Rolle der Frau in Partnerschaft und Familie Der Einstellung zur Rolle der Frau in Partnerschaft und Familie sind deutlichere Unterschiede zwischen den Generationen festzustellen.

Der intergenerationale Vergleich zeigt, dass die Vorkriegsgeneration bei den meisten Fragen zur Rollenverteilung zwischen Mann und Frau ein deutlich tradierteres Antwortverhalten als alle nachfolgenden Generationen aufweist. So ist diese Generation überdurchschnittlich häufig der Meinung, dass es eher der Mann sein sollte, der sich um den Unterhalt der Familie kümmert, die berufliche Karriere des Mannes wichtiger sei als die der Frau und letztere sich eher um die Familie und die Kinder zu kümmern habe.

Bereits bei nachfolgenden Kriegs- und Nachkriegsgeneration sinken die Zustimmungswerte zu diesem traditionellen Rollenverständnis so deutlich ab, dass hier deutlich ein bestimmender externer Einflussfaktor vermutet werden kann: die 68er Bewegung. Im Jahr 1968 war die Kriegs- und Nachkriegsgeneration zwischen 14 und 30 Jahre alt und damit Zeuge, wenn nicht sogar Protagonist dieses gesellschaftspolitischen Umbruches. Die (oftmals radikale) Abkehr von den tradierten Einstellungen und Rollenmustern ihrer Eltern dürfte von weiten Teilen dieser Generation vollzogen worden sein – eine Vermutung, die durch die erkennbaren deutlichen Unterschiede gerade im Antwortmuster der Vorkriegsgeneration und der Kriegs-/Nachkriegsgeneration unterstützt wird.

Diese Einstellung hat die Kriegs- und Nachkriegsgeneration an die Folgegeneration der Baby Boomer weitergeben, die wiederum ein deutlich egalitäreres Rollenverständnis als ihre Vorgängergeneration aufweist, das über die beiden Folgegenerationen weitgehend stabil erscheint.

Abbildung 12: E ist für alle Beteiligten viel besser, wenn der Mann voll im Berufsleben steht und die Frau sich um Haushalt und Kinder kümmert

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Einstellung zur Berufstätigkeit von Müttern Was die Einstellung zur Berufstätigkeit der Mutter betrifft, so sind die Unterschiede zwischen den Generationen nicht mehr ganz so deutlich.

Dass sich die emotionale Beziehung berufstätiger und nicht berufstätiger Mütter zu ihren Kindern nicht voneinander unterscheide, erfährt über alle Generationen hinweg eine einhellige Zustimmung.

Zudem sind die Befragten mehrheitlich der Meinung, dass die Berufstätigkeit einer Mutter nicht nur Nachteile für das Kind hat. Während nur knapp die Hälfte der Vorkriegsgeneration (45 %) dieser Meinung ist, steigt diese Akzeptanz der Berufstätigkeit von Müttern mit jeder Generation an. Bei der jüngsten Generation der Digital Natives erfährt diese Zunahme jedoch einen spürbaren Bruch.

Analog dazu sinkt die Zustimmung, wenn es um die Auswirkungen der Berufstätigkeit der Mutter auf ihr Kleinkind geht: Auch hier ist es die Generation der Digital Natives, die einen bis dahin gültigen „Trend“ unterbrechen und sich von ihrer Vorgängergeneration abheben.

Mit den Digital Natives scheint die zwei Generationen andauernde Stabilität einer positiven Einstellung zur Berufstätigkeit von Müttern einen Bruch zu erfahren. Welche Gründe für diesen Bruch eine Rolle spielen, kann an dieser Stelle nicht geklärt

werden. Dennoch kann vermutet werden, dass dieser Bruch in der eigenen Betroffenheit dieser Generation begründet liegt: Die Mütter der Digital Natives-Generation sind in deutlich stärkerem Ausmaß berufstätig als die Müttergenerationen vor ihr. So kann hier eine verstärkte Sensibilisierung für die Doppelbelastung der Eltern und die Erfahrung fehlender Vereinbarkeit von Familie und Beruf vermutet werden.

Fazit: Wie bereits bei den Fragen nach der Einstellung zu Kindern ist auch bei den Fragen nach Rollenbildern und der Berufstätigkeit von Müttern zu erkennen, dass der „Blick mit der Generationenbrille“ einen analytischen Mehrwert erbringt, um altersspezifische Einstellungsunterschiede näher zu beleuchten.

Die intergenerationalen Unterschiede beim Rollenverständnis sind deutlich und zeigen sich vor allem in den Einstellungsunterschieden zwischen der Vorkriegsgeneration und der Kriegs-/Nachkriegsgeneration. Die nachfolgenden Generationen der Baby Boomer, der Generation „Golf“ und der Digital Natives unterscheiden sich nur noch geringfügig voneinander.

Der sich scheinbar ankündigende Einstellungswandel bei der jüngsten Generation der Digital Natives zur Berufstätigkeit von Müttern erfordert – gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Berufstätigkeit von Müttern und dem fortschreitenden Ausbau des U3-Betreuungsbreiches – weitere Untersuchungen.

Abbildung 13: Eine verheiratete Frau sollte auf eine Berufstätigkeit verzichten, wenn es nur eine begrenzte Zahl von Arbeitsplätzen gibt und der Mann in der Lage ist, für den Unterhalt der Familie zu sorgen

Abbildung 15 Eine berufstätige Mutter kann ein genauso herzliches und vertrauenvolles Verhältnis zu ihren Kindern finden wie eineMutter, die nicht berufstätig ist

Abbildung 14: Für eine Frau ist es wichtiger, ihrem Mann bei seiner Karriere zu helfen, als selbst Karriere zu machen

Abbildung 16: Es ist für ein Kind gut, wenn seine Mutter berufstätig ist und sich nicht nur auf den Haushalt konzentriert

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2. Faktorenanalytische Herangehensweise Trotz der erkennbaren Unterschiede vor allem zwischen der Vorkriegsgeneration und der Kriegs-/Nachkriegsgeneration und des erkennbaren Bruches bei der Generation der Digital Natives kann aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation keine eindeutige Vorhersage zu Einstellungen und zu einzelnen Fragestellungen abgeleitet werden.

Es ist zu vermuten, dass den hier empirisch beobachteten Einzelmerkmalen latente, also nicht direkt messbare Einstellungen oder Werte (Dimensionen) zugrunde liegen, die das Antwortverhalten auf die Einzelitems steuern. Diese zugrundeliegenden Dimensionen gilt es zu erkennen.

Um die Zusammenhänge dieser Einzelmerkmale (Muster) besser zu verstehen und die ggf. dahinter liegenden Einstellungsdimensionen zu entdecken, wurden die Itembatterien der beiden Fragestellungen jeweils einer Faktorenanalyse unterzogen. Bei den Berechnungen wurde keine Itemselektion vorgenommen, alle Einzelitems flossen in die Analyse ein.

2.1 Extraktion von Faktoren (Dimensionen) Mittels einer Faktorenanalyse der 13 Einzelitems zur Einstellung zu Kindern wurden drei Faktoren extrahiert, die zusammengenommen 51,6 Prozent der Varianz erklären. Auf den ersten Faktor laden die sechs Items positiv, die Probleme, die Kinder mit sich bringen können thematisieren. Dieser Faktor (K1) erklärt 23,5 Prozent der Varianz (siehe Tabelle 2). Die hier erkennbare Dimension spannt den Bogen auf zwischen einer hohen und einer geringen Wahrnehmung von Problemen, die Kinder mit sich bringen können.

Auf den zweiten Faktor (K2) laden vor allem die vier Items positiv, die den funktionalen Charakter von Kindern herausstellen. Dieser Faktor erklärt 18,4 Prozent der Varianz.

Die hier erkennbare Dimension steht für die Funktion, die die Befragten Kindern zuschreiben – sei es für sich selbst (Anerkennung, Prestige, Hilfe im Alter), sei es in Bezug auf die Partnerschaft.

Auf den dritten Faktor (K3) laden emotionale Aspekte, also positive Empfindungen, die man mit Kindern verbindet (3 Items). Dieser Faktor erklärt 9,7 Prozent der Varianz. Die hier erkennbare Dimension steht dafür, inwieweit Kinder als Quelle der Freude und Zufriedenheit gesehen werden.

Auch die sieben Items zur Rolle der Frau in Bezug auf ihren Mann und die Familie wurden einer Faktorenanalyse unterzogen. Hier wurden zwei Faktoren extrahiert, die zusammen 62,9 Prozent der Varianz erklären.4 Auf den ersten Faktor (R1) laden vor allem jene Items positiv, die die Rollenverteilung zwischen Frau und Mann thematisieren. Dieser Faktor erklärt 47,9 Prozent der Varianz und kann als „Traditionalismus-Index interpretiert werden.

Auf den zweiten Faktor (R2) laden diejenigen Items, die die Berufstätigkeit der Mutter und deren Auswirkung auf die Kinder thematisieren. Dieser Faktor erklärt 15 Prozent der Varianz und spiegelt den gesellschaftlichen Diskurs zur „Erwerbstätigkeit von Müttern“ wider.

Die resultierenden Factor Scores zu den fünf Faktoren flossen in weitere Analysen ein. Dazu wurden die metrischen Factor

Tabelle 2: Einstellung zu Kindern - Hauptkomponentenanalyse der 13 Einstellungsmerkmale

Tabelle 3: Rolle der Frau - Hauptkomponentenanalyse der 7 Einstellungsmerkmale

Scores im Rahmen eines Mittelwertvergleiches (einfaktorielle Varianzanalyse) über die fünf Generationen betrachtet. Die Factor Scores lassen sich dabei wie folgt interpretieren: je stärker der Wert ins Negative geht, desto stärker ist die Einstellung auf der jeweiligen Dimension ausgeprägt, je positiver der Wert, desto geringer ist die Ausprägung dieser Dimension.

Auch wenn die Korrelationen (eta²-Werte) der Factor Scores mit dem Merkmal „Generation“ eher gering sind, sind auch hier in der Tendenz die bisher gefundenen generationentypischen Einstellungen erkennbar. Und die Ergebnisse überraschen nicht: Auch die den Einzelitems zugrundeliegenden Dimensionen einer Grundeinstellung spiegeln die bereits geschilderten generationentypischen Einstellungsunterschiede wider.

So sind es – wie bereits dargestellt – die Generationen der Baby Boomer und der Generation „Golf“, die aktuell vor den

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Problemen der Vereinbarkeit von Elternschaft und Beruf, der finanziellen Belastung und weiterer Probleme, die mit der Erziehung von Kindern verbunden sind, stehen oder dies in ihrem persönlichen Umfeld erleben.

Dementsprechend erscheint es nachvollziehbar, dass diese beiden Generationen Kindern deutlich weniger einen funktionalen Wert beimessen und auf dem zweiten Faktor entsprechen anders laden als die Vorgängergenerationen, aber auch anders, als die folgenden Digital Natives.

Allenfalls im Ansatz erkennbar sind die Unterschiede bei dem Faktor K3, der als „emotionale Dimension“ interpretiert werden kann und für den Aspekt „Kinder als Quelle der Freude und Zufriedenheit“ steht. So sind es tendenziell die Baby Boomer, die – trotz aller wahrgenommenen Belastungen (siehe Faktor K1) – mit Kindern etwas stärker als die anderen Generationen Positives verbinden.

Der Faktor zur Rollenverteilung zwischen Mann und Frau (R1) zeigt die stärksten Zusammenhänge mit dem Merkmal „Generationen“: Der folgende Mittelwertvergleich verdeutlicht die Unterschiede in der Traditionalität gerade zwischen der Vorkriegsgeneration und den Baby-Boomern. Über die Folgegenerationen bleibt der Traditionalitätsgrad stabil.

Der Blick auf den fünften Faktor „Berufstätigkeit von Müttern“ (R2) zeigt die tendenziell zunehmende Akzeptanz über die

Generationen hinweg, macht aber auch auf den Bruch bei den „Digital Natives“ aufmerksam, deren Zusammenhangswert sich dem der Baby Boomer-Generation annähert.

3. Generationenvergleich im korrespondenzanalytischen Ansatz Im vorangegangenen Teil dieses Artikels wurden fünf – pragmatisch abgegrenzte Generationen auf ihre unterschiedlichen Einstellungen zu Kindern, zur Rollenverteilung von Mann und Frau und zur Berufstätigkeit von Müttern untersucht. Die Auswertungen der einzelnen Einstellungsmerkmale hat bereits erste Hinweise über die Art der Unterschiedlichkeit erbracht.

Die darauf folgende Faktorenanalyse hat einen anderen Blickwinkel eröffnet und latente Dimensionen hinter den Einzelitems ermittelt, die die generationenspezifischen Unterschiede untermauerten.

Abschließend soll ein dritter Blickwinkel eröffnet werden, der die fünf Generationen in einen mehrdimensionalen Raum projiziert und Ähnlichkeiten oder Unähnlichkeiten der Generationen grafisch darstellt und die Nähe oder Ferne zu Merkmalen, die die Unterschiedlichkeit begründet, verdeutlicht.

Hierzu wird auf das Verfahren der multiplen Korrespondenzanalyse zurückgegriffen, ein Verfahren, das die Daten

Abbildung 17: Faktor K1 – „Kinder als Belastender Faktor“

Abbildung 19: Faktor K3 – Kinder „als Quelle der Freunde und Zufriedenheit“

Abbildung 18: Faktor K2 – „Kinder als funktionaler Faktor“

Abbildung 20: Faktor R1 – Rollenverteilung Mann-Frau

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mehrdimensionaler Kontingenztafeln gleichzeitig in einen niederdimensionalen Vektorraum projiziert. Dabei werden im vorliegenden Fall die Generationenzugehörigkeit (5 Ausprägungen) sowie die Faktor-Scores zu den fünf ermittelten Dimensionen (5 x 4 Ausprägungen5) so übereinander gelagert, dass sie auf gemeinsame Achsen hin interpretiert werden können.

Ziel der Korrespondenzanalyse ist eine primär grafische Präsentation der Daten. Die Projektion der Zeilen und Spalten der Kontingenztafeln (Generation vs. Factor Scores) mündet im vorliegenden Fall in einem Merkmalsraum, der von einer Achse dominiert wird. Über 70 Prozent der Variation in den Daten kann über diese Achse erklärt werden (72,1 %). Weitere 21,5 Prozent werden über die zweite Achse erklärt, die – wie in der Hauptkomponentenanalyse – unabhängig von der ersten Achse ist. Auf eine dritte Achse, die hier nicht dargestellt ist, entfallen 3,6 Prozent Varianzanteil. In der Summe können damit über drei Achsen über 97,2 Prozent der Gesamtvarianz in den Daten dargestellt werden.

In der folgenden Abbildung 22 ist die Dominanz der ersten Dimension durch die horizontale Streckung der Abbildung 22 leicht zu erkennen. Inhaltlich wird diese Hauptdimension durch eine deutlich hierarchische Projektion des Faktors R1 „Rollenverteilung Mann – Frau“ auf diese Achse bestimmt – wobei im linken Bereich der Abbildung die moderne Einstellung zu verorten ist, im rechten Teil die traditionelle.

Dies gilt auch für den Faktor R2 „Berufstätigkeit von Müttern“, der ebenfalls hierarchisch auf diese Achse lädt, mit derselben Ausrichtung. Diese Achse kann also als „Traditonalismus-Achse“ interpretiert werden: An deren „modernen Ende“ sind die Baby Boomer und die Generationen „Golf“ zu verorten, am anderen Ende befindet sich die Vorkriegsgeneration, die mit ihrem überdurchschnittlich abweichenden Antwortverhalten die Achse zum Traditionellen hin stark verlängert. Wie zu er-

Tabelle 4: Zusammenhänge zwischen Generationszugehörigkeit und Einstellungsmerkmalen

Abbildung 21: Faktor R2 – Berufstätigkeit von Müttern

Abbildung 22: Grafische Darstellung des Merkmalsraums Generationen

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kennen ist, wurde hier auch das Merkmal „Inglehart-Index“ in den Merkmalsraum projiziert. Auch bei diesem Merkmal ist eine hierarchische Projektion auf die erste Achse erkennbar, wobei das Merkmal von den Digital Natives etwas „angezogen“ wird.

Die senkrechte Achse, die etwa ein Fünftel der Datenvariation erklärt, wird fast ausschließlich durch eine hierarchische Projektion des Faktors „funktionaler Aspekt“ von Kindern (K2) bestimmt, wobei das obere Ende durch für hohe Funktionalitätszuschreibung bestimmt ist, das untere Ende durch eine geringe Funktionalitätszuschreibung.

Die grafische Darstellung zeigt, dass die Baby Boomer – gemessen an der horizontalen „Traditionsachse“ – die „modernste“ Generation darstellen. Bereits die nachfolgende Generation scheint in ihren Grundeinstellungen wieder etwas traditioneller zu sein. Noch stärker gilt dies für die Digital Natives.

Es ist klar, dass Einstellungen und Werte keine unabänderliche Größe darstellen, sondern von vielen Faktoren gesellschaftsund wirtschaftspolitischer Art beeinflusst werden. Sie hängen oftmals von der Stellung im Lebenszyklus ab können sich im Laufe des Lebens verändern. Hier könnten Langzeitstudien, etwa aus dem Sozioökonomischen Panel, eine Beobachtung individueller Einstellungs- und Verhaltensänderungen über Zeit ermöglichen.

Die vorgelegte Beschreibung von Einstellungsunterschieden verschiedener Altersgruppen ist ein Versuch, das Merkmal „Alter“ mit der Generationen-Sicht zu erweitern und damit einen analytischen Mehrwert zu erreichen. Deutlich wurde, dass die Entwicklung hin zu einer moderneren, egalitäreren Einstellung keine lineare Entwicklung ist und Jugend kein Garant für „moderne“ Einstellungen.

Literatur Blohm, M. und J.G. Walter (2013): Einstellung zur Rolle der Frau. In: DESTATIS, WZB/SOEP: Datenreport 2013. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. Bonn, S. 205-211 Hoffman, L.W. und M.L. Hoffman (1973): Value of children to parents. In: J.T. Fawcett: Psychological perspective on population. New York, S. 19-76

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Bei allen weitergehenden Untersuchungen zu Generationen muss der Anstieg des Bevölkerungsteils mit ausländischen Wurzeln berücksichtigt werden.

Dies beginnt mit der Frage, ob für die Bevölkerung mit ausländischen Wurzeln nicht spezielle Generationenabgrenzungen durchgeführt werden müssten. Auch konnte an dieser Stelle nicht geklärt werden, inwieweit der Migrationsaspekt eine Rolle z. B. bei dem zu erkennenden Bruch bei den Digital Natives in Bezug auf Traditionalität spielt.

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Die Extreme spannen sich auf zwischen den gesicherten Arbeitsverhältnissen und der absehbaren Vollbeschäftigung der Kriegs- und Nachkriegsgeneration und der letzten Jahrgängen der geburtenstarken Jahrgänge sowie der ab 1970 Geborenen der Generation Golf, die auch als „Generation Praktikum“ benannt ist, weil sich für viele der berufliche Einstieg schwierig und diskontinuierlich darstellt.

Genutzt wurde die Milieu-Klassifikation von Baldo Blinkert, die auf einer formalen Einteilung der beiden Achsen Sozialstatus und Lebensentwurf (Werteorientierung/Interpretation der Frauenrolle) beruht.

Siehe auch Hoffman/Hoffman 1973 Diese Analyse der Kölner Umfrageergebnisse bestätigt damit die Ergebnisse, die Blohm/Walter 2013 auf Basis der Analyse der ALLBUS-Daten ermittelt haben.

Hierzu wurden die metrischen Factor Scores der fünf Faktoren zu Quartilen zusammengefasst.

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Verena Kutzk und Marco Schwarz

Wie leben und wohnen Generationen?

Ergebnisse aus GWZ und Haushaltegenerierung am Beispiel Berlins Den Schwerpunkt dieses Beitrags bildet eine generationenbezogene Analyse der Berliner Bevölkerung sowie der Berliner Haushalte auf Basis der Ergebnisse des Zensus 2011.

Ziel hierbei ist es, das Leben und Wohnen der Generationen in einem allgemeinen Überblick darzustellen. Gleichzeitig wird diese Analyse genutzt, um Verbesserungsansätze für den Zensus 2021 aufzuzeigen.

Verena Kutzki Diplom-Volkswirtin und Master of Science, seit 2012 im Referat Zensus des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Personen und Haushalte tätig. Vorher war Sie im Bereich der GWZ beschäftigt. : verena.kutzki@statistik-bbb.de Marco Schwarz Diplom-Geograph, seit 2008 im Referat Zensus des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg als Referent, GWZ-Teilprojektleiter und Wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. : marco.schwarz@statistik-bbb.de Schlüsselwörter: Zensus 2011 – Berlin – Personen – Haushalte – Gebäude – Wohnungen – Haushaltegenerierung – GWZ – Generationen – Methodik

Einleitung Die vorliegenden Ergebnisse des Zensus 2011 bzw. der Gebäude- und Wohnungszählung (GWZ) stellen einen in der Bundesrepublik Deutschland einmaligen Datenbestand dar, der es ermöglicht, die bundesweit flächendeckend vorliegenden Vollerhebungsergebnisse der Gebäude- und Wohnungszählung 2011 (GWZ) mit registerbereinigten demografischen Ergebnissen und sozioökonomischen Stichprobenergebnissen kombiniert auszuwerten. Diese Kombinierbarkeit der vier statistischen Teilbereiche Personen, Haushalte, Gebäude und Wohnungen ist so nur mit den Daten des Zensus 2011 möglich.

Aber auch die Daten der einzelnen Teilbereiche liefern aktualisierte Basisinformationen und werden für Statistiken wie bspw. die Bevölkerungs- und Bautätigkeitsfortschreibungen als neue Datengrundlage genutzt und spiegeln die vorherrschende Situation zum 9. Mai 2011 in Deutschland wider. In diesem Beitrag werden zum einen Merkmale der vier einzelnen Zensus-Teilbereiche auf Basis einer Generationenabgrenzung vorgestellt, um einen Überblick der vorherrschenden Gesamtsituation zum Zensus-Stichtag 9. Mai 2011 zu zeigen.

Zum anderen wird eine komplexere Analyse – eine Kombination verschiedener Merkmale des Zensus – vorgestellt. Hierzu werden Erstbezugseigentümer – Personen bzw. Haushalte, deren Einzugsdatum mit dem Baujahr nahezu übereinstimmt – betrachtet.

Das Fazit am Ende dieses Beitrags widmet sich, unbeschadet der erstmals erfolgreich angewandten registergestützten Methodik des Zensus 2011, Verbesserungsansätzen im Hinblick auf den bevorstehenden Zensus 2021. Angesprochen werden fachliche Einzelaspekte, welche aufgrund der bereits bestehenden bundesgesetzlichen Möglichkeiten keine langwierigen parlamentarischen oder juristischen Abstimmungsverfahren erforderlich machen sollten.

Zur Methodik der personen- und haushaltebezogenen Analysen Die nachfolgenden Auswertungen mit Berichtszeitpunkt 9. Mai 2011 (Zensus-Stichtag) erfolgen auf Basis der Ergebnisse des Zensus 2011 zum zweiten Veröffentlichungstermin am 28. Mai 2014.

Aus Qualitätsgründen sowie aus Gründen der Nachvollziehbarkeit werden die nachfolgenden Auswertungen aus dem

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Schwerpunkt Generationen als Beobachtungsgegenstand von Stadtforschung und Statistik

Datenmaterial erstellt, welches gemäß § 22 Abs. 2 ZensG 2011 (Gesetz über den registergestützten Zensus im Jahre 2011 vom 8. Juli 2009, BGBl. I S. 1781) auf Nachfrage auch den abgeschotteten Statistikstellen der Gemeinden und Gemeindeverbände für ausschließlich kommunalstatistische Zwecke zur Verfügung gestellt werden können. Mit Rücksicht auf die statistische Geheimhaltung werden absolute Werte und Verhältniszahlen stets gerundet dargestellt.

In diesem Beitrag werden zwei methodisch voneinander getrennte Analysen vorgenommen. Hierzu zählen eine personenbezogene Untersuchung, die alle 3 292 365 Berliner Einwohner (Zensusstichtag: 9. Mai 2011) umfasst sowie eine haushaltebezogene Betrachtung. Die haushaltebezogene Betrachtung, welche in erster Linie eine Strukturanalyse der Zusammenhänge von Haushalts-, Gebäude- sowie Wohnungsmerkmalen zum Ziel hat, führt zu einer Reduzierung der betrachteten Personenanzahl. Der Grund hierfür sind MehrPersonen-Haushalte. Um diese in Bezug auf das Thema dieses Beitrags analysieren und in einen Generationskontext setzen zu können, muss zunächst eine Bezugsperson je Haushalt bestimmt werden, die diesen Haushalt repräsentiert. Da die Bestimmung der Generationenzugehörigkeit von Personen ausschließlich auf Basis des Geburtsjahres sowie anschließender Klassenzuordnung erfolgt, die verschiedenen Personen innerhalb eines Haushalts jedoch im Regelfall unterschiedliche Geburtsjahre aufweisen, ist eine gesamthaushalts- oder familienbasierte Generationenauswertung nur über die diesen Haushalt repräsentierende Bezugsperson möglich. Um den Generationenbezug zu den fünf im Zensus 2011 ermittelten Haushaltstypen herzustellen, muss in Mehr-Personen-Haushalten zunächst eine zentrale Person je Haushalt ausgewählt werden. Als zentrale, generationengebende Personen werden hier die im Rahmen der Zensus-Haushaltegenerierung zur Haushaltetypisierung nach Geschlecht, Alter und Familienstand bestimmten Bezugspersonen der jeweiligen Haushalte herangezogen, sodass für die Haushaltstypen der Mehr-Personen-Haushalte mit einer Kernfamilie (Paare ohne Kinder, Paare mit Kindern und Alleinerziehende) eine eindeutige für den Haushalt stehende Person festgelegt werden konnte. Eine Bezugspersonenfestlegung beim Haushaltstyp Mehrpersonenhaushalt ohne Kernfamilie, beispielsweise Wohngemeinschaf-

ten, ist mit diesem Ansatz nicht möglich. Daher werden diese Haushalte aus der Analysemasse ausgeschlossen.

Zusammen mit den Ein-Personen-Haushalten ergeben sich somit circa 1.690.000 Bezugspersonen. Dies entspricht 51,3 Prozent der Berliner Bevölkerung bzw. 94,1 Prozent der 1.794.936 Haushalte. Eine genaue Übersicht zeigt Tabelle 1.

Für die folgenden Analysen wird die Berliner Bevölkerung zum Stichtag 9. Mai 2011 in sechs Generationen untergliedert (vgl. Frisoli, Schmitz-Veltin 2015). Aussagen und Fallzahlen zu Mehrpersonenhaushalten mit Kernfamilien beziehen sich innerhalb dieses Beitrags stets auf die jeweilige Bezugsperson.

Zur Vereinfachung der Lesbarkeit wird im weiteren Verlauf nicht zwischen Haushalten und Bezugspersonen differenziert.

Es findet stets der Begriff Haushalte Verwendung. Des Weiteren wird bei den merkmalskombinierten Analysen die jüngste Generation nicht mitbetrachtet, da, bezogen auf die gestellte Fragestellung, zu wenig Fälle im Datensatz vorhanden sind.

Auswertung von personen-, haushalte-, gebäude- und wohnungsbezogenen Einzelmerkmalen Tabelle 2 stellt die Einteilung der Gesamtbevölkerung Berlins inklusive der Bezugspersonenanzahl für die jeweiligen Generationen als Basis der folgenden Einzelmerkmals- und Kombinationsanalysen dar.

Den mit circa 22 Prozent höchsten Anteil an der Berliner Gesamtbevölkerung weist die Generation X (1966-1979) auf.

Die Nachkriegsgeneration ist mit 11,4 Prozent am geringsten vertreten. Nach der Eingrenzung auf die Bezugspersonen pro Haushalt (Haushaltsbetrachtung) zeigen sich nicht nur prozentuale Änderungen, sondern auch Änderungen in der Reihenfolge der Häufigkeiten. Generation X nimmt in beiden Analysen den höchsten Anteil ein; während bei den Bezugspersonen als nächst höhere die Generation der Babyboomer folgt, lebten zum 9. Mai 2011 anteilsmäßig mehr Personen aus der Generation Y in Berlin als aus der Generation der Babyboomer.

Personenbezogene Einzelmerkmalsanalyse Tabelle 1: Bestimmung der Bezugsperson für haushaltebezogene Auswertungen

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Die Untersuchung der 3,3 Millionen Einwohner Berlins nach den sechs festgelegten Generationen und deren demografischen Merkmalen zeigt erwartungsgemäß ähnliche Strukturen wie die Untersuchung der Gesamtbevölkerung. So sind die Geschlechterproportionen innerhalb der Generationen, mit Ausnahme der Vorkriegsgeneration, in welcher der Anteil der Frauen 58 Prozent beträgt, nahezu ausgeglichen. Der höhere Frauenanteil in der Vorkriegsgeneration begründet sich durch die höhere Lebenserwartung von Frauen. Ebenso spiegelt sich das erwartete Muster, dass der Anteil von verheirateten, geschiedenen und verwitweten Personen mit steigendem Alter und somit in den älteren Generationen zunimmt, in den Daten wider. Bei den Ausländeranteilen weisen die Generationen X und Y Werte von 18 bzw. 14 Prozent auf, wohingegen diese in den übrigen Generationen zwischen 5 und 11 Prozent liegen.

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Haushaltebezogene Einzelmerkmalsanalyse Während der Anteil der Ein-Personen-Haushalte in den Generationen der Geburtsjahrgänge 1945 bis einschließlich 1979 (Nachkriegsgeneration, Babyboomer, Generation X) circa 45 Prozent beträgt, nimmt der Anteil der Haushalte mit drei und mehr Personen hier entsprechend zu (15, 30, 36 Prozent).

Im Gegensatz hierzu lebten bereits zwei Drittel der Generation Y in Ein-Personen-Haushalten und 12 Prozent in Haushalten mit drei und mehr Personen. Die durchschnittliche Haushaltsgröße der jeweiligen Generationen beträgt 1 bis 2,2 Personen (vgl. Abbildung 1).Die Ein-Personen-Haushalte weisen in allen Generationen den höchsten Anteil bei den Haushaltstypen auf. Paare ohne Kinder sind in der Vorkriegs-, Nachkriegsgeneration und Generation Y am zweithäufigsten vertreten (36,9, 35,5 und 16,0 Prozent), während es bei den Babyboomern und der Generation X die Paare mit Kindern sind. Da die Existenz eigener Kinder im Rahmen des Zensus 2011 nicht umfassend erhoben wurde, können nur Aussagen zu am Stichtag 9. Mai 2011 im Haushalt lebenden Kindern getroffen werden. Haushalte mit der Merkmalsausprägung Paare ohne Kind(er) haben demnach nicht zwangsläufig keine Kinder, es leben lediglich keine Kinder in den entsprechenden Haushalten, da sie bspw. ausgezogen sein können. Eine Analyse des zugrundeliegenden Merkmals Typ des privaten Haushalts (nach Familien) in Bezug auf die gesamtfamiliären Zusammenhänge, wie z.B. die

Abbildung 1: Durchschnittliche Personenanzahl je Haushalt nach Generationen in Berlin am 9. Mai 2011

Anzahl der geborenen Kinder oder das Wanderungsverhalten derselben, ist aufgrund dessen nicht möglich.

Der Anteil der Berliner Haushalte, in denen alle Personen einen Migrationshintergrund aufweisen, nimmt mit Verjüngung der Generationen zu (vgl. Tabelle 3). Den höchsten Anteil von Haushalten stellen dennoch die Haushalte, in denen keine Person einen Migrationshintergrund besitzt.

Tabelle 2: Personenfallzahlen Generationenabgrenzung in Berlin am 9. Mai 2011

Tabelle 3: Migrationsstatus der privaten Haushalte nach Generationen in Berlin am 9. Mai 2011

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Gebäude- und wohnungsbezogene Einzelmerkmalsanalyse

Auswertung von kombinierten Einzelmerkmalen am Beispiel der Erstbezugseigentümer

Für Wohngebäude (ohne Wohnheime) und sonstigen Gebäude mit Wohnraum in Berlin ergibt sich das Durchschnittsbaujahr 1955 mit durchschnittlich sechs Wohnungen je Gebäude.

Während die Haushalte deren Bezugspersonen zum ZensusStichtag 17 bis 31 Jahre alt waren (Generation Y) auf durchschnittlich 57,5 m² Wohnfläche leben, verfügen die Haushalte der übrigen Generationen im Mittel über 75,8 m² Wohnfläche.

Die Babyboomer leben mit 78,0 m² Durchschnittswohnfläche in den größten Wohnungen. Dieser Unterschied zeigt sich auch in der durchschnittlichen Raumanzahl der Haushalte, welche zwischen 2,9 Räumen (Generation Y) und circa 3,6 Räumen (ältere Generationen) beträgt. Auch hier leben die Babyboomer mit durchschnittlich 3,7 Räumen am großzügigsten. Die Unterscheidung der vom Eigentümer bewohnten und zu Wohnzwecken vermieteten Wohnungen zeigt, dass der Eigentümeranteil in den Haushalten der ältesten Generationen (Vor- und Nachkriegsgeneration) bei 21 Prozent liegt und mit jeder jüngeren Generation kontinuierlich abnimmt (19, 12, 5 Prozent). Dieses bestätigt die Charakterisierung Berlins als Mieterstadt.

Anhand einer spezifischen Fragestellung soll die nur im Zensus 2011 mögliche Kombinationsanalyse der verschiedenen Teilerhebungen dargestellt werden. Hierbei muss aber beachtet werden, dass diese nur unter gewissen Einschränkungen möglich ist. In Bezug auf das Thema dieses Beitrags Wie leben und wohnen Generationen in Berlin wurde folgende Fragestellung für eine tiefergehende Analyse ausgewählt:

Die Analyse von Einzelmerkmalen lieferte eine Übersicht über erste Ergebnisse. Diese Ergebnisse bestätigten durchaus erwartete Zusammenhänge. Bedarfsgerechte und vielschichtig auswertbare Ergebnisse können nur durch Kombination von Merkmalen verschiedener Statistiken erzielt werden. Hierzu bietet der Zensus 2011 eine einzigartige Möglichkeit, da nur in diesem Datenbestand Personen-, Haushalts, Gebäude- und Wohnungsmerkmale verknüpft und zu einer auswertbaren Datenbank zusammengeführt wurden.

In welchem Umfang haben die verschiedenen Generationen in Berlin Wohneigentum (Eigentumswohnungen oder Einfamilienhäuser) bei gleichzeitigem Erstbezug erworben und leben bis heute (Zensus-Stichtag) darin? (Im Folgenden Erstbezugseigentümer genannt.)

Um diese Frage zu beantworten, müssen folgende Einschränkungen vorgenommen werden: - Bestimmung der Bezugspersonen zwecks Haushaltegenerationenfestlegung à Reduktion der Berliner Bevölkerung um 48,7 Prozent (vgl. Tabelle 1) zur Schaffung einer neuen Grundgesamtheit für eine haushalte- und generationenbezogene Analyse - Selektion der Bezugspersonen nach vom Eigentümer bewohnten Wohnungen à Es verbleiben circa 264.000 Haushalte - Abgleich von Wohnungsbezugsdatum und Gebäudebaujahr à Analysemasse circa 55.000 Haushalte

Abbildung 2: Anteil der Erstbezugseigentümer an allen Eigentümern in Berlin am 9. Mai 2011 in Prozent

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Bei der Auswertung treten unter Umständen Unplausibilitäten zwischen Bezugsdaten und Baujahren auf, wie bspw. fehlende Melderegisterangaben zum Wohnungsbezugsdatum, von Auskunftspflichtigen geschätzte Gebäudebaujahre oder fehlende Gemeinde- und Wohnungsbezugsdaten bei Fehlbestandspersonen. Dieses führt zu einer Untererfassung der Analysemasse, welche auch mittels weiterführender methodischer Schritte – hier u.a. einer festgelegten Toleranz von Bezugsdatum und Baujahr von bis zu einem Jahr – nicht vermieden werden kann. Dennoch handelt es sich bei diesen Ergebnissen um einzigartige Informationen, die ausschließlich aus dem Zensusmaterial ermittelt werden können. Bei Erstbezugseigentümern im Sinne dieses Beitrags muss es sich trotz annähernder Gleichheit von Gebäudebaujahr und Wohnungsbezugsdatum bei gleichzeitigem Vorliegen der Wohnungsnutzungsausprägung vom Eigentümer bewohnt nicht notwendigerweise um die direkt nach Bezugsfertigstellung des Gebäudes im Grundbuch eingetragenen Personen handeln. In die Gruppe der Erstbezugseigentümer fallen neben Erben bspw. auch ehemalige Mieter, die das Objekt, in dem sie seit Bezugsfertigstellung lebten, im Laufe ihrer Mietdauer vom ursprünglichen Eigentümer erworben haben.

Abbildung 2 stellt den Anteil der Erstbezugseigentümer an allen Eigentümern je Berliner Prognoseraum dar. Auffällig sind der durchschnittlich höhere Anteil von Erstbezugseigentümern im ehemaligen Ost-Berlin (Bezirke Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg, Treptow-Köpenick und Pankow) sowie in den westlichen und nord-westlichen Außenbereichen (Bezirke Spandau und Reinickendorf ). Die innenstadtnahen Prognoseräume West-Berlins weisen insbesondere im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf die geringsten Werte auf. Bezogen auf die einzelnen Generationen besitzt die Generation Babyboomer mit circa 16.000 (30,0 Prozent) Haushalten den höchsten absoluten Anteil an Eigentumswohnungen bzw.

Einfamilienhäusern. 15.000, 12.000 bzw. 11.0000 Haushalte der Vorkriegs-, Nachkriegsgeneration bzw. Generation X besaßen am Zensus-Stichtag Wohneigentum. Etwa ein Prozent der Erstbezugseigentümer gehörten bereits zur Generation Y. Es zeigt sich, dass der Anteil der Erstbezugseigentümer innerhalb der Generation der Babyboomer, die zum Zensus-Stichtag 9. Mai 2011 in vom Eigentümer bewohnten Wohnungen lebten, mit 26,7 Prozent am höchsten ausfällt, gefolgt von der Nachkriegsgeneration mit 23,9 Prozent (vgl. Abbildung 3).

Abbildung 4 skizziert den Anteil der Erstbezugseigentümer je Generation nach Baujahr des Wohneigentums für die Vorkriegsgeneration bis zur Generation Y. Zwecks besserer Veranschaulichung sind die Jahreseinzelwerte jeder Generation durch Linien miteinander verbunden. Dabei zeigt sich ein Anstieg des Wohneigentumsumfangs von Erstbezugseigentümern ab ungefähr der 70er Jahre des vorherigen Jahrhunderts.

Eine detailliertere Darstellung dieser Baujahre bzw. Erstbezugsdaten ist aus Abbildung 5 ersichtlich.

Sowohl bei der Vorkriegs- als auch bei der Nachkriegsgeneration sind zwei Maxima erkennbar. Diese erstrecken sich von Mitte bis Ende der 70er sowie Mitte bis Ende der 90er Jahre (Vorkriegsgeneration) bzw. von Mitte bis Ende der 80er und

Abbildung 3: Anteil der Erstbezugseigentümer je Generation in Berlin am 9. Mai 2011 in Prozent

erneut Mitte bis Ende der 90er Jahre (Nachkriegsgeneration).

Diese Erstbezugseigentümeranteilshöchstwerte von Mitte bis Ende der 90er Jahre sind ebenfalls innerhalb der Babyboomer-Generation vorhanden. Ein ggf. eintretendes zweites Maximum innerhalb der Babyboomer ist mit den aktuell vorliegenden Daten (noch) nicht ablesbar und kann, sofern sich hier ein Muster zeigt, frühestens mit Vorliegen der Ergebnisse des kommenden Zensus 2021 nachgewiesen werden.

Innerhalb der Generation Y beginnt der Anstieg zur ersten Erstbezugseigentümeranteilshöchstwert bereits 30 Jahre nach der unteren Altersgruppengrenze, wohingegen innerhalb der älteren Generationen die ersten Anstiege erst nach jeweils circa 40 Jahren feststellbar sind. Der überdurchschnittlich hohe Anteil der Erstbezugseigentümer innerhalb der Generation Y ab Mitte der 2000er Jahre ist auf den gegenüber den älteren Generationen deutlich kürzeren Existenzzeitraum dieser Generation (seit 1980) zurückzuführen. Während sich die prozentualen Jahreshäufigkeiten der Erstbezugseigentümer ausgehend vom Zensus-Stichtag 2011 von Generation X bis zur Vorkriegsgeneration auf bis zu 45, 56, 66 und mehr als 66 Jahre verteilen, führt der eingeschränktere Darstellungszeitraum der Generation Y (31 Jahre) grundsätzlich zu höheren Jahresanteilswerten der Erstbezugseigentümer. Da derartige Erstbezugseigentümeranteilsjahreshöchstwerte ausgehend von der Vorkriegsgeneration erst ab Mitte der 70er Jahre zu verzeichnen sind, tritt dieser stets sichtbare Effekt bei gleichzeitiger und relativer Darstellung aller Generationen ab 1970 auch dann auf, wenn die Summe der Erstbezugseigentümer jeder Generation ab einschließlich 1970 auf 100 Prozent festgesetzt wird. Eine von diesem Phänomen bereinigte Darstellung kann bspw. mit Vorliegen von Zensus-Ergebnisdaten des Jahres 2031 erfolgen.

Die kombinierte aber komplexe Analyse der Zensusmerkmale zeigt, dass die Erstbezugseigentümer eventuell in zwei Phasen des Lebens vermehrt Wohneigentum erwerben. Dieses könnte natürlich auch auf Wohnbauförderungen innerhalb dieser Jahre zurückzuführen sein. Das Durchschnittsalter der Erstbezugseigentümer nimmt ausgehend von der Vorkriegsgeneration bis zu den Babyboomern mit 45, 37 bzw. 31 Jahren stetig ab. Abbildung 6 stellt die Anteile der Erstbezugseigentümer nach Alter und Generation dar. Wie schon in Abbildung

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Abbildung 4: Anteil der Erstbezugseigent端mer je Generation nach Baujahr in Berlin am 9. Mai 2011 in Prozent

Abbildung 5: Anteil der Erstbezugseigent端mer je Generation nach Baujahr ab 1970 in Berlin am 9. Mai 2011 in Prozent

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5 führt der zunehmend eingeschränktere Darstellungszeitraum der jüngeren Generationen grundsätzlich zu höheren Jahresanteilswerten. Dennoch sind ausgehend von der Vorkriegsgeneration bis hin zur Generation X klare Höchstwerte in den Altersjahren zwischen 35 und 40 Jahren erkennbar.

Etwa 10 Jahre nach den ersten Anteilshöchstwerten zeigen sich bei der Vorkriegs- sowie der Nachkriegsgeneration zweite Anteilsspitzen. Generation Y war zum Zensus-Stichtag maximal 31 Jahre alt und bleibt daher in dieser Altersauswertung unberücksichtigt.

Mit Hilfe von richtig kombinierten Merkmalen können somit – eventuell neue – Erkenntnisse von Zusammenhängen oder Strukturen auf Basis des Zensus 2011 gewonnen werden. Eine Ursachenanalyse ist aber weiterhin nur durch externe Analysen möglich.

Fazit Mit den im Zensus 2011 erhobenen Merkmalen werden bereits bekannte Zusammenhänge, Strukturen und Erwartungen in den Themenfeldern Bevölkerung, Haushalte und Wohnen bestätigt. Neue Erkenntnisse aus Einzelmerkmalen können aus dem jetzigen Merkmalskranz kaum abgeleitet werden. Zusätzlich stellt die vorliegende Ergebnisdatenstruktur des Zensus eine Erschwernis dar, sodass kombinierte Auswertungen meist sehr komplex werden und mit Einschränkungen einhergehen.

Für eine Aufdeckung neuer Erkenntnisse oder bisher unbekannter Strukturen ist eine nachhaltige Auswahl und Fest-

legung von Erhebungsmerkmalen sowie Sicherstellung der Kombinierbarkeit derselben im Vorfeld des anstehenden Zensus 2021 erforderlich. Auch die Anfragen von Datennutzern aus Wissenschaft und Verwaltung zeigen, dass das bisherige Merkmalsspektrum zu eingeschränkt ist und einer Erweiterung bedarf, um die jeweilig formulierten Fragestellungen beantworten zu können. Hierzu werden Merkmale wie bspw. energetische Gebäudeinformationen, Leerstandsgrund und -dauer, Geschossanzahl oder Barrierefreiheit (GWZ) bzw. Einkommen, Kinderanzahl oder Pendlerbewegungen innerhalb Berlins (Haushaltebefragung) benötigt. Des Weiteren weisen die Anfragen darauf hin, dass Definitionen, Merkmalsabgrenzungen und -beschreibungen missverstanden werden sowie Ergebnisdaten bedarfsgerechter anpassbar und flexibler auswertbar werden müssen. Beispiele hierfür sind u.a. das Merkmal Typ des privaten Haushalts (nach Familien) aus dessen Ausprägungen sich keine Rückschlüsse auf die Anzahl der geborenen Kinder oder das Vorhandensein mehrerer Familien innerhalb eines Haushalts ziehen lassen oder das Merkmal Zahl der Räume, dass aufgrund seiner Definition nicht dem allgemeinen Sprachverständnis entspricht, da eine Küche seitens Auskunftspflichtigen und Datennutzern im Regelfall nicht als separater Raum aufgefasst wird.

Die immer noch anhaltende Nachfrage nach Zensus-Sonderauswertungen seitens Politik, Wissenschaft, Senatsverwaltung, Wohnungswirtschaft und Forschung belegt die immense Bedeutung kleinräumig vorliegender Personen-, GebäudeWohnungs- und Haushaltsdaten, für Stadtentwicklungs-, Umwelt- und Bedarfsplanungen, Wohn- und Infrastrukturun-

Abbildung 6: Anteil der Erstbezugseigentümer nach Alter und Generation in Berlin am 9. Mai 2011 in Prozent

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tersuchungen, Klima- und Machbarkeitsstudien, Entwicklung energetischer Quartierskonzepte, die Erstellung von Emissionskatastern und Umweltatlanten, Gutachten zur Mietwohnungssituation nebst wohnungspolitischen Diskussionen, die Erstellung von Mietspiegeln, Wahlanalysen, sowie nicht zuletzt für Studien- und Diplomarbeiten. Neben der Ermittlung der Einwohnerzahlen, die für eine Vielzahl von Rechtsvorschriften in Deutschland und beispielsweise für Ausgleichszahlungen zwischen den Ländern („Länderfinanzausgleich“), für kommunale Planungen oder bei der Einteilung der Wahlkreise benötigt werden, bilden die Ergebnisse der GWZ 2011 die wesentliche Basis für die Neuberechnung der Bruttowertschöpfung der Wohnungsvermietung in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR).

senschaft. Anfragen belegen allerdings, dass ebendieses für die Ergebnisse des Zensus 2011 nur eingeschränkt bzw. nur durch komplexe, mit Einschränkungen behaftete Analysen, möglich ist. Der Ausgestaltung zukünftiger Zensen kommt somit im Hinblick auf Datenqualität und Merkmalsspektrum eine besondere Bedeutung zu. Hierbei ist es nicht Aufgabe der Amtlichen Statistik über die gesetzliche Zulässigkeit notwendiger Nachjustierungen zu befinden, sondern konkrete und abgestimmte fachliche Anforderungen zu definieren, die dann ggf. nach Prüfung durch Parlamentarier und Datenschützer ihren Weg in die Zensusgesetze 2021 finden können.

Die Amtliche Statistik sieht sich als Dienstleister, der durch bundes- und landesgesetzliche Aufgaben legitimiert, qualitativ hochwertige Daten bereitstellt. Die Wertung und Bewertung dieser Daten ist jedoch Aufgabe von Politik und Wis-

Literatur

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Frisoli, Pasquale; Schmitz-Veltin, Ansgar (2015): Abgrenzung und demografische Analyse von Generationen: Herausforderungen für das Informationsmanagement. In: Stadtforschung und Statistik 2015. S. 36

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Verena Lichtenstein

Wolfsburg: Generationenwechsel in einer jungen, dynamischen Stadt

Mit der Wohnbauoffensive 2012 reagiert die Stadt Wolfsburg auf die steigende Wohnungsnachfrage und läutet damit eine erneute Epoche der Stadterweiterung ein. Seit ihrer Gründung 1938 ist Wolfsburg im Gleichklang mit dem Volkswagenwerk in Schüben entstanden und so geprägt durch weitgehend homogene Stadterweiterungen. Entsprechend lassen sich die räumlichen Muster der jeweiligen Generationen bis heute beobachten. Diese Situation stellt die Stadtentwicklung vor besondere Herausforderungen.

Die Stadt Wolfsburg Mit knapp über 124.000 Einwohnern ist Wolfsburg eine „kleine“ Großstadt mit jedoch sehr besonderen Rahmenbedingungen: Durch den Sitz des Volkswagenkonzerns prägt die Automobilindustrie die Arbeitsmarktstruktur am Standort und zieht eine Vielzahl von Beschäftigten in die Stadt. In den letzten vier Jahren sind die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um mehr als 20.000 gewachsen (aktuell 118.000 Beschäftigte). So betitelt das Institut der deutschen Wirtschaft Wolfsburg als die „dynamischste Stadt Deutschlands“ (sowohl 2013 als auch 2014). Durch den Strukturwandel in der Automobilindustrie steigt der Anteil der Akademiker unter den Beschäftigten in Wolfsburg und weist mittlerweile die höchste Ingenieursdichte in Deutschland auf (Institut der deutschen Wirtschaft 2014).

Auf 10 Einwohner kommen 9 Arbeitsplätze. Da der Wohnraum knapp geworden ist (die Leerstandsquote liegt bei unter 1%) wächst die Stadt aufgrund der vielen Einpendler (mit über 75.500) tagsüber um mehr als die Hälfte der Einwohner an.

Die langen Wartelisten für eine Wohnung oder ein Baugrundstück zeigen, dass viele Menschen gerne nach Wolfsburg ziehen möchten, jedoch aufgrund des gegenwärtig angespannten Wohnungsmarktes nicht können. Die Stadt Wolfsburg reagiert auf diese Situation mit einer großen Wohnbauoffensive. Sie hat sich zum Ziel gesetzt 6.000 neue Wohnungen bis 2020 zu bauen.

Die Geschichte Wolfsburgs zeigt, dass die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt immer wieder zu Engpässen auf dem Wohnungsmarkt geführt hat, worauf die Stadt mit großen Wohnbauprogrammen reagierte, bei denen neue Quartiere für die jeweiligen Generationen entstanden sind.

Verena Lichtenstein Referentin für Stadtentwicklung und Wohnen im Referat 21 – Strategische Planung, Stadtentwicklung, Statistik der Stadt Wolfsburg : verena.lichtenstein@stadt.wolfsburg.de Schlüsselwörter: Stadtentwicklung – Wohnungsmarkt – Generationen – demografischer Wandel – Wolfsburg

Stadtepochen und ihre Generationen Jede Stadtepoche wird durch städtebauliche Leitbilder geprägt, die wiederum aus gesellschaftlichen Werten der jeweiligen Generation hervorgehen. In Wolfsburg hat die Automobilindustrie maßgeblich die Entwicklung der Stadt beeinflusst.

Mit einer Geschichte von lediglich 76 Jahren ist Wolfsburg 1938 mit der Schaffung des Volkswagenwerkes am Mittellandkanal auf der grünen Wiese entstanden. Peter Koller schuf die ersten planerischen Grundlagen für die zukünftige Stadtentwicklung.

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Über die Jahre sind die einzelnen Wohnquartiere nach den städtebaulichen Leitbildern der jeweiligen Zeit entstanden, die bis heute nahezu unverändert geblieben sind.

So ist Wolfsburg seit der Stadtgründung in „Schüben“ entstanden. Die Baugebiete der jeweiligen Stadtentwicklungsepochen wurden weitgehend homogen durch Zuziehende besiedelt, die sich überwiegend in der Familiengründungsphase befanden. Erst in den 1980er und 1990er Jahren normalisierte sich langsam der Altersaufbau in der Stadt und der Anteil, der in der Stadt Geborenen nahm zu.

Heute weist Wolfsburg zwar gesamtstädtisch eine bundesdurchschnittliche Altersstruktur auf. Betrachtet man jedoch die einzelnen Wohnquartiere mit ihrer spezifischen Entstehungsgeschichte, so prägt diese noch heute die Zusammensetzung der einzelnen Generationen in den jeweiligen Stadtteilen.

Werkssiedlungen als Gartenstadt Mit der Stadtgründung sind die industriellen Wohnsiedlungen nach dem Leitbild der Gartenstadt für die Arbeiter des Volkswagenwerkes errichtet worden. Entsprechend der Massenproduktion in der Automobilindustrie sind auch im Wohnungsbau die ersten Werksiedlungen mit standardisierten Zuschnitten und einheitlicher Ausstattung entstanden. Damals lebte in den einfachen Wohnungen mit einer Größe von ca. 55 m² die erste Arbeitergeneration des VW-Werkes mit ihren Familien.

Quelle: Stadt Wolfsburg, Referat Strategische Planung, Stadtentwicklung

Abbildung 1 (links): Stadtentwicklungsepochen der Stadt Wolfsburg „Innere Stadt“ (Abgrenzung bis 1972)

Abbildung 2 (unten): Besetzung der Geburtsjahrgänge sowie Generationenabgrenzung – Zwei Stadtteile im Vergleich

Quelle: Stadt Wolfsburg, Statistikstelle, Melderegister Stichtag 31.12.2014

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Abbildung 3: Werkssiedlungen: Eine Stadt entsteht

Abbildung 4: Detmerode: Urbanität durch Vielfalt

Quelle: Postkarte aus den 1960er-Jahren

Viele der Erstbewohner sind mittlerweile verstorben. So hat sich in den ersten Baugebieten der 1940er Jahre bereits ein Generationenwechsel vollzogen. Heute lebt vor allem die Generation Golf (1970-1984) und die Generation Y (1985-1999) in den Wohnquartieren der Stadtgründung. Während früher noch drei bis vier Personen eine Wohnung belegten, werden diese Wohnungen heute lediglich mit einer oder zwei Personen bewohnt. Denn für die Ansprüche heutiger Familien der Generation Golf und Generation Y sind diese Wohnungen zu klein. So leben in der Stadtmitte viele Multilokale, die in Wolfsburg arbeiten, aber in einer anderen Stadt ihre Familie haben.

Da die Stadt von innen nach außen gewachsen ist, bilden die ersten Werksiedlungen der Gartenstadt einen Teil der heutigen Innenstadt und sind somit die attraktivsten und begehrtesten Lagen in Wolfsburg. Zugleich ist es der Stadtteil mit der höchsten Fluktuation, so dass sich dort Veränderungen in der Zusammensetzung der Generationen am schnellsten bemerkbar machen.

Wachstum- und Stadtaufbauphase nach dem Leitbild der autogerechten Stadt: Analog zur Expansion der Automobilindustrie zu Zeiten des Wirtschaftswunders sind in den nachfolgenden Epochen neue Stadtquartiere entstanden, die städtebaulich den Wohnwünschen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration und den Ansprüchen einer autogerechten Stadt entsprachen. Der Besitz eines Autos galt über viele Generationen hinweg als Freiheit- und Statussymbol. Die jüngeren Generationen wie die Digital Natives definieren sich immer stärker über technische Geräte wie bspw. das neuste Smartphone oder Tablet. Dennoch bleibt für die Digital Natives Mobilität ein wesentlicher Bestandteil des Alltags, allerdings wird das Auto verstärkt in Kombination mit anderen Mobilitätsformen genutzt werden. So gewinnt auch in Wolfsburg der Einsatz von Kommunikations- und Informationstechnologien für die intelligente Vernetzung der Verkehrsmittel an Bedeutung.

Bedürfnis nach Urbanität: Die Quartiere, die nach den Leitbildern Urbanität durch Vielfalt (Stadtteil Detmerode) und Urbanität durch Dichte (Stadtteil Westhagen) in den 1960er und 1970er Jahren entstanden

Quelle: Detmerode Luftaufnahme Aero-Lux Ffm. Frei-Reg. Präs. Darmst.1184-68

sind, bilden heute die Stadtteile mit den ältesten und den jüngsten Bewohnern in Wolfsburg. Während Detmerode im letzten Jahrzehnt durch einen starken Bevölkerungsrückgang und einer alternden Bewohnerschaft geprägt war, entwickelte sich Westhagen zu dem internationalsten und jüngsten Stadtteil Wolfsburgs.

Entsprechend unterschiedlich ist die Präsenz der einzelnen Generationen in den beiden Stadtteilen. In Detmerode dominiert die Kriegs- und Nachkriegsgeneration (1939-1954), die in den 1970er Jahre zum Zeitpunkt der Entstehung in den Stadtteil gezogen ist. Die Kinder dieser Haushalte leben allerdings zum großen Teil nicht mehr in Detmerode, so dass die jüngeren Generationen eher unterpräsentiert sind. Anders stellt es sich in Westhagen dar, wo Familienverbände stärker vorhanden sind und die einzelnen Generationen (Baby Boomer, Generation Golf, Digital Natives) etwa gleich stark vertreten sind (siehe Übersichtskarte „Verteilung der Generationen in der Stadt Wolfsburg“).

Großstadt Wolfsburg und Krisen in der Automobilindustrie: Durch die Gebietsreform 1972 wurden die umliegenden Dörfer und zwei Kleinstädte (Fallersleben und Vorsfelde) eingemeindet, so dass Wolfsburg mit über 130.000 Einwohnern zu einer Großstadt wurde.

Nach den Zeiten des Wirtschaftswunders in den 1950er und 1960er Jahren, erfuhr die Stadt in den darauffolgenden Jahrzehnten zwei tiefreichende Krisen. Im Zuge der Ölkrise 1974/75 und 1992/93 ausgelöst durch die weltweite Krise der Automobilindustrie, gingen im VW-Werk mehrere zehntausend Arbeitsplätze verloren. Entsprechend stagnierte die Wohnungsbauentwicklung und die Zahl der Einwohner ging langsam zurück.

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Abbildung 5: Generationen in der Stadt Wolfsburg – Überblick

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Abbildung 6: Impressionen aus Wolfsburg

2005 Phaeno; Quelle: © WMG Wolfsburg

Hallenbad; Fotograf: Lars Hung

Movimentos; Fotograf: Peter Greig

2007 Designer Outlets Wolfsburg Quelle: © WMG Wolfsburg

Wolfsburg wird Erlebnisstadt: Eine Konsequenz aus den Krisen war eine grundlegende Neuorientierung der Stadtpolitik. Neben strukturelle Veränderungen in der Automobilindustrie, setzte die Einsicht ein, dass auch weiche Standortfaktoren, wie die Lebensqualität in der Stadt wichtige Anforderungen für die Attraktivität des Arbeits- und Wohnstandortes Wolfsburg darstellen. Die auf die Arbeiterschaft zugeschnittenen Gastronomie-, Erlebnis- und Kulturangebote entsprachen immer weniger den differenzierteren Ansprüchen der nachfolgenden Generationen. So wurden im Rahmen der Erlebnisstadt ab 2000 eine Vielzahl an Großprojekten realisiert (u. a. Autostadt (2000), City Galerie (2001), Allerpark (2002), Volkswagen Arena (2002), Movimentos (2003), Phaeno (2005), Kultur im Hallenbad (2007), Designer Outlets Wolfsburg (2007)), die zu breiten Kultur-, Sport- und Freizeitangeboten in der Stadt führten.

Wohnbauprogramm 2000 – Stärkung des Eigenheimsegments: Mit dem konjunkturellen Aufschwung nach der Krise wurde der Wohnraum wieder knapp, so dass nach langer Stagnation auf dem Wohnungsmarkt ein neues Wohnbauprogramm im Jahr 2000 auferlegt wurde. Insbesondere Familien wanderten zunehmend aus Wolfsburg weg, da sie für ihre Ansprüche kein passendes Angebot mehr vorfanden (die Wohnungen der ehem. Arbeitersiedlungen entsprachen nicht mehr den gestiegenen Ansprüchen der Familien jüngerer Generationen). So lag der Schwerpunkt im Neubau in dieser Phase in der Entwicklung von Ein- und Zweifamilienhausgebieten in den äußeren, eher ländlicher geprägten Ortsteilen (den eingemeindeten Dörfern von 1972). Dies hat zu einem Zuzug der Generation Golf in diese Quartiere der Stadt geführt; sowie

Autostadt; Fotograf: Matthias Leitze

von deren Kindern, der Generation Z. Besonders deutlich wird die Präsenz der Generation Golf und Z im Ortsteil Brackstedt, der durch die Neubauentwicklung in den letzten zehn Jahren durch den Zuzug dieser Generationen besonders an Einwohnern gewonnen hat. Die älteren Jahrgänge der Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsgeneration sind in Brackstedt nahezu nicht vertreten (siehe Übersichtskarte „Verteilung der Generationen in der Stadt Wolfsburg“).

Wohnbauoffensive 2012 – eine neue Epoche beginnt: Die äußerst dynamische konjunkturelle Entwicklung am Arbeitsmarkt stellt Wolfsburg aktuell einmal wieder vor großen Herausforderungen. Die Nachfrage nach Wohnraum ist enorm. Über 4.000 registrierte Wohnungssuchende melden die beiden großen Wohnungsgesellschaften, 3.700 warten auf ein Baugrundstück. Die Zahl der Einpendler steigt entsprechend der Neueinstellungen auf dem Arbeitsmarkt. Zur Rush Hour (7:00-8:30 Uhr & 16:30-18:00 Uhr) staut sich der Verkehr auf den Straßen. Wolfsburg wird sich wohn- und verkehrstechnisch weiterentwickeln müssen. Mit der Wohnbauoffensive sind die ersten Bausteine und Weichen für die zukünftige Stadtentwicklung gestellt.

Der Blick in die städtebauliche Entstehungsgeschichte Wolfsburgs zeigt, dass sich die Wohnbedürfnisse und auch Ansprüche an die Stadt über die Generationen verändert und die Entwicklung der Stadt geprägt haben. Stadtteile, die nach den Leitbildern einer bestimmten Zeit entstanden sind, überdauern mehrere Generationen. Da viele der Wohnquartiere früherer Stadtentwicklungsepochen heute unter Denkmalschutz stehen, haben sich diese Bestände über die Jahre kaum verändert; jedoch die Menschen, die darin leben.

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Haushalte und Wohnlagen im Generationenwechsel Eine Veränderung der Bewohnerschaft in einem Quartier findet insbesondere dann statt, wenn die ältere Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsgeneration langsam weniger wird und jüngere Generationen nachwachsen.

Um Herausforderungen, die sich aus einem anstehenden Generationenwechsel vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung im Bestand ergeben, frühzeitig erkennen zu können, wurde in einer Studie, die das Büro Schulten Stadt- und Raumentwicklung im Auftrag der Stadt Wolfsburg erarbeitet hat, eine gesamtstädtische Untersuchung der Wohnungsbestände durchgeführt. Dabei ist einmal mehr deutlich geworden, dass auch die demografischen Alterungsprozesse in Wolfsburg in Abhängigkeit mit der spezifischen städtebaulichen Entstehungsgeschichte stehen.

Wolfsburg erfuhr im letzten Jahrzehnt einen beschleunigten Alterungsprozess: Denn die Gründerhaushalte der Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsgenerationen, die Wolfsburg in den unmittelbaren Nachkriegsjahrzehnten aufgebaut haben, sind die heutigen Senioren. Das Büro Schulten Stadt- und Raumentwicklung hat für die Stadt Wolfsburg aktuell 15.000 Haushalte ermittelt, bei denen der jüngste Bewohner mindestens 65 Jahre alt ist. Dies umfasst in Wolfsburg ein Viertel aller Haushalte und ca. 20% der Einwohner.

Die aktuelle Wohnbauoffensive wird dazu beitragen, dass bis 2020 überwiegend Menschen im erwerbsfähigen Alter in die Stadt ziehen werden. Die Gesamtzahl älterer Menschen wird in etwa gleich bleiben, jedoch wird eine Verschiebung von den jungen Senioren hin zu den älteren und vor allem hochbetagten Senioren stattfinden. In einer zweiten Welle ab 2025 ist wieder von einer zunehmenden Dynamik der Alterung

auszugehen, wenn die „Gründerkinder“ die Generation der Baby Boomer als geburtenstarke Jahrgänge die Altersgrenze von 65 Jahre erreichen.

Mittels des Bevölkerungsmodells BMkom hat das Planungsbüro unter Annahme der durchschnittlichen Lebenserwartung der Bewohner einer Wohnung eine zeitliche Vorausrechnung des Generationenwechsels in den Wohnungsbeständen durchgeführt. In Wolfsburg werden durchschnittlich ca. 750 Wohneinheiten pro Jahr in den kommenden zehn Jahren von einem Generationenwechsel betroffen sein, davon 300 Wohneinheiten im Bereich der Ein- und Zweifamilienhäuser und 450 Wohnungen im Mehrfamilienhaussegment (siehe Abbildung 7).

Abbildung 7: Vorausberechnung Anzahl der Markteintritte nach Wohnungstypen pro Jahr

Quelle: Stadt Wolfsburg, Referat Strategische Planung, Stadtentwicklung, Studie „Haushalte und Wohnungstypen im Generationenwechsel und integrierte Bewertung der Wohnlagen in der Stadt Wolfsburg“ erstellt durch Schulten Stadt- und Raumentwicklung

Abbildung 8: Verteilung der älteren Haushalte auf die Siedlungsstrukturtypen der Stadt Wolfsburg

Quelle: Stadt Wolfsburg, Referat Strategische Planung, Stadtentwicklung, Studie „Haushalte und Wohnungstypen im Generationenwechsel und integrierte Bewertung der Wohnlagen in der Stadt Wolfsburg“ erstellt durch Schulten Stadt- und Raumentwicklung

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Die betroffenen Ein- und Zweifamilienhäuser sind überwiegend in den 1950er-1960er Jahren nach den Leitbildern des „Gartenbezogenen Wohnens“ entstanden. Betroffen sind genauso der Geschosswohnungsbau aus derselben Epoche und die Hochhausbebauung aus den 1960er-1970er Jahren. Da Menschen mit zunehmendem Alter weniger häufig umziehen, altern Bewohner und Häuser gemeinsam. Die heutigen Senioren der Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsgeneration leben daher überwiegend in Gebäuden älteren Baujahrs.

Entsprechend der Siedlungsstrukturentwicklung Wolfsburgs konzentrieren sich die älteren Haushalte auf die während der 1950er und 1960er Jahre entstandenen Quartiere der Kernstadt, bspw. Mitte-West (Anteil Bewohner 65+ an allen Bewohnern im Ortsratsbereich 26%), Nordstadt (34%) sowie Detmerode (37%) (siehe Abbildung 8). Die Haushalte mit besonderen Anforderungen an die Wohnungsausstattung und -qualität liegen demnach in den Stadtteilen mit den ältesten und einfachsten Gebäudestandards. Diese Gebäude sind jedoch häufig nicht barrierearm, geschweige denn barrierefrei.

Wohnbauoffensive mit südöstlichem Neubauschwerpunkt Neben kleineren Wohnbauprojekten, die sich auf das gesamte Stadtgebiet verteilen, ist im Rahmen der Wohnbauoffensive im südöstlichen Teil der Stadt mit den drei Wohnentwicklungen Wellekamp, Steimker Gärten und Nordsteimke/Hehlingen die Entstehung neuer Quartiere mit über 4.000 neuen Wohnungen vorgesehen (siehe Abbildung 9). Um die Anforderungen an die Planung dieser künftigen Quartiere formulieren zu können, wird aktuell intensiv über Nachfragegruppen, Wohnformen sowie Konzepte der Nahmobilität diskutiert.

Abbildung 9: Wohnbauoffensive mit südöstlichem Neubauschwerpunkt

Um jedoch die Bedarfe differenziert in einem Stadtteil abbilden zu können, ist ein kleinräumiger Blick notwendig. Eine Analyse auf Baublockebene – die statistisch kleinräumigste Ebene die abbildbar ist, ohne den Datenschutz zu verletzen – zeigt, dass es auch innerhalb von „jungen“ Stadtteilen mit einem geringen Durchschnittsalter, Quartiere gibt, die wiederum sehr hohe Anteile älterer Menschen (65+) aufweisen (siehe Abbildung 10).

Wie sich Quartiere im Umbruch entwickeln, hängt auch mit den Vermarktungsmöglichkeiten der überwiegend älteren Gebäude zusammen. Bei Wohnungen und Häuser, die nur bedingt heutige Nachfragewünsche erfüllen, kann der Generationenwechsel zu einer Veränderung der Sozialstruktur oder Leerstand im Quartier führen. Derzeit ist allerdings der Nachfragedruck nach Wohnraum in Wolfsburg so groß, dass die freiwerdenden Wohnungen sofort wieder vermietet werden, auch wenn die Wohnungen älteren Baujahrs nur noch bedingt den Wohnvorstellungen jüngerer Generationen entsprechen. Da Modernisierungs- und Stadtumbaumaßnahmen in einem angespannten Wohnungsmarkt zu einer weiteren Verknappung des Wohnungsangebotes führen würden, liegt der Schwerpunkt für die kommende Epoche auf der Schaffung von neuem Wohnraum und neuer Quartiere. Erst wenn eine Entspannung des Wohnungsmarktes gelingt, werden genau dort Leerstände auftreten, wo Wohnungen aufgrund der Lage oder Ausstattung nicht mehr marktfähig sind. Erst dann können auch Strategien für die Weiterentwicklung der Quartiere vorangegangener Stadtentwicklungsepochen umgesetzt werden.

Die Weiterentwicklung der Stadt Wolfsburg für künftige Generationen Der Anspruch der Stadt ist es, lebenswerte Quartiere nicht nur für die Bedarfe heutiger, sondern auch künftiger Generationen zu schaffen. Die im Zuge der Wohnbauoffensive bevorstehende Epoche des Neubaus wird sich einer Vielzahl von Ansprüchen stellen müssen.

Quelle: Stadt Wolfsburg, Referat Kommunikation

Eine Vielfalt an Wohnangeboten schaffen: Die Pluralisierung der Lebensstile bringt eine Vielzahl an Nachfragewünsche hervor, die - anders als in der Vergangenheit - zunehmend innerhalb einer Generation hervorgehen. Für die Planung der Wohnprojekte in Wolfsburg bedeutet dies, dass für eine neue und zunehmend differenzierte Nachfrage ein passendes Angebot geschaffen werden muss.

Junge Ingenieure, qualifizierte Fach- und Führungskräfte: So steigen insbesondere durch den Wandel und der zunehmenden Qualifizierung der Beschäftigtenstruktur in Wolfsburg die Anforderungen an die Qualität von Standorten und Wohnraum. Die Bedürfnisse der heutigen Beschäftigten können immer weniger über die Bestände früherer Epochen befriedigt werden, die zu einer anderen Zeit für eine andere Klientel errichtet wurden.

Multilokalität als Lebensform: Gegenüber Generationen älteren Jahrgangs bestimmt heute eine mobile Lebensführung den Alltag einer immer größer werdenden Zahl an Menschen. Auch in Wolfsburg verfügen immer mehr Personen über mehr als nur einen Wohnsitz, die regelmäßig aufgesucht werden. Multilokale haben andere Bedürfnisse als Menschen, die an nur einem Wohnsitz verwurzelt sind. Sie unterscheiden sich nach der Aufenthaltsdauer, den Mobilitätsmustern, in ihren Motiven für ein multilokalen Lebensstil und den Wohnbedürfnissen und Wohnformen.

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Abbildung 10: Kleinräumige Verteilung Haushalte mit Bewohner ab 65 Jahren auf Baublockebene

Quelle: Stadt Wolfsburg, Referat Strategische Planung, Stadtentwicklung, Studie „Haushalte und Wohnungstypen im Generationenwechsel und integrierte Bewertung der Wohnlagen in der Stadt Wolfsburg“ erstellt durch Schulten Stadt- und Raumentwicklung

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Nachgefragt werden in Wolfsburg verschiedene Formen temporären Wohnens, die von einem klassischen WG-Zimmer, einer Gästewohnung oder einem möblierten Zimmer bis zu unterschiedlichen Formen des serviceorientieren Wohnens auf Zeit reichen. Je nach Typ von Multilokalität fällt die Wahl auf eine pragmatische, komfortable oder anspruchsvolle Wohnlösung.

Neue Wohnformen im Alter: Auch Wolfsburg mit der Perspektive eines weiteren Bevölkerungswachstums bekommt Effekte des demografischen Wandels zu spüren, indem der Anteil älterer Menschen in der Gesellschaft zunimmt, aber auch qualitativ sich die Ansprüche künftiger Senioren verändern wird. Für die neuen Wohnquartiere in der Stadt sind sehr differenzierte, nachfrageorientierte Wohnangebote zu entwickeln, die berücksichtigen, dass die künftigen Seniorengenerationen deutlich höhere Qualitäts- und Serviceansprüche haben werden. Dabei werden Unterstützungsstrukturen im Quartier eine bedeutende Rolle spielen, denn das Familiengefüge in Wolfsburg unterscheidet sich von den klassischen, gewachsenen Familienstrukturen in gewachsenen Regionen und Städten deutlich. Die Vielzahl von nationalen und internationalen Arbeitern, Angestellten, Fach- und Führungskräften führt dazu, dass sich Familienstrukturen erst im Laufe der Lebens- und Arbeitsbiografie aufbauen. Gegenseitige Unterstützung in allen Lebensphasen, z. B. bei der Betreuung von Kleinkindern oder bei alltäglichen Besorgungen, können daher weniger durch generationenübergreifende Familiennetzwerke geleistet werden, weshalb den nachbarschaftlich-freundschaftlichen Netzwerken eine wesentliche Bedeutung bei der Lösung der alltäglichen Herausforderungen zukommt. Vor diesem Hintergrund stellt die Unterstützung von Nachbarschaften und generationsübergreifendes Wohnen eine wichtige Anforderung an die Entwicklung der neuen Quartiere.

Bezahlbarer Wohnraum: Eine Vielzahl weiterer Nachfragegruppen von Auszubildenden und Studenten, über Transferleistungsbezieher, junge Familien bis hin zu Senioren fragen vorrangig günstigen Wohnraum nach. So wurde eine Quote für mietgebundenen Neubau festgelegt, die in die Planung der neuen Wohnquartiere berücksichtigt werden muss und die soziale Durchmischung unterstützt.

Dabei können nicht alle Wohnbedürfnisse überall befriedigt werden, da sich durchaus die einzelnen Ansprüche der unterschiedlichen Nachfragegruppen widersprechen können; so teilweise auch zwischen „alteingesessenen“ Wolfsburgern und potentiellen Neubürgern, die gerne in die Stadt ziehen möchten.

Stärkung der Nahmobilität und Förderung des „smarten“ Wohnens: Das außergewöhnliche Beschäftigungswachstum mit einem bundesweit einmaligen Anteil an Pendlern und multilokalen Personen sowie die daraus resultierenden Wohnbauerweiterungen stellen große Herausforderungen auch an das Verkehrssystem der Stadt Wolfsburg. Allein in den letzten zwei Jahren hat der Kfz Verkehr um 20% zugenommen. Dies erfordert auch in Wolfsburg die Entwicklung eines neuen leistungsfähigen Nahmobilitätsansatzes, welcher den Kfz-, ÖPNV-, Rad- und Fußverkehr umfasst. Erste Planungsüberlegungen sehen als Anbindung der neuen Wohnquartiere im Südosten der Stadt u. a. eine schnelle, direkte ÖPNV-Anbindung in die Innenstadt und zum VW-Werk als Alternative zum PKW vor.

Parallel soll das bereits gute Radwegenetz noch weiter ausgebaut werden, so dass es von den neuen Quartieren aus auch eine direkte und sehr schnelle Radanbindung geben wird. In Zukunft wird auch in Wolfsburg die multimodale Vernetzung der Verkehrsmittel noch stärker im Vordergrund stehen.

Ein weiterer Schritt wird sein, wie in Zukunft Wohnen mit (Elektro-)Mobilität und der effizienten Nutzung erneuerbarer Energien intelligent miteinander vernetzt werden kann. Grundlage für Entwicklungen im Bereich der Smart City ist der Ausbau eines leistungsstarken Glasfasernetzes. Eine Breitband-Strategie soll den koordinierten Ausbau der Informations- und Kommunikationstechnologien in Wolfsburg fördern und insbesondere die Voraussetzungen für ein smartes Wohnen in den neuen Wohnquartieren ermöglichen.

Ausblick Die Expansion der Stadt durch die Entwicklung neuer Wohnquartiere zieht sich wie ein roter Faden durch die junge Geschichte Wolfsburgs. Nach einiger Zeit der Stagnation im Wohnungsneubau, steht nun wieder eine Epoche der Stadterweiterung bevor. Diese wird geprägt sein durch Menschen, die zunehmend eine mobile Lebensführung praktizieren, sich dennoch nachbarschaftliche Strukturen an ihren Wohnorten wünschen. Besonders die Senioren von Morgen werden verstärkt generationsübergreifende Wohnformen und unterstützende Angebote im Quartier nachfragen. Dabei wird sich das Mobilitätsverhalten der zukünftigen Generationen verändern. Hier werden intelligente Lösungen gefragt sein, die dank sich stetig weiterentwickelnder Informations- und Kommunikationstechnologien eine Verknüpfung mehrerer Lebensbereiche erst ermöglichen. Wohnen, Mobilität und erneuerbare Energien rücken weiter näher zusammen. Die zukünftigen Anforderungen an die neuen Wohnquartiere werden jedoch besonders geprägt sein durch die sich stetig ausdifferenzierenden Lebensstilen und Wohnvorstellungen.

Die Unterschiede werden zunehmend größer innerhalb einer Generation oder Lebensphase sein, weniger - wie in der Vergangenheit - zwischen den Generationen.

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Schwerpunkt Generationen als Beobachtungsgegenstand von Stadtforschung und Statistik

Pasquale Frisoli und Ansgar Schmitz-Veltin

Abgrenzung und demografische Analyse von Generationen: Herausforderungen für das Informationsmanagement Die Analyse von Generationen erlaubt neue und aufschlussreiche Möglichkeiten zur Auswertung kommunaler Bevölkerungsdaten.

Gleichzeitig stößt der Ansatz aber an methodische und inhaltliche Grenzen. Um verschiedene Generationen im Zeitverlauf verfolgen und zu bestimmten Altersständen miteinander vergleichen zu können, sind Daten notwendig, die in langen Zeitreihen vorliegen.

Der Beitrag zeigt die Umsetzung des Generationenansatzes zur demografischen Analyse exemplarisch an kommunalen Bevölkerungsdaten der Stadt Stuttgart.

Pasquale Frisoli Dipl.-Geogr., Mitarbeiter im Sachgebiet Bevölkerung und Bildung am Statistischen Amt der Landeshauptstadt Stuttgart : pasquale.frisoli@stuttgart.de Dr. Ansgar Schmitz-Veltin Leiter des Sachgebiets Bevölkerung und Bildung am Statistischen Amt der Landeshauptstadt Stuttgart : ansgar.schmitz-veltin@stuttgart.de Schlüsselwörter: Demografie – Generationen – Bevölkerungsdaten – Methodik – Städtestatistik – Stuttgart

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Einleitung Obwohl der Begriff der „Generationen“ in den vergangenen Jahren sowohl in den Wirtschafts- als auch in den Sozialwissenschaften zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, finden sich bislang nur wenige demografische Analysen, die sich explizit mit Generationen auseinander setzen. Die allermeisten Auswertungen bauen statt auf Generationen auf dem Alter als Analysegrundlage auf. Klassische Untersuchungen und Beschreibungen zur Bevölkerungsstruktur oder zur Struktur der Wandernden oder Sterbenden beinhalten das Alter der Personen zu einem gegebenen Stichtag oder in einem betrachteten Zeitraum. Dieser Ansatz ist richtig und wichtig, das Alter einer Person ist bestimmend für viele Prozesse. Die Geburt von Kindern, Wanderungsentscheidungen oder Haushaltszusammenhänge sind nur wenige Beispiele von Aspekten, die sich im Laufe eines menschlichen Lebens verändern und zwischen verschiedenen Lebensphasen differieren. Häufig stehen hinter demografischen Prozessen jedoch sowohl biologische als auch kulturelle Erklärungen: Für die Geburt von Kindern beispielsweise steht in aller Regel ein biologisch vorgegebenes Zeitfenster zur Verfügung. Innerhalb dieses Zeitfensters bestimmen dann kulturelle Faktoren, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Anzahl Kinder geboren werden, wie diese heißen, welche Betreuungs- und Bildungseinrichtungen sie besuchen oder in welchen familiären Konstellationen sie aufwachsen. Ein Großteil dieser Aspekte ist wiederum nicht (nur) abhängig vom Alter der Eltern, sondern vom Zeitpunkt der Geburt und damit von der Generation, zu der Eltern und deren Kinder gehören. Dieses Beispiel mag verdeutlichen, warum neben einer altersbezogenen Betrachtung auch die Berücksichtigung von Generationen ein wichtiger Aspekt von demografischen und gesellschaftlichen Analysen sein kann.

In demografischen Analysen werden anstatt von Generationen meist Kohorten berücksichtigt, welche in Teilen mit dem in der vorliegenden Untersuchung verwendeten Generationenverständnis verglichen werden können. Beispielsweise werden in Untersuchungen zur Lebenserwartung und Sterblichkeit (Gärtner u. Mühlichen 2011) sowie zur Kinderlosigkeit oder zur Anzahl der Kinder je Frau häufig einzelne Geburtsjahrgänge betrachtet (z. B. Sommer 2009). So ist die endgültige Kinderzahl je Frau ein zuverlässiger Indikator zur Bestimmung der sog. Kohortenfertilität. Sobald ein Geburtsjahrgang seine Geburtsbiografie beendet hat, in der Regel ist dies mit 50

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Jahren der Fall, kann sehr exakt angegeben werden, wie viele Kinder dieser Jahrgang im Durchschnitt zur Welt gebracht hat.

Während Geburtsjahrgänge oder Kohorten in der demografischen Analyse bereits seit dem frühen 20. Jahrhundert ein wichtiger Bestandteil des methodischen Instrumentariums sind (vgl. Wagner 2001: 2), ist der Begriff der Generationen hier bislang nur selten vertreten. Ausnahmen bilden demografische Analysen zu einzelnen Generationen, vor allem zu der Generation der Babyboomer, die aufgrund ihrer hohen Jahrgangsstärke und der damit verbundenen Bedeutung schon früh verschiedene demografische Untersuchungen angeregt hat (z. B. Menning u. Hoffmann 2009; Ette et al. 2014). In der soziologischen Debatte ist der Generationenbegriff dagegen alles andere als neu: Schon in den 1920er Jahren beschäftigte sich Karl Mannheim mit dem „Problem der Generationen“ (1928). Seinen Durchbruch erlebte der Generationenansatz um 1960, als ausgehend von den USA über das Auftreten „neuer Generationen“ diskutiert wurde, bevor in den 1970er Jahren schließlich zahlreiche Veröffentlichungen das Thema aufgriffen (vgl. Becker 2008) und der Begriff der „Generation“ heute inflationär gebraucht wird (Weisbrod 2005: 3) und innerhalb der Soziologie seiner „Vagheit und seiner Willkürlichkeit wegen, milde gesagt, umstritten“ ist (Wenzel 2014).

In der angewandten Stadtforschung gibt es bislang wenige Untersuchungen, die sich mit Generationen auseinandersetzen. Am Beispiel von Köln versucht Jonas (2013) den Generationenansatz im Rahmen von Szenarien zur zukünftigen Entwicklung des informellen Pflegepotenzials einzuführen und geht hierbei insbesondere auf die unterschiedlichen Erwerbsbeteiligungen der einzelnen Generationen ein. Darüber hinaus beschäftigten sich einige Studien mit einzelnen Generationen bestimmter Bevölkerungsgruppen, insbesondere Migranten (vgl. z. B. Gestring et al. 2004; Fick et al. 2014). Die in den letzten Jahren in einigen Städten (und darüber hinaus) durchgeführten Untersuchungen beispielsweise einer „Generation 50plus“ sind dagegen meist nicht als Generationenkonzepte im eigentlichen Sinn zu verstehen, sondern als Analysen zu bestimmten Altersgruppen (z. B. Landeshauptstadt Düsseldorf 2011; Hanke et al. 2013).

Der vorliegende Beitrag möchte aufbauend auf einem kurzen Überblick zu den bestehenden Forschungsansätzen und begrifflichen Klärungen der Frage nachgehen, inwieweit sich Generationen als Konzept zur demografischen Analyse in der (kommunalen) Statistik eignen, welche inhaltlichen Fragestellungen hierdurch ermöglicht werden und wie entsprechende Ansätze mit Hilfe des städtestatistischen Datenangebotes operationalisiert werden können. Dabei versteht sich der Beitrag als erste Annäherung. Er bietet weder ein umfassendes Forschungsdesign, noch eine abschließende Beantwortung möglicher Fragestellungen. Vielmehr sollen im Folgenden die Chancen und Möglichkeiten generationenbezogener Analysen in der kleinräumigen Demografieforschung aufgezeigt und mögliche Probleme und Schwachstellen dargestellt werden.

Begrifflichkeiten Beginnt man sich in die Thematik „Generationen“ einzulesen, sieht man sich schon nach kurzer Zeit mit einer Fülle von Problemen konfrontiert. Man kommt zu dem Schluss, dass es letztendlich keine saubere, eindeutige Definition für das Wort zu geben scheint, oder, wie es manche Autoren zwischen den Zeilen ausdrücken: Man erkennt eine Generation dann, wenn man sie vor sich hat. Der Grund dafür ist, dass es in der Generationenforschung keinen einheitlichen Untersuchungsansatz gibt. Unterschiedliche Disziplinen deuten den Begriff unterschiedlich, so dass es zu einer begrifflichen Unübersichtlichkeit kommt (Jureit u. Wildt 2005: 8).

So kann der Begriff genealogisch verwendet werden, und bezeichnet damit die Abstammungsfolge innerhalb einer Familie (Großeltern -> Eltern -> Kindern). Diese Einteilung hat nicht mit Abgrenzungsproblemen zwischen den einzelnen Generationen zu kämpfen, es ist jedoch fast unmöglich diese zu gesellschaftlich relevanten Gruppen zu aggregieren (Kohli 2003: 11).

Gesamtgesellschaftlich wird oft auch von „jüngeren“ und „älteren“ Generationen gesprochen, und wie das Verhältnis dieser die Leistung des Wohlfahrtstaates bedingt. In beiden genannten Fällen durchläuft man als Person verschiedene Generationen im Laufe seines Lebens, gehört also nicht zeitlebens einer Kategorie an. Daher sind beide Fälle für diese Untersuchung uninteressant, da die betroffenen Gruppen keine einheitliche, über die Zeit stabile Einheit bilden.

Der meist „historisch“ oder „gesellschaftlich“ genannte Generationenbegriff ist derjenige, der für diese Untersuchung interessant ist. Dabei geht man von zusammengefassten Geburtenkohorten aus (mehrere Jahrgänge), deren Mitglieder in einem bestimmten Zeitraum durch politische, ökonomische, kulturelle, und/oder technische/mediale Faktoren maßgeblich beeinflusst wurden, und sich dadurch in ihrem Verhalten und/ oder Werten von anderen zusammengefassten Geburtenkohorten unterscheiden. Letztendlich soll eine solche Generation eine Altersgruppe sein, von der man sich erhofft, dass sie einer größeren Gruppe Menschen eine Identität zuordnet, die Resultat einer spezifischen Ausprägung des Denkens, Fühlen und Handelns ist (Jureit u. Wildt 2008: 9). Anders gesagt, man möchte über eine größere Gruppe Menschen einheitliche Aussagen erlangen können.

Ein Problem ist, dass zusammengefasste Kohorten nicht zwangsläufig Generationen ergeben müssen, wenn es z. B. aufgrund des Fehlens von Großereignissen oder historisch bedeutsamer Erlebnisse zu keiner Ausprägung einer Generation kommt, die über bestimmte, ihr eigen zu nennende Charakteristika und Identität verfügt. Daher sind zeitliche Lücken in der Generationenfolge zwangsläufig, wenn man strenge Maßstäbe bei der Eingrenzung der Generationenzugehörigkeit zu Grunde legen würde. Kommt es nicht zu solchen Lücken, stellt sich die Frage, wie man Generationen voneinander abgrenzt.

Wann hört eine Generation auf und fängt die andere an? Im Gegensatz zu reinen Geburtenkohorten wird hier klar, dass es sehr viel schwieriger und zwangsläufig auch ungenauer sein wird, diese voneinander abzugrenzen. In welchem Zeitraum

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eine Gruppe identitätsbildend durch ein bestimmtes Ereignis (oder anderes) geprägt wird, kann nur unscharf beantwortet werden. Somit muss man sich im Klaren sein, dass Grenzziehungen zwischen Generationen immer einen pragmatischen Kompromiss darstellen.

Das Überstrapazieren des Generationenbegriffs v.a. der letzten Jahre ist ebenfalls kritisch zu sehen. Manche schnell ausgerufenen Bezeichnungen beziehen sich „auf relativ kurzfristige kulturelle, technische oder mediale Modeerscheinungen, und viele Generationenetiketten verschwinden kaum erfunden wieder“ (Perrig-Chiello et al. 2008: 21). Somit sollte man bei der Wahl der zu untersuchenden Generationen eine Einteilung wählen, die auf halbwegs soliden Füßen steht, und sich in wissenschaftlichen Publikationen etabliert hat.

Ebenfalls sollte einem bei der Benutzung gesellschaftlicher Generationenbegriffe bewusst sein, dass die „Tiefe“ in der betreffenden Altersgruppe ihre Grenzen hat. Welche Personen betrifft das Etikett tatsächlich und welche nicht? Zeichnet dieses „Generationenbewusstsein“ eine größere Gruppe Menschen aus, oder doch nur eine kleine, auffallende Minderheit, deren Etikett dann auf die wesentliche größere Gesamtheit aufgeklebt wird? Man muss davon ausgehen, dass selbst bei Generationen, denen man eine deutlich ausgebildete Identität zuschreiben würde, bei weitem nicht alle Personen der betreffenden Altersgruppe dazu gerechnet werden können, sowie die postulierten gemeinsamen Eigenschaften sich nur auf einen kleinen Teil eines jeden Individuums beschränken dürften, und den Charakter eines Menschen nur sehr eingeschränkt beschreiben.

Operationalisierung des Generationenansatzes am Beispiel Stuttgarter Bevölkerungsdaten Trotz aller Schwächen und Unschärfen erfreut sich der Generationenbegriff nicht nur in den Medien, sondern auch in den Wissenschaften einer wachsenden Beliebtheit. Für die folgende exemplarische Untersuchung wurde die in Abbildung 1 dargestellte Generationenabgrenzung verwendet.

Diese Einteilungen lehnen sich stark an die in Wissenschaft und Medien meistgebrauchten und etablierten Generationenbildungen an. Dabei variieren die Grenzen zwischen den

einzelnen Generationen je nach Autor und Disziplin teils stark untereinander und widersprechen sich teilweise. So ist bei Braun u. Pfeiffer (2012) die Generation X gleichbedeutend mit den Babyboomern, während dies bei den meisten anderen Autoren zwei unterschiedliche, direkt aufeinander folgende Generationen sind. Die oben angesprochenen Probleme beim Herausbilden von Generationen, hier treten sie beispielhaft zutage bei der Anwendung.

Die Nachkriegsgeneration kann im Übrigen zum Teil auch mit den „68ern“ gleichgesetzt werden, und auch der erste Teil der Babyboomer könnte dazugerechnet werden. Die Generation X hingegen entspricht im Großen und Ganzen dem in Deutschland schon etablierten Etikett „Generation Golf“ (Illies 2000).

Für die Generation Y hingegen wird häufig auch der Begriff der „Digital Natives“ oder „Generation Maybe“ (Jeges 2014) synonym verwendet. Über die Sinnhaftigkeit der Grenzen lässt sich, wie bereits ausgeführt, vermutlich endlos diskutieren. Z. B. wäre die Frage durchaus berechtigt, was denn einen 1942 Geborenen von einem 1946 Geborenen unterscheidet, fand doch die prägende Phase für beide in den 1950er und teils 60er Jahren statt.

Ebenso könnte man sich fragen, ob denn zwangsläufig ein 1979 geborener Angehöriger der Generation X tatsächlich weniger stark nach dem „Warum“ seiner Arbeit fragt (wie es als Charakteristikum postuliert wird), als jemand der Generation Y, der 1982 geboren ist. Aber mit diesen Widersprüchen wird man leben müssen, sobald man Generationengrenzen zieht. Die einzelnen Elemente, mit der die hier aufgelisteten Generationen definiert sind, sollen an dieser Stelle auch gar nicht aufgelistet und näher erläutert werden. Wichtig für die hier zu erfolgenden Untersuchungen ist es zu sehen, ob diese ausgewählte Einteilung brauchbare Ergebnisse liefern kann und wie sich der Umgang mit Generationen in den kommunalen Einwohnerdaten verankern lässt.

Hierzu werden exemplarisch Stuttgarter Einwohnerdaten verwendet. Diese liegen seit 1972 als lückenlose Zeitreihe in Form von anonymisierten Einzeldaten vor. Die Daten für den Zeitraum 1972 bis 2014 (jeweils 30.06.) umfassen Angaben zum Abbildung 2: Entwicklung der Einwohnerzahl in Stuttgart zwischen 1972 und 2014 nach Generationszugehörigkeit

Abbildung 1: Generationenbezeichnungen und -abgrenzungen für die folgenden Untersuchungen Generationenbezeichnung

Geburtsjahrgänge Anzahl Jahre

Vorkriegsgeneration (nicht betrachtet)

vor 1945

Nachkriegsgeneration

1945 - 1954

10

Babyboomer

1955 – 1965

11

Generation X

1966 – 1979

14

Generation Y

1980 – 1994

15

Generation Z

1995 - heute

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Quelle: Eigene Darstellung

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Quelle: Eigene Darstellung

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Wohnort sowie demografische Grunddaten wie Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Geburtsdatum oder Religionszugehörigkeit. Für die Betrachtung der einzelnen Generationen wurden die Angaben zum Geburtsjahr zunächst gruppiert, so dass für jeden Datensatz die Generationszugehörigkeit der Person bekannt ist. In Abbildung 2 ist die Entwicklung der einzelnen Generationen zwischen 1972 und 2014 dargestellt.

Klassische Betrachtungen zur Bevölkerungsstruktur und -entwicklung umfassen einen oder mehrere Stichtage, an denen der Aufbau bzw. zwischen denen die Entwicklung der Bevölkerung analysiert werden. Für die folgenden Auswertungen nach Generationen sollen die Stichtage dagegen keine Rolle spielen. Für die Entwicklung einer bestimmten Generation ist weniger der absolute Betrachtungszeitpunkt als vielmehr der relative Zeitpunkt im Leben von Interesse. So kann im Rahmen der Generationenbetrachtung zum Beispiel die Frage gestellt werden, wie unterscheidet sich Generation A in einem bestimmten Alter von Generation B im gleichen Alter.

Zur Analyse entsprechender Fragestellung werden lange Zeitreihen benötigt. Selbst die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung verfügbaren Zeitreihen über insgesamt 42 Jahre ermöglichen es nicht, alle Generationen im jeweils kompletten Lebensverlauf miteinander zu vergleichen. Abbildung 3 verdeutlicht die jeweiligen Möglichkeiten der Betrachtung bestimmter Altersstände der Generationen. Die Abbildung macht deutlich, dass zu einem Altersstand jeweils höchstens vier Generationen bzw. eine Generation zu jeweils höchstens fünf Altersständen betrachtet werden kann. Bei diesem Ansatz werden auch „Teilgenerationen“ berücksichtigt. So haben zum Analysezeitpunkt beispielsweise noch nicht alle Mitglieder der Generation X das 40. Lebensjahr erreicht. Dies hat zur Folge, dass sich die Aussagen zu den 40-Jährigen der Generation ändern können, wenn die Analyse zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt würde. Wollte man solche Effekte ausschließen, müsste man den Betrachtungszeitraum noch weiter einschränken und könnte maximal vier Altersstände (Nachkriegsgeneration) und drei Generationen (im Alter von 30 Jahren) miteinan-

der vergleichen. Alternativ zu den ausgewählten Altersständen erlauben die Daten auch eine altersjahrspezifische Auswertung, was die Komplexität jedoch zusätzlich erhöht. In den folgenden Beispielen werden beide Ansätze dargestellt.

Eine weitere Einschränkung bei der Umsetzung des Generationenkonzepts ergibt sich daraus, dass sich die Zusammensetzung einer Generation im Zeitverlauf durch Zu- und Fortzüge ändert. Da die Zuziehenden häufig aus dem Ausland kommen und dort vor dem Hintergrund anderer sozialer, ökonomischer und kultureller Rahmenbedingungen auch anders sozialisiert worden sind, ist zu hinterfragen, inwieweit sie trotz gleicher Geburtsjahre den jeweiligen Generationen zugeordnet werden können. So wanderten beispielsweise rund 15 Prozent der Babyboomer in Deutschland aus dem Ausland zu und „verbrachten ihre Kindheit und Jugend gar nicht auf den viel zitierten überfüllten Spielplätzen, Kindergärten und Schulen in Deutschland, sondern in ihren Herkunftsländern“ (Ette et al. 2014: 8). Über die Betrachtung des Geburtsortes könnte man dieses Problem teilweise umgehen, indem man beispielsweise nur diejenigen Einwohner der betrachteten Generation zuordnet, die auch tatsächlich in Deutschland geboren wurden. In dem verwendeten Datensatz sind die Geburtsorte jedoch erst seit 1999 enthalten, so dass deren Berücksichtigung mit einer weiteren deutlichen Einschränkung des Betrachtungszeitraums verbunden wäre. Alternativ wird in den folgenden Ausführungen teilweise auf die Staatsangehörigkeit zurückgegriffen und unterstellt, dass im Ausland geborene Personen in der Regel eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit haben. Diese Annahme ist jedoch zumindest für die Gruppe der Aussiedler/innen und Spätaussiedler/innen nicht zutreffend. Und selbst wenn, so könnte sich der Personenkreis einer Generation, der zu einem bestimmten Altersstand analysiert wird, in Folge von Zu- und Fortzügen von jenem Personenkreis derselben Generation unterscheiden, der zu einem anderen Altersstand analysiert wird.

Die stärksten für Stuttgart registrierten Jahrgänge entfallen auf die Generation der Babyboomer. Das überrascht wenig, wur-

Abbildung 3: Überblick über die analysierbaren Altersstände der einzelnen Generationen zum Analysezeitpunkt 30.06.2014

Quelle: Eigene Darstellung

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Abbildung 4: Jahrgangsstärken der Generationen (nur Deutsche) zu ausgewählten Altersständen

Quelle: Eigene Darstellung

den in den frühen 1960er Jahren doch besonders viele Kinder geboren. Im Alter von 30 Jahren entfielen auf einen einzigen Jahrgang der Babyboomer rund 10.000 Personen. Dies ist neben der Tatsache, dass die Jahrgänge der Babyboomer insgesamt vergleichsweise groß waren auch darauf zurückzuführen, dass zu Beginn der 1990er Jahre, als die Babyboomer rund 30 Jahre alt waren, aufgrund des Falls des Eisernen Vorhangs besonders viele Menschen nach Stuttgart zuzogen und die Jahrgangszahlen dadurch insgesamt stiegen. Betrachtet man nur die Einwohner mit deutscher Staatsangehörigkeit, so stellen die Babyboomer ebenfalls die stärksten Jahrgänge: Rund 7.700 Babyboomer (nur Deutsche) feierten in Stuttgart ihren zehnten, zwanzigsten und dreißigsten Geburtstag (vgl. Abbildung 4).

Im weiteren Verlauf des Lebens nahm die Jahrgangsstärke der Babyboomer um gut 10 Prozent zwischen den runden Geburtstagen ab. Vergleicht man die jüngeren (Generationen X und Y) mit den älteren Generationen (Nachkriegsgeneration und Babyboomer) so fällt auf, dass die Jahrgangsstärken im Alter von zehn und zwanzig Jahren sehr viel geringer sind. Pro Jahrgang feierten in Stuttgart rund doppelt so viele Babyboomer ihren zehnten Geburtstag als Mitglieder der Generationen X und Y (jeweils nur Deutsche). Zugleich ist jedoch festzustellen, dass die Generationen X und Y zwischen ihrem zehnten und dreißigsten Geburtstag immer stärker geworden sind, was als Indiz dafür gewertet werden könnte, dass die Attraktivität Stuttgarts als Ausbildungs-, Arbeits- und Wohnstandort in diesen Generationen höher bewertet wird als in der Vergangenheit.

zunehmenden Maße als Wanderungsziel etablieren und die Suburbanisierung, die jahrzehntelang die stadtregionalen Wanderungsmuster dominierte, zunehmend von der Reurbanisierung abgelöst wird. Zugleich untermauen verschiedene Analysen, dass es vor allem die Altersgruppe der 18- bis unter 30-Jährigen ist, die den Trend des städtischen Wohnens trägt (vgl. z. B. Hochstetter 2013). Dies führt zu der nach wie vor ungeklärten Frage, wie sich die Wanderungsmuster entwickeln werden, wenn die Altersgruppe der 18- bis unter 30-Jährigen demografisch bedingt zurückgehen wird. Bleiben die Kernstädte weiterhin beliebte Wohnstandorte oder gewinnt die Suburbanisierung wieder stärker an Bedeutung?

Diese Fragen weisen gleich in doppelter Hinsicht eine generationendifferenzierte Komponente auf: Zum einen können die Wohnwünsche zwischen den Generationen differieren und entsprechend unterschiedliche Wohnstandorte nachgefragt werden (Nachfrageseite), d. h. die heutigen Berufsanfänger könnten auch während ihrer Familienphase andere Wohnstandorte bevorzugen als diejenigen, die sich in der Vergangenheit in der Familienphase befanden. Zum anderen führen die räumlichen Muster älterer Generationen dazu, dass zu bestimmten Zeitpunkten unterschiedliche Bestandswohnungen auf dem Markt angeboten werden (Angebotsseite). Letzteres ist unter dem Gesichtspunkt des Generationenwechsels insbesondere von Einfamilienhausgebieten bereits anhand verschiedener Beispiele untersucht worden (vgl. z. B. Nierhoff 2008; Stadt Köln 2012; Zakrzewski et al. 2014).

In seinem Buch über die Generation der Boomer beschreibt von Becker (2014) die Babyboomer als eine urbane Generation: „Wir legen unseren Mittelpunkt gerne ins Großstadtzentrum, dorthin, wo was los ist, wo es wimmelt, wie wir es von der Jugend an kennen […] Wir bepflanzen Hinterhofbalkone, züchten Gemüse auf Dächern und Trottoirs und organisieren das Nachbarschaftsstraßenfest“ (von Becker 2014: 99). Entgegen dieser Einschätzung zeigen die Daten für Stuttgart keineswegs, dass die Babyboomer insgesamt eine besonders urbane Generation sind. Der Anteil der (deutschen) Boomer, die in innerstädtischen Quartiren leben, lag im Alter von 20 Jahren bei rund 36 Abbildung 5: Anteil der Bevölkerung in der Innenstadt an der Gesamtbevölkerung in Stuttgart nach Generationen (nur Deutsche) zu ausgewählten Altersständen

Mögliche Fragestellungen Durch die Verknüpfung kommunalstatistischer Bevölkerungsdaten mit dem Generationenkonzept lassen sich demografische Fragstellungen aus einem neuen Blickwinkel heraus betrachten. Hierzu sollen im Folgenden exemplarisch zwei Themen betrachtet werden.

Beispiel 1: Innerstädtische Wohnstandortmuster Als ein Beispiel sei auf die aktuelle Debatte zu stadtregionalen Wanderungen und Wohnstandortentscheidungen im Rahmen der Reurbanisierung verwiesen. Herfert und Osterhage (2012) weisen darauf hin, dass sich die Kernstädte im

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Quelle: Eigene Darstellung

Schwerpunkt Generationen als Beobachtungsgegenstand von Stadtforschung und Statistik

Prozent an allen Babyboomern im entsprechenden Alter (vgl.

Abbildung 5). Im weiteren Lebenslauf nahm er in Folge von Fortzügen ähnlich wie bei der Nachkriegsgeneration ab, mit 50 Jahren wohnte nicht einmal ein Drittel der Babyboomer in innerstädtischen Lagen. Dagegen zeigt die Generation X und noch deutlicher die Generation Y eine stärkere Innenstadtkonzentration. Zwar lag der Anteil der Innenstadtbewohner in der Kindheit unter dem Wert der vorangegangenen Generationen (hierbei ist die Wohnstandortwahl der Eltern relevant), im Alter von 30 Jahren lebten jedoch 45 Prozent aller Mitglieder der Generation Y in den inneren Stadtbezirken und damit deutlich mehr als bei den Babyboomern. Auffällig ist auch ein Anstieg des Anteils der Innenstadtbewohner zwischen dem 20. und 30.

Abbildung 6: Anteil der ledigen und verheirateten Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung in Stuttgart nach Generationen (nur Deutsche) und Altersjahren

Lebensjahr, der bei den vorangegangenen Generationen nicht festzustellen war. Gleichzeitig zeigt die Anteilskurve zumindest für die Generation X, dass der Wohnanteil der Innenstadt zwischen dem 30. und 40. Geburtstag rasch abnimmt, was sich mit den Befunden zur anhaltenden Suburbanisierung von Familien weitgehend deckt. Im Alter von 40 Jahren liegt der Anteil mit rund 34 Prozent nur noch knapp über dem der vorangegangenen Generationen.

Beispiel 2: Familienstand Als weiteres Beispiel sollen die Generationen nach Familienstand dargestellt werden. Aus fachlicher Sicht wäre eine Analyse der Haushaltszusammensetzung zwar besser geeignet, um die Beziehungsformen und deren Wandel zu analysieren. Diese jedoch scheitert wiederum an der nicht ausreichenden Länge der vorliegenden Zeitreihendaten. Alternativ zu der im ersten Beispiel dargestellten Analyse zu ausgewählten Altersständen werden im Folgenden alle Altersjahre berücksichtigt.

Während in der Nachkriegsgeneration (nur deutsche) bereits mit 26 Jahren die Hälfte der Personen verheiratet war, wird dieser Wert in der Generation X erst mit rund 37 Jahren erreicht (vgl. Abbildung 6). Gleichzeitig liegt der Anteil der verheirateten an allen Einwohner in den Generationen Babyboomer und X im Alter von rund 45 Jahren gar nicht so weit auseinander bei rund 60 Prozent. Hieraus kann man folgern, dass sich zwar das Heirat in ein höheres Lebensalter verschoben hat, zugleich jedoch der Anteil der verheirateten an allen Einwohnern jenseits des 40. Geburtstags vergleichsweise konstant geblieben ist.

Ein Vergleich der Geschlechter zeigt, dass Frauen in allen betrachteten Generationen früher heiraten als Männer. In der Nachkriegsgeneration waren bereits mit 33 Jahren über zwei Drittel der Frauen verheiratet, in der Generation Y liegt der Anteil der verheirateten Frauen im gleichen Alter bei unter einem Drittel. Auffällig ist auch, dass in den älteren Generationen der Anteil der verheirateten Frauen an allen Frauen ab ca. 40 Jahren wieder zurückgeht, was begleitet wird von einem Anstieg der geschiedenen Frauen ab diesem Alter. Die Männer dieser Abbildung 7: Anteil der verheirateten Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung in Stuttgart nach Generationen (nur Deutsche), Geschlecht und Altersjahren

Quelle: Eigene Darstellung

Quelle: Eigene Darstellung

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Schwerpunkt Generationen als Beobachtungsgegenstand von Stadtforschung und Statistik

Generationen zeigen deutlich häufiger den Trend zur Wiederheirat. Dies äußert sich zum einen daran, dass der Anteil der geschiedenen Männer unter dem der geschiedenen Frauen liegt, zum anderen aber auch an einem weiteren Anstieg des Anteils Verheirateter auf über 70 Prozent im Alter von 70 Jahren.

Fazit Die Beispiele zur Analyse von Generationen zeigen neue und aufschlussreiche Möglichkeiten zur Auswertung kommunaler Bevölkerungsdaten. Für aktuelle Fragestellungen kann die Betrachtung nach Generationen zu zusätzlichen Erkenntnissen, im Zusammenhang mit Vorausberechnungen und Szenarien auch zu neuen Einschätzungen zukünftiger Entwicklungen führen. Im vorliegenden Beitrag konnte der Nutzen der Daten nur exemplarisch dargestellt werden, weitere Anwendungen des Ansatzes sollten die Möglichkeiten des Generationenansatzes weiter ausschöpfen und belegen.

Zugleich stößt der Ansatz aber in zweierlei Hinsicht an seine Grenzen: inhaltlich und methodisch. Inhaltlicher Art bleiben Zweifel daran bestehen, inwieweit die Zusammenfassung unterschiedlicher Geburtsjahrgänge zu Generationen der gesellschaftlichen Heterogenität tatsächlich gerecht wird. Anders als in der vorliegenden Analyse vorgeschlagen, könnte man

die Abgrenzung der Generationen jedoch nicht auf Grundlage vorhandener Literatur, sondern auf Grundlage demografischer Veränderungen vornehmen, die man aus den vorliegenden Daten ableitet. Dies würde die Homogenität der verwendeten Generationen hinsichtlich einer spezifischen Fragestellung befördern, zugleich jedoch die Anschlussfähigkeit an andere Untersuchungen erschweren.

Aus methodischen Erwägungen stößt das Generationenkonzept hinsichtlich der benötigten Daten an seine Grenzen. So ist für die aufgezeigten Auswertungen die Verfügbarkeit langer Zeitreihen notwendig, die nicht überall verfügbar sind. Und auch dann, wenn sie wie im dargestellten Fall vorliegen, blendet die Betrachtung der Generationen Veränderungen der Bevölkerungszusammensetzung in Folge von Migrationsprozessen weitgehend aus. Die geschlossene Betrachtung einer Generation verkennt, dass sich diese im Betrachtungszeitraum unter Umständen vollständig austauschen könnte. Tatsächlich erlauben die vorgestellten Daten im Gegensatz zu Paneldaten, die im Rahmen von Befragungen gewonnen werden, keine Rückschlüsse auf individuelle Entscheidungen. Mit der Berücksichtigung nur deutscher Einwohner werden die durch Migrationen entstehenden Verzerrungen sicherlich abgemildert. Zielführender wäre hier jedoch eine Einschränkung auf Grundlage des Geburtsortes (zum Beispiel nur Deutschland, oder nur Stuttgart). Dies jedoch würde den Auswertungszeitraum weiter einschränken.

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Stadtforschung

Philipp vom Berge, Norbert Schanne, Christopher-Johannes Schild, Parvati Trübswetter, Anja Wurdack und Ana Petrovic

Wie sich Menschen mit niedrigen Löhnen in Großstädten verteilen – Eine räumliche Analyse für Deutschland1 Zur Existenz und Verbreitung von Niedriglohnbeschäftigung liegen vielfältige Forschungsbefunde vor. Dagegen gibt es wenige wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wo Niedriglohnbezieher ansässig sind. Georeferenzierte Daten erlauben es erstmals, die räumliche Verteilung sichtbar zu machen und zu untersuchen.

Wir zeigen beispielhaft anhand mehrerer deutscher Großstädte, wie sich die Niedriglohnbezieher kleinräumig innerhalb einer Stadt verteilen.

Niedriglohnbezieher verdienen nach der OECD-Definition weniger als zwei Drittel des mittleren Lohns (Median). In Deutschland ist ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung verglichen mit den 1990er Jahren gestiegen und liegt heute höher als in den meisten europäischen Ländern (Rhein 2013). Niedriglöhne (Näheres zur Begriffsdefinition vgl. Infokasten 1) kommen in einigen Regionen Deutschlands deutlich häufiger vor als in anderen. Der Aufstieg in besser bezahlte Beschäftigung wird dort erschwert, gerade wenn es bei gleichzeitig hoher regionaler Arbeitslosigkeit kaum Alternativen gibt. Auch wenn niedrigere Lebenshaltungskosten die Problematik oft abmildern, können diese Regionen an Attraktivität einbüßen. Geringe Steuereinnahmen und eine erhöhte Abwanderung können die Folge sein.

Darüber hinaus können sich Niedriglöhne auch auf kleinräumiger Ebene häufen und damit ein möglicher Indikator für soziale Probleme sein. Negative Nachbarschaftseffekte können die Arbeitsmarktchancen der Bewohner von sozial benachteiligten Stadtvierteln verschlechtern. Selbst in Städten, in denen Niedriglöhne insgesamt keine große Rolle spielen, können örtlich begrenzt Probleme bestehen.

Dr. Philipp vom Berge Norbert Schanne Dr. Christopher-Johannes Schild Dr. Parvati Trübswetter Anja Wurdack Ana Petrovici Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit : parvati.truebswetter@iab.de Schlüsselwörter: Niedriglohn – Segregation – Stadtentwicklung – Strukturwandel

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Der Beitrag erschien zuerst als IAB-Kurzbericht 12/2014.

Um innerstädtische Segregation – also die räumliche Trennung der Wohnorte von verschiedenen Beschäftigtengruppen – zu untersuchen, ist eine detaillierte Datenbasis nötig. Aufgrund des großen Erhebungsaufwands sind empirische Untersuchungen häufig als lokal begrenzte Fallstudien konzipiert (Friedrichs u. Triemer 2009). Um umfassendere Analysen zu ermöglichen, verwenden wir Informationen aus den Prozessdaten der Bundesagentur für Arbeit, die mit Geoinformationen verbunden wurden.

Ziel des Kurzberichts ist es, einen vergleichenden Überblick innerstädtischer Lohnsegregation in Deutschland vorzunehmen.

Er veranschaulicht die deutlichen Lohnunterschiede zwischen verschiedenen Stadtvierteln und beschreibt unterschiedliche Muster, die im Städtevergleich auftreten.

Niedriglohnbezug im regionalen Vergleich Der Bezug eines Niedriglohns geht nicht zwingend mit Armut einher. Dennoch kann daraus ein Armutsrisiko erwachsen, da für viele Beschäftigte das Erwerbseinkommen den überwie-

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Stadtforschung

genden Teil ihres Gesamteinkommens ausmacht. Auf regionaler Ebene kann eine Häufung von Niedriglohneinkommen auf ein gesteigertes Armutsrisiko von Teilen der Bevölkerung hindeuten und Rückschlüsse über die allgemeine Sozialstruktur zulassen.

Abbildung 1: Anteil der Niedriglohnbeschäftigten an allen Beschäftigten nach Kreisen 2009 in Prozent

Etwa 25 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland beziehen Niedriglöhne. Diese sind sehr ungleich über die Landkreise verteilt (vgl. Abbildung 1). Dabei fällt zunächst das Einkommensgefälle zwischen Ost- und Westdeutschland auf. Da die Niedriglohnschwelle auf nationaler Ebene berechnet wird, wirkt sich das Lohngefälle zwischen Regionen auch auf den jeweiligen Anteil der Niedriglohnbezieher aus. Dieser ist in den meisten ostdeutschen Kreisen höher als in westdeutschen. In beiden Landesteilen finden sich höhere Niedriglohnanteile eher in ländlichen Gegenden.

Infokasten 1 Niedriglohn und Berechnungsgrundlage Als Niedriglohn wird hier (in Anlehnung an die OECD-Definition) ein Bruttomonatslohn verstanden, der weniger als 2/3 des nationalen Medianbruttomonatslohns in einer regulären Vollzeitbeschäftigung beträgt.

In jeder der hier untersuchten Rasterzellen wird dann der Anteil der Niedriglohnbezieher an allen Beschäftigten berechnet.

Als Berechnungsgrundlage dienen 20- bis 65-jährige Personen, die am 30.06.2009 in Vollzeit und Teilzeit mit mindestens der Hälfte der regulären Arbeitszeit sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Auszubildende, Studierende, Beschäftigte in kurzer Teilzeit, Freiberufler, Selbstständige, Beamte sowie Rentner mit Hinzuverdienst werden nicht berücksichtigt.

Somit liegt die bundesweite Niedriglohnschwelle für diese Stichprobe bei 1.733 Euro.

Nach dieser Definition gehört in Deutschland rund ein Viertel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zu den Niedriglohnbeziehern. Der errechnete Niedriglohnanteil ist mit dem in Rhein (2013) ausgewiesenen vergleichbar, auch wenn die Schwelle aufgrund der anderen Berechnungsgrundlage etwas abweicht.

Ein Vergleich zwischen den größten Städten Deutschlands zeigt sowohl ein Ost-West- als auch ein Nord-Süd-Gefälle.

Die Städte mit der geringsten Zahl an Niedriglohnverdienern liegen überwiegend in Süddeutschland (darunter München mit 13 % sowie Stuttgart und Frankfurt mit 16 %), während hohe Niedriglohnanteile vor allem in ostdeutschen Städten auftreten (z. B. Berlin mit 29 % und Leipzig mit 35 %). Die Stadtstaaten Bremen (24 %) und Hamburg (20 %) liegen dazwischen. Allgemein spiegelt die räumliche Verteilung der Niedriglohnanteile die wirtschaftliche Lage auf Kreisebene wider. Phänomene, die auf deutlich kleinräumigerer Ebene auftreten – insbesondere die Segregation bestimmter Bevölkerungsgruppen innerhalb einer Stadt – können mit einem Vergleich auf Kreisebene jedoch nicht untersucht werden.

Segregation – die räumliche Verteilung von Löhnen Häufig leben einzelne Bevölkerungsgruppen innerhalb von Städten oder Gemeinden teilweise räumlich getrennt voneinander, wobei verschiedene sozioökonomische Merkmale (z. B. ethnische Herkunft, Bildung oder Einkommen) eine

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Rolle spielen können. Dieses Phänomen bezeichnet man als Segregation. Die Ursachen für Segregationsprozesse können vielfältig sein: Soziale Kontakte weisen häufig ähnliche sozioökonomische Merkmale auf und Menschen wohnen gerne in der Nähe ihrer engsten sozialen Kontakte. Auch die Länge des Arbeitswegs ist ein wichtiger Faktor bei der innerstädtischen Wohnortwahl: Einzelne Berufsgruppen siedeln sich verstärkt um bestimmte Betriebe herum an (z. B. Fabrikarbeiter in Fabriknähe, Ärzte in Krankenhausnähe). Außerdem spielt bei der Wahl des Wohnorts die Lebensqualität eine Rolle, z. B. die Qualität von Schulen, Parks, Verkehrsanbindung, Kulturangebot, Einkaufsmöglichkeiten. Die Qualität solcher lokaler öffentlicher Güter spiegelt sich vor allem im Mietniveau wider.

Da sich Menschen mit niedrigen Einkommen ein Leben in besonders attraktiven Vierteln selten leisten können, begünstigt dies ebenfalls eine Segregation nach Einkommen.

In der Summe führen diese Effekte dazu, dass Menschen häufig bestimmte Wohnviertel in Abhängigkeit ihres Einkommens wählen. Dabei kommt es aber in der Regel nicht zu vollständiger Segregation. Das liegt zum einen daran, dass es bei der Wohnortwahl konkurrierende Ziele geben kann. Zum anderen fehlen Zuziehenden Informationen zu allen vorhandenen Wohnmöglichkeiten. Ebenso stehen die Umzugskosten einer vollkommenen räumlichen Trennung der Einkommensgruppen entgegen.

Haben alle Stadtbewohner ein ähnlich hohes Einkommen, ist auch das Potenzial für die Einkommenssegregation gering und umgekehrt. Außerdem kann die räumliche Verteilung der

Stadtforschung

lokalen öffentlichen Güter, des Wohnungsbestands oder der Betriebe das Ausmaß der Einkommenssegregation bestimmen. Daraus folgt, dass die Politik Einfluss auf die Einkommenssegregation nehmen kann. So können städtebauliche Maßnahmen oder Schulpolitik die Wohnvierteleigenschaften verändern und damit indirekt und langfristig auch das Ausmaß der Segregation. Über Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaus, die Begrenzung von Luxussanierungen und Mietpreisbindungen kann zudem direkt eingewirkt werden.

Innerstädtische Segregation ist nicht per se als negatives Phänomen zu sehen. Sie ergibt sich z. B. aus der Bereitschaft und der Entscheidungsfreiheit von Menschen, einen gewissen Preis für eine Wohnung in einem bestimmten Stadtteil zu zahlen oder dies nicht zu tun. Dennoch ist Segregation im Ergebnis oft stärker ausgeprägt als es für die Gesellschaft als Ganzes optimal wäre. Sozioökonomisch schlechter gestellte Bewohner können durch einen Zustrom von Besserverdienern und dadurch verursachte Mieterhöhungen aus ihrem Viertel verdrängt werden. Umgekehrt kann ein fortschreitender Wegzug von Besserverdienern dazu führen, dass andere Bewohner mit ähnlichem sozioökonomischem Status ebenfalls einen Anreiz haben, das Viertel zu verlassen. Dies ist deshalb problematisch, weil die Qualität der lokalen öffentlichen Güter oft entscheidend von den Bewohnern eines Viertels selbst abhängt.

Das soziale Umfeld spielt auch bei der Arbeitsplatzsuche eine bedeutende Rolle. In einem Stadtteil mit vielen Niedriglohnbeziehern ist die Wahrscheinlichkeit, dort Information über eine gut bezahlte Beschäftigung zu erhalten, niedriger als in einer Umgebung, in der viele Menschen einer gut bezahlten Arbeit nachgehen (Bauer et al. 2011). Dieses Umfeld muss zwar nicht zwingend an ein Wohnquartier gebunden sein, allerdings haben viele soziale Netzwerke wie Sportvereine, Kirchengemeinden oder der Freundeskreis einen begrenzten räumlichen Einzugsbereich.

Infokasten 2 Datenbasis Die Datenbasis für die vorliegende Analyse bilden die Integrierten Erwerbsbiografien (IEB) des IAB für das Jahr 2009. Die IEB enthalten unter anderem Informationen über sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigte, die in den administrativen Prozessen der Bundesagentur für Arbeit erzeugt werden.

Das Projekt „Nachbarschaftseffekte: Die Analyse individuell-rationalen Verhaltens im sozialen Kontext“ wurde durch die Wissenschaftsgemeinschafts Leibniz gefördert und in Kooperation mit dem RWI und dem DIW durchgeführt. Dabei wurde jede Person in der IEB zum 30.06.2009 mit einer Geokoordinate versehen, die ihren Wohnort beschreibt, und mit deren Hilfe einem kleinräumigen Gebiet zugeordnet. Diese sogenannten „Rasterzellen“ stellen Nachbarschaften einheitlicher (Flächen-)Größe dar.

In Ballungsräumen wird eine Kantenlänge von 500 Metern verwendet. In weniger dicht besiedelten Gegenden kann der Wohnort aus Datenschutzgründen nur mit einer Genauigkeit von 1 km oder sogar nur 5 km berichtet werden (vgl. hierzu auch Scholz et al. 2012).

Als Anonymitätskriterium muss jede Rasterzelle mit mindestens 20 Personen im erwerbsfähigen Alter mit einer Sozialversicherungsmeldung besetzt sein. Dadurch wird auch gewährleistet, dass die Berechnungen im jeweiligen Quadrat nicht übermäßig sensitiv auf einzelne Personen reagieren.

Im Ergebnis kann innerstädtische Einkommenssegregation dazu führen, dass sozioökonomisch schwächeren Bewohnern qualitativ schlechtere lokale öffentliche Ressourcen und Netzwerke zur Verfügung stehen. Diese sind aber für Bildungsergebnisse und Arbeitsmarktchancen sowie für Sozialisation und Informationsaustausch von hoher Bedeutung. Prozesse der Einkommenssegregation könnten also die ohnehin schlechtere Lebenslage einiger Bewohner weiter verschlechtern. Damit kann ein Eingreifen der Kommunen in Segregationsprozesse begründet werden.

Niedriglohnbezug und Segregation in drei deutschen Städten Um die Segregation von Niedriglohnbeziehern in deutschen Städten sichtbar zu machen, berechnen wir ihren Anteil an allen Beschäftigten innerhalb von „Rasterzellen“, die sehr kleine Stadtgebiete abgrenzen (vgl. Infokasten 2). Anders als bei den großräumigen Unterschieden messen wir die Niedriglohnschwelle hier auf Grundlage des stadtspezifischen Medianlohns, um Differenzen im lokalen Preisniveau und damit in der lokalen Kaufkraft in Städten zu berücksichtigen. Beispielhaft werden die drei größten deutschen Städte – Berlin, Hamburg und München – grafisch dargestellt.

Das Beispiel Berlin Die Bundeshauptstadt weist mit 29 Prozent (nationale Referenz) einen für ostdeutsche Verhältnisse eher geringen, für westdeutsche Verhältnisse dagegen hohen Anteil an Niedriglohnbeziehern auf. Abbildung 2 zeigt deren räumliche Verteilung in Berlin. Die frühere Trennung der Stadt ist kaum zu erkennen: Es gibt sowohl in Ost- als auch in West-Berlin Stadtteile mit hohen und geringen Anteilen an Niedriglohnbeziehern.

Auffällig ist die starke Häufung von Niedriglohnbeziehern insbesondere im Ortsteil Neukölln (dem nördlichen Teil des gleichnamigen Bezirks), in Marzahn (Nordteil von Marzahn/ Hellersdorf ) und in Wedding/Gesundbrunnen (Nordteil von Mitte). In diesen Stadtteilen gibt es geschlossene Flächen von mehreren Quadratkilometern, wo mindestens jeder dritte Beschäftigte einen niedrigen Lohn bezieht.

Bedeutende Wirtschaftszweige in Berlin sind das Gastgewerbe und der öffentliche Dienst, letzterer spätestens seit dem Umzug der Bundesregierung. Insbesondere nach der Wiedervereinigung und mit dem Wegfall der Berlinförderung hat die Industrie an Bedeutung verloren.

Zwischen den Bezirken mit hohem Niedriglohnanteil gibt es Unterschiede hinsichtlich der Zusammensetzung der Bevölkerung. Dies deutet auf verschiedene Ursachen der starken Segregation hin. Die niedrigen Mietkosten in den multikulturell geprägten Stadtteilen Neukölln und Wedding führen dazu, dass sich dort gehäuft Niedriglohnbezieher ansiedeln. Zum Niedriglohnanteil in diesen Stadtteilen trägt auch das niedrige Lohnkostenniveau in den überwiegend zentrumsnah ansässigen Betrieben des Gastgewerbes und der sozialen Dienstleistungen bei, in denen viele der hier lebenden Menschen beschäftigt sind. In den Außenbezirken Spandau und Marzahn

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Stadtforschung

Abbildung 2: Niedriglohnbeschäftigte in Berlin 2009, Anteile an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Prozent

Abbildung 3: Niedriglohnbeschäftigte in Hamburg 2009, Anteile an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Prozent

wohnen hingegen eher die Verlierer der De-Industrialisierung Berlins. In den 1980er Jahren gab es in diesen Bezirken zahlreiche Betriebe mit subventionierten Fertigungsarbeitsplätzen.

Nach dem Fall der Mauer und dem Wegfall der Subventionen wanderten viele Betriebe ab oder mussten schließen. Die ehemals dort Beschäftigten konnten ihre spezifischen Qualifikationen bei neuen Arbeitgebern nur selten nutzen und mussten Lohneinbußen hinnehmen. Der Rückgang der Industrie kann als einer der Gründe für den insgesamt hohen Niedriglohnanteil Berlins gesehen werden.

Der soziale Wohnungsbau wurde im Verlauf der 1990er Jahre reduziert, seit 2002 findet in Berlin keine Neuförderung mehr statt. Damit fehlt der Politik eine mögliche Form der Einflussnahme auf die innerstädtische Verteilung von Menschen mit geringem Einkommen.

Das Beispiel Hamburg Der Niedriglohnanteil in Hamburg liegt mit etwa 20 Prozent im durchschnittlichen Bereich (nationale Referenz). Abbildung 3 zeigt eine eher ungleiche räumliche Verteilung der Niedriglohnanteile innerhalb der Stadt. Vor allem in den südlichen (alsternahen) Teilen der Bezirke Eimsbüttel und HamburgNord, in den elbnahen Teilen des Bezirks Altona sowie im äußersten Nordwesten Hamburgs finden sich große Gebiete mit sehr geringen Niedriglohnanteilen. Dagegen erstrecken sich ausgehend vom Bezirk Harburg über Teile von HamburgMitte (z. B. Wilhelmsburg und Horn), hin zum südlichen Teil des Bezirks Wandsbek (z. B. Jenfeld) Wohngegenden mit einem ausgeprägt hohen Niedriglohnanteil. Aber auch in den anderen Bezirken gibt es punktuell hohe Niedriglohnanteile (z. B. Lurup im Bezirk Altona).

Gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und an der Kaufkraft ist Hamburg die reichste Region Deutschlands.

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Die Wirtschaftsstruktur Hamburgs ist primär geprägt durch Handel und Logistik sowie Luftfahrt- und Schiffsbauindustrie. Die strukturelle Entwicklung der Stadt war in den 1960er bis 1980er Jahren durch einen fortschreitenden Rückgang geringqualifizierter Beschäftigung verstärkt im Bereich der maritimen Wirtschaft gekennzeichnet. Außerdem gab es ein starkes Wachstum bei hochentlohnter Beschäftigung.

Vor allem an den Stadträndern wurden in den 1960er und 1970er Jahren Hochhaussiedlungen gebaut, welche heute günstigen Wohnraum bieten und Zentren mit einem hohen Anteil an Niedriglohnbeziehern darstellen. Ein Großteil der Arbeitsplätze für Hochqualifizierte, etwa an der Universität, ist eher im nördlichen und westlichen Stadtgebiet angesiedelt, häufig in räumlicher Nähe zu Wohngebieten mit einem geringen Anteil an Niedriglohnbeziehern. Ein Gegenbeispiel sind die Handels- und Versicherungsunternehmen im Stadtteil Hammerbrook („City-Süd“). Hohe Anteile von Menschen mit niedrigen Löhnen zeigen sich in einigen traditionellen Arbeitervierteln, wie im östlichen Altona oder nordöstlichen Hamburg-Mitte (Horn und Billstedt). Der Wiederaufbau nach dem Krieg setzte auf kleinteilige und günstige Wohneinheiten.

Viele Nachkriegsbauten, insbesondere im stark zerstörten Osten Hamburgs, dienen weiterhin als günstiger Wohnraum, in dem sich vor allem Niedriglohnbezieher ansiedeln.

Mit sogenannten sozialen Erhaltungsverordnungen wird versucht, weitere Aufwertungstendenzen von soziostrukturell starken Stadtteilen zu begrenzen. Dazu gehören unter anderem eine Genehmigungspflicht durch das zuständige Bezirksamt, wenn Gebäude abgerissen werden sollen, wohnwertsteigernde Bau- bzw. Modernisierungsmaßnahmen anstehen oder wenn man Miet- in Eigentumswohnungen umwandeln will. Eine Verdrängung von Menschen mit niedrigem Einkommen in Gegenden, die bereits stark durch ökonomisch schwache Bevölkerungsschichten geprägt sind, soll damit ver-

hindert werden. Erst in den letzten Jahren bekam der soziale Wohnungsbau in Hamburg wieder einen höheren Stellenwert auf der politischen Agenda.

Das Beispiel München Der Anteil der Niedriglohnbezieher in der drittgrößten Stadt Deutschlands, München, ist gering (13 %, nationale Referenz).

Besonders gilt dies für Altstadt-Lehel, große Teile der Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt, Maxvorstadt, Schwabing und Bogenhausen (vgl. Abbildung 4). Stadtviertel mit einem erhöhten Anteil an Niedriglohnbeziehern sind im Norden Münchens Feldmoching-Hasenbergl und Milbertshofen-Am Hart, im Südosten sind es Berg am Laim und in weiten Teilen Ramersdorf-Perlach sowie der westliche Stadtrandbezirk Münchens, Aubing-Lochhausen-Langwied. Ebenfalls zu erkennen ist das Bahnhofsviertel im nördlichen Teil der Ludwigsvorstadt mit seinem hohen Anteil an Menschen mit niedrigen Löhnen.

Auffällig ist, dass vom hohen Anteil an Niedriglohnbeziehern meist nicht ganze Stadtbezirke betroffen sind, sondern nur bestimmte Straßenzüge.

München gilt nach Frankfurt als das zweite Finanzzentrum Deutschlands. Banken und Versicherungen prägen die wirtschaftliche Struktur der Stadt. Zudem haben sich Unternehmen im Bereich der IT- und Automobilbranche angesiedelt.

Damit ist München eine der wirtschaftlich erfolgreichsten Städte Deutschlands. Außerdem gibt es in der jüngeren Vergangenheit keinen schwerwiegenden Niedergang einer oder mehrerer wichtiger Industriebranchen, wie dies etwa in Berlin oder Hamburg der Fall war. Beides zusammen erklärt möglicherweise einen Teil des relativ geringen Anteils an Niedriglohnbeziehern und die geringe Segregation.

Die dichte Besiedelung Münchens und der weiterhin starke Zuzug führen aber zu einem Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Häufig werden Menschen mit niedrigem Einkommen

Abbildung 4: Niedriglohnbeschäftigte in München 2009, Anteile an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Prozent

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Stadtforschung

aus den Innenstadtbereichen in die Außenbezirke verdrängt.

In den frühen 1960er Jahren haben verschiedene Wohnungsbaugesellschaften versucht, mit dem Bau von Stadtrandsiedlungen bezahlbaren Wohnraum für sozial Schwache zu schaffen. Daher sind die äußeren Stadtbezirke meist durch Mietwohnanlagen oder Hochhaussiedlungen gekennzeichnet.

Aubing, Berg am Laim, Feldmoching-Hasenbergl, Milbertshofen-Am Hart und Ramersdorf-Perlach zeigen zwar historisch gesehen unterschiedliche Entwicklungen auf, jedoch gleichen sich alle Viertel hinsichtlich der vorherrschenden Bebauungsart. Der Bezirk rund um den Hauptbahnhof ist multikulturell geprägt und bietet überwiegend Platz für Gewerbetreibende, Verwaltungssitze oder Hotels. Da der Wohnraum dort relativ günstig ist, leben in diesem Viertel häufig Personen mit niedrigen Löhnen.

In München wird weiterhin sozialer Wohnungsbau betrieben, aber unter verschärften Auflagen. Neben einer heterogenen Mieterstruktur wird darauf geachtet, dass die nötige Infrastruktur bereits vorhanden ist und nicht wie im Hasenbergl erst nach und nach gebaut werden musste. Die Verteilung der Wohnungsbauprojekte über die gesamte Stadt sowie die Beschränkung auf eine Maximalzahl an Wohneinheiten sind ebenfalls wichtige Kriterien. Um die steigenden Mietkosten und den Mangel an Wohnraum in den Griff zu bekommen, werden ausgewogene städtebauliche Maßnahmen, insbesondere der geförderte Wohnungsbau, vorangetrieben.

Indexgestützter Vergleich der innerstädtischen Segregation Obwohl die grafische Analyse der Niedriglohnanteile auf der Ebene von Rasterzellen interessante Erkenntnisse zum Ausmaß der Segregation in deutschen Großstädten liefert, birgt sie den Nachteil, dass ein Städtevergleich nur bedingt möglich ist. Es ist nur schwer zu erkennen, welche Stadt stärker segregiert ist und ob die Unterschiede bedeutend sind.

Tabelle 1

Infokasten 3 Messung der Segregation Der Segregationsindex (SI) misst die räumliche Ungleichverteilung der Niedriglohnbezieher innerhalb einer Stadt, indem das Verhältnis der Niedriglohnbezieher in einer Rasterzelle („NLn“) zu den Niedriglohnbeziehern in der gesamten Stadt („NLStadt“) verglichen wird mit dem Verhältnis der Nicht-Niedriglohnbezieher in Rasterzelle und Stadt. Zu den Niedriglohnbeziehern werden dabei alle Beschäftigten gezählt, die weniger als 2/3 des stadtspezifischen Medianlohns verdienen. Diese Definition berücksichtigt, dass das allgemeine Einkommensniveau in den Städten sehr unterschiedlich sein kann. Die Formel für den Segregationsindex lautet:

Dieser Index ist ein Maß dafür, wie stark sich die Rasterzellen hinsichtlich der Einkommensstruktur vom Durchschnitt der gesamten Stadt unterscheiden. Je mehr der Rasterzellenanteil der Niedriglohnbezieher bzw. der Nicht-Niedriglohnbezieher dem Bevölkerungsanteil der Rasterzelle entspricht, desto kleiner ist der Beitrag der Rasterzelle (n) zum städtischen Segregationsindex. Umgekehrt fällt der Beitrag höher aus, je stärker die Anteile von Niedriglohnbeziehern bzw. Nicht-Niedriglohnbeziehern vom entsprechenden Bevölkerungsanteil abweichen, d. h. je stärker die Gruppen nach Rasterzellen getrennt leben. Für den Index werden die Beiträge der einzelnen Zellen zusammengezählt. Ein Indexwert von null kann nur erreicht werden, wenn die räumliche Verteilung von Niedriglohnbeziehern und Nicht-Niedriglohnbeziehern genau proportional zur Bevölkerungsverteilung ist – wenn also keine räumliche Trennung vorliegt. Der Index steigt mit der Segregation der Gruppen bis zu einem theoretisch möglichen Maximalwert von 100.

Tabelle 1 zeigt Indexwerte zur Messung der räumlichen Trennung von Niedriglohnbeziehern und Nicht-Niedriglohnbeziehern innerhalb einer Stadt (vgl. Infokasten 3) für die deutschen Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern.

Es zeigen sich zum Teil deutliche Unterschiede im Ausmaß der lokalen Segregation. Diese ist in Stuttgart und München mit Indexwerten unter 15 am niedrigsten und in Leipzig und Frankfurt mit etwa 20 deutlich höher. Einerseits bestätigt sich die Vermutung aus der grafischen Analyse, dass die Segregation in München insgesamt schwächer ausfällt als in Berlin und Hamburg. Andererseits weisen Berlin und Hamburg trotz der unterschiedlichen Segregationsmuster ein ähnliches Niveau an Segregation auf.

Beim Vergleich der Städte untereinander fällt auf, dass es keinen Hinweis auf einen klaren Zusammenhang zwischen Stadtgröße und dem Ausmaß der Segregation gibt. Diese ist in Berlin zwar vergleichsweise hoch, dennoch wird sie von einigen deutlich kleineren Städten noch übertroffen.

Am deutlichsten erscheint der Zusammenhang zwischen dem Anteil der Bevölkerung innerhalb einer Stadt, der unter der nationalen Niedriglohnschwelle entlohnt wird, und der innerstädtischen Segregation. Städte mit einem geringen Anteil von Niedriglohnbeziehern sind auch weniger segregiert. Diese Tendenz kennt jedoch auch ihre Ausnahme. Frankfurt weist als eine Stadt mit vergleichsweise wenigen Niedriglohnbeziehern den höchsten Segregationsindex aller Städte in der Tabelle auf.

Die Ergebnisse bieten erste Anhaltspunkte, welche Eigenschaften von Städten Segregation beeinflussen könnten (z. B.

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Stadtforschung

das allgemeine Einkommensniveau oder der Fortschritt des Strukturwandels) oder welche womöglich wenig relevant sind (z. B. die Stadtgröße). Dennoch bleiben unerklärte Unterschiede. Hier könnten historische Zufälle einerseits, aber auch gezieltes politisches Wirken andererseits eine Rolle spielen.

Diese und darüber hinausgehende Erklärungsansätze können aber mit den hier verwendeten Daten nicht weiter analysiert werden.

Fazit Wir untersuchen die räumliche Konzentration von Niedriglohnbeziehern und die damit einhergehende Trennung zwischen den Einkommensmilieus in den größten deutschen Städten. Die Visualisierung von nachbarschaftsspezifischen Niedriglohnanteilen in den drei größten Metropolen zeigt sehr unterschiedliche Muster: eine ausgeprägte, sehr großflächige Konzentration in Berlin, eine kleinräumigere in Hamburg und eine weniger deutliche, oft auf einzelne Straßenzüge begrenzte in München. Bezogen auf die räumliche Verteilung von Niedriglohnbeziehern untermauern statistische Kennzahlen, dass Berlin und Hamburg neben Frankfurt und Leipzig zu den am stärksten segregierten Großstädten gehören. München ist dagegen neben Stuttgart und Essen eine der Städte, in denen die verschiedenen Einkommensgruppen am wenigsten getrennt leben.

Während Stadtgröße und geografische Lage für das Ausmaß der Segregation kaum relevant sind, ist ein Zusammenhang zwischen Segregation und Niedriglohnanteil zu erkennen.

Hier könnte die Wirtschaftsstruktur eine Rolle spielen. Während die alten Industrien in Hamburg und Berlin durch negative Strukturschocks getroffen wurden, blieb München von größeren Schocks verschont und konnte zudem in besonderem Maße von der Neuansiedlung von wissensintensiven Branchen profitieren. Ein wesentlicher Effekt geht auch von der lokalen Wohnungsbauförderung und den dort gesetzten Prioritäten aus: Sowohl eine bedingungslose bzw. rein kostenoptimierte Förderung (insbesondere von Großprojekten im sozialen Wohnungsbau) als auch ein Rückzug der staatlichen Aktivität aus diesem Feld führt eher zu stärkerer Einkommenssegregation.

Für künftige Forschung ergeben sich aus unseren Ergebnissen eine Reihe interessanter Fragen. So wäre zu untersuchen, ob und inwieweit Segregation einen direkten Effekt auf Wohlstand und Lebenszufriedenheit der Bevölkerung einer Stadt hat. Außerdem wäre zu fragen: Wie könnten Wirtschafts- und Wohnungsbauförderung oder auch sozialpolitische Instrumente wie wohnungsmarktbezogene Unterstützungsleistungen effektiv Einfluss auf innerstädtische Segregation nehmen?

Erkenntnisse in diesen Bereichen könnten auch dabei helfen, Unterstützungs- und Fördermaßnahmen für Niedriglohnbeschäftigte und Arbeitslose unter Berücksichtigung von Segregationsmustern zu gestalten und somit die Wirksamkeit dieser Maßnahmen zu verbessern.

Literatur Bauer, Thomas K.; Fertig, Michael; Vorell, Matthias (2011): Neighborhood Effects and Individual Unemployment, Ruhr Economic Papers 0285, Essen.

Friedrichs, Jürgen; Triemer, Sascha (2009): Gespaltene Städte? Soziale und ethnische Se-

gregation in deutschen Großstädten, 2. Aufl., Wiesbaden.

Rhein, Thomas (2013): Erwerbseinkommen: Deutsche Geringverdiener im europäischen Vergleich, IAB-Kurzbericht Nr. 15, Nürnberg.

Scholz, Theresa; Rauscher, Cerstin; Reiher, Jörg; Bachteler, Tobias (2012): Geocoding of German Administrative Data: The Case of the Institute for Employment Research, FDZMethodenbericht Nr. 9, Nürnberg.

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Stadtforschung

Sebastian Eichhorn und Martin Schulwitz

Pendelkosten und Zweitwohnungsbedarfe in Nordrhein-Westfalen – ein explorativer Ansatz für die Stadtforschung In den letzten Jahrzehnten hat die Zahl der Berufspendler stetig zugenommen. Während das Pendeln durch die amtliche Statistik ausreichend erfasst ist, existiert nur eine unzureichende Datengrundlage zur Bestimmung der Anzahl von berufsbedingten Zweitwohnungen in Deutschland. Der explorativ entwickelte Wohn- und Mobilitätskostenrechner (WoMoKoR) berechnet den Anteil der Tagespendler, für die sich theoretisch eine Zweitwohnung am Arbeitsort aus ökonomisch-monetärer Sicht lohnen würde. Auf Basis eines Kostenvergleichs zwischen dem täglichen Pendeln und einer Zweitwohnung am Arbeitsort wird der Schnittpunkt beider Kostenfunktionen (kritische Pendeldistanz) identifiziert und die Anzahl an potenziellen Zweitwohnungen für jede Kommune im Untersuchungsraum Nordrhein-Westfalen bestimmt. Auf Grundlage der Ergebnisse wird im Beitrag Stellung zu möglichen Folgen der ermittelten Potenziale für die Stadtentwicklung genommen.

Sebastian Eichhorn M. Sc. wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS), Dortmund. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Siedlungsflächenentwicklung, nachhaltiges Flächenmanagement, Monitoring, Multilokalität. : sebastian.eichhorn@ils-forschung.de Martin Schulwitz M. Sc. wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS), Dortmund. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Kosten und Zukunftsperspektiven technischer Infrastrukturen im demografischen und klimatischen Wandel, Kosten der Multilokalität. : martin.schulwitz@ils-forschung.de Schlüsselwörter: Multilokalität – Berufspendeln – Pendelkosten – Zweitwohnung – Kostenrechner

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1 Problemstellung Im Jahr 2010 pendelte in Nordrhein-Westfalen fast jeder zweite Erwerbstätige über mindestens eine Gemeindegrenze hinweg zum Arbeitsort (vgl. Website Statistisches Landesamt 1). Dies kann als ein deutliches Anzeichen dafür gewertet werden, dass (zirkuläre) multilokale Lebensweisen in weiten Teilen der Gesellschaft längst gängige Praxis zur Anpassung an die neuen Herausforderungen der Arbeitswelt sind. Der wirtschaftliche Strukturwandel und die Regional- und Internationalisierung des Arbeitsmarktes verlangen immer mehr nach einer mobilen Lebensführung, um Berufs- und Familienleben miteinander in Einklang bringen zu können (vgl. Stippler 2009: 10ff.; Mückenberger et al. 2010: 11ff.). Dabei kennzeichnet sich die räumliche Mobilität nicht nur durch häufigere Wohnsitzverlagerungen, sondern auch durch eine multilokale Alltagsgestaltung (Rolshoven 2006: 181).

Zwar rückt die qualitative Systematisierung von Multilokalität, die neben den Berufspendlern noch zahlreiche weitere Subformen und Ursachen umfasst, zunehmend in den Fokus wissenschaftlicher Disziplinen (vgl. Hesse u. Scheiner 2007: 138ff.; Reuschke 2010: 21ff.), doch fehlt es bislang an einer aussagekräftigen Quantifizierung der mit der Thematik verbundenen Entwicklungen. Auf Seite der kommunalen Planungs- und Entscheidungsträger mangelt es an einer belastbaren statistischen Datenbasis als Grundlage für strategische Planungsentscheidungen. Die Zahl der Multilokalen in der Stadt wird oftmals unterschätzt und dem Phänomen nur wenig Relevanz beigemessen. Dies liegt zum einen an der unklaren Abgrenzung von Multilokalität im Spannungsfeld zwischen multilokalem Wohnen (vgl. Reuschke 2010) und zirkulärer Multilokalität (vgl. Rolshoven 2006), die die statistische Einordnung der zahlreichen Subformen erschwert und zum anderen an den eher realitätsfernen zur Verfügung stehenden Datengrundlagen. Die zur Quantifizierung herangezogenen Melderegister weisen zumeist eine deutliche Diskrepanz zwischen der gemeldeten Zahl an Zweitwohnsitzen und der tatsächlich anzunehmenden Zahl an Zweitwohnsitzen auf. So stellen Sturm u. Meyer in einer Studie unter 14 IRBStädten (innerstädtische Raumbeobachtung des BBSR) fest, dass mit Einführung der Zweitwohnsitzsteuer wahrnehmbare Veränderungen der Zahlen der gemeldeten Haupt- und Zweitwohnsitze zugunsten der Hauptwohnsitze auftreten und der Anteil der gemeldeten Zweitwohnsitze in Städten ohne Zweitwohnsitzsteuer deutlich höher liegt als in vergleichbaren

Stadtforschung

Städten mit Zweitwohnsitzsteuer. Dass in dem beobachteten Zeitraum mit den getätigten Ummeldungen auch tatsächliche Veränderungen der Wohnsituation in dem festgestellten Umfang einhergingen, ist unwahrscheinlich. Es muss demnach davon ausgegangen werden, dass einerseits Multilokale bereits vollständig in den Ort des gemeldeten Zweitwohnsitzes umgezogen sind und daher nur noch als ‚Karteileichen‘ in der Meldestatistik als Zweitwohnsitzbevölkerung auftauchen.

Andererseits muss aber auch angenommen werden, dass zahlreiche multilokal Lebende aus ökonomischen Gründen ihrer Meldepflicht nicht nachkommen und nur am Hauptwohnsitz gemeldet sind, obwohl sie gleichzeitig auch an einem anderen Ort, möglicherweise nur zur Untermiete, wohnen. Für die Statistik und das kommunale Finanzsystem sind sie damit unsichtbar, müssen aber dennoch bei Planungsentscheidungen berücksichtigt werden, da sie die kommunalen Infrastrukturen und Wohnraum in Anspruch nehmen. (vgl. Sturm u. Meyer 2009: 17ff.)

Auf Seite der Berufspendler umfasst die individuelle Wahrnehmung oftmals nur einen Bruchteil der tatsächlich anfallenden Aufwendungen zur Raumüberwindung. Die Entscheidung für oder gegen das Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort kann dadurch maßgeblich beeinflusst werden.

Aus diesen Herausforderungen ergibt sich einerseits ein Bedarf die mit dem Pendeln verbundenen individuellen Gesamtaufwendungen systematisch und auf Basis aktueller Kennwerte zu erfassen. Zum Anderen gilt es, unabhängig von den kommunalen Melderegistern, eine statistische Annäherung an die potenziell berufsbedingt benötigten Zweitwohnungen zu schaffen, um Planenden und kommunalen Entscheidungsträgern die künftig zunehmende Relevanz der Thematik zu vermitteln und dadurch eine frühzeitige Auseinandersetzung mit den Folgen für die Stadtentwicklung zu induzieren.

2 Entstehung und heutige Entwicklung von Multilokalität Multilokalität als Ausdruck zyklischer Migrations- und Wanderungsbewegungen ist aus historischer Perspektive kein neues Phänomen. Im Vergleich zu heute war die Mehrzahl der Berufe im 17. und 18. Jahrhundert jedoch tendenziell an das Haus, das direkte Wohnumfeld bzw. den Wohnort gebunden. Das Haus bildete als Arbeitsstätte und Wohnort eine „Rechts-, Arbeits-, Konsum- und Wirtschaftseinheit“ (Gestrich 1998: 4ff.), so dass viele alltägliche Lebenspraktiken im direkten räumlichen Umfeld stattfanden. Während Multilokalität früher also eher als Randerscheinung mit überwiegend marginaler Bedeutung verstanden werden konnte und vor allem beruflich motiviert war (z. B. Händler, Seefahrer oder Almbauern; vgl. Petzold 2011: 28), spielen heute neben beruflichen auch zunehmend familiäre und freizeitbedingte Aspekte eine Rolle. So wird der aktuelle quantitative und qualitative Bedeutungsgewinn von Multilokalität vor allem vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Megatrends wie der Globalisierung, der Pluralisierung und Individualisierung der Gesellschaft diskutiert. Als maßgeblicher Treiber wird dabei insbesondere der kommunikationsund verkehrstechnische Fortschritt angeführt, der zu einer Zunahme an geografischer und virtueller Mobilität führt und

zu einem generellen Trend räumlicher Entgrenzung und Flexibilisierung beiträgt. (vgl. Urry 2007).

Die Zunahme an regionalen, transnationalen und auch internationalen (ökonomischen und sozialen) Verflechtungen äußert sich bezogen auf den Arbeitsmarkt dabei in einer zunehmenden Regional- und Internationalisierung des Arbeitsmarktes und einer generellen Ausdifferenzierung von wirtschaftsstrukturellen Rahmenbedingungen. So kann zum einen eine zunehmend starke Spezialisierung und räumliche Konzentration der unterschiedlichen Wirtschaftsbranchen (vgl. Heidenreich u. Miljak 2005) und zum anderen eine sektorale Verschiebung der Arbeitskräfte (sectoral shift) sowie eine Veränderung der Arbeitsverhältnisse (Zeitarbeit, befristete Arbeitsverträge, Erwerbstätigkeit der Frau) und Erwerbsbiografien beobachtet werden. Dagegen sind auf der Individualebene immer öfter auch Abweichungen von der traditionellen Familienbiographie (z. B. weniger Eheschließungen, mehr Single-Haushalte) als Gründe für die Zunahme an multilokalen Lebensführungen anzuführen. Multilokalität ist nicht mehr nur an den Beruf, sondern auch an den individuellen Lebensentwurf gebunden, wenn unter anderem Partnerschaften über zwei oder mehr Orte durch die effizientere Raumüberwindung aufrechterhalten werden können. (vgl.

Diewald 1990: 165f.)

2.1 Multilokalität als gesellschaftliche Anpassungsstrategie Ausgehend von dispers im Raum verteilten Standortofferten sind immer mehr Menschen darauf angewiesen, sich im Raum zu bewegen. Vor dem Hintergrund der o. g. Entwicklungen kann Multilokalität als Lebensform zur Anpassung an neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen interpretiert werden, mit der neue Strategien raum-zeitlicher Organisation zur Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen sowie zum Umgang mit den neuen Anforderungen und Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt realisiert werden. Während viele Bedürfnisse an mehreren Standorten gleich gut befriedigt werden können (z. B. Kauf von Waren des täglichen Bedarfs), sind unter der Annahme von kritischen Standortofferten einzelne Bedürfnisse wie z. B. Beruf, soziale Kontakte, Eigentum meist an bestimmte Standorte gebunden. Aus den von der Aktionsraumforschung diskutierten Aktionsräumen von Menschen sowie den räumlich verteilten Standortofferten resultiert eine räumlich getrennte Bedürfnisbefriedigung an unterschiedlichen Orten, die maßgeblich durch die Entfernungen und tagesrhythmisch strukturierte Regenerationserfordernisse (Schlafen, Essen, Trinken) bestimmt wird (vgl. Weichhart 2009). Kann eine Person ausgehend von ihrer Wohnung im Rahmen ihres individuellen täglichen Reisezeitbudgets (Aktionsradius) zwischen den verschiedenen Standortofferten pendeln, bildet sich zumeist eine zirkuläre Multilokalität heraus. Übersteigt hingegen die dazu notwendige Pendelzeit das Reisezeitbudget aufgrund steigender Entfernungen oder schlechter Erreichbarkeiten, so kommt es entweder zur Wohnstandortverlagerung (Migration) oder Wohnstandorterweiterung (residenzielle Multilokalität).

Da die Migration aber im engeren Sinne keine Strategie der Multilokalisierung ist und tendenziell dann praktiziert wird, wenn Multilokalität zur persönlichen (physischen, psychischen oder monetären) Belastung wird, werden in diesem Beitrag nur

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Stadtforschung

die Lebensformen der zirkulären und residenziellen Multilokalität betrachtet. Hierbei wird auf Begriffsverständnisse von Rolshoven und Hilti zurückgegriffen. Multilokalität wird zum einen als „vita activa an mehreren Orten“ (Rolshoven 2006: 181) – ausgehend von einem einzelnen Wohnsitz – und zum anderen als Wohnpraktik mit dem Vorhandensein von mindestens einer zusätzlichen Behausung (vgl. Hilti 2013: 32) verstanden. Per Definition lässt sich Multilokalität mit den beschriebenen Subformen in das Spannungsfeld zwischen Mobilität und Monolokalität als die beiden Extreme der räumlichen Lebensformen einordnen (siehe Abbildung 1). Hierbei wird davon ausgegangen, dass sich die Aufenthaltsdauer je Ort von der Mobilität hin zur Monolokalität erhöht, während sich zugleich die Anzahl der Ortswechsel je Zeiteinheit verringert. Im Vergleich zur Monolokalität weist eine multilokale Lebensform also eine geringere Aufenthaltsdauer je Ort mit einer entsprechenden Zunahme der Ortswechsel je Zeiteinheit auf. Unter Hinzunahme dieser Definition können Lebensformen innerhalb des Modells mehr oder weniger stark einer multilokalen Lebensführung zugeordnet werden. Während der hier verwendete Ansatz einer Typologisierung nur die zeitliche und räumliche Dimension berücksichtigt, werden von Hesse u.

Scheiner zusätzlich noch die Entstehungsbedingung, der Anlass, die Haushaltsorganisation (Trennung) und die Hierarchie der Wohnsitze angeführt (vgl. Hesse u. Scheiner 2007: 142ff.).

Beispiele multilokaler Lebensformen sind Arbeitsmigranten, Transmigranten, Living-Apart-Together-Paare, Pendelnde Kinder und Jugendliche, (Wochen-) Pendler mit definiertem Hauptwohnsitz („Shuttles“) oder Tagespendler. Zu beachten ist, dass die Übergänge zwischen den Lebensformen teilweise fließend sind und nicht immer nur einer Kategorie zugeordnet werden können.

Abbildung 1: Einordnung von Multilokalität zwischen Mobilität und Monolokalität

Quelle: eigene Darstellung

2.2 Statistische Grundlagen zum beruflichen Pendeln Um die Entwicklung des Pendelverhaltens zu skizzieren, kann zunächst festgehalten werden, dass die Zahl der Berufspendler in der gesamten Bundesrepublik zwischen 1998 und 2005 von rund 13,9 Millionen auf etwa 15,5 Millionen angestiegen ist. Bis 2012 wuchs die Zahl weiter auf 17,2 Millionen Berufspendler an. Das entspricht einem Anstieg um rund 24 % in dem gesamten Zeitraum. Gleichzeitig stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten jedoch nur um etwa 6 %, sodass der Anteil der Berufspendler von etwa 50 % auf

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knapp 60 % wuchs, was die zunehmende Pendelbereitschaft verdeutlicht. (vgl. Website Statistische Ämter) Zur Analyse räumlicher Unterschiede im Pendelverhalten, stellt das Bundesland NRW eine interessante Untersuchungsregion dar, da es zum einen mit rund 4,23 Millionen Berufspendlern im Jahr 2011 ein sehr hohes Pendlervolumen aufweist und zum anderen durch die Ambivalenz zwischen einigen Kernstädten mit deutlichem Einpendlerüberschuss, aber auch zahlreichen Kreisen mit negativen Pendlersaldi gekennzeichnet ist (vgl. Brinkmann et al. 2004: 1; Website Statistisches Landesamt 2 u. 3).

Das Berufspendlersaldo stellt die Differenz zwischen den berufsbedingten Ein- und Auspendlern je Gemeinde dar. Am Beispiel des Untersuchungsraums NRW lässt sich anhand des Saldos ein guter Eindruck von der Richtung der Pendlerströme gewinnen. In Abbildung 2 ist zu erkennen, dass vorwiegend die Großstädte innerhalb des Ruhrgebiets und entlang der Rheinschiene sowie die solitären Universitätsstädte Aachen, Münster, Bielefeld und Paderborn ein hohes positives Pendlersaldo aufweisen. Auffällig ist außerdem, dass im direkten Umfeld dieser Einpendlerstädte konzentriert zahlreiche Gemeinden liegen, die ein sehr negatives Pendlersaldo aufweisen. Dies lässt für diese Regionen auf starke Pendlerströme von den suburbanen Klein- und Mittelzentren in die Großstädte der Agglomerationsräume schließen. Dass das Pendleraufkommen in den Großstädten absolut am höchsten ausfällt, ist mit der hohen Arbeitsplatzdichte zu begründen. Auch die Entwicklung der Berufseinpendlerzahl zwischen 2006 und 2011 fällt daher in Städten wie Köln (+ 21.049), Düsseldorf (+ 11.876) oder Aachen (+ 9.387) absolut am höchsten aus (vgl.

Website Statistisches Landesamt 1). Wird aber die Einpendlerzahl aus dem Jahr 2011 ins Verhältnis zum Ausgangsjahr 2006 gesetzt, zeigt sich, dass die dynamischsten Entwicklungen nicht in den Großstädten stattgefunden haben, sondern hohe relative Einpendlerzuwächse hetrogen, auch auf Kleinstädte (z. B. Monschau, Lohmar, Schermbeck), verteilt sind (siehe Abbildung 3).

Bei der Analyse der Entwicklung des allgemeinen Pendelverhaltens gilt es jedoch nicht nur die zunehmende Zahl an Berufspendlern, sondern auch den Anstieg der durchschnittlichen Pendeldistanzen zu berücksichtigen. Während Brinkmann et al. für das Jahr 1987 noch eine durchschnittliche Pendeldistanz von 15,4 Kilometern je Strecke im NRWDurchschnitt ermitteln, stieg dieser Wert bis zum Jahr 2000 auf 17,4 Kilometer an (vgl. 2004: 4). Aus der Auswertung der vorliegenden Berufseinpendlerstatistik des statistischen Landesamtes ergibt sich für das Jahr 2011 eine durchschnittliche Pendeldistanz von rund 20 Kilometern je Strecke (siehe Abbildung 4). Mit fast 50 % aller Berufseinpendler werden Distanzen zwischen acht und 15 Kilometern dabei besonders häufig zurückgelegt, Distanzen über 50 Kilometern dagegen eher selten (rund 6 %).

Die grundsätzliche Zunahme der Zahl der Berufspendler sowie die kontinuierlich steigenden Pendeldistanzen sind auf die fortwährende Steigerung der Leistungsfähigkeit der Verkehrsinfrastruktur sowie verkehrstechnische Fortschritte zurückzuführen. In der Verkehrsforschung wird langfristig von einem konstanten Reisezeitbudget von durchschnittlich 80 Minuten

Stadtforschung

Abbildungen 2 und 3: Berufspendlersaldo 2011 (links) und Tageseinpendlerentwickung relativ 2006–2011 (rechts)

Quelle: eigene Darstellung; statistische Datengrundlage: Website Statistisches Landesamt 1; Geodatengrundlage: Bundesamt für Kartografie und Geodäsie, Frankfurt am Main 2011

Abbildung. 4: Anzahl der Berufseinpendler nach Pendeldistanzen

Quelle: eigene Darstellung; statistische Datengrundlage: Website Statistisches Landesamt 2

pro Person und Tag ausgegangen (vgl. Follmer et al. 2010: 21).

Daher führen Geschwindigkeitszunahmen nicht dazu, dass sich die durchschnittliche tägliche Reisezeit reduziert, sondern längere Strecken zurückgelegt und neue Standortofferten aufgesucht werden können.

3 Der Wohn- und Mobilitätskostenrechner (WoMoKoR) Um die in Kapitel 1 beschriebene Forschungslücke hinsichtlich der statistischen Erfassung berufsbedingter Multilokalität zu schließen, wurde der WoMoKoR entwickelt (vgl. Eichhorn u.

Schulwitz 2013). Mit Hilfe dieses Tools können die Kosten des täglichen Berufspendelns den Kosten einer Zweitwohnung am Arbeitsort gegenübergestellt und somit der Schnittpunkt

der beiden Kostenfunktionen, die kritische Pendeldistanz, ermittelt werden. Durch Anwendung dieses Wertes auf die Statistik der Tagespendler, kann der WoMoKoR für jede Kommune NRWs das theoretische Potenzial an berufsbedingten Zweitwohnsitznehmern berechnen.

3.1 Grundannahmen Um die Komplexität der Realität auf ein handhabbares und abbildbares Maß zu reduzieren, sind Grundannahmen notwendig. Durch diese Einschränkungen kann sichergestellt werden, dass die Ergebnisse des WoMoKoR eine angemessene Übertragbarkeit und Allgemeingültigkeit besitzen, ohne jedoch spezifische Einzelfälle darstellen zu können.

(1) Die Ermittlung des Zweitwohnsitzpotenzials durch den WoMoKoR beruht auf der Theorie des homo oeconomicus, die den Menschen als Kostenminimierer versteht, der sein Handeln auf Basis rationaler Entscheidungen bestimmt (vgl.

Kirchgässner 2000: 65ff.). Demzufolge müsste bei einer möglichen Kostenersparnis im Vergleich zum täglichen Pendeln eine Zweitwohnung am Arbeitsort die bevorzugte Alternative sein.

(2) Persönliche Präferenzen sowie die individuelle Lebenssituation (z. B. Alter, Familienstand, andere Haushaltsmitglieder) eines Pendlers finden dagegen keine Berücksichtigung. (3) Auch die Option eines vollständigen und permanenten Umzugs an den Arbeitsort im Sinne einer Migration wird nicht betrachtet.

(4) In seinem derzeitigen Entwicklungsstand ermöglicht der WoMoKoR die Berechnung der Pendelkosten lediglich auf Basis des PKW als Verkehrsmittel.

3.2 Funktionsweise und Methodik Beruhend auf einer Literaturanalyse wurden in einem ersten Schritt die für die Zielsetzung relevanten Kostenparameter

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Stadtforschung

Tabelle 1: Eingabemöglichkeiten der Kostenfunktion für das Tagespendeln (links) und eine Zweitwohnung am Arbeitsort (rechts) Tägliches Pendeln Auswahlkategorien

Zweitwohnsitz mit Wochenendpendeln Auswahloptionen

Auswahlkategorien

Auswahloptionen

Fahrzeugklasse

Kleinstwagen, Kompaktklasse, Mittelklasse

Wohnungsgröße in m²

freie Eingabe (40)

Kraftstoffart

Benzin, Diesel, Durchschnitt

Zweitwohnsitzsteuer berechnen

ja, nein

Zulassungsjahr PKW

freie Eingabe (2012)

Fahrzeugklasse

Kleinstwagen, Kompaktklasse, Mittelklasse

Entfernungspauschale

ja, nein

Kraftstoffart

Benzin, Diesel, Durchschnitt

Anschaffungskosten PKW (Verschleiß berechnen)

ja, nein

Zulassungsjahr PKW

freie Eingabe (2012)

Freizeitkosten

ja, nein

Monatliche Mobilitätskosten am Arbeitsort

freie Eingabe (52,86 €*)

Arbeitstage pro Woche am Arbeitsort

1-6 (5)

* der Preis ergibt sich aus den durchschnittlichen Kosten für ein ÖPNVMonatsabonnement der geringsten Preisstufe in den neun Verkehrsverbünden NRWs

Anzahl Heimreisen pro Monat

freie Eingabe (4)

Anschaffungskosten PKW

ja, nein

Werbungskosten

ja, nein

Freizeitkosten

ja, nein Quelle: eigene Darstellung

ermittelt, entsprechende Datensätze erhoben und statistisch ausgewertet. In Form einer Kostenfunktion (siehe auch Kapitel 3.3) wurden anschließend alle Aufwendungen, die pro Kilometer für das tägliche Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort anfallen, zusammengeführt. Analog dazu wurde eine Kostenfunktion für die Kosten einer Zweitwohnung am jeweiligen Arbeitsort inklusive der Heimfahrt zum Hauptwohnort am Wochenende ermittelt. Dabei kann die konkrete Ausprägung der Kostenparameter der beiden Funktionen angepasst werden. Dies ermöglicht somit zusätzlich zu der einfachen Ergebnisausgabe auch den Vergleich unterschiedlicher Konfigurationen und Szenarien der Kostenentwicklung. Neben einigen generellen Grundeingaben (Arbeitsort, Wohnort, Bruttojahreseinkommen) bestehen die in Tabelle 1 aufgeführten Auswahlmöglichkeiten zur Anpassung der beiden Kostenfunktionen. Fettgedruckt sind die im WoMoKoR voreingestellten Werte (Grundkonfiguration). Über eine Schnittpunktbetrachtung der beiden Kostenfunktionen werden daraufhin die kritischen Mobilitätskosten und Pendeldistanzen ermittelt. Die kritischen Mobilitätskosten zeigen an, bei welcher Distanz die Kosten für das tägliche Abbildung 5: Schematische Funktionsweise WoMoKoR

Quelle: eigene Darstellung; statistische Datengrundlage: Website Statistisches Landesamt 2

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Pendeln und eine Zweitwohnung mit Wochenendpendeln identisch sind (siehe Abbildung 5).

Daran anschließend wird die für jede Kommune NRWs ermittelte kritische Pendeldistanz auf die Tageseinpendlerstatistik einer jeden Kommune angewendet und entsprechend der dargestellten Grundannahmen die Summe aller Pendler gebildet, die laut Statistik weiter als die kritische Pendeldistanz pendeln. Diese Summe wird als Zweitwohnsitznehmerpotenzial bezeichnet und stellt das Ergebnis der kommunalen Betrachtungsweise berufsbedingter Multilokalität dar.

3.3 Kostenparameter und Kostenfunktionen Tabelle 2 zeigt die im WoMoKoR in den beiden Kostenfunktionen verwendeten Kostenparameter. Dabei wird zwischen monatlich, unabhängig von der Pendeldistanz anfallenden Fixkosten und den je Kilometer Pendelstrecke anfallenden variablen Kosten unterschieden.

Die Kostenparameter der Kostenfunktion für das tägliche Pendeln mit dem Auto teilen sich in Bezug auf die Anzahl relativ gleichmäßig in fixe Kosten (Wartung, Versicherung, KFZ-Steuern) und variable Kosten (Kraftstoff, Instandhaltung, Verschleiß, Freizeitkosten) auf. Bezüglich Kraftstoffverbrauch und anzusetzenden Steuern beziehen sich die verwendeten Werte auf die Herstellerangaben von drei Beispielfahrzeugen der Marke Volkswagen, die die drei in Deutschland am häufigsten vorkommenden Fahrzeugklassen (Kleinstwagen, Kompaktwagenklasse und Mittelklasse) repräsentieren. Die angenommenen Kraftstoffkosten basieren auf einer anteiligen Berechnung der Kraftstoffkosten für Benzin-Fahrzeuge (72,9 %) und Diesel-Fahrzeuge (27 %) entsprechend der Anteile am Gesamtfahrzeugbestand in Deutschland (vgl. Website Umweltbundesamt). Der Verschleiß pro Kilometer ergibt sich aus dem jeweiligen Anschaffungspreis der Fahrzeuge, der linear über die anzunehmende Gesamtlaufleistung abgeschrieben wird. Die Gesamtlaufleistung wiederum wurde auf Basis einer Literaturrecherche aus der Multiplikation der durchschnittlichen Nutzungsdauer in Jahren sowie der durchschnittlichen Fahrleistung pro Fahrzeug und Jahr in Deutschland berechnet.

Stadtforschung

Tabelle 2: Tabelle Kostenparameter Tägliches Pendeln Kostenparameter

Zweitwohnsitz mit Wochenendpendeln

Wert in der Grundkonfiguration

Kostenparameter

Wert in der Grundkonfiguration

Kraftstoff

0,07 € / km

Kraftstoff

0,07 € / km

Instandhaltung

0,01 € / km

Instandhaltung

0,01 € / km

Verschleiß

0,10 € / km

Verschleiß

0,10 € / km

Freizeitkosten

0,15 € / km

Freizeitkosten

0,15 € / km

Entfernungspauschale

(-0,30 € / km)

Entfernungspauschale

(-0,30 € / km)

Wartung

21,25 € / Monat

Wartung

21,25 € / Monat

KFZ-Versicherung

79,04 € / Monat

KFZ-Versicherung

79,04 € / Monat

KFZ-Steuer

4,53 € / Monat

* steuerlich absetzbare Werbungskosten sind eingeklammert, da der anzusetzende Steuersatz die tatsächlichen Steuerrückzahlungen bestimmt.

Quelle: eigene Darstellung

KFZ-Steuer

4,53 € / Monat

Kaltmiete Zweitwohnung (40 m², Dortmund)

208,48 € / Monat

Betriebs- und Nebenkosten

120,00 € / Monat

Energiekosten

28,94 € / Monat

Telefon, Internet & TV

30,00 € / Monat

Rundfunkgebühr

17,98 € / Monat

Zweitwohnsitzsteuer

25,02 € / Monat

Werbungskosten (doppelte Haushaltsführung)

(-382,44 € / Monat)

Zusätzliche Mobilitätskosten am Arbeitsort

52,86 € / Monat

Die Daten zur Instandhaltung und Wartung beziehen sich auf Statistiken zu den durchschnittlichen Wartungs- und Instandhaltungshäufigkeiten und -kosten, die zwischen 2002 und 2011 in Deutschland erfasst wurden. (vgl. Michel et al. 2012: 40) Nicht als Kosten, sondern als Rückerstattung wird der steuerliche Effekt des Absetzens der Entfernungspauschale von der Einkommensteuer gemäß §32a Einkommensteuergesetz in die Funktion aufgenommen. In seiner Grundkonfiguration geht der WoMoKoR dabei vom durchschnittlichen Bruttojahreseinkommen der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten in NRW aus dem Jahr 2012 aus, wobei dieser Wert den individuellen Gegebenheiten angepasst werden kann.

Optional kann ebenfalls die in den meisten Kostenbetrachtungen bislang unberücksichtigte Fahrzeit, operationalisiert in Form der Freizeitkosten, in die Kostenfunktion einfließen.

Unter Zugrundelegung des Willingness-to-pay-Ansatzes, der den monetären Wert von Zeit als „Value of Travel Time Savings“ (vgl. Jara-Diaz 2007; Small u. Verhoef 2007; kontigente Bewertungsmethode) anhand der Zahlungsbereitschaft von Einzelpersonen für die Reduktion von Reisezeit ermittelt, arbeitet der Kostenrechner mit einem Durchschnittswert von 7,84 € pro Person und Stunde für einen Berufspendler (vgl.

Nellthorp et al. 2000: 8; Maibach et al. 2008). Zur Bestimmung der aufzuwendenden Freizeitkosten für das Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort wurde die bei der Landesdatenbank verfügbare Luftlinienentfernung zwischen den Gemeindezentralpunkten der Kommunen mit dem Umwegefaktor 1,2 (vgl. Lohse u. Schnabel 2011: 21) multipliziert und von der durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit in Deutschland von 51,3 km/h ausgegangen (vgl. Hartwig et al. 2009: 20f.). So ergeben sich je Kilometer Luftlinie Freizeitkosten von rund 18,3 Eurocent (7,84 €/h : 51,3 km/h * 1,2 = 0,1834 €/km).

Zur Berechnung der Jahresgesamtkosten für das tägliche Pendeln wird neben den verschiedenen Kostenparametern und der Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort auch die

Häufigkeit der Ortswechsel herangezogen. Diese wird über die anzunehmende Anzahl der Arbeitstage am Arbeitsort bestimmt. Unter Berücksichtigung der Feiertage und Wochenenden sowie des gesetzlich festgeschriebenen Urlaubsanspruchs war auf Basis einer Fünf-Tage-Woche im Jahr 2013 von 230 Arbeitstagen am Arbeitsort auszugehen. Zu beachten ist, dass die variablen Kosten, mit Ausnahme der Entfernungspauschale (diese darf nur einfach auf die Distanz angewendet werden), mit dem Faktor 2 in die Berechnung einfließen, um den Hinund Rückweg zwischen Wohn- und Arbeitsort in der Funktion zu berücksichtigen. Die grundlegenden Rechenschritte der Kostenfunktion für das tägliche Pendeln können, wie in Tabelle 3 dargestellt, zusammengefasst werden.

Die Kostenfunktion der monatlichen Kosten einer Zweitwohnung am Arbeitsort ist analog zur Kostenfunktion für das tägliche Pendeln aufgebaut. Die Kosten für das Heimatpendeln am Wochenende werden auf die gleiche Weise berechnet, wie die Kosten für das tägliche Pendeln, mit der Ausnahme, dass für die Pendelhäufigkeit nicht die Zahl der Arbeitstage am Arbeitsort herangezogen wird, sondern die Anzahl der Tabelle 3: Grundlegende Rechenschritte der Kostenfunktionen für das tägliche Pendeln und eine Zweitwohnung am Arbeitsort Kostenfunktion

Rechenschritte

Monatliche Kosten fixe Kosten für Tagespendler + (Pendeldistanz in für tägliches Pendeln km * variable Kosten für Tagespendler * durchschnittliche Arbeitstage pro Monat) - durchschnittliche monatliche Steuerersparnis durch Absetzen von Werbungskosten Monatliche Kosten einer Zweitwohnung

fixe Kosten für Zweitwohnsitznehmer + (Pendeldistanz in km * variable Kosten für Zweitwohnsitznehmer * Anzahl der Heimreisen pro Monat) - durchschnittliche monatliche Steuerersparnis durch Absetzen von Werbungskosten Quelle: eigene Darstellung

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Heimreisen pro Monat. Voreingestellt sind vier Heimreisen pro Monat, die Anzahl lässt sich manuell verändern.

Ergänzend dazu erhöhen die Kosten der Zweitwohnung den Fixkostenanteil in der Kostenfunktion für Zweitwohnungen am Arbeitsort. So setzen sich die Fixkosten neben den Wartungskosten, den Kosten der KFZ-Versicherung und der KFZSteuer auch aus der anzunehmenden Kaltmiete, den Betriebsund Nebenkosten der Zweitwohnung, pauschal angesetzten Stromkosten, Gebühren für Telefon, Internet, TV und Rundfunk sowie gegebenenfalls der Zweitwohnsitzsteuer und möglichen zusätzlichen Mobilitätskosten am Arbeitsort (z. B. ÖPNVTicket, Fahrtkosten mit dem PKW) zusammen. Da die Kosten einer berufsbedingten doppelten Haushaltsführung zumindest teilweise von der Einkommensteuer abgesetzt werden können (vgl. § 9 I EStG), erhöht sich aber auch der Betrag der steuerlich absetzbaren Werbungskosten.

4 Ergebnisdarstellung Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der Grundkonfiguration des WoMoKoR mit und ohne Einberechnung der Freizeitkosten vorgestellt. Die Grundkonfiguration verwendet dabei weitestgehend die Mittel- oder Durchschnittswerte der Kostenkennwerte, sodass diese Konfiguration nach Meinung der Autoren das durchschnittliche Pendelverhalten am geeignetsten darstellen kann. Die Darstellung der Ergebnisse ohne Freizeitkosten soll verdeutlichen, welche Relevanz die zeitliche Dimension im Abwägungsprozess für oder gegen das tägliche Pendeln einnimmt.

4.1 Kritische Pendeldistanz und kritische Mobilitätskosten Unter Einbeziehung der Freizeitkosten und in der Grundkonfiguration ergeben sich im Durchschnitt aller 396 Kommunen

NRWs kritische Mobilitätskosten von 715,73 Euro und eine kritische Pendeldistanz von 55 Kilometern. Die Ergebnisse streuen dabei zwischen dem Minimalwert von 630,27 Euro (Beverungen) und dem Maximalwert von 914,88 Euro (Köln).

Analog dazu liegen die kritischen Pendeldistanzen zwischen dem Minimalwert von 46,8 Kilometern und dem Maximalwert von 74,1 Kilometern. Räumlich konzentrieren sich die Städte mit den höchsten kritischen Pendeldistanzen überwiegend entlang der Rheinschiene (siehe Abbildung 6). Neben Großstädten in den Agglomerationsräumen wie Köln, Bonn und Düsseldorf weisen aber auch solitäre Städte wie Aachen, Münster und Bielefeld hohe kritische Pendeldistanzen beziehungsweise hohe kritische Mobilitätskosten auf. Mit einer Streuung von 630 Euro bis rund 830 Euro an kritischen Mobilitätskosten kann für die Mehrheit der nordrhein-westfälischen Kommunen eine durchschnittliche kritische Pendeldistanz zwischen 50 und 60 Kilometern ermittelt werden. Auffällig ist, dass sich die niedrigsten kritischen Pendeldistanzen an der Grenze zu Niedersachsen und Hessen konzentrieren.

Werden die Freizeitkosten nicht mitberechnet, liegen die durchschnittlichen kritischen Pendelkosten rund 2,50 Euro niedriger, als in der Grundkonfiguration mit Freizeitkosten.

Sie betragen 713,30 Euro. Im Gegensatz zu den geringen Veränderungen der kritischen Pendelkosten erhöht sich in der Konfiguration ohne Freizeitkosten die kritische Pendeldistanz um rund 123 Prozent. So liegen die ermittelten kritischen Pendeldistanzen für alle Gemeinden NRWs zwischen 106,1 Kilometern und 164,6 Kilometern. Der arithmetische Mittelwert beträgt 123,4 Kilometer. Somit wird der sehr hohe Stellenwert der Reisezeit (Freizeitkosten) beim Abwägungsprozess für oder gegen das tägliche Pendeln deutlich. Ein Effekt bei Auslassen der Freizeitkosten, ist zudem die Herausbildung eines West-Ost-Gefälles bezüglich der kritischen Pendeldistanzen (siehe Abbildung 7).

Abbildungen 6 und 7: Kritische Pendeldistanz mit (links) und ohne Freizeitkosten (rechts)

Quelle: eigene Darstellung; Geodatengrundlage: Bundesamt für Kartografie und Geodäsie, Frankfurt am Main 2011

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4.2 Zweitwohnsitzpotenzial Angewendet auf die Tageseinpendlerstatistik NRWs ergibt sich aus der kritischen Pendeldistanz von 55 Kilometern bei Berücksichtigung der Freizeitkosten summiert über alle Kommunen ein Zweitwohnsitzpotenzial von etwa 555.000 Personen. Das entspricht rund 13 % aller Tagespendler in NRW. Wie aufgrund der Einwohnerzahl und der entsprechend großen Arbeitsmärkte zu erwarten ist, entfallen die absolut höchsten Zweitwohnsitzpotenziale vollständig auf die Großstädte, wohingegen Klein- und Mittelstädte in peripheren Lagen nur geringe bis mittlere absolute Potenziale aufweisen. Mit 54.165 und 49.288 Tageseinpendlern über der kritischen Pendeldistanz weisen Köln und Düsseldorf mit großem Abstand vor Bonn (22.401) das höchste absolute Zweitwohnsitzpotenzial auf.

Bezogen auf die Einwohnerzahl ergibt sich eine deutlich vom absoluten Zweitwohnsitzpotenzial abweichende räumliche Verteilung. Hier erreichen teilweise auch eher peripher gelegene Kleinstädte hohe relative Potenziale. Während zum Beispiel der Hochsauerlandkreis im Südosten NRWs in absoluten Zahlen eher ein schwaches Niveau aufweist, steigt bei einer relativen Betrachtung das Zweitwohnsitznehmerpotenzial auf ein mittleres Niveau an. Im Gegensatz dazu fällt auf, dass die Großstädte entlang der Rheinschiene und im Ruhrgebiet nicht mehr so deutlich hervorstechen. (siehe Abbildung 8 und 9).

Im Vergleich zu der Grundkonfiguration mit Freizeitkosten ist bei der Grundkonfiguration ohne Freizeitkosten festzustellen, dass es zu einer massiven Reduktion des Zweitwohnsitznehmerpotenzials kommt. Besonders deutlich wird der Unterschied zwischen beiden Konfigurationen bei der Betrachtung der Anzahl der Tageseinpendler über der kritischen Pendeldistanz für NRW insgesamt. Hier sinkt die Anzahl von 554.925 auf rund 185.000 Personen um rund 66 %. Prozentual liegen damit nur noch 4,38 % aller Berufseinpendler über der kritischen Pendeldistanz.

5 Folgenabschätzung Unter Berücksichtigung der mit dem Kostenrechner verbundenen Einschränkungen bieten die vorgestellten Ergebnisse die Grundlage für eine Einschätzung der mit dem Thema der Multilokalität verbundenen Folgen, zum Beispiel für den Wohnungsmarkt, den Verkehr oder für das gesellschaftliche Zusammenleben im Quartier.

Ausgehend von qualitativen Studien konzentriert sich die Nachfrage nach Zweitwohnungen räumlich auf die innerstädtischen Bereiche. Mit durchschnittlich 40 m² Wohnungsgröße fallen die nachgefragten Zweitwohnungen kleiner aus als die Wohnungen am Hauptwohnsitz (vgl. Reuschke 2010: 126ff.; Leubert 2013: 108ff.). Ansprüche an die Ausstattung der Wohnung (z. B. Grundriss, Anzahl der Zimmer) und das Wohnumfeld (z. B. Parks, Restaurants) stehen dabei generell in Abhängigkeit zur Aufenthaltsdauer und der Periodizität des Pendelns (vgl. Leubert 2013: 108ff.). In Städten, die ohnehin eine angespannte Wohnungsmarktsituation aufweisen, können die dadurch bedingten Angebotsengpässe bei kleineren bis mittelgroßen Wohnungen in einem günstigen Preissegment zusätzlich zu steigenden Mietpreisen führen und den Wohnungsdruck in Kernstädten noch weiter verschärfen. In der Folge könnte es verstärkt zu Verdrängungsprozessen kommen (vgl. Streifender 1999: 64ff.). Am Beispiel der Stadt Köln lässt sich diese absehbare Problematik veranschaulichen: die Gebäude- und Wohnungszählung 2011 ergab 181.304 Wohnungen in Wohngebäuden mit einer Wohnfläche zwischen unter 40 bis 59 m² (vgl. Website Statistisches Landesamt 4). Bei einem für die Stadt Köln errechneten Zweitwohnsitzpotenzial von 54.165 Personen (Grundkonfiguration mit Freizeitkosten) und rund 280.000 Haushalten mit nur einer Person im Jahr 2011 (vgl. Website Statistisches Landesamt 5) kann davon

Abbildungen 8 und 9: Absolutes (links) und relatives (rechts) Zweitwohnsitzpotenzial (Grundkonfiguration mit Freizeitkosten)

Quelle: eigene Darstellung; statistische Datengrundlage: Website Statistisches Landesamt 2 u. 6; Geodatengrundlage: Bundesamt für Kartografie und Geodäsie, Frankfurt am Main 2011

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ausgegangen werden, dass schon jetzt ein hoher Konkurrenzdruck um entsprechende Wohnungen besteht und das Angebot bei einer Zunahme an multilokalem Wohnen nicht mehr ausreichen wird. Eine anhaltende Entwicklung der Haushaltsverkleinerung (siehe Kapitel 2) und deutliche Zunahme an Multilokalen lassen zudem erwarten, dass bestimmte Wohnungsbestände (z. B. sehr großer Grundriss) in Zukunft weniger markt- und konkurrenzfähig sein werden.

In Städten und Gemeinden mit einer schrumpfenden Bevölkerungszahl kann der Zuzug multilokaler Personen die demografiebedingte Zunahme des Wohnungsleerstandes möglicherweise in Teilen ausgleichen (vgl. Leubert 2013: 132ff.). Es muss berücksichtigt werden, dass dies nur für Wohnungsbestände gilt, die die entsprechenden Nachfragemerkmale der Zweitwohnungssuchenden aufweisen. Hinzu kommt, dass die Zweitwohnsitzbevölkerung, gleichwohl von ihr Nachfragepotenziale wie auch eine Verlagerung der Konsumausgaben ausgehen, den Rückgang an Steuereinahmen und Schlüsselzuweisungen nicht vollständig kompensieren kann. Die Zunahme an Zweitwohnungen kann negative Bevölkerungstrends in einem Quartier kurz- bis mittelfristig abfedern und eine stabile Wohnungsnachfrage induzieren, muss aber nicht zwangsläufig zu einer zukünftig ausreichend hohen Auslastung der technischen und sozialen Infrastrukturen beitragen (vgl. ebd.: 135ff.).

Der höhere Anteil an temporär abwesenden Personen kann zudem vor dem Hintergrund sozialer Kontrolle diskutiert werden. Obwohl Mobilität zu einer Flexibilisierung des Lebens beitragen kann, führt die physische Gebundenheit an einen Ort immer auch zu einer Abwesenheit von einem anderen Ort. Multilokalität kann somit neben neuen Formen der Flexibilität auch mit einer doppelten Abwesenheit bzw. doppelten Desintegration einhergehen (vgl. Duchêne-Lacroix 2009: 90) und soziale Strukturen verändern. Analog zu der von Dirksmeier für landschaftlich attraktive Räume diskutierten Problematik der Freizeitwohnsitze (vgl. 2012: 65ff.) kann es in Stadtteilen mit einem hohen berufsbedingten Anteil an Zweitwohnungen insbesondere an Wochenenden oder zur Ferienzeit zu einer geringen Auslastung der Wohnungen und zu einer sozialen Verödung des Quartiers kommen. Während diese Auswirkungen einen konkreten negativen Einfluss auf die lokale Bevölkerung sowie das Quartier haben können (vgl.

Wilson u. Kelling 1982), besteht ebenfalls die Gefahr, dass sich durch eine soziale Abwärtsspirale das Image bzw. die Außendarstellung eines Quartiers langfristig negativ verändert und für potenzielle Interessenten wie Investoren, Bewohner und den Einzelhandel unattraktiv wird. Soll Zivilgesellschaft zudem zunehmend öffentliche Aufgaben übernehmen, stellt sich die Frage, wie sich zivilgesellschaftliches Engagement durch eine mutilokale Lebensführung verändert. Hierbei muss gefragt werden, ob administrativ territoriales Handeln von Kommunen den fluiden Lebenspraktiken der Multilokalen noch gerecht wird und in welchem Maße es die demokratische Legitimation und Teilhabe für diese Personengruppen gewährleisten kann (kein Wahlrecht am Zweitwohnsitz).

Bei einem Rückgang an Tagespendlern zu Gunsten von Shuttles, kann dies eine Veränderung der täglichen Inanspruchnahme der Verkehrsinfrastruktur durch den Regionalverkehr bedeuten. Die veränderte Periodizität der Fahrten, durch den

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Wechsel vom täglichen zum wöchentlichen Pendeln zwischen Hauptwohn- und Arbeitsort, kann zu einer Reduktion des Verkehrsaufkommens führen. Obwohl dabei gleichwohl von einer Zunahme des innerstädtischen Verkehrs durch die zurückzulegenden Wege von der Zweitwohnung zum Arbeitsplatz ausgegangen werden kann, führt die Abnahme an interkommunalem Berufsverkehr in der Gesamtbetrachtung zu weniger Personenkilometern. Ausgehend von externen Kosten (Co²-Emmissionen, Lärmbelastung, Unfälle etc.) in Höhe von zwei Euro je 100 PKW-Kilometer (vgl. Auf der Maur et al. 2013: 38) und einem PKW-Anteil von etwa 60 % am Pendlerverkehr (vgl. Schulze 2009: 5), beträgt das jährliche Einsparpotenzial an externen Kosten entsprechend der Ergebnisse der Grundkonfiguration des WoMoKoR (siehe Kapitel 4.3) durch multilokales Wohnen in etwa 40 Millionen Euro in NRW.

6 Fazit Der WoMoKoR bietet durch die Auf- und Weiterverarbeitung von Daten eine erste Annäherung an das bislang nur unzureichend erfasste quantitative Ausmaß berufsbedingter Multilokalität, stellt aufgrund seiner restriktiven Grundannahmen jedoch keinen vollständigen Ersatz für die amtliche Statistik dar.

Die wesentliche Einschränkung der Reliabilität der Ergebnisse des WoMoKoR liegt in der mangelnden Abbildbarkeit der subjektiven Entscheidungsprozesse (individuelle Präferenzen, familiärer Kontext, allgemeine Lebenssituation) der Pendler.

Ebenso lässt sich aus der statistischen Datengrundlage nicht feststellen, welcher Teil der berufsbedingten Tagespendler bereits eine Zweitwohnung am Arbeitsort bewohnt. Zwar werden in der Pendlerstatistik die Pendlerströme aus den Niederlanden und Belgien nach NRW abgebildet, doch findet aufgrund fehlender Angabe der Quellgemeinden keine räumliche Verortung statt. So erscheint unter der Annahme zunehmender internationaler Verflechtungen in der Arbeitswelt die Ausdifferenzierung der grenzüberschreitenden Pendlerströme, auch zur Berücksichtigung der Transmigranten, eine wichtige Voraussetzung zur realitätsnahen Abschätzung der Zweitwohnsitzpotenziale.

Ein zentrales Potenzial zur Weiterentwicklung des WoMoKoR stellt die Einbeziehung des öffentlichen Verkehrs in der Verkehrsmittelwahl dar. Insbesondere in urbanen Agglomerationsräumen müssen öffentliche Verkehrsmittel aus Zeit- und Kostenperspektive als eine ernsthafte Konkurrenz zum PKW verstanden werden.

Der Kostenrechner und die theoretisch ermittelten Ergebnisse können auch im aktuellen Entwicklungsstand schon dazu beitragen, dass kommunale Akteure, Planende und politische Entscheidungsträger für die Thematik sensibilisiert werden. Geht man davon aus, dass die Kosten für die Raumüberwindung im Rahmen von steigenden Energiekosten in Zukunft weiter zunehmen werden, ist zu vermuten, dass Anpassungsstrategien wie die residenzielle Multilokalisierung an gesellschaftlicher Bedeutung gewinnen werden. Die Ergebnisse des WoMoKoR zeigen, dass Multilokalität für viele Kommunen in NRW von Bedeutung ist. Dabei verdeutlichen die Ergebnisse, dass nicht nur die großen Städte, sondern auch kleinere Kommunen in

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peripheren Lagen von berufsbedingter Multilokalität betroffen sind. Bezogen auf die Einwohnerzahl weisen kleinere und peripher gelegene Städte teilweise sogar ein höheres Zweitwohnsitzpotenzial auf als die größeren Städte.

Im Zuge eines Workshops mit Vertretern der Kommunen Neuss, Mönchengladbach und Beckum wurden die im WoMoKoR ermittelten Zweitwohnsitzpotenziale im Vergleich mit den vorliegenden Zweitwohnsitzstatistiken als durchaus realitätsnah und hilfreiche Grundlage zur Unterstützung der

Argumentation in Planung und Politik bewertet (vgl. Eichhorn u. Schulwitz 2013: 139ff). Somit können entsprechende Ergebnisse ein frühzeitiges Erkennen von Potenzialen und Problemen, die mit einer zukünftigen Zunahme an berufsbedingter Multilokalität einhergehen, ermöglichen und langfristig nachhaltige städtische Entwicklungen unterstützen. Am Beispiel des Wohnungsmarktes und der Verkehrsentwicklung wird deutlich, dass Multilokalität nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Folgen haben kann.

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Nadine Körner-Blätgen und Gabriele Sturm

Einwanderungsland Deutschland: Großstädte als Orte der Integration gefragt

Seit 2010 nimmt die Zuwanderung nach Deutschland aufgrund der ökonomischen Diskrepanzen auch zwischen den europäischen Staaten stetig zu. So lag 2013 die Zahl der Zuzüge erstmals seit 20 Jahren wieder deutlich über der Zahl der Fortzüge: Deutschland zählte Ende des Jahres etwa 430.000 Menschen mehr als zu Anfang. Dies stellt vor allem die Großstädte, die wesentlich als „Integrationsdrehscheibe“ fungieren, vor immer neue Herausforderungen.

Aktuelle Diskussionszusammenhänge Vor einem Jahr noch wurden verbreitet Vor- und Nachteile einer Zuwanderung aus den osteuropäischen EU-Staaten thematisiert – insbesondere im Zusammenhang mit der Personenfreizügigkeit für die Bevölkerung der Staaten, die 2004 (Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern) und 2007 (Bulgarien, Rumänien) neu in die EU aufgenommen worden waren. Aktuell wird die menschenwürdige Aufnahme von Flüchtlingen immer lauter problematisiert und in einigen Städten finden sich montags Demonstrierende mit ihrer Angst vor Fremdheit unter dem Slogan „Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ zusammen. Welche konkreten Befunde derartigen Befürchtungen, Diskussionen oder politischen Aktionen zu Grunde liegen, wurde mit einem Gesamtblick auf Deutschland am 21. Januar 2015 als Migrationsbericht der Bundesregierung vorgelegt (BAMF 2015).

Die meisten Ausländer leben in Großstädten

Nadine Körner-Blätgen Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) : nadine.koerner@bbr.bund.de Dr. Gabriele Sturm Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) : gabriele.sturm@bbr.bund.de Schlüsselwörter: Einwanderung – Migranten – Integration – Großstädte – Innerstädtische Raumbeobachtung

Hier wollen wir nun ergänzend Statistiken aus deutschen Großstädten vorstellen. Derzeit gibt es 76 Großstädte mit jeweils mehr als 100.000 Einwohnern, in denen zusammen 31 % der Bevölkerung Deutschlands leben. Von diesen haben sich 48 Städte mit dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zu einem Kooperationsprojekt mit dem Namen „Innerstädtische Raumbeobachtung“ (IRB) zusammengeschlossen. Für das Projekt werden jährlich untergemeindliche Daten in einem Katalog abgelegt, mit denen kleinräumig vergleichende Stadtbeobachtung ermöglicht wird. In den IRB-Städten leben 21,3 Millionen Menschen, die 85 % der Großstadtbevölkerung Deutschlands repräsentieren.

Der Ausländeranteil in diesen IRB-Städten ist sehr unterschiedlich. Er lag laut Einwohnermelderegister zum 31.12.2013 zwischen 34,0 % in Offenbach am Main und 3,9 % in Rostock und Chemnitz (siehe Abbildung 1). Im Durchschnitt haben 15,2% der Bevölkerung in IRB-Städten keine deutsche Staatsbürgerschaft – in westdeutschen Großstädten ein deutlich höherer Anteil als in ostdeutschen. Diese Ungleichverteilung ist historisch durch unterschiedliche Einwanderungspolitiken entstanden und wird sich kurzfristig nicht wesentlich ändern.

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Stadtforschung

Mit der regionaltypischen Migrationsgeschichte der Städte gehen entsprechend unterschiedliche Erfahrungen der jeweiligen Stadtbevölkerung mit Fremden einher.

Die meisten Migrantinnen und Migranten stammen aus europäischen Staaten Zum 31.12.2013 lebten in den IRB-Städten laut Melderegister 3,2 Millionen Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft.

Im Durchschnitt über alle Städte betrachtet, hatte die vergleichsweise größte Gruppe einen türkischen Pass: nämlich knapp 585 Tausend oder 18,8 % aller Ausländer. Aus den 14 alten EU-Staaten stammten 691 Tausend oder 22,2 %, aus den zehn EU2004-Beitrittsstaaten 330 Tausend oder 11 %, aus den zwei EU2007-Beitrittsstaaten 265 Tausend oder 8,5 %, aus den nicht zur EU gehörenden europäischen Staaten 476 Tausend oder 15,3 %. Zum Vergleich gibt der Migrationsbericht der

Bundesregierung 2013 für die gesamte Bundesrepublik an, dass von den 7,6 Millionen laut Ausländerzentralregister in Deutschland lebenden Ausländern 23,3 % aus einem der 14 alten und 20,7 % aus einem der 13 neuen EU-Staaten stammten. Weitere 20,3 % hatten ausschließlich einen türkischen Pass (BAMF 2013, S. 207).

Migrantinnen und Migranten wandern gleichmäßig verteilt weder in die Bundesländer noch in Großstädte zu. So gibt es nicht nur unterschiedliche Ausländeranteile, sondern auch eine je ortstypische Mischung bezüglich der Herkunftsnationen. So fällt unter anderem auf, dass in ostdeutschen Großstädten unter der Bevölkerung ohne deutsche Staatsbürgerschaft der relative Anteil der aus asiatischen Staaten Stammenden deutlich höher ist als in Westdeutschland. Damit schreibt sich die DDR-Politik bezüglich der Herkunftsländer der dort angeworbenen Vertragsarbeiter bis heute in der Bevölkerungsstruktur fort.

Die Nationalitätenmischung ändert sich Abbildung 1: Ausländeranteile in 48 Großstädten der IRB gruppiert nach regionaler Lage 2013

Infolge sich historisch ändernder Beweggründe für grenzüberschreitende Migration ändert sich mit den Jahren auch die Zusammensetzung der in deutschen Städten lebenden Ausländer nach ihrer Staatsbürgerschaft. Abbildung 3 macht deutlich, dass sich die mit dem EU-Beitritt verbundene Personenfreizügigkeit seit 2010 in leicht steigenden Anteilen von EU-Ausländern in deutschen Großstädten zeigt. Hingegen nimmt der Anteil von Türkinnen und Türken ohne deutsche Staatsbürgerschaft seit Jahren stetig ab.

Abbildung 3: Bevölkerung nach gruppierten Staatsbürgerschaften in IRB-Städten 2006-2013

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Stadtforschung

Abbildung 2: Anteile der in Gruppen zusammengefassten Nationalitäten der in 48 IRB-Großstädten lebenden Ausländer 2013 (Städte in derselben Reihenfolge wie in Abb. 1)

In Deutschland wirkt Einwanderung der Alterung entgegen Die absolute Mehrheit der zuwandernden wie der in Deutschland lebenden Ausländer ist im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 65 Jahren: Im Bundesdurchschnitt liegt der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bei 65 % – unter den Ausländern sind es 83 %. In den IRBGroßstädten sind die relativ meisten Ausländer, nämlich 33 %, zwischen 30 und 45 Jahren alt. Unter der Bevölkerung mit deutscher Staatsangehörigkeit sind es hingegen nur 19,5 %. In der Altersgruppe der 15- bis unter 30-Jährigen ist

zudem zu bedenken, dass ein Großteil der gut 300 Tausend im Wintersemester 2013/14 in Deutschland studierenden Ausländer zu diesen zählt, denn die Mehrheit der Hochschulen befindet sich in Großstädten.

Vor allem Wirtschaftsfachleute betonen deshalb, dass Deutschland ohne Zuwanderung die derzeit gewohnte ökonomische Stärke nicht aufrechterhalten könne. Bereits heute wäre unter anderem das Gesundheitssystem ohne die aus dem Ausland zugewanderten Fachkräfte, sowohl im Bereich der medizinischen Versorgung als auch in der Pflege, nicht mehr den Erfordernissen einer alternden Gesellschaft entsprechend leistungsfähig.

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Stadtforschung

Abbildung 4: Altersgruppenverteilung der IRB-Bevölkerung mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft 2013

Was zu bedenken ist Trotz der positiven Effekte auf die Altersstruktur der Bevölkerung in Deutschland bringt die aktuelle Zuwanderung Probleme für die aufnehmenden Kommunen. Zum einen haben gerade attraktive Großstädte mit engem Wohnungsmarkt Probleme mit der Unterbringung von Flüchtlingen, die zudem meist mehr als ein Dach über dem Kopf brauchen. Zum anderen klagen einige Städte über sehr selektive Zuwanderung: Insbesondere der zunehmende Anteil von Zuwandernden ohne Berufsabschluss scheint sich nicht nur in wenigen Städten, sondern sogar in bestimmten Stadtteilen zu konzentrieren. Es ist eine zunehmende Aufspreizung der Qualifikationsniveaus der Zuwandernden zu beobachten. Das eine wie das andere Problem bedarf finanzieller wie personeller Ressourcen, die in den betroffenen Kommunen häufig nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen.

Eine wünschenswerte Integration in die Gesellschaft ist durch Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik zu fördern.

Zuwanderungsbeschränkungen – gar innerhalb der EU – sind keine Lösung. Zugleich brauchen Teile der Zugewanderten aktuell Unterstützung hinsichtlich psychischer Stabilisierung, Bildungserwerb und nachholender beruflicher Qualifikation.

Die Kommunen, die derartige Angebote schaffen müssen, bedürfen anerkanntermaßen der Unterstützung des Bundes.

Literatur BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Hrsg.)(2015): Migrationsbericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Bundesregierung (Migrationsbericht 2013). Nürnberg.

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BBSR (Hrsg.) / Cârstean, Anca (wiss. Redaktion), 2013: Migration und Stadt (= Informationen zur Raumentwicklung, 5.2013). Stuttgart.

BBSR (Hrsg.) / Skowski, Juliane (wiss. Redaktion), 2014: Zuwanderung, Armut, Verantwortung (= Informationen zur Raumentwicklung, 6.2014). Stuttgart.

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BBSR (Hrsg.) / Sturm, Gabriele (wiss. Redaktion), 2013: StadtZoom – Analysen kleinräumig vergleichender Stadtbeobachtung. (= Informationen zur Raumentwicklung, 6.2013).

Stuttgart.

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Tobias Gramlich

Migranten als Untersuchungsgruppe in der Stadtforschung – Nutzung von Namen in der Städtestatistik Die Städtestatistik und die Sozialwissenschaften insgesamt stehen mehr und mehr vor dem Problem, dass eine wichtige und interessante Untersuchungsgruppe mehr und mehr unidentifizierbar in den sonst oftmals dazu verwendeten oder prinzipiell verfügbaren Registern wird bzw. nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand zu identifizieren ist. Dieser Beitrag verweist auf und beschreibt ein Verfahren zur Bildung von Stichproben oder Untersuchungsgruppen von Ausländern oder Personen mit Migrationshintergrund unter Verwendung von Vor- und Nachnamen Er soll vor allem Anstoß geben zu einer Diskussion über seine Einsatzfähigkeit für Zwecke der Städtestatistik.

Tobias Gramlich ehem. wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Duisburg-Essen : tobias.gramlich@uni-konstanz.de Themenschwerpunkte: Stichproben – Nonresponse – Survey Methodology – Record-Linkage

1. Einleitung1 Ausländer- und Migrantenpopulationen2 in den Kommunen und Städten sind für viele Forschungs- und Politikbereiche von zentraler Bedeutung, z. B. für die Sozialpolitik, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik, die kommunale Armuts- und Reichtumsberichterstattung oder das Monitoring von Maßnahmen in entsprechenden Bereichen. Die Städtestatistik hat hier im Vergleich zur akademischen oder kommerziellen Sozialforschung den Vorteil, dass sie zur Ziehung von Stichproben oder zur sonstigen Bildung der Untersuchungsgruppen nicht auf die in der Sozialforschung sonst üblichen Auswahlverfahren oder Auswahlgrundlagen zurückgreifen muss, sondern z. B. direkt auf die Einwohnermelderegister zurückgreifen kann. Die Einwohnermelderegister enthalten sowohl die Nationalität als auch den Geburtsort (§2 Melderechtsrahmengesetz MRRG und entsprechende Landesgesetze), sodass Ausländer und Migranten erster Generation (hier: Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit und Personen, die im Ausland geboren wurden) ohne größere Probleme identifiziert werden können.3 Migranten der „zweiten Generation“ (gemeint: in Deutschland geborene Kinder von Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit oder von im Ausland geborenen und selbst zugewanderten Personen) können schon deutlich schwerer in den Registern identifiziert werden, nämlich nur, solange sie (noch) nicht Anspruch auf Einbürgerung nach §§4 und 10 Staatsangehörigkeitsgesetz StAG haben, bzw. sie im „Optionsmodell“ (§29 StAG) noch Angehörige zweier Staaten sind. In Deutschland geborene Kinder von Personen ausländischer Nationalität, die entweder von Geburt an die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten oder entsprechend dem Optionsmodell nach dem StAG eingebürgert wurden, sind demnach nicht mehr in den Einwohnermelderegistern als Personen mit Migrationshintergrund erkennbar.4 Die Diskussion, ob man Migranten und deren Nachfahren auch in der zweiten oder dritten Generation (oder gar späteren Generationen) noch als Personen mit solchen „Hintergründen“ identifizieren können müsse, zielt nicht darauf ab, Personen oder Personengruppen zu stigmatisieren oder ihnen bestimmte Merkmale zuzuschreiben. Ob diese Gruppen besonderen Herausforderungen oder Benachteiligungen ausgesetzt sind und deswegen identifizier- und unterscheidbar sein müssen zu einer Kontrollgruppe ohne Migrationshintergrund ist daher vor allem eine empirische Frage, die bis zur hinreichenden Klärung und ggf. Beseitigung dieser Unterschiede und Benachteiligungen auch untersuchbar bleiben muss.

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Statistik & Informationsmanagement

2. Stichprobenverfahren für Ausländerstichproben Sowohl die Nutzung der Einwohnermelderegister als auch die Stichprobenverfahren der akademischen und kommerziellen Sozialforschung stoßen hier an Grenzen und haben große Probleme: die interessierende Gruppe der Migranten oder Personen mit Migrationshintergrund ist verhältnismäßig klein, sodass Standardverfahren zur Ziehung von Stichproben sehr ineffizient, d. h. zeitaufwendig und teuer sind. Zudem ist der Zugang zu aktuellen Auswahlgrundlagen, die womöglich entsprechende Merkmale enthielten, schwierig, zeitaufwendig und teuer (bzw. schlicht unmöglich, z. B. das Ausländerzentralregister des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge BaMF, geführt vom Bundesverwaltungsamt BVA). Die akademische und kommerzielle Sozialforschung nutzt daher spezielle Verfahren zur Auswahl bzw. Bildung der Untersuchungsgruppen von Ausländern oder Personen mit Migrationshintergrund.

In einigen Fällen und für bestimmte Fragestellungen (und eine genau bestimmte Grundgesamtheit) existieren vollständige (und zugängliche) Auswahlgrundlagen: Rother (2010) beschreibt eine Ausländerstichprobe auf Basis der Verwaltungsdaten (und nicht des Ausländerzentralregisters) – Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Integrations- und Alphabetisierungskursen – des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Ronellenfitsch et al. (2004, 2006), Kyobutungi et al. (2006), Ronellenfitsch und Razum (2006), Becher et al. (2007) und Ott et al.

(2008) nutzten für Aussiedler-Stichproben die Tatsache, dass Aussiedler bei Ankunft aus dem Herkunftsland zentral erfasst und auf Bundesländer und dort auf Wohnorte verteilt wurden–.

Für spezielle Gruppen ist die kulturelle Verankerung unter Angehörigen bestimmter Nationalitäten und deren Nachkommen im Gastland so stark, dass Mitgliedslisten von Vereinen oder Organisationen mit hohem Organisationsgrad unter Angehörigen bestimmter Nationalitäten und deren Nachkommen zur Stichprobenziehung verwendet werden könnten. Auch für die Städteforschung existieren möglicherweise solche Listen oder enthalten bestimmte Datenbanken entsprechende Merkmale zur Identifizierung der Zielpopulation.

Zu den sonst weit gebräuchlichen Verfahren der Sozialwissenschaften zählen z. B. Klumpenstichproben Für manche Zielpopulationen klumpen Elemente geographisch so stark, sodass in diesen Klumpen Standardverfahren zur Auswahl verwendet werden können („Littly Italy“, „China Town“); allerdings ist die Befürchtung groß, dass sich Elemente der Zielpopulation außerhalb der Klumpen stark von Elementen in den Klumpen unterscheiden.

Quotenstichproben Häufig werden Quotenstichproben verwendet, die oftmals zwar genaue Vorgaben zur Auswahl machen (Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen, ...) auf der letzten Stufe verbleibt die Auswahl aber letztlich beim Interviewer/der Interviewerin. Hier besteht die Gefahr der Verzerrung dadurch, dass besser vernetzte Personen eine höhere Inklusionswahrscheinlichkeit haben.

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Netzwerkstichproben/Schneeballverfahren Wie auch immer rekrutierte Elemente der Zielpopulation („Seeds“) nennen oder rekrutieren weitere Elemente der Zielpopulation. Auch hier haben gut vernetzte Elemente der Zielpopulation eine höhere Auswahlwahrscheinlichkeit, isolierte Elemente eine niedrigere, insgesamt aber sind Inklusionswahrscheinlichkeiten nicht angebbar.

Screening Oft liegen keine Grundlagen für eine direkte Auswahl einer besonderen Population vor, sondern eine Liste der „allgemeinen Bevölkerung“, d. h. die Auswahlgrundlage enthält unter anderem (womöglich alle) Elemente der eigentlichen Zielpopulation. Als „Screening“ werden nun Verfahren bezeichnet, die die Elemente einer solchen allgemeinen Liste daraufhin untersuchen, ob sie Teil der eigentlichen Zielpopulation sind.

Diese Idee liegt auch den sogenannten „Access-Panels“ zugrunde (und macht sie wegen der Möglichkeit zur Ziehung von Spezialpopulationen vermeintlich besonders attraktiv): ein Pool von Personen, die sich – auf unterschiedliche Art und Weise rekrutiert – dazu bereit erklären, an Befragungen teilzunehmen. Sowohl die amtliche Statistik als auch die kommerziellen Sozial- und Marktforschungsinstitute unterhalten solche Pools tendenziell befragungsbereiter Personen, aus denen dann nach Bedarf Stichproben der „allgemeinen Bevölkerung“ oder spezieller Zielgruppen gezogen werden können. Access-Panels bieten einige Vorteile, haben aber auch spezielle Probleme.5 Für Stichproben von Ausländern könnten ohne eine entsprechende Auswahlgrundlage z. B. „normale“ Einwohnermeldeamtsstichproben gezogen und dann Ausländer anhand ihrer Staatsangehörigkeit identifiziert werden (vgl. Granato 1999).

Dieses Vorgehen eignet sich aber nicht für alle Zielgruppen von Migranten. Für Personen, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, ist dieses Vorgehen des Screenens anhand der Nationalität nicht möglich. Salentin (2007) schlägt daher speziell für Aussiedler vor, bei Einwohnermeldeamtsstichproben anstatt nach der Staatsangehörigkeit nach dem Geburtsort zu screenen.6 Dies würde auch die Identifizierung anderer Migranten erlauben, z. B. von eingebürgerten aber selbst zugewanderten Personen. Dies entspricht prinzipiell auch dem Vorgehen des Programms MigraPro, dass vor allem über die Geburtsorte einen „persönlichen“ oder „familiären“ Migrationshintergrund von Personen ableitet. Prinzipiell könnte in einer Befragung auch der Geburtsort der Eltern und Großeltern erfragt werden und stünde dann zum Screenen „huckepack“ nach entsprechenden Personen mit entsprechenden Vorfahren zur Verfügung, allerdings dürfte die Qualität der Angaben fraglich sein.

Namensbasierte Verfahren Ein Screenen nach Nationalität oder Geburtsland setzt voraus, dass diese Merkmale tatsächlich auch Bestandteil einer „Urliste“ sind, beispielsweise als Merkmal auf Mitgliederlisten, in Einwohnermeldeamtsdateien oder ähnlichem vorhanden und verfügbar sind. Häufig ist das eigentliche Screening-Merkmal aber nicht Bestandteil der Auswahlgrundlage, so dass stellvertretend auf andere Merkmale ausgewichen werden muss. In vielen Fällen stehen lediglich Namenslisten zur Verfügung.7

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Namenslisten werden weltweit bei vielen Forschungsprojekten zu Migrantenpopulationen verwendet, da Namen auf die regionale oder ethnische Herkunft des Namensträgers hinweisen können. In der Praxis werden insbesondere oft namenskundliche Lexika von Namen mit bekannter Zugehörigkeit (d. h. ausschließlichem oder sehr häufigem Auftreten in der entsprechenden Gruppe) zu einem bestimmten Herkunftsland verwendet oder für diesen Zweck aufwendig erstellt.

kann durch einfache Umformung des Bayes-Theorems die bedingte Wahrscheinlichkeit für eine bestimmte Nationalität gegeben einen bestimmten Namen P(Nationalität|Name) berechnet werden:

In Deutschland hat sich das von Humbert und Schneiderheinze (2000) entwickelte onomastische Verfahren als Standardverfahren für sozialwissenschaftliche Stichprobenziehungen bei Migranten etabliert. Dabei werden Namen aus öffentlich zugänglichen Verzeichnissen anhand von ihnen erstellter Namensdatenbanken verschiedener Nationalitäten verglichen und entsprechend klassifiziert.8

Der Nachteil einer solchen Klassifikation besteht in der Verwendung vollständiger und notwendigerweise korrekt geschriebener Namen. Auch Namen in Registern und Verzeichnissen sind oftmals aber eben nicht fehlerfrei: In der Literatur zum Record-Linkage werden bei 15-25% der Namen Schreibfehler berichtet (Winkler 2009). Insbesondere bei Namen von Migranten dürften sich Schreibfehler, -varianten und Transkriptionsfehler konzentrieren. Verfahren, die exakte Übereinstimmung zur Klassifikation voraussetzen, werden hier falsche Klassifikationen produzieren oder erfordern ein zeitaufwendiges manuelles Sichten und Bereinigen, daher ist ein fehlertolerantes Verfahren für die Namensklassifikation wünschenswert.

Eine Möglichkeit besteht darin, für die Klassifizierung nicht die vollständigen Vor- oder Nachnamen zu verwenden, sondern lexikalische oder linguistische Namensteile wie Präfixe oder Suffixe zu verwenden, oder die Namen in einzelne Buchstabenfolgen (n-Gramme) zu zerlegen, und diese dann zur Klassifizierung der Namen zu verwenden. Solche n-Gramme werden seit einigen Jahren in der Informatik und Linguistik für viele Probleme der Spracherkennung und -verarbeitung verwendet.

Schnell et al. (2013) verwenden in ihrem vorgeschlagenen Verfahren zur Stichprobenziehung die bedingten Häufigkeiten aller n-Gramme eines Vor- oder Nachnamens zur Berechnung der bedingten Wahrscheinlichkeit für eine Nationalität.13 Neben der Fehlertoleranz besitzt das Verfahren einen weiteren Vorteil: Es muss kein vollständiges Namenslexikon vorliegen.

Es können also auch Namen klassifiziert werden, die nicht in einem Lexikon verzeichnet sind – solange sie ähnlich zu den verzeichneten Namen sind, wie z. B. unterschiedliche Schreibweisen.

Ähnliche Verfahren werden in der Epidemiologie verwendet, um potentiell interessante Gruppen bilden und miteinander vergleichen zu können. Dabei werden vor allem ad hoc zusammengestellte und aufwendig von Muttersprachlern gesichtete und bereinigte Listen häufiger oder „typischer“ Namen aus einzelnen Ländern verwendet.9 Die resultierenden Listen werden anschließend für das Screening einer allgemeineren Auswahlgrundlage – z. B. eines Telefonbuchs – verwendet.10

3. Das von Schnell et al. (2013) vorgeschlagene Verfahren Schnell et al. (2013) haben ein automatisches Verfahren vorgeschlagen, das im Gegensatz zu den bislang in den Sozialwissenschaften verwendeten Verfahren nicht auf der Klassifikation vollständiger Namen oder Namensendungen, sondern auf der Klassifikation von Buchstabenfolgen (n-Gramme) basiert und ohne zeitaufwendiges Zusammenstellen oder Sichten von Namenslisten durch besonders qualifiziertes Personal auskommt.

Ausgangspunkt bilden dabei Listen, die für verschiedene Nationalitäten die jeweiligen empirischen Namenshäufigkeiten getrennt nach Vor- und Nachnamen aller Personen mit dieser Nationalität enthalten.11 Am geeignetsten für solche Listen sind z. B. Zensus- oder Sozialversicherungsdatenbanken oder andere umfangreiche und für die Grundgesamtheit möglichst vollständige Register (z. B. auch Einwohnermelderegister oder andere Personenstandsregister), die neben Namen auch die Nationalität oder Herkunft einer Person enthalten.12 Die „Passel-Word-Liste“ (1993) verwendet Namenslisten der US-amerikanischen Steuerverwaltung, um regionale Verteilungen von „spanischen“ Namen nach dem Bayes-Theorem zu erstellen: Aus dem Anteil eines bestimmten Namens in der Grundgesamtheit P(Name), dem Anteil aller Personen mit einer bestimmten Nationalität P(Nationalität) in der Grundgesamtheit und dem bedingten Anteil eines Namens unter Personen mit einer bestimmten Nationalität P(Name|Nationalität)

Zunächst wird jeder Name in seine n-Gramm-Menge (z. B. Bigramme, n=2) aufgespalten. Da oftmals Wort- oder Namensanfänge und -endungen charakteristisch für verschiedene Sprachen sind, empfiehlt sich das Anfügen von Leerzeichen vor und hinter die Namen, so dass zusätzliche n-Gramme am Namensanfang bzw. -ende entstehen. Für den Namen Peter ergibt sich dann z. B. die Bigrammmenge {_P,PE,ET,TE,ER,R_}.

Für jedes Land wird nun die Anzahl des Auftretens jedes einzelnen Bigramms der Bigrammmenge durch die Anzahl aller Namen14 von Personen einer bestimmten Nationalität dividiert, und daraus für jedes Land das Produkt aus diesen relativen Häufigkeiten der einzelnen n-Gramme des Namens „Peter“ gebildet.15 Dieses Produkt wird anschließend mit dem Faktor w multipliziert.16 Ein Name wird nun schließlich in dasjenige Land klassifiziert, für das diese Klassifikationsgröße maximal ist. Den schematischen Ablauf zum Training und zur Klassifikation eines Namens zeigen Abbildungen 1 a und b.

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Zentraler Ausgangspunkt des Verfahrens ist eine Namensliste, aus der diese n-Gramm-Häufigkeiten gewonnen werden können, d. h. ein Liste, die Namen und Häufigkeiten dieses Namens für alle (berücksichtigten) Nationalitäten enthält. Solche Listen sind – vor allem außerhalb Deutschlands – aus verschiedenen Quellen und in unterschiedlicher Qualität verfügbar. Hier sind zunächst die Einwohnermelderegister der Städte und Kommunen zu nennen, die neben Namen auch Geburtsort und Nationalität enthalten. Einfacher zu handhaben sind natürlich entsprechende Listen aus einer Datenquelle. Schnell et al. (2013) beschreiben eine Liste der Bundesagentur für Arbeit (BA) aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, zugänglich gemacht über das Forschungsdatenzentrum der BA.17 Die Übersichten von Haug (2005, 2009) und VDSt (2013) beschreiben z. B. eine Reihe von Datenbeständen, die den Migrationshintergrund (in welcher Abgrenzung und Definition dann auch immer) enthielten. Ob diese Daten zum Training des von Schnell et al. (2013) vorgestellten und beschriebenen Verfahrens zugänglich und geeignet sind, wäre an anderer Stelle zu prüfen.

Tabelle 1: Ergebnisse einer Namensklassifikation

4. Validierung des neuen Verfahrens Schnell et al. (2013 und 2014) evaluieren das vorgeschlagene Verfahren an zwei verschiedenen Datensätzen: dem Paneldatensatz PASS des IAB und einer Studie „Kriminalitätsfurcht in

Bei einer Screeninganwendung wird im Allgemeinen eher eine hohe Rate falsch Positiver akzeptiert, da diese dann im weiteren Verlauf der Erhebung und Analysen noch ausgeschlossen werden können. Wünschenswert wäre dabei, dass der Anteil der richtig Positiven an den positiv Klassifizierten

Abbildung 1a: Schematische Darstellung des Verfahrens zur Erstellung der Trainingsdatenbank.

Abbildung 1b: Schematische Darstellung des Verfahrens zur Klassifikation eines Vor- oder Nachnamens.

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Namensklassifikation Staatsangehörigkeit als „deutsch“

als „nicht deutsch“

deutsch

richtig negativ (RN

falsch positiv (FP)

nicht deutsch

falsch negativ (FN)

richtig positiv (RP)

Hessen“ (siehe ausführlich zu den beiden Datengrundlagen insbesondere Trappmann et al. (2010) und Infas (2009)). Dazu vergleichen sie den „wahren Status“ eines klassifizierten Namens, d. h. die berichtete Staatsangehörigkeit oder Herkunft einer Person, mit dem Klassifikationsergebnis des vorgeschlagenen Verfahrens. Insbesondere Falschklassifikationen (siehe Tabelle 1) sind dabei von Interessen, d. h. falsch-positiv- und falsch-negativ-Raten: falsch Negative bergen die Gefahr einer Verzerrung, wenn ein Teil der Migranten nicht korrekt erkannt wird („Undercoverage“)18, falsch Positive machen das Verfahren ineffizient, wenn zu viele Namen fälschlicherweise als Namen von Migranten klassifiziert werden („Overcoverage“).

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insgesamt möglichst hoch sein sollte. Ob für einen Einsatz für Zwecke der Kommunal- und Städtestatistik eine solche Bewertung ebenfalls zutrifft, ist unklar, da hier nicht nur die Bildung und der Vergleich von Gruppen im Vordergrund steht, sondern womöglich auch die Schätzung von (kleinräumigen) Populationsanteilen.

4.1 Klassifikationsergebnisse Schnell et al. (2013) klassifizieren Vor- und Nachnamen getrennt (aufgrund der Trainingsdaten). Bei der Entscheidung über die Art der Kombination von Vor- und Nachnamensklassifikationen muss hier nach den Kosten falscher Klassifikationen entschieden werden: Ein Name könnte als “ausländisch“ gelten, wenn der Vor- oder Nachname als ausländisch klassifiziert wird. Dadurch würden zwar weniger falsch negative, dafür aber mehr falsch positive Klassifikationen erzeugt. Klassifiziert man

Abbildung 2: Anteil richtig positiver Klassifikationen nach Ländergruppe und Kombination von V(orname) und N(achname)

hingegen einen Namen erst dann als ausländisch, wenn Vorund Nachname als ausländisch klassifiziert werden, dann sind entsprechend mehr falsch Negative und weniger falsch Positive erwartbar. Eine noch rigidere Regel würde fordern, dass Vor- und Nachname in die gleiche ausländische Nationalität klassifiziert werden müssen, damit ein Name als ausländisch gilt. Durch diese Regel werden viele falsch positive Klassifikationen vermieden, allerdings auf Kosten eines möglichen Undercoverage-Bias durch mehr falsch Negative.

Schnell et al. (2013) zeigen, dass sich durch die unterschiedliche Kombination von Vor- und Nachnamensklassifikation unterschiedliche Fehlerraten erzeugen lassen (siehe Abbildung 2): von im Durchschnitt 90% richtig positiven Klassifikationen (und 10% falsch Negative), wenn Vor- oder Nachname positiv klassifiziert werden, bis zu 65% richtig Positive, wenn Vorund Nachname positiv klassifiziert werden. Werden Vor- und Nachname gleich positiv klassifiziert, beträgt der Anteil richtig

Tabelle 3: Übereinstimmung zwischen Klassifikation und Migrationshintergrund Übereinstimmung zwischen Klassifikation und Migrationshintergrund

Tabelle 2: Anteile der Übereinstimmung der Namensklassifikation mit der Nationalität nach Art (Länge) der verwendeten nGramme.

Nachname

Vorname

Land (wahrer Wert)

Bigramme

Trigramme

Bigramme

Trigramme

Deutschland

0.90

0.84

0.87

0.68

Italien

0.69

0.79

0.42

0.51

Türkei

0.63

0.75

0.55

0.77

Griechenland

0.57

0.60

0.49

0.47

Jugoslawiena)

0.48

0.60

0.31

0.52

Osteuropab)

0.31

0.36

0.23

0.42

Russlandc)

0.17

0.14

0.33

0.58

Insgesamt

0.87

0.81

0.83

0.67

a) einschließlich Nachfolgestaaten b) Polen und osteuropäische Nachbarländer c) einschließlich Staaten der ehemaligen Sowjetunion Quelle: Schnell et al (2013: 27)

Anteil Übereinstimmung

Kappa

V & N neg., kein Migrationshintergrund

0.67

0.32

V & N neg., selbst zugezogen

0.34

-0.26

V & N neg., min. 1 Elternteil zugezogen

0.45

-0.04

V & N neg., min. 1 Großelternteil zugezogena)

0.47

-0.00

V | N pos., kein Migrationshintergrund

0.33

-0.30

V | N pos., selbst zugezogen

0.66

0.29

V | N pos., min. 1 Elternteil zugezogen

0.55

0.04

V | N pos., min. 1 Großelternteil zugezogena)

0.53

0.00

V & N pos., kein Migrationshintergrund

0.19

-0.18

V & N pos., selbst zugezogen

0.86

0.43

V & N pos., min. 1 Elternteil zugezogen

0.85

0.11

V & N pos., min. 1 Großelternteil zugezogena)

0.86

-0.02

V=N pos., kein Migrationshintergrund

0.21

-0.10

V=N pos., selbst zugezogen

0.85

0.28

V=N pos., min. 1 Elternteil zugezogen

0.90

0.11

V=N pos., min. 1 Großelternteil zugezogena)

0.91

-0.02

a) Eltern sind in Deutschland geboren Quelle: Schnell et al. (2013: 25)

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positiver Klassifikationen insgesamt immer noch 35%. Tatsächlich unterschieden sich Fehlerraten dann nach Ländern bzw.

Ländergruppen (siehe Tabelle 2): gerade bei den klassischen ehemaligen Einwanderungsländern werden aber 4 von 5 Personen korrekt über Vor- und Nachname klassifiziert.

Auf der anderen Seite stehen falsch positive Klassifikationen als Kosten unterschiedlicher Kombinationsregeln: bei positiv klassifiziertem Vor- oder Nachnamen werden fast 40% der deutschen Staatsangehörigen im PASS fälschlicherweise als Migranten klassifiziert. Strengere Kombinationsregeln erzeugen aber weniger als 10% falsch Positive. Dies entspricht den Ergebnissen der Klassifikation anhand von Namenslisten.19 4.2 Wahl der Länge der n-Gramme Zusätzlich zur Frage, wie die separaten Klassifikationen von Vor- und Nachnamen kombiniert werden, muss eine Entscheidung getroffen werden, ob für die Klassifikation aus den Namen Buchstabenketten aus zwei oder aus drei Buchstaben (Bigramme bzw. Trigramme) verwendet werden sollen. Längere n-Gramme eignen sich für die Klassifikation kaum, da längere n-Gramme für kurze Namen bereits einen exakten und eben nicht mehr fehlertoleranten Abgleich implizieren.

Schnell et al. (2013) zeigen (siehe Tabelle 2), dass der Anteil korrekter Klassifikationen unter den Ausländern bei der Verwendung von Trigrammen (n=3) in der Regel höher ist als bei der Verwendung von Bigrammen. Ausnahmen hiervon sind Vornamen bei Russen und Nachnamen bei Personen mit griechischer Staatsangehörigkeit. Bei Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit erzeugte die Zerlegung der Vor- oder Nachnamen in Bigramme jeweils höhere Anteile korrekter Klassifikationen.

Tabelle 4: Migrationshintergrund nach Klassifikationsergebnis von Vor- bzw. Nachnamen aller PASS-Teilnehmer, Spaltenprozent V&N

V|N

V&N

V&N

negativ

positiv

positiv

identisch1)

kein Migrationshintergrund

88.9

57.0

20.5

15.7

ausländische Staatsangehörigkeit

1.0

17.6

46.1

51.4

im Ausland geboren

3.4

15.6

21.6

20.3

2 Eltern im Ausland geboren

0.9

2.7

5.3

6.8

1 Elternteil im Ausland geboren

3.5

4.7

5.1

ausländische Sprache im Haushalt

0.2

0.3

alle Großeltern im Ausland geb.

0.1

ein Großelternteil im Ausland geb.

2.1

Migrationshintergrund

Schnell et al. (2013) verwenden zum Training Namenshäufigkeiten nach Nationalität. Die folgenden Tabellen zeigen Ergebnisse des Verfahrens anhand eines anderen Kriteriums: einmal den Anteil der Übereinstimmung zwischen der Namensklassifikation und dem Migrationshintergrund (Tabelle 3) und in Tabelle 4 den wahren Migrationshintergrund gegeben das Klassifikationsergebnis.

Der Anteil der Übereinstimmung zwischen den Merkmalen “Klassifikation von Vor- und Nachname als deutsch“ und „kein Migrationshintergrund“ beträgt 0.67. Die Übereinstimmung zwischen einem als „deutsch“ klassifizierten Vor- und Nachnamen und eigenem Migrationshintergrund beträgt hingegen nur 0.34, dies ist deutlich weniger, als durch die Randverteilung allein erwartbar wäre (Kappa von -0.26). Sind Eltern oder Großeltern zugezogen, beträgt die Übereinstimmung zwar immer noch 0.45, allerdings zeigt das sehr kleine Kappa, dass die Übereinstummng auch allein durch die Randverteilung erklärbar ist.

Werden dagegen entweder Vor- oder Nachname als „ausländisch“ klassifiziert, verringert sich der Anteil Übereinstimmung zwischen der Klassifikation und dem Migrationshintergrund weiter: Nur bei eigenem Migrationshintergrund sind die Übereinstimmungen nicht allein durch zufällige Übereinstimmungen erklärbar. Sind Vor- als auch Nachname als ausländisch klassifiziert bzw. Vor- und Nachname in die gleiche Auslandskategorie klassifiziert worden, liegt das Ausmaß der Übereinstimmung der Klassifikation mit dem Migrationshintergrund bei über 85%.

Betrachtet man die diesen Ergebnissen entsprechenden Anteile falsch positiver und falsch negativer Klassifikationen (Tabelle 4), zeigt sich ein vergleichbares Ergebnis: Je strenger die Kombination von Vor- und Nachnamensklassifikation, desto höher der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund.

Tabelle 5: Vergleich der Klassifikationen der CATI-Studie in Hessen mit PASS CATI Hessen %

PASS %

türk. Staatsangehörigkeit

43.4

49.6

in der Türkei geboren

12.8

14.4

4.6

beide Eltern in der Türkei geboren

10.7

11.0

0.5

0.5

ein Elternteil in der Türkei geboren

2.0

0.5

0.1

0.1

0.0

Sprache im Haushalt: Türkisch

1.9

2.0

2.1

0.9

1.5

alle Großeltern NICHT in D geboren

16.9

10.4

kein türk. Migrationshintergrund

12.3

12.1

1) positiv und Vor- und Nachnamen in dasselbe Land klassifiziert Quelle: Schnell et al. (2013: 26)

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5. Klassifikationsergebnisse des Verfahrens: Migrationshintergrund

STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2015

Klassifikation: türkisch

Quelle: Schnell et al. (2013: 29)

Statistik & Informationsmanagement

Werden Vor- und Nachnamen als „deutsch“ klassifiziert, haben lediglich 1% der so klassifizierten Personen eine ausländische Staatsangehörigkeit und nur rund 7% haben einen Migrationshintergrund im weiteren Sinne. Werden hingegen Vor- oder Nachnamen als ausländisch klassifiziert, haben bereits knapp die Hälfte der Personen auch tatsächlich einen Migrationshintergrund, darunter bereits rund 18% auch eine ausländische Nationalität. Weitere 16% haben zwar keine ausländische Nationalität, sind aber selbst im Ausland geboren. Die restlichen 10% haben keinen eigenen Migrationshintergrund, sondern sind Migranten der zweiten (7,5%) oder dritten Generation.

Werden Vor- und Nachnamen als „ausländisch“ klassifiziert, haben insgesamt 4 von 5 der so positiv klassifizierten Personen einen Migrationshintergrund und sind dann 46% ausländische Staatsangehörige. Wird das Kriterium zur Klassifikation weiter verschärft, so dass Vor- und Nachnamen nicht nur als ausländisch gelten, sondern beide auch in die gleiche Nationalität klassifiziert werden müssen, haben lediglich nur rund 16% der Personen keinen Migrationshintergrund und über 50% sind ausländische Staatsangehörige. Auch hier zeigt sich, dass bei Wahl der für die eigenen Zwecke geeigneten Klassifikationsregel effiziente Screeningraten durch das Verfahren realisiert werden können.

Als weiteren Hinweis auf die Einsatzfähigkeit zur effizienten Stichprobenziehung führen Schnell et al. (2013) eine weitere Anwendung des Verfahrens an (Infas 2009), bei der das vorgestellte Verfahren eingesetzt wurde, um eine Stichprobe von Personen mit türkischem Migrationshintergrund zu ziehen. Tabelle 5 zeigt den in der Befragung dann erhobenen Migrationshintergrund der Personen mit zuvor als türkisch klassifizierten Namen. Zum Vergleich zeigt die Tabelle auch die Ergebnisse, wenn im PASS Vor- oder Nachnamen als „türkisch“ klassifiziert wurde: Die Ergebnisse sind sehr ähnlich.

In beiden “Populationen“ ergeben sich nur rund 12% falsch Positive ohne türkischen Migrationshintergrund (bis zu den Großeltern). Zudem wurden im PASS alle Personen mit türkischer Staatsangehörigkeit korrekt klassifiziert, d. h. hier gab es keine falsch negativen Klassifikationen.

Damit konnten Schnell et al. (2013) zeigen, dass sich das von ihnen vorgestellte Verfahren als eine effiziente Alternative zu den sonst verwendeten Verfahren zur Stichprobenziehung (bzw. zur Bildung von Vergleichsgruppen) einsetzen lässt.

Stereotype und Vorurteile erzeugen und verstärken können.

Schnell et al. (2014) untersuchen in einer weiteren Arbeit daher mögliche Verzerrungen des vorgeschlagenen Verfahrens und vergleichen Personen, deren Namen vom Verfahren richtig positiv klassifiziert wurden mit Personen, deren Namen vom Verfahren falsch negativ klassifiziert wurden.

Bei namensbasierten Verfahren für Personen mit Migrationshintergrund kommt es dann zu einer Verzerrung (Bias), wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Name als „positiv“ klassifiziert wird mit verschiedenen Dimensionen von „Integration“20 korreliert, z. B. wenn besser integrierte Migranten eine niedrigere Wahrscheinlichkeit hätten, über den Namen als Personen mit Migrationshintergrund identifiziert zu werden. Bei Verfahren, die eine Auswahl über „typische“ Namen in bestimmten Ländern treffen, ist diese Sorge unmittelbar nachvollziehbar.

Schnell et al. (2014) benennen vier Mechanismen, die einen Zusammenhang zwischen falsch negativer Klassifikation und Assimilation erklären könnten: (1) Zum Einen nehmen Frauen nach einer Heirat häufiger den Nachnamen des Mannes an; d. h. unter verheirateten Frauen wird es zu mehr Falschklassifikationen kommen und möglicherweise zu Verzerrungen, wenn man annimmt, dass ausländische Frauen aus binationalen Ehen stärker assimiliert sind als ausländische Frauen aus nicht gemischt-nationalen Ehen (2) Namensgebung bei Kindern spiegelt Präferenzen und Einstellungen der Eltern wider; stärker assimilierte Eltern geben ihren Kindern häufiger „einheimische“ Namen (3) Sind sich Sprachen der Länder ähnlich (wie z. B. in Deutschland, Österreich, Teile der Schweiz) steigt die Falschklassifikationsrate; aber auch hier kann man annehmen, dass diese falsch negative klassifizierten Personen stärker assimiliert sind (4) Eingebürgerte Ausländer ändern ihren Namen häufiger zu einem einheimischen Namen bzw. stärker assimilierte Ausländer haben eher den Wunsch der Einbürgerung Schnell et al. (2014) argumentieren, dass alle diese Mechanismen für viele Länder zumindest plausibel sind, auch wenn insbesondere Mechanismen 2 und 4 unterschiedlich stark wirken dürften. Zu einer Verzerrung bei namensbasierten Verfahren kommt es nun, wenn sich Personen mit falsch negativ klassifizierten Namen in relevanten Merkmalen von Personen mit korrekt positiv klassifizierten Namen unterscheiden:

6. Verzerrungen durch namensbasierte Stichproben Neben der Effizienz des Verfahrens ist vor allem auch die Gefahr durch Verzerrungen durch das Auswahlverfahren/ die Auswahlgrundlage von besonderer Bedeutung. Alle weit verbreiteten Alternativen zur Stichprobenziehung von Ausländern oder Personen mit Migrationshintergrund sind problematisch, da sie die Gefahr der Verzerrung der Ergebnisse bergen, weil sie entweder besonders gut vernetzte und integrierte Ausländer rekrutieren, oder sich auf vermeintlich „typische“ Auswahlen beschränken und dadurch womöglich

mit

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Statistik & Informationsmanagement

Eine Verzerrung kann also auch dann auftreten, wenn der Anteil von Falschklassifikationen klein ist, sich die falsch Negativen von den falsch Positiven aber deutlich unterscheiden.

Andererseits kann auch ein wenig effizientes Verfahren (d. h. hier ein hoher Anteil falsch negativer Klassifikationen) eine unverzerrte Stichprobe liefern oder Gruppen bilden. Nämlich dann, wenn es keinen Unterschied zwischen den richtig positiven und den falsch negativen Klassifikationen gibt.

In der Arbeit von 2014 vergleichen Schnell et al. nun für verschiedene Dimensionen von Integration und Assimilation (u. a. Bildung, Erwerbstätigkeit, Einkommen) Merkmale von Personen, deren Namen ihr vorgestelltes Verfahrens korrekt

bzw. falsch klassifiziert hat. Da sich durch die Wahl der Kombination der getrennten Vor- und Nachnamensklassifikation unterschiedliche Fehlerraten erzeugen lassen, beschrieben sie einmal Ergebnisse, wenn Vor- oder Nachname bzw. Vor- und Nachname positiv klassifiziert wurden. Schnell et al. (2014) berichten Unterschiede bei positiver Klassifikation von Voroder Nachname als auch Vor- und Nachname; hier sollen nur Ergebnisse bei positiver Klassifikation von Vor- und Nachnamen dargestellt werden: diese Kombination der Namensklassifikation erzeugt mehr falsch negative Klassifikationen aber weniger falsch Positive (siehe Abbildung 2), d. h. grundsätzlich steigt hier auch eine Gefahr für Bias durch den höheren Anteil falsch Negativer.

Tabelle 6: Personen mit ausl. Staatsangehörigkeit; falsch negative u. richtig positive Klassifikationen (Vor- u. Nachname positiv klassifiziert) (1) alle Ausländer

(2) falsch Negative

(3) richtig Positive

(4) Bias (3)-(1)

(5)

(6)

(3)-(2)

p(t)b)

(7) Effektstärkec)

Haushaltsmerkmale Größe (Anz. Personen) Anzahl Kinder

3.3 2.2

3.0 2.0

3.5 2.4

+0.2 +0.1

+0.5 +0.4

*** ***

k k

Demographie Anteil Frauen (%) Alter (in Jahren) im Ausland geboren (%) Jahre seit Zuwanderung binationale Ehena) (%)

52.2 37.6 83.1 20.9 31.3

60.5 39.4 86.1 18.8 45.8

47.4 36.6 81.3 22.2 22.3

-4.1 -1.0 -1.8 +1.3 -8.9

-13.2 -2.7 -4.8 +3.4 -23.4

*** *** ** *** ***

k k k m

Bildung o. Schulabschluss (%) Abitur (%) Anzahl Bildungsjahre

17.0 23.8 11.1

10.7 30.6 12.0

20.6 19.8 10.6

+3.6 -4.0 -0.5

+9.9 -10.8 -1.3

*** *** ***

k k k

Erwerbstätigkeit erwerbstätig (%) arbeitslos (%) SGB-II (%) in Mutterschutz (%)

19.7 42.4 59.9 3.3

21.2 39.8 55.4 4.3

18.9 43.8 62.6 2.7

-0.9 +1.4 +2.7 -0.6

-2.4 +4.0 +7.2 -1.7

*** *

1475.4

1562.4

1424.0

-51.4

-138.4

***

Deprivation Deprivationsind. (ungew.)

Deprivationsind. (gew.)

6.7 2.1

6.1 1.9

7.0 2.2

+0.3 +0.1

+0.8 +0.3

*** ***

Religion Religionszugehörigkeit (%) „‘religiös“‘ (%) Muslime (%)

74.1 64.2 37.4

67.5 60.7 18.5

77.8 66.3 48.3

+3.7 +2.1 +10.9

+10.2 +5.6 +29.9

*** * ***

m

Fremdsprache … im Interview (%) im Haushalt (%) unter Freunden (%)

19.0 71.2 44.7

19.0 63.5 43.1

19.0 75.6 45.8

0.0 +4.4 +1.1

0.0 +12.1 +2.7

***

k

Zufriedenheit ...d) Haushaltsausstattung Lebensstandard allg. Lebenszufriedenheit Gesundheit soziale Teilhabe

6.6 5.7 6.2 6.8 6.4

6.8 5.8 6.4 6.7 6.3

6.5 5.6 6.1 6.8 6.4

-0.1 -0.1 -0.1 0.0 +0.1

-0.3 -0.2 -0.3 +0.1 +0.2

HH-Nettoeinkommen Einkommen (Euro)

a) Partner mit deutscher Staatsangehörigkeit b) ***: <1%, **: <5%, *: <10%

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c) k(lein): d>0.2, m(ittel): d>0.5, g(roß): d>0.7 d) Mittelwert auf 10-Punkte-Skala

k k

** * **

Quelle: Schnell et al. (2014: 239f )

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Abbildung 3: Anzahl Bildungsjahre für alle Ausländer sowie falsch negative Klassifikationen

Abbildung 4: Haushaltsnettoeinkommen für alle Ausländer sowie falsch negative Klassifikationen

Tabelle 6 zeigt, dass trotz den z.T. großen absoluten und signifikanten Unterschieden, die es zwischen falsch negativen und richtig positiven Klassifikationen gibt, ein Bias aber für die meisten untersuchten Merkmale klein ist, und Unterschiede nur in wenigen Fällen überhaupt mittelgroße Effektstärken (Ellis 2010: 41) aufweisen: Entsprechend den Hypothesen ist unter den falsch Negativen z. B. der Anteil Frauen deutlich höher und auch der Anteil von Personen in binationalen Partnerschaften, die Haushalte falsch Negativer sind kleiner mit weniger Kindern.

Unterschiede bestehen auch bei der Bildung (falsch Negative sind insgesamt besser gebildet, d. h. sie haben häufiger einen Schulabschluss und Abitur; siehe auch Abbildung 3), falsch Negative sind häufiger erwerbstätig und seltener arbeitslos bzw. beziehen seltener Sozialleistungen (nach SGB-II). Entsprechend ist unter den falsch Negativen dann auch der Anteil Mütter in Mutterschutz höher. Auch beim Haushaltsnettoeinkommen zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen falsch Negativen und richtig Positiven in einem durchschnittlichen knapp 10% höheren Haushaltsnettoeinkommen der falsch Negativen (Abbildung 4). Schnell et al. (2014) berichten auch Unterschiede für einen „Deprivationsindex“, der zählt, auf wie viele verschiedene Ausstattungsgegenstände oder Tätigkeiten Haushalte oder Mitglieder des Haushaltes verzichten („ungewichtet“), ggf. auch aus finanziellen Gründen („gewichtet“): dieser Index ist für falsch Negative zwar signifikant niedriger (d. h.

Personen mit falsch negativ klassifizierten Namen verzichten auf weniger Items), aber auch hier erreicht dieser Unterschied nur kleine Effektstärken.

Sprachgebrauch ist vielleicht der beste Indikator für Integration und eine Schlüsselvoraussetzung für Assimilation in verschiedenen Bereichen, z. B. auf dem Arbeitsmarkt aber auch anderen gesellschaftlichen Bereichen. Hier zeigen Schnell et al. (2014) Unterschiede v.a. bei der Sprache, die im Haushalt oder unter Freunden gesprochen wird: vor allem im Haushalt sprechen falsch Negative seltener eine andere Sprache als Deutsch.

Betrachtet man abschließend subjektive Indikatoren wie die Zufriedenheit in verschiedenen Lebensbereichen, so sind Unterschiede zwischen richtig Positiven und falsch Negativen sehr gering.

Die auch in absoluten Zahlen größten Unterschiede als auch mit den größten nachgewiesenen Effektstärken zeigen sich bei den Dimensionen „Religion“ und Sprachgebrauch: der Anteil von Mitgliedern in einer Religionsgemeinschaft ist bei den falsch Negativen über 10%-Punkte niedriger, ebenso ist der Anteil der Personen kleiner, die sich selbst als „religiös“ oder „sehr religiös“ bezeichnen. Noch deutlicher ist der Unterschied beim Anteil Muslime zu sehen: knapp 30%-Punkte liegen hier zwischen den falsch Negativen und richtig Positiven, und auch der tatsächliche Bias erreicht hier mit über 10% das stärkste Ausmaß.21

7. Zusammenfassung und Ausblick Schnell et al. (2013 und 2014) kommen zu dem Schluss, dass das vorgestellte Verfahren sich zum effizienten Screenen nach Ausländern und Migranten in Namenslisten eignet und Verzerrungen durch das Verfahren gering sind. Je nach den jeweiligen Kosten von Falschklassifikationen lassen sich mehr oder weniger strenge Klassifikationsregeln wählen und entsprechend der jeweiligen Aufgabenstellung eher falsch negative oder eher falsch positive Screeningergebnisse vermeiden.

Zwar eignet es sich für einige Migrantengruppen und Länder besser als für andere. Insbesondere eignet es sich für die klassischen Migrationsländern der Bundesrepublik – Türkei, Italien, Griechenland und Jugoslawien – und weniger für andere Gruppen – z. B. Russen und Angehörige osteuropäischer Nachbarländer. Aber auch bei den weniger geeigneten Subpopulation liegt die Effizienz des Verfahrens immer noch über dem der Zufallsauswahl. Zudem, so betonen sie den Vorteil des Verfahrens, erwarten Sie geringere Auswahleffekte, als bei Quoten- oder Schneeballverfahren sonst zu befürchten seien.

Gegenüber den reinen Lexikonverfahren bietet das Verfahren durch die Zerlegung der Namen in n-Gramme den Vorteil, dass es fehlertoleranter gegenüber den auch in Registern häufig vorkommenden minimalen Schreibvarianten insbesondere ausländischer Namen ist.

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Dieser Beitrag schließt mit einer Reihe von Fragen an die Stadtforschung bzw. Kommunal- und Städtestatistik: Namensbasierte Verfahren werden für verschiedene Zwecke der Städtestatistik bereits eingesetzt, mehrere kommerzielle Anbieter bieten dies als Dienstleistung an. Welche Erfahrungen haben die Städte und Kommunen bereits mit namensbasierten Verfahren gemacht?

Ist das von Schnell et al. (2013) vorgestellte Verfahren von Interesse für die Zwecke der Stadtforschung und Städtestatistik? Ist es eine Alternative zu den bisher von den Städten eingesetzten namensbasierten Verfahren?

Für welche Zwecke lässt sich ein namensbasiertes Verfahren einsetzen? Das von Schnell et al. (2013) vorgestellte und beschriebene Verfahren eignete sich vielleicht weniger zur Schätzung von Populationsanteilen, als vielmehr zur Stichprobenziehung oder Identifizierung und Bildung von Untersuchungs- oder Kontrollgruppen, wenn die sonst bislang verwendeten Auswahlgrundlagen oder Register schon jetzt oder in absehbarer Zeit zur Untersuchung, Monitoring und Evaluation sozialpolitischer Fragen und Maßnahmen nicht oder nicht mehr verwendet werden können?

Welche Trainingsdaten wären für diese Zwecke sinnvoll und stünden den Städten und Kommunen tatsächlich zur Verfügung?

Diese Zusammenfassung der beiden Originalarbeiten möchte einen Beitrag zur Diskussion leisten, wie Fragestellungen zu den beschriebenen sozialpolitisch relevanten Gruppen weiterhin untersuchbar bleiben, wenn es zunehmend schwieriger wird, diese mit den bisherigen Verfahren und den bisher verwendeten Registern und Datenbanken zu beantworten.

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Diese Arbeit basiert auf einer gekürzten Zusammenfassung zweier früherer Veröffentlichungen (Schnell et al. 2013 und 2014), an denen der Autor beteiligt war, der aber weder Urheber des Verfahrens, noch Initiator der Bias-Studie war. Teile dieses Beitrages sind diesen Arbeiten entnommen. Für ausführlichere Danksagungen und Ursprünge des Verfahrens sei auf die beiden Originalarbeiten verwiesen.

Die Verwendung der Begriffe ist uneinheitlich und Bedeutungen sind nicht deckungsgleich, für eine Diskussion siehe z. B. Galonska et al.

(2004) und VDSt (2013).

Auch hier zeigen sich aber schon Probleme, z. B. im Ausland geborene Kinder deutscher Staatsbürger – zum Beispiel - aber nicht nur - Kinder deutscher Diplomaten im Ausland –, die in der Regel nicht als klassische „Ausländer“ oder „Migranten erster Generation“ bezeichnet werden. Dies ist nur ein Beispiel der Probleme der Definition und Verwendung der verschiedenen Begriffe.

Lediglich minderjährige Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit lassen sich über Verzeigerungen im Einwohnermelderegister zu ihren Eltern bzw. gesetzlichen Vertretern (§2 MRRG) als Personen mit Migrationshintergrund identifizieren (nämlich dann, wenn mindestens ein Elternteil im Ausland geboren ist oder eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt – und im selben Haushalt lebt).

Zum Einen ist die Rekrutierung zum Panel oftmals unklar (d. h.

Access-Panels sind oftmals keine Zufallsstichprobe aus der Grundgesamtheit), zudem sind auch Access-Panels wie „normale“ Panelbefragungen von Panelmortalität betroffen. Schließlich verringern Access-Panels allenfalls den Anteil der Nonrespondenten, aber auch Stichproben aus einem Pool befragungsbereiter Personen sind von Nonresponse betroffen.

Allerdings ist die Nutzung und Weitergabe des Merkmals „Geburtsort“ für die akademische oder kommerzielle Sozialforschung nach §21(2) MRRG bzw. den Landesgesetzen nur als “erweiterte Melderegister-

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auskunft“ als „Einzelauskunft über namentlich bekannte Einwohner“ möglich und eben nicht im Rahmen einer Stichprobenziehung außerhalb der amtlichen Statistik.

Auch wenn Namen und Staatsangehörigkeit oder Geburtsort grundsätzlich in amtlichen Verzeichnissen verfügbar sind (z. B. auch im Zensus 2011), so besteht doch das Problem, dass insbesondere Namen in der Regel nicht „Erhebungsmerkmale“ sondern lediglich „Hilfsmerkmale“ z. B. nach dem Bundesstatistikgesetz BStatG darstellen, was ihre Verwendbarkeit für andere als den ursprünglichen Erhebungszweck, v.a. aber die Speicherung und Weitergabe, einschränkt (siehe auch Huschka und Wagner 2010: 6f ).

Während die positive Vorhersagekraft der umfangreichen und sachverständig und aufwendig erstellen Namensdatenbank sehr hoch sein dürfte, ist über die sonstigen Eigenschaften dieses Verfahrens aber wenig bekannt – insbesondere der Anteil der falsch negativen Klassifikationen in Bezug zum Kriterium der Nationalität oder Herkunft einer Person (– und nicht des Namens).

Am anschaulichsten ist das Beispiel von Euihang und Euiyoung (1984) aus den USA, die eine Gruppe mit einem einzigen, typisch koreanischen Nachnamen („Kim“) untersuchen.

Insgesamt stellt sich die Frage der Bezeichnung einer über die Namen gebildeten Untersuchungsgruppe. Viele Anwendungen, v.a. in der Epidemiologie, tun sich damit aber nicht besonders schwer und bezeichnen diese Gruppen genau danach: „spanish surnamed califormians“ (Schoen et al., 1978), „spanish surname population“ (Powell und Streck (1982), Selby et al. (1984) und andere.

Diese Trennung in separate Trainingsdaten für Vor- und Nachnamen sind beim von Schnell et al. (2013) vorgeschlagenen Verfahren allerdings allein datenschutzrechtlich begründet. Ob Trainingsdaten für Häufigkeiten von Vor- und Nachnamen nach Nationalität Klassifikationsergebnisse verbessern, müssten weitere Untersuchungen mit entsprechenden Trainingsdaten erst zeigen.

Auch andere Datenquellen werden in der Computerlinguistik diskutiert: Chen und Benoit (2003) verwenden z. B. Ortsnamen als Trainingsdaten zur Spracherkennung.

Die Idee der Namensklassifikation durch das Bayes-Theorem scheint zum ersten Mal für eine Anwendung im US-Bureau of the Census benutzt worden zu sein: Passel und Word (1993) und Perkins (1993) beschreiben die Konstruktion einer „spanischen“ Namensliste für den US-amerikanischen Zensus 1980. In der Computerlinguistik werden n-Gramme zur Klassifikation von Sprachen seit Anfang 1990 in der Literatur diskutiert (siehe z. B. Grefenstette (1995) oder Cavnar und Trenkle (1994)), darunter finden sich auch Arbeiten, die zur Klassifikation von Texten in verschiedene Sprachen n-Gramme mit dem Bayes-Theorem verbinden (z. B. Huang et al. 2005). Eingang in die sozialwissenschaftliche Literatur zu Stichproben haben diese Verfahren aber nicht gefunden.

Hier wird durch die Zahl der Namen dividiert und nicht etwa durch die Anzahl der n-Gramme. Dadurch werden Unterschiede zwischen den Länder nicht weiter durch Unterschiede in der Länge der Namen zusätzlich betont.

Die Häufigkeit bzw. der Beitrag eines „unbekannten“, in der Trainingsdatenbank nicht erfassten n-Gramms zum Gesamtprodukt zur Klassifikation eines Namens wurde nicht bei 0 belassen, andernfalls würde der gesamte Ausdruck bei der Multiplikation zur Gesamtwahrscheinlichkeit natürlich auch 0. Schnell et al. (2013) verwenden in dieser ersten Darstellung des Verfahrens den Faktor 1/N. In der Computerlinguistik-Literatur werden verschiedene Techniken zur „n-Gramm-Glättung“ vorgeschlagen (siehe z. B. Chen und Goodman, 1998 und 1999), Eigenschaften dieser Techniken bei Namen müssten aber erst weitere Untersuchungen zeigen.

17 Diese Liste enthielt über 110000 unterschiedliche Vornamen und knapp 500000 unterschiedliche Nachnamen von rd. 30 Mio. Beschäftigten.

18 Bias entsteht allerdings nicht allein schon bei Undercoverage; dazu müssen sich zudem die falsch Klassifizierten (falsch negativ) von den richtig Klassifizierten (richtig positiv) unterscheiden.

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19 Simon und Kloppenburg (2007: 152) berichten für eine onomastische Stichprobe türkischer Haushalte eine falsch-positiv-Rate von rund 7%.

20 Schnell et al. (2014) verweisen auf Alba und Vee (1997) und insbesondere auf Kalter und Granato (2002: 200), bei der Diskussion um die Begriffe und Dimensionen von “Integration“ und “Assimilation“: “Assimilation“ bezeichnet danach die Ähnlichkeit/Angleichung von Verteilungen relevanter Merkmale mit Bezug zu zentralen Dimensionen Bildung, Erwerbstätigkeit, Familie.

21 Vor allem die Ergebnisse bei der Dimension „Religion“ zeigen jetzt aber weniger eine Schwäche des Verfahrens als eine Eigenschaft oder eine Stärke: der Anteil falsch negativer Klassifikationen ist für Länder mit hohem Anteil an Muslimen (hier insbesondere die Türkei) gering, d. h. unter den falsch-Negativen sind kaum Personen türkischer Nationalität, siehe auch Abbildung 2.

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Lucas Jacobi

Wohnungsleerstand in Stuttgart – Ergebnisse der Gebäude- und Wohnungszählung 2011

Sowohl in angespannten Wohnungsmärkten als auch in Nachfragermärkten tritt Leerstand von Wohnraum besonders in das öffentliche Interesse. Die Gebäude- und Wohnungszählung (GWZ) im Rahmen des Zensus 2011 brachte zu Tage, dass in Stuttgart am 9. Mai 2011 fast 11.300 Wohnungen leer standen. Diese Zahl wurde von verschiedenen Akteuren des Wohnungsmarktes aufgegriffen und in die Diskussion – insbesondere im Zusammenhang mit der Einführung eines Zweckentfremdungsverbotes – eingebracht. Um dem komplexen Phänomen Wohnungsleerstand gerecht zu werden, bedarf es einer näheren Analyse: Um was für Wohnungen handelt es sich? In welcher Art von Gebäuden befinden sie sich? Wem gehören die leer stehenden Wohnungen und wie sind sie über das Stadtgebiet verteilt? Wie lässt sich die Leerstandsquote des Zensus 2011 mit anderen Maßzahlen für den Wohnungsleerstand vergleichen? Die folgende Analyse soll Antworten auf diese Fragen und Hilfe bei der Interpretation der Zahl der leer stehenden Wohnungen geben.

Die Gebäude- und Wohnungszählung wurde im Rahmen des Zensus 2011 als schriftliche Vollerhebung mit Auskunftspflicht bei den Eigentümern von Gebäuden und Wohnungen durchgeführt. Ein mehrstufiges Erinnerungs- und Mahnverfahren sorgte für eine hohe Rücklaufquote der Fragebogen.1 Gebäude, für die keine Informationen vorlagen, wurden von Erhebungsbeauftragten vor Ort erhoben. Bei diesen sogenannten Ersatzvornahmen wurden die Gebäude von außen begutachtet und wenige Merkmale (u. a. Baujahr, Anzahl der Wohnungen) durch Inaugenscheinnahme geschätzt. Mit Hilfe verschiedener maschineller Imputationsverfahren wurden anhand der erhobenen Angaben die fehlenden oder unplausiblen Merkmale der betroffenen Gebäude und Wohnungen ersetzt (vgl. Grunwald/Krause 2014). Tabelle 1 zeigt exemplarisch das Zahlengerüst der Ersatzvornahmen und Imputationen für Stuttgart. Demnach wurden in Stuttgart mehr als fünf Prozent der Gebäude mittels Ersatzvornahme erhoben und für fast sieben Prozent der Wohnungen wurden alle Fachdaten mittels Imputation errechnet.

Die Gebäude- und Wohnungszählung beschreibt den Zustand zum Stichtag 9. Mai 2011 und eignet sich dank bundesweit einheitlicher Erhebungsstandards für Querschnittvergleiche.

Um zeitliche Veränderungen mit Hilfe von Längsschnittanalysen abbilden zu können, bieten sich nur Vergleiche mit der letzten Gebäude- und Wohnungszählung an, obwohl der zeitliche Abstand relativ groß erscheint (1987 in der damaligen Bundesrepublik, 1995 in den neuen Bundesländern und Berlin, vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2014 S. 42ff.). Für andere Längsschnittuntersuchungen fehlen Vergleichszahlen, ebenso für die Fortschreibung der Daten zwischen den künftig im Abstand von zehn Jahren stattfindenden Volkszählungen.

Lucas Jacobi Dipl.-Verw. Wiss., Leiter des Sachgebiets Wohnen und Umwelt am Statistischen Amt der Landeshauptstadt Stuttgart : lucas.jacobi@stuttgart.de Schlüsselwörter: Leerstand – Wohnungsmarkt – Gebäude- und Wohnungszählung – Zensus – Stuttgart

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Nach der Definition des Zensus 2011 gilt eine Wohnung als leer stehend, wenn sie am Stichtag weder vermietet, noch von den Eigentümern selbst genutzt wird und auch keine Ferien- und Freizeitwohnung ist. Kann eine Wohnung wegen Umbau oder Modernisierung vorübergehend nicht genutzt werden, so gilt sie nur dann als leer stehend, wenn zum Stichtag kein Mietverhältnis besteht (vgl. Abbildung 1). In die Leerstandsquote des Zensus 2011 fließen nur Wohnungen in Wohngebäuden ohne Wohnheime ein, also nur Gebäude, die mindestens zur Hälfte der Fläche zu Wohnzwecken genutzt werden. Die Leer-

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standsquote wird berechnet als der Anteil leer stehender Wohnungen an allen bewohnten und leer stehenden Wohnungen:

Tabelle 1: Ersatzvornahmen und Imputationen von Gebäuden und Wohnungen bei der GWZ 2011 in Stuttgart

Abbildung 1: Frage nach der Art der Wohnungsnutzung und Definition von Leerstand im Fragebogen der GWZ 2011

geführt haben. In die gleiche Richtung könnte die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer gewirkt haben: Eigentümer von selbstgenutzten Nebenwohnungen, die ihrer Meldepflicht für die Nebenwohnung nicht nachkommen, zum Beispiel zur Umgehung der Zweitwohnungssteuer (in Stuttgart ca. 10% der jährlichen Nettokaltmiete), dürften im Fragebogen der GWZ angegeben haben, dass die Wohnung leer steht.

Andererseits könnte die Anzahl leer stehender Wohnungen auch unterschätzt worden sein: Aus Rückfragen während der Erhebung der GWZ ist bekannt, dass sich vor allem ältere Menschen an die Einquartierung von Flüchtlingen und Vertriebenen in Privathaushalten nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern können. Diese Erfahrung könnte dazu geführt haben, dass tatsächlicher Wohnungsleerstand im Fragebogen nicht angegeben wurde. Es ist allerdings zu beachten, dass die Befragungsergebnisse der GWZ bei der Aufbereitung der Daten und bei der Kombination mit den Bevölkerungsdaten im Rahmen der Haushaltegenerierung auf Plausibilität geprüft und gegebenenfalls korrigiert wurden. Das Gewicht der Faktoren, die eine Über- oder Unterschätzung der Leerstandsquote bewirkt haben könnten, dürfte sich also in Grenzen halten.

Neben der Leerstandsquote des Zensus 2011 gibt es drei weitere Quellen, die bundesweit flächendeckende Leerstandsquoten angeben. Ein Vergleich der Ergebnisse ist nicht ohne weiteres möglich, da sich die verschiedenen Leerstandsquoten sowohl in ihrer Definition als auch in der Art der Erhebung und der Bezugsgröße deutlich voneinander unterscheiden.

Eine aktuelle Publikation des Bundesinstituts für Bau-, Stadtund Raumforschung (BBSR 2014) gibt einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Leerstandsbegriffe und Erhebungsmethoden (vgl. Tabelle 2).

Tabelle 2: Datenquellen für bundesweit flächendeckende Leerstandsquoten

Die Definition des Wohnungsleerstandes im Zensus 2011 umfasst die Fluktuationsreserve, also denjenigen Teil des Leerstandes, dem normales Umzugsgeschehen und die Modernisierung von Wohnungen zugrunde liegt. Für einen funktionsfähigen Wohnungsmarkt wird eine Fluktuationsreserve von rund zwei bis drei Prozent als notwendig erachtet (vgl.

Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik 2005, S. 2f.).

Durch die Art der Erhebung (Befragung der Eigentümer) könnte die Anzahl der leer stehenden Wohnungen sowohl über- als auch unterschätzt worden sein. Hierfür gibt es mehrere Erklärungsansätze. Schwer quantifizierbar ist das Ausmaß der Fälle, in denen die auskunftspflichtigen Eigentümer bei vorübergehender Nichtnutzung einer Wohnung (z. B. wegen Mieterwechsel und den damit verbundenen Schönheitsreparaturen), diese – obwohl bereits ein Mietverhältnis mit dem Nachmieter bestand – fälschlicherweise und abweichend von der vorgegebenen Definition des Zensus als leer stehend eingestuft haben.2 Dies könnte zu einer Überschätzung des Leerstandes

Quelle: BBSR 2014

Die Leerstandsquote des Zensus kann Aussagen über alle Teilsegmente des Wohnungsmarktes treffen und ist zudem nicht nur auf Gemeindeebene, sondern prinzipiell auch kleinräumig verfügbar. Allerdings ist der Abstand bis zum nächsten Zensus mit zehn Jahren recht lang. Der CBRE-empirica-Leerstandsindex (CEL, bis 2009 Techem-empirica-Leerstandindex) bezieht zwar nur den marktaktiven Leerstand in Geschosswohnungen ein und gründet sich im Wesentlichen auf eine Stichprobe in Mehrfamilienhäusern von rund vier Prozent, ist dafür aller-

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dings jährlich verfügbar. Beide Maßzahlen weisen eine hohe Korrelation auf und eignen sich daher in Kombination für eine kontinuierliche Wohnungsmarktbeobachtung: Die zeitliche Entwicklung des Leerstandes kann über den CBRE-empiricaLeerstandsindex verfolgt werden, während mit den alle zehn Jahre vorliegenden Zensuszahlen qualifizierte Basiszahlen für die Berechnung des Leerstands erhoben werden und tiefergehende Analysen des Leerstands sowohl nach Teilsegmenten als auch kleinräumig möglich sind (BBSR 2014).

Leider wurde im Zensus 2011 die Chance nicht genutzt, Näheres zu Dauer und Grund für Leerstand zu erfragen.3 Trotz eindringlicher Interventionen der Kommunalen Spitzenverbände, der Interessenvertretung der Wohnungswirtschaft und der Wissenschaft fanden diese Fragen keinen Eingang in den Fragebogen der Gebäude- und Wohnungszählung.

Dabei sind unterschiedliche Arten von Wohnungsleerstand vor allem aus städtebaulicher, aber auch aus wohnungswirtschaftlicher Sicht getrennt zu bewerten. Wohnungsleerstand wird meist anhand von Ursache und Dauer klassifiziert. Neben fluktuationsbedingtem Leerstand (Umzüge, Modernisierung) wird in der Literatur zwischen marktbedingtem Leerstand (Angebot übersteigt Nachfrage) und bewusstem Leerstand (Eigentümerwechsel, Stilllegung, kein Interesse an Vermietung) unterschieden.4

zwar am 9. Mai 2011 (Stichtag) noch nicht bezogen waren, aber im Laufe des Jahres 2011 bewohnt wurden. Auch leer stehende Wohnungen mit einer – nach Datenlage – deutlich unterhalb des Standards liegenden Ausstattung („Substandardleerstand“) werden nicht in die Untersuchung einbezogen. Dabei handelt es sich um Wohnungen, die nicht über Heizung, Badewanne/Dusche oder Toilette mit Wasserspülung verfügen. Erwartungsgemäß ist die Leerstandsquote für die genannten Untergruppen überdurchschnittlich hoch (Abbildung 2).

Die Anzahl der in die Untersuchung einbezogenen leer stehenden Wohnungen reduziert sich damit von 11.291 auf 9.628, entsprechend sinkt die Leerstandsquote leicht von 3,7 auf 3,5 Prozent (Abbildung 3). Im Folgenden wird also mit einem um Neubauleerstand und Substandardleerstand „bereinigten“ Leerstandsbegriff gearbeitet.

Abbildung 3: Anzahl leer stehender Wohnungen und Leerstandsquote in Stuttgart 2011

Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf leer stehende Wohnungen in Wohngebäuden. Dabei handelt es sich um Gebäude, die mindestens zur Hälfte der Gesamtnutzfläche zu Wohnzwecken genutzt werden. Der Leerstand in sonstigen Gebäuden mit Wohnraum und in Wohnheimen bedarf aufgrund der unterschiedlichen Struktur dieser Gebäudearten einer gesonderten Untersuchung. Ausgeklammert wird zudem der Leerstand in Gebäuden mit Baujahr 2011 („Neubauleerstand“), da davon auszugehen ist, dass diese Wohnungen

Abbildung 2: Leerstandsquote und Anzahl leer stehender Wohnungen im Neubau- und Substandardbereich in Stuttgart 2011

Räumliche Verteilung der leer stehenden Wohnungen Leer stehende Wohnungen sind nicht gleichmäßig über das Stuttgarter Stadtgebiet verteilt: Tabelle 3 und Abbildung 4 sind die Werte für die 23 Stadtbezirke zu entnehmen. Danach verzeichnen Mühlhausen (2,5 %), Birkach (2,7 %) und Weilimdorf (2,8 %) den niedrigsten Anteil leer stehender Wohnungen, während in Untertürkheim, Sillenbuch, Botnang und Obertürkheim die Leerstandsquote am höchsten ist (je 4,2 %).

In den restlichen 16 Stadtbezirken bewegen sich die Werte zwischen drei und vier Prozent.

Die Darstellung der Leerstandsquote auf der Ebene der Stadtbezirke gibt einen ersten groben Anhaltspunkt über die räumliche Verteilung. Aufgrund der großen Heterogenität innerhalb der Stadtbezirke ist diese Darstellung allerdings wenig aussagekräftig. Die nächst kleinere räumliche Ebene, die Ebene der Stadtteile, macht dies deutlich: Zum Beispiel reichen innerhalb des Stadtbezirks Untertürkheim (4,2 %) die Werte der einzelnen Stadtteile von 2,3 bis 8,8 Prozent. Die Leerstandsquote für die 152 Stuttgarter Stadtteile ist Abbildung 5 zu entneh-

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men. Bei der Betrachtung fallen zunächst zwei Tendenzen auf: Höhere Leerstandsquoten finden sich sowohl in Gebieten mit höherem Anteil an institutionellen Vermietern als auch in Gebieten mit vielen Zwei- und Dreifamilienhäusern, wie in den eher gehobenen Wohnlagen der Stuttgarter Halbhöhen.

Regel ein ökonomisches oder soziales Interesse daran haben, ihre Wohnungen zu vermieten, ist davon auszugehen, dass Leerstand in Gebäuden dieser Eigentümer fast ausschließlich fluktuationsbedingt im Rahmen von Mieterwechseln oder Sanierungen vorkommt.

Der Stadtteil Hallschlag weist mit 7,2 Prozent eine relativ hohe Leerstandsquote auf. Dieser Stadtteil wurde 2006 in das BundLänder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die Soziale Stadt“ aufgenommen und durch die damit verbundene umfangreiche Bereitstellung von Fördermitteln wurde die Sanierung von Wohnraum finanziell besonders attraktiv, was einen vorübergehend höheren Leerstand zur Folge hatte. Hinzu kommt die besondere Eigentümerstruktur des Stadtteils und die vorherrschende Gebäudetypbauweise: 85 Prozent der Wohnungen sind im Eigentum von institutionellen Vermietern (vor allem kommunale und privatwirtschaftliche Wohnungsunternehmen) und 81 Prozent der Wohnungen im Stadtteil befinden sich in Reihenhäusern. Um komplette Reihenhäuserzeilen sanieren zu können, ist es üblich, dass alle Wohnungen der Häuserzeile entmietet werden. Dies würde einen erhöhten Leerstand erklären, sowohl in der Zeit, bis mit der Sanierung begonnen werden kann, als auch während der Sanierung. Für diese These spricht, dass 89 Prozent der leer stehenden Wohnungen im Stadtteil Hallschlag Reihenhäuser mit institutionellem Eigentümer sind. Auch andere Stadtteile mit hoher Leerstandsquote weisen einen hohen Anteil an institutionellen Eigentümern auf (zum Beispiel Pfaffenwald, Siegelberg, Heilbronner Straße). Da institutionelle Eigentümer in der

In anderen Stadtteilen kann die hohe Leerstandsquote mit der besonderen Gebäudestruktur in diesen Gebieten erklärt werden. Darunter befinden sich auch sogenannte Halbhöhenlagen, wie zum Beispiel die Stadtteile Bopser (5 %), Kräherwald (4,8 %) und Gänsheide (4,5 %) aber auch andere bevorzugte Lagen (Rotenberg, Botnang-West und An der Burg). In diesen Gebieten sind vermehrt Zwei- und Dreifamilienhäuser zu finden, die tendenziell einen höheren Leerstand aufweisen. So liegt die Zwei- und Dreifamilienhausquote in diesen Stadtteilen deutlich über dem städtischen Mittel von 29,7 Prozent (Bopser 36,6 %, Kräherwald 39,3 %, Gänsheide 37,7 %). Diese ersten Einschätzungen bedürfen allerdings weiterer Analysen.

Gebäudegröße Bei der Verteilung der leer stehenden Wohnungen nach der Gebäudegröße zeigen sich deutliche Unterschiede (Abbildung 6). So ist der Leerstand in Einfamilienhäusern mit 2,2 Prozent Abbildung 4: Leerstandsquote in den Stuttgarter Stadtbezirken 2011

Tabelle 3: Leerstandsquoten in den Stuttgarter Stadtbezirken 2011

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Abbildung 5: Leerstandsquote in den Stuttgarter Stadtteilen 2011

am niedrigsten, während in Gebäuden mit zwei Wohnungen 6 Prozent der Wohnungen leer stehen. Möglicherweise handelt es sich dabei vermehrt um Einliegerwohnungen. Dafür spricht, dass in mehr als zwei Drittel der Zweifamilienhäuser mit einer leer stehenden Wohnung der kleinere Teil der Wohnfläche leer steht. Auch in Gebäuden mit drei und vier Wohnungen stehen überdurchschnittlich viele Wohnungen leer (5,7 % und 4,3 %)5, wohingegen in größeren Gebäuden ab fünf Wohnungen die Leerstandsquote durchweg unterhalb des städtischen Durchschnitts liegt.

Wohnungsgröße Kleinere Wohnungen stehen häufiger leer als größere, sowohl nach der Anzahl der Räume (Abbildung 7) als auch nach der Wohnfläche (Abbildung 8). So stehen 6,2 Prozent der Einzimmerwohnungen leer, ebenso überdurchschnittlich ist der Leerstand bei Zwei- und Dreizimmerwohnungen (4,6 % bzw. 3,8 %).

Größere Wohnungen stehen hingegen deutlich seltener leer: Bei Wohnungen mit sechs Räumen beträgt die Leerstandsquote nur 1,8 Prozent, bei Wohnungen mit sieben und mehr Räumen 2 Prozent. Die Aufgliederung nach Wohnfläche ähnelt dieser Verteilung, da die Merkmale Wohnfläche und Anzahl der Räume stark korrelieren. Hier reicht die Spanne von 6,6 Prozent (Wohnungen mit weniger als 40 qm) stetig abnehmend bis zu 1,9 Prozent (Wohnungen mit 120 bis 159 qm). Für große Wohnungen mit 160 qm und mehr steigt der Wert wieder leicht an auf 2,1 Prozent. Eine höhere Leerstandsquote in kleineren Wohnungen könnte zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass Einliegerwohnungen häufiger leer stehen und diese eher über eine geringere Wohnfläche verfügen. Bei bewusstem Wohnungsleerstand könnte die höhere Leerstandsquote in kleineren Wohnungen auch durch die geringeren ökonomischen Einbußen des Eigentümers erklärt werden.

Abbildung 6: Leerstandsquote nach Anzahl der Wohnungen im Gebäude in Stuttgart 2011

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Abbildung 7: Leerstandsquote nach Wohnungsgröße (Anzahl der Räume) in Stuttgart 2011

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Abbildung 8: Leerstandsquote nach Wohnungsgröße (Wohnfläche) in Stuttgart 2011

Abbildung 9: Leerstandsquote nach Baujahr des Gebäudes in Stuttgart 2011

Baualter

über den Sanierungszustand der leer stehenden Wohnungen müssen diese Erklärungsansätze allerdings bloße Mutmaßungen bleiben (vgl. Mesecke/Schult 2014).

Bei der Betrachtung des Leerstands nach Baujahr des Gebäudes ist zu erkennen, dass die Leerstandsquote in älteren Gebäuden tendenziell höher ist als in neueren. So stehen nur 1,4 Prozent der nach dem Jahr 2000 gebauten Wohnungen leer, während die Leerstandsquote in Gebäuden, die vor 1950 gebaut wurden, für alle Baualtersjahrzehnte mindestens 4 Prozent beträgt (Abbildung 9). Trotz dieser erkennbaren Tendenz offenbart sich hier eine Schwachstelle der Datenquelle Zensus: Ausstattung und Sanierungsstand (energetisch, Sanitär, Fenster usw.) waren nicht Gegenstand der Befragung.

Kombiniert mit diesen fehlenden Informationen könnte das Jahr der Bezugsfertigstellung des Gebäudes noch eine deutlich höhere Aussagekraft haben. Zudem überrascht der geringe Leerstandswert für Wohnungen in Gebäuden aus den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts (3,8 %). Zwar liegt der Leerstand leicht über dem Durchschnitt, dennoch wäre zu erwarten, dass Wohnungen aus diesem Jahrzehnt, das für seine bauphysikalischen und bauchemischen Probleme bekannt ist, deutlich häufiger leer stehen.

Heizungsart In der Gebäude- und Wohnungszählung wurde nicht die Heizungsart einer einzelnen Wohnung erhoben, sondern die überwiegende Heizungsart eines Gebäudes (vgl. Abbildung Abbildung 10: Leerstandquote nach Heizungsart in Stuttgart 2011

Für Niedersachsen wurde herausgefunden, dass strukturelle Unterschiede zwischen bewohnten und leer stehenden Wohnungen in Großstädten weniger stark ausgeprägt sind als in Gemeinden mit weniger als 100.000 Einwohnern. Zum Beispiel sind ältere Baujahre in Großstädten verhältnismäßig weniger stark von Leerstand betroffen als in kleineren Gemeinden.

Möglicherweise führt ein größerer Wohnungsbedarf und höherer Nachfragedruck dazu, dass auch Wohnungen genutzt werden, die in anderen Gebieten keine Mieter finden. Nach einem anderen Erklärungsansatz könnten ältere Gebäude in Großstädten eher saniert sein, zum Beispiel auch durch die unterschiedliche staatliche Förderung von Sanierungsmaßnahmen in ländlichen und städtischen Gebieten. Ohne Daten

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10). Dies dürfte unweigerlich dann zu Unschärfen geführt haben, wenn unterschiedliche Heizungsarten in einem Gebäude anzutreffen sind. Zum Beispiel können in einem Dreifamilienhaus zwei Wohnungen mit einer modernen Gastherme als Etagenheizung ausgestattet sein, während die kleinere Wohnung im Dachgeschoss noch mit Einzelöfen ausgestattet ist. In diesem Fall läge für alle drei Wohnungen die Ausprägung „Etagenheizung“ vor. Leider wurde auch darauf verzichtet, den Energieträger (zum Beispiel Gas, Öl, Strom) abzufragen.

Aus den vorliegenden Daten ergibt sich, dass Wohnungen in Gebäuden mit überwiegend Einzel- oder Mehrraumöfen (auch Nachtspeicheröfen) überdurchschnittlich häufig leer stehen (5,6 %). Bei einem Vorherrschen dieser Heizungsart in einem Gebäude ist davon auszugehen, dass der Sanierungszustand des Gebäudes nicht dem aktuellen Stand der Technik entspricht, da im Rahmen einer Sanierung Einzelöfen normalerweise durch modernere Heizungssysteme ersetzt werden. Die niedrigste Leerstandsquote weisen Wohnungen in Gebäuden mit Blockheizung auf (2,6 %); diese Technik findet erst seit rund 20 Jahren in Privathaushalten Verbreitung.

Eigentümer Wem gehören die leer stehenden Wohnungen? Abbildung 11 sind die leer stehenden Wohnungen nach Eigentumsform des Gebäudes zu entnehmen. In Gebäuden, deren Eigentümer Privatpersonen sind (dazu zählen auch Erbengemeinschaften), stehen 4,2 Prozent der Wohnungen leer. Etwas höher (4,9 %) ist der Wohnungsleerstand in städtischen Gebäuden bzw.

Gebäuden von kommunalen Wohnungsunternehmen. Privatwirtschaftliche Wohnungsunternehmen haben mit 3,3 Prozent einen leicht unterdurchschnittlichen Leerstand, Wohnungen im Eigentum von Wohnungsgenossenschaften stehen mit 2,6 Prozent ebenso wie Eigentumswohnungen deutlich seltener leer als der Durchschnitt.

Abbildung 11: Leerstandsquote nach Eigentumsform in Stuttgart 2011

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Wohnungen im Eigentum von Bund oder Land (Leerstandsquote 10 %), privatwirtschaftlichen Unternehmen (6,3 %) und Organisationen ohne Erwerbszweck, wie zum Beispiel Kirchen (5,1 %) stehen häufiger leer als der Durchschnitt. Der Wohnungsbestand dieser Träger in Stuttgart ist mit 2,3 Prozent aller Wohnungen in Wohngebäuden allerdings marginal. Insgesamt stehen nur 420 Wohnungen der zuvor genannten Eigentümer leer, was einem Anteil von 4,4 Prozent aller leer stehenden Wohnungen in Stuttgart entspricht.

Auch für Gebäude mit Eigentumswohnungen wurden die Eigentümer der einzelnen Wohnungen erhoben und nach Art des Eigentümers klassifiziert. Über 94 Prozent dieser Wohnungen stehen im Eigentum von Privatpersonen. Bemerkenswert ist der Unterschied der Leerstandsquote zwischen Eigentumswohnungen von Privatpersonen und Wohnungen von Privatpersonen in nicht aufgeteilten Wohngebäuden: Mit 2,6 Prozent stehen Eigentumswohnungen deutlich seltener leer als Wohnungen in Gebäuden mit einem Eigentümer (4,2 %). Dieser Unterschied hängt allerdings mit der unterschiedlichen Gebäudestruktur zusammen.

Gebäude mit Eigentumswohnungen haben in der Regel mehr Wohneinheiten: Nur 29 Prozent der Gebäude mit Eigentumswohnungen haben weniger als 5 Wohnungen, während dieser Anteil für nicht aufgeteilte Wohngebäude bei 75 Prozent liegt.

Fazit Am 9. Mai 2011 standen in Stuttgart 11.291 Wohnungen leer.

Nach Abzug der leer stehenden Wohnungen in Nichtwohngebäuden, Wohnheimen und in im Jahr 2011 fertiggestellten Gebäuden sowie der leer stehende Wohnungen, die ganz offensichtlich nicht dem Standard entsprechen (keine Heizung, kein WC, kein Bad/Dusche), wurden 9628 leer stehende Wohnungen näher beleuchtet, was einer Leerstandsquote von 3,5 Prozent entspricht.

Die Betrachtung der Leerstandsquoten nach bestimmten Merkmalen des Gebäudes oder der Wohnung brachte zu Tage, dass kleinere Wohnungen und Wohnungen in älteren Gebäuden häufiger leer stehen. Besonders betroffen von Leerstand sind außerdem Wohnungen in Zwei- und Dreifamilienhäusern und Wohnungen in Gebäuden mit überwiegend Einzel- oder Mehrraumöfen. Merkmale wie Heizungsart oder Baujahr sind allerdings eher als Hilfskonstrukte anzusehen; dem Sanierungszustand einer Wohnung wird ein größerer Einfluss auf die Leerstandswahrscheinlichkeit zugemessen. Die untergemeindliche räumliche Verteilung der leer stehenden und der bewohnten Wohnungen unterscheidet sich nicht wesentlich.

So liegt die Leerstandsquote in Stadtteilen mit einem höheren Anteil an Zwei- und Dreifamilienhäusern höher als in Gebieten mit wenigen Zwei- und Dreifamilienhäusern. In dieser ersten Untersuchung konnten andere kleinräumige Einflussfaktoren nicht identifiziert werden. Die Eigentümer leer stehender Wohnungen sind in der Regel Privatpersonen. 7123 leer stehende Wohnungen und damit 74 Prozent des Leerstands stehen im Eigentum von Privatpersonen. Wohnungen institutioneller Eigentümer stehen etwas häufiger leer (Leerstandsquote: 3,9 %), allerdings bei relativ geringem Gebäudebestand.

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Der empirische Nachweis dieser Erkenntnisse auf Basis der Daten der Gebäude- und Wohnungszählung des Zensus 2011 kann zum einen helfen, Diskussionsbeiträge mit Grundlagendaten zu unterfüttern, zum anderen können Hypothesen formuliert werden, die mit Hilfe weitergehender Untersuchungen, zum Beispiel im Rahmen einer gesonderten Leerstandserhebung/-befragung geprüft werden können.6 Ohne zusätzliche Informationen (wie z. B. im Fall des erhöhten sanierungsbedingten Leerstands im Stadtteil Hallschlag) bieten die vorliegenden Daten keine Anhaltspunkte, aus welchem Grund und wie lange eine Wohnung leer steht. So kann nicht angegeben werden, welcher Teil des Leerstandes fluktuationsbedingt (Umzüge, Modernisierung), welcher Teil marktbedingt (Angebot übersteigt Nachfrage) und welcher Teil bewusst herbeigeführt ist oder in Kauf genommen wird (Eigentümerwechsel, Stilllegung, kein Interesse an Vermietung). Eine Einschätzung, wie groß das Aktivierungspotential leer stehender Wohnungen für den Wohnungsmarkt ist, muss daher zwangsläufig vage bleiben. Unter der Annahme einer für einen funktionierenden Wohnungsmarkt notwendigen Fluktuationsreserve von 2 bis 3 Prozent, stünden zwischen 1300 (bei 3 % Fluktuationsreserve) und 4100 (bei 2 % Fluktuationsreserve) Wohnungen entweder marktbedingt oder bewusst leer, was einer Quote von 0,5 bis 1,5 Prozent entspräche7. Diese Dimension erscheint plausibel, zumal es sich dabei hauptsächlich um kleinere Wohnungen in Zwei- und Dreifamilienhäusern (Einliegerwohnungen bzw. Dachwohnungen) und um Wohnungen, die nach einem Erbfall vorübergehend leer stehen, handeln könnte. In diese Richtung zielt auch eine Aktion des Stuttgart Oberbürgermeisters und des Haus- und Grundbesitzervereins Stuttgart: Ein Faltblatt mit Ansprechpartnern und dem Appell, ungenutzten Wohnraum dem Wohnungsmarkt zur Verfügung zu stellen, wurde im Januar 2014 zusammen mit dem Grundsteuerbescheid an alle Immobilienbesitzer geschickt.8

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In Nordrhein-Westfalen lag die Rücklaufquote bei knapp 94 Prozent (Mathejczyk/Paczulla 2014), in Rheinland-Pfalz sogar bei knapp 98 Prozent (Ruhnke/Reh 2013).

Es wird davon ausgegangen, dass auf einem angespannten Wohnungsmarkt wie er in Stuttgart zu beobachten ist, Mieterwechsel aus Vermietersicht in der Regel nahtlos vonstattengehen. Das heißt, dass eher Mieter mit doppelter Mietzahlung für alte und neue Wohnung belastet sind, als Eigentümer mit einem Mietausfall für einen oder wenige Monate. Dies dürfte auch für übliche Renovierungsarbeiten gelten.

Die Gebäude- und Wohnungszählung 1987 ergab für Stuttgart eine Leerstandsquote von 1,98 Prozent. Da auch die Dauer des Leerstandes abgefragt wurde, ist bekannt, dass 91,7 Prozent der leer stehenden Wohnungen bis zu drei Monate leer standen. vgl. Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik 2005 sowie BBSR 2014 In 57 Prozent der Dreifamilienhäuser mit einer leer stehenden Wohnung steht weniger als ein Drittel der Wohnfläche leer, was darauf hindeutet, dass es sich bei der leer stehenden Wohnung um die zumeist kleinere Wohnung im Dachgeschoss handelt.

Im Rahmen weitergehender Untersuchungen kann geprüft werden, inwieweit sich leer stehende Wohnungen in einzelnen Gebäuden oder Nachbarschaften häufen. Mit Hilfe von Regressionsmodellen kann der Einfluss der beschriebenen Faktoren geprüft werden. Auch der Frage, ob die Anwesenheit eines Eigentümerhaushaltes im Gebäude einen Einfluss auf die Leerstandswahrscheinlichkeit der anderen Wohnungen hat, kann nachgegangen werden. Zudem kann untersucht werden, ob die durchschnittliche Wohndauer der Bewohner eines Gebäudes mit der Leerstandswahrscheinlichkeit zusammenhängt. Explorativ kann zudem versucht werden, die Fluktuation kleinräumig und je Gebäudegröße zu schätzen und dadurch die Leerstandsquote rechnerisch um den fluktuationsbedingten Teil zu bereinigen.

Diese Werte beziehen sich auf die Gesamtzahl von 276.449 Wohnungen in Wohngebäuden (ohne Wohnheime) mit Heizung, Bad/Dusche und WC in Stuttgart. Im Jahr 2011 fertig gestellte Wohnungen, Ferien- und Freizeitwohnungen, gewerblich genutzte Wohnungen sowie Diplomatenwohnungen/Wohnungen ausländischer Streitkräfte wurden nicht einbezogen. Die Subtraktion einer angenommenen Fluktuationsreserve von 2 % (5.529 Wohnungen) beziehungsweise 3 % (8.293 Wohnungen) von der Zahl leer stehender Wohnungen (9.628) ergibt die angegebenen Werte.

Das Faltblatt ist online abrufbar unter www.stuttgart.de/leerstand-vermeiden

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Grunwald, Sven und Anja Krause: Umgang mit fehlenden Angaben in der Gebäude- und Wohnungszählung 2011. Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, August 2014.

Mathejczyk, Waldemar und Daniel Paczulla: Zur Durchführung der Gebäude- und Wohnungszählung in Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Zensus 2011. Statistische Analysen und Studien Nordrhein-Westfalen. Band 78.

IT.NRW 2014.

Mesecke, Fabian und Clemens Schult: Wohnungsleerstand in Niedersachsen - Erste

Ergebnisse der Gebäude- und Wohnungszählung 2011. Statistische Monatshefte Niedersachsen. 68. Jahrgang. Heft 3 März 2014.

Ruhnke, Sabine und Gerd Reh: Zensus 2011. Teil 1: Durchführung der Gebäude- und Wohnungszählung. In: Statistische Monatshefte Rheinland-Pfalz. 01/2013.

Statistische Ämter des Bundes und der Länder: Gebäude und Wohnungen in den neuen Bundesländern und Berlin-Ost. Vergleich der Ergebnisse der Gebäude- und Wohnungszählungen 2011 und 1995. April 2014.

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Statistik & Informationsmanagement Praxis

Stefanie Bröcker

Einsatz von Befragungssoftware in der Kommunalstatistik

Neben der Verarbeitung und Bereitstellung von Daten aus diversen primären bzw. sekundären statistischen Quellen wird auch die Befragung ein zunehmend wichtiges Instrument für die Kommunalstatistik. Sie ermöglicht die Erhebung von Informationen jenseits der herkömmlichen Registerdaten und kann das Datenangebot sinnvoll ergänzen. Für die erfolgreiche Umsetzung eines Befragungsprojektes ist eine geeignete Verarbeitungssoftware unabdingbar. Je nach Ausstattung übernimmt sie einen großen Teil der anfallenden Arbeit und hält den notwendigen Personalaufwand in Grenzen. Dies macht den Einsatz auch für kleinere Kommunen attraktiv.

Für die Initiierung des Magdeburger Bürgerpanels war das Amt für Statistik der Landeshauptstadt Magdeburg auf der Suche nach einer geeigneten Softwarelösung. Der Anspruch war hoch: das Produkt sollte den gesamten Befragungsprozess von der Erstellung des Fragebogens über die hybride Durchführung der Befragungen bis hin zum Rohdatenexport umfassen. Eine besondere Herausforderung stellte die Nutzung für Panelbefragungen dar. Die Ergebnisse mussten über die einzelnen Befragungswellen hinweg verknüpfbar sein und dabei die Anonymität der Befragten gewährleisten. Letztlich erhielt die Produktlösung Questor Pro der Berliner Firma Blubbsoft den Zuschlag und kam damit erstmals in einer kommunalen Statistikstelle zum Einsatz.1 Das Unternehmen Blubbsoft hatte zunächst seinen Fokus auf der Entwicklung von Evaluations- und Prüfungssoftware für Bildungseinrichtungen bis das Portfolio um den Bereich Befragungen ergänzt wurde. Questor Pro wird in der Magdeburger Statistik als Mehrplatzlizenz auf einem Server des städtischen IT-Dienstleisters eingesetzt. Befragungsprojekte werden einem Teilbereich zugeordnet und können von verschiedenen Nutzern bearbeitet werden. Die Nutzerrechte können abgestuft werden.

Ein neues Befragungsprojekt beginnt mit der Festlegung des Befragungsmodus (eine oder mehrere Wellen, ein Fragebogen oder unterschiedliche Fragebögen) und der Befragtenart (anonym, mit Pseudonymen oder bekannt; vgl. Abbildung 1). Für das Magdeburger Bürgerpanel wird die Variante mit Pseudonymen genutzt. Sie ermöglicht die Verkettung der Ergebnisse der einzelnen Wellen, trennt jedoch die Befragungsergebnisse von den personenbezogenen Daten der Teilnehmer.

Stefanie Bröcker M. A. Leiterin der Abteilung Stadtgebiet und Bevölkerung im Amt für Statistik (Wahlamt) der Landeshauptstadt Magdeburg, : Stefanie.Broecker@stat.magdeburg.de Schlüsselwörter: Befragungen – Software – Panel – Datenerfassung – Magdeburg

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Im nächsten Schritt kann bereits mit der Erstellung des Fragebogens begonnen werden. Hier steht eine Vielzahl von Fragenarten zur Verfügung, die sowohl für einen Papierfragebogen als auch für eine Online-Befragung anwendbar sind. Damit sind auch hybride Befragungen problemlos umsetzbar (vgl.

Abbildung 2).

Hat eine Befragung begonnen, werden die Rückläufe ebenfalls mithilfe des Programms verarbeitet. Ergebnisse von OnlineBefragungen werden direkt gespeichert. Papierfragebögen werden zunächst eingescannt, zur Bearbeitung in das Pro-

Statistik & Informationsmanagement Praxis

Abbildung 1: Ansicht des Hauptmen端s von QuestorPro

Abbildung 2: Untermen端 zur Erstellung und Bearbeitung der Fragen

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Statistik & Informationsmanagement Praxis

Abbildung 3: Sichtkorrektur innerhalb des Programms

gramm geladen und schließlich erfasst. Damit befinden sich die Ergebnisse hybrider Befragungen in einer Datenbank und müssen nicht nachträglich zusammengeführt werden.

Eine große Zeitersparnis liegt in der systemimmanenten Sichtkorrektur. Wird ein eingescannter Papierfragebogen als problematisch eingestuft – etwa weil mehr Antwortoptionen als erlaubt angekreuzt wurden – wird er in der Sichtkorrektur zur manuellen Bearbeitung angezeigt. Die Verarbeitung von Zahlenwertfragen erfolgt ebenfalls automatisiert, unterstützt durch die Sichtkorrektur (vgl. Abbildung 3). Lediglich bei der Verwendung offener Fragen kommt man auch bei QuestorPro nicht umhin, handschriftliche Eintragungen manuell durch einen oder mehrere Mitarbeiter einarbeiten zu lassen. Dieses Manko ist jedoch zu verschmerzen, da im Normalfall weitestgehend geschlossene Fragenarten zum Einsatz kommen.

Ist eine Befragung beendet und alle Fragebögen sind erfasst, können die Rohdaten zur weiteren Verarbeitung und statistischen Analyse exportiert werden. Aber auch innerhalb des

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Programms können grundlegende Ergebnisse grafisch dargestellt werden. Einigen Nutzern reicht dieses Format völlig aus, sodass seitens des Amtes für Statistik nicht für jede durchgeführte Befragung eine weiterführende statistische Analyse durchgeführt werden muss.

Mithilfe der vorgestellten Produktlösung, insbesondere der weitestgehend automatisierten Datenerfassung, kann das Amt für Statistik Befragungsprojekte einfach und zügig umsetzen.

Dieses Angebot wird auch den anderen Ämtern und Fachbereichen der Stadtverwaltung vermittelt und immer häufiger genutzt. Das trägt nicht zuletzt dem Dienstleistungsverständnis der Magdeburger Kommunalstatistik und der entsprechenden Wahrnehmung innerhalb der Verwaltung Rechnung.

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Inzwischen ist das Produkt auch schon in einigen anderen Städten im Einsatz, wie z. B. in der Landeshauptstadt Potsdam.

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Katja Baum und Ramona Voshage

Mikrodaten im Statistischen Informationssystem Berlin-Brandenburg

Das Statistische Informationssystem Berlin-Brandenburg (StatIS) bietet einen interaktiven Zugang zu ausgewählten Mikrodaten des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg. Es ermöglicht individuelle tabellarische Auswertungen mit fachlich und regional tief gegliederten Daten für die Länder Berlin und Brandenburg.

Unterschiedliche Statistiken mit einer Vielzahl von frei miteinander kombinierbaren Merkmalen stehen in StatIS zur Verfügung.

Erstellte Tabellen können durch die Exportfunktion in gängige Datenformate, wie z.B. Excel, umgewandelt und weiterverarbeitet werden.

Katja Baum Wissenschaftliche Mitarbeiterin Referat 55 „Mikrodaten, Analysen, Forschungsdatenzentrum, Amt für Statistik BerlinBrandenburg : katja.baum@statistik-bbb.de Ramona Voshage Referatsleiterin Referat 55 „Mikrodaten, Analysen, Forschungsdatenzentrum“, Amt für Statistik Berlin-Brandenburg : ramona.voshage@statistik-bbb.de Themenschwerpunkte: StatIS – Geheimhaltung – Mikrodaten – dynamische Tabellen – amtliche Statistik

Das Statistische Informationssystem Berlin-Brandenburg (StatIS) bietet einen interaktiven Zugang zu ausgewählten Mikrodaten des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg. Es ermöglicht individuelle tabellarische Auswertungen mit fachlich und regional tief gegliederten Daten für die Länder Berlin und Brandenburg. Unterschiedliche Statistiken mit einer Vielzahl von frei miteinander kombinierbaren Merkmalen stehen in StatIS zur Verfügung. Erstellte Tabellen können durch die Exportfunktion in gängige Datenformate, wie z.B. Excel, umgewandelt und weiterverarbeitet werden.

In der Datenbank, die unter www.statistik-berlin-brandenburg. de/statis aufgerufen werden kann, stehen Mikrodaten zu unterschiedlichen Sachgebieten – über Bevölkerung und öffentliche Sozialleistungen bis hin zum Zensus 2011 – für Berlin und Brandenburg zur eigenen Auswertung bereit. StatIS bietet die veröffentlichten Daten so kleinräumig wie möglich an, um das Analysepotenzial zu erhöhen. Aufgrund von Erhebungsdesign, sowie von Geheimhaltungsaspekten können jedoch nicht alle Statistiken in derselben regionalen Tiefe dargestellt werden.

Das Einwohnerregister in Berlin kann beispielsweise bis auf die kleinste räumliche Einheit der Lebensweltlich orientierten Ebenen – die Planungsraumregionen – ausgewertet werden.

Im Gegensatz dazu werden die bisher in StatIS veröffentlichten Bildungsstatistiken (Berufsbildungsstatistik, Studentenstatistik) für Berlin und Brandenburg auf Landesebene angeboten.

Ein weiteres Ziel von StatIS ist es, den Aufbau von Zeitreihen innerhalb einer Statistik zu vereinfachen. Daher sind für alle verfügbaren Statistiken mehrere Berichtsjahre in StatIS eingepflegt. Durch methodische Änderungen innerhalb einer Statistik können Merkmale oder Ausprägungen dieser nicht konsistent im Zeitverlauf dargestellt werden. Daher ist es nicht möglich, alle Statistiken für denselben Zeitraum in StatIS zur Verfügung zu stellen. Alle Statistiken werden jedoch immer um das aktuelle Berichtsjahr erweitert, sodass der aktuelle Rand jeder Statistik zur Auswertung bereitsteht.

Aufbau und Funktionsweise von StatIS Für jede Statistik gibt es einen Merkmalsbaum, welcher die zur Auswertung zur Verfügung stehenden Merkmale und deren Ausprägungen übersichtlich aufzeigt (vgl. Abbildung 1).

StatIS-Nutzer/-innen können Merkmale und deren Ausprägungen durch wenige Klicks einer Tabelle hinzufügen oder sie

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Statistik & Informationsmanagement Praxis

entfernen. Mithilfe dieser flexiblen Merkmalsauswahl werden ganz gezielt die benötigten Informationen aus StatIS herausgearbeitet, die nicht in veröffentlichten Basisdaten (z. B. Statistischen Berichten) enthalten sind. Die Bedienfelder ermöglichen es den Nutzer/-innen, die Position der Merkmale bzw. deren Ausprägungen selbst zu bestimmen (vgl. Abbildung 2). Über die Exportfunktion können StatIS-Tabellen in gängige Dateiformate (z. B. Excel) umgewandelt werden. Somit ist eine effektive Weiterverarbeitung der Daten gewährleistet.

Neben der individuellen Datenrecherche bietet StatIS den weiteren Vorteil, Zeitreihen übersichtlich darzustellen. Zeitaufwendiges Zusammenstellen der Daten aus unterschiedlichen Jahresveröffentlichungen entfällt.

Eine kostenlose Registrierung als StatIS-Nutzer/-innen bietet darüber hinaus die Möglichkeit, die erstellten Tabellen direkt in StatIS abzuspeichern und jederzeit wieder aufzurufen. Sie können so um weitere Variablen oder um das aktuelle Berichtsjahr erweitert werden.

Abbildung 1: Merkmalsbaum (Einwohnerregister)

Abbildung 2: Bedienfelder in StatIS Metadaten, beschreibende Informationen zu der Statistik bzw. zu deren Merkmalen, werden in StatIS in Form von sogenannten Info-i‘s angeboten. Dabei wird zwischen dem globalen Info-i und den merkmalsspezifischen Info-i‘s unterschieden.

Das globale Info-i enthält allgemeine Informationen der jeweiligen Statistik, z. B. die Erhebungsmethodik oder Hinweise zur erfolgten Geheimhaltung. Die merkmalsspezifischen Info-i‘s sind an bestimmten Merkmalen bzw. an Ausprägungen dieser zu finden und geben nähere Erklärungen zu den Variablen bzw. Ausprägungen (vgl. Abbildung 3).

Geheimhaltung wird gewährleistet Da es in StatIS keine Einschränkungen bezüglich der Merkmalauswahl gibt, nimmt die Geheimhaltung eine zentrale Rolle ein. Die erstellten mehrdimensionalen Tabellen können mitunter fachlich und regional sehr tief gegliedert sein, was das Enthüllungsrisiko erhöht. Die dynamische Tabellierung der angebotenen Merkmale ist nur möglich, da die Mikrodaten vor deren Veröffentlichung in StatIS durch pre-tabulare Methoden anonymisiert werden. Je nach Statistik werden dabei verschiedene Geheimhaltungsmethoden angewendet: Während die Daten des Einwohnerregisters oder die des Zensus 2011 (Gießing et al. 2014) mit dem datenverändernden Verfahren SAFE geheim gehalten werden, erfolgt die Anony-

Abbildung 3: merkmalsspezifische Info-i‘s (Merkmal Region und dessen Ausprägungen) beim Einwohnerregister Berlin

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misierung in anderen Statistiken z. B. durch Vergröberungen (Höhne 2010). Hierfür werden Ausprägungen zu bestimmten Kategorien zusammengefasst (vgl. Abbildung 4). Dieses Vorgehen verhindert die eindeutige Identifikation von Personen oder Betrieben/Unternehmen.

In manchen Fällen muss, um eine Re-identifikation von Merkmalsträgern zu verhindern, auf die Veröffentlichung von bestimmten Merkmalen verzichtet werden. Demnach ist auch bei StatIS der Zusammenhang zwischen einer starken Anonymisierung und einer damit einhergehenden Verringerung des Informationspotenzials zu beobachten (Bömermann u. Lohauß 2012). Durch die pre-tabulare Geheimhaltung der Mikrodaten ist eine aufwändige Geheimhaltungsprüfung nach der Erstellung der Tabelle (post-tabular) nicht mehr notwendig.

Abbildung 4: Vergröberung des Merkmals Anzahl der Beschäftigten zu Beschäftigtengrößenklassen (Unternehmensregister – Unternehmen)

Der Service von StatIS richtet sich vor allem an die ersten beiden Nutzergruppen. Daten des AfS werden für die Öffentlichkeit klassischerweise in Form von statischen Tabellen angeboten. Diese sind inhaltlich gegliedert und bieten eine bestimmte Sicht auf Rohdaten. Das Informationspotenzial dieser Art der Veröffentlichung ist dadurch sehr eingeschränkt und festgelegt. StatIS ermöglicht einen Nachbau der veröffentlichten Tabellen. Um tiefergehende regionale oder fachliche Informationen zu erhalten, können diese Tabellen in StatIS zusätzlich mit neuen Merkmalen bzw. weiteren Berichtsjahren oder anderen regionalen Ebenen erweitert werden.

Gleichzeitig ist StatIS an Expertennutzer/-innen gerichtet, die beispielsweise bisher Sonderauswertungen beim AfS in Auftrag gegeben haben. Diese nutzerspezifischen, komplexen Abfragen können die Nutzer/-innen nun selbst mit StatIS erstellen. Bei dieser Art der Verwendung wird jedoch statistikspezifisches Wissen der Expertennutzer/-innen vorausgesetzt, damit eine korrekte Datenabfrage zusammengestellt werden kann.

Beständiger Ausbau von StatIS

StatIS als bedeutsame Informationsquelle für unterschiedliche Nutzergruppen Generell können bei der Nutzung von amtlichen Daten mindestens vier Nutzergruppen unterschieden werden (Bömermann u. Lohauß 2012): - Bürger/-innen als breite Öffentlichkeit, - Expertennutzer/-innen, - Open Data und - wissenschaftliche Forschung.

Der Ausbau von StatIS wird derzeit durch zwei Maßnahmen vorangetrieben: die bereits veröffentlichten Statistiken werden um neue Berichtsjahre erweitert und neue Statistiken werden in StatIS eingepflegt. Die Daten in StatIS möglichst aktuell zur Verfügung zu stellen hat oberste Priorität. Um eine neue Statistik in StatIS einzubringen, sind zahlreiche Schritte notwendig, von der Datenaufbereitung über die Wahl von geeigneten Geheimhaltungsverfahren bis hin zu letzten Korrekturen in den Info-i’s und im Merkmalsbaum. Dieser Prozess ist zeitintensiv aber notwendig, um die hohe Qualität und die Nutzerfreundlichkeit zu gewährleisten. In Zukunft sollen nicht nur die Datenbestände in StatIS aktualisiert und erweitert werden. Es wird außerdem angestrebt, die Bedienerfreundlichkeit des Systems weiter zu erhöhen. Grundlage dieser Verbesserungen sind Anregungen und Hinweise, die beispielsweise auf Nutzerschulungen gegeben wurden.

Literatur Bömermann, Hartmut; Lohauß, Dr. Peter (2012): Die amtliche Statistik in digitalen Informationsdiensten. In: Zeitschrift für amtliche Statistik Berlin-Brandenburg, 4/2012, S. 28-30.

Gießing, Sarah; Heinzl, Dr. Felix; Kleber, Birgit; Wilke, Achim (2014): Geheimhaltung beim Zensus 2011. In: Wirtschaft und Statistik, November 2014, S. 641-647.

Höhne, Jörg (2010): Verfahren zur Anonymisierung von Einzeldaten. In: Statistik und Wissenschaft, Band 16, 2010.

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Historie

Rudolf Schulmeyer

100. Ausgabe des Statistischen Jahrbuchs Deutscher Gemeinden1

Als im Jahr 1890 das „Statistische Jahrbuch Deutscher Städte“ – wie es damals hieß – erschien, war das eine Pionierleistung der Städte und ihrer kommunalen Statistik. 35 von 44 Städten ab 50.000 Einwohnern haben sich an der Datensammlung beteiligt.

Die 17 Kapitel wurden arbeitsteilig von 10 städtestatistischen Ämtern (bzw. deren Leitern) bearbeitet und beschrieben. Bereits in der ersten Ausgabe reichte der Umfang vom Stadtgebiet über die Bevölkerung (Stand, Struktur und Bewegung), Bauen und Wohnen, Wirtschaft (Gewerbe, Sparkassen, Leihhäuser) und Verkehr, Bildung und Soziales (Unterrichtswesen, Armen- und Krankenpflege), städtische Infrastruktur (Beleuchtungswesen, Wasserversorgung und Kanalisation, Parkanlagen) und Straßenreinigung, öffentliche Ordnung (Polizei und Rechtspflege, Feuerlöschwesen) bis zur Organisation der städtischen Verwaltung.

Dazu haben die Verfasser umfangreiche Fragebögen entwickelt und untereinander abgestimmt. Die Ergebnisse wurden nicht nur als Zahlenwerk zusammengestellt, sondern in ausführlichen Textbeiträgen analysiert. In den nächsten Ausgaben wurden die Themen erweitert und so das Bild über die damalige Städtelandschaft immer facettenreicher.

Rudolf Schulmeyer ehem. Vorsitzender des Verbandes Deutscher Städtestatistiker, Köln : RSchulmeyer@t-online.de Schlüsselwörter: Statistik – Jahrbuch – Deutscher Städtetag – Verband Deutscher Städtestatistiker – Geschichte

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Geringfügig geänderte Fassung eines zunächst im 100. Statistischen Jahrbuchs Deutscher Gemeinden 2014 veröffentlichten Textes.

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Meilensteine – Zum 50. Jahrgang, und…

Das Statistische Jahrbuch deutscher Gemeinden wurde über die Jahrzehnte ein wichtiger Bestandteil der Informationslandschaft. „Es veranschaulicht wie kaum eine lehrbuchartige Darstellung die Vielseitigkeit des Wirkens der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland. […] Es gibt zugleich ein Bild vom Verwaltungs- und Arbeitsstil der einzelnen Epochen der letzten siebzig Jahre. Statistik lehrt hier lebendige Geschichte.

Immer wieder neue Verwaltungsgebiete werden erschlossen, zuerst sogar über den kommunalen Verwaltungsbereich hinaus. Je weiter die Jahrgänge fortschreiten, umso deutlicher wird die Anpassung an die jeweiligen Bedürfnisse; so vermögen spätere Generationen leicht zu erkennen, welches die besonderen gemeindlichen Zeitprobleme bestimmter Jahre von der Jahrhundertwende bis heute waren.“ So beschrieb 1962 der Kölner Staatsrechtler Hans Peters zum 50. Jahrgang den Wert des Jahrbuchs (Peters 1962, S. IX).

…hundertjähriges Jubiläum Heute sind wir mit dem 100. Jahrgang in 2014 angekommen.

Insoweit ist der Wunsch von Peters Realität geworden, dass das Jahrbuch noch auf lange Zeit das allgemein anerkannte Bedürfnis von Wissenschaft und Praxis nach städtevergleichenden Daten erfüllt hat. Was im Jahr 1962 nicht absehbar war, war die rasante Entwicklung der Informationstechnologie innerhalb nur einer Generation zwischen den 1980er Jahren und heute. Noch 1990 schrieb Jochen Dieckmann, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städtetages, im Vorwort zum hundertjährigen Bestehen über den Informationsnutzen des Jahrbuchs: „An der Zielsetzung des Statistischen Jahrbuchs hat sich in den vergangenen 100 Jahren […] nichts geändert. In der 100jährigen Geschichte des 1890 begonnenen Werkes ist […] den wechselnden Informationserfordernissen laufend Rechnung getragen worden. So werden auch in Zukunft die wissenschaftlichen und praktischen Bedürfnisse der Städte und Gemeinden über den Inhalt der weiteren Jahrgänge entscheiden. Es wird das Bestreben des Herausgebers des Statistischen Jahrbuchs Deutscher Gemeinden sein, denjenigen Nutzern, die bei ihrer täglichen Arbeit verlässliche Informationen benötigen, das erforderliche Datenmaterial bereitzustellen.“

Historie

Das Jahrbuch im Spannungsfeld der jüngeren Verwaltungsreformen…

In den 1990er und den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende waren die gesellschaftliche Entwicklung und damit auch die kommunalen Rahmenbedingungen in einem tiefgreifenden Umbruch. Die Globalisierung der Weltwirtschaft nach dem Zerfall der Sowjetunion, die Kosten der deutschen Einheit und der auch medial allgegenwärtige Neoliberalismus prägten immer mehr Leben und Handeln in den Städten und Gemeinden. Positiv ist die Entwicklung der traditionell bürokratisch geprägten Kommunalverwaltungen zum bürgerorientierten, kostenbewussten und effizienten Dienstleistungsunternehmen zu werten. Wichtige Instrumente waren die Dezentralisierung der Verwaltung und die Bündelung von Fach- und Ressourcenverantwortung. Das ging mit neuen Formen der Steuerung und dem der Privatwirtschaft entlehnten Controlling, später einer Umstellung auf die Prinzipien der privatwirtschaftlichen Rechnungslegung einher. Man versprach sich eine höhere Leistungsbereitschaft und Motivation der Beschäftigten, ein höheres Kostenbewusstsein und verbesserte Prozesse der Leistungserstellung durch das Zusammenspiel von Bürgernähe, Kostentransparenz und Kenntnis von Wirkungszusammenhängen. Der Schwung dieser neuen Verwaltungsphilosophie wurde aber rasch belastet durch immer neue Sparzwänge und -wellen. Es entstand der Eindruck, dass es allein um Mangelverwaltung geht, die vor allem den Abbau von Personal und Arbeitsverdichtung zum Ziel hatte.

Diese Entwicklung blieb nicht ohne Auswirkungen auf das Statistische Jahrbuch Deutscher Gemeinden. Bei den aufgabenkritischen Betrachtungen in den Städten verlieren die für die Städtegemeinschaft notwendigen Dienstleistungen an Gewicht. Der allgemeine Sparzwang hat eine Konzentration auf das stadtbezogene Kerngeschäft erzwungen.

…und rasanter Entwicklung der Kommunikationstechnologie Es wurde schwieriger, das Jahrbuch arbeitsteilig zu erstellen.

Immer mehr Arbeit konzentriert sich bei der Statistischen Abteilung des Deutschen Städtetags. Die Kooperationsprojekte der Städtestatistik konzentrieren sich inzwischen verstärkt auf den KOSIS-Verbund (Verbund Kommunales Statistisches Informationssystem). Diese Selbsthilfeeinrichtung der Städte wurde 1982 mit Unterstützung des Deutschen Städtetages gegründet. Inzwischen gehören dem Verbund mehr als 200 Kommunen und andere öffentliche Institutionen an. Sie organisieren in Arbeitsgemeinschaften die kooperative Entwicklung und Pflege von DV-Instrumenten des Statistischen Informationssystems, interkommunal abgestimmte Datensammlungen und auf die Kommunalstatistik bezogene Gemeinschaftsprojekte (vgl. Schulmeyer u. Trutzel 2004).

Nicht nur hier, z. B. bei der KOSIS-Gemeinschaft Urban Audit, die in enger Zusammenarbeit mit den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder und unterstützt durch das Netz-

werk Stadt- und Regionalstatistik den deutschen Beitrag zur europäischen städtevergleichen Datenbasis bei Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union, leistet, sind wichtige neue Datensammlungen entstanden und inzwischen etabliert. In dem Netzwerk Stadt- und Regionalstatistik treffen sich regelmäßig Vertreterinnen und Vertreter des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, der Bundesagentur für Arbeit, des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, des Deutschen Städtetags sowie von VDSt und KOSIS-Verbund als ideelle Arbeitsgemeinschaft, die sich den Ausbau und die Harmonisierung der amtlichen Regionaldatenbasis zum Ziel gesetzt hat: Die Zusammenarbeit im Netzwerk soll statistische Daten für Regionen, Kreise und Gemeinden, für Städte und deren Stadtteile verfügbar machen, die verschiedenen Ebenen raumbezogener Statistiken aufeinander abstimmen und so vergleichende Stadt- und Regionalstatistik fördern. Seit November 2013 ist auch die Deutsche Statistische Gesellschaft mit dem Vorsitzenden des Ausschusses Regionalstatistik im Netzwerk vertreten. Die Geschäftsführung und Moderation wird vom BBSR wahrgenommen.

Das BBSR stellt selbst seit 1998 Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung (INKAR), neuerdings auf DVD, zur interaktiven Nutzung bereit. Die aktuelle Ausgabe (2013) enthält regionalstatistische Informationen zu gesellschaftlich wichtigen Themen wie Bildung, Soziales, Demografie, Gesundheit, Wirtschaft; Wohnen und Umwelt. Die mehr als 600 Indikatoren beruhen weitgehend auf den Daten der amtlichen Statistik des Bundes und der Länder. Räumliche Bezugsebenen für Deutschland sind administrative (Länder, Kreise, Gemeindeverbände) und nicht-administrative (Raumordnungsregionen, IHK-Bezirke, Siedlungsstrukturtypen) Einheiten. Die Plattform Raumbeobachtung.de ergänzt das regionale Datenangebot des BBSR als räumliches Informationssystem im Internet (www. bbsr.bund.de, www.raumbeobachtung.de).

Die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder betreiben mit der „Regionaldatenbank Deutschland“ eine Plattform, die insbesondere Kreis-, Städte- und Gemeindedaten enthält.

Die Gemeindeergebnisse befinden sich im schrittweisen Aufund Ausbau. Der Tabellenabruf aus der Regionaldatenbank Deutschland erfolgt unentgeltlich und kann variabel an den individuellen Bedarf angepasst werden. Die Ergebnisse lassen sich in verschiedenen Formaten abspeichern. Zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten stehen registrierten Nutzern kostenfrei zur Verfügung. Für die Regionalstatistik ist im Verbund der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder das Bayerische Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung verantwortlich.

Dort finden sich im Internetauftritt umfassende Erläuterungen und Informationen zur Regionalstatistik (www.statistik.bayern. de, www.regionalstatistik.de).

Die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie hat das Informationsangebot und seine Nutzung immer stärker ins Internet verlagert und Tabellenbände wie das Statistische Jahrbuch als Printmedium in den Hintergrund gedrängt.

Der Informationsbedarf und die Nutzung statistischer Informationen sind zugleich rasant gewachsen.

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Historie

Das Statistische Jahrbuch als Antwort auf den Bedarf an städtevergleichender Information Ähnlich muss die Zeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts empfunden worden sein. Vor dem Hintergrund einer rasch fortschreitenden Industrialisierung und deren sozialen Folgen entfaltete sich eine extensive und kreative statistische Tätigkeit. Informationen über die Entwicklung der Bevölkerung, der Erwerbstätigkeit, der Landwirtschaft, des Gewerbes und des Handels, der Preise und Löhne, der sozialen Verhältnisse usw. wurden immer wichtiger und begehrter.

Es entstand eine statistische Infrastruktur, die für die politische und wirtschaftliche Entwicklung genau so wichtig war wie die Verkehrs- oder die Energieversorgungs-Infrastruktur (Grohmann 2004).

Auch in den größeren Städten wuchs der Bedarf nach statistischen Daten – insbesondere mit innerstädtischem Bezug – sprunghaft an. „Es genügte nicht mehr, statistische Aufzeichnungen in einzelnen Verwaltungsressorts […] durchzuführen.

Man sah die Notwendigkeit einer sogenannten „ausgelösten“ Statistik, die für alle Bereiche der kommunalen Arbeit Daten zusammentragen und zu Informationen für Dezernenten und die Verwaltungsspitze bereitstellen sollte. Die schon vorliegenden Zahlen aus den Fachämtern sowie aus der Landesstatistik konnten den kommunalen Datenbedarf nicht umfassend und vor allem nicht zeitnah erfüllen“ (Hruschka 2004).

Die ersten städtestatistischen Ämter entstanden ab 1861 mit Bremen, Berlin (1862), Frankfurt am Main (1865), Hamburg (1866) und Leipzig (1867). Weitere Städte folgten rasch diesem Vorbild. Ab 1879 trafen sich die Leiter der damals zwölf städtestatistischen Ämter zur „Conferenz der Directoren der statistischen Bureaux deutscher Städte“. Wichtigstes Anliegen war es „gleichförmige Erhebungen durchzuführen und vergleichbare Ergebnisse zu gewinnen“. Es war die Grundsteinlegung für eine dauerhafte interkommunale Zusammenarbeit, die bis heute anhält. Schon auf der zweiten Tagung 1885 in Dresden hielt Neefe ein Plädoyer für das Statistische Jahrbuch Deutscher Städte. „Wir würden uns durch die Veröffentlichung eines solchen Jahrbuchs viel Arbeit ersparen und uns zur Geltung bringen. Das Jahrbuch würde nicht geringeres Interesse haben als das Jahrbuch des kaiserlichen Statistischen Amtes und würde auch auf andere noch zurückstehende Städte einen Reiz zur Schaffung einer communalen Statistik ausüben.

Vor Allem würden wir auch selbst Freude an der gemeinsamen Arbeit haben.“ (Protokoll über die „Zweite Conferenz der Deutschen Gemeinde-Statistiker“ am 14. und 15 Juni 1885 in Dresden, S. 10). Professor Dr. Moritz Neefe, der Leiter des Breslauer städtestatistischen Amtes, wurde zur treibenden Kraft und schließlich der erste Herausgeber des Statistischen Jahrbuchs deutscher Städte.

1911 gab es bereits 44 Städte mit einem eigenständigen statistischen Amt. Sie repräsentierten mehr als 20 Prozent der damaligen Reichsbevölkerung. Am Statistischen Jahrbuch Deutscher Städte beteiligten sich inzwischen 82 von 86 Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern nach der Volkszählung vom Dezember 1905. Es erfüllte nachhaltig „das Bedürfnis

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nach fortlaufenden, vergleichenden Nachrichten über das wirtschaftliche und sociale Leben sowie über die verwaltungsmässigen Zustände der grösseren Städte, welche mit jedem Tage mehr in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses treten …“, wie Neefe im Vorwort der ersten Ausgabe schrieb.

1916 erschien als 21. Ausgabe der letzte Band im Kaiserreich.

Er umfasste 33 Kapitel und 92 Berichtsstädte. Danach begann eine wechselvolle weitere Geschichte.

Nach dem ersten Weltkrieg Zur Geschichte des Statistischen Jahrbuchs Deutscher Gemeinden hat Kurt Buhrow, Referent im Deutschen Städtetag, 1950 einen bemerkenswerten Aufsatz verfasst. Er würdigt die Pionierleistung der ersten Jahre, stellt die Jahrbuchinhalte und deren Entwicklung in den gesellschaftlichen Kontext und beschreibt die Zeit bis 1950. Veröffentlicht ist der Beitrag in dem Themenbuch „Städtestatistik in Verwaltung und Wissenschaft“ zur 50. Hauptversammlung des Verbands Deutscher Städtestatistiker 1950 in Berlin (Buhrow 1950).

Der Verband Deutscher Städtestatistiker (VDSt) kam ins Spiel, weil inzwischen die „Conferenz der Directoren der statistischen Bureaux deutscher Städte“ in den VDSt übergegangen war und dieser 1927 mit finanzieller Unterstützung des Deutschen Städtetags die erste Nachkriegsausgabe des „Statistischen Jahrbuchs deutscher Städte“ herausgab. 1928 übernahm der Deutsche Städtetag dann selbst die Funktion des Herausgebers in enger fachlicher Zusammenarbeit mit dem VDSt, der für das Jahrbuch eine Schriftleitung eingesetzt hat, als „Amtliche Veröffentlichung des deutschen Städtetages“. Im Vorwort des Präsidenten Dr. Mulert heißt es: „Gerade in der Kommunalpolitik, die mit der Vielgestaltigkeit der gemeindlichen Verhältnisse zu rechnen hat, ist es besonders wichtig, sich bei schwierigen Entscheidungen auf ein exaktes Zahlenmaterial stützen zu können. Der Deutsche Städtetag hat sich darum neuerdings den Ausbau und die Förderung der Städtestatistik im hohen Maße angelegen sein lassen.“ Dessen Informationsbedürfnis nimmt im selben Jahr der damalige VDSt-Vorsitzende Paul Weigel in den Blick: „Ebenso wie die einzelne Stadt, so braucht auch der Städtetag statistisches Material für die vielen und schwerwiegenden Aktionen, die er für die deutschen Städte zusammen vorzubereiten und durchzuführen hat. Der Statistische Ausschuß, der zum großen Teil aus Direktoren städtestatistischer Ämter besteht, dient ihm dabei im wesentlichen als beratendes Organ, die besondere statistische Stelle als Verwaltungsabteilung“ (Weigel 1930, S. 9).

Das Jahrbuch im Nationalsozialismus Nach der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus erfolgte bereits 1933 die Zwangsvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zum Deutschen Gemeindetag. Zum 01.01.1934 wurde der Verband Deutscher Städtestatistiker mit erweiterten Aufgaben unter dessen Dach in die Arbeitsgemeinschaft für gemeindliche Statistik überführt. Der Präsident

Historie

Abbildung 1: Titel der Statistischen Jahrbücher deutscher Städte 1980 und 1927 des Deutschen Gemeindetages auf der ersten Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft: „Wir wollen in Zukunft nicht nur Städtestatistik betreiben, sondern eine statistische Erfassung des gemeindlichen Lebens in seiner Gesamtheit, also auch gerade des Lebens der kleinen und kleinsten Gemeinden und der Gemeindeverbände pflegen“ (Arbeitsgemeinschaft für gemeindliche Statistik 1934, S. 15).

Das Statistische Jahrbuch Deutscher Städte wurde ab 1934 in Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden umfirmiert und sollte diesen Titel bis heute beibehalten. Neu aufgenommen wurde eine Hauptübersicht, „die in Zukunft noch mehr als bisher einen Überblick über die strukturell wichtigen Daten der Gemeinden geben soll. In der Hauptübersicht sind erstmalig auch Gemeinden der Größengruppe 10 – 25000 Einwohner im Jahrbuch berücksichtigt worden …“ (Vorwort zum 29. Jahrgang 1934).

In den Inhalten des Jahrbuchs Deutscher Gemeinden hat sich die Zeit des Nationalsozialismus kaum sichtbar niedergeschlagen. Zwar hatte die menschenverachtende Rassenideologie auch Auswirkungen auf die Bevölkerungsstatistik in Städten und deren Diskussion in der Arbeitsgemeinschaft. Sie fand aber keinen Einzug in das Jahrbuch, ebenso wenig wie der zweite Weltkrieg mit seinen Folgen. Das letzte Jahrbuch erschien 1941 im Wesentlichen mit Daten über 1939. Judenprogrom, Kriegsopfer und Kriegsschäden waren noch kein Thema. Niedergeschlagen hat sich allerdings die Erweiterung des Deutschen Reiches auf den Berichtskreis. So wurde 1939 erstmals über die „Ostmärkischen Gauhauptstädte 1937“ berichtet, 1940 über die „Städte der rückgegliederten Ostgebiete 1938“. Im Jahrbuch von 1941 waren die Städte in den Tabellen integriert.

Die Städte im Berichtskreis des Jahrbuchs In den Jahren bis 1916 war der Berichtskreis des Statistischen Jahrbuchs auf Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern beschränkt. Bei besonderen Anlässen wie den Volkszählungen von 1900 und 1905 wurden die Ergebnisse für die 150 Stadtgemeinden des Deutschen Reichs ab 25.000 Einwohnern aufgenommen. Systematisch wurde dieser Berichtskreis aber erst ab 1929 mit einem Abschnitt über die Personalverhältnisse bei den Städten mit mehr als 25.000 Einwohnern berücksichtigt. Diese Einwohnergrenze wurde vom Deutschen Städtetag gewünscht, denn seit seiner Gründung im Jahr 1905 konnten Städte ab 25.000 Einwohner Mitglied sein und der Städtetag hatte großes Interesse an deren Aufnahme in das Statistische Jahrbuch deutscher Städte. Während der Kaiserzeit lehnten die Herausgeber des Jahrbuchs dies aus organisatorischen und drucktechnischen sowie Kostengründen, aber auch wegen der Arbeitsbelastung ab. Auch der Vorschlag, zugunsten eines erweiterten Berichtskreises und einer beschleunigten Herausgabe auf die aufwändige Vertextung zu verzichten, stieß nicht auf Gegenliebe.

Dieser Schritt wurde dann ab 1927 nach und nach vollzogen und schließlich auf methodische Bemerkungen reduziert. Neefe hat die Herausgabe des ersten Jahrgangs nach dem ersten Weltkrieg nicht mehr erlebt, er starb 1925. Sein Name bleibt bis heute mit dem Jahrbuch verbunden.

Beim Berichtskreis wurden die Einwohnergrenzen bald themenbezogen auf 20.000 und 10.000 Personen gesenkt und auch nach dem zweiten Weltkrieg beibehalten. Für Buhrow war das Beleg dafür, dass sich dieser Berichtskreis als praxistauglich erwiesen hat (Buhrow 1950, S. 339 ff.).

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Historie

Das Jahrbuch ab 1949 Nach dem zweiten Weltkrieg knüpfte die Schriftleitung des Statistischen Jahrbuchs Deutscher Gemeinden an die Intentionen der Gründungsväter an. Im Vorwort des ersten Nachkriegsjahrgangs 1949 wurde auf Neefe Bezug genommen und die zeitgemäße Begründung des Jahrbuchs angeschlossen: „Das Jahrbuch will den Gegenwartsnöten der Gemeinden und Gemeindeverbände gerecht werden, die Verwaltung von unfruchtbarer Sucharbeit befreien und das statistische Material in leicht lesbarer und handlicher Form darbieten.“ Der Deutsche Städtetag und der Verband Deutscher Städtestatistiker waren inzwischen wiedergegründet. Das Statistische Jahrbuch Deutscher Gemeinden ist als 37. Jahrgang 1949 wieder erschienen im Alfons Bürger Verlag (Schw. Gmünd) mit den Zusätzen: Herausgegeben vom Deutschen Städtetag, Bearbeitet vom Verband Deutscher Städtestatistiker, Begründet von M. Neefe.

Dazu im Vorwort der Schriftleitung: „Es ist schmerzlich, daß das Jahrbuch auf Teilgebiete Deutschlands beschränkt bleiben muss. Das Saarland und der Osten jenseits der Oder-NeißeLinie konnten in die Darstellung nicht einbezogen werden.

Auch die sowjetisch besetzte Mittelzone ist nicht durchgängig erfaßt; denn es war nicht möglich, außer den Veröffentlichungen des Statistischen Zentralamtes der Sowjetzone weitere Einzelheiten über die deutschen Städte aus diesem Gebiet zu bekommen. Daher ist in der Hauptübersicht nur eine Tabelle über den Bestand der fünf Besatzungszonen gegeben worden, in der wenigstens die kreisfreien Städte der Mittelzone ausgegliedert werden konnten.“ Als im Jahr 1990 die deutsche Wiedervereinigung vollzogen wurde, schlug sich das unmittelbar im Jahrbuch nieder. In den

Folgejahren wurden dann „die Nachweisungen über die Städte und Gemeinden in den neuen Bundesländern“ ausgebaut.

Informationsbedarf überprüfen und Informationsangebot neu justieren Das Statistische Jahrbuch deutscher Gemeinden wird nun mit dem 100. Jahrgang eingestellt. Nach Inhalt und Darbietungsform wird es ersichtlich dem Anspruch nicht mehr gerecht, den Städten – Politik und Verwaltung – sowie der Allgemeinheit Analyse-, Planungs- und Entscheidungsgrundlagen hinreichend aktuell und kompakt zu bieten. Vor dem Hintergrund der neueren Entwicklungen ist die Frage zu stellen, welchen Mehrwert der Abdruck von Sekundärstatistiken der Regionaldatenbank Deutschland und anderer Quellen der amtlichen staatlichen Statistik über die Internetangebote hinaus bei den Nutzern des Jahrbuchs erzeugt. Ein gedrucktes Werk hat für Viele noch eine eigene Qualität und ist auch auf lange Sicht in Bibliotheken verfügbar. Aus dieser Sicht spricht auch in Zeiten digitaler Informationsplattformen vieles für ein Buch. Aber der Inhalt steht in Frage: in fachlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht, den drei klassischen statistischen Dimensionen.

Angesichts der inzwischen vorhandenen Zugangsalternativen bietet sich an, bei den Sekundärdaten auf die Ursprungsquellen (Regionaldatenbank usw.) unmittelbar zuzugreifen. Es bleibt aber ein beachtlicher Teil, den der Städtetag unmittelbar weiter selbst erheben wird und der nur von den teilnehmenden Kommunen beigesteuert werden kann. Über diesen Informationskern gilt es sich zu vergewissern und die Erhebung so flexibel zu organisieren, dass sie leicht an neue Anforderungen angepasst werden kann. Mit zeitgemäßen Mitteln der OnlineDatenerfassung lässt sich der Aufwand in Grenzen halten.

Abbildung 2: Titel des ersten Statistischen Jahrbuchs deutscher Gemeinden nach dem zweiten Weltkrieg 1949 und der Jubiläumsausgabe zum hundertjährigen Bestehen des Statistischen Jahrbuchs 1990

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Historie

Gleichzeitig können die Arbeitsabläufe so gestaltet werden, dass sie stärker automatisiert von der Erhebung über die Qualitätskontrolle in die Auswertungsdatenbanken einfließen, auch wenn auf eine zusätzliche fachliche Qualitätssicherung nicht verzichtet werden darf. Die Ablaufprozesse beim KOSIS-Projekt Urban Audit können als Beispiel dienen.

Das Informationsspektrum muss sich inhaltlich, regional und zeitlich am Bedarf der Städte und des Städtetages orientieren.

Die stark nachgefragten Informationen über zeitliche Entwicklungen und Strukturvergleiche sind beim Einsatz moderner Technik mit vertretbarem Aufwand zu verwirklichen und bei einer Neukonzeption ebenfalls zu diskutieren.

Grundanliegen des Jahrbuchs zeitlos und deshalb aktuell Das Grundanliegen des historischen Statistischen Jahrbuchs deutscher Städte, kommunales Leben und Handeln in Zahlen zu spiegeln und damit – auch durch den interkommunalen Vergleich – einen Beitrag zu den Informationsgrundlagen für die selbstverwalteten Städte und für die Vertretungskörperschaften zu leisten, ist so lebendig und notwendig wie während der gesamten Zeit seines Erscheinens. Im Wandel befinden sich Inhalte und Form des Informationsmanagements. Wie wichtig diese Dimension für kommunales Handeln ist zeigt der Stellenwert, den Jan Ziekow in seinem rechtswissenschaftlichen Gutachten zur Stellung der Städtestatistik im föderalen System Deutschlands für VDSt und KOSIS-Verbund den kommunalen Informationsgrundlagen beimisst. Er begründet die kommunale Informationshoheit als faktische Gemeindehoheit. Nach Ziekow sind die Gemeindehoheiten verfassungsrechtlich Ausdruck „nicht nur gemeindlicher Befugnisse, sondern ebenso ... Ermöglichung von und Verpflichtung zu eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung: Die durch „Art. 28 II GG garantierten wesentlichen Hoheitsrechte … (gewährleistet) der Staat den Gemeinden (allein) im Interesse einer funktionsgerechten Aufgabenwahrnehmung.“

Sie bilden „die Grundlage dafür …, dass die Gebietskörperschaften überhaupt Angelegenheiten eigenverantwortlich wahrnehmen können“ (Ziekow 2013, S. 30 ff.)

Die Städte betreiben deshalb in langer Tradition eine eigene Kommunalstatistik, deren Ergebnisse auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen und die Teil der amtlichen Informationsinfrastruktur sind. Informationen für den interkommunalen Vergleich sind dabei essentieller Bestandteil. Deren Abstimmung und Bereitstellung ist deshalb ein dauerhaftes Anliegen des VDSt und vieler Städte mit ihren Statistikstellen. Dies wird durch die Beteiligung an den KOSIS-Projekten Urban Audit und KOSTAT – der Sammlung kleinräumiger Bevölkerungsdaten, aber auch an dem Projekt der innerstädtischen Raumbeobachtung mit dem BBSR unterstrichen. Derzeit arbeiten VDSt und KOSIS-Verbund an einem Projekt zur Optimierung städtestatistischer Datensammlungen. Es folgt dem Selbstverständnis des KOSIS-Verbunds: Aufgaben, die sich für viele Statistikstellen gleichermaßen stellen, sollen kooperativ durch gegenseitige Unterstützung, durch Standardisierung und durch gemeinsame Verfahrensentwicklung gelöst werden. Ziele des Projekts sind die Optimierung der Datenerhebung und das Vermeiden von Doppelarbeit, bessere Nutzungsmöglichkeiten der Datensammlungen durch die Statistikstellen selbst und andere Nutzer sowie die Auswertung der gesammelten Daten in (gemeinsamen) Analyse- und Stadtforschungsprojekten durch die Städtestatistik. Es gibt also aktuelle Anknüpfungspunkte für eine kooperative Positionierung des Statistischen Jahrbuchs deutscher Gemeinden in der städtestatistischen Dateninfrastruktur.

100 Ausgaben des Statistischen Jahrbuchs deutscher Gemeinden in 125 Jahren seit 1890 sind eine bedeutende Leistung der wechselnden Verantwortlichen und Akteure. Ihnen allen gebührt Respekt und Dank für die geleistete Arbeit. Alle, die heute zum Gelingen des Jahrbuchs beitragen, sollten in die Diskussionen über eine zeitgemäße Zukunft einbezogen werden. Der VDSt und der KOSIS-Verbund bleiben dem Grundanliegen verpflichtet.

Literatur Arbeitsgemeinschaft für gemeindliche Statistik (1934): Verhandlungsbericht über die 1. Verbandsversammlung am 9. und 10. Oktober 1934 in Dresden. Dresden.

Buhrow, Kurt (1950): Geschichte des Statistischen Jahrbuchs Deutscher Gemeinden, in: Mewes, Bernhard (Hrsg.): Städtestatistik in Verwaltung und Wissenschaft, herausgegeben im Auftrage des Verbandes Deutscher Städtestatistiker. Berlin.

Grohmann, Heinz (2004): Von den Wurzeln der Statistik zum Informationsmanagement. In: Zahl und Entscheidung – Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum des Verbandes Deutscher Städtestatistiker. Stadtforschung und Statistik, Heft 2/2004. S. 32-41.

Hruschka, Erhard (2004): Dem Gemeinwohl verpflichtet – zur Zusammenarbeit bereit.

In: Zahl und Entscheidung – Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum des Verbandes Deutscher Städtestatistiker. Stadtforschung und Statistik, Heft 2/2004. S. 28-31.

Peters, Hans (1962): Der Weg der Städtestatistik – Zum 50. Jahrgang. In: Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden, 50. Jahrgang.

Schulmeyer, Rudolf; Trutzel, Klaus (2004): Der KOSIS-Verbund – Interkommunale Zusammenarbeit zur Sicherung selbstverwalteter Städte. In: Zahl und Entscheidung – Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum des Verbandes Deutscher Städtestatistiker. Stadtforschung und Statistik, Heft 2/2004. S. 43-53.

Weigel, Paul (1930): 50 Jahre Konferenzen der deutschen Städtestatistiker, Ansprache an die 37. Konferenz in Köln 1929. In: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte, 25. Jahrgang.

Ziekow, Jan (2013): Föderale Informationsbalance wahren – kommunale Selbstverwaltung sichern. Das Rechtsgutachten zur Stellung der Städtestatistik von Univ.-Prof. Dr. Jan Ziekow und die Schlussfolgerungen der Städtestatistik. Stadtforschung und Statistik, Sonderausgabe 2013.

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Entdeckt Rezensionen

Warum ein kritischer Umgang mit Statistik notwendig ist und dennoch nicht alle Probleme lösen kann Eine Rezension des Buches „Warum dick nicht doof macht und Genmais nicht tötet“ von Thomas Bauer, Gerd Gigerenzer und Walter Krämer

Seit 2012 küren Thomas Bauer, Vizepräsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Gerd Gigerenzer, Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung sowie der Dortmunder Wirtschafts- und Sozialstatistiker Walter Krämer regelmäßig die Unstatistik des Monats. Seit Beginn der Aktion ist viel Bemerkenswertes, bisweilen Heiteres, aber auch Nachdenkliches und hin und wieder gar Unfassbaren zusammengekommen. Mit jeder Unstatistik wird den Lesern erneut vor Augen geführt, wie viel Schabernack mit statistischen Analysen und Auswertungen getrieben wird, teils aus purer Unkenntnis, bisweilen aber auch mit voller Absicht.

Zahlreiche Unstatistiken der vergangenen Jahre haben ihren Weg nun in das jüngst in Berlin vorgestellte Buch der drei gefunden. Hinter dem etwas sperrigen Titel „Warum dick nicht doof macht und Genmais nicht tötet – Über Risiken und Nebenwirkungen der Unstatistik“ verbirgt sich der Versuch, statistische Fallstricke und Täuschungen aufzudecken und den Lesern das Handwerkszeug an die Hand zu geben, statischen Analysen aufmerksam und mit einer nötigen Portion Skepsis zu begegnen. Die Motivation der Autoren hierzu ist durchaus einleuchtend: Einer zunehmenden Flut an Daten steht eine bis in Teile der Wissenschaft, vor allem aber bei Institutionen und Medien tief verwurzelte Unfähigkeit gegenüber, kritisch und qualifiziert mit den Daten umzugehen.

Tatsächlich sind einige der im Buch genannten Beispiele haarsträubend. Mit markanten Worten räumen die Autoren auf mit verbreiteten Falschinformationen zur Kriminalität von Ausländern in

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Großstädten, dem Segen der Krebsfrüherkennung oder den hohen Lohnunterschieden zwischen Frauen und Männern.

Einige der aufgeführten Beispiele sind besonders zum Haare raufen: etwa wenn im Fernsehen aus einem dreiprozentigen Anstieg der Diebstähle, einem neunprozentigen Anstieg der Raubüberfälle und einem fünfprozentigen Anstieg der Einbrüche gefolgert wird, dass die Kriminalität um insgesamt 17 Prozent zugenommen hätte. Immerhin, für dieses Beispiel mussten die Autoren ihren Suchradius bis in die USA ausdehnen. Dies bedeutet freilich nicht, dass deutsche Medien vor statistischen Fallstricken und Fehlinterpretationen gefeit wären. Im Gegenteil: Der deutschen Presselandschaft wird in dem 200 Seiten zählenden Buch gleich mehrmals der zumindest fahrlässige Umgang mit statistischen Falschinformationen nachgewiesen. Immerhin wird

Cover: Campus Verlag

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ihr in den meisten Fällen kein Vorsatz unterstellt.

Anders indes ist dies bei verschiedenen Institutionen und Organisationen. Nicht wenigen von diesen streiten die drei Professoren wortgewaltig jeglichen statistischen Sachverstand ab. Leider entsteht beim Lesen des Buches schnell der Eindruck, als wären es vor allem ökologisch und sozial ausgerichtete Gruppierungen, die das Mittel der unredlichen Statistiken besonders häufig wählen. Die Zeitschrift Ökotest, die Anti-Atom-Bewegung und all diejenigen, die sich mit Gesundheitsgefährdung und Armut in der Gesellschaft beschäftigen, bekommen gleich an mehreren Stellen ihr Fett ab.

Das gilt auch für das angenehm ausführlich geratene Kapitel zur Armut in Deutschland. Die als Frage formulierte Überschrift „Ist Deutschland auf dem Weg ins Armenhaus?“ macht den Grundtenor bereits deutlich: Natürlich nicht!

Und alle, die sich Gedanken über die zunehmende gesellschaftliche Spaltung und Verbreitung von Armut machen, sind Panikmacher, die statistische Daten für ihre Zwecke instrumentalisieren.

Inhaltlich haben die Autoren natürlich Recht, wenn sie auf die Zweifelhaftigkeit pauschaler Armutsgrenzen (weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens) hinweisen. Tatsächlich wird mit den entsprechenden Studien in erster Linie nicht die Armut, sondern Ungleichheit gemessen. Diese „statistische Todsünde“ jedoch dazu zu nutzen, fast sämtliche Studien zur Armut mit einem Schlag vom Tisch zu fegen, erscheint dann doch etwas zu heftig. Und auch das Alternativangebot der Autoren beinhaltet mehr als einen Stolperstein: Nach einem vor drastischen Formulierenden nur so strotzenden Ausflug in Günter Albrechts Subkultur der

Entdeckt Rezensionen

Armut, der in erster Linie zeigen soll: Seht, Armut resultiert vielmehr aus mentalen denn aus materiellen Defiziten, wird in den Ansatz der „Verwirklichungschancen“ nach Amartya Sen eingeführt.

Gut an dieser Einführung sind die klare Sprache und die beispielhaften Erklärungen, die das komplexe Konzept auch für fachfremde Leser verständlich machen.

Weniger gut dagegen die drastische Reduktion. Und kaum haltbar schließlich die vorgeschlagene Operationalisierung mittels dem Bezug von Sozialleistungen: Arm ist, wer Sozialhilfe bezieht! Hiermit ersetzt man das eine Problem (willkürliche 60-Prozent Hürde des Medianeinkommens als Abgrenzung von Armut) durch ein anderes (politisch festgelegte Grenze als Abgrenzung von Armut). An dieser Stelle beschleicht einen das Gefühl, dass man die Debatte darüber, wer und was arm ist, doch lieber den Soziologen als den Statistikern überlassen sollte.

Auch das Kapitel über Schadstoffe schießt über sein Ziel ein wenig hinaus: Zweifelsohne wird mit Schlagzeilen zu Schadstoffen in Kinderspielzeug oder Babynahrung viel zu häufig Panikmache betrieben. Zweifelsohne gib es auch natürliche Schadstoffe, die wir gänzlich

ohne Industrie und menschliches Dazutun tagtäglich zu uns nehmen. Und zweifelsohne wird das Messinstrumentarium immer feiner, so dass kleinste Spuren von Schadstoffen nachweisbar sind. Zugleich aber entbinden uns – und die Presse – all diese Feststellungen nicht davon, ein Auge auf Giftstoffe in unseren Lebensmitteln und Alltagsgegenständen zu haben und Alarm zu schlagen, wenn es zu viele werden. Die Autoren vertrauen dabei vollends den offiziellen Grenzwerten, wenngleich sie deren Zustandekommen im gleichen Atemzug mit einem orientalischen Jahrmarkt vergleichen. Leider haben jedoch viele Verbraucher kein Vertrauen in die politisch ausgehandelten Grenzwerte aller Art und sind entsprechend verunsichert, wenn alarmierend klingende Stoffe nachgewiesen werden.

Auch dieses Beispiel zeigt, dass Statistik wichtig, aber eben nicht genug ist, um Gesellschaft zu verstehen.

Tatsächlich wirken Bauer, Gigerenzer und Krämer bisweilen so, als wären sie vollgesogen mit Frust über alle möglichen Fehler, die bei der Erstellung von statistischen Studien oder Interpretationen von Analyseergebnissen begangen

werden. Dieser Frust lässt sie bisweilen ungerecht werden gegenüber allen, die auf gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und ökologische Fehltritte hinweisen wollen. Aber trotz aller Kritik: Das Buch vermittelt anschaulich und in einfacher Sprache die Stolperfallen der Statistik.

Brillant sind die Kapitel, die sich mit methodischen Problemen und daraus resultierenden Fehlinterpretationen beschäftigen, beispielsweise diejenigen zu bedingten Wahrscheinlichkeiten und zur Unterscheidung von Korrelationen zu Kausalitäten. Und nach Beendigung der Lektüre bleibt als kleiner Trost: Die bisweilen mitschwingende Polemik nimmt gegen Ende des Buches ab. Am Schluss überwiegt gar der positive Eindruck: Ja, ich werde in Zukunft bei statistischen Analysen aller Art noch etwas genauer hinschauen.

Ansgar Schmitz-Veltin

& ISBN 978-3-593-50030-0 • 16,99 Euro

Erschienen im Campus Verlag, Frankfurt, 1. Auflage 2014, 211 S., zahlreiche Tabellen und Grafiken.

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Erfahrungsberichte der Städte zum Zensus 2011 Vier Jahre nach dem letzten Zensus und sechs Jahre vor dem nächsten Zensus laufen die Vorbereitungsarbeiten für den Zensus 2021 der statistischen Ämter des Bundes und der Länder bereits an. Ein straffer Zeitplan und frühzeitiger(er) Beginn der ersten Vorbereitungsschritte (auf der Grundlage des Zensusvorbereitungsgesetzes) sollen dazu beitragen, die gravierenden Terminüberschreitungen beim Zensus 2011 zu vermeiden.

Gleichzeitig laufen aber auch noch in allen Bundesländern Pilotprozesse an den Verwaltungsgerichten (in erster oder zweiter Instanz), stellvertretend für rund 340 „ruhende“ Zensusklagen deutscher Städte und Gemeinden. Zwei Stadtstaaten beabsichtigen zudem wohl einen Antrag für eine abstrakte Normenkontrollklage zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit des Zensusgesetzes 2011 und der Stichprobenverordnung beim Bundesverfassungsgericht zu stellen. Im Kern drehen sich alle Klagen um die Methode der Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl. Dadurch bestehen zwangsläufig erhebliche Planungsunsicherheiten je nach Ausgang und Zeitpunkt der Rechtsverfahren.

chen die „Ergebnisse der Befragung zu den Erfahrungen der Erhebungsstellen im Zensus 2011“ als Arbeitspapier herausgegeben. Mittels einer bundesweiten schriftlichen Fragebogenerhebung im Sommer 2012 bei den Erhebungsstellen der Städte und Landkreise wurden die Bewertungen der Erhebungsstellenverantwortlichen zur Vorbereitung und zum Ablauf der Primärerhebungen vor Ort im Rahmen der Haushalte- und Sonderanschriftenbefragungen ermittelt. 186 Erhebungsstellen beteiligten sich an der Erhebung. Auf dieser empirischen Basis konnte ein Meinungsbild über den Ablauf der einzelnen Erhebungsphasen in den örtlichen Erhebungsstellen (z. B. bei der Gewinnung und beim Einsatz der Erhebungsbeauftragten oder bei den entsprechenden Schulungen), über die konkrete Umsetzung der Erhebungsstellenaufgaben (z. B. welche Sicherheitsvorkehrungen für die Erhebungsstellen getroffen wurden), über die Planung, Ausführung und Unterstützung der örtlichen Erhebungsstellenarbeit durch die übergeordneten Erhebungsebenen (Bund/Länder) einschließlich den eingesetzten zentralen IT-Verfahren entstehen.

Gerade vor dem Hintergrund eines methodischen Paradigmenwechsels beim Zensus 2011 ist es außerordentlich wichtig, dass die vielfältigen Erfahrungen (positive wie negative), die in der Vorbereitung und Durchführung dieser Großzählung gemacht wurden, umfassend aufgearbeitet und zugänglich gemacht werden. Nur so können eine belastbare Planungsgrundlage und ein wichtiger Wissenstransfer entstehen und das Verbesserungspotenzial für den nächsten Zensus aufgezeigt werden. Aus der Perspektive der Städte, die als örtliche Erhebungsstellen ein wichtiger Bestandteil des Erhebungsprozesses des Zensus 2011 waren, wurden dazu insgesamt drei Abhandlungen vorgelegt.

Vermittelt die Münchner Umfrage ein fundiertes und differenziertes Stimmungsbild der „Zensusbasis“, („Was hat gut und was hat weniger gut geklappt?“, aber auch „Was kann verbessert werden?“), so verfolgt der „Erfahrungsbericht des AK Zensus des Städtetags Baden-Württemberg zur Vorbereitung und Durchführung des Zensus 2011 in den kommunalen Erhebungsstellen“ eine umfassendere Zielsetzung. Grundlage bildet eine detaillierte Darstellung der Zensusarbeiten in den Erhebungsstellen der Städte, gegliedert in die Kapitel Personal- und Finanzbedarf, IT-Verfahren, Haushaltebefragung, Erhebung an Sonderanschriften, Einsatz der Erhebungsbeauftragten, Erinnerungs- und Mahnwesen, Kommunikation zwischen Erhebungsstellen und Statistisches, Landesamt sowie Gebäudeund Wohnungszählung.

Bereits im Frühjahr 2013 hat das Statistische Amt der Landeshauptstadt Mün-

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& Abschluss des Zensus 2011 und

Erfahrungen der Städte bei der Durchführung. Sonderausgabe Stadtforschung und Statistik zur Dokumentation des Zensus-Workshop der Städtestatistik am 16./17.

Mail 2013 in Karlsruhe, Herausgegeben vom Verband Deutscher Städtestatistiker – VDSt, 2014, 130 S. Kostenfrei abrufbar im Internet unter www.staedtestatistik.de/1090.html

& Erfahrungsbericht des AK Zensus

des Städtetags Baden-Württemberg zur Vorbereitung und Durchführung des Zensus 2011 in den kommunalen Erhebungsstellen, Herausgegeben vom Städtetag Baden-Württemberg e.V., 2014, 89 S. Kostenfrei abrufbar im Internet unter www.staedtestatistik.de/1090.html

Entdeckt Bücher

So ist das Werk der Zählungspraktiker aus Baden-Württemberg einerseits für alle Zählungsverantwortlichen des nächsten Zensus eine höchst hilfreiche Planungsgrundlage für die zu erledigenden Aufgaben (Personal-, Raum- und Finanzbedarf ). Zum anderen wird in der baden-württembergischen Städtetagshandreichung eine breite Palette des in der Organisationsarbeit gesammelten Erfahrungsschatzes dokumentiert und bewertet. Von Nutzen für künftige Zensusorganisatoren sind nicht zuletzt die geschilderte kreativen und mitunter aus der „Not“ geborenen improvisierten Organisationslösungen (z. B. Tipps zur Zählerrekrutierung oder zur Organisation des Mahnwesens), die in den Erhebungsstellen entwickelt wurden.

Selbstredend sind viele der aufgeführten Erfahrungswerte auch für die Zäh-

lungsverantwortlichen in der Bundesund Landesstatistik von großem Nutzen.

Die Autoren vermitteln nicht nur einen lebendigen und detailreichen Einblick in die Erhebungsarbeiten auf örtlicher Ebene, sondern schildern auch anschaulich das entsprechende Verbesserungspotenzial des letzten Zensus. Dieses reicht von der Bedeutung einer realistischen Personal- und Finanzausstattung der Erhebungsstellen, über die Erfahrungen mit den Zählungs- und Schulungsunterlagen, zahlreichen Optimierungsmöglichkeiten im IT-Verfahren bis hin zu dem Vorschlag, die nächste Gebäudeund Wohnungszählung optional in den örtlichen städtischen Erhebungsstellen durchzuführen.

Im Mittelpunkt des dritten kommunalen Erfahrungsberichts, der „Dokumentation

des Zensus-Workshops der Städtestatistik am 16./17. Mai 2013 in Karlsruhe“ finden sich die Vorträge und Diskussionen des Workshops zu den Themenblöcken „Amtliche Einwohnerzahl – Was nun?“, „Erfahrungen der Städte bei der Durchführung des Zensus 2011“ sowie „Auswertemöglichkeiten der Zensusdaten“.

Interessant ist insbesondere der detailliert protokollierte Erfahrungsaustausch der kommunalen Praktiker im Anschluss der Präsentationen.

Thomas Schwarz & Ergebnisse der Befragung zu den

Erfahrungen der Erhebungsstellen im Zensus 2011, Herausgegeben vom Statistischen Amt der Landeshauptstadt München, 2013, 22S. Kostenfrei zu bestellen per Mail an stat.amt@muenchen.de

Wahlen, Wahlrecht und Gewählte in Leipzig Josef Fischer Das Buch entstand von 2010 bis 2014.

Es umfasst über 200 Seiten und nimmt Bezug auf die Wahlen in der Stadt Leipzig in seiner 1000-jährigen Geschichte.

Das betrifft insbesondere die Wahlen der Bürgermeister, der Stadtverordneten/ -räte ab 1830, der Landtagsmitglieder des Königreichs bzw. Freistaats Sachsens ab 1831, die Reichswahlen ab 1867 (auch die Reichspräsidentenwahlen und Volksabstimmungen ab 1919) und die Wahlen der DDR und Bundesrepublik sowie des Europaparlaments.

Der Autor Dr. Josef Fischer war nach 1990 zwei Jahrzehnte Leiter des Amtes für Statistik und Wahlen der Stadt Leipzig und hat das Wahlgeschehen in dieser Zeit hautnah miterlebt. Doch nicht nur dieser Zeit gilt seine Aufmerksamkeit sondern der gesamten Wahlgeschichte der Messestadt.

So beschreibt er vor allem ab 1830 bis zur Wahl zum sächsischen Landtag 2014 vor den jeweiligen geschichtlichen Hintergründen die Entwicklung des Wahlrechts der verschiedenen Wahlen. Er geht auf

die jeweils erforderliche Wahlorganisation ein, nennt Wahlergebnisse und Gewählte. Kurzbiographien einer Reihe wichtiger Persönlichkeiten, die von den Leipzigern in den letzten Jahrhunderten gewählt wurden, runden die faktenreiche und illustrierte Dokumentation ab.

Die Landeswahlleiterin des Freistaates Sachsen Prof. Dr. Irene Schneider-Böttcher schreibt im Grußwort: „Dem Buch wünsche ich eine breite und interessierte Leserschaft und dass es wie Sauerteig die weitere demokratische Entwicklung in Leipzig, Sachsen und in ganz Deutschland befördern möge.“ Der frühere Leipziger Oberbürgermeister Dr. Hinrich LehmannGrube bemerkt im Vorwort: „Fischer hat ein wertvolles Buch zur politischen Geschichte der Stadt Leipzig geschrieben.“ Der Autor ist Mitglied des Verbandes Deutscher Städtestatistiker und war im aktiven Dienst zeitweilig auch Fachreferent für Wahlen beim Deutschen Städtetag.

Text: Verlag

& ISBN 978-3-945027-08-0, 19,00 Euro

Erschienen bei PRO Leipzig, Leipzig, 1. Auflage 2015, 212 S., 77 Abb. teilw. in Farbe.

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Hamburger Sozialmonitoring Bericht 2014 Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (Hrsg.); Jörg Pohlan, Martin Albrecht und Andreas Kaiser (Red.)

Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt hat den fünften Sozialmonitoring-Bericht vorgelegt und setzt damit die kontinuierliche Stadtteilbeobachtung fort. Mit dem Sozialmonitoring in der Integrierten Stadtteilentwicklung verfügt Hamburg seit 2010 über ein System der kleinräumigen Stadtbeobachtung. Ziel ist es, frühzeitig erkennbar zu machen, in welchen Bereichen der Stadt sich multiple soziale Problemlagen häufen oder zunehmen. Kombiniert mit dem örtlichen Erfahrungswissen wird die Verwaltung in die Lage versetzt, gebietsbezogene Handlungsbedarfe im Bereich der Integrierten Stadtteilentwicklung abzuleiten.

Als Instrument der Programmsteuerung wurde das Sozialmonitoring im Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE) konzipiert. Als kontinuierliches Beobachtungssystem

bildet es eine wichtige Grundlage für die Stadtteilentwicklung aus gesamtstädtischer Sicht. Die Verwaltung ist damit in der Lage, unterstützungsbedürftige Quartiere frühzeitig zu identifizieren und die Auswahl von Fördergebieten der Integrierten Stadtteilentwicklung auf eine objektive Datenbasis zu stützen.

Im Sozialmonitoring werden sieben sogenannte „Aufmerksamkeitsindikatoren“ betrachtet und jeweils unter dem Gesichtspunkt des Status Quo und der Entwicklung in den vergangenen drei Jahren untersucht. Die Indikatoren werden mit Hilfe eines statistischen Berechnungsverfahrens zu einem „Statusindex“ sowie einem „Dynamikindex“ zusammengefasst und klassifiziert. Es werden vier Status- und drei Dynamikklassen unterschieden („hoch“, „mittel“, „niedrig“, „sehr niedrig“ bzw. „positiv“, „stabil“, „negativ“). Im Ergebnis kann jedem be-

trachteten Gebiet eine Status- und eine Dynamikklasse zugewiesen werden. Diese werden kombiniert ausgewertet und in einer Karte wiedergegeben.

Aufbau und Methodik des Hamburger Sozialmonitorings orientieren sich am Berliner „Monitoring Soziale Stadtentwicklung“, das die Stadtteilentwicklung in der Hauptstadt seit mehr als zehn Jahren erfolgreich unterstützt. Das Sozialmonitoring in Hamburg wird jährlich aktualisiert und als Bericht veröffentlicht, sobald neue Datengrundlagen vorliegen.

Text: Herausgeber & Sozialmonitoring Bericht 2014,

Herausgegeben von der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, 2015, 143 S. Kostenfrei abrufbar im Internet unter www. hamburg.de/sozialmonitoring

Wohnungsmarkt Stuttgart 2012 Landeshauptstadt Stuttgart, Statistisches Amt, Amt für Liegenschaften und Wohnen (Hrsg.); Inge Heilweck-Backes (Koord.)

Das Thema Wohnungsmarkt steht in Stuttgart wie in anderen Städten ganz oben auf der politischen Agenda. Zuzüge aus anderen Regionen Deutschlands und aus dem Ausland haben in den vergangenen Jahren zu deutlichen Preisanstiegen auf den Wohnungsmärkten geführt. Der Ende 2013 erschienene Wohnungsmarktbericht bietet auf 200 Seiten umfangreiches Material zum Wohnungsangebot, der Wohnungsnachfrage und -versorgung, zur Entwicklung der Immobilienpreise und Mieten sowie

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zur Entwicklung des geförderten Wohnungsmarktes. Damit deckt der Bericht weite Teile der kommunalen Wohnungsmarktbeobachtung ab und trägt dazu bei, die angeheizte Diskussion um den Wohnungsmangel in Stuttgart zu versachlichen.

Text: Herausgeber

& Statistik und Informationsmanagement, Themenheft 2/2013, Herausgegeben

von der Landeshauptstadt Stuttgart, Stuttgart, 1. Auflage 2013, 217 S., zahlr. Fotos u. Abb. 11,00 Euro

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