Stadtforschung Statistik – Ausgabe 1/2010

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Editorial

40 + 20

Sie ist schon ungewöhnlich, die Zahl des Jahres 2009. Aber passend, denn 60 Jahre Bundesrepublik teilen sich nun einmal in 40 getrennte und 20 gemeinsame Jahre. Schwerpunkt dieser Ausgabe ist das Thema Integration, ein Thema, dem sich unsere Gesellschaft bei weitem noch nicht ausreichend zugewandt hat. Vielleicht können wir etwas mithelfen, das zu ändern. Aber wie gewohnt bietet „Stadtforschung und Statistik“ eine breite Palette. Da ist für jeden etwas dabei: Wahlen, Befragungen, Finanzstatistik, Beschäftigung, Verbandsinternes usw. Der Viel- wie der Wenig-Leser kommt nicht zu kurz So eine Zeitschrift ist nun einmal mit Arbeit verbunden, die weniger sein könnte, wenn sich alle Autoren an eine grundlegende Regel halten könnten: Text und Grafiken/Fotos in getrennten Dateien schicken. Einige machen sich die Mühe und betten Schaubilder und Co in eine Word-Datei ein. Das ist gut gemeint und bei Grafiken auch kein Problem, wenn diese in exzellenter und scharfer Qualität zu sehen sind. Fotos sollten aber bitte immer in einer gesonderten Datei (jpg oder tif) geschickt werden, und zwar möglichst mit 300 dpi bei einer Breite von 10–14 cm (2–3 Spalten im Heft). Nur so kann der gewünschte Qualitätsstandard beibehalten werden. Die Redaktion hat Zuwachs bekommen. Günther Bachmann aus der Wissenschaftsstadt Darmstadt ist zu uns gestoßen. Einer mehr, an den Sie sich wenden können, wenn Sie Anregungen oder Artikel haben. Man lernt nicht nur auf der Statistischen Woche, sondern auch beim Lesen der Artikel. So habe ich bislang gar nicht gewusst, dass der Fachbegriff für „Elektronische Bürgerbeteiligung“ „E-Participation“ und „eGovernment“ lautet. Wenn es Ihnen auch so gegangen ist, haben Sie Ihren Horizont erweitert, obwohl Sie mit dem Studium dieser Ausgabe noch gar nicht richtig begonnen haben. Martin Schlegel Stadtforschung und Statistik 1/2010

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Stadtforschung und Statistik Zeitschrift des Verbandes Deutscher Städtestatistiker Ausgabe 1 • 2010

Rubriken

Regionales

Wahlen

Schwerpunkt Integration

Inhalt

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Seite

Franz-R. Beuels, Essen

Analyse der Schuleingangsuntersuchungen in Essen Einflüsse von Bildungs- und Sozialstatus auf die Gesundheit

Stefan Böckler, Duisburg

Methodik und Ergebnisse der ersten Duisburger Integrationsbefragung Integration zwischen Distanz und Annäherung

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Alexander Lenz, Dortmund

Die Delphi-Methode als neuer Ansatz – Ein Arbeitspapier Integrationsmessung von MigrantInnen

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Anke Schöb, Stuttgart

Die Wechselseitigkeit des Integrationsprozesses beobachten Die Integration ausländischer Mitbürger-/innen aus Sicht der Bürger

Hubert Harfst, Hannover

BW 2009: Die Wechselstimmung ist in den Großstädten angekommen Ergebnis der Repräsentativen Wahlstatistik

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Gero Neugebauer, Die Nichtwähler wachsen – Proteste gegen die Parteien? Bonn Warum nicht wählen gehen?

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Klaus Kosack, Bonn

Kommunalwahl 2009 – Ergebnis in NRW-Großstädten Jung und Alt – bei Wahlen zwei Welten

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Geert Baasen, Berlin

Annäherung der Wahlergebnisse? EW+KW=höhere Beteiligung Europawahlen in Ost und West seit 1994

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Andrea Schultz, Leipzig

Männer präsidieren. Frauen schreiben Wahlhelfereinsatz in Leipzig

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Bernd Geldhäuser, Vor 20 Jahren: Letzte Volkskammerwahl in der DDR Stadtroda Ein flüchtiger Moment des Übergangs in historischer Zeit

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Henning Schridde, Strukturen und Entwicklungen in der Region Hannover Hannover Erwerbstätige Leistungsbezieher

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Claudia Horch, Essen

Erstmals ist eine Region Kulturhauptstadt Europas Kultur durch Wandel – Wandel durch Kultur

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Martin Schlegel, Hagen

Buchbesprechung Populäre Statistik zur Bremer Geschichte

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Editorial: 40 + 20

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Bevor der Ernst beginnt: Beruhigende Statistik

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Impressum

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Autorenverzeichnis

80 Stadtforschung und Statistik 1/ 2010


Stadtforschung und Statistik Zeitschrift des Verbandes Deutscher Städtestatistiker Ausgabe 1 • 2010

Streiflichter

Internes

Methodik

Inhalt Seite

Eberhard Baier, Konstanz

Konstanz: Kooperation zwischen Universität und Stadt Online-Bürgerbefragungen

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Jürgen Wixforth, Berlin

Mehr Einwohner heißt nicht automatisch mehr Finanzen Finanzielle Auswirkungen der Einwohnerentwicklung, Teil 2

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Sebastian Schleich, Münster, Hubert Harfst, Hannover

Zusammenführung der Einzelstatistiken zur Arbeitsmarktbilanz Beschäftigung am Arbeitsort und Wohnort Hannover

J. Mathieu Vliegen, Niederlande

Ex-AG bei der Herbsttagung 2009 in Wuppertal Teil 1: Dom und DDR

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Wolfgang Mahnkopf, Augsburg

Ex-AG bei der Herbsttagung 2009 in Wuppertal Teil 2: Schloss Burg, Folkwang und Kaiserwagen

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Udo Hötger, Detmold

Die Zeitung im Netz

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Siegfried Griesheimer, Mannheim; Fröhliche Wissenschaft, Grenzen der Statistik, Tabelle statt Andreas Kern, Freiburg; Manfred Grafik Plagens, Würzburg; Ansgar Schmitz- Einige Neue stellen sich vor Veltin, Stuttgart; Daniela Schüller, Koblenz; Petra Wagner, Mannheim

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Klaus Kosack, Bonn

Frühjahrstagung 2010 – Willkommen in Bonn Bundesstadt im Herzen Europas

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Ernst-Joachim Richter, Oberhausen

Beharrlicher und kompetenter Bohrer dicker Bretter Zum Ruhestand von Hans-Rainer Burisch

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Martin Schlegel, Hagen

Wuppertaler Splitter Statistische Woche – Zeit des Lernens

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Martin Schlegel, Hagen

Schulstatistik für Preußen

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Martin Schlegel, Hagen

Zahl des Jahres 2009: 40 + 20

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Martin Schlegel, Hagen

Sichere Suche nach seltenen Schätzen Der Komplettierer

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Martin Schlegel, Hagen

Über öffentlich unterschiedlich ausgelebte Emotionalität und Statistik

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Martin Schlegel, Hagen

Knöllchen-Statistik

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Martin Schlegel, Hagen

Statistik und Fußball

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Martin Schlegel, Hagen

Gelehrten-Schelte

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Stadtforschung und Statistik 1/2010

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Bevor der Ernst beginnt

Beruhigende Statistik

In Bösensell steigen 52 Personen in den Bus nach Tönnieshäuschen – beides ist im Münsterland gelegen. Nach 72 Minuten ist das Ziel erreicht und 53 Leute verlassen den Bus. Um den offensichtlichen Widerspruch – einer mehr steigt aus, als eingestiegen waren – zu klären, werden drei hochspezialisierte und natürlich gutdotierte Fachleute um Aufklärung gebeten. Der Biologe denkt nach und formuliert dann bedächtig: „Endgültige Sicherheit habe ich noch nicht, dazu sind weitere Nachforschungen notwendig. Aber ich gehe davon aus, dass die Reisenden sich während der Fahrt vermehrt haben.“ Während der Biologe redet, rutscht der Mathematiker aufgeregt auf seinem Stuhl hin und her. Offenbar ist er einem großen Problem auf der Spur: „Wir müssen das Problem nicht ausführlichst erklären, wir müssen es lösen. Es besteht unverzüglicher Handlungsbedarf. Sofort muss eine Person in den Bus, damit keiner mehr drin ist.“ Den Statistiker bringt die Hektik des Mathematikers nicht aus der Ruhe. In aller Ruhe setzt er seine Brille ab, denkt an den bevorstehenden Urlaub in den unendlichen Weiten von Patagonien und beschwichtigt die Anwesenden: „Machen Sie sich keine Sorgen, die Abweichung beträgt keine 2%. Der Wert liegt innerhalb der Toleranzgrenze.“ Da meldet sich eine sonore Stimme aus dem Hintergrund: „Tönnieshäuschen ist die Endstation, da bin ich mit ausgestiegen“, sagt der Busfahrer. 4

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Analyse der Schuleingangsuntersuchungen in Essen

Einflüsse von Bildungs- und Sozialstatus auf die Gesundheit Franz-R. Beuels, Essen

Die soziale und ethnische Herkunft von Kindern entscheidet in erheblichem Ausmaß über die Chancen, an den Errungenschaften der Medizin teilzuhaben, frühzeitig Entwicklungsdefizite aufzuholen und erfolgreich in die Schullaufbahn einzusteigen. Armut und schlechte Bildung wirken sich nicht nur unmittelbar nachteilig auf den Gesundheitszustand von Kindern aus. Bei Kindern aus Familien mit niedrigem Bildungs-/Sozialstatus bestehen auch Mängel bei der Inanspruchnahme von Angeboten der Gesundheitsvorsorge. Diese Kinder lernen frühzeitig, „arm in jeder Beziehung“ zu sein. Die gesundheitliche Ungleichheit hat auch eine räumliche Dimension. Familien mit Kindern in ähnlichen Lebenslagen und mit ähnlichem Migrationshintergrund sind in Großstädten wie Essen nur allzu oft Nachbarn. Wie die vorliegenden Schul­ eingangsuntersuchungen von 2000 bis 2008 belegen, ist in Essen der Anteil der Einschulungskinder mit Migrationshintergrund von 31,2 % (Jahr 2000) auf 40,6 % (Jahr 2008) gewachsen. Die Verteilung über das Stadtgebiet ist dabei sehr ungleich. Das Merkmal „Migrationshintergrund“ trifft im zentralen Stadtbezirk I auf 59,3 % zu und auch in den im Norden gelegenen Bezirken V und VI haben mehr als die Hälfte der untersuchten Schulanfänger/-innen einen 1 Migrationshintergrund.

Die Auswertungen belegen nun erstmals, dass nicht der Migrationshintergrund das eigentliche Problem darstellt, sondern der Bildungs-/Sozialstatus bzw. die sozioökonomische Lage der Haushalte (Merkmale der Eltern: Bildung, Ausbildung, Stellung im Beruf), in denen die Schulanfänger/-innen aufwachsen. Für viele, die sich mit diesem Thema befassen, ist der Bildungs-/Sozialstatus die entscheidende Einflussgröße auf Krankheiten, Risikofaktoren und auf die Inanspruchnahme von gesundheitlichen Vorsorgeangeboten. Diese Meinung wird durch zahlreiche epidemiologische Studien gestützt.2 Die Einschüler/-innen aus Familien mit niedrigen Bildungs-/ Sozialstatus3, die als besondere Zielgruppe für gesundheitspolitische Maßnahmen gelten müssen, belaufen sich in Essen im Jahr 2008 auf 9,8 % (Grafik 1). Auffällig ist: Von den

Stadtforschung und Statistik 1/2010

deutschen Kindern stammen 5,2 % aus einem Haushalt mit niedrigem Status, bei den Einschüler/innen mit Migrationshintergrund sind es mit 18,4 % nahezu vier Mal so viele. Vieles weist insofern auf einen nur mittelbaren Einfluss des Migra­tionshintergrundes hin. Richtungsweisend für die Verteilung von gesundheitlichen Risiken und Chancen wäre somit der erworbene Bildungs-/ Sozialstatus und nicht der Migrationshintergrund. Auch die Familiensituation (alleinerziehend, Aufwachsen bei den leiblichen Eltern, Kinderreichtum) und der längere Besuch einer Kindergemeinschaftseinrichtung haben einen Einfluss auf den Gesundheitszustand und die gesunde Entwicklung von Kindern. Da die Schulanfänger/-innen aus Familien mit einem niedrigen Bildungs-/Sozialstatus aber

Grafik 1: Bildungs-/Sozialsta­tus des Haushalts bei Schul­an­ fängern/-innen im Jahr 2008

Familiensituation

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Einflüsse von Bildungs- und Sozialstatus auf die Gesundheit

Entscheidende Determinante

Grafik 2: Ausgewählte Gesund­ heitsstörungen bei Schul­ anfängern/-innen in Essen in den Jahren 2000–2008

überproportional häufig keinen Kindergarten besuchen und aus kinderreichen und Haushalten Alleinerziehender kommen, kann davon ausgegangen werden, dass auch hier der Bildungs-/Sozialstatus die entscheidende Determinante für die Verteilung gesundheitlicher Chancen ist. Die Schulanfänger/-innen aus Familien mit niedrigem Bildungs-/Sozialstatus verteilen sich im Essener Stadtgebiet sehr unterschiedlich: deutlich überdurchschnittlich sind sie im zentralen Stadtbezirk I (13,9 %) sowie in den im Norden gelegenen Bezirken VI (19,6 %) und VII (13,3 %) zu Hause. Hingegen sind sie in den südlichen Stadtbezirken VIII (3,5 %) und IX (1,3 %) kaum anzutreffen. Für den schulischen Erfolg ist die altersgerechte Entwicklung in den Bereichen Körperkoordination, Visuomotorik und Sprache besonders wichtig. Bei Kindern mit Störungen in einem dieser Bereiche ist die Gefahr von Schulproblemen und Schulversagen besonders hoch. Der Anteil der Kinder, der bei dieser „Gesundheitsquote“ ohne Befund geblieben

ist, hat sich im Zeitverlauf von 2002 bis 2008 von 64,1 % auf 64,9 % leicht erhöht. Dies ist auf die positive Entwicklung in zwei dieser drei Untersuchungsbereiche zurückzuführen (Grafik 2). Der Anteil der Kinder mit Körperkoordinationsstörungen ist er­heblich und derjenige der Kinder mit Störungen der Visuomotorik4 beachtenswert zurückgegangen. Im Gegensatz dazu hat der Anteil der untersuchten Schulanfänger/-innen mit Sprachstörung5 deutlich zugenommen. Bei anderen Gesundheitsstörungen ist festzustellen, dass die Probleme Übergewicht/ Adipositas6 und Hörstörungen ebenfalls deutlich zugenommen haben. Anstiege, allerdings weniger starke, sind in Bezug bei Sehstörungen und Verhaltensauffälligkeiten festzustellen. Hingegen ist der Anteil der Kinder mit Störungen der visuellen Wahrnehmung7 stark gesunken. Für deutlich weniger Kinder legten die Eltern kein Früherkennungsheft vor (2000: 17,4 %; 2008: 7,3 %) oder hatten keinen Impfausweis (2000: 11,7 %; 2008: 6,0 %). In der

1) Störungen der Visuomotorik werden erst ab dem Jahr 2002 und Störungen der visuellen Wahrnehmung erst ab dem Jahr 2004 erfasst. 6

Regel dürfte die Nichtvorlage dieser Gesundheitsdokumente mit einem lückenhaften Vorsoge- bzw. Impfstatus einhergehen. Ganz erheblich – von 55,1 % in 2000 auf 65,8 % in 2008 – gestiegen ist erfreulicherweise die Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen U1 bis U9 sowie die Teilnahme an den Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln (2000: 12,5 %; 2008: 86,4 %). In den Jahren 2006, 2007 und 2008 wurde eine Befragung der begleitenden Eltern mit dem Schwerpunkt Fernsehund Medienkonsum durchgeführt. Es zeigt sich hier, dass die soziale Lage einen entscheidenden Einfluss auf den Fernsehkonsum und auf die Intensität des Spielens am Computer oder mit Spielkonsolen hat. Der Medienkonsum ist in Familien mit mittlerem und hohem Bildungs-/Sozialstatus offensichtlich einer intensiveren elterlichen Kontrolle und Begrenzung unterworfen als in Familien mit niedrigem Bildungs-/Sozialstatus, in denen diese Medien den Kindern wesentlich unkontrollierter zur Verfügung zu stehen scheinen. Einschüler/-innen aus Familien mit niedrigem Bildungs-/Sozialstatus sehen mehr fern (2008: ca. 2 Stunden und mehr täglich 46,2 %) als Schulanfänger/innen mit mittlerem (2008: ca. 2 Stunden und mehr täglich fernsehen: 27,2 %) oder hohem Bildungs-/Sozialstatus (2008: ca. 2 Stunden und mehr täglich fernsehen: 9,6 %). Hingegen gehört in Familien mit hohem Bildungs-/Sozialstatus das Vorlesen zum alltäglichen Ritual, während Kinder aus Familien mit niedrigem Bildungs-/Sozialstatus nur selten in den Genuss des täglichen Vorlesens kommen. Dies

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Einflüsse von Bildungs- und Sozialstatus auf die Gesundheit ist umso gravierender, als die „Vielseher“ und „Vielspieler“ häufiger übergewichtig oder fettleibig sind und jeweils höhere Diagnosehäufigkeiten bei den Körperkoordinations- und Sprachstörungen aufweisen. Der Bildungs-/Sozialstatus hat auch einen eindeutigen Einfluss auf die für diese Untersuchung ausgewählten Gesundheitsstörungen bei Kindern im Vorschulalter und auf das Gesundheitsvorsorgeverhalten. Kinder aus Familien mit niedrigem Bildungs-/Sozialstatus haben erheblich häufiger Sehfehler, Hörstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, Körperkoordinationsstörungen, Sprachstörungen, Störungen der Visuomotorik und Störungen der visuellen Wahrnehmung. 72,2 % von ihnen besitzen Normalgewicht, bei allen Kindern sind es aber: 79,6 % (siehe Tabelle). Wertet man die drei besonders schulrelevanten Bereiche – Körperkoordination, Visuomotorik und Sprache – aus, so weisen Kinder aus Familien mit niedrigem Bildungs-/Sozialstatus eine niedrigere Gesundheitsquote auf (Grafik 3). Für die betroffenen Kinder ist der Start in die Schullaufbahn somit deutlich erschwert, und wenn sie von Entwicklungsstörungen in mehreren Bereichen betroffen sind, ist ein Schulversagen nahezu vorprogrammiert. Schließlich nehmen Schulanfänger/-innen aus Familien mit niedrigem Bildungs-/Sozialstatus zu weitaus geringeren Anteilen vollständig an allen Vorsorgeangeboten (U1 bis U9) teil (2008: 37,3 %; insgesamt: 70,5 %).

Sprachstörungen diagnostiziert. Auch die Befunde bei den Störungen der Visuomotorik und der visuellen Wahrnehmung überwiegen gegenüber den Werten bei den deutschen Schulanfängern/innen. Kinder mit Migrationshintergrund sind zu einem größeren Anteil übergewichtig oder adipös. Ihre Gesundheitsquote – gemessen an der Befundhäufigkeit bei Störungen der Körperkoordination, der Visuomotorik und der Sprache – ist niedriger als bei den deutschen Schulanfängern/-innen. Allerdings sind die Einschüler/innen aus Familien mit Migrationshintergrund weniger verhaltens­auffällig. Vorsorgeangebote werden im Vergleich mit den Schulanfängern/-innen aus deutschen Familien allerdings wieder in einem weitaus geringeren Maße wahrgenommen. Auch die Familiensituation spiegelt sich erwartungsgemäß im Gesundheitszustand und im Vorsorgeverhalten der Einschüler/-innen wider. Bei Einschülern/-innen aus kinderreichen Familien (drei und mehr Kinder) werden häufiger Gesundheitsstörungen

Bei Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund werden folgerichtig häufiger Seh-, Hör-, Körperkoordinations- und Stadtforschung und Statistik 1/2010

Tabelle

diagnostiziert. Deutliche Unterschiede bestehen auch im Vorsorgeverhalten; weniger Schulanfänger/-innen aus kinderreichen Familien haben an den Vorsorgeuntersuchungen U1 bis U9 teilgenommen. Zudem sind Schulanfänger/innen aus Haushalten Alleinerziehender gegenüber den Einschülern/-innen, die bei den leiblichen Eltern aufwachsen, häufiger von Gesundheitsstörungen betroffen und ihr Vorsorgestatus (U1 bis U9) ist seltener vollständig. Erfreulicherweise hat die große Mehrheit der Eltern verstanden, dass der Besuch eines Kindergartens für die Entwicklung des Kindes wichtig ist. Kinder, die länger in einem Kindergarten betreut worden sind, weisen einen deutlich besseren Entwicklungsstand auf, haben weniger gesundheitliche Beeinträchtigungen und einen besseren Vorsorgestatus.

Grafik 3: Schulanfänger/-innen in Essen im Jahr 2008 ohne Befunde bei Störung Körperkoordination, der Visuomotorik und der Sprache („Gesundheitsquote“) und vollständigem Vorsorgestatus (U1 bis U9) nach dem Sozialstatus des Haushalts

Sozialstatus

ohne Befund bei Körperkoordination vollständiger Vorsorgestatus (U1 bis U9) Visuomotorik, Sprache („Gesundheitsquote“)

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SCHUlStatiStiK FÜr PrEUSSEN

Niedriger Status Risiko-Häufung Falsche Lebensweise

die analyen belegen, dass Elternhäuser mit niedrigem Sozialstatus bzw. mit wenig Bildung durch eine Häufung von risiken und durch das Fehlen von gesundheitsorientierten lebensweisen schlechte rahmenbedingungen für die kindliche Gesundheit bieten. Hier sind noch viele anstrengungen erforderlich, um Kindern aus sozialen Unterschichten die gleichen Chancen einer guten gesundheitlichen Versorgung und reelle Startchancen für die Schullaufbahn zu geben wie Kindern aus sozial höher gestellten Elternhäusern. derzeit noch offen sind allerdings lösungen für die Elternhäuser, die durch fehlende Erziehungskompetenz und ein anregungsarmes, häusliches Umfeld ihren Kindern den Weg in ein gesundes aufwachsen und eine unbeschwerte, altersentsprechende Entwicklung erschweren bzw. unmöglich machen.

Anmerkungen 1

in der Stadt Essen gibt es in bezug auf die Sozialstruktur ein Süd-Nord-Gefälle. im Süden der Stadt wohnen – im Gegensatz zur Mitte und zum Norden - zu wesentlichen größeren anteilen gebildete und einkommensstarke Bevölkerungsgruppen

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Vgl. z. B. Siegrist, J.: Soziale Ungleichheit und Gesundheit: Erklärungsansätze und gesundheitspolitische Folgerungen, Bern 2008 oder Kunst, a. E./Mackenbach, J. P.: die Messung sozioökonomisch bedingter gesundheitlicher Ungleichheiten, Kopenhagen 1996 im wesentlichen basiert der index für den Bildungs-/Sozialstatus auf einer Skala von 1 bis 8. der idealtypische Fall für einen hohen Bildungs-/Sozialstatus ist eine Person (Haushaltsvorstand) mit abitur als höchstem Schul- und einem abgeschlossenem Universitätsstudium als höchstem ausbildungsabschluss. die ausbildung steht dabei als ein indikator, der für die ausübung einer späteren beruflichen tätigkeit qualifiziert. am anderen Ende der Skala steht eine Person (Haushaltsvorstand) ohne Schul- und ausbildungsabschluss. Entwickelt wurde dieser index auf der Grundlage von Empfehlungen der arbeitsgruppe „Epidemiologische Methoden“ in der deutschen arbeitsgemeinschaft Epidemiologie (daE), der Gesellschaft für Medizinische informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMdS), der deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (dGSMP) und der deutschen region der internationalen Biometrischen Gesellschaft: Messung und Quantifizierung soziographischer Merkmale in epidemiologischen Studien, redaktionsgruppe: K.-H. Jöckel, B. Babitsch, B.-M. Bellach, K. Bloomfield, J. Hoffmeyer-Zlotnik, J. Winkler und C. Wolf. der Bildungs-/ Sozialstatus der Haushalte wird seit dem Jahr 2006 über eine zusätzliche, freiwillige Befragung der begleitenden Eltern während

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der Schuleingangsuntersuchung ermittelt die Visuomotorik wird z. B. geprüft durch aufgaben zur Gestaltrekonstruktion (eine rudimentäre abbildung muss zu einer vorgegebenen, komplett abgebildeten Form ergänzt werden) und Gestaltreproduktion (vorgegebene Figuren müssen formentsprechend nachgezeichnet werden). Getestet werden mit diesen aufgaben hauptsächlich Vorläuferfertigkeiten zum Erlernen des Schreibens. Störungen der Visuomotorik werden bei den Schuleingangsuntersuchungen erst ab dem Jahr 2002 erfasst Zu den Sprachstörungen zählen z. B. redeflussstörungen, aussprachefehler, falscher Gebrauch der deutschen Grammatik im Satzbau, Störungen des aktiven Sprachgebrauchs und des passiven Sprachverständnisses, die geistige Verarbeitung des Gehörten oder die Fähigkeit, das Gehörte bestimmten Buchstabenverbindungen zuordnen zu können adipositas = Fettleibigkeit Bei der Überprüfung der visuellen Wahrnehmung und informationsverarbeitung werden grundlegende visuelle und schlussfolgernde Fähigkeiten erfasst. Eine genaue optische Unterscheidung nach Form, Größe, lage, Folgenbildung, art und anzahl von Kleindetails sowie die Feststellung von ähnlichkeiten und Unterschieden sind hierfür notwendig und Voraussetzung für eine breite Palette schulischer Fertigkeiten, wie z. B. das lesen von Buchstaben- oder Zahlenverbindungen. Störungen der visuellen Wahrnehmung werden bei den Schuleingangsuntersuchungen erst ab dem Jahr 2004 erfasst

tistik: Über Stan beginnt

tio Informa g. tik. Häufi mit Statis

Schulstatistik für Preußen Martin Schlegel, Hagen

im april 1910 wird für Preußen festgestellt: 99,9 % der schulpflichtigen Kinder besuchen eine Schule. die 0,1 %, die sich der Schulpflicht entziehen, gehören zur nichtsesshaften Bevölkerung.

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84 % der Kinder gehen auf eine staatliche Schule, 16 % besuchen private Ersatzschulen, die sich meistens in kirchlicher trägerschaft befinden. im durchschnitt besteht eine Klasse aus 51 Kindern, wobei

ein erhebliches Stadt-landGefälle vorliegt. in den Städten liegt die Klassenstärke deutlich unter 50 Kindern, auf dem land umfasst eine durchschnittliche Klasse 65 Kinder.

Stadtforschung und Statistik 1/ 2010


Methodik und Ergebnisse der ersten Duisburger Inte­gra­tionsbefragung

Integration zwischen Distanz und Annäherung Stefan Böckler, Duisburg

Hintergrund und Anlage der Studie Zwischen Juli 2007 und April 2009 hat das N.U.R.E.C. Institute Duisburg im Auftrag der Stadt Duisburg und in Zusammenarbeit mit dem Duisburger Amt für Statistik, Stadtforschung und Europaangelegenheiten sowie dem Referat für In­teg­ra­tion der Stadt Duisburg eine Untersuchung zur Integrationssituation in Duisburg durch­geführt.1 Ausgangspunkt war dabei die Einsicht, dass der in Duisburg seit 2005 intensivierte in­te­grationspolitische Prozess einer Wissens-Basis bedarf, die es erlaubt die Aus­ gangs­si­tua­tion in­te­gra­tions­po­­ litischer Maßnahmen und (in Zukunft) auch die Erfolge solcher Maßnahmen zu be­werten. Diese Basis sollte unter anderem im Rah­men ei­nes indikatorengestützten Integra­tions­ mo­ni­to­rings gelegt werden. Wegen der Komplexität von Integrationsprozessen wurde ein Mehr­di­mensio­nen­modell von Integration zugrunde gelegt.

immer for­schungs­prak­tisch um­gesetzten) Einschätzung bestimmt, dass es sich bei Integration um einen zwei­sei­ti­ gen Prozess handelt, dessen Verlauf gleichermaßen von den Ein­stel­lungen und dem Verhalten der Zuwanderer wie dem der Mehr­heits­be­völ­kerung ab­ hängt. Auf Basis dieses Modells wurde ein Satz relevanter Indikatoren entwickelt, der in den er­sten Monaten des Jahres 2008 aufgrund eines standardisierten Fra­ge­bogens an unterschiedlichen Stichproben erhoben wurde: zum einen an einer für die Duisburger Ge-

Über die bisher gebräuchlichen Dimensionenmodelle2 hinausgehend ist in diesem Mo­dell (Grafik 1) das ‚Verhalten und die Einstellungen der Mehrheitsbevölkerung’ als ei­gen­stän­dige Integrationsdimension ausgewiesen. Diese Entscheidung war von der pro­ gram­matisch inzwischen weitgehend geteilten (aber nicht Stadtforschung und Statistik 1/2010

samtbevölkerung repräsentativen Stichprobe, zum anderen an fünf auf Wohn­vier­tel­ebene gezogenen Zufallsauswahlen. Dadurch sollte es möglich wer­ den, Inte­gra­ti­ons­prozesse auch auf klein­räumiger Ebene zu verfolgen. Entsprechend der oben dar­ ge­stell­ten konzeptionellen Entscheidung wurden dabei nicht nur die nach Duisburg zu­ge­wan­der­ten Bürger (und ihre Kinder bzw. Enkel), sondern auch die einheimischen Duis­burger Bürger einbezogen.3 Der Fragebogen war aus diesem Grund untergliedert in einen allen Befragten vor­

Grafik 1: Die Dimensionen der Integration

Integration

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Integration zwischen Distanz und Annäherung

Grafik 2: Die Zusammensetzung der Duisburger Bevölkerung

pus) deutschen oder Zu­wan­de­ rer­­interviewern vor­ge­legt. Der Rücklauf der Fragebögen war insgesamt zufriedenstellend und hat zu ei­nem Datensatz von 2.620 Fällen geführt, der anschließend vor allem mit bivariaten sta­tistischen Methoden analysiert wurde – mit den nachfolgend höchst selektiv und synthetisch vorgestellten Ergebnissen.

Ergebnisse I: Die sozio-demographische Struktur der Zu­wan­de­­­rer Grafik 3: Erwerbstätigkeit von Deutschen und Zuwanderern

Grafik 4: Erwerbstätigkeit von jungen Deutschen und Zuwanderern

ge­leg­­ten ersten Teil und einen zweiten Teil, der in zwei un­ terschiedlichen Va­rian­ten der Duis­­burger Zu­wan­de­rer­ bevölkerung und der Duis­ bur­ger Mehrheits­be­völ­ke­ rung vor­ge­­legt wurde. Abgedeckt wurden relativ gleich­ge­wichtig alle der im Dimen­sio­nen­modell genannten Aspekte von Integration, d.h. sowohl Indikatoren, die die ‚harten strukturellen’ Seiten von Integration betreffen, als auch solche, die auf die ‚weichen sozialen und kultu­rel­len’ Aspekte des In­te­gra­tions­pro­ zesses gerichtet sind. Der ausschließlich in deutscher Sprache verfasste Fragebogen wur­de den Befragten persönlich von (je nach Befragtenty10

Die Duisburger Zuwanderer machen ca. ein Drittel der Duis­ burger Gesamt­be­völ­ke­rung aus.4 Ihre höhere Kinderzahl und die jüngere Altersstruktur im Vergleich zur deut­schen Bevölkerung sprechen dafür, dass dieser Anteil in Zukunft noch weiter an­wachsen wird. Ca. ein Fünftel der Duisburger Zuwanderer ist bereits in Deutsch­land ge­boren und nahezu die Hälfte lebt schon über 20 Jahre in Deutschland. Innerhalb der Zuwanderergruppe wurde weiter aufgrund rechtlicher Statuskriterien (und nicht basierend auf nationaler Herkunft) zwischen drei Grup­ pen unterschieden: • Ausländer (d.h. Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit), • Ein­ge­bür­gerte (d.h. ehemaligen Ausländer) und • (Spät-)aussiedler. Den Löwenanteil machen dabei auch heute noch (mit 57,4 %) die Ausländer aus, ge­ folgt von den Ein­gebürgerten mit 26,9 %. In beiden Gruppen machen die türkei­stäm­mi­gen Zu­wande­rer mit 40,5 % den mit Abstand größten Anteil aus.5 Mit 15,6 % ist die Grup­pe der Aus­siedler relativ schwach vertreten.

Die Studie belegt eindeutig, dass mit dieser Unterscheidung nach ‚Sta­tusgruppen’ integrationsrelevante Unterschiede identifiziert werden können. Es er­geben sich nicht nur in fast allen Einzelindikatoren signifikante Differenzen zwi­schen den drei Gruppen, sondern auch eine klare ‚Integrationshierarchie’ zwischen ih­­nen: In der Regel weisen die Aussiedler die deutlich ‚güns­ tigsten’ Integrationswerte auf, mit einem gewissen Abstand zu den Eingebürgerten; die Ausländer besitzen meist die deutlich ‚prob­le­ma­tisch­sten’ In­te­grationswerte.

Ergebnisse II: Defizite und Potentiale der Zuwanderer Die Situation der Duisburger Zuwanderer ist auch heute noch von deutlichen Defizi­ ten im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung gekennzeichnet, obwohl sich durch­aus zu­kunftsweisende Verbesserungen andeuten. Weiterhin besitzen Zuwanderer (vor allem bei den niedrigeren Bildungsabschlüssen) ein deutlich schlecht­eres Bil­ dungs­niveau als die Deutschen und finden deutlich schwerer Zugang zum Arbeits­markt als diese (und das auch bei den Deutschen mit vergleichbaren Qualifikatio­nen). Diese Befunde weisen grup­penspezifische Besonderhei­ten nicht nur zwi­ schen den drei Statusgruppen auf: Zu­wandererfrauen besitzen bei den strukturellen Indi­ ka­to­ren im Regelfall deutlich schlechtere Werte als Zu­wan­ de­rermänner; jün­gere Zu­wan­ derer besitzen inzwi­schen weitgehend die gleichen Bil­ dungs­abschlüsse wie Deut­sche derselben Alters­klasse. Auch die Einbeziehung von Zuwanderern in weitere relevante

Stadtforschung und Statistik 1/ 2010


Integration zwischen Distanz und Annäherung gesellschaftliche In­sti­tu­tionen weist gegenläufige Tendenzen auf: Zwar nehmen Zuwanderer inzwi­schen ähn­lich häufig institutionelle Hilfs- und Unterstützungsangebote in Kauf, en­ga­gieren sich aber deutlich seltener in Vereinen und Organisationen und bleiben dabei meist unter sich. Mit ihrem Leben in Deutschland ist die Mehrheit der Zuwanderer zufrie­den, hat aber auch Schwierigkeiten in ihrer Identifikation mit Deutschland und der deut­schen Be­ völkerung. In Bezug auf ihre Sprachfähigkeiten und ihre Sprachverwendung gehen die Zuwan­de­rer weitgehend von einer gleich guten Beherrschung ihrer Herkunftssprache und der deut­ schen Sprache aus. Ein solches paritätisches Verhältnis wird auch durch die Anga­ben zum gleichgewichtigen Mediengebrauch in der Herkunfts- und der deut­schen Sprache bestätigt. Allerdings verwenden die Zuwanderer in den für sie we­ sentlichen informellen Kontakten (Familie, Verwandtschaft und Freundeskreis) deut­lich häufiger ihre Herkunftssprache und stellen Sprachprobleme eindeutig und mit Abstand auf den ersten Rangplatz der von ihnen benannten In­te­gra­tions­ prob­leme. Auch in Bezug auf die von Zuwanderern vertretenen Werte

Grafik 5: Erwerbstätigkeit unterschiedlicher Zuwanderergruppen

Grafik 6: Probleme von Zuwanderern im Zusammenleben mit Deutschen

ergibt sich ein differen­ziertes Bild: In vielen Bereichen ergeben sich keine deutlichen Unterschiede zur deut­schen Bevölkerung. Was die Bedeutung der Religion und traditionelle Familien­wer­te betrifft, zeigen sich aber durchaus Unterschiede, die allerdings kaum im Sinne grund­sätzlicher kultureller Brüche zwischen Zuwanderer- und Mehrheitsbevölkerung zu interpretieren sind.

Stadtforschung und Statistik 1/2010

Ergebnisse III: ‚Unerwiderte Liebe’ im Zusammenleben Die Beziehungen zwischen Zuwanderern und Deutschen sind über eine Vielzahl von Indikatoren hinweg von einer deutlichen Asymmetrie gekennzeichnet. Zwar bleiben Zuwanderer (insbesondere in ihren engen Sozialbeziehungen) weiterhin stark unter sich, besitzen aber deutlich häufigere

Grafik 7: Wichtigkeit von Religion und Geschlechterrollen

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Integration zwischen Distanz und Annäherung Kontakte zu Deutschen als dies umgekehrt von Deutschen angegeben wird und sind auch klar zufriedener mit diesen Kontakten als diese. Und auch ihr Interesse an einer Ausweitung solcher Kontakte

ist weitaus stär­ker ausgeprägt als bei ihrem deutschen Gegenpart. Entsprechend nehmen Zu­wan­derer häufiger an von Deutschen getragenen Veranstaltungen teil als dies um­ge­kehrt der Fall ist.6

Auch die Gruppe der Zuwanderer, die Vorurteile gegenüber den Deutschen hegt, ist re­lativ begrenzt; tatsächlich stehen die Deutschen in der Sympathieskala von Zu­wan­de­rern auf dem ersten Platz. Relativ überraschend (gemessen an diesen Befunden und auch sonstigen Ergebnis­sen der Integrationsforschung) ist schließlich, dass mehr als die Hälfte der Zuwande­rer angeben, bisher keinerlei Diskriminierungserfahrungen und nur 9 % solche Erfah­run­gen häufig gemacht zu haben.7

Grafik 8a: Kontaktintensität und Kontaktorte der Deutschen

Auch inter-ethnische Konflikte stellen aus Sicht der Zu­ wanderer die Ausnahme dar; zu einem ‚echten Miteinander’ im Zusammenleben mit den Deutschen ist es aber bisher gleichwohl nicht gekommen.

Ergebnisse IV: Distanz und Vor­ urteile

Grafik 8b: Kontaktintensität und Kontaktorte der Zuwanderer

Grafik 9: Sympathien für unterschiedliche Herkunftsgruppen

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Die oben genannten Befunde werden durch die Antworten auf diejenigen Fragen weit­ ge­hend bestätigt, die unmittelbar auf die Einstellungen der Mehrheitsbevölkerung ge­rich­tet wa­ren. Die Deutschen ge­hen von erheblichen kulturellen Differen­zen zur Zu­wandererbevölkerung aus, die insbesondere den Bereich Familie und Re­ligion und die größte der in Duis­burg lebende Zuwanderergruppe aus der Türkei betreffen. Und auch ihre Sympa­thien sind für diese Gruppen (und auch die zweit­ größte Gruppe der ‚Rus­sen’) sehr gering aus­geprägt.8 Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Duisburger Deut­schen besitzt dar­über hinaus deut­li­­che Vorurteile gegenüber Zuwanderern, und auch Ängste ge­genüber der Präsenz von Zuwanderern sind nicht selten aufzufinden. Stadtforschung und Statistik 1/ 2010


Integration zwischen Distanz und Annäherung Dieser weiterhin bestehende Mangel an Ak­zep­tanz gegen­ über Zuwanderern und ih­ren Lebensformen schlägt sich auch in dem Bild von Integration nieder, das ein gro­ßer Teil der deut­schen Befragten zum Ausdruck bringt: Integration wird we­sent­­lich als Bringschuld der Zuwanderer interpretiert und ihr Gelingen wird vor allem von de­ren An­ pas­­sung an den Lebensstil der Mehr­heits­be­völkerung abhängig gemacht.

Grafik 10: Diskriminierungserfahrungen

Integration in Duisburg: eine Gesamtbewertung Entgegen der Befunde anderer Untersuchungen ergeben sich in Duisburg nach Qua­lität und Umfang die auch aus anderen Städten bekannten Integrationsprobleme und -potenziale. Dabei ist allerdings die spezifische soziale und nationale Zusammenset­zung der Duisburger Zuwandererbevölkerung und die insgesamt (und in bestimmten Stadtvier­teln besonders) schwierige wirtschaftliche Situation der Stadt Duisburg zu be­rück­sich­tigen. 9 Einer weiterhin strukturell benachteiligten und auch in sozialer und kultureller Hin­ sicht nur partiell integrierten Zuwandererbevölkerung steht eine Mehrheitsbevölke­rung ge­ gen­über, die zwar erste Schritte in Richtung auf die Akzeptanz der dauer­haften Zu­ge­­hörigkeit von Zuwanderern zum Gemeinwesen gemacht hat, aber wei­terhin noch ei­­ne erhebliche Distanz und deutliche Vorurteile gegenüber dieser Gruppe auf­weist. Die Beziehungen zwischen beiden Gruppen bleiben auf dieser Basis weiterhin asym­ me­trisch und prob­lematisch, scheinen aber weder von deutlichen Dis­kri­mi­nie­rungen der

Grafik 11: Einstellungen der Deutschen gegenüber Zuwanderern

Minderheiten­grup­pe noch von konflikthaften Zuspitzungen belastet, son­dern sich durch­­ aus im Span­nungs­­feld zwischen Distanz und Annäherung zu be­we­gen.

Die Zukunft des Duisburger Integrationssurveys In mehrerlei Hinsicht könnte und sollte in Zukunft über den hiermit dokumentierten Er­ geb­nis­stand hinausgegangen werden10: • Der in dieser Form für kommunale Erhebungen wohl einzigartig reichhaltige Da­ ten­­bestand sollte in Zukunft Gegenstand weiterer Auswertungen werden. Diese könn­­ten sich sowohl auf Gruppendifferenzen (zwischen nationalen Her­kunfts­

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grup­pen, zwischen Generationen und Geschlechtern) als auch auf räum­liche Dif­ fe­ren­zie­rungen (Auswertung der Ergebnisse der Wohn­ vier­tel­stichproben) richten und auch me­tho­disch komplexer angelegt werden (beispielsweise in der Durch­füh­ rung mul­ti­­va­ria­ter Analysen im Rahmen theoretisch anspruchsvollerer For­schungs­ vor­ha­ben). • Die Ergebnisse dieser ‚quantitativen’ Studie sollten integriert werden mit anderen For­men des städtischen Integrationsmonitorings, etwa mit den Ergebnissen klein­ räumiger, qua­litativ ausgerichteter Fall- und Wohnviertelstudien. • Methodik und Ergebnisse der Studie sollten auch anderen Kommunen Hinweise für die Durchführung ver-

Reichhaltiger Datenbestand

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Zahl des Jahres 2009: 40 + 20 gleichbarer Studien liefern. • Schließlich ist auf eine Wiederholung der Studie (oder zumindest einer ‚abge­ speck­ten’ Variante) zu hoffen, weil nur auf diesem Wege Veränderungen in der Inte­g­ra­tion und Erfolge der Integrationspolitik im Zeitverlauf feststellbar sind.

Anmerkungen

1 Die vollständigen Ergebnisse der Studie sind im Herbst 2009 unter dem Titel „Integration zwischen Distanz und Annäherung. Die Ergebnisse der Ersten Duisburger Integrationsbefragung“ publiziert worden und können über die Internetseite des N.U.R.E.C. Institutes (http://www.nurec.de/) bezogen werden. Die Publikation umfasst auch die aus der Bestandsaufnahme abzuleitenden Handlungsempfehlungen. Dieser Aspekt bleibt in der vorlie-genden Kurzpräsentation unberücksichtigt. 2 Insgesamt lehnt sich das verwendete Modell an die von Hartmut Esser schon zu Beginn der 1980er Jahre entwickelte Differenzierung zwi­schen strukturellen, sozialen, kulturellen und identifikatorischen Aspekten von Integration an. Sie-

he hierzu neuerdings Hartmut Esser, Sprache und Integration. Die sozialen Bedingungen und Folgen des Spracherwerbs von Migranten, Frankfurt a.M. 2006, S. 25f. 3 Beide Gruppen wurden dabei im Wesentlichen aufgrund der vom Statistischen Bundesamt entwi­c­ kel­­ten De­fi­ni­ti­­on von Personen mit bzw. ohne Migrationshintergrund unterschieden. Ergänzt wurde die­­ se ‚objektive’ De­fi­ni­tion im Falle von schon relativ lange in Deutschland lebenden Aussied­lern durch das ‚subjektive’ Kriteri­um ih­rer Selbstidentifikation als Deutsche bzw. Zuwanderer. Zur Vereinfachung wur­de in der Studie (und wird auch hier) von ‚Zuwanderern’ und ‚Deutschen’ gespro­chen. 4 In der Stichprobe ist der Anteil etwas höher, was unter anderem auf einem besseren Rücklauf der Fra­gebögen auf Seiten der Zuwanderer beruht. 5 Tatsächlich ist Duisburg die deutsche Großstadt mit dem höchsten Anteil an türkeistämmigen Zuwande­rern. 6 Dies kann selbstverständlich auch mit dem unterschiedlichen Umfang entsprechender Angebote zu­sammenhän­gen, spricht aber im Zusammenhang mit anderen Ergebnissen durchaus für eine stärkere soziale und kulturelle Öffnung der Zuwanderer hin zur Mehrheitsgesellschaft.

7 Dies bedeutet auch, dass Deutsche tatsächlich etwa zweimal so oft vom häufigen Vorliegen von Dis­kri­minierung und nur halb so häufig von der Nicht-Existenz jeglicher Diskriminierung ausgehen als die be­troffene Gruppe selbst. 8 Siehe hierzu Grafik 9. 9 Siehe beispielsweise die vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Anfang 2009 vorgeleg­te Studie „Ungenutzte Potentiale. Zur Lage der Integratin in Deutschland“, in der Duisburg unter den deutschen Groß­ städ­ten den letzten Platz in der Integrationsrangliste einnimmt. Die dort vorgenom­mene indikatorengestützte Zu­wei­sung von Integrati­onswerten berücksichtigt allerdings tatsächlich nicht die unterschiedliche soziale und na­ tio­na­le Zusammenset­zung der verglichenen Städte und ver­mischt so in der Bewertung der Integrationssituation in unterschiedlichen Städten genuine Städteef­fekte mit Effekten der spezifischen Zu­ sammensetzung der Zuwande­rer­ be­völkerung in diesen Städten. 10 Ein Teil der im Folgenden skizzierten weiteren Auswertungsmöglichkeiten wird zum jetzigen Zeitpunkt von Sei­ten des N.U.R.E.C. Instituts und des Duisburger Amts für Statistik, Stadtforschung und Europaangelegenhei­ten tatsächlich schon weiterverfolgt.

Zahl des Jahres 2009: 40 + 20 Martin Schlegel, Hagen Die Zahl des Jahres 2009 lautet: 40 + 20. Das hat die Redaktion von „Stadtforschung und Statistik“ festgelegt. Mit „40 + 20“ soll an 60 Jahre erfolgreiche Bundesrepublik Deutschland erinnert werden. Gleichzeitig wird der lange getrennten Entwicklung und der wechselvollen deutschen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg gedacht. Während der Westen sich in einer demokratischen Gesellschaft entwickeln konnte, hatte der Ostteil 40 Jahre lang eine SED-Dik-

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tatur zu ertragen. Erst durch die friedliche Revolution von 1989, die nun auch wieder 20 Jahre zurückliegt, wurde die Trennung überwunden. Hinter „40 + 20“ landete 70,8 %, die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl im September 2009. Es ist die geringste Beteiligung bei einer Bundestagswahl und damit ein Wert, der Wähler und Politiker wachrütteln muss. Auf Platz 3 rangiert 2 500 Euro, die Abwrackprämie.

Ein Blick in die Vergangenheit: Zahl des Jahres 2008: 138 Mrd. Kilometer (von den Finanzämtern anerkannten Wege der Pendler) 2007: 55 555 (die 1817 geltenden Bundesgesetze enthalten exakt 55 555 Einzelnormen) 2006: 3 (3. Platz bei der Fußball-Weltmeisterschaft) 2005: 8 (8-Augen-Gespräche zwischen Merkel, Müntefering, Schröder und Stoiber) 2004: IV (Hartz IV) 2003: 2010 (Agenda 2010) 2002: 1,95583 (Umrech­ nungs­kurs von DM in Euro)

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Die Delphi-Methode als neuer Ansatz – Ein Arbeitspapier1

Integrationsmessung von MigrantInnen Alexander Lenz, Dortmund

Die Notwendigkeit eines Integrationsmonitorings geht auf den „Masterpan Integration“ der Stadt Dortmund zurück. Im Jahre 2005 beschloss der Rat der Stadt, dass sich das eigens dafür eingerichtete Integrationsbüro mit der Erarbeitung und Umsetzung eines kommunalen Integrationskonzeptes (dem „Masterplan Integration“) befassen sollte. Das war eine zwingende Folge aufgrund der Bevölkerungsstruktur in Dortmund, die einen hohen Anteil von Migranten2 aufweist (s. Infokasten). Das Integrationskonzept der Stadt Dortmund umfasst dabei folgende Handlungsfelder: • Schule/Ausbildung/Übergänge • Interkulturelle Öffnung der Verwaltung • Sprachförderung • Kinder und Jugendliche in Freizeit • politische und gesellschaftliche Partizipation von Migrantinnen und Migranten • Zusammenarbeit und Dialog mit Migrantenselbstorganisationen • Interreligiöser Dialog/Akzeptanz nicht-christlicher Glaubensgemeinschaften • Menschen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus • Kultur und Interkultur, Gesundheit • Alter • Arbeit und Beschäftigung • Wohnen • Familie • Monitoring und Evaluation

• Dortmund International • Aktionsplan für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus • Aktionsplan Soziale Stadt • Stadtumbau/Stadterneuerung Im Zuge der Erarbeitung und Umsetzung des „Masterplans Integration“ wurde deutlich, dass dieser durch ein Integrationsmonitoring unterstützt und begleitet werden sollte. Daher wurde gemeinsam vom Integrationsbüro und dem Fachbereich Statistik der Stadt Dortmund entschieden, ein langfristiges und regelmäßiges Integrationsmonitoring aufzubauen3, wofür insbesondere auf bestehende Daten zurückgegriffen werden soll. Das Integrationsbüro und der Fachbereich Statistik erarbeiten ein derartiges Monitoringsystem. Zur Lösung eines besonderen Problems, nämlich der Messung einer „gefühlten“ Integration, wurden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Fördermittel bewilligt, aus denen befris­ tet bis Ende 2009 die Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters finanziert wurde. Das Projekt „Aufbau und Entwicklung eines Monitoringsys­ tems im ‚Masterplan Integration’“ verfolgt dabei hauptsächlich zwei Ziele: 1. Weiterentwicklung des Monitoringsystems im „Mas­

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Bevölkerung mit Migrationshintergund in Dortmund (Stand: 31.12.2008) Insgesamt leben in Dortmund rund 580.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Rund 28 % davon sind Menschen, die eine ausländische Herkunft haben. In Dortmund leben zur Zeit 73.000 Menschen mit ausländischem Pass. Hinzu kommen 91.000 Deutsche mit Migrationshintergrund (Eingebürgerte, Spätaussiedler und in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern). Den höchsten Migrantenanteil mit 62 % hat die Innenstadt-Nord; werden nur Ausländer gezählt, kommt man für diesen Stadtbezirk auf einen Anteil von 41 %. Mit rund 17 % hat der südliche Stadtbezirk Aplerbeck den niedrigsten Anteil von Migranten. Die anderen Stadtbezirke haben Migrantenanteile von etwa 30 %.

terplan Integration“ und Einführung einer Methode zur Integrationsmessung auf der Basis von Expertengesprächen und Befragungen zu wesentlichen Handlungsfeldern des „Mas­terplans Integration“. 2. Exemplarisch werden hierzu am Themenfeld „Interkulturelle Öffnung der Verwaltung“ die Methode der Expertengespräche erprobt und weitere Daten erhoben.

Der Delphi-Ansatz Am Beispiel des Handlungsfeldes „Interkulturelle Öffnung der Verwaltung“ sollte die Methode der Expertengespräche angewandt werden. Da es zu diesem Handlungsfeld kaum aussagekräftige Kennzahlen gibt, sollten diese mit Hilfe einer qualitativen Methode erhoben werden. Zu diesen qualitativen Methodenansätzen gehört unter anderem die Delphi-Methode, worauf sich die Expertengespräche methodisch stützen. Der Delphi-

Was ist „Interkulturelle Öffnung“? Mit der Interkulturellen Öffnung wird ein Prozess beschrieben, bei dem die Stadtverwaltung strukturelle Barrieren abbaut, damit Menschen mit Migrationshintergrund städtische Dienstleistungen einfacher in Anspruch nehmen können. Das bedeutete, dass Informationen in Fremdsprachen bereitgestellt, Integrationsmaßnahmen durchgeführt werden und Ansprechpartner mit eigener Zuwanderungsgeschichte für Migrantinnen und Migranten beschäftigt sind. Interkulturelle Öffnung bedeutet aber auch, dass sich eine Verwaltung in ihrem Tun und ihrer Planung auch an den Bevölkerungsgruppen aus anderen Herkunftsländern orientiert (vgl. Stadt Dortmund 2006, Masterplan Integration).

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Integrationsmessung von MigrantInnen

Gruppendelphi

Ansatz fand sich schnell als sinnvoller Ankerpunkt, da eine regelmäßige Befragung der Migranten als nicht durchführbar eingeschätzt wurde. Die Delphi-Methode ist in ihrem klassischen Aufbau dazu gedacht, Vorhersagen über Risiken und Entwicklungen von Maßnahmen durch Expertenurteile zu treffen. Die Merkmale eines klassischen Delphi-Designs sind: • Verwendung eines formalisierten Fragebogens, • Befragung von Experten, • Anonymität der Einzelantworten, • Ermittlung einer statis­ tischen Gruppenantwort, • Information der Teilnehmer über die (statistische) Gruppenantwort, • (mehrfache) Wiederholung der Befragung4

Anonymität

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Bei der schriftlichen Vorgehensweise wird den Experten weitestgehend Anonymität zugestanden, was ein wesentliches Element eines DelphiDesigns ist. Die Vorteile einer Anonymität bei Expertenbefragungen stellen Häder und Häder (2000) dar.5 Als wesentliche Vorteile gelten, dass eine „Meinungsführerschaft in der Expertengruppe“ verhindert wird. Zudem müssen die beteiligten Experten keinen Prestigeverlust fürchten; oberflächliche Einschätzungen werden unterlassen, sodass Extrempositionen vermieden werden. Ebenso vorteilhaft ist, dass die Beteilung an einer Befragung erhöht wird, da die abzugebenden Einschätzungen immer mit einer Unsicherheit verbunden sind. Die Delphi-Methode lässt sich wegen ihrer Variationsmöglichkeiten gut umstrukturieren und umsetzen. In dem Dortmunder Projekt wurden ausgewählte

Expertinnen und Experten zu Gesprächsrunden eingeladen. In diesen Gesprächsrunden konnten sie die Ergebnisse einer vorherigen Befragung diskutieren. Dieses Vorgehen lehnt sich der Methode des Gruppendelphis6 an, welches als Weiterentwicklung des klassischen Delphis zu sehen ist. Das Gruppendelphi ist originär dazu gedacht, politische Leitbilder und Planungsziele zu entwickeln.7 In den 1980er und 1990er Jahren wurde das Gruppendelphi mit dem Ziel erarbeitet, Vorteile des klassischen Delphi-Ansatzes beizubehalten und Nachteile auszubessern. Als ein wesentlicher Nachteil gilt „[...] das Fehlen von inhaltlichen Begründungen für abweichende Urteile“8 in der Befragung. Zur Erfassung der inhaltlichen Begründungen werden Expertinnen und Experten zu Workshops eingeladen, in denen schriftliche Befragungen mit Diskussionsrunden einhergehen. Die grundlegende Struktur des klassischen Delphis wurde beibehalten, aus der anonymen Befragung wurde nur eine diskursive Variante.9 Das Gruppendelphi eignet sich sehr gut für die Evaluation und Politikberatung. Besonders bei Themen, die eine Expertise und Beurteilung benötigen, hat sich die Methode bewährt.10 Es zeigt sich jedoch in dem Projekt, dass auch Einschätzungen über schwer quantitativ messbare Sachverhalte erfasst werden können. Der idealtypische Ablauf eines Gruppendelphis umfasst acht Schritte, die sich am klassischen Delphi orientieren:11 1. Vorstellung des Fragebogens und Erklärung der Methode; 2. Aufteilung der Teilnehmer in Gruppen;

3. Ausfüllen von Fragebögen in Kleingruppen auf der Basis von Gruppendiskussionen; 4. Auswertung der Frage­ bögen; 5. Plenumsdiskussion über die Ergebnisse und Erläuterungen von Abweichungen vom Mittelwert; 6. Diskussion der strittigen und unklaren Fragen in Kleingruppen mit anderer Zusammensetzung; 7. Wiederholung von Gruppen- und Plenumsrunden bis keine bedeutsamen Unterschiede im Antwortverhalten der einzelnen Standpunkte mehr auszumachen sind; 8. Erstellung eines Protokolls mit den statistischen Auswertungen und inhaltlichen Begründungen.

Umsetzung der Methode Bei der Projektumsetzung wurde eine Variante des Gruppendelphis entwickelt, bei der im Vorfeld Fragebögen verschickt und von den Experten ausgefüllt wurden. Dadurch konnten die Ergebnisse der Befragung direkt in den darauffolgenden Gesprächsrunden diskutiert werden. Dies ist ratsam, wenn für die Gesprächsrunden/für den Workshop sehr wenig Zeit eingeplant ist. Damit wird zudem erreicht, dass die Diskussion näher am Thema bleibt und die verfügbare Zeit eingehalten wird.12 Die Gesprächsrunden wurden vom Fachbereich Statistik durchgeführt und moderiert. Für eine abschließende Bewertung der interkulturellen Öffnung der Verwaltung (IKÖ) durch die jeweilige Expertengruppe wurde zudem eine Punktebewertung konzipiert, um den Stand in verschiedenen

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iNtEGratioNSMESSUNG VoN MiGraNtiNNEN Feldern der iKÖ einzuschätzen. Es wurden drei Expertengruppen gebildet: • Mit Integrationsaufgaben betraute Verwaltungsmitarbeiter • Mitglieder von Wohlfahrtsverbänden • Mitglieder von Migrantenselbstorganisationen (MSo) die Expertenauswahl für die Gesprächsrunden erfolgte mit der Unterstützung des integrationsbüros der Stadt dortmund. die bewusste auswahl der Personen für Expertenbefragungen und -gesprächen ist in der Sozialforschung eine übliche Vorgehensweise13. anders als bei einer Zufallsstichprobe, sind hier Einschränkungen in der Möglichkeit statistischer auswertungen vorhanden. allerdings ist es bei einer solchen auswahl möglich, genau die Experten zu gewinnen, die auch etwas zum thema beitragen können. Um die Vergleichbarkeit der Gespräche sicherzustellen, wurden diese nach demselben Muster durchgeführt. dabei wurden im Wechsel zunächst die Befragungsergebnisse vorgestellt und im anschluss die diskussion zu dem thema geführt. die genannten diskussionspunkte wurden in einem Protokoll festgehalten, um bei der auswertung der Gespräche die Verbindung zu den Befragungsergebnissen herzustellen.

Fazit das Projekt zeigte, dass sich durch die Expertenbefragung brauchbare Ergebnisse erzielen lassen. die zusätzlich geführten Expertengespräche rundeten entsprechend die Befragung ab, und es konnten aussagen über die interkultu-

relle Öffnung getroffen werden. aufgrund des Studiencharakters des Projekts, ließen sich wichtige Erkenntnisse zur Fortführung des Monitorings ableiten. Erstens gewährleistet die Expertenbefragung die regelmäßige und mehrdimensionale Betrachtung, die für ein Monitoring nötig ist. Es zeigten sich allerdings auch Schwächen beim beschriebenen Vorgehen. insbesondere der delphi-ansatz an sich ist nicht frei von Mängeln. Hervorzuheben ist hierbei, dass mit der delphi-Methode nur Expertenmeinungen abgefragt werden. diese Meinungen können jedoch einseitig und allzu positiv ausfallen, so dass kritische Einschätzungen fehlen. in diesem Projekt wurde versucht, diesem Manko durch unterschiedliche Expertengruppen entgegen zu treten, um ein breiteres Meinungsspektrum abzufragen (intersubjektivität). Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Bewertung des Standes der interkulturellen Öffnung durch Punktevergabe keine befriedigende lösung darstellt. an diesen Kritikpunkten besteht methodisch und inhaltlich noch Entwicklungsbedarf. Ebenfalls entwicklungsbedürftig ist die Bildung von indikatoren und die Messung derselbigen. Ersten Entwürfen mangelt es hier noch an einer detaillierten tiefe der indikatoren. Perspektivisch könnte die Expertenbefragung mit einem ausführlichen Fragebogen ein mögliches Vorgehen sein, um ein Monitoringsystem aufzubauen. durch eine relativ große Stichprobe von Experten würden verschiedene Meinungsbilder abgefragt, so dass der Nachteil einer allzu positiven Beurteilung vermieden wird. Wichtig wird es dabei

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sein, die Voraussetzungen für ein Monitoring einzuhalten und sozialwissenschaftlichen Forschungsstandards gerecht zu werden.

Literatur

Häder M. (2000) die Expertenauswahl bei delphi-Befragungen. ZUMa How-toreihe, Nr. 5. Häder M., Häder, S. (2000) die delphi-Methode als Gegenstand methodischer Forschungen. in: Häder M., Häder S. (Hrsg.) die delphitechnik in den Sozialwissenschaften. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 11-31. Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (2006) integrationsmonitoring. KGSt-Materialien Nr. 2/2006. Köln. Schulz M., renn o. (2009) Methodik des delphis: Fragebogenkonstruktion. in: Schulz M., renn o. (Hrsg.) das Gruppendelphi. Konzept und Fragebogenkonstruktion. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 23-46. Stadt dortmund (2006) Masterplan integration.

Exkurs: MigraPro Eine wichtige datengrundlage für integrationsmonitorings „MigraPro“, ein von der deutschen Städtestatistik unter der Führung der Stadt Stuttgart entwickeltes Verfahren. Es kombiniert die daten aus den Melderegistern zu den Merkmalen „Zweite Staatsangehörigkeit“, „Zuzugsherkunft“, „art der deutschen Staatsangehörigkeit“ und „Geburtsland“. Mit diesem Verfahren ist es möglich, aussagen über die Zahl von deutschen mit Migrationshintergrund zu erhalten. Unter Hinzunahme der Zahl der ausländer erhält man alle Menschen mit Migrationshintergrund. Seit dem Jahr 2008 verwendet der Fachbereich Statistik der Stadt dortmund MigraPro für die auswertung der Bevölkerungsstatistik.

Anmerkungen 1

2

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Formalrechtlicher Hinweis! das Projekt wird aus Mitteln des Europäischen integrationsfonds kofinanziert. der text gibt nur die Meinung des Verfassers wieder. die Kommission ist für die Verwendung der information nicht verantwortlich. Zur besseren lesbarkeit des textes wird überwiegend die männliche Form sowohl für Frauen als auch Männer verwendet. Vgl. KGSt-Materialien Nr. 2/2006, S. 7. Häder/Häder 2000, S. 15 Häder/Häder 2000, S. 17f. Schulz/renn 2009 Schulz/renn 2009, S. 7. Schulz/renn 2009, S. 13 vgl. Schulz/renn 2009, S. 13/14. vgl. Schulz/renn 2009, S. 14. vgl. Schulz/renn 2009, S. 17-19. vgl. Schulz/renn 2009, S. 21. vgl. Häder 2000

Über Statistik

:

Viele Zahlen si nd der Information To d..

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Die Wechselseitigkeit des Integrationsprozesses beobachten

Die Integration ausländischer Mitbürger-/innen aus Sicht der Bürger Anke Schöb, Stuttgart

Stand der Integration

Strukturelle Integration

Kulturelle Integration

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Sowohl auf kommunaler wie auf nationaler und europäischer Ebene sind in den vergangenen Jahren Vorschläge für eine integrationsbezogene Berichterstattung entstanden. Zielsetzung ist ein systematischer Bericht, der über den Stand der Integration der ausländischen Bevölkerung beziehungsweise der Migranten Auskunft gibt. Eine Trennlinie zwischen den verschiedenen Ansätzen sind dabei die unterschiedlich formulierten Zieldimensionen bzw. Handlungsfelder der Integration. Dahinter steht zum einen die Entscheidung über eine Hierarchisierung von Lebens- und Politikbereichen a priori und einer damit verbundenen Festlegung auf bestimmte Kernbereiche wie z.B. Arbeit, Wohnen und Bildung. Andererseits lassen sich die Handlungsfelder erweitern um das Gesundheitssystem, das politische System oder die Freizeit, wie dies insbesondere bei europäischen Monitoringansätzen zu finden ist. Dahinter steht das Ziel einer (weitgehend) all umfassenden Erfassung von Lebens- und Politikbereichen. Als neues Handlungsfeld in den Beob­ achtungssystemen wird – insbesondere auf kommunaler Ebene – die interkulturelle Öffnung der Verwaltung und sozialen Dienste formuliert.

Dimensionen gesellschaftlicher Integration Die gegenwärtigen Indikatorensysteme beruhen – da sie hauptsächlich mit amtlichen Daten (kommunal-)statistisch unterfüttert sind – auf Daten zur strukturellen Integration der ausländischen Bevölkerung, und damit überwiegend auf objektiven Indikatoren. Theoretische Bezugspunkte der bisher vorliegenden kommunalen Systematiken sind an der Untergliederung gesellschaftlicher Integration in vier Dimensionen orientiert. Unterschieden wird hier nach der strukturellen, kulturellen, sozialen und identifikatorischen Dimension. Mit „struktureller Integration“ wird die Eingliederung von Migranten in die Kerninstitutionen der Aufnahmegesellschaft bezeichnet. Neben der rechtlichen Integration zählen hierzu die Integration in das Bildungssystem und in den Arbeits- und Wohnungsmarkt. Die „kulturelle Integration“ beinhaltet den Spracherwerb und die Entwicklung von kulturellen Mustern der Aufnahmegesellschaft. Die „soziale Integration“ umfasst die sozialen Beziehungen zwischen Zuwanderern und der Mehrheitsbevölkerung sowie die Aufenthaltsdauer und die Bleibeabsichten der Zuwanderer.

Die vierte Dimension beinhaltet die „identifikatorische Integration“, die beispielsweise durch Zugehörigkeitsgefühle mit der Aufnahmegesellschaft erfasst wird. Stand und Entwicklung der Integration von Zuwanderern in die jeweilige Stadtgesellschaft können dann an objektiven Kennzahlen abgelesen werden: an der Entwicklung des Anteils der Ausländer mit einem „sicheren“ Aufenthaltsstatus (strukturelle Integration in das Rechtssystem), der Bildungsbeteiligung der ausländischen Einwohner (strukturelle Integration in das Bildungssystem) oder des Anteils der ausländischen Einwohner mit deutschen Sprachkenntnissen (kulturelle Integration). Im Hinblick auf die interkulturelle Öffnung der Verwaltung, am Anteil der Mitarbeiter mit Migrationshintergrund in der Verwaltung (strukturelle Integration in die Verwaltung).

Subjektive Indikatoren gesellschaftlicher Integration Ein weiterer Typ von Indikatoren, die so genannten subjektiven Indikatoren, die die Einstellungen und Haltungen der Migrantinnen und Migranten zur Aufnahmegesellschaft sowie der Mehrheitsgesellschaft zu den Migranten erfassen, finden sich vereinzelt in den

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Die Integration ausländischer Mitbürger-/innen aus Sicht der Bürger Systemen, in denen regelmäßig (kommunale) Bürgerumfragen durchgeführt werden (z.B. Kennzahlenbericht BaselStadt). Die Einbindung dieser subjektiven Indikatoren in ein Beobachtungssystem spielt eine immer größere Rolle, da mit Ihnen die Wechselseitigkeit des Integrationsprozesses herausgestellt wird und die Messung von Zugehörigkeitsgefühlen – die identifikatorische Integration – ermöglicht wird. Die geringe Verbreitung der Einbindung subjektiver Indikatoren ist ein Kritikpunkt an den bisher vorliegenden Indikatorensets, unter anderem an dem durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration im Juni 2009 vorgestellten bundesweiten Indikatorensys­ tem1. Das Kernproblem der bisherigen Indikatorensets sei, dass „nur das Anpassungsverhalten der Zuwandererbevölkerung gemessen“ werde. Migranten würden, so der Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration Prof. Dr. Bade, „wie Hamster in eine Lauftrommel auf dem Tisch gesteckt“. Dann prüfe man, ob sie sich in dem von der Mehrheitsbevölkerung als wünschenswert erachteten Takt bewegen. Die Mehrheitsbevölkerung aber sitze scheinbar unbewegt und neutral auf Beobachterposten, obgleich sie sich selbst unter dem Einfluss von Integration ständig verändere. Deshalb müssten auch Indikatoren zum Messen der Integrationsbereitschaft der Mehrheitsbevölkerung entwickelt werden2. Die Stuttgarter Bürgerumfrage erhebt seit 2003 regelmäßig Indikatoren, die die Integrationsbereitschaft der Mehrheitsbevölkerung und das Integrationsklima in der Stuttgarter

Bevölkerung erfassen. Diese Indikatoren wurden in den regelmäßig alle zwei Jahre erhobenen Standardteil der Bürgerumfrage integriert. Zum anderen werden die sozialen Beziehungen und das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern regelmäßig untersucht.

Die Stuttgarter Bürgerumfrage • seit 1995 alle zwei Jahre • postalische Befragung • regelmäßig erhobene Fragen („Standardindikatoren“) zur kommunalen Lebensqualität und bürgernahen Verwaltung • unregelmäßig Schwerpunktthemen aus den Fachämtern • Hauptwohnsitzbevölkerung ab 18 Jahren • einstufige Zufallsauswahl aus dem Einwohnermelderegister • Nettostichprobe zwischen 2100 und 3400 Personen je nach Erhebungsjahr Dieses Vorgehen der Einbindung in eine bestehende Bürgerumfrage hat allerdings auch ihre Grenzen. Die Grenzen der kommunalen Bürgerumfrage zur Verdeutlichung der gesamten Lebensverhältnisse der ausländischen Bevölkerung, liegen zum einen darin begründet, dass sie konzeptionell nicht als zielgruppenspezifische, sondern als allgemeine Befragung angelegt ist. Damit stößt sie bei bestimmten Bevölkerungsgruppen wie z.B. bei der ausländischen Bevölkerung, an Fallzahlgrenzen, die für eine vertiefte Analyse erforderlich wäre. Bei der Analyse der ausländischen Bevölkerung, ist – wenn sie in die Erhebung eingehen – zu beachten, dass es eine Form der

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Selektion der „Integrierten“ geben kann. So sind die Fragebögen nicht in die jeweilige Landessprache übersetzt und die Beantwortung setzt ein bestimmtes Sprachverständnis voraus. Damit können bzw. möchten Neuzuwanderer oder Personen, die die deutsche Sprache (noch) nicht beherrschen an der Befragung eventuell nicht teilnehmen. Ein (indirekter) Hinweis auf eine mögliche verzerrte Abbildung ist die insgesamt niedrigere Rücklaufquote der ausländischen Bevölkerung bei (kommunalen) Befragungen. Dieser Aspekt schließt eine Analyse der Lebensverhältnisse der ausländischen Bevölkerung auf Basis der kommunalen Bürgerumfrage jedoch nicht aus. So wiegt die Schwierigkeit der Rechtfertigung eines Ausschlusses der ausländischen Bevölkerung, die einen hohen Bevölkerungsanteil in vielen Städten ausmacht, weitaus schwerer. Insofern gilt es bei einer Analyse der ausländischen Bevölkerung zu betonen, dass die Ergebnisse für die ausländische Bevölkerung insgesamt möglicherweise nicht repräsentativ sein können, aber für einen erheblichen Teil zutreffen. In der Übersicht ist „Integration“, wie er in der Stuttgarter Bürgerumfrage Eingang findet, schematisch mit Beispie-

Selektion der Integrierten

Nicht repräsentativ?

Übersicht: Aspekte der Integration in der Stuttgarter Bürgerumfrage

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Die Integration ausländischer Mitbürger-/innen aus Sicht der Bürger len dargestellt. Nachfolgend werden die Ergebnisse dieser Schwerpunkte vorgestellt und deren theoretischen Bezugspunkte aufgezeigt.

Individuelle Lebensqualität: „Wohlfühlen“

Abbildung 1: Zufriedenheit mit der Wohnung

Abbildung 2: Zufriedenheit mit der Wohngegend

Abbildung 3: Zufriedenheit mit Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten

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Es ist hier auf die lange Diskussion in der Sozialindikatorenforschung verwiesen, in deren Tradition die Diskussion über objektive und subjektive (auch: weiche, qualitative) Indikatoren steht und deren Einbindung in gesellschaftliche Beobachtungssysteme3. Im Bereich der Wohlfahrtsforschung gelten die Zufriedenheitsmaße als etablierte Kennzahlen zur Messung des so genannten „subjektiven Wohlbefindens“ in der Bevölkerung. Diese subjektiven Kennziffern werden in der Stuttgarter Bürgerumfrage seit 1995 erfragt. Eine Verwendung dieser Kennziffern für ein Monitoringsystem liegt in ihrer theoretischen Begründung und den empirisch vorliegenden Wirkungsanalysen – und zusammenhängen. Ausgangspunkt hierbei ist, dass für eine umfassende Analyse der Lebenssituation nicht nur die Betrachtung der faktischen (objektiven) Lebenssituation bedeutsam ist, sondern auch, wie die Menschen ihre Lebensbedingungen (subjektiv) wahrnehmen und bewerten. Dieser Bewertungsprozess spiegelt sich in der subjektiven Zufriedenheit wider. Beispielhaft ist in Abbildung 2 bis 4 das Zufriedenheitsniveau mit der Wohnung, der Wohngegend und den Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten nach Deutschen und Ausländern dargestellt. In der zeitlichen Betrachtung verweist die Entwicklung der Zufriedenheitsniveaus in den Bereichen auf Anglei-

chungstendenzen (Wohnung, Wohngegend) und bestehende Disparitäten (Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten) zwischen Deutschen und Ausländern hin. Mit 80 Zufriedenheitspunkten auf dem Stuttgarter Kommunalbarometer4 weist die deutsche Wohnbevölkerung seit 2005 das höchste Niveau bei der Zufriedenheit mit der Wohnung auf, der Wert der ausländischen Wohnbevölkerung liegt hier bei 74 Punkten. Gegenüber dem Jahr 2001 ist ein deutlicher Anstieg festzustellen. So ist das Zufriedenheitsniveau um 9 Punkte von 65 (2001) auf 74 Punkte (2009) gestiegen. Bei den Zufriedenheitswerten mit der Wohngegend findet sich für 2009 ein weniger ungleiches Bild zwischen den beiden Gruppen. Der Abstand zwischen beiden Gruppen hat sich im Zeitverlauf deutlich verringert. Dem Trend der Zunahme bei der Zufriedenheit mit der Wohnzufriedenheit steht das deutliche Absinken der Zufriedenheit mit den Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten bei der deutschen und ausländischen Wohnbevölkerung in den Jahren 2003 und 2005 gegenüber. Hier sinkt das Zufriedenheitsniveau, und erreicht erst 2009 in beiden Bevölkerungsgruppen wieder das Niveau des ersten Beobachtungsjahres. Die Diskrepanz in der Bewertung bleibt allerdings – mit durchschnittlich 10 Punkten auf dem Kommunalbarometer – zwischen Deutschen und Ausländern bestehen.

Akzeptanz von Integrationspolitiken Integration ist ein wechselseitiger Prozess – das heißt Integrationsbereitschaft und Integrationsunterstützung bedingen sich auf beiden Seiten gegenseitig. Theoretische Ansatzpunkte für die Messung von Einstel-

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Die Integration ausländischer Mitbürger-/innen aus Sicht der Bürger lungen gegenüber integrationspolitischen Maßnahmen lassen sich aus der Forschung zu wohlfahrtsstaatlichen Einstellungen entnehmen5. Die Stuttgarter Bürgerumfrage umspannt seit 1995 einen Fragenkomplex zur Erwünschtheit staatlichen Handelns, die gemessen wird über die gewünschte finanzielle Erweiterung bzw. Einschränkung von städtischen Leistungen in verschiedenen Bereichen. Die vorgelegten Items umspannen dabei alle wesentlichen kommunalen Tätigkeitsbereiche. Dem Bereich Integration zugeordnet sind die Integration ausländischer Mitglieder allgemein und die Sprachförderung ausländischer Mitbürger. In einer zeitlichen Betrachtung zeigt dieser subjektive Indikator an, inwieweit sich die Erwartungen der Bürger gegenüber bestimmten Politiken entwickeln und verändern. Ausgaben für die Integration zählen bei den Bürgern im Verhältnis zu anderen Bereichen, wie Familien- und Bildungsausgaben, zu den unveränderlich erwünschten Ausgabenbereichen. 45 Prozent der Befragten fordert hier, dass für die Integration ausländischer Mitbürger die Ausgaben unverändert bleiben (vgl. Abbildung 4). Bei gezielter formulierten Integrationsmaßnahmen wie der Sprachförderung wird der Wunsch nach mehr Geldausgaben deutlicher formuliert (vgl. Abbildung 5). Im Vergleich der vier Beobachtungszeitpunkte erweisen sich die drei Gruppen als relativ stabil. Die stärkere Betonung unveränderter Geldausgaben in den Jahren 2007 und 2009, ist dem Umstand eines geringeren Anteils von Befragten geschuldet, die sich zu diesem Bereich nicht positionieren konnte bzw. wollte (weiß nicht/keine Angabe).

Soziales Integrationsklima Dieser Themenkomplex umfasst Fragen zur sozialen Integration bzw. zum Integrationsklima in der Bevölkerung. Die Frage nach der sozialräumlichen Nähe und Distanz ist regelmäßig erhobenen bundesweiten Befragungen (Laufende Bevölkerungsumfrage des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS)) entnommen6. Bundesweit hat sich die Zustimmung zu diesen Aussagen deutlich gewandelt. Während 1987 die Hälfte der westdeutschen Befragten der Aussage zur sozialräumlichen Nähe zustimmten, erreicht diese im Jahr 2006 eine Unterstützung von 73 Prozent der Befragten. Die Stuttgarter Bevölkerung plädiert mehrheitlich für „sozialräumliche Nähe“ zwischen Ausländern und Deutschen. 70 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu „es ist gut, wenn Ausländer und Deutsche zusammenleben”, 22 Prozent geben an, dass es ihnen egal sei (Indifferenz). Die Vorstellungen über das alltägliche Zusammenleben zwischen Deutschen und Ausländern liegen in Stuttgart gleichauf mit bundesdeutschen Vergleichswerten (vgl. Abbildung 6). Eine Erklärung für die Bereitschaft zur sozialräumlichen Nähe ist der Zusammenhang zur Wahrnehmung von Ausländern im Wohngebiet. Diese ist dann unterdurchschnitt-

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Abb. 4: Akzeptanz von Integrationspolitiken – Integration allgemein

lich, wenn keine Ausländer im Wohngebiet wohnen7. Ein ähnlicher Zusammenhang findet sich auf Basis der Stuttgarter Ergebnisse mit dem Vorliegen von Kontakten zwischen Deutschen und Ausländern. Liegen private Kontakte vor, dann ist die Bereitschaft zur sozialräumlichen Nähe höher. Werden im Wohngebiet Reibereien festgestellt, so hat dies auch Bedeutung für die Vorstellungen über das Zusammenleben zwischen Deutschen und Ausländern. Hier sprechen sich im Falle von Konflikten ein Drittel der Befragten für die sozialräumliche Distanz aus.

Abb. 5: Akzeptanz von Integrationspolitiken – Sprachförderung

Fazit Die vorgestellten Ergebnisse der Stuttgarter Bürgerumfrage verdeutlichen, dass eine gelungene Integration nicht nur an objektiven Eckwerten ab21


Die Integration ausländischer Mitbürger-/innen aus Sicht der Bürger

Ist es Ihrer Ansicht nach gut, wenn in einer Nachbarschaft Ausländer und Deutsche zusammenleben, oder ist es besser, wenn sie für sich getrennt leben, oder ist es Ihnen egal? Abbildung 6: Soziales Integrationsklima

Vorbehalte in der Bevölkerung

gelesen werden kann, sondern auch am erreichten Zufriedenheitsniveau in verschiedenen Bereichen zwischen Deutschen und Ausländern. Die Integrationsbereitschaft kann sich daran bemessen, welche Einstellungen die Mehrheitsgesellschaft gegenüber Integrationsmaßnahmen haben. Denn bestehende Vorbehalte in der Bevölkerung gegenüber der ausländischen Bevölkerung erschweren die Legitimation von Integrationsmaßnahmen. Das von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt)8 vorgestellte Integrationsmonitoring hat die Bedeutung subjektiver Indikatoren für ein Integrationsmonitoring formuliert und zwei Kernindikatoren in ihr Tableau aufgenommen. In Anlehnung hieran finden diese in der Fortschreibung 2009 des „Stuttgarter Bündnis für Integration“ ihren Eingang9.

gemacht haben, bleiben unberücksichtigt. Den Bewertungskategorien, wie zum Beispiel sehr zufrieden, zufrieden, teils/teils, unzufrieden und sehr unzufrieden werden nach der Rangfolge die Werte 100, 75, 50, 25 und 0 zugeordnet. Der Mittelwert bildet den Messwert in Punkten (Kommunalbarometer) für die momentanen Einstellungen und Einschätzungen der Bürger, vergleichbar mit dem Messwert des Luftdrucks, den man an einem Barometer ablesen kann. 5 Folgt man der Gliederung wohlfahrtsstaatlicher Einstellungen, dann reflektiert die Frage nach den öffentlichen Haushaltsausgaben die Bewertung der Ziele des Wohlfahrtsstaates. Mit Zielen ist dabei die Erwünschtheit staatlichen Handelns bei den Bürgern gemeint. Die Stärke der Erwünschtheit staatlichen Handelns wird dann an der Bewertung der Leistungshöhe für verschiedene Bereiche gemessen (vgl. Roller (1992)). 6 Im Gegensatz zu Böltken (2000) werden hier nicht die Begriffe „Integrationsbereitschaft“ und „Segregationsbereitschaft“ für die beiden Aussagen verwendet, sondern sozialräumliche Nähe und Distanz. 7 Vgl. BBR (2006). 8 Vgl. KGSt (2006). 9 Vgl. LHS Stuttgart (2009).

Anmerkungen

Literatur

1

Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2009). 2 Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Presseerklärung vom 15. Juni 2009. Berlin. 3 Vgl. Noll (1989). 4 Die Berechnung des Kommunalbarometers beruht auf dem Anteil der Befragten, die eine Einschätzung gegeben haben, das heißt, die Befragten die mit „weiß nicht“ geantwortet bzw. keine Angabe

22

Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Integration in Deutschland (2009): Erster Integrationsindikatorenbericht: Erprobung des Indikatorensets und Bericht zum bundesweiten Integrationsmonitoring, Berlin. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR)

(Hrsg.) (2006): LebensRäume - Wohn- und Lebensbedingungen aus Sicht der Bewohnerinnen und Bewohner, Berichte Band 24, Bonn, S. 37-55: S. 182-183. Böltken, Ferdinand (2000): Soziale Distanz und räumliche Nähe – Einstellungen und Erfahrungen im alltäglichen Zusammenleben von Ausländern und Deutschen im Wohngebiet. In: Richard Alba, Peter Schmidt, Martina Wasmer (Hrsg.): Deutsche und Ausländer: Freunde, Fremde oder Feinde? Empirische Befunde und theoretische Erklärungen, Wiesbaden, S. 147-194. Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) (2006), Integrationsmonitoring. KGStMaterialien Nr. 2/2006. Noll, Heinz-Herbert, 1989: Indikatoren des subjektiven Wohlbefindens: Instrumente für die gesellschaftliche Dauerbeobachtung und Sozialberichterstattung? In: ZUMA-Nachrichten, 24, S. 26-41. Roller, Edeltraud, 1992: Einstellungen der Bürger zum Wohlfahrtsstaat der Bundesrepublik Deutschland, Opladen. Landeshauptstadt Stuttgart (LHS Stuttgart) (2009), Stuttgarter Bündnis für Integration. Fortschreibung 2009.

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Konstanz: Kooperation zwischen Universität und Stadt

Online – Bürgerbefragungen Eberhard Baier, Konstanz

Elektronische Bürgerbeteiligung, fachlich: „E-Participation“ und eGovernment, liegen im Trend. Immer mehr Städte bieten ihren Bürgern Beteiligungsformen im Internet an. Dies reicht von Beteiligung der Bürger an Bürgerhaushalten wie in den Städten Freiburg oder Köln, der elektronischen Abgabe von Bauanträgen – wie in Konstanz - oder die Beteiligung an Bebauungsplänen auf digitaler Weise. Das Hauptamt der Stadt Konstanz – Team Statistik und Steuerungsunterstützung – erweiterte diese Beteiligungsmöglichkeiten um das regelmäßige Element der Online-Bürgerbefragung durch den Aufbau eines Bürgerpanels.

BefragungsTradition In den letzten 15 Jahren hat die Stadt Konstanz in zeitlichen Abständen Befragungen der Bürger durchgeführt. Die Auswertungen und Ergebnisse sind dem Rat, der Verwaltungsspitze und interessierten Bürgern in Form von Broschüren vorgestellt worden. Die einzelnen Befragungen hatten meist einen thematischen Focus, der dazu führte, dass die Ergebnisse nicht direkt miteinander vergleichbar waren. Deshalb wurde das Thema Bürgerbefragung im Team Statistik und Steuerungsunterstützung des Hauptamtes neu aufgesetzt mit dem Ziel, durch regelmäßige Befragungen aus den Ergebnissen Zeitreihen erstellen zu können und Veränderungen in der Wahrnehmung der Bür-

gerinnen und Bürger in der Auswertung herauszuarbeiten. Das Hauptziel einer Bürgerbefragung ist die Versorgung des Rates und der Stadtverwaltung sowie anderer Interessenten mit aktuellen Informationen über die Lebenssituation der Kons­ tanzer Bürgerinnen und Bürger, ihre Einschätzungen zum Leben und zu der Angebotsstruktur in der Stadt. Deshalb wird ein Kern der Befragung mit immer denselben Fragen gebildet, der ergänzt wird mit einem besonderen thematischen Schwerpunkt. Umfragen sind nach Jürgen Spiegel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Freiburger Institut für angewandte Sozialwissenschaft (Fifas) in erster Linie Impulsgeber. Ein wichtiger Vorteil von wissenschaftlichen Bürgerbefragungen ist für ihn die Zielgruppe. „Man erreicht nicht nur die üblichen Verdächtigen, die sich an Workshops oder Arbeitskreisen beteiligen und häufig gar nicht den Querschnitt der Bevölkerung abbilden“, so Herr Spiegel in der Baden-Württemberg-Woche 37/2006.

Online-Befragung Durch die technische Entwicklung im Bereich der Online-Befragungen und durch die weite Verbreitung des Internets kann dieses neue Medium nun verstärkt für die Beteiligung der Bürger am kommunalen Geschehen genutzt werden. Über 60 Prozent der Deutschen sind online – nutzen das Medium Internet aktiv1. Dies zeigt die hohe Selbstverständlichkeit

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dieses Mediums in der Bürgerschaft heute. Das Hauptamt der Stadt Konstanz entwickelte seit Herbst 2007 in enger Kooperation mit dem Arbeitsbereich Empirische Sozialforschung von Professor Dr. Thomas Hinz innovative Ideen einer Bürgerumfrage. Im Rahmen des Transfer Wissenschaft-Stadt sind zwei neuartige Umsetzungsmethoden von Bürgerbefragungen entstanden: • Die Bürgerbefragung startete als repräsentative Befragung im Schwerpunkt online. Konstanzer Bürger konnten den Fragebogen im Internet ausfüllen. Auf Wunsch erhielten die Bürger den Bogen auch in einer Papierversion, damit alle Interessenten an der repräsentativen Befragung teilnehmen konnten. Es gab damit verschiedene Zugangswege – aber das Internet als Leitforum. • Die befragten Bürger stehen als Panelgruppe für weitere Onlinebefragungen

Gemeinsame Pressekonferenz der Universität Konstanz gemeinsam mit der Stadt Konstanz – 16. Mai 2008; von rechts nach links: Rektor Gerhard von Graevenitz, Prof. Thomas Hinz, OB Horst Frank, Hauptamtsleiter Roland Bunten

Online oder Papier

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Online – Bürgerbefragungen zur Verfügung. Zwei Befragungen pro Jahr werden aktuell umgesetzt. Dies ist auf der einen Seite die klassische Bürgerbefragung zur Lebenszufriedenheit, die in 1-jährlichem Abstand durchgeführt wird. Ergänzend sind hierzu Befragungen zu Themenschwerpunkten. Ab dieser 2. Befragung wird das Panel für alle interessierten Konstanzer Bürger über 18 Jahren mit Erstwohnsitz in Konstanz geöffnet. So wird der Erhalt der Repräsentativität bei weiteren Befragungen bestmöglich sichergestellt. Verzerrungen in der Online-Befragung können eingeschätzt und damit für die Auswertung gewichtet werden.

Erste Welle

Abb. 1: Webseite zur Konstanzer Bürgerbefragung: www.buergerbefragung.konstanz.de

Für die erste Welle im Sommer 2008 der Bürgerbefragung wurden 4.000 Bürgerinnen und Bürger der Stadt Konstanz, die mindestens 18 Jahre alt sind und ihren Hauptwohnsitz in der Stadt Konstanz haben per Zufall aus dem Meldewesen gezogen und erhielten ein

Anschreiben mit ihrem persönlichen Zugangscode zur Online-Befragung. Die Themen der Bürgerbefragung bildeten die Zufriedenheit der Bürger mit den Lebensbereichen und Angeboten in der Stadt Konstanz. Auch Einschätzungen der Bürger zu aktuellen Themen wie die Tagesbetreuung von Kindern oder der Ganztagsschulen waren gefragt. In einem weiteren Themenblock waren Stadtverwaltung und die Kommunalpolitik einzuschätzen. Den Abschluss bildeten die Themen Wohnen und Mobilität. Ergänzt wurde der Bogen mit einigen demografischen Daten zur Person und zum Haushalt. Alle Angaben werden vertraulich und streng nach den Datenschutzrichtlinien des Landesdatenschutzgesetzes und Teledienstdatengesetz behandelt. Es gibt keine Weitergabe von Daten an Dritte. Die Ergebnisse werden ausschließlich in anonymisierter Form und für Gruppen zusammengefasst veröffentlicht. Durch eine SSLVerschlüsselung mit der En-

dung ist ein hohes Maß an Datensicherheit gewährleistet. Sowohl die Stadt Konstanz wie die Universität Konstanz profitieren von dieser Zusammenarbeit. Die Universität Konstanz leistet einen Wissenstransfer in die Kommune – und verankert damit ein konkretes Projekt im Rahmen des Jahres der Wissenschaft. Die Stadt Konstanz kann durch diese Kooperation auf die Fachleute der Universität zurückgreifen und regelmäßige Bürgerbefragungen durchführen, die erst durch die Zeitreihe und mögliche Veränderungen in den Wahrnehmungen die besondere Kraft entfaltet. Die bereinigte Netto-Stichprobe an der ersten Befragung betrug 3.820 Bürgerinnen und Bürger, davon beteiligten sich rund 1.580 Personen an der Befragung. Dies entspricht einer Beteiligungsquote von 41% – ein sehr zufriedenstellendes Ergebnis. Die meisten Bürger beteiligten sich online an der Befragung. Fast drei Viertel (73%) der Fragebögen wurden im Internet online ausgefüllt. Ein Viertel der Befragten nutzte die Papierform. Die Konstanzer Bürger zeigten sich damit sehr aufgeschlossen gegenüber dem neuen Medium Internet als Beteiligungsplattform. Die zahlreiche Beteiligung trägt zur Repräsentativität der Studie bei. Prüfungen ergaben, dass die Berteilung der Befragungspersonen auf die Stadtteile, sowie die Geschlechts- und Altersstruktur in etwa der Gesamtbevölkerung entspricht.

Ergebnisse Im Folgenden wollen wir kurz einige zentrale Ergebnisse skizzieren – verweisen aber an dieser Stelle auf die umfangreicheren Berichte die beim Hauptamt der Stadt Konstanz zu beziehen sind. Die Konstanzer leben gern in ihrer Stadt. 24

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Online – Bürgerbefragungen 84 Prozent der Befragten sind dieser Ansicht. Auch die Lebensqualität in Konstanz wird von den Befragten mehrheitlich mit „überwiegend gut“ beantwortet. Von besonderem Interesse für die Stadtentwicklung ist die Einschätzung der Bürger zu wichtigen Themen der Konstanzer Kommunalpolitik. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Bereitstellung von Wohnungen sind für die Befragten sehr wichtige Themen.

Zweite Welle Im Sommer 2009 startete die 2. Welle der Bürgerbefragung. Per E-Mail wurden die Panelisten der 1. Welle zur Teilnahme aufgefordert. Erreicht haben wir 50,9 % unserer Zielgruppe. Als Ergänzung haben wir eine weitere Stichprobe aus dem Meldewesen gezogen, die per Einladungsbrief des Oberbürgermeisters aufgefordert wurden per Code Ihren Onlinezugang frei zu schalten und sich an der Bürgerbefragung zu beteiligen. Ergänzend war es möglich, sich

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einen Papierfragebogen zusenden zu lassen. Damit wurden die Zielgruppen, die im Onlineverfahren bisher unterrepräsentiert waren wie ältere und ausländische MitbürgerInnen gezielt umworben. Für diese 2. Welle konnten im Ergebnis insgesamt 847 Personen gewonnen werden – dies entspricht einer Rücklaufquote von 36,4 %. Es ist uns bewusst, dass Fragen nach der Mortalität der Panelisten, der unterrepräsentierter Beteiligung bestimmter Bevölkerungsgruppen Aufgaben

Abb. 2: Wichtigkeit von Themen für die Konstanzer Stadtentwicklung (2008 und 2009)

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Online – Bürgerbefragungen

Konstanzer Anzeiger vom 21. 01. 2009

vor uns liegen. Die Antworten darauf werden in Kooperation mit der Universität Konstanz in Form der Vergabe von Bachelor- und Masterarbeiten sowie vertiefender gemeinsamer Seminare gesucht werden. Verlosungen interessanter Events, auf die wir als Stadt einen Zugriff haben, erhöhen den Reiz, an der Bürgerbefragung

teilzunehmen. Dazu zählen VIPKarten bei Events der Stadt. Die aktuelle Bürgerbefragung 2009 hatte das Schwerpunktthema Ehrenamt, Netzwerke und Lebenszufriedenheit. Der Kern bildete die Erfassung des Ehrenamtes in der Stadt Konstanz. In Abgrenzung zum Freiwilligensurvey wollten wir die Personen erfassen, die eine

Aufgabe innerhalb des Ehrenamtes übernommen haben („Ehrenamtsquote“). Die Stadt Konstanz und die Uni Konstanz haben mit diesem Projekt einen zukunftsweisenden und konkreten Weg mit der Zielrichtung beschritten, mehr Beteiligung der Bürgerschaft durch elektronische Kommunikationsmittel zu erreichen. In diese Richtung zielt auch eine Initiative der Bundesregierung. In einer vom Bundesinnenminister in Auftrag gegebene Studie wird im Juni 2008 auf die Bedeutung solcher Initiativen hingewiesen. „Angebote zur persönlichen Teilhabe und aktiven Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen sind ein wertvolles Mittel, der zunehmenden Distanz der Bürgerinnen und Bürger zur Politik mit konkreten Maßnahmen zu begegnen“, so das Bundesinnenministerium. Informationen zu weiteren Befragungen sind auf der Plattform der Stadt Konstanz zu den Bürgerbefragungen im Internet zu finden: www.buergerbefragung.konstanz.de Ergänzend: www.statistik.konstanz.de

Ehrenamtliches Engagement in Konstanz und Baden-Württemberg

Literatur:

Klages, Helmut u.a., Bürgerbeteiligung durch lokale Bürgerpanels; Theorie und Praxis eines Instruments breitenwirksamer kommunaler Partizipation, Berlin 2008 Klages, Helmut, u.a., Das Bürgerpanel – ein Weg zu breiter Bürgerbeteiligung, Speyerer Forschungsberichte 255, Speyer, 2008 Hummel, Konrad, Die Bürgerschaftlichkeit unserer Städte, Für eine neue Engagementpolitik in den Kommunen, Berlin 2009

Anmerkung: 1

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(N)onliner Atlas 2007, tns Infras­ test – Juni 2007

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BW 2009: Die Wechselstimmung ist in den Großstädten angekommen

Ergebnis der Repräsentativen Wahlstatistik Hubert Harfst, Hannover

Wie bei den vorangegangenen Wahlen haben die Städte, die ihre repräsentativ ausgewählten und weitere Wahlbezirke in abgeschotteten Statistikstellen selbst ausgezählt haben (§ 5 Abs. 2 und 6 Wahlstatistikgesetz) bei der Bundestagswahl 2009 ihre Ergebnisse schon kurze Zeit nach der Wahl zusammengestellt. Insgesamt lie-

gen der Statistikstelle der Landeshauptstadt Hannover, die die Wahlergebnisse seit vielen Jahren sammelt und zusammenstellt, die Ergebnisse von 30 Städten (Berlin-West und Berlin-Ost je als eine Stadt gezählt) mit 7,4 Millionen Wählern vor. Leichte Verzerrungen zu Lasten der Linkspartei und der Unionsparteien sind nicht

auszuschließen, denn die süddeutschen Städte und der Osten (Leipzig und Dresden sowie das Teilergebnis für Berlin-Ost) sind in diesem Datenbestand etwas unterrepräsentiert. Die bundesweite politische Wechselstimmung ist auch in den Städten angekommen. Hier, wo Rot-Grün vor vier Jahren noch die absolute

Ergebnis der repräsentativen Wahlstatistik

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Ergebnis der Repräsentativen Wahlstatistik Stimmenmehrheit erreichte, liegen Schwarz-Gelb und RotGRÜN mit jeweils 40 Prozent gleichauf.

Ergebnis der repräsentativen Wahlstatistik Die Unionsparteien bleiben, wie schon bei den vorangegangenen Bundestagswahlen, in den Großstädten weit hinter ihrem bundesdurchschnittlichen Ergebnis zurück, liegen aber erstmals einen Prozentpunkt vor der SPD. Nur bei den Männern bis unter 60 Jahren und bei der jüngsten Altersgruppe der Frauen konnten die Sozialdemokraten einen kleinen Vorsprung behaupten.

Die Gewinn- und Verlustrechnung zeigt die Einbrüche der SPD gerade bei den jüngeren Jahrgängen und hier insbesondere bei den Frauen. Die Unionsparteien konnten aber nicht davon profitieren. Mit Ausnahme geringer Gewinne bei den jüngeren Frauen – hier war die Union vor vier Jahren besonders schwach – verloren auch sie bis zu sechs Prozent. Gewonnen haben die „kleinen“ Parteien. Die GRÜNEN konnten auf hohem Niveau noch einmal, besonders bei den Frauen, zulegen. Die FDP erreichte zwar Zuwächse bis über fünf Prozent, konnte aber ihr bundesweites Plus in den Großstädten nicht erreichen.

Veränderung der Zweitstimmenanteile in den Altersgruppen im Vergleich zu 2005 DIE LINKE hat ihre Position in allen Altersgruppen mit Zuwächsen bis zu 8,6 Prozent ausgebaut und verzeichnet inzwischen in allen Altersgruppen zweistellige Stimmenanteile. Erstaunlich auch das Ergebnis der „Sonstigen Parteien“: Ihr Stimmenanteil verdoppelte sich fast. Gerade bei den jüngeren Männern gewannen die „Sonstigen“ erheblich hinzu – 10,5 Prozent bei den 18- bis 25-jährigen Wählern und acht Prozent bei der folgenden Al-

Veränderung der Zweitstimmenanteile in den Altersgruppen im Vergleich zu 2005

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ErGEBNiS dEr rEPräSENtatiVEN WaHlStatiStiK

Zweitstimmenanteile der Volksparteien (Union, SPD) und der Übrigen Parteien in den Altersgruppen

tersgruppe. Schon 2005 kamen diese Parteien hier über beziehungsweise nah an die FünfProzent-Grenze. leider liefert die Wahlstatistik keine nach weiteren Parteien untergliederten Ergebnisse. Wie 2005 – so zeigen andere Untersuchungen – haben hier „rechte“ Parteien einen Wählerstamm. 2009 kommen dann neue Parteien, wie die PiratEN (Bundesergebnis: 847.840 Stimmen = 2,0 Prozent), hinzu. die Verluste der großen Volksparteien sind, gerade auch bei den jüngeren altersgruppen, inzwischen so groß, dass Union und SPd zusammen nur noch bei und dank der Wählerinnen und Wählern über 60 Jahren eine Mehrheit haben.

Zweitstimmenanteile der Volksparteien (Union, SPD) und der Übrigen Parteien in den Altersgruppen dieses Ergebnis überrascht. die Erosion in der Parteienlandschaft, bisher eher nur bei den Jungwählern vermutet, ist inzwischen durch die altersgruppen „durchgewachsen“. ob diese Entwicklung in den nächsten Jahren auch die älteste Gruppe erreicht, ist eine spannende Frage der Wahlforschung. Wichtig wäre, die altersgruppe der über 60-jährigen Wählerinnen und Wähler in der Statistik weiter zu unterteilen. diese Gruppe stellt inzwischen mit

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gut 20 Millionen ein drittel aller Wahlberechtigten und, aufgrund der hohen Wahlbeteiligung, um die 40 Prozent der Wählerschaft.

Über Statistik

:

Auf zwei Weg en kann man an Zahlen herangehen: Der eine Statis tiker kommt von lin ks, den Vorkommazif fern; der andere vo n rechts, er stürzt sich er st einmal auf die Nachkommastellen.

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Die Nichtwähler wachsen – Proteste gegen die Parteien?

Warum nicht wählen gehen? Gero Neugebauer, Bonn

Fallende Wahlbeteiligung

Moralische Wahlpflicht

Normalisierung?

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Bei der Bundestagswahl 2009 gingen gerade gut 70 Prozent der Wahlberechtigten wählen; im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen setzte sich der Trend der fallenden Beteiligung fort.

Lange Zeit bestimmte die Wahlnorm das Wahlverhalten der deutschen Wähler, d.h. es wurde gewählt, als ob das Wahlrecht zugleich eine Art moralische Wahlpflicht implizieren würde. Zwar hatte man in der Wahlforschung, die sich mit der Frage beschäftigt, wer wen warum gewählt hat, immer wieder auch über Nichtwähler nachgedacht. Nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl wurde das Nachdenken intensiviert, als trotz des politischen Großereignisses die Wahlbeteiligung mit mageren 77,8 Prozent unter den Erwartungen blieb. Eine der Annahmen, warum seit 1990 immer weniger zur Wahl gegangen wird, wurde mit der Normalisierungsthese begründet: die Auffassung habe nachgelassen, dass das normative Demokratieverständnis verlangt zur Wahl gehen zu müssen (Wahlnorm). Eine andere war, das politische

System und seine Repräsentanten hätten an Ansehen verloren, es sei also zu einer Krise des politischen Systems gekommen, die fortdauere. Da aber besonders die großen Parteien unter Wahlenthaltung leiden, kleinere aber weniger, kann mit dieser These nur die nachlassende Attraktivität dieser Parteien erklärt werden. Wahlenthaltung sei also Reaktion auf die mangelhafte Performance der beiden Volksparteien CDU/CSU und SPD. Das Münchener SINUS Institut hat 1992 in einer repräsentativen Erhebung in den alten Bundesländern mittels einer Faktorenanalyse auf Basis der konjunkturellen Nichtwähler, das sind die, die zwischen Wahl und Nichtwahl wechseln, während die konstanten Nichtwähler, auch Dauernichtwähler genannt, permanent die Teilnahme verweigern, sechs übergreifende Motivkreise identifiziert, die die Wahlenthaltung bestimmen bzw. einen Nichtwählertyp kennzeichnen.

Motivkreis 1: Verdrossenheit und aggressive Apathie Die Befragten argumentieren damit, dass die Parteien den Kontakt zum Volk verloren hätten, dass die Politiker nur in die eigene Tasche wirtschaften würden und das es keine relevanten Unterschiede zwischen den Parteien geben würde; es sei „alles ein und dasselbe“.

Die bei den Befragten dominierende Grundeinstellung ist eine aggressive und stereotype Ablehnung des Parteiensys­ tems.

Motivkreis 2: Entfremdung/Sinn­ krise/Enttäuschung und Rückzug Die häufigsten Argumente hier sind: a) die Teilnahme gilt als sinnlos; der Stimmzettel verschafft keinen Einfluss auf die Politik; b) die Enthaltung gilt als persönlicher Protest gegen die praktizierte Politik. c) die Demokratie herrsche nur zum Schein und die Bürger wären ohne Einfluss. Hier dominieren Zweifel am Zustand des politischen Sys­ tems und der Parteien und die Wahlenthaltung gilt als Protesthandlung .

Motivkreis 3: Individualismus/ Entpflichtung Die wichtigsten Argumente sind, dass zum einen keine Partei wirklich gefällt, dass der oder die Befragte meint, nichts von der Wahl zu haben oder dass sie nichts von der Wahlnorm halten, sie verstehen das Recht zu wählen als „Wahlpflicht“. Ihre Grundeinstellung wird durch eine radikale Individualisierung und eine rationale Kosten/Nutzen-Kalkulation bestimmt.

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WarUM NiCHt WäHlEN GEHEN?

Motivkreis 4: Ablehnung des Repräsentationsprinzips in diesem Kreis tauchen auch Wählerinnen und Wähler auf, die später als Nichtwähler neuen typs charakterisiert werden, nämlich solche, deren Bedürfnis nach politischer Partizipation über die teilnahme an Wahlen hinausgeht. Sie argumentieren, dass eine Beteiligung an Bürgerinitiativen mehr einbringe oder dass sie den anspruch auf politische Selbstvertretung erheben und ihn nicht an abgeordnete abgeben wollen. darüber hinaus wird hier behauptet, Politiker „hängen von der Wirtschaft ab“. insgesamt genießt die Basisdemokratie hier eine hohe Priorität.

Motivkreis 5: Gleichgültigkeit/ Desinteresse/ Politikferne diese Nichtwähler erklären, dass die Verhältnisse stabil wären, dass sie keine lust hätten, wählen zu gehen oder dass sie nichts von Politik verstehen würden. Manche meinen, dass ohnehin schon alles gelaufen sei: die Umfrageergebnisse werden quasi als Wahlresultate vorweg genommen. die Grundeinstellung der Befragten ist von der auffassung bestimmt, man solle besser distanz zur Politik halten.

Motivkreis 6: Saturiertheit die hierunter fallenden Nichtwähler erklären, deshalb nicht zur Wahl gehen zu wollen, weil sie mit den Verhältnissen zufrieden wären und da sich die nicht ändern würden, müsse man also nicht wählen gehen. Hier ist grundsätzlich ein politisches interesse vorhanden, aber daraus folgt keine „Wahlverpflichtung“. die in dieser Untersuchung von den Befragten benutzten argumente wie mangelnde Kompetenz, politischer Verdruss, fehlende Unterscheidung, Unglaubwürdigkeit oder abgehobenheit und desinteresse in der politischen Kommunikation tauchen auch in der Gegenwart immer wieder auf, so dass von einer gewissen Kontinuität gesprochen werden kann. Zur politischen Funktion des Nichtwählens zwei kurze Hinweise: allgemein gesprochen hindern Nichtwähler eine Partei daran, zu mächtig zu werden, nämlich dann, wenn beispielsweise in landtagswahlen teile der anhänger der regierungsparteien ihrer Partei die Stimme verweigern und nicht wählen gehen; das passierte der SPd seit 1999. 2005 litt die CdU daran, dass sie trotz eines herausragenden Umfrageergebnisses (Sonntagsfrage bei 40 %) nicht alle anhänger mobilisieren konnte. Wahlenthaltung ist aber nicht nur ein Krisenzeichen, sondern

sie trägt dazu bei, dass ein gewisser ausgleich im politischen System hergestellt wird. das allerdings setzt voraus, dass die prinzipielle Wettbewerbsfähigkeit der Parteien besteht und nicht eine Wettbewerberin sich so lähmt, dass sie ihre anhänger nicht mehr mobilisieren kann. das geschah der SPd zuletzt 2009. in der Wahlgeschichte der Partei kann das Wahlverhalten ihrer anhänger in der Zeit nach 1999 als Protestbewegung gegen die Partei betrachtet werden.

Nichtwähler neuen Typs

Anmerkungen 1

2

3

4

Heute: sinus + polis Gesellschaft für Markt- und Sozialforschung München. die Studie wurde im auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgearbeitet und liegt nur als Manuskript vor. Bezüglich der Protestwähler weiß man, dass darunter formal gut gebildete und politisch stark interessierte Wähler sind, die aber unzufrieden sind mit der Politik insbesondere der Partei, der sie näher stehen, weshalb sie diese durch „Nichtwahl“ quasi abstrafen. Vgl. oscar W. Gabriel und Kerstin Völkl (2004): auf der Suche nach dem Nichtwähler neuen typs. Eine analyse aus anlass der Bundestagswahl 2002. in: Frank Brettschneider, Edeltraud roller, Frank van deth (Hrsg.): die Bundestagswahl 2002. analysen der Wahlergebnisse und des Wahlkampfes. Wiesbaden, S. 221-248. Vgl. Gero Neugebauer, Politische Milieus in deutschlands. Bonn 2007, S. 120 ff.

Über Statistik

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Oscar Wilde: „F rauen wollen geliebt , nicht verstanden w erden.“ Bei Tabellen is t das umgekehrt, gl aubt’s mir

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Kommunalwahl 2009 – Ergebnis in NRW-Großstädten

Jung und Alt – bei Wahlen zwei Welten Klaus Kosack, Bonn

Datenlücke

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Wie wählten alt und jung, wie Männer und Frauen? Dies sind Fragen aus der Politik, die den Kommunalstatistikern immer wieder gestellt werden. Seit Ende der 90er Jahre wurde die Repräsentativstatistik, wie sie im Fachjargon heißt, auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Damit können Städte, die über eine abgeschottete Statistikstelle verfügen, die Auswertungen selbst vornehmen. Darüber hinaus wurde den Städten ermöglicht, zusätzlich zur Landesstichprobe eigene Stimmbezirke auszuwählen, damit die Ergebnisse für die Stadt selbst repräsentativ werden. Worum geht es bei dieser Statistik? Zusätzlich zu den „üblichen“ Ergebnissen nach Stimmbezirken und Parteien wird das Wahlverhalten von fünf Altersgruppen und Geschlecht in ausgewählten Stimmbezirken der Stadt ausgezählt. Hierfür werden am Wahltag gesondert gekennzeichnete Stimmzettel eingesetzt. Die Durchführung der Auswertung erfolgt in zwei Schritten: • Auszählen der gekennzeichneten Stimmzettel in zehn Gruppen, getrennt für jede Partei bzw. ungültig • Auswerten des Wählerverzeichnisses nach 20 Gruppen (10 Altersgruppen und Geschlecht), für Wähler, Briefwähler und Nichtwähler. Damit wird die Arbeit der Wahlvorstände im Wahllokal wiederholt, nun aber ergeben

sich wesentlich differenziertere Ergebnisse. Warum jetzt diese Untersuchung? Bisher war die Daten- und Veröffentlichungslage diese: Das Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik NRW hat die Ergebnisse dieser Repräsentativstatistik für das Land insgesamt veröffentlicht, regional wurden die Ergebnisse bis auf Ebene der Regierungsbezirke herunter gebrochen. Die Städte haben andererseits jeweils ihre eigenen Ergebnisse veröffentlicht; ein Gesamtergebnis für die Städte in NRW gab es jedoch nicht. Diese Lücke soll der vorliegende Beitrag schließen. Für die Untersuchung wurden alle 27 NRW-Großstädte (23 kreisfreie Städte und vier kreisangehörige Großstädte) angeschrieben. 16 Städte (15 kreisfreie Städte und eine kreisangehörige Großstadt) haben sich an der Umfrage beteiligt. Dafür sei an dieser Stelle den beteiligten Städten gedankt. In diesen 16 Städten gab es zusammen 160 ausgewählte Stimmbezirke mit 176.000 Wahlberechtigten. Davon haben 67.100 an der Urne gewählt, 21.700 machten es per Brief und 87.500 Personen zogen es vor, dieser Wahl fern zu bleiben. Dies zeigt eindrucksvoll, wie groß das Interesse der NRW-Bürgerschaft an der 15. Kommunalwahl seit 1946 war.

Wahlbeteiligung Die erste Untersuchung galt der Wahlbeteiligung. Diese erfolgte bei den meisten Städten in der Weise, dass das Rechenzentrum für die ausgewählten Stimmbezirke der Statistikstelle Auszüge aus den Wählerverzeichnissen zur Verfügung stellt. Dort sind die Wahlberechtigten in der gleichen Reihenfolge wie im Wählerverzeichnis eingetragen, jedoch sind alle „W“-Vermerke (Bürger hat Briefwahl beantragt) ebenfalls notiert. Diese Datei wird durch die Stimm­ abgabevermerke aus den Wählerverzeichnissen in der abgeschotteten Statistikstelle ergänzt. Die gesetzlichen Vorgaben erlauben jedoch nur den Nachweis von zehn Altersgruppen je Geschlecht. Wie wurde nun die Wahlbeteiligung ermittelt? Die erste Möglichkeit wäre, den Anteil der Urnenwähler auf die Wahlberechtigten zu beziehen; in der Umfrage ergibt dies eine Beteiligung von 43,4 %. Damit wären aber die Briefwähler außer Acht gelassen worden, denn 12,3 % der Bürger hatten Briefwahl beantragt. Der Rücklauf bei der Briefwahl beträgt in der Regel über 9 %. Damit ist es vertretbar, die Briefwähler den Wählern an der Urne zuzuschlagen. Bei den 16 Städten steigt damit die Beteiligung um 6,9 Prozentpunkte auf 50,3 %. Bei der Betrachtung der Grafik 1 zeigt sich das bekannte

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Jung und Alt – bei Wahlen zwei Welten Bild: Geringes Interesse bei der jüngeren Wählerschaft; hohe Beteiligung der Senioren. Dies sollte den Parteien zu denken geben: Warum ist die Beteiligung zum Beispiel zwischen den 21- bis 24-Jährigen um etwa 30 Prozentpunkte niedriger als bei den Gruppen über 60 Jahren? Gibt es Ursachen hierfür? Andererseits kann auch konstatiert werden, dass das geringere Interesse an Wahlen mit dem Alter „mitgenommen“ wird: Im Jahre 2009 hatte die Altersgruppe Ende 40 eine Wahlbeteiligung von etwas über 50 % erreicht; vor 20 Jahren lag die Beteiligung der damals gleich alten Gruppe um fast 10 % höher. Diese Altersgruppe ist heute Ende 60.

zentpunkte niedrigere Differenz zu dem Männern (63,1 %). Alle Altersgruppen jenseits der 45 Jahre haben sich überdurchschnittlich beteiligt.

Stimmabgabe nach dem Alter Zunächst sei auf die Altersstruktur der Wählerschaft eingegangen: die beiden jüngsten Altersgruppen stellen knapp zehn Prozent der Wähler. Die Wählerschaft um die 40 macht ein Fünftel aus, während der Anteil der 45- bis 59-Jährigen ein gutes Viertel ausmacht. Die dominierende Gruppe sind die Senioren: Ihr Anteil beläuft sich auf fast 37 %. Bei den Briefwählern stellten die Senioren über 47 %.

Grafik 1

Grafik 2

Bei der Betrachtung der Grafik fällt auch auf, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen gering sind: Von Männern gingen 50,1 % zur Wahl, bei den Frauen waren es 50,5 %. In den einzelnen Altersgruppen gibt es freilich Unterschiede: So liegt die Beteiligung aller Männer unter 70 Jahren bis zu 3,4 Prozentpunkte niedriger, mit Ausnahme der allerjüngsten Wähler. Die Altersgruppe der 21- bis 24-Jährigen zeigte einmal mehr das geringste Interesse an der Wahl: So ging nur ein Drittel der wahlberechtigten Frauen zur Urne. Die größten Unterschiede zwischen den Geschlechtern aller Altersgruppen überhaupt weisen die ältesten Wähler auf: Die über 70-jährigen Damen haben mit einer Beteiligung von 55,3 % eine um 7,7 Pro-

Wie sind nun die Parteien in den einzelnen Altersgruppen verankert? Gibt es Unterschiede? Es gibt sie, wie Grafik 2 zeigt. Am Beispiel der Senioren, d.h. Wähler 60 Jahre und älter, soll aufgezeigt werden, welche Bedeutung die einzelnen Altersgruppen für die jeweilige Partei hat. In die nachstehende Betrachtung fließen die vier im Landtag NRW vertretenen Parteien CDU, SPD, GRÜNE und FDP ein, während die übrigen Parteien, die ja von Stadt zu Stadt verschieden sein können, als „Sonstige“ zusammengefasst worden sind. Es fällt das unterschiedliche Gewicht der Parteien auf. So sind fast die Hälfte der CDU-Wählerinnen und -Wähler in dieser Altersgruppe, während nur

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Grafik 3

Grafik 4

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Jung und Alt – bei Wahlen zwei Welten erst bei der Wählerschaft jenseits der 45 hatten die Sozialdemokraten einen höheren Zuspruch; am besten noch bei der Wählerschaft jenseits der 60 mit 33,7 % Stimmenanteil. Die CDU blieb mit 33,1 % der gültigen Stimmen um 2,2 Punkte vor der SPD. Anders als die SPD ist hier ein deutlicher Zusammenhang zwischen Alter und Parteianteil erkennbar: Den geringsten Zuspruch hatten die Christdemokraten mit 23,9 % bei der Wählerschaft unter 24 Jahren. Von Altersgruppe zu Altersgruppe steigt der Anteil bis 44 % bei den Senioren. In dieser Altersgruppe lässt die CDU sogar die SPD deutlich hinter sich zurück. jeder achte GRÜNEN-Wähler Senior ist. Die SPD- und FDPWählerschaft nähert sich noch am ehesten dem Durchschnitt. 4 von 10 Wählern der Sozialdemokraten sind über 60 Jahre alt. Ein Blick auf die Grafik 3 zeigt, dass die größten Unterschiede bei der Stimmabgabe einerseits bei der Wählerschaft um die 50 aufgetreten ist und zum andern die Wählerinnen und Wähler jenseits der 60 sehr unterschiedlich den Parteien verhaftet sind. So liegt der Anteil der GRÜN-Wähler über 60 um fast 25 % niedriger als im Durchschnitt. Nun werden die Parteienanteile innerhalb der einzelnen Altersgruppen näher untersucht. Die unterschiedlichen Anteile der Parteien treten deutlich zu Tage. Die SPD erlangte insgesamt bei den 14 Städten 30,9 % Stimmenanteil. Bei allen Wählern unter 45 Jahren blieb sie leicht unter ihrem Durchschnitt;

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Als „dritte kommunale Kraft“ in den Großstädten haben sich die GRÜNEN etabliert. Insgesamt erzielten sie 15,1 % Stimmenanteil bei sehr unterschiedlichen Gewichten in den Altersgruppen: Bei der Wählerschaft unter 45 Jahren ist sie mit gut 22 % verankert; im höheren Alter nimmt der Anteil stark ab: Bei den Senioren votierte nur jeder 18. Wähler für die GRÜNEN. Vom dritten auf den vierten Platz verdrängt wurde in den letzten Jahrzehnten die FDP. Mit 8,3 % Stimmenanteil liegt sie deutlich über der früheren 5-Prozent-Hürde. Auch bei den Liberalen sind ähnlich wie bei den GRÜNEN mit zunehmendem Alter geringere Präferenzen erkennbar. Die höchsten Anteilwerte wurden mit 9,8 % Anteil bei den Wählerinnen und Wählern um die 40 notiert, während bei den Senioren der Stimmenanteil bei 7,3 % liegt. Die LINKEN haben in den NRW-Großstädten insgesamt

5,1 % Anteil erreicht. Den höchsten Wert erzielten sie bei der Wählerschaft um die 50 mit 7,1 %. Die übrigen Parteien wurden eher von Nicht-Senioren gewählt: Bei allen Wählern unter 60 liegt der Stimmenanteil über 8 %; nur die Senioren haben mit 5,9 % deutlich niedriger votiert.

Stimmabgabe nach dem Geschlecht Gab es bei den Geschlechtern im Wahlverhalten Unterschiede? Nach Eliminierung des Frauenüberschusses (auf 1000 Wähler kamen 1099 Wählerinnen) kamen folgende Resultate für die Parteien heraus (Messgröße auf 1000 Männer-Stimmen kommen … Frauen-Stimmen): CDU: 1104; SPD: 1025; GRÜNE: 1197; FDP 818; Linke 561 und Sonstige 757. Hier zeigt sich, dass die GRÜNEN eindeutig von Frauen bevorzugt worden ist, gefolgt von der CDU mit 1104 und SPD 1025. Als eher Männerparteien entpuppten sich die FDP mit 818 und insbesondere die LINKEN mit 561 Frauenstimmen je 1000 Männerstimmen.

Datenanhang Im Anschluss sind die Ergebnisse der 15 NRW-Großstädte für Wahlbeteiligung und den fünf untersuchten Parteinen dargestellt. Die Sortierung der Städte erfolgte nach dem jeweiligen Stichprobenergebnis. Es ist geplant, diese NRWUntersuchung mit den Ergebnissen der Landtagswahl am 9. Mai 2010 fortzusetzen.

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Annäherung der Wahlergebnisse? EW+KW=höhere Beteiligung

Europawahlen in Ost und West seit 1994 Geert Baasen, Berlin

Weiter weniger Wähler

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Gegenstand dieses Beitrags ist das Wahl­verhalten in Ostund Westdeutschland bei der Europawahl 2009 im Vergleich zu den Vorwahlen. Damit wird eine Tradition fortgesetzt, die 1999 von Dr. Fischer, Leipzig,1 begründet wurde. Die wichtigsten Ergebnisse des letzten Bei­trages zu den Europawahlen.2 waren: • Die Wahlbeteiligung ist stetig gesunken. • Das Wahlverhalten in Ost und West lief im Zeitverlauf immer weiter auseinander. • Die Wahlergebnisse der PDS (heute DIE LINKE) lagen in Ost- und Westdeutschland am weitesten auseinander. Sie erklärten einen großen Teil des unterschiedlichen Wahl­verhaltens in Ost und West.

• Das Wahlverhalten in OstBerlin wich am stärksten von dem in Gesamtdeutschland ab. Die zentralen Fragen dieses Beitrages lauten: Setzt sich der Trend der abnehmenden Wahl­teil­nahme fort und ist 20 Jahre nach der deutschen Vereinigung eine weitere Auseinander­entwicklung des Wahlverhaltens oder eine Stabilisierung, viel­leicht gar eine Annäherung zu beobachten? Wie in bisherigen Beiträgen zu diesem Thema werden zum Messen der Unterschiede des Wahl­verhaltens in Ost und West auch diesmal Prozent­ punktdifferenzen und ein Abstandsmaß benutzt: Die Stimmenanteile (in Prozent) der Parteien in Ost und West werden voneinander abgezogen

und die Differenzen werden (ohne Berücksich­tigung des Vorzeichens) zusammengezählt. Diese Summe ist das in den folgenden Tabellen dargestellte Abstandsmaß. Grundlagen dieser Darstellung und Berechnungen sind die vom Statistischen Bundesamt veröffent­lichten regionalisierten endgültigen Wahlergebnisse der Europawahl am 7. Juni 20093. Die Wahlbeteiligung lag 2009 bei 43,3 % und ist damit im Vergleich zur Vorwahl erstmals leicht gestiegen, und zwar um 0,3 Prozentpunkte. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen lässt sich die Entwicklung von 1994 zu 1999 als stark rück­ gängig beschreiben (um fast 15 Prozent­punkte von 60 % auf 45,2 %) und anschließend als auf niedrigem Niveau stabili­sierend (45,2 % folgten 43,0 % im Jahr 2004 und 43,3 % im Jahr 2009). Die Teilnahme bei der Europawahl 2009 war aber trotz dieser Stabilisierung weiterhin niedriger als die bei allen letzten Bundes- und Landtags­ wahlen. Nur bei einigen Kommunalwahlen gingen noch weniger Wahlberechtigte zu den Urnen. Hat sich die Wahlbeteiligung 2009 nun tatsächlich stabilisiert oder ist das ein Artefakt? Hängt der Anstieg vielleicht damit zusammen, dass 2009 am Tag der Europawahl mehr

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Europawahlen in Ost und West seit 1994 oder andere zusätzliche Wah­ len stattfanden als 2004. In den Ländern Baden-Würt­ temberg (außer 1999), Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen fanden zeitgleich Kommunalwahlen statt, in Thüringen 2004 auch die Landtagswahl. Mit der Europawahl 2009 waren wie 2004 in sieben Bundesländern, und zwar in BadenWürt­tem­berg, MecklenburgVorpommern, Rheinland Pfalz, Saarland, Sachsen, SachsenAnhalt und Thüringen, Kommunalwahlen verbunden. Mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt gingen in allen diesen Bundesländern mehr Berechtigte zur Wahl als in den Ländern, in denen keine weiteren Wahlen anstanden. Im Jahr 2004 hatte es am Tag der Europawahl zusätzlich sogar noch eine Land­ tagswahl gegeben, und zwar in Thüringen. Ist die Europawahl mit einer weiteren Wahl verbunden, steigert dies die Wahlteilnahme. Die Wahlberechtigten, die vorrangig an der anderen Wahl Interesse haben, geben ihre Stimme auch für die Europawahl ab. Da 2009 im Vergleich zu 2004 nicht in mehr oder in anderen Bundesländern zusätzlich Wahlen stattgefunden haben, ist der leichte Anstieg um 0,3 % kein Artefakt, sondern ein Zeichen, dass die Talsohle vorerst erreicht ist. Die Wahlbeteiligung lag in den Jahren 1994 und 1999 im Ostteil noch etwas höher und 2004 und 2009 etwas niedriger als im Westteil, wobei sich die Differenz zwischen 1994 und 2004 leicht verringert und anschließend stabilisiert hat. Beim Ost-West-Vergleich muss nun aber die unterschiedliche Verbreitung zeitgleicher Wah­

len berücksichtigt werden. Zeitgleiche Wahlen wirken sich, wie beschrieben, positiv auf die Wahl­teilnahme aus. Im Osten konnten am Wahltag fast drei von vier Wahlberechtigten über die Zusammensetzung weiterer Parlamente oder Ämter abstimmen – im Westteil hingegen nur jeder Vierte. In Anbetracht dessen wäre im Ostteil eine deutlich höhere Beteiligung als im Westteil zu erwarten gewesen. Tatsächlich lag sie aber 1,4 Prozentpunkte unter der Wahlbeteiligung im Westen. Ganz ohne zusätzliche Wahlen wäre vermutlich die Differenz zwischen Ost und West bezüglich der Wahlbeteiligung noch wesentlich höher gewesen. Die größte Ost-West-Differenz wurde 2009 bei der Partei DIE LINKE gemessen, die 2007 aus dem Zusammenschluss von Linkspartei, PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus) und Arbeit & Soziale Gerechtigkeit – die Wahlalternative (WASG) hervorgegangen ist. Ziel der Vereinigung war die Schaffung einer gesamtdeutschen linken Partei, die auch im Westen, wo die PDS

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kaum verankert war, gute Ergebnisse erzielt. Dies ist zum Teil auch gelungen. Der Anteil von DIE LINKE lag im Westteil bei 3,9 % und damit mehr als doppelt so hoch wie der Anteil der PDS 2004 (1,7 %). Die Ost-West-Differenz sank damit gegenüber 2004 von 23,5 auf 19,3 Prozentpunkte. Auch bei den anderen Parteien, mit Ausnahme der FDP, ist die Ost-West-Differenz gegenüber 2004 leicht gesunken. So bei der CDU von 12,7 auf 9,4 Prozentpunkten und bei der SPD von 7,3 auf 6,0 Prozentpunkte. Insgesamt beträgt das Abstandsmaß 48,9 Punkte und liegt deutlich unter den Werten von 2004 (56,7) und 1999 (49,4). Lediglich bei der ersten Europawahl 1994 war das Abstandsmaß niedriger (43,9).

Ost-West-Abstand

Möglicherweise sehen wir hier eine Trend­wende. Nach Jahren der Auseinanderentwicklung könnte sich das Parteiensystem in Ost und West annähern. Wenn es DIE LINKE schafft, im Westteil weiter zuzulegen, werden die Unterschiede im Wahlverhalten zwischen Ost und West noch weiter abneh-

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Europawahlen in Ost und West seit 1994 men. Durch die Vereinigung zwischen WASG und Linkspartei, PDS hat DIE LINKE ihre Ausgangsposition im Westen also tatsächlich geändert. Noch deutlicher wird die Veränderung der LINKEN, wenn die Ost-West-Differenz (19,3) auf das Gesamtergebnis der LINKEN (7,5) bezogen wird. Die Differenz beträgt heute das 2,6-fache des Gesamtergebnisses der Partei; 2004 und 1999 hat dieser Wert noch das 3,8-, bzw. das 3,7-fache betragen und 1994 sogar das 4,2fache. Entscheidend für das Abstandsmaß sind also weiterhin die von der LINKEN in Ostdeutschland erzielten Ergebnisse. Erst in zweiter Linie ist dafür das Verhältnis der Stimmenanteile der Union in Ost und West bedeutsam. CDU/CSU und DIE LINKE repräsentieren weiter­hin die beiden Pole der politischen Konfliktlinie zwischen dem Osten und dem Westen unseres Landes. Diese beiden Gruppierungen sind es auch, die auf der Ebene der Bundesländer die höchsten Abstandsmaße pro-

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duzieren – wie schon bei den Wahlen vor fünf und zehn Jahren. Den niedrigsten Stimmenanteil erreichte die Union wieder im Ostteil Berlins mit 14,7 % (1999: 14,3 %), den höchsten in Bayern mit 48,1 % (57,4 %). In den Ländern Baden-Würt­ temberg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland Pfalz, Saarland, Sachsen, SachsenAnhalt und Thüringen fanden zeitgleich Kommunalwahlen statt. Das Wahlergebnis im Ostteil Berlins wich von allen hier betrachteten Regionen wieder analog zu 2004 hinsichtlich des Abstandsmaßes am stärks­ten vom bundesdeutschen Gesamtergebnis ab. Allerdings hat sich das Abstandsmaß zum dritten Mal in Folge reduziert von 78,1 (1999) über 74,5 (2004) auf nun 63,7 (2009). Mit Ausnahme von Sachsen war das Abstandsmaß in allen ostdeutschen Bundesländern höher als in den westdeutschen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass weiter­hin in den

ehemals getrennten Teilen Deutschlands unterschiedlich gewählt wurde. Aus­ schlaggebend dafür waren wieder DIE LINKE mit ihrer Stärke und die CDU mit ihrer Schwäche im Osten. Allerdings hat sich der Abstand verringert, hauptsächlich wegen der Verbesserung der Wahlergebnisse der LINKEN im Westen. Die Bundestagswahl mit einer vermutlich erheblich höheren Wahlbeteiligung wird zeigen, ob es sich bei der Annäherung des Wahlverhaltens tatsächlich um eine Trendwende handelt.

Anmerkungen 1

2

3

Fischer, Josef: Entwicklung des Wahlverhaltens in West- und Ostdeutschland; in: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen; Statistischer Quartalsbericht H. 3/1999. Baasen, Geert; Schmollinger, Horst W.: Wahlverhalten bei Europawahlen in Ost und West 1994 bis 2004; Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen; Statistischer Quartalsbericht 3/2004. Statistisches Bundesamt (Hrsg.); Der Bundes­wahlleiter: Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland am 7. Juni 2009; H. 3; Endgültige Ergebnisse nach kreisfreien Städten und Landkreisen; Wiesbaden 2009.

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Männer präsidieren, Frauen schreiben

Wahlhelfereinsatz in Leipzig Andrea Schultz, Leipzig

Am 7. Juni 2009 fanden in Leipzig die Europa­wahl und die Kommunalwahlen statt. Für die Wahlhandlung und die Auszählung der Stimmzettel benötigte die Stadt Leipzig viele ehrenamtliche Helfer. Das Stadtgebiet wurde dazu in 320 allgemeine Wahl­bezirke und 76 Briefwahlbezirke eingeteilt.

Wahlhelfergewinnung Im Vorfeld der Wahl mussten inklusive einer Reserve 3 400 Personen gefunden werden, die sich für die ehrenamtliche Arbeit als Wahlhelfer bereit stellen und die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen (beispiels­weise Voll­jährig­ keit, EU-Bürger). Nachdem sich in den letzten Jahren der Wahlhelfer­stamm der Stadt Leipzig altersbedingt und durch Fortzüge sukzessive verringert hat, fanden im Vorfeld der Europawahl und der Kommunalwahlen vielfältige Werbe­maß­nahmen statt. Mit dem langjährigen Wahlhelferstamm konnten lediglich zwei Drittel dieses notwendigen Personalbedarfs abgedeckt werden. Daher fanden Aufrufe zur Bereitschaftserklärung u.a. im Amtsblatt und in der lokalen Tagespresse statt. Meist ließ das „Echo“ an Wahlhelfermeldungen nach wenigen Tagen nach. Den quantitativ größten Erfolg brachten Aushänge an der Universität Leipzig und einer Leipziger Hochschule sowie im Internet am „Schwarzen Brett online“. Diese führten zu einer Vielzahl

an Bereitschaftsbekundungen von Studierenden. Ebenfalls wurde ein Wahlhelferaufruf auf die Internetseite der Stadt Leipzig gestellt. Zu den Wahlen 2009 war es erstmalig möglich, Bereitschafts­meldungen auch dort direkt online zu bekunden. Von dieser Möglichkeit machten insgesamt 970 Wahlhelfer Gebrauch. Insgesamt waren 3 123 ehren­ amtliche Helfer im Einsatz. 2 772 von ihnen waren in den Wahllokalen des Stadtgebiets einge­setzt, 345 stellten die Briefwahlauszählung sicher. Weitere sechs Wahlhelfer mit langjähriger Wahl­ helfererfahrung waren ab 18 Uhr im Wahlamt tätig und berieten die Wahlvorstände per Telefon bei Auszählschwierigkeiten oder begaben sich notfalls in die Wahllokale, um dort zu helfen.

Junge Wahlhelfer auf dem Vormarsch Die intensive Werbung hat vor allem junge Personen ange­ spro­chen, beispielsweise Studenten. Dadurch hat sich das Durchschnittsalter der Wahlhelfer seit Jahren erstmalig verringert. Beim Bürgerentscheid 2008 waren die Wahlhelfer im Durchschnitt 51 Jahre alt, bei der Europawahl und den Kommunalwahlen am 7. Juni 2009 sank das Durch­schnitts­alter auf 48,5 Jahre. Drei Wahlhelfer waren bei dieser Wahl gerade 18 Jahre alt. Allerdings waren auch einige sehr betagte Wahlhelfer im Einsatz. Die älteste Frau war

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bereits 84 Jahre, der älteste Mann 82 Jahre alt. Auch unter den Wahlvorstehern war die Alters­spanne groß. So blickte der älteste Wahl­vorsteher bereits auf 75 Lebensjahre zurück, die jüngste Wahl­vor­ steherin war hingegen gerade 21 Jahre jung. Gleichermaßen unterschied sich das Durch­schnittsalter der in den 320 Wahlbezirken eingesetzten Teams. Der jüngste Wahlvorstand war in einem Wahllokal in Connewitz tätig. Hier waren die Wahlhelfer im Durchschnitt gerade 27 Jahre alt. Der älteste Wahlvorstand mit einem Durchschnittsalter von 64 Jahren arbeitete im Ortsteil Lindenthal. Bedingt durch die Verjüngung des Wahlhelfer­stamms waren diesmal 1 240 Personen erstmalig im Einsatz. 34 dieser „Neulinge“ hatten sich sogar in der Funktion des Wahlvor-

Vielfältige Werbung

Der Hit: Die Uni

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Wahlhelfereinsatz in Leipzig stehers zu beweisen. Allerdings waren auch viele langjährige Wahlhelfer im Einsatz. Zwei Personen waren seit 1998 ununterbrochen dabei und blicken seither auf insgesamt

16 Einsätze als Wahlhelfer zurück. Weitere 15 Personen nahmen seit 1998 15-mal teil. Im Durchschnitt waren alle eingesetzten Wahlhelfer seit 1998 circa 5,5-mal aktiv.

Frauen als Wahlhelferinnen Der Wahlhelfereinsatz ist eine Frauendomäne, rund 60 % der diesmal eingesetzten Wahlhelfer waren Frauen. In fünf Wahlvorständen arbeiteten sogar ausschließlich Frauen. Jedoch bestehen je nach ausgeübter Funktion Unter­schiede. Während Männer häufiger die Funk­tion des Wahlvorstehers ausüben, sind Frauen sehr oft als Schriftführerin eingesetzt.

Möglichst kurze Wege Das Amt für Statistik und Wah­ len Leipzig ist generell bemüht, die Wahlhelfer in möglichst wohnnahen Wahllokalen einzusetzen. Dies lässt sich jedoch nicht in jedem Fall realisieren, auch wünschen einige Wahlhelfer von sich aus einen Einsatz in einem anderen Wohn­ viertel. Zur Europawahl und den Kommunalwahlen 2009 mussten die ehrenamtlichen Helfer eine durchschnittliche Luftliniendis­ tanz von 1,48 Kilo­metern bis ins Wahllokal überwinden. Für reichlich 60 % der Wahlhelfer war das Wahllokal, in dem sie eingesetzt waren, weniger als ein Kilometer entfernt. Die längste Distanz, die ein Wahlhelfer zu überwinden hatte, betrug 14,5 Kilometer.

Die Einsatz- und Auszählzeiten Ab 18 Uhr begann die Auszählung der Stimmzettel. Durch die gekoppelte Wahl waren diesmal Stimmzettel der Euro-

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pawahl und Stimmzettel der Stadtratswahl nacheinander auszuzählen. In 14 Ortschaften fanden zudem die Ortschaftsratswahlen statt, die ebenfalls von den Wahlhelfern ausgezählt werden mussten. Dadurch war von recht langen Auszählzeiten auszugehen. Durchschnittlich meldeten allgemeine Wahl­bezirke ohne Ortschaftsratswahl gegen 21:00 Uhr ihr letztes Auszählergebnis. Abgesehen vom Wahl­vorsteher war damit der Einsatz für die Wahlhelfer beendet. Allgemeine Wahlbezirke mit Ortschafts­ratswahl benötigten für die Aus­zählungen noch etwas länger. Für sie endete der Wahltag im Durchschnitt gegen 21:40 Uhr. Die Auszählzeit in den 320 allgemeinen Wahl­bezirken variierte jedoch stark. So gab der erste Wahlbezirk bereits um 19:20 Uhr sein letztes Ergebnis an das Wahlamt durch. Der letzte allgemeine Wahlbezirk war allerdings erst gegen 23:30 Uhr mit der Stimmaus­zählung fertig. Neben dem zusätzlichen Zeitaufwand für die eventuelle Ortschaftsratswahl hängt die Auszählzeit auch signifikant von der Zahl der Wähler ab. Bei den allgemeinen Wahlbezirken schwankte die Wähler­zahl ungefähr zwischen 190 und 750. Durch den Zweischichtbetrieb während der Wahlzeit waren die Wahlhelfer am Wahltag durchschnittlich rund 8,5 Stunden im Einsatz. Von den Briefwahlvorständen wurden je Brief­wahlbezirk zwischen 30 und 770 Stimmzettel ausgezählt. Hier war der Zeitaufwand für die Wahlhelfer etwas geringer, da dort die Vorarbeiten erst um 15:30 Uhr begannen. Dafür dauerte je­doch die Auszählung (auch wegen der Öffnung der Wahlbriefe) insgesamt etwas länger.

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Der Komplettierer

Ein Wermutstropfen Bis zum Wahltag sagten circa 350 berufene Wahlhelferinnen und Wahlhelfer ihren Einsatz aus verschiedenen Gründen ab. Daraus ergaben sich fast 430 Neu- und Umberufungen. Zudem fehlten 98 Personen unentschuldigt am Wahltag. In der überwiegenden Mehrzahl handelte es sich dabei um Personen, die das erste Mal als Wahlhelfer berufen wurden. Durch die generelle Besetzung

der Wahlvorstände mit neun Personen zur Europawahl und den Kommunalwahlen blieb die Arbeitsfähigkeit jedoch in allen Wahlbezirken erhalten. Bei Ausfällen am Wahltag unter Wahlvorstehern, ihren Stellvertretern und Schriftführern standen 13 geschulte Beisitzer zur Verfügung. Auf sieben von ihnen musste am Wahltag zurückgegriffen werden; sie wurden kurzfristig in die entsprechenden Funktionen umberufen.

Vergütung Gemäß Stadtratsbeschluss erhalten Wahlhelfer in Leipzig für ihre Tätigkeit ein sogenanntes Erfri­schungs­geld, das bei der Wahl am 7. Juni 2009 je nach Funktion zwischen 26 und 36 Euro betrug. Alternativ können städtische Bedienstete auch für einen Tag eine Freistellung beantragen.

Sichere Suche nach seltenen Schätzen

Der Komplettierer Martin Schlegel, Hagen Der Job des Statistikers in einer Kommune hat schon etwas exotisches – zumindest aus der Sicht der übrigen Verwaltung: Da befassen sich Leute den ganzen Tag mit Zahlen, doch vor deren Zahlen steht gar nicht das in jeder Verwaltung zentrale Zeichen „§“. Aber, so habe ich jetzt gelernt, Exotik lässt sich problemlos steigern. Wie? Was war geschehen? Meine Frau und ich lesen gerne Krimis von Tony Hillerman, in denen der Navajo-Polizist Jim Chee nicht nur vertrackte Fälle löst, sondern gleichzeitig tiefe Einblicke in Kultur und Mystik der Navajo-Indianer vermittelt. Ethno-Thriller der feinsten Art,

doch bei uns ist es schwierig, sie zu bekommen. Da lief uns „Der Komplettierer“ über den Weg, ein Suchdienst für Bücher, Comics, Musik und Filme. Dieser Service hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lücken zu schließen, die Medien zu komplettieren. Ein kurzer Kontakt und nach ein paar Wochen hielten wir gleich fünf Hillerman-Krimis in den Händen. Für meine Frau war er außerdem bei der Suche nach einer CD der Chilenin Tita Avendano erfolgreich. Die Suchprogramme des Komplettierers haben die Scheibe irgendwo im Ausland aufgespürt und dann an uns vermittelt. Da wundert man sich schon.

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Für den Fall, dass Sie noch etwas suchen, ein Buch, das vergriffen ist, eine DVD, die nur im Ausland veröffentlicht wurde, ein Comic, der in Ihrer Sammlung fehlt oder die Musik zu einem alten Film, wenn Sie also eine Medienlücke füllen möchten: Sehen Sie unter www.derkomplettierer.de nach. Das hilft.

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Vor 20 Jahren: Letzte Volkskammerwahl in der DDR

Ein flüchtiger Moment des Übergangs in historischer Zeit Bernd Geldhäuser, Stadtroda

Aufbegehren der Bevölkerung

Neu: Die Wahlkabine

Der Anruf

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In den letzten Wochen und Monaten wurde viel erinnert an die friedliche Revolution in der DDR, an die Tatsache, dass durch Demonstrationen der Bevölkerung eine entscheidende politische Wende eingeleitet und die Wiedervereinigung der Deutschen in einem einheitlichen Staat vorbereitet wurde. Zwischen dem Aufbegehren der DDR-Bevölkerung und dem Tag der Einheit lag eine rund einjährige Übergangsperiode. Historisch ist das ein Nichts, doch war es eine Periode umfangreicher Veränderungen und Neuorientierungen, auch – oder vielleicht sogar vor allem – in den Köpfen. Eines dieser Ereignisse in der Noch-DDR war die Wahl zur Volkskammer am 18. März 1990. Ehrlich gesagt, ich hatte sie vergessen und wäre wohl auch nie auf die Idee gekommen, über das Was und Wie dieser Wahl nach 20 Jahren noch einmal nachzudenken. Aber es sollte anders kommen. Im Spätsommer 2009 klingelte mein Telefon: „Martin Schlegel, Hagen; mein Name wird Ihnen nichts sagen“. „Doch, ich kenne unseren Chefredakteur“. „Das vereinfacht die Sache“. Ja, und dann kam das Anliegen: „Sind Sie in der Lage und bereit, einen Artikel zum zwanzigjährigen Jubiläum der letzten Volkskammerwahl zu schreiben? Herr Eichner aus Dresden hat mir empfohlen,

mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen.“ Nach einigen Recherchen sagte ich wenige Tage später zu. Dennoch muss ich sagen, das Ergebnis blieb Stückwerk, da ich viele Abläufe nur aus der örtlichen Sicht rekonstruieren konnte. Besonders schwierig war, die zahlreichen Erinnerungen an dieses Jahr (heute würde man von einem Superwahljahr sprechen) sauber zu trennen: • an die Volkskammerwahl am 18. März 1990, • an die Kommunalwahl am 06. Mai 1990, • an die Landtagswahl am 14. Oktober 1990 als erste Wahl im wiedervereinigten Deutschland im Zusammenhang mit der Wiedereinführung der Länderstruktur und • an die Bundestagswahl am 02. Dezember 1990. Aber halten wir uns an die Fakten. Am 20. Februar 1990 beschloss (eine noch undemokratisch gewählte) Volkskammer ein neues „Gesetz über die Wah­ len zur Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik am 18. März 1990 (Volkskammerwahlgesetz – GBl. der DDR, Teil I, S. 60)“. Was war das für ein Gesetz? • es bestimmte den Charakter der Wahl als „frei, allgemein, gleich, direkt und geheim“ (§ 2) und • legte Wahlrecht und Wählbarkeit für alle Bürgerinnen

und Bürger fest, die das 18. Lebensjahr am Wahltag vollendet hatten (§§ 3 und 4), • jede Bürgerin und jeder Bürger hatte eine Stimme, die Sitzberechnung erfolgte nach reiner Verhältnisrechnung (Hare-Niemeyer-Verfahren, d.h. Restausgleich nach den höchsten Bruchteilen) und • es gab keine Sperrklausel. Die Zahl der zu wählenden Abgeordneten für die Republik insgesamt wurde auf 400 festgelegt. Und auch das war neu für den DDR-Bürger: „Die Benutzung der Wahlkabine ist Pflicht“ (§ 30/1). Alles in allem: ein unanfechtbarer Beweis neu entstehender demokratischer Verhältnisse, sogar ohne die Möglichkeit einer Überhangmandate-Diskussion. Eindeutig war auch der Ausschluss von Parteien und Organisationen, die „faschistische, militaristische und antihumanistische Zwecke“ verfolgen, Glaubens-, Rassenoder Völkerhass bekunden oder Diskriminierungen wegen Behinderungen, Geschlecht, sexueller Orientierung usw. vertreten (§ 8/2). Was heute beeindruckt, wo selbst die Regierungsbildung nach einer Wahl erhebliche Zeiträume verschlingt, ist das damals vorgelegte Tempo: • am 20. Februar die Beschlussfassung des Gesetzes durch die Volkskammer,

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Ein flüchtiger Moment des Übergangs in historischer Zeit • am 18. März, nur vier Wochen später, die Wahl. Und das Wahlgesetz legte fest: • die Wahlkommission fordert am 22. Februar durch öffentliche Bekanntmachung zur Einreichung der Wahlvorschläge auf (§ 10), • die Bildung der Stimmbezirke ist bis spätestens 24. Februar bekannt zu geben (§ 7), • bis zum 26. Februar melden die Parteien und Vereinigungen ihren Teilnahmewillen bei der Zentralen Wahlkommission an (unter Beifügung von Statut und Satzung), • die Wahlvorschläge sind bis zum 28. Februar 1990 bei den Wahlkommissionen der Wahlkreise einzureichen (§ 11), wobei auch schon damals galt, dass jede(r) Kandidat/in nur benannt werden darf, wenn er/sie in einer beschlussfähigen Mitglieder- oder Vertreterversammlung mehrheitlich das Vertrauen ausgesprochen erhielt (noch in der heutigen Zeit gibt es damit hier und dort Schwierigkeiten), • bis 4. März Erstellung der Wählerverzeichnisse, • bis 8. März Versand der Wahlbenachrichtigungen und • vom 5. bis 10. März Auslegung der Wählerlisten. Da blieb wenig Zeit für einen intensiven Wahlkampf. Und das unter den Bedingungen einer sich neu formierenden Parteienlandschaft, ohne das Bestehen von Stammwählerschaften und anderer (heute) scheinbarer Selbstverständlichkeiten. Das Wahlgesetz legte die Gliederung der DDR in 15 Wahlkreise fest: in die 14 DDR-

Bezirke und den Ostteil von Berlin, damals als Hauptstadt der DDR bezeichnet. Die mögliche Anzahl von Kandidaten je Wahlkreis und je Partei/ politischer Vereinigung/ Listenvereinigung wurde in einer Anlage zum Wahlgesetz festgeschrieben und basierte auf der Einwohnerzahl des Wahlkreises, z.B. für Berlin 35, für den Bezirk Gera (Wahlkreis 6) 22, in der Summe für die Republik 460. Zur Ergebnisübermittlung legte das Gesetz den Weg • Wahlvorstand im Stimmbezirk über • Wahlkommission des Wahlkreises an die • Wahlkommission der DDR fest (§§ 33 bis 40). Was nicht im Wahlgesetz steht, erfahren wir DDR-Statistiker wenige Tage nach der Beschlussfassung des Wahlgesetzes: die frisch etablierte Wahlkommission der DDR beauftragte die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik mit der Ermittlung der Wahlergebnisse. Diese Aufgabe war völlig neu für uns, da frühere Wahlergebnisse nicht über die amtliche Statistik erfasst worden waren. In einer Veröffentlichung des „Statistischen Landesamtes Thüringen in Gründung“ (heute „Thüringer Landesamt für Statistik“, TLS) über die Arbeitsergebnisse beim Aufbau des Landesamtes in den Jahren 1990/91 lesen wir u.a.: „Die damaligen Bezirksstellen der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik standen 1990 erstmalig vor der Aufgabe, unter Einbeziehung der Kreisstellen die Ergebnisse zu den Volkskammerwahlen am 18. März 1990 in den Bezirken Erfurt, Gera und Suhl rechnergestützt zu erfassen und mittels Daten-

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fernübertragung an das Zentrale Wahlrechenzentrum/DVZ1 Berlin weiterzuleiten“. Sinngemäß gab es solche Feststellungen sicherlich auch in anderen Bezirken bzw. den späteren Ländern. Wie war damals die Situation in den Kreisstellen für Statis­ tik?2 Beginnend im Frühjahr 1989 wurden die Kreisstellen für 43


Ein flüchtiger Moment des Übergangs in historischer Zeit blik waren damit 23 Parteien/ Vereinigungen/Listenverbindungen wählbar und bei uns im Wahlkreis 6 (Gera) 15. Man sieht: es ist eine bunte und vielgestaltige Welt, in der sich alte Elemente mit vielen neuen mischen. Rückblickend glaube ich sagen zu dürfen: die in kurzer Zeit entstandene Parteienlandschaft zeigte deutliche Merkmale einer Übergangsperiode.

Abbildung 1

Wahlbeteiligung: 93%

Keine Europaunion

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Statistik mit einem Computer ausgerüstet. Es handelte sich um den BC3 5120 vom VEB Kombinat Robotron Buchungsmaschinenwerk Karl-MarxStadt, einen 8-bit-Rechner. In Jena erhielten wir zwei Exemplare, je einen für die politischen Kreise Jena-Stadt und Jena-Land. Schon ab Februar 1989 wurden Mitarbeiter in den Umgang mit dem Rechner eingewiesen4, wobei der Schwerpunkt der Schulung der Umgang mit dem Programm „Redabas“ war (DDR-Bezeichnung für Debase). Am 8. März 1990, 10 Tage vor dem Wahltag, erfolgte für die Mitarbeiter der Kreisstellen des Bezirkes Gera die Schulung zur Wahl (je eine Person pro Kreisstelle; diese hatten zu Hause die Aufgabe, die übrigen Mitarbeiter einzuweisen). Die Rechner waren zu diesem Zeitpunkt noch im Stationärbetrieb5. Das bedeutete: Programmdiskette einlesen, örtliche Daten der Stimmbezirke und Liste der Parteien/Vereinigungen/Listenverbindungen eingeben usw. Nach der Eingabe der Wahlergebnisse pro Stimmbezirk

sollten die Ergebnisdisketten zum Datenverarbeitungszentrum des Bezirks gebracht werden, von dort – damals die große Neuerung – per Datenfernübertragung an das Datenverarbeitungszentrum Berlin weitergeleitet werden. Aber ganz so weit sind wir noch nicht. Die vorbereitenden Maßnahmen wurden jedenfalls ordnungs- und termingemäß abgeschlossen. So rückte der Wahltag heran. Im Wahlgesetz war die Zeit der Wahlhandlung für 7.00 bis 18.00 Uhr festgelegt. Welche „Wahllandschaft“ hatte sich in der kurzen Zeit herausgebildet? Auf dem Stimmzettel waren 24 Listen und Listenverbindungen aufgeführt (Abb. 1), von denen allerdings eine, die „Europaunion der DDR“ (Liste 15, Kurzform EU), von vorn herein blockiert war, wahrscheinlich, weil nicht rechtzeitig rechtlich sauber gewählte Kandidaten gemeldet wurden (ich habe niemanden gefunden, der mir dazu eine verbindliche Aussage machen konnte). Für die Repu-

Die Wahlbeteiligung war hoch: 93,38 %6 der wahlberechtigten Bevölkerung nahmen ihr neu erworbenes Recht der freien Mitbestimmung wahr. Das war freilich weniger als vorher in der DDR üblich: häufig über 99 Prozent, aber dennoch mehr als bei der bisher höchsten Wahlbeteiligung im alten Bundesgebiet (91,1 % zur Bundestagswahl 1972). Die Aufbereitung der Wahlergebnisse in den Statistikstellen der Kreise vollzog sich reibungslos. Aber es gab auch Misstrauen gegenüber der amtlichen Statistik. So erzählten mir der damalige Bezirksstellenleiter, Herr Reiner Voigtsberger, sowie unser Verbandsmitglied Bernhard Schletz aus Gera, dass in Gera die örtliche Wahlkommission eine Parallelaufbereitung durchführte. Einige Fehler passierten dennoch, die bei der Veröffentlichung des endgültigen Wahlergebnisses u.a. bei der CDU zu einem Sitz weniger (von 164 auf 163) und bei der SPD zu einem Sitz mehr (von 87 auf 88 ) führten. Einige Artikel zur Volkskammerwahl 1990 erwähnen, dass nach der Bekanntgabe des Amtlichen Endergebnisses durch die Zentrale Wahlkommission am 23. März 1990 durch einen nachträglich

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Ein flüchtiger Moment des Übergangs in historischer Zeit festgestellten Fehler in einem Stimmbezirk im Kreis Querfurt (Bezirk Halle) eine nochmalige Veränderung des Endergebnisses eintrat, die aber keine Auswirkungen auf die Sitzverteilung hatte. Durch das Fehlen einer Sperrklausel zogen 12 Parteien, Vereinigungen und Listenverbindungen in das Parlament ein. Mit Abstand stärkste Kraft (Stimmanteil DDR insgesamt 40,8 Prozent) wurde die CDU; mit diesem Ergebnis errang sie 163 der insgesamt 400 Abgeordnetenmandate, gefolgt von der SPD (21,9 %, 88 Sitze) und der PDS (16,4 %, 66 Sitze). An vierter Stelle folgte die DSU (6,3 %, 25 Sitze ), eine Schwesterpartei der CSU, die in Teilen Thüringens und Sachsens auch später noch mehrere Jahre lang beachtliche Erfolge errang. An fünfter Stelle schließlich folgten die Liberalen, eine Listenverbindung, in der sich u.a. die F.D.P. und die ehemalige Blockpartei LDPD (Liberaldemokratische Partei Deutschlands) zusammen fanden (5,3 %, 21 Sitze). Wäre im Volkskammergesetz von 1990 schon eine FünfProzent-Sperrklausel verankert gewesen, wäre hier Schluss gewesen. So aber blieb Platz für weitere 7 Listen, darunter auch für die Bürgerrechtsbewegungen, die die Wende herbeiführten und weitere ehemalige Blockparteien. Die wichtigsten seien in Abbildung 2 genannt. Insgesamt 0,9 Prozent reichten drei weiteren Listen für die letzten 4 Plätze in der Volkskammer. Übrigens: die Liste mit den landesweit wenigsten Stimmen (380, 0,003 %) war Liste 24, die Vereinigung der Arbeitskreise für Arbeitnehmerpolitik und Demokratie. Für einen Statistiker auch noch bemerkenswert ist, dass nur

Abbildung 2

Abbildung 3

82 der 400 gewählten Abgeordneten Frauen waren. Noch ungünstiger war das Verhältnis bei der CDU: 25 Frauen bei insgesamt 163 Abgeordneten. Auch die Grünen waren damals noch männlich dominiert (2 Frauen bei 8 Sitzen und das zusammen mit dem Unabhängigen Frauenverband). Lediglich bei der PDS war mit 28 Frauen bei insgesamt 66 Sitzen schon ein relativ günstiges Geschlechtsverhältnis gegeben. Bei der Konzipierung des Artikels hatte ich auch an regionale Vergleiche gedacht, aber es ergaben sich keinerlei bemerkenswerte Tendenzen. Wie auch bei einer gefestigten demokratischen Entwicklung zu beobachten, sind ländliche Regionen konservativer als die Städte. Dafür ein kleines Beispiel in Abbildung 3. Doch genug der Zahlen. Am 5. April 1990 trat die neu gewählte Volkskammer zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen – im inzwischen abgerissenen Palast der Republik. Es war eine (fast) völlig neue Volkskammer: von 400 gewählten Abgeordneten waren 387 erstmalig Gewählte; nur 13 hatten sechs Wochen zuvor das neue Volkskammerwahlgesetz verabschiedet.

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Wichtige Beschlüsse wurden in dieser Sitzung gefasst: • Sabine Bergmann-Pohl (CDU) wurde Präsidentin der Volkskammer, • das Plenum beschloss die Abschaffung des Staatsrates und die Einführung des Amtes eines Präsidenten der DDR (Verfassungsänderung). Aber zu einer Präsidentenwahl kam es nicht mehr. Da in der Zwischenzeit die Volkskammerpräsidentin die Geschäfte des Staatsoberhauptes zu führen hatte, war das folgende Halbjahr etwas Besonderes in der deutschen Geschichte: zum ersten – und bisher einzigen Mal – stand eine Frau an der Spitze eines deutschen Staates. Nach einer Legislaturperiode von nur knapp einem halben Jahr war der Einigungsvertrag ausgearbeitet und der Tag der Einheit – verbunden mit der Selbstauflösung der Volkskammer – herangerückt. Wie schon im Titel festgestellt: es war ein flüchtiger Moment des Übergangs. Aber dennoch war die Volkskammerwahl am 18. März 1990 ein markanter Punkt am Beginn einer völlig neuen Entwicklung. Ein markanter Punkt in der Geschichte, nicht mehr, aber sicher auch nicht weniger.

Eine Frau an der Spitze

387 Neue

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Über öffentlich unterschiedlich ausgelebte Emotionalität und Statistik

Anmerkungen

1 Datenverarbeitungszentrum 2 Zu diesem Zeitpunkt hatten die Kreisstellen für Statistik in Thüringen noch ihren alten DDR-Namen. In der folgenden Übergangszeit hießen sie „Statistisches Kreisamt“. Anschließend bis zur endgültigen Auflösung firmierten sie als „Stützpunkt des Landesamtes i. G.“ 3 In der DDR wurde an Stelle des Begriffs „Personalcomputer“ der Begriff „Bürocomputer“ eingeführt – als Gegensatz zum ersten im Handel angebotenen noch sehr primitiven „HC“ = Heimcomputer. 4 Eine Mitarbeiterin der Kreisstelle Stadtroda, Frau Annemarie Stöckel, stellte mir ihr noch wohler-

haltenes Arbeitsbuch für die BC-Schulungen zur Auswertung zur Verfügung. Dafür sage ich herzlichen Dank. Es umfasst den Zeitraum Februar 1989 bis zur Auflösung der Kreisstellen. 5 Ab Kommunalwahl im Mai waren die BC für die Zeit der Wahl an das Telefonnetz angeschlossen, so dass eine Datenweiterleitung unmittelbar an das Bezirksamt / Datenverarbeitungszentrum erfolgen konnte. 6 Alle DDR-insgesamt-Angaben wurden dem letzten Statistischen Jahrbuch der DDR, Jahrgang 1990, Abschnitt XXVI. Wahlen und Volksvertretungen, S. 449 „Wahlen zur Volkskammer der DDR am 18. März 1990 (Stand 31. März 1990) entnommen.

7 Die Angaben für den Wahlkreis Gera einschl. der Gliederung nach Kreisen stellte mir Frau Elke Lemser, Mitarbeiterin im Bereich Öffentlichkeitsarbeit des Thüringer Landesamtes für Statistik (TLS) zur Verfügung. Dafür herzlichen Dank. 8 Die Wahlplakate stellte Herr Sebastian Holstein aus dem Fundus des Stadtmuseums Göhre in Jena zur Verfügung. Auch dafür herzlichen Dank.

Über öffentlich unterschiedlich ausgelebte Emotionalität und Statistik Martin Schlegel, Hagen

Zuerst hörte ich vom Sitz in der Reihe vor mir lediglich ein leises, aber gut zu vernehmendes „Da ist er!“ Dann schnellten die Hände in die Höhe und es folgte ein Schrei, wie er gellender nicht hätte sein können. So ein Schrei, wie er in den 60ern schon mal zu hören war – für mich nur im Fernsehen –, wenn die Beatles irgendwo in dieser Welt erschienen und verrückte Teenager – damals in meinem Alter – orgiastisch loslegten. Dieses eine Reihe vor mir gellend aufschreiende Mädchen – 16 oder 17 Jahre alt – hatte sich nicht etwa irgendwo gestoßen. Sie hatte Paul entdeckt. Sir Paul McCartney, 67, der sich von der Seite langsam der Bühne näherte, diese über eine kleine Treppe erreichte und dann sein Programm startete.

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Dieses Teenager-Mädchen, auf deren Wangen ein Herzchen und „Paul“ geschminkt war, konnte die nächsten 150 Minuten glücklich sein – und lange davon zehren. Und sie zeigte ihre Begeisterung. Sie hüpfte, tanzte, schrie und sang mit, was das Zeug hielt. Ich fragte mich, wie dieses junge Ding sich für Paul begeistern konnte. Der Kerl ist doch zwei Generationen älter. Und seine Musik war top, als ihre Eltern sich noch fremd waren. Und überhaupt. Darf die das eigentlich? Die Beatles gehören schließlich meiner Generation. Aber Freunde guter Musik – und die gibt es nicht nur in meiner Altersgruppe – sind immer willkommen. Natürlich überwog beim Paul McCartney-

Konzert in der Kölner LanxessArena Ende 2009 das mittlere und höhere Alter, Pauls Preise waren nicht jugendfrei. Direkt vor mir also sicht- und hörbar die pure Paul-Begeisterung. Und neben mir? Bestimmt auch! Denn wer sonst zahlt pro Minute Musik 1 Euro? Aber mehr als klatschende Hände und Aufstehen, wenn es alle taten, kriegte ich von da nicht mit. Jeder mag es anders, reagiert auf seine Art. Und in der Statistik? Da gilt auch: Mal so, mal so. Tabellen, das ist etwas für Profis und andere Zahlenschlucker. Schaubilder sprechen auch Amateure an. Doch leider sind Schaubilder schwerer als Tabellen. Die Mühe lohnt aber. Auch Paul musste lange üben.

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Mehr Einwohner heißt nicht automatisch mehr Finanzen

Finanzielle Auswirkungen der Einwohnerentwicklung, Teil 2 Jürgen Wixforth, Berlin In Ausgabe 2/ 2009 hatte Jürgen Wixforth begonnen, auf die finanziellen Auswirkungen von Einwohnerveränderungen einzugehen. Dort analysierte er die Effekte aktueller Wohnbaupolitik. Nun beschreibt er für uns die „Effekte früherer Wohnbaupolitik“. Die Redaktion

Effekte früherer Wohnbaupolitik Wie die Ausführungen zeigen, haben Baulandpolitik und damit verbundene Einwohnerzuwächse durchaus einen Einfluss auf die Gemeindefinanzen, wenn auch nicht immer in der angenommenen Wirkungsrichtung und -intensität. Auch wurde bislang dargelegt, dass die fiskalischen Reaktionen auf Veränderungen der Einwohnerzahl und -strukturen zeitverzögert und eher langfristig wirken. So werden im zweiten Teil die finanziellen Effekte demografischer Veränderungen in den Gemeindetypen analysiert. Spezifische demografische Strukturen und Dynamiken in den Gemeindetypen sind v.a.

auch Ausdruck planerischer Prozesse und kommunalpolitischer Baulandausweisungspolitiken der Vergangenheit. Dies illustriert Abbildung 21, in der die Bevölkerungsveränderungen ausgewählter suburbaner Gemeinden im Hamburger Umland seit 1950 dargestellt werden. In Abbildung 2 ist zu erkennen, dass die Gemeinden, die einem Cluster mit starken Alterungstendenzen („früh suburbanisierten Kommunen“, „gealterte Kommunen“) zugeordnet wurden (Rellingen, Glinde und Großhansdorf) zwischen 1950 und 1982 die stärksten Wachstums- und damit auch Zuzugsdynamiken hatten. Seit-

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dem verläuft das Wachstum auf einem für das Hamburger Umland vergleichsweise niedrigen Niveau. In einem Fall – Rellingen – lässt sich sogar zwischen 1992 bis 2002 eine geringfügige Bevölkerungsabnahme feststellen. Anders zeigt sich die Situation in den ausgewählten Gemeinden des Clusters der „dynamischen Wachstumsorte“. Dabei stellt Schwarzenbek mit einer geringen Bevölkerungsabnahme vor der Wiedervereinigung einen Sonderfall dar. In Henstedt-Ulzburg und Kaltenkirchen sind die quantitativ bedeutsamsten Zugewinne an Bewohnern auch in den 1960er und 1970er Jahren festzustellen. Zudem haben sich die

Einfluss ist vorhanden

Abb. 2: Veränderung der Bevölkerung in ausgewählten Extremgemeinden von 1950 bis 2002 Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der Einwohnerstatistik der Statistischen Landesämter

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Finanzielle Auswirkungen der Einwohnerentwicklung, Teil 2

Abb. 3: Altersstruktur der Bevölkerung in ausgewählten Extremgemeinden 1992 und 2002 Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der Einwohnerstatistik der Statis­ tischen Landesämter

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Entwicklungsraten ab 1982 in diesen beiden Gemeinden merklich abgeschwächt. Somit weisen diese Gemeinden ähnlich dynamische Muster wie die Kommunen mit Alterungstendenzen auf. Dass sich die ausgewählten „dynamischen Wachstumsorte“ dennoch von den überproportional alternden/gealterten Gemeinden unterscheiden, lässt Abbildung 2 bereits erahnen, da die Entwicklungsdynamiken ab 1981 auf einem höheren Niveau verbleiben als bei den „früh suburbanisierten“ und „gealterten Kommunen“. Das heißt beispielsweise für HenstedtUlzburg, dass dort der großen Anzahl an alten Bewohnern aus den frühen Suburbanisierungsphasen viele junge Bewohner durch den anhaltenden Familienzuzug in der jüngeren Vergangenheit gegenüberstehen (Menzl 2007), sodass die Alterszusammensetzung der Bevölkerung dort „ausgewogener“ ist. Neben der in die Differenzierung der Umlandkommunen eingegangenen und oben exemplarisch dargelegten Bevölkerungsdynamik hat auch die Bevölkerungsstruktur Eingang in die Gruppeneinteilung der Gemeinden gefunden. Um die

demografischen Unterschiede zwischen den Gemeinden der einzelnen Cluster beispielhaft zu illustrieren, veranschaulicht Abbildung 3 die Veränderung der Alterstrukturen im Untersuchungszeitraum für die bereits ausgewählten Gemeinden. Die „früh suburbanisierten Kommunen“ zeichnen sich durch einen stark wachsenden Anteil älterer Bewohner aus, der Cluster „gealterte Kommunen“ dagegen durch einen bereits weitaus höheren Anteil älterer Einwohner. Exemplarisch lassen sich an Rellingen und Schwarzenbek die erheblich unterschiedlichen Entwicklungen zeigen: Im Jahr 1992 lag der Anteil der Über-64-Jährigen in beiden Gemeinden bei einem etwa gleich hohen Anteilswert (in Schwarzenbek mit 14 % sogar noch leicht höher als in Rellingen). Im darauf folgenden Jahrzehnt ist jedoch der Anteil in Rellingen um über 5 %-Punkte angewachsen, in Schwarzenbek dagegen nur um 0,6 %-Punkte. Ähnliche und entsprechend ihrer Clusterzugehörigkeit „typische“ Entwicklungen weisen auch die anderen ausgewählten Gemeinden auf. Diese kurz skizzierten äußerst unterschiedlichen Entwick-

lungen der Bevölkerungsdynamik und -struktur in den einzelnen Gemeinden bestätigen nochmals die Sinnhaftigkeit der differenzierten Betrachtung des Aggregats „Umland“. Vor dem Hintergrund des demografischen Erbes der zurückliegenden Kommunalpolitik werden im folgenden Abschnitt die daraus ableitbaren fiskalischen Auswirkungen einer näheren Betrachtung unterzogen.

Einkommensteuer Die Einkommensteuer ist eine Personensteuer, bei der die Höhe von den persönlichen Verhältnissen des Steuerzahlers abhängig ist. Als Hauptdeterminanten der kommunalen Einkommensteuerhöhe können neben sozioökonomischen (Vorhandensein eines entsprechend steuerpflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, Lohnniveau) auch soziodemografische Bedingungen (Alter der Bewohner) angeführt werden, da im Wesentlichen Personen im erwerbsfähigen Alter Einkommensteuer zahlen. Bislang wurden nur die Pensionen von Beamten und aus betrieblicher Altervorsorge nahezu in voller Höhe der Einkünfte besteuert. Bei anderen Rentenarten wurde lediglich

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Finanzielle Auswirkungen der Einwohnerentwicklung, Teil 2 der so genannte Ertragsanteil versteuert. Seit 2005 wird durch das Alterseinkünftegesetz zur nachgelagerten Besteuerung übergegangen. Dies hat zur Folge, dass nun auch Einkünfte aus der gesetzlichen Rentenversicherung, berufsständischen Versorgungswerken etc. in voller Höhe der Einkommensteuer (abzüglich Freibeträge) unterworfen werden. Im Gegenzug werden die Aufwendungen zum Erwerb des Rentenanspruchs durch Abzug als Sonderausgaben einkommensteuerlich frei gestellt. Der Übergang erfolgt schrittweise bis 2040. Das in allen Gemeindetypen zu beobachtende Absinken des Pro-Kopf-Aufkommens an der Einkommensteuer (Abbildung 4) ist v.a. auf gesetzliche Maßnahmen zurückzuführen. So wurde z.B. mit der Steuerreform im Jahr 2000 die Absenkung des Einkommensteuertarifs beschlossen. Die Gründe für die unterschiedliche Höhe der Einkommensteuerleistung in den einzel-

nen Gemeindeclustern wurden bereits angesprochen: • Bei den „früh suburbanisierten Kommunen“ ist die hohe Ausprägung der Pro-Kopf-Werte damit zu begründen, dass dort überproportional viele Bewohner einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, da sie keine Erziehungsaufgaben mehr zu erfüllen haben, und sie zudem überdurchschnittlich hohe Einkommen, auch aufgrund des fortgeschrittenen Alters, erhalten. • Bei den „dynamischen Wachstumsorten“ lässt sich die niedrige Höhe der Einnahmen aus der Einkommensteuer mit soziodemografischen Determinanten erklären, also dem hohen Anteil an Kindern und Jugendlichen und überdurchschnittlich repräsentierten jungen Erwerbstätigengruppen, die noch nicht ihr maximales Lohnniveau im Lebenszyklus erreicht haben. Auch weitere Indikatoren bestätigen eine hohe Steuerein-

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nahmekraft der Städte und Gemeinden in den Clustern der „früh suburbanisierten“ und „gealterten Kommunen“ und entsprechend niedrige Werteausprägungen in dem Cluster der „dynamischen Wachstumsorte“ (Wixforth 2009). Dies sind deutliche Hinweise darauf, dass sich diese Gemeinden durch strukturelle Vorteile ihrer Bewohner- und Wirtschaftsstruktur auszeichnen. Jedoch sind Strukturen nicht statisch, und Alter und individueller Status eines jeden Bürgers haben Auswirkungen auf den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer. Da insbesondere die „früh suburbanisierten Kommunen“ bezüglich ihrer Alterstruktur relativ homogen sind und derzeit einen starken Alterungsprozess durchlaufen, wird sich die künftig ausbleibende Steuerleistung dieser Einwohner auf die Gemeindeeinnahmen aus der Einkommensteuer auswirken. Das ist auch insofern von Bedeutung, da gerade für Umlandgemeinden der Gemeindeanteil an der

Abb. 4: Gemeindeanteil an der Einkommensteuer in den Gemeindetypen von 1990 bis 2002 Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage der Jahresrechnungsergebnisse der Statistischen Landesämter

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Finanzielle Auswirkungen der Einwohnerentwicklung, Teil 2 die Gründe v.a. in sozioökonomischen Besonderheiten der größeren Zentren gegenüber den restlichen Landesteilen, die systembedingt zu Aufholtendenzen der nicht-suburbanen Landesteile führen. Auf die unterschiedliche Entwicklung von städtischen, suburbanen und ländlichen Räumen bei der Entwicklung der Einkommensteuer kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Näheres dazu findet sich z.B. bereits bei Henckel (1981). Tab. 6: Veränderung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer in den Gemeindetypen von 1991 bis 2000 Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage der Jahresrechnungsergebnisse der Statistischen Landesämter

Einkommensteuerbelastung

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Einkommensteuer die quantitativ wichtigste Steuereinnahmequelle darstellt. Der Anteil der Einkommensteuer an den Gesamtsteuereinnahmen in den schleswig-holsteinischen Umlandkommunen betrug im Jahr 2002 49 %, während die Gewerbesteuer lediglich einen Anteil von 31 % ausmachte. In Niedersachen erreichen die Anteile mit 45 % bei der Einkommensteuer und 33 % bei der Gewerbesteuer ähnliche Dimensionen (Wixforth 2009). Der Verlauf der Einkommensteuerleistung steigert sich im Lebenszyklus bis etwa zum 55. Lebensjahr, sinkt dann ab und erreicht ab dem 65. Lebensjahr nur noch einen Bruchteil des Höchstwerts (Pohlan et al. 2007: 53). Dieser Zusammenhang lässt sich auch für die hier betrachteten Gemeinden empirisch nachweisen (Tabelle 61): In den Gemeindetypen mit Alterungstendenzen sind die Pro-Kopf-Einnahmen aus dem Gemeindeanteil an der Einkommensteuer von 1991 bis 2000 bereits überproportional abgesunken. Auch der Cluster der „größeren Städte“ hatte einen ähnlich hohen Rückgang der Einnahmen je Einwohner aus der Einkommensteuer zu verzeichnen. Neben einer ebenfalls niedrigen Bevölkerungsdynamik seit 1982 liegen

Das System der Verteilung der Einkommensteuer gewährt den Städten und Gemeinden mit starken Alterungstendenzen durch den doppelten Zeitverzug eine gewisse „Schonfrist“. Somit wirkt ein „Neu-Rentner“ noch mindestens für die Dauer von fünf Jahren auf das Gemeindefinanzsystem wie ein Erwerbstätiger. Auch wird die negative Auswirkung des Eintritts ins Rentenalter auf die Einnahmen aus der Einkommensteuer durch die Einführung der nachgelagerten Besteuerung im Alterseinkünftegesetz ab dem Jahr 2005 bis 2040 zunehmend abgemildert.

Schlüsselzuweisungen Bei den Schlüsselzuweisungen zählen in erster Linie die Bewohner einer Gemeinde, sodass höhere Bevölkerungszahlen als Resultat der Baulandpolitik sich entsprechend positiv auf die Schlüsselzuweisungen auswirken. Die Bevölkerungsstruktur in den Gemeinden spielt somit bei der Feststellung des Hauptansatzes keine Rolle. Erst über die Einbeziehung von strukturellen Nebenansätzen (z.B. Schüler- oder Sozialhilfeansätze) können unterschiedliche Bevölkerungszusammensetzungen relevant werden, die aber für die Höhe

der Schlüsselzuweisungen nur zur Feinabstimmung beitragen und die Höhe nur geringfügig beeinflussen.

Ausgaben Wie bereits gezeigt, sind insbesondere die früh von der Suburbanisierung erfassten Gemeinden heutzutage mit stark gealterten Bewohnern konfrontiert. Dies zeigt sich in einem überdurchschnittlichen Anteil an älteren Bewohnern und an einem überproportionalen Anwachsen des Anteils der älteren Bewohner. Annahmen aus der Literatur scheinen zu bestätigen, dass sowohl überproportionale Anteile als auch überproportionale Zuwächse an älteren Bewohnern höhere finanzielle Belastungen für die Kommunen entstehen. Zu den Kosteneffekten älterer Bewohner wird in der Literatur angemerkt: „Die wenigen bislang hierzu vorliegenden Untersuchungen scheinen darauf hinzudeuten, dass die „Alterstrukturkostenprofile“ vielfach U-förmig verlaufen, d.h. ein großer Teil der öffentlichen Leistungen wird einerseits besonders von jungen Menschen in Anspruch genommen (z.B. das Bildungssystem) und andererseits von den „Alten“ (insbesondere im Gesundheitswesen, der Altenpflege usw.).“ (Baum/Seitz/Worobjew 2002: 153) Die Annahme, dass eine Zunahme des Anteils der älteren an der gesamten Bevölkerung generell auf der Ausgabenseite zu einer höheren Belastung der betroffenen Städte und Gemeinden führt, wird an folgendem Zitat deutlich: „Eine alternde Gesellschaft wird wachsende Pro-KopfAusgaben für Gesundheit und Pflege benötigen[…]. Gerade vor dem Hintergrund des medizinisch-technischen Fort-

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Finanzielle Auswirkungen der Einwohnerentwicklung, Teil 2 schritts, der steigenden Zahl und Quote der Hochbetagten (80 Jahre/85 Jahre und älter) und deren Morbidität und angesichts der Tatsache, dass die Kommunen über ihre Beteiligung an Krankenhäusern und Alteneinrichtungen und vor allem über ihre Ausgabenverantwortung für die Sozialhilfe an diesen Ausgaben beteiligt bleiben werden, wird sicher ein Teil des Einnahmewachstums pro Kopf durch vermehrte Gesundheitsausgaben pro Kopf aufgezehrt werden.“ (Mäding 2004: 94) Inwieweit kommunale Kosten der Alterung sich auf einzelne Gemeinden bereits nachweislich niederschlagen, können die zitierten Untersuchungen jedoch nicht beantworten. Mit dem detailliert aufbereiteten Datenmaterial im Rahmen des Projekts wurde somit beispielhaft rückblickend für den Zeitraum 1997 bis 2002 überprüft, wie sich die demografische Komponente der Alterung der Bevölkerung v. a. auf die Auf- und damit auch Ausgabenbereiche von Kommunen auswirkt. Bei den Aufgaben für ältere Menschen werden Bereiche näher untersucht, die auf der Basis einer vergleichbaren Studie zum Ruhrgebiet (Junkernheinrich/Micosatt 2005: 217ff.) sowie eigener Überlegungen ausgewählt wurden. Dieses sind die Bereiche: • „Hilfe zur Pflege“ (Untergruppe 411), • „Soziale Einrichtungen für Ältere (ohne Pflegeeinrichtungen)“ (431), • „Soziale Einrichtungen für pflegebedürftige Menschen“ (432), • „Sonstige soziale Einrichtungen“ (439), • „Vollzug des Betreuungsgesetzes“ (486), • „Bestattungswesen“ (75).

Darin enthalten sind stationäre Einrichtungen für Ältere (z.B. Seniorentreffs) und Pflegebedürftige (Einrichtungen im kommunalen Besitz sowie Zuweisungen und Zuschüsse an gemeinnützige Träger der Wohlfahrtspflege) und Sozialstationen für ambulante Betreuungsleistungen. Neben diesen institutionsgebundenen Dienstleistungen werden zu den Aufgaben für ältere Bewohner zudem noch der „Vollzug des Betreuungsgesetzes“ bei geschäftsunfähigen Erwachsenen nach §§ 1896ff. BGB (Kosten entstehen hierbei v. a. bei der Bestellung eines Behördenvertreters als Betreuer) sowie die „Hilfe zur Pflege“ hinzugerechnet. Dies sind Aufwendungen der Sozialämter, sofern bei einer Übernahme von Heim- und Pflegekosten im Pflegebedarfsfall die Leistungen der Pflegeversicherung, die Renten, Versorgungsbezüge und Vermögenswerte der Pflegebedürftigen sowie die finanziellen Beteiligungen der Angehörigen nicht ausreichen. In diesem Fall finanzieren die Kommunen als „letzte Instanz“ die ausstehenden Beträge. Zwar ist der Anspruch auf „Hilfe zur Pflege“ nach dem Gesetz altersunabhängig, doch sind in SchleswigHolstein im Jahr 2003 von den etwa 74.000 Empfängern der Hilfe zur Pflege etwa 66 %

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über 75 Jahre alt. Als letztes alterspezifisches Aufgabenfeld wurde das „Bestattungswesen“ mit aufgenommen, da die Sterbewahrscheinlichkeit mit zunehmendem Lebensalter steigt. Damit werden „alterssensitive“ Ausgabenbereiche in den Blick genommen, die sich auf Senioren mit Hilfe- und Pflegebedarfe konzentrieren. Es gibt zwar in der Literatur erste Anhaltspunkte, dass auch die „jungen Alten“ ausgabenerhöhend wirken (überproportionaler Besuch von Volkshochschulkursen, Seniorenstudium, etc.), jedoch sind dies eher Vermutungen, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht überprüft werden. In Tabelle 7 werden die Summen der seniorenspezifischen Ausgaben differenziert nach den einzelnen Clustern der Umlandkommunen betrachtet. Dabei überrascht zunächst, dass die kommunalen Ausgaben für den Bereich „Senioren“ durchgängig rückläufig sind, und zwar in allen hier betrachteten Gemeindetypen. Dies bedeutet, dass selbst in den Gemeinden mit starken Alterungstendenzen nicht automatisch höhere Ausgaben für ältere Bürger anfallen. Die vorliegenden Resultate lassen für den betrachteten Zeitraum keine systematischen Zusammenhänge zwischen den Clus­

Tab. 7: Ausgaben für Senioren 1997/98 und 2001/02 und deren Anteil an den Gesamtausgaben 2001/02 Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage der Jahresrechnungsergebnisse der Statistischen Landesämter

Seniorenspezifische Ausgaben

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Finanzielle Auswirkungen der Einwohnerentwicklung, Teil 2 tern, der Höhe der Ausgaben und deren Entwicklung erkennen. Die Ergebnisse widersprechen den Hypothesen

Steigende Kreisumlage

Hilfe zur Pflege, eine Kreisaufgabe

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Somit widersprechen die empirischen Ergebnisse den eingangs beschriebenen Thesen, dass Alterungsprozesse „automatisch“ höhere Kosten für die kommunalen Gebietskörperschaften nach sich ziehen. Jedoch waren die Analysen nur für einen relativ kurzen Beob­ achtungszeitraum durchführbar. Für den überraschenden Befund der rückläufigen Ausgaben sind folgende Erklärungsansätze denkbar: • Bei den institutionsgebundenen Dienstleistungen handelt es sich vielfach um freiwillige Ausgaben der Kommunen, bei denen ein hoher Spielraum besteht. Auch ist erkennbar, bei Pflegebedürftigen von der kostenintensiven Pflege in stationären Einrichtungen nach Möglichkeit zur ambulanten Pflege zurückzukehren, nachdem die Einführung der Pflegeversicherung in den Jahren 1995/96 zunächst zu einer zunehmenden Verlagerung der Pflege in die stationären Einrichtungen geführt hatte (Deutscher Städte- und Gemeindebund 2005: 22). • Zudem sind Verlagerungen von Aufgaben und somit Ausgaben von der kommunalen auf die Landesebene vorstellbar. Diese möglicherweise durchgeführte Aufgabenübertragung kann jedoch mit den vorliegenden Daten nicht nachvollzogen werden, da die Haushaltssystematik der Länder keine hinreichende Differenzierung aufweist. So sind die in der Kommunalsystematik differenzierten Hilfearten nach dem BSHG (u. a. auch Hilfe zur Pflege)

bei den Ländern in nur einer Gruppierung mit weiteren Geldleistungen zusammengefasst. • Verzögerungen bei der Wahrnehmung der Möglichkeiten zur Kostenerstattung der Pflegeversicherung sind eine weitere mögliche Erklärung. Dies bedeutet, dass die kommunal Verantwortlichen trotz Einführung der Pflegeversicherung ab 1995/96 zunächst weiterhin nach den bisherigen – für die Kommunen kostenintensiveren – Regelungen gebucht haben und sich die neuen Optionen erst allmählich durchgesetzt haben. • Der Referenzzeitraum von 1997 bis 2002 – zu dem es allerdings aufgrund der Datenverfügbarkeit keine Alternative gab – ist ungünstig gewählt und eine aktualisierte Langzeitbetrachtung kommt u. U. zu anderen Ergebnissen. Weitergehende Analysen zum Ausgabenbereich „Senioren“ zeigen, dass nennenswerte Ausgaben nur in dem Aufgabenfeld „Hilfe zur Pflege“ entstehen. In der Nettobetrachtung fällt für die Kommunen in Schleswig-Holstein im Jahr 2002 ein Zuschussbedarf von 19,55 Euro je Einwohner an, in Niedersachsen von 13,50 Euro (Wixforth 2009). Entsprechend der Entwicklung des gesamten Ausgabenbereichs „Senioren“ waren auch die Pro-Kopf-Werte der „Hilfe zur Pflege“ als kostenintensivster Unterabschnitt in den Untersuchungskommunen von 1997 bis 2002 rückläufig. Die „Hilfe zur Pflege“ als bedeutendste Einzelposition der alterssensitiven Ausgaben wird fast vollständig über den Kreis finanziert, in SchleswigHolstein im Jahr 2002 zu

97 % und in Niedersachsen zu 87 % (ebd.). Die Kreisfinanzierung hat zur Folge, dass die Städte und Gemeinden der an Hamburg angrenzenden Landkreise über die Kreisumlage an den Kosten beteiligt werden. Jedoch wird mit der Kreisumlage das Ziel eines Finanzausgleichs verfolgt, und sie wird nach Maßgabe der Finanzkraft der jeweiligen Kommunen erhoben. Dadurch haben stark alternde Kommunen, auf deren Gebiet u. U. entsprechend viele Ältere mit Pflegebedarf wohnen, keine überproportionalen finanziellen Belastungen zu tragen. Die starke Abhängigkeit vom Alter bei der Inanspruchnahme der Hilfe zur Pflege und der überproportional starke Alterungsprozess im Hamburger Umland lassen erwarten, dass im Rahmen des derzeitigen Finanzierungsverfahrens der „Hilfe zur Pflege“ die Kreisumlage künftig ansteigen wird. Diese Dimensionen der direkt zuzuordnenden Ausgaben für ältere Menschen zeigen, dass sich die derzeitige Situation der kommunalen Kostenbelastung bei den hier betrachteten Gemeinden als quantitativ eher marginal darstellt. Doch wird sich durch die überproportionale Alterung der Bevölkerung im suburbanen Raum die derzeit noch relativ günstige Ausgangslage künftig verändern. Die Zahl und der Anteil der Senioren in den Städten und Gemeinden des Hamburger Umlands nehmen auch künftig unterschiedlich stark zu, auf die die unterschiedlichen Entwicklungspfade der einzelnen Gemeinden aus der Typisierung hindeuten. Damit wird sich der Trend der jüngeren Vergangenheit auch künftig fortsetzen, d.h. die Gemeinden, die bereits jetzt besonders starke Alte-

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Finanzielle Auswirkungen der Einwohnerentwicklung, Teil 2 rungstendenzen zeigen, werden auch zukünftig einen besonders starken Anstieg der Zahl und des Anteils älterer Menschen aufweisen. Dagegen wird in den „dynamischen Wohnorten“ der Anteil der älteren Bewohner auch künftig weitaus niedriger prognostiziert.

Zusammenfassung In diesem Beitrag sind für wesentliche Einnahmen und Ausgaben die daraus resultierenden kommunalfiskalischen Effekte aus der demografischen Entwicklung empirisch abgeleitet worden. Dies dient zur Beantwortung der Fragestellung, ob Einwohnerzuwächse Gewinne oder Verluste für die Gemeindekasse bedeuten. Bei den Einnahmen wurden der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer und die Schlüsselzuweisungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs betrachtet, da diese beiden Einnahmearten direkt von der Bevölkerungszahl und – bei der Einkommensteuer – auch von der Bevölkerungsstruktur abhängig sind. Bei den Ausgaben wurden die kommunalen Aufgabenbereiche für Kinder und Jugendliche sowie für Senioren näher untersucht, da diesen demografischen Gruppen im analysierten Hamburger Umland eine herausragende Bedeutung zukommt. Die übergeordneten Ergebnisse der Untersuchungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Das Einwohnerwachstum führt nicht zu linearen Zuwächsen bei den Einnahmen, da das Gemeinde­ finanzsystem durch seine hochkomplexen Ausgestaltungen und gegenseitigen Wirkungszusammenhänge Asymmetrien erzeugt. • Die fiskalischen Effekte des

Einwohnerwachstums dürfen nicht auf die Einnahmeseite verkürzt werden. Auch auf der Ausgabenseite zeigen sich erhebliche finanzielle Auswirkungen, die die Vorteile abmildern und sogar ins Gegenteil verkehren können. Bei der Einkommensteuer ist festzuhalten, dass Einwohnerzuwächse nur stark gefiltert auf diese Einnahmeart wirken. Hierfür sind u.a. verantwortlich: die komplizierten Berechnungsmodalitäten zur Ermittlung des einzelgemeindlichen Anteils, die mehrjährige Zeitverzögerung und die Abhängigkeit von der Entwicklung der restlichen Kommunen des jeweiligen Landes. Mittel- bis langfristig wirkt sich der Einwohnerzuwachs jedoch positiv auf den gemeindlichen Einkommensteueranteil aus, zumal die Lohnsteuer bei Pendlern vollständig deren Wohngemeinden zugerechnet werden. Aus kommunalfiskalischen Überlegungen handelt eine Gemeinde damit durchaus rational, wenn sie Wohnbaulandflächen ausweist. Allerdings sollte vermieden werden, allzu viele Wohneinheiten zeitgleich auszuweisen. Dies kann in der nahen Zukunft zu überproportional hohen Einnahmen führen, mittelfristig aber auch die Einkommensausfälle verstärken. Die Schlüsselzuweisungen reagieren direkter auf Einwohnerveränderungen. Zuzüge wirken sich bereits im folgenden Jahr aus. Auch werden im Gegensatz zur Einkommensteuer, die nur die Lohnsteuerzahler berücksichtigt, grundsätzlich alle Personen einnahmewirksam. Komplexitätserhöhend wirkt sich der Einfluss der Steuereinnahmen (bei der Einkommensteuer erst nach mehreren Jahren) auf den Finanzausgleich sowie

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wiederum die Entwicklung der restlichen Kommunen des Landes aus. Somit führt Einwohnerwachstum zumindest zu einem positiveren Ergebnis in der Gemeindekasse als Stagnation oder Schrumpfung. Auch für diese Einnahmeart ist festzuhalten, dass die Ausweisung neuer Wohnbaugebiete lohnenswerter ist als deren Unterlassung. Die aus den Zuzügen resultierenden zusätzlichen Ausgabenbedarfe relativieren die positiven Einnahmeneffekte erheblich. Dies wurde am Beispiel der Aufgabenerfordernisse für Kinder und Jugendliche gezeigt. Insbesondere in den stark wachsenden Kommunen ist das Zuzugsgeschehen stark von zuziehenden Familien mit Kindern geprägt. Dies erhöht dort die Nachfrage nach Kindertageseinrichtungen und Schulen, sodass vielfach zusätzliche Sach­ investitionen notwendig werden. Kommunalfiskalisch ist der Wettbewerb um Familien mit Kindern wenig nachvollziehbar, der hohe Stellenwert dieser Zuzugsgruppe ist v.a. gesellschaftspolitisch bedingt. So ermöglicht es der politische Konsens, dass kostenintensive Aufgaben für Kinder und Jugendliche als Zukunftsinvestition vielfach über Kredite finanziert werden – auch in der Erwartung, künftig höhere Einnahmen durch den Bevölkerungszuzug zu erzielen. Während die Investitionen in Bildungseinrichtungen im finanzpolitischen Kalkül vielfach ausgeblendet werden, sind die (vermeintlichen) Kosten der Alterung allgegenwärtig. Jedoch sind Folgekosten für die Kommunen im Rahmen der zunehmenden Alterung für den Zeitraum von 1997 bis 2002 nicht nachzuweisen. Das altersbezogene Kostenprofil auf kommu-

Keine Fixierung auf die Einnahmeseite

Nicht nachvollziehbarer Wettbewerb

Die Kosten der Alterung ...

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FiNaNZiEllE aUSWirKUNGEN dEr EiNWoHNErENtWiCKlUNG, tEil 2

... sind relativ gering.

Mehr Zuzug heißt nicht mehr Einnahmen

naler Ebene zeigt eher einen „Sprungschanzen-Verlauf“ als eine U-Form. die Kosten der alterung für die Kommunen sind selbst bei den besonders stark betroffenen Gemeinden relativ gering. Ferner werden gemeindespezifische Unterschiede der Kosten der alterung durch den Mechanismus der Finanzierung über die Kreisumlage stark nivelliert. die Ergebnisse zeigen, dass das derzeitige Gemeindefinanzsystem mit seinen gegenseitig abhängigen und z. t. auch gegenläufigen Wirkungszusammenhängen hochkomplex ist, sodass auf Haushaltskonsolidierungen ausgerichtete kommunale Baulandpolitiken in der Kommunalverwaltung in ihrer Wirkungsrichtung kaum exakt planbar sind. auch sind die kommunalfiskalischen Wirkungen von Flächenausweisungen dem Bürger kaum vermittelbar. die Formel „Zuzug = Einnahmewachstum“ ist politisch gebräuchlich, wissenschaftlich aber nicht haltbar.

Literatur

tistik: Über Stisasen, was

w Will ich en will, ich morg as sehen, w muss ich schieht. heute ge

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Anmerkung 1

abbildung 1 bzw. tabellen 1 bis 5 siehe Stadtforschung und Statistik ausgabe 2/ 2009

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Strukturen und Entwicklungen in der Region Hannover

Erwerbstätige Leistungsbezieher Henning Schridde, Hannover

„Wer arbeitet, der sollte genug Geld haben, um sich und seine Familie zu ernähren“ – so eine gängige Vorstellung. Seit Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) ist jedoch die Zahl der Hilfebedürftigen, die trotz Erwerbstätigkeit auf ergänzende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende angewiesen sind, angestiegen. Vielfach wird dieser Anstieg als Indiz für die Zunahme „prekärer Beschäftigungsverhältnisse“ oder der Entstehung eines breiten Niedriglohnbereichs herangezogen. Andere wiederum sehen in der wachsenden Zahl der Personen, die ihr Erwerbseinkommen durch SGB II-Leistungen aufstocken, eine konsequente Umsetzung des durch den Gesetzgeber formulierten Auftrags durch die Grundsicherungsstellen, wie er im § 1 SGB II formuliert wurde: „Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, stärken und dazu beitragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können. (…) Die Leistungen der Grundsicherung sind insbesondere darauf auszurichten, dass durch eine Erwerbstätigkeit Hilfebedürftigkeit vermie­ den oder beseitigt, die Dauer der Hilfebedürftigkeit verkürzt oder der Umfang der Hilfebedürftigkeit verringert wird“. Durch den konjunkturellen

Aufschwung der vergangenen Jahre sei es erst möglich geworden, mehr Menschen einen Weg zur Teilhabe an Erwerbsarbeit zu eröffnen (Hervorhebungen nicht im Original). Eine wichtige Informationsquelle für die Betrachtung des Zusammenhangs von Erwerbstätigkeit und Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II ist die Arbeitsmarkt- und Grundsicherungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit (BA). Am Beispiel der Region Hannover wollen wir im Folgenden exemplarisch das Themenfeld anhand von bereits veröffentlichten sowie gesondert aufbereiteten Daten illustrieren. Zunächst sind jedoch einige methodische Erläuterungen vorwegzunehmen.

Methodische Erläuterungen1 In der Statistik der BA wird unterschieden zwischen „erwerbstätigen Leistungsbeziehern“ und „beschäftigten Leis­ tungsbeziehern“. „Erwerbstätige Leistungsbezieher“ sind erwerbsfähige Hilfebedürftige (eHb) mit laufenden Leistungsanspruch vor Sanktionen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende („Leis­tungsbezieher“), die gleichzeitig Brutto-Einkommen aus Erwerbstätigkeit beziehen. Im Rahmen der laufenden Berichterstattung werden dabei z.B. die erwerbstätigen Leistungsbezieher differenziert nach den Einkommensklassen „bis einschließlich 400 Euro“, „400 bis einschließ-

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lich 800 Euro“ und „mehr als 800 Euro“ dargestellt. Ferner kann zwischen erwerbstätigen Leistungsbeziehern mit Einkommen aus abhängiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit unterschieden werden. Die Auswertungen basieren auf den Prozessdaten der SGB II– Träger im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung, die über das IT-Fachverfahren A2LL bzw. der Datenlieferung über den Datenstandard XSozial-BA-SGBII gemäß § 51 b SGB II seitens der zugelassenen kommunalen Träger der Statistik der BA zugeliefert werden. Darüber hinaus können aus einer integrierten Auswertung der Beschäftigten- und Leis­ tungsstatistik die sog. „Beschäftigten Leistungsbezieher“ ermittelt werden. „Beschäftigte Leistungsbezieher“ sind erwerbsfähige Leistungsbezieher, die gleichzeitig ein sozialversicherungspflichtiges oder geringfügig entlohntes Beschäftigungsverhältnis haben. Für diese Auswertung können zurzeit nur die auf A2LL basierenden Daten herangezogen werden. In der absoluten Höhe ergibt die integrierte Auswertung in der Regel höhere Zahlen als die Analyse der Leistungsbezieher mit Einkommen aus abhängiger Erwerbstätigkeit aus A2LL. Für diese Abweichung sind vor allem Auswirkungen bei Übergängen von Hilfebedürftigkeit in Beschäftigung und umgekehrt ursächlich, aber auch Situationen wie der Bezug von Krankengeld und Arbeitslosengeld II bei fortbestehen-

SGB II-Prozessdaten

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Erwerbstätige Leistungsbezieher

Grundsicherungsstatistik

dem Beschäftigungsverhältnis. Eine Anschlüsselung der integrierten Auswertungen an die Leistungsstatistik befindet sich derzeit noch Prüfung. Im Rahmen der Berichterstattung wird zur Ermittlung der Gesamtzahl der erwerbsfähigen Leistungsbezieher mit Einkommen aus Beschäftigung die Grundsicherungsstatistik herangezogen. Aus der integrierten Auswertung können hingegen ergänzende Strukturinformationen getrennt für sozialversicherungspflichtige und geringfügig entlohnte Beschäftigte, u.a. zu soziodemografischen Merkmalen, Qualifikation, Arbeitszeiten und Wirtschaftszweig, ermittelt werden, die zu allen Beschäftigten in Relation gesetzt werden können.

Erwerbstätige Leis­ tungsbezieher

Abb. 1: Anteil der erwerbsfähigen Leistungsbezieher mit einem zu berücksichtigendem Einkommen aus abhängiger Erwerbstätigkeit in der Region Hannover 2007–2009

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Am Beispiel der Region Hannover, deren Gebiet vollständig im Zuständigkeitsgebiet einer ARGE JobCenter Region Hannover liegt. kann die Analyse zu den erwerbstätigen Leistungsbeziehern über das gesamte Spektrum der Auswertungsmöglichkeiten vorgenommen werden.

In der Region Hannover war im Juni 2009 nahezu jeder vierte erwerbsfähige Hilfebedürftige (eHb) (26,6%) erwerbstätig. Absolut waren dies 22.860 Personen. Der überwiegende Teil davon war abhängig erwerbstätig (92%). Lediglich 2,4 Prozent der eHb übten eine selbstständige Erwerbstätigkeit aus. Seit Januar 2007 ist die Zahl der erwerbstätigen Leistungsbezieher im Zuge der konjunkturellen Entwicklung um über 5.700 Personen angestiegen. Im Januar 2007 war lediglich jeder fünfte eHb erwerbstätig. 18,9 Prozent der eHb übten eine abhängige und 1,1 Prozent eine selbstständige Tätigkeit aus. Im intraregionalen Vergleich zeigt sich, dass der Anteil der erwerbstätigen Leistungsbezieher im Umland um ca. 3 Prozentpunkte über dem Anteil in der Stadt Hannover liegt. Eine Ursache hierfür könnte in den unterschiedlichen Strukturen der Bedarfsgemeinschaften zwischen Stadt und Umland liegen. So liegt z.B. der Anteil der Bedarfsgemeinschaften mit Kindern unter 18 Jahren im Umland bei 36,9 Prozent und damit 6 Prozentpunkte höher als in der Stadt Hannover2. Da

diese einen höheren Bedarf haben als Single-Haushalte, kann Hilfebedürftigkeit trotz Erwerbstätigkeit auftreten. Betrachtet man die absolute Entwicklung innerhalb der Region Hannover seit Januar 2007, so hat die Zahl der eHb mit einer abhängigen Erwerbstätigkeit in der LH Hannover um 33 Prozent und im Umland um 23 Prozent zugenommen. Dabei lässt sich im Zeitverlauf ein saisonales Muster der Erwerbstätigkeit von erwerbsfähigen Leistungsbeziehern identifizieren. So steigt die Zahl der erwerbstätigen Leistungsbezieher im Frühjahr über die Sommermonate bis zum Herbst an, um dann über die Wintermonate wieder abzunehmen. Nach Einkommensklassen differenziert zeigt sich bei den erwerbstätigen Leistungsbeziehern mit einem Bruttoeinkommen von unter 400 Euro bzw. über 800 Euro eine unterschiedliche Entwicklung. So nahm die Zahl der erwerbstätigen Leistungsbezieher mit einem Bruttoerwerbseinkommen von unter 400 Euro von 10.533 im Jahresdurchschnitt 2007 auf 12.032 im Jahresdurchschnitt 2008 zu und lag im Juni 2009 bei 13.288. Damit erzielte mehr als die Hälfte aller erwerbstätigen Leistungsbezieher bzw. jeder siebte eHb ein Bruttoerwerbseinkommen von unter 400 Euro. Die Zahl der erwerbstätigen Leistungsbezieher mit einem Bruttoerwerbseinkommen von über 800 Euro lag im Jahresdurchschnitt 2007 bei 5.340 Personen und im Folgejahr bei 5.802 Personen. Der höchste Anteil an erwerbstätigen Leistungsbeziehern mit einem Bruttoerwerbseinkommen über 800 Euro war im Oktober 2008 mit 7,3 Prozent aller erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zu verzeichnen. Seit-

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Erwerbstätige Leistungsbezieher dem lässt sich eine rückläufige Entwicklung beobachten. Die Zahl der erwerbstätigen Leistungsbezieher mit einem Bruttoerwerbseinkommen über 800 Euro ist um annähernd ein Tausend Personen (5,9% aller erwerbsfähigen Leistungsbezieher) gefallen3. Differenziert nach Art der Erwerbstätigkeit, lässt sich für die Stadt Hannover und das Umland eine unterschiedliche Entwicklung feststellen. Während die Zahl der abhängig erwerbstätigen Leistungsbezieher in der Stadt Hannover stärker als im Umland zunahm, wuchs die Zahl der selbstständig erwerbstätigen Leistungsbezieher mit ergänzenden SGB II-Leistungen im Umland intensiver als in der Stadt Hannover. Dabei verdoppelte sich deren Anzahl sowohl in der Stadt als auch im Umland. Der Anteil der selbstständigen erwerbstätigen Leistungsbezieher an allen eHb betrug im Juni 2009 sowohl in der Stadt als auch im Umland jeweils 2,4 Prozent.

Beschäftigung von erwerbsfähigen Leistungsbeziehern Über eine integrierte Auswertung von Beschäftigten- und Grundsicherungsstatistik können weitere Informationen über die Erwerbstätigen mit Leistungen aus der Grundsicherung gewonnen werden. Ende 2008 waren 50,4 Prozent der beschäftigten Leistungsbezieher geringfügig entlohnt und 49,6 Prozent sozialversicherungspflichtig beschäftigt; von letzteren 59,0 Prozent in Vollzeit und 40,9 Prozent in Teilzeit. In Abbildung 2 wurde der Anteil der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Leistungsbezieher an allen Be-

schäftigten der jeweiligen Bezugsgruppe aufgetragen. Daraus lässt sich die unterschiedliche Betroffenheit einzelner Gruppen von ergänzenden SGB II-Leistungen ersehen. In der absoluten Höhe bewegen sich die Ergebnisse der integrierten Auswertung im Ggs. zu den überregionalen Ergebnissen auf dem Niveau der erwerbstätigen Leistungsbezieher aus A2LL. Für den Dezember 2008 ergeben sich insgesamt 21.960 beschäftigte Leistungsempfänger, davon 10.891 in einem sozial­ versicherungspflichtigen und 11.069 in einem ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigungsverhältnis. Damit waren 2,9 Prozent aller sozialversicherungsplichtig und 17,2 Prozent aller ausschließlich geringfügig Beschäftigten auf ergänzenden SGB II-Leistungen angewiesen. Alter Die Altersgliederung weist darauf hin, dass der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit Leistungen nach dem SGB II bei den jüngeren Altersgruppen häufiger

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auftritt als bei den älteren Beschäftigten. Als Ursachen kommen hier ein vergleichsweise niedriges Einkommen aufgrund von Ausbildung, Teilzeitbeschäftigung und prekärem Berufseinstieg in Betracht. Umgekehrt liegt der Anteil der beschäftigten Leistungsbezieher in der Altersgruppe über 50 Jahre nur bei 1,7 Prozent. Maßgeblich hierfür dürfte die mit dem innerbetrieblichen Senioritätsprinzip und der höheren Beschäftigungsdauer einhergehende Beschäftigungssicherheit und höhere Einkommensniveau sein.

Abb. 2: Anteile der sozialversicherungspflichtig Beschäf­ tigten mit Leistungen nach dem SGB II in der Region Hannover – Dezember 2008

Nationalität Der Anteil der Ausländer an den beschäftigten Hilfebedürftigen mit Bezug von Leistungen nach dem SGB II betrug bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 23,9 Prozent und bei den geringfügig Entlohnten 25,9 Prozent. Die Anteile sind deutlich größer als an den Beschäftigten ohne Leistungen nach dem SGB II, entsprechend erhalten ausländische Beschäftigte bezogen auf alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit 9,3 Prozent deutlich häufiger ergänzende Leistungen 57


Erwerbstätige Leistungsbezieher nach dem SGB II als Deutsche (2,4 Prozent). Als Ursache kommen hier der vergleichsweise schlechtere Ausbildungstand und die daraus resultierenden schlechteren Arbeitsmarktchancen für die ausländische Bevölkerung in Betracht.

Teilzeit – Vollzeit

Schwerpunkt: Dienstleistung

Geschlecht Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit ergänzenden Leistungen nach dem SGB II verteilen sich zu 54 Prozent auf Frauen und zu 46 Prozent auf Männer. Bezogen auf alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind Frauen mit 3,3 Prozent häufiger auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen als Männer mit 2,5 Prozent. Die Ursachen für den höheren Anteil der Frauen unter den beschäftigten Leis­ tungsbeziehern liegen mitunter in den familienbedingt eingeschränkten Möglichkeiten der Vollzeiterwerbstätigkeit (z.B. Alleinerziehenden-Bedarfsgemeinschaften) oder an den Folgen familienbedingter Berufsunterbrechungen, die zu einer „unterwertigen“ Beschäftigung führen können. Qualifikation Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte ohne Berufsabschluss bekommen überdurchschnittlich häufig ergänzende Leistungen nach dem SGB II. Schließt man die Beschäftigten ohne Angabe zur Qualifikation aus der Betrachtung aus, so beträgt der Anteil der Beschäftigten ohne Berufsabschluss mit SGB IILeistung 47 Prozent. Damit sind 5,1 Prozent der ungelernten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf ergänzende Leistungen aus dem SGB II angewiesen, im Vergleich zu 1,4 Prozent bei Arbeitnehmern mit Berufsabschluss. Ein fehlender Berufsabschluss ist somit einer der stärksten Risikofaktoren für

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ein unzureichendes Erwerbseinkommen, das durch SGB II-Leistungen ergänzt werden muss. Arbeitszeit Von den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit SGB II-Leistungen arbeiten 40,9 Prozent in Teilzeit. Damit waren von allen sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigten 5,9 Prozent auf Leistungen aus dem SGB II angewiesen. Bei Vollzeitbeschäftigten betrug dieser Anteil „nur“ 2,2 Prozent. Bei den ausschließlich geringfügig Beschäftigten war jeder sechste auf ergänzende SGB II-Leistungen angewiesen. Die Ausweitung der individuellen Arbeitszeit durch Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung oder Erhöhung der Arbeitsstunden ist damit ein wichtiger Faktor für die Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit. Wirtschaftszweige: Beschäftigte mit ergänzenden SGB II-Leistungen sind vor allem im Dienstleistungsgewerbe zu finden. Allein auf die sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen, Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kfz, dem Gesundheitsund Sozialwesen sowie dem Gastgewerbe entfallen nahezu dreiviertel aller beschäftigten Leistungsbezieher. Um den Einfluss des Wirtschaftszweiges auf das Risiko der Hilfebedürftigkeit einschätzen zu können, ist jedoch der Anteil der beschäftigten Leistungsbezieher an den Beschäftigten in der Branche aussagekräftiger. In der Land- und Forstwirtschaft sind 3,8 Prozent, im Dienstleis­ tungssektor 3,5 Prozent, im Baugewerbe 2,3 und im Produzierenden Gewerbe (o. Bau) lediglich 0,7 Prozent der Beschäftigten auf ergänzende SGB II-Leistungen angewiesen.

Ein differenzierter Blick auf die Wirtschaftsabteilungen zeigt, dass insbesondere in der Gebäudebetreuung und dem Garten- und Landschaftsbau 14,1 Prozent der Beschäftigten, in der Überlassung von Arbeitskräften 12,2 Prozent und in der Gastronomie 9,9 Prozent der Beschäftigten auf ergänzende SGB II-Leistungen angewiesen sind. Im Einzelhandel oder den Wach- und Sicherheitsdiensten ist das Risiko der Hilfebedürftigkeit unter den Beschäftigten hingegen nur halb so groß wie in der Gastronomie. Berufe Von den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit SGB II-Leistungen arbeiten 26 Prozent in Fertigungsberufen. Dabei arbeiten die Beschäftigten in Fertigungsberufen nicht nur im Produzierenden Gewerbe, sondern auch im Baugewerbe und in der Dienstleistungsbranche. Überdurchschnittlich häufig erhalten Beschäftigte in Fertigungsberufen ergänzende SGB II-Leistungen, während Beschäftigte mit technischen Berufen unterdurchschnittlich und Beschäftigte mit Dienstleis­tungsberufen wie im Durchschnitt von Hilfebedürftigkeit betroffen sind. Ein differenzierter Blick auf die Berufsbereiche zeigt, dass insbesondere die Beschäftigten in allgemeinen Dienstleistungsberufen (10,9 %), Hilfsarbeiter (9,8%) und Ernährungsberufe (7,8%) überdurchschnittlich von Hilfe­ bedürftigkeit betroffen sind. Die höchsten Anteile an Beschäftigten mit ergänzenden SGB II-Leistungen verzeichnen Bauhilfsarbeiter/-helfer, Raumund Hausratreiniger, Glas- und Gebäudereiniger sowie hauswirtschaftliche Betreuer. In diesen Berufsfeldern und oben aufgeführten Branchen spielt angesichts der Beschäfti-

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Erwerbstätige Leistungsbezieher gungs- und Einkommensmöglichkeiten die Unterstützung durch SGB II-Leistungen für eine größere Zahl von Beschäftigten eine wichtige Rolle.

Beschäftigte Leistungsbezieher 20064 Die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit bietet über Bestandsauswertungen hinaus die Möglichkeit, den Verbleib der Beschäftigten im Zeitablauf zu beobachten5. So sind z.B. Aussagen darüber möglich, ob die Beschäftigten nach einer bestimmten Zeit noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind oder ob sich ihre Arbeitszeit geändert hat. In der Region Hannover waren von den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Leistungsbeziehern des Juni 2006 nach einem Jahr fast ¾ in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, davon erhielten 60 Prozent weiterhin SGB II-Leistungen. Nach zwei Jahren waren 65 Prozent der beschäftigten Leistungsbezieher aus dem Juni 2006 weiterhin beschäftigt, wovon 44 Prozent SGB II-Leistungen erhielten. Umgekehrt waren nach einem Jahr 29 Prozent der beschäftigten Leistungsbezieher aus dem Juni 2006 und nach zwei Jahren 36 Prozent nicht mehr auf SGB II-Leistungen angewiesen, aber weiterhin beschäftigt. Im intraregionalen Vergleich zeigt sich, dass 54 Prozent der beschäftigten Leistungsbezieher ihren Arbeitsort in der Stadt Hannover, 35 Prozent ihren Arbeitsort im ehemaligen Landkreis und 11 Prozent außerhalb der Region hatten. Diese Verteilung ist innerhalb der Region in den vergangenen Jahren weitgehend stabil geblieben. Es zeigt sich jedoch,

dass von den beschäftigten Leistungsbeziehern mit Arbeitsort in der Stadt Hannover nach zwei Jahren noch 29 Prozent weiterhin beschäftigt und hilfebedürftig waren, während nur noch jeder vierte Beschäftigte mit dem Arbeitsort im Umland Hannovers und nur noch jeder zwanzigste Beschäftigte mit einem Arbeitsort außerhalb der Region auf ergänzende SGB IILeistungen angewiesen war. Betrachtet man die Entwicklung der Beschäftigten, die nicht mehr auf SGB II-Leistungen angewiesen sind, so hat der Anteil der ehemaligen beschäftigten Leistungsbezieher, die ihren Arbeitsort im Umland haben, stärker zugenommen als in der Stadt Hannover. Dies gilt insbesondere für die Vollzeitbeschäftigten. Zudem zeigt sich, dass ein größerer Anteil der beschäftigten Leistungsbezieher mit Arbeitsort Stadt Hannover nach zwei Jahren nicht mehr beschäftigt ist. Darüber hinaus ist die Entwicklung der ausschließlich geringfügig beschäftigten Leistungsbezieher im Zeitverlauf von besonderem Interesse. Hierfür wurde eine Bestandsanalyse der Kohorte der ausschließlich geringfügig Beschäftigten des Juni 2006 in der Region Hannover durchgeführt. Von den 10.323 ausschließlich geringfügig beschäftigten Leistungsbeziehern war nach zwei Jahren ein Drittel noch weiterhin ausschließlich geringfügig beschäftigt und hilfebedürftig. 10 Prozent übten eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus und waren dennoch auf ergänzende SGB II-Leistungen angewiesen. Jeder sechste der ehemaligen geringfügig beschäftigten Leistungsbezieher vom Juni 2006 übte jedoch nach zwei Jahren eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überwiegend

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in Vollzeit aus und konnte dadurch wahrscheinlich seine Hilfebedürftigkeit beenden. Die Analysen weisen insgesamt auf bekannte Risikokons­ tellationen hin, die einer erfolgreichen Integration in den Arbeitsmarkt entgegenstehen. Hierbei handelt es sich um klassische Risiken beim Berufseinstieg, familienbedingt eingeschränkte Erwerbsmöglichkeiten, unzureichende Qualifikationen, von der unterschiedliche Personengruppen in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sind, sowie geringe Einkommen in bestimmten Branchen. Es zeigt sich jedoch, dass die Bekämpfung dieser Risikofaktoren wie z.B. durch Qualifizierung und Vermittlung in eine Beschäftigung mit höherer Arbeitszeit zu einer nachhaltigen Überwindung der Hilfebedürftigkeit von beschäftigten Leistungsbeziehern führen kann. Darüber hinaus weist der intraregionale Vergleich am Beispiel der Region Hannover darauf hin, dass die räumlichen Strukturen im Zeitverlauf zwar sehr stabil erscheinen; es jedoch unterhalb der Oberfläche regional unterschiedliche Muster und Entwicklungen gibt. Um diese regionalen Strukturen abzubilden, bietet die Statistik der BA fachlich und räumlich tief gegliederte Statistik auf ihrer Internetseite (http://statistik.arbeitsagentur. de). Weitere Standardprodukte, in denen vielfach Daten bis auf Gemeindebene aufbereitet sind, können über die regionalen Statistik-Services der Statis­ tik der BA, für das Gebiet der Bundesländer MecklenburgVorpommern, Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Bremen beim Statistik-Service Nordost bezogen werden (statistik-service-nordost@arbeitsagentur.de).

Risikokonstellation

Was wird aus geringfügig Beschäftigten?

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Knöllchen-Statistik

Anmerkungen: 1

2

Weiterführende methodische Hinweise finden sich im Bericht Statistik der BA: Anrechenbare Einkommen und Erwerbstätigkeit, Nürnberg, Januar 2007 sowie im monatlich erscheinenden Tabellenheft „Erwerbstätigkeit von erwerbsfähigen Leistungsbeziehern, Dezember 2008“ Statistik der BA: Bedarfsgemeinschaften und Personen in Bedarfsgemeinschaften nach ausge-

wählten Merkmalen, (erstellende Stelle: Statistik-Service Nordost), Hannover 3 Statistik der BA: Erwerbstätigkeit von erwerbsfähigen Leistungsbeziehern – Zeitreihe, (erstellende Stelle: Statistik-Service Nordost), Hannover 4 Da die Datenvalidität 2005 teilweise noch eingeschränkt war, wurde auf Daten des Jahres 2006 zurückgegriffen. Der 30.6. wird in der Beschäftigtenstatistik als

klassischer Berichtstermin und Kennwert für die Beschäftigung des jeweiligen Jahres verwandt. 5 Im Ggs. zur regionalen Bestandsanalyse am Beispiel von Hannover veröffentlicht die Statistik der BA in größeren Zeitabständen auch Übergangsanalysen von Arbeitslosen und erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Beschäftigung, in denen Daten bis auf Kreisebene ausgewiesen sind.

Knöllchen-Statistik Martin Schlegel, Hagen „Die Zeit“ gilt ja nicht als führendes Statistikorgan, aber hin und wieder bringen sie informative Grafiken. Etwas, das jeder versteht – was nun mal eine wichtige Grundlage ist. In Nr. 48/2009 des Zeit-Magazins befasst sich Matthias Stolz

mit einer Knöllchen-Statistik, also den Knöllchen pro 100 gemeldeter Fahrzeuge im 1. Halbjahr 2009. Nichts umwerfend Wesentliches, aber interessant. Wer hätte schon geglaubt, dass die Spannweite dermaßen groß ist? In Hildesheim verteilten die

Politessen 14 Knöllchen pro 100 Kfz, in Offenbach aber 127. Ihre Stadt liegt irgendwo dazwischen – wahrscheinlich. Um ein Gedränge zu vermeiden, habe ich die ungeraden Werte links und die geraden rechts der Zahlensäule angebracht.

Offenbach 127

–120 – – 110 – – 100 – Hannover Potsdam Lübeck, Heidelberg Trier, Mannheim Rostock

89 85 83 81 77

– 90 – – 80 – – 70 –

Würzburg, Ludwigshafen 63 Augsburg Halle, Siegen Bonn, Hagen Wuppertal, Bergisch Gladbach Regensburg Magdeburg Mönchengladbach Leverkusen Solingen, Erfurt

57 55 53 51 47 45 43 41 39

Oldenburg, Bremen, Gelsenkirchen, Mühlheim 31 Fürth Gera Dortmund, Göttingen Hamm Neuss

27 23 21 19 16

– 60 – – 50 – – 40 – – 30 – – 20 – – 10 –

60

Köln 110 Ulm 109 Mainz 98 Frankfurt 96 Kassel 92 Berlin 86 München 84 Koblenz, Stuttgart 80 Karlsruhe 78 Duisburg, Erlangen, Pforzheim 70 Düsseldorf 68 Freiburg, Wiesbaden 66 Krefeld, Kiel, Braunschweig, Leipzig 58 Dresden 56 Jena 52 Aachen 48 Bielefeld, Moers 46 Bremerhaven, Remscheid 44 Münster, Paderborn, Reutlingen 42 Oberhausen, Osnabrück 40 Essen, Saarbrücken, Cottbus 38 Herne, Recklinghausen 36 Hamburg 34 Salzgitter 32 Bochum, Nürnberg 30 Darmstadt 28 Wolfsburg, Chemnitz, Ingolstadt 24

Heilbronn 16 HIldesheim 14

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Zusammenführung der Einzelstatistiken zur Arbeitsmarktbilanz

Beschäftigung am Arbeitsort und Wohnort Hannover Sebastian Schleich, Münster; Hubert Harfst, Hannover Der deutsche Arbeitsmarkt war in den letzten Jahren starken Veränderungen unterworfen. Die Agenda 2010 brachte neue Beschäftigungsformen hervor, zudem gewannen deutsch­landweit atypische Beschäftigungsformen an Bedeutung: befristete oder geringfügige Beschäftigung, Teilzeitarbeit sowie Zeitarbeit. Auf Kreisebene sind diese Trends derzeit schwer nachzuweisen, weil es zwar eine Vielzahl von Teil- und Fachstatistiken über Erwerbstätigkeit, aber keine integrierte regionale Beschäftigtenrechnung auf Kreisebene gibt, und es bei Vergleichen immer wieder zu Ergebnisunterschieden kommt. Hier soll erstmals versucht werden, die diversen Einzelstatistiken zu einer Arbeitsmarktbilanz sowohl für Beschäftigung am Wohnort als auch am Arbeitsort zusammen zu fügen, um einen Einblick in die Struktur und die Entwicklung eines regionalen Arbeitsmarktes zu gewinnen. Die folgenden Berechnungen gelten für die Landeshauptstadt Hannover. Sie sind so angelegt, dass sie leicht auf andere Regionen übertragen werden können.

Ausgangslage In der Theorie ist eine regionale Beschäftigtenbilanz einfach beschrieben. Erwerbstätige am Wohnort ± Pendlersaldo = Arbeitsplätze Bei allen bisherigen Zensen ging diese Gleichung aber nicht auf, weil die in Berufs­ zählungen gewonnenen Daten nicht mit den Daten der Arbeitsstättenzählungen übereinstimmten. Die Gründe sind bekannt: Unterschiedliche Erfassungszeitpunkte, Mehrfachbeschäftigung, falsche regionale Zuordnungen, Falschangaben usw. Die folgende Untersuchung untergliedert deswegen die Erwerbstätigen sowohl am Arbeitsort als auch am Wohnort nach Beschäftigungsformen, soweit in Fachstatisti­ken nachgewiesen. Zurückgegriffen wird in der Regel auf veröffentlichte Statistiken der Amtlichen Statistik und der Bundesagentur für Arbeit. Anstelle der Daten aus dem Regiona-

lisierten Mikrozensus werden teilweise die Schätzungen der Bundes­agentur für Arbeit verwandt, im Einzelfall auch eigene Schätzungen auf Basis des letzten Zensus 1987. Erhebungszeitpunkt ist in der Regel der 30. Juni eines Jahres.

Überblick: Struktur der Gesamtbeschäftigung In der Landeshauptstadt Han­ nover wurden 2007 rund

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364.000 Erwerbstätige am Arbeitsort gezählt. Nach der amtlichen Definition entspricht dies auch 364.000 Arbeitsplätzen. Bei genauerem Hinsehen sind Arbeitsplätze nicht gleich Arbeitsplätze. In der Landeshauptstadt Hannover sind mindestens ein Viertel der Erwerbstätigen am Arbeitsort nur in Teilzeit oder geringfügig beschäftigt.

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Besch채ftigung am Arbeitsort und Wohnort Hannover

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Beschäftigung am Arbeitsort und Wohnort Hannover

Arbeitsmarktbilanz der Stadt Hannover In der Tabelle ist Hannovers Arbeitsmarktbilanz für 2007 dargestellt, dem derzeit aktuellen Jahr, für das alle Fachstatistiken über Beschäftigung vollständig vorliegen. Mit den sozialversicherungs­ pflich­tig Beschäftigten, die standard­mäßig unter anderem auch nach Vollzeit und Teilzeitbeschäftigten und nach Wirtschaftszweigen (noch: Klassifikation WZ 2003) nachgewiesen werden, sind in der Regel zwischen 70 und 90 Prozent aller Beschäftigten am Arbeitsort erfasst. In Hannover sind es derzeit 335.894 Personen, rund 75 Prozent aller Beschäftigten. Die nächst bedeutendste Gruppe ist in der Landeshauptstadt die Gruppe der Beamten. Fast 30.000 sind bei der Stadtund Regions­verwaltung, den Landes- und Bundesbehörden; Bahn und Post sowie bei Verbänden usw. in Hannover beschäftigt. Die Gruppe der geringfügig entlohn­ten Beschäftigten wächst von Jahr zu Jahr. Nach der Einführung der sogenannten 400‑Euro‑Jobs Mitte 2003 ist ihre Zahl auf fast 36.000 angewachsen. Weitere 16.000 haben neben ihrer ers­ten Arbeits­ stelle, die auch eine geringfügig entlohnte Beschäftigung sein kann, eine weiteren Nebenjob. Mit den Teilzeitstellen bei den sozialver­s icherungspflichtig Beschäftigten und Beamten nähert sich die Zahl der nicht voll Beschäftigten bald der 100.000er Grenze. Die diversen Beschäftigungs­ pro­gramme, mit denen arbeitslosen Arbeitnehmern vorübergehend eine Beschäftigung ermöglicht wird, haben in Hannover nicht die Bedeutung wie in sehr struktur­schwachen Regionen. So waren die Arbeitsbe­

schaffungs­maßnahmen (ABM) in erster Linie in den neuen Bundes­ländern verbrei­tet. 38.000 der zuletzt 45.000 ABM-Kräfte arbeiteten in Ostdeutschland. Die Beschäftigungsförderung der Landeshauptstadt Hannover hat vor 2005 maximal 1.300 Arbeitslosen eine Arbeit gegeben. Daten anderer Träger wurden hier nicht ermittelt. In der Summe der nachgewiesenen Bereichsstatistiken gibt es in der Landeshauptstadt Hannover knapp 336.000 Arbeitsplätze für abhängig Beschäftigte. Zusammen mit den selbstständig Tätigen und deren mithelfenden Familien­ angehörigen (soweit nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt) hatte Hannover Mitte 2007 genau 364.112 Erwerbstätige = Arbeitsplätze. Die im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung vom Arbeitskreis „Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder“ (AK ETR) ermittelte Jahresdurchschnittszahl 2007 der abhängig Beschäftigten ist mit 347.400 um etwa 11.500, die Zahl der Erwerbstätigen = Arbeitsplätze insgesamt ist mit 375.100 um knapp 11.000 erheblich höher. Dass diese Erwerbstätigenzahl deutlich von der aus den zugänglichen Einzelquellen gebildeten Summe abweicht, ist vor allem mit einer Unterschätzung der Zahl der Arbeitnehmer in den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zu erklären. Die Bundesagentur kann nur „offiziell“ gemeldete Arbeitsverhältnisse registrieren. Die auch zum Gesamtarbeitsvolumen zählenden nicht angemeldeten Tätigkeiten wie

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kurzfristige Tätigkeiten (gem. § 8 Abs.1 Nr.2 SGB IV) sowie Tätigkeiten als Saisonarbeiter sind nicht enthalten. Außerdem werden Schüler, Studenten mit Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Alle Arbeitnehmer einschließlich der zu ihrer Berufs­ausbildung Beschäftigten am inländischen Arbeitsort; die kranken-, renten-, pflegeversicherungs­pflichtig und/oder beitragspflichtig nach dem Recht der Arbeitsförderung sind oder für die von den Arbeitgebern Beitragsanteile nach dem Recht der Arbeitsförderung zu entrichten sind. Standard-Veröffentlichung der Statistischen Landesämter: A V 5 – vierteljährlich

Beamte, Richter, Soldaten Beamte im unmittelbaren und mittelbarem Dienst des Landes sowie der Gemeinden und Gemeindeverbänden, in rechtlich selbständigen Einrichtungen unter Aufsicht des Landes oder der Gemeinden. Die Daten aus der Personalstandsstatistik werden nach dem Arbeitsort regelmäßig veröffentlicht, für den Wohnort und für Berufs- und Zeitsoldaten Sonderauswertung des LSKN. Beamte im unmittelbaren und mittelbaren Bundesdienst einschließlich der Beamten bei der Bundesagentur für Arbeit, der Deutschen Bundesbank und bei Sozial­versicherungsträgern unter Bundesaufsicht. Auch Beamte der Deutschen Post AG, der Deutschen Postbank AG und der Deutschen Telekom AG. Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes; Tabellen.-Kennziffer: VIC/41100020-PS

Ausschließlich geringfügig entlohnte Beschäftigte sind gem. § 8 Abs.1 Nr. 1 SGB IV Personen, deren Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 400 Euro nicht übersteigt. Personen, die nur in einer Nebentätigkeit geringfügig Beschäftigte sind, werden nicht mitgezählt und sind nur nachrichtlich aufgeführt. Standardveröffentlichung der Bundesagentur für Arbeit. Hinweis: Mit dem Zweiten Gesetz für moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt wurde die geringfügige Beschäftigung vollkommen neu geregelt. Daten der geringfügig entlohnten Beschäftigung bis Mitte 2003 sind nicht mit den Daten ab Mitte 2003 vergleichbar.

Arbeitsmarktpolitische Förderinstrumente Für erwerbsfähige Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen und Empfänger, die keine Arbeit finden können, sollen Arbeitsgelegenheiten (§ 16 Abs. 3 SGB II) geschaffen werden Dazu zählten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die insbesondere bei hoher Arbeitslosigkeit arbeitslosen Arbeitnehmern entsprechend den Problemschwer­punkten der regionalen und beruflichen Teilarbeits­märkte zumindest vorübergehend eine Beschäftigung ermöglichen sollten. Zum 1. Januar 2009 sind die ABM Geschichte. Aufgrund des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente werden ab 2009 nur noch Ein-Euro-Jobs (§ 16 Abs.3 SGB II, Mehrauf­wandsentschädigung) sowie die Arbeitsgelegenheiten mit Entgeltvariante (Befreiung von der Arbeitslosenver­ sicherung) bezuschusst. Standardveröffentlichung der Bundesagentur für Arbeit. Mit der Hilfe zur Arbeit (HzA) existierten ähnliche Beschäftigungsprogramme bereits vor der Arbeitsmarkt­reform 2005. Die BfA bedient sich zur Durchführung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen lokaler Träger, bei denen die Anzahl der Personen in HzA-Programmen ermittelt werden kann. Hinweis: Bis 2005 nur Beschäftigungsförderung zu verschiedenen Stichtagen der Stadt Hannover als größten Träger. Auf die rückwirkende Erhebung von Daten anderer Träger wurde verzichtet.

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BESCHäFtiGUNG aM arBEitSort UNd WoHNort HaNNoVEr Pendlerbewegung Personen, deren Wohnort und arbeitsort verschieden sind, werden als Pendler bezeichnet. die dateien der sozialversicherungspflichtig und geringfügig entlohnten Beschäftigten sowie der Personalstandserhebungen für Beamte lassen sich nach Wohn- und arbeitsort auswerten. der Pendlersaldo der Selbstständigen ist in Ermanglung aktueller daten nach dem Ergebnis des Zensus 1987 geschätzt. auffällig ist, dass der Pendlersaldo bei den Selbstständigen gering ausfällt, weil sich Wohn- und arbeitsstätte häufig auf dem gleichen Grundstück befinden. Zur Methode: landesamt für Statistik „Pendlerrechnung NordrheinWestfalen“, Methodenbeschreibung (2004)

Ferienjobs und Schwarzarbeit nicht erfasst. Mitverantwortlich für die differenz ist darüber hinaus der unterschiedliche Erhebungszeitpunkt der daten. der Jahresdurchschnittszahl der Erwerbstätigenrechnung stehen stichtagsbezogene daten gegenüber. Für die Stadt Hannover kommen außerdem Ungenauigkeiten bei der Erwerbstätigenzahl hinzu. der aK Etr berechnet nur Kreiszahlen, weil auf dieser Ebene die verlässlichsten Einzelstatistiken vorliegen. Für die landeshauptstadt Hannover, seit 2001 regions(kreis)angehörige Stadt werden die daten von der landesstatistik (nur) nach der Methode des aK Etr bestimmt. Eine Genauigkeit wie bei einer kreisfreien Stadt oder einem landkreis ist jedoch nicht zu erreichen, weil nicht alle Grunddaten in entsprechender regionaler Gliederung vorliegen.

der arbeitsmarkt der landeshaupt- und Großstadt Hannover strahlt weit über die Stadtgrenzen hinaus. Per Saldo kommen täglich 130.000 Einpendler nach Hannover. Unter Berücksichtigung der Pendelwanderung kann jetzt das Erwerbspotential am Wohnort Hannover bestimmt werden. Es wohnen und arbeiten in Hannover 2007 jeweils rund 162.500 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, 14.000 Beamte, 26.600 Selbstständige und rund 30.000 weitere Beschäftigte, insgesamt genau 234.150 Erwerbstätige am Wohnort. auch zu dieser berechneten Zahl gibt es einen Vergleichswert aus einer laufenden Erhebung. der jährliche Mikrozensus liefert als Ein-Prozent-Stichprobe Ergebnisse für sogenannte anpassungsschichten (länderweise verschieden) ab etwa 200.000 bis 500.000 Einwohner. 2007 wurden so 242.000 Erwerbstätige am Wohnort Hannover gezählt – knapp 8.000 mehr als oben berechnet. diese differenz lässt sich mit stichprobenbedingten Ungenauigkeiten erklären. die Zahl der Erwerbstätigen am Wohnort ist ausgangspunkt der Zahl, mit der die Bundesagentur für arbeit die arbeitslosenquote einer jeden region berechnet.

diese Zivilen Erwerbspersonen setzen sich aus den Erwerbstätigen am Wohnort (nach der Berechnung wie oben beschrieben) zuzüglich den registrierten arbeitslosen und (nur bis 2006) den durch arbeitsmarktpolitische Förderinstrumente Beschäftigte am Wohnort (so genannte EinEuro-Jobs) zusammen. die abweichung der nach den teilstatistiken berechneten und der arbeitsagentur-Zahl liegt in der landeshauptstadt unter einem Prozent. diese sehr geringe diskrepanz kann mit Ungenauigkeiten bei der Schätzung der Selbstständigenzahl und möglichen doppelzählungen von Personen, die gleichzeitig geringfügig beschäftigt und arbeitslos sind, begründet werden.1

Zur Methode die umfangreichen methodischen Erläuterungen, die detaillierten Berechnungsschritte sowie die ergänzenden Quellenangaben konnten aus Platzgründen hier nicht veröffentlicht werden. Sie stehen auf anfrage bei der Statistikstelle der landeshauptstadt Hannover zur Verfügung. Hingewiesen sei hier auch auf die aktuelle darstellung der differenzen und möglicher Gründe (leider nur) für die Erwerbstätigen am Wohnort (siehe Fußnote).

Anmerkung 1

aktuell dazu: Körner, thomas und Puch, Katharina: der Mikrozensus im Kontext anderer arbeitsmarktstatistiken, in: Wirtschaft und Statistik 6/2009, Seite 528 ff.

tistik: Über Staxley 1927:

u Aldous H n schafft e h c „Tatsa h t dadurc man nich s s a elt, d aus der W riert.“ igno man sie

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Ex-AG bei der Herbsttagung 2009 in Wuppertal

Teil 1: Dom und DDR J. Mathieu Vliegen, Niederlande

Freitag, 2. Oktober 2009 Kurz vor 15.00 Uhr sammelten sich die ersten Teilnehmer der Ex-AG im „Art-Fabrik-Hotel“ in Wuppertal-Oberbarmen. In seiner Art ist es ein außergewöhnliches Hotel. Entstanden aus dem denkmalgeschützten Fabrikgebäude der Familie von Friedrich Engels und Karl Marx ist diese Gebäude von mehr als 80 Künstlern zu einem „einzigARTigen und faszinierenden Design-und Erlebnishotel mit unglaublichem Preis-/ Leistungsverhältnis in ruhiger Lage“ umgezaubert worden1. An diesem Nachmittag war eine Wanderung zum Mariendom in Velbert-Neviges vorgesehen. Aber zuerst wurde selbstverständlich die berühmte Wuppertaler Schwebebahn ausprobiert. Angekommen am Hauptbahnhof machte leider ein kalter, windiger Nieselregen ein brüskes Ende an dem Wandervorhaben. Es blieb nichts anderes übrig als auf die S-Bahn umzusteigen. Aber diese Bahn drohte auch einen Strich durch die Rechnung zu machen, denn wegen eines Defektes des vorangegangenen Zuges – der von der Bahn weggeschleppt werden musste – gab es ein Aufenthalt von mehr als 20 Minuten bis die Bahn endlich losfuhr. Am Ziel wartete schon Gerhard Gömann, der die Gruppe mit großem Schwung durch Neviges bis an den Fuß des Mariendomes führte. Dort über-

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Teil 1: Dom und DDR

Leuchtende Fenster

gab er sie an Herrn Gerhard Haun, Studiendirektor und Vorsitzender des Bergischen Geschichtsvereins Abteilung Velbert-Hardenberg und Autor eines Büchleins über den Mariendom. „Der Mariendom von Neviges verdankt seine Entstehung der mehr als 300-jährigen Wallfahrt zum Gnadenbild der Unbefleckten Empfängnis“2, so beginnt der Autor in seinem Büchlein die Beschreibung des Domes. Gebaut wurde er aber erst in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nach einem Entwurf des Architekten Gottfried Böhm, der – nach Meinung der Gutachterkommission der vorgelegten 15 Entwürfe „…das Wesen einer Wallfahrtskirche am besten trifft“3. Die Erscheinungsform des Domes – eine wuchtige Betonkonstruktion – ist sehr imponierend, vor allem wegen der besonderen Gestalt des Daches. Dieses Dach widerspiegelt nämlich mit „seinen auf mehrere Spitzen zulaufenden unregelmäßigen Flächen“ in Form eines Zelts die umliegende hügelige

Landschaft4. Der Innenraum ist ungewöhnlich wegen der Wand- und Dachkonstruktion und dadurch sehr beeindruckend, ja sogar überwältigend. Nur ein einziges Schmuckstück gibt es in diesem Innenraum: die farbenprächtigen Fenster. Sogar in der Dämmerung leuchteten sie bei der Führung hell auf. Jedes Einzelteil des Domes wurde von Herrn Haun nicht nur vom bautechnischen und künstlerischen Standpunkt erklärt, sondern er hob dabei auch die christliche Symbolik jedes Teiles hervor. Der Dank für die Führung war dann auch groß.

18 Monate DDRHaft Nach der Führung machten sich die Teilnehmer – nach der Einladung von Gerhard Gömann – auf den Weg zu seiner Wohnung in Velbert-Tönisheide, wo seine Frau und er mit köstlicher Suppe, vielseitigen Käseplatten- und Getränkeangeboten für das leibliche Wohl sorgten. Im weiteren Verlauf

des Abends – des Vorabends zum Tag der Deutschen Einheit – kam Fritz von Klitzing mit dem angekündigten autobiographischen Bericht „20 Jahre DDR, 18 Monate Inhaftierung“ zu Wort. Er beschrieb, wie er als Flüchtlingskind in die Sowjetische Besatzungszone kam und dann bis 1969 in der DDR blieb. Das Auf und Ab seiner Chancen und Konflikte in dieser Zeit ordnete er ein in den Prozess einer sich verfestigenden Nachkriegsgesellschaft, für die ein Leben mit täglicher Lüge und schwindenden Zukunftshoffnungen charakteristisch war. Von 1962 bis 1964 war er 18 Monate inhaftiert wegen Vergehen gegen die Passverordnung, davon 7 Monate als Bauhilfsarbeiter in einem Haftarbeitslager des Staatssicherheitsdienstes in BerlinHohenschönhausen, dem so genannten „Lager X“. Anhand seiner Stasi-Akte schilderte er, mit welchen Tricks er für staatliche Spitzeldienste geworben werden sollte, und wie er sich dem entzogen hat. 1969 wurde er aus der DDR „freigekauft“. Seine Zusammenarbeit mit Städtestatistikern begann 1973 mit seiner Tätigkeit am Institut Datum e.V. in Bonn; ab 1982 setzte er sie als freier Gutachter fort. Mit diesem Bericht hatte der erste Tag des Ex-AG Treffen einen besinnungsvollen und würdigen Ausklang gefunden.

Anmerkungen 1 2 3 4

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http://www.art-fabrik-hotel.de Haun, G., Mariendom Neviges, Kunstverlag Josef Fink, ISBN 3-931820-56-4, S. 1 Haun, G., o.c., S. 3 Haun, G. o.c. S.5

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Ex-AG bei der Herbsttagung 2009 in Wuppertal

Teil 2: Schloss Burg, Folkwang und Kaiserwagen Wolfgang Mahnkopf, Augsburg

Samstag, 3. Oktober 2009 S8: Wuppertal-Hbf. 9:59 Uhr! Da steige ich zu und treffe die anderen. Lutz von Hamm hat die Exkursionen an den drei Tagen vor der Statistischen Woche für die Ex-AG wieder minutiös durchgeplant. Heute Vormittag erwartet uns eine Wanderung im Bergischen Land, durch den Brückenpark Müngsten zum Schloss Burg. Unser Führer vor Ort ist Gerhard Gömann. Also mit S-Bahn und Bus zum Parkeingang, der genau im Städtedreieck Wuppertal-Solingen-Remscheid liegt. Zum Strukturförderungsprojekt Regionale 2006 entstand hier der Brückenpark Müngsten. Inzwischen ist er eine von Erholung Suchenden gut angenommene landschaftliche Idylle, in die noch vorhandene industrielle Zeugnisse eingebunden sind. Und die Wupper wurde mit ihrem schützenden Ufersaum sowie die Wiesen zum Verweilen hergerichtet. (Vgl. http://www. brueckenpark-muengsten. de/index.php?idcat=40) Auf einem über das Wasser hinausragenden Balkon erfahren wir hier von der Erholung der Wupper von einer ehemaligen Industriekloake zu einem klaren, Fische führenden Fließgewässer. Und hoch über uns überspannt in einem einzigen Bogen die höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands aus dem vorletzten Jahrhundert das tief

eingeschnittene Tal der Wupper. Sie wird mit 107 Metern Höhe wohl auch die höchste Stahlgitterbrücke bleiben. Sie ist 465 m lang. 1897 war diese technische Meisterleistung die Antwort deutscher Ingenieurskunst auf den Eifelturm in Paris. Sogar Seine Majestät Kaiser Wilhelm II. stattete 1899 dem Bauwerk einen Besuch ab. Eine einzigartige Attraktion des Parks hilft uns, von Solingen über die Wupper nach Remscheid überzusetzen: die Schwebefähre, als Prototyp nur für den Brückenpark entwickelt. Eine etwa 4x3 Meter große Plattform für rund 10 Personen gleitet auf zwei straff gespannten Stahlseilen über das Wasser. Angetrieben wie bei einer Draisine durch Muskelkraft der Passagiere, gelangt man in wenigen Minuten auf das 60 Meter entfernte gegenüber liegende Ufer – wenn man nicht am tiefsten Punkt der leicht durchhängenden Stahlseile die anschließende „Bergfahrt“ nicht schafft und hängen bleibt, weil der aufgenommene Schwung nicht ausreicht. Eine Neuerung hat die Gefahr vermindert: Die hineingesteckte Energie wird nicht nur zum Vortrieb des Gefährts verwendet, sondern von einem Schwungrad aufgenommen und während der Bergfahrt wieder eingespeist. So wie wir haben in der kurzen Zeit seit Betriebsaufnahme im Jahr 2006 schon über 300 000 Fahrgäste dieses Verkehrsmittel genutzt.

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Wir sind aber nicht „über die Wupper gegangen“ wie uns Gerhard Gömann diese Redewendung erläutert. Alle drei überlieferten traurigen Bedeutungen „verschwinden“, „Bankrott gehen“ oder „fliehen“ treffen auf uns nicht zu. Wir wandern entlang der Windungen der Wupper fröhlich nach Solingen Burg mit seinem Schloss. (Für Hintergründe zu diesen Bedeutungen der Redewendung vgl. http:// de.wikipedia.org/wiki/Wupper) Unterwegs durch dichtes Auengehölz, vorbei an einzelnen Gehöften, immer wieder inne haltend, um die Informationen von Gerhard Gömann aufzunehmen, gelangen wir an eine den Hang hinaufziehende, blank liegende Felsformation, deren Schichtung senkrecht steht. Geologisch ist das Bergische Land Teil des Rheinischen Schiefergebirges, dessen Gesteine vorwiegend aus der Zeit des Devons und des Karbons stammen. Im nördlichen Bereich wird heute noch devonischer Massenkalk industriell abgebaut. Die schieferigen Ton-, Schluff- und Grauwacken des Devon entstanden etwa vor 359 bis 416 Millionen Jahren. In diesen und den folgenden gut 50 Millionen Jahren wurde das Land von der variszischen Gebirgsbildung erfasst, in der die abgelagerten Gesteine verfaltet, geschuppt und zusammengeschoben wurden. So erklärt sich die senkrechte Schichtung, und die Erosion legte den Fels frei, weil die Vegetation auf

Stahlgitterbrücke

Schwebefähre

Höchste Eisenbahnbrücke

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Teil 2: Schloss Burg, Folkwang und Kaiserwagen

Foto: W. Mahnkopf

dem glatten Untergrund nicht genügend Halt fand. Doch das Rätsel der glatten Oberfläche blieb ungelöst. Denn es ist wohl kein Gletscherschliff, weil die größte südliche Ausdehnung der Saale-Kaltzeit einige Kilometer nördlich verlief.

Ab Mittag in Burg

Foto: W. Mahnkopf,

Foto: K. Trutzel

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Wir erreichen Unterburg, die Siedlung mit einem herrlichen Blick auf das Schloss, unserem Ziel in Oberburg. An der Dorfstrasse liegt eine kleine, aus Natursteinen errichtete Kirche aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit einem quadratischen Glockenturm an seiner Südwestseite. Es ist ein schmuckloser Saalbau im schlichten bergischen Barockstil, 1787 wurde der Turm vollendet wie hoch oben an der Turmfront unterhalb des flachen Zeltdaches in großen Ziffern zu lesen ist. Im kleinen, mit einer Brust hohen Mauer umfassten Friedhof stehen in großer Zahl nahezu einheitliche Grabsteine aus weichem, gelb-roten Sandstein, deren Inschriften mit wenigen Abweichungen alle gleich lauten. Eine Informationstafel klärt auf: man vermutet eine serielle Herstellung der vollständigen Grabsteine, auf denen lediglich die letzten beiden Ziffern des Todesjahres frei blieben und

bei Bedarf eingearbeitet wurden. Der Friedhof wurde 1744 für 105 nummerierte Grabstätten angelegt und 1854 geschlossen. Ein Sessellift hebt uns im Zweierpack über die Wupper und dann einhundert Meter höher zum Schloss Burg. Zunächst kehren wir im Restaurant „Zur schönen Aussicht“ ein, in dem weitere Ex-AG-Mitglieder uns begrüßen. Wir wissen schon, was uns erwartet, und eine kleine Speisekarte für uns klärt weiter auf. Die Bergische Kaffeetafel „Koffendrenken met allem dröm on dran“ gilt als Ausdruck der Gastfreundschaft. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ermöglichte ein leichter wirtschaftlicher Aufschwung auch einer breiten Bevölkerungsschicht „exotische“ Genüsse wie Bohnenkaffee und Reis. Die Zusammenstellung der Speisen mit Herzhaftem und Süßem ist wahrlich ein kulinarisches Kuriosum. Man beginnt mit einem Rosinenbrot, üppig mit Butter und Honig bestrichen, mit einer fingerdicken Milchreisschicht bedeckt und verfeinert mit Zucker und Zimt. Danach folgt Herzhaftes, Brot mit Käse, Quark oder Wurst, dann wieder Hefeplatz und – wenn es einem beliebt – Kuchen oder süßer Zuckerzwieback. Daneben noch Bergische Waffeln aus Hafermehl, warm mit Zucker oder Sirup gegessen. Der wichtigste Bestandteil der Kaffeetafel ist jedoch der aus der „Dröppelminna“ servierte Kaffee. Das Kaffeepulver wird auf den Boden der Kanne gegeben, mit heißem Wasser aufgebrüht, und der Kaffee aus einem kleinen Hahn in die Tasse gefüllt. Beendet wird die gemütliche Runde mit einem Klaren. Bevor wir den Rückweg antreten, schauen wir uns auf dem Schlossplatz und Schlosshof

um. Es ist Nationalfeiertag und in der gesamten Anlage ordentlich Betrieb, mit zusätzlichen Buden neben den ständig geöffneten Souvenirläden. Ein wenig wie auf einem Jahrmarkt. Einige nutzen die Gelegenheit und kosten einen heimischen Kräuterschnaps und weil er so köstlich schmeckt­ – und äußerst preiswert ist – gleich noch einen. Schloss Burg ist der zweite Stammsitz der Grafen von Berg. Erbaut wurde es von Graf Engelbert II. von Berg in den Jahren 1218-1225. Er war gleichzeitig Erzbischof von Köln und besaß auch als Vertrauter und Reichsverweser im Dienste von Kaiser Friedrich II. und Vormund des späteren Königs Heinrich VII. eine große Machtfülle. Ihm zu Ehren steht sein Reiterstandbild vor den Mauern des Schlosses. Ab dem Dreißigjährigen Krieg zerfiel die Anlage und erst ab 1890 begann der Wiederaufbau und die Restaurierung durch den privaten Schlossbauverein und vielen weiteren Kunstinteressierten. Heute beherbergt das Schloss das Museum des Bergischen Landes, in dem die Geschlechterfolge der bergischen Landesherren mit Stammbäumen und Gemälden dargestellt sind sowie Rüstungen und Waffen, Jagdaccessoires und Münzen gezeigt werden. Dann geht es mit der Seilbahn nach Unterburg zurück, mit dem O-Bus nach Solingen, wo wir in die Regionalbahn umsteigen. So erleben wir das Vergnügen, aus dem Zug von der Müngstener Eisenbahnbrücke aus tief hinunter auf die Schwebefähre im Müngs­ tener Park zu schauen. Ich fahre zum Hauptbahnhof zu meinem Hotel, fahre aber bald wieder und diesmal mit der Schwebebahn zum Abendes-

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Teil 2: Schloss Burg, Folkwang und Kaiserwagen sen mit meinen Kollegen im „Art Fabrik & Hotel“. Das ist wohl auch was Besonderes in Wuppertal, hier kann man an einem Tag mit sieben verschiedenen Arten an öffentlichen Verkehrsmitteln fahren.

Sonntag, 4. Oktober 2009 Der gemeinsame Tag beginnt mit dem Besuch des Museums für Frühindustriealisierung. Wir haben das Glück, vom Leiter der Einrichtung, Dr. Eberhard Illner, fachkundig durch das Museum geführt zu werden. Das Konzept des Museums will nicht nur historische Maschinen vorführen, sondern mit der dargestellten Technikentwicklung am Beispiel der Wuppertaler Textilindustriealisierung die sich daraus ergebenden sozialen Folgen zeigen. Das Museum wurde als erstes dieser Art in Deutschland 1983 eröffnet. Mit der Erfindung der Dampfmaschine in England erfolgte im 18. Jahrhundert durch Technologietransfer auf das Festland der entscheidende Umbruch in der Textilindustrie bei uns. Die Verbindung dieser Antriebsmaschinen mit Spinnmaschinen steigerte die Produktion der alten Spinnräder um ein Vielfaches. Kurz darauf wurden auch Handwebstühle durch mechanische ersetzt. Textilhandwerker konnten der Massenproduktion in den entstandenen Spinn- und Webfabriken nichts mehr entgegensetzen. Im Zuge der Mechanisierung entwickelt sich eine fortschreitende Arbeitsteilung, und die Anforderungen an Arbeitsdisziplin und Pünktlichkeit der Arbeiter wurden zur entscheidenden Voraussetzung für die synchronisierten Abläufe in der Fabrik. Diese Entwicklungen werden anhand diverser Verfahren zur Herstellung eines

textilen Gewebes gezeigt. Mit den neuen Techniken konnten auch neue Produkte auf den Markt gebracht werden wie bunte, gemusterte Bänder, bedruckte oder gemusterte hochwertige Baumwollgewebe und Seidentücher. Die gesellschaftlichen Folgen traten in Wuppertal früh zutage, die vorindustrielle Armut führte direkt in die Massenverelendung der arbeitenden Klasse in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts. Wohnungsnot, katastrophale hygienische Verhältnisse und ausbeuterische Kinderarbeit lassen schon bald in Elberfeld und Barmen eigene Systeme kommunaler Armenhilfe entstehen. Das Museum für Frühindustriealisierung ist Teil des Historischen Zentrums Wuppertal, zu dem auch das Engels-Museum gehört. Das Modell zeigt die Engels-Häuser im Unterbarmer Bruch, das von den Engels seit dem 17. Jahrhundert besiedelt wurde. Wegen der feuchten Wiesen eignete es sich nicht für die Landwirtschaft, bot aber ideale Voraussetzungen für die bereits lange blühende Garnbleicherei. Hier wurde Friedrich Engels hinein geboren. Im Museum wird anhand vielfältiger historischer Dokumente der Lebensweg von Friedrich Engels nachgezeichnet. (Vgl. http://

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www.historisches-zentrumwuppertal.de/)

Folkwang Museum Essen Nach einer kleinen Stärkung im Café des Historischen Zentrums teilt sich die Gruppe. Während einige zur Vorstandssitzung unseres Verbandes gehen, fahren die anderen nach Essen zur Villa Hügel. Hier hat vorübergehend das Folkwang Museum Aufnahme gefunden. Die Villa Hügel in Essen-Bredeney war drei Generationen lang Wohnhaus und Repräsentationsgebäude der Großindustriellen-Familie Krupp. Sie wurde in den Jahren 1870-1873 von Alfred Krupp erbaut und sollte einen würdigen Rahmen für Empfänge und Festlichkeiten bieten. Kaiser und Könige, Unternehmer und Politiker aus aller Welt waren hier zu Gast. Der weitläufige gepflegte Park bot eine Herrschaften angemessene Anfahrt bis direkt unter das Eingangsportal. Seit 1953 finden hier auch regelmäßig große Kunstausstellungen von internationalem Rang statt. Heute gehört das gesamte Anwesen der Alfred Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die vielfältige Projekte aus Kultur, Wissenschaft und Bildung fördert. Im ehemaligen Wohnhaus der Krupps hat in zehn Räumen

Villa Hügel

Foto: W. Mahnkopf

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Statistik und FuSSball

Monet, Cézanne, Gauguin

und fünf Kabinetten die Ausstellung von mehr als 120 Exponaten des Folkwang Museums Aufnahme gefunden. Wir gelangen über die obere Große Halle zum Eingang. Diese Halle beeindruckt durch sein hohes, gewölbtes Glasdach, das die Halle in helles Tageslicht taucht. In den jeweiligen Räumen sind weltberühmte Künstler einzelner Stilrichtungen zusammen gefasst. Hier sind Werke der Realisten Böcklin, Corot, Daumier, Manet, Renoir und Rodin, der Impressionisten Monet, Pissarro und Signac und der Wegbereiter der Moderne Cézanne, Gauguin und van Gogh zu bestaunen. Gemälde der Fauvisten Derain und Matisse, der Kubisten Braque, Picasso und Delaunay, der deutschen Expressionisten von Der blaue Reiter und Die Brücke werden präsentiert. Arbeiten der Künstlerpersönlichkeiten wie Munch, Kandinsky, Klee und Moholy-Nagy werden hervorgehoben und Werke der Surrealisten Salvator Dali,

Max Ernst und René Magritte werden gezeigt. Wenn ich ein Gemälde hätte auswählen dürfen, meine Wahl wäre auf Emil Noldes Ölgemälde „Seebüll“ gefallen, das seine Eindrücke bei einer offiziellen Expedition von 1913/1914 in die Südsee wiedergibt. /http://www. museum-folkwang.de/index. php?id=5659)

Fahrt mit dem Kaiserwagen Nach diesen bleibenden Eindrücken geht es zurück nach Wuppertal-Vohwinkel, dem Startpunkt unseres nächsten Erlebnisses: eine Fahrt mit dem Kaiserwagen der Schwebebahn. Die Schwebebahn selbst ist schon eine Attraktion, doch im selben Wagen 5 wie am 24. Oktober 1900 Wilhelm II. anlässlich seines Besuches in Wuppertal durch die Stadt schweben zu können, ist nochmal eine Steigerung. 1901 wurde die erste Strecke Kluse– Zoo für den öffentlichen Fahrgastverkehr freigegeben.

Der ehemalige Stadtentwicklerkollege aus Wuppertal, Hinrich Heyken unterhält die launige Kaiserwagengruppe mit vielen städtebaulichen Informationen entlang der Strecke, so dass wir auch einen Eindruck von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Stadt bekommen. Und von einem Unfall mit einem Elefanten berichtet er. Am 21. Juli 1950 sprang der Elefant Tuffi während einer Zirkus-Werbefahrt aus dem fahrenden Schwebebahnzug in die Wupper … und kam mit einer Schramme am Po davon. Bei dieser Fahrt sind wir ExAG-Mitglieder eine Minderheit, viele schon angereiste Kollegen haben sich eingereiht. Am Abend beim gemütlichen Beisammensein im Wuppertaler Brauhaus geht unsere erlebnisreiche Exkursion zu Ende. Also dann bis zum Wiedersehen auf der Frühjahrstagung 2010 in Bonn.

Statistik und Fußball Martin Schlegel, Hagen

Madrid – Italien

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Statistik ist nun mal eine ungemein spannende, aber ebenso schwierige Wissenschaft. Daten sind eben ein heikles Material. Auf den ersten Blick wirken sie leicht, von jedem zu verwenden. Probleme stellen sich dann erst beim Gebrauch ein – zu spät für den Amateur. So entstehen dann unsinnige Kommentare wie: „Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe.“ Das soll ein Witz sein, auf den ein Lachen folgt. Das Lachen folgt, doch

nicht über den Witz, sondern über den Redenden. Wirklich schmunzeln kann ich aber über einen Satz des von mir geschätzten Felix Magath (für Fußball-Abstinenzler: Er ist Schalke-Trainer und bleibt das so lange, bis die Knappen Deutscher Meister sind), der sich aufs Zahlenglatteis be­ gab: „Die Tabelle, die ja nie lügt, täuscht oft.“ Wer belügt da wen? Humorvolleres kann sein Schlussmann, Manuel Neuer,

beisteuern: „Wir schießen so wenig Tore, vielleicht heißen wir deshalb auch die Knappen.“ Der kann über sich lachen, sympathisch. Da ich gerade bei FußballerSprüchen bin, hier noch einer von Dortmunds Neven Subotic: „Er muss ja nicht unbedingt dahinlaufen, wo ich hingrätsche.“ Unerreicht bleibt aber immer noch Andreas Möller mit seinem Klassiker: „Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien.“

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Erstmals ist eine Region Kulturhauptstadt Europas

Kultur durch Wandel – Wandel durch Kultur Claudia Horch, Essen

Als europäische Kulturhauptstadt 2010 präsentieren sich neben dem ungarischen Pécs und dem türkischen Istanbul die 53 Kommunen des Ruhrgebiets. Zwar ist Essen die Bewerberstadt, doch trägt erstmals eine ganze Region den Titel. Die Projekte des Kulturhauptstadtjahres sollen zum einen den Wandel an der Ruhr nachhaltig machen und zum anderen Impulse für Ballungsräume geben, die vor ähnlichen Veränderungen stehen. Über 2000 Ideen und Projekte aus der Region erreichten die Jury – rund 300 werden letztlich umgesetzt. Zentrale Themen sind die Vielfalt, die von den rund 170 hier lebenden Nationen gelebt wird, die Orte der Industriekultur – einschließlich neuer Formen von Urbanität – und die Kreativwirtschaft. Die Kulturhauptstadt-MacherInnen wollen nicht nur ein kreatives „Event-Feuerwerk“ abbrennen. Die Projekte sollen nachhaltige Impulse für die regionale Entwicklung geben. Sie zeigen die Innovationskraft der Region, die sich aus ihren kulturellen Wurzeln speist.

Kultur im Ruhrgebiet Schon im frühen Mittelalter wurden für die Kirche bedeutende Kulturgüter geschaffen. Ein Beispiel ist die über 1000 Jahre alte „Goldene Madonna“ im Essener Münster. Mit dem Aufstieg der Ackerbürgerorte

zu Industriestädten vor 150 Jahren entwickelte sich auch ein industrielles Bürgertum, das sich der Kunst zuwandte. So gründete der Hagener Industrielle, Kunsthistoriker und Mäzen Karl Ernst Osthaus 1902 das Folkwang-Museum, das weltweit erste Museum für die Kunst der klassischen Moderne. Sein Familien-Wohnsitz, der Hohenhof, zählt zu den architekturgeschichtlich bedeutendsten Gebäuden Europas aus der Zeit der Frühmoderne. 1906 bis 1908 von dem belgischen Künstler-Architekten Henry van de Velde erbaut, gilt das Gebäude gilt als eines der wenigen erhaltenen „Gesamtkunstwerke“ des Jugendstils. Nach dem Willen von Karl Ernst Osthaus sollte der Hohenhof als Zentrum der Künstlerkolonie Hohenhagen dienen, die jedoch nur in Ansätzen realisiert wurde. Osthaus’ Auffassung von Kunst als wesentlicher Wirkungskraft im Leben der industriellen Großstadt ging als „Hagener Impuls“ in die Kunstgeschichte ein. Der Industrielle Friedrich Grillo ermöglichte den Bau des 1892 eröffneten Grillo-Theaters in Essen. Die Stiftungstradition lebt bis heute fort: Der Bau des neuen Essener FolkwangMuseums, dessen Grundlage 1922 die Osthaus-Sammlung bildete, wurde durch die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung ermöglicht. Der Folkwang-Gedanke von der Verschwisterung der Mu-

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sen lebt auch im Programm der Folkwang-Schule fort, die in Essen rund 1000 Studierende spartenübergreifend in Musik, Theater und Tanz ausbildet. Die Folkwang-Schule wurde 1927 vom Choreografen Kurt Joos und dem Operndirektor Rudolf Schulze-Dornburg gegründet. Wichtige Spielstätten sind auch das Schauspielhaus Bochum, eine der renommiertesten Theater Deutschlands, das Theater Oberhausen, das fünf Spielzeiten hintereinander als „bestes Theater im Rheinland“ ausgezeichnet wurde, und das denkmalgeschützte Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen. Nicht nur auf der Bühne ist Kunst zu erleben – das MiR ist ein Gesamtkunstwerk, das 2009 seinen 50. Geburtstag feierte. Schon seit 54 Jahren feiert das Ruhrgebiet die Ruhrfestspiele in Recklinghausen – ein weiteres Beispiel dafür, wie langjährige Kulturtradition des Reviers sich stets erneuert. Ein Alleinstellungsmerkmal der „Kulturlandschaft Ruhr“ ist die Verbindung von Tradition und Moderne auf der Route der Industriekultur. Ihr Vorzeigebau, das Weltkulturerbe Zeche und Kokerei Zollverein, fungiert 2010 als zentrales Besucherzentrum. Zur neuen Nutzung gehören insbesondere das Ruhrmuseum, das DesignZentrum Nordrhein-Westfalen, das Tanzzentrum PACT und viele weitere kreative Orte und Künstlerateliers.

Karl Ernst Osthaus

2000 Ideen und Projekte

Zeche Zollverein

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Kultur durch Wandel – Wandel durch Kultur

Foto: Halde Rheinelbe Himmels­ treppe, Stadtgrenze Gelsenkirchen/Wattenscheid, Copyright: RVR/Beermann

Kanalglühen

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Kulturelles Profil der Region Das Programm der Kulturhauptstadt, abzurufen unter www.ruhr2010.de, beruht auf diesem einzigartigen kulturellen Profil. Das Projekt „Schachtzeichen“ markiert die ehemaligen Bergwerksschächte durch große gelbe Ballons. Mit dem Projekt Emscherkunst 2010 wird die Insel zwischen Emscher und Rhein-HerneKanal, geprägt durch Brachen und Industrie, für Besucher erlebbar gemacht. Die Insel bildet das Herzstück des neuen Emschertals und zeigt urbane Garten- und Landschaftskunst im öffentlichen Raum. Auch der Rhein-Herne-Kanal selbst wird kulturelle Spielstätte: Im April werden Schiffe, Kräne, Schleusen und Brücken beim „Kanalglühen“ des nachts illuminiert, im Oktober wird das Ballett der Betonpumpen aufgeführt. Das Thema „Heimat in der Fremde“ wird von mehreren Projekten aufgegriffen. Sechs regionale Schauspielhäuser kooperieren mit europäischen

AutorInnen bei „Odyssee Europa“, die die Odyssee des Homer zeitgenössisch deuten. Hier summieren sich die Fragen zum Zukunftsprojekt Europa. Wie organisieren wir unser Zusammenleben in einer Welt, die unablässigem Wandel unterworfen ist? Wie reagieren Kunst und eine veränderte Wirklichkeit aufeinander? Das zentrale Element in der antiken Odyssee von Homer ist die Gastfreundschaft. An ihr erkannte man den zivilisierten Menschen. Wie einst Odysseus sind auch die Gäste der Odyssee Europa Reisende. Auf ihrer Fahrt durch den Ruhr-Archipel treffen sie auf Gastgeber, die sie für eine Nacht beherbergen und eine Passage der Reise gemeinsam mit ihnen zurücklegen. Das Projekts TWINS belebt die Städtepartnerschaften der Ruhrgebietskommunen. Aus über 150 Partnerstädten werden EuropäerInnen in Kulturprojekten zusammengeführt mit dem Ziel, ein kreatives europäisches Netzwerk zu etablieren.

In einem Zug bewegt sich das internationale Festival MELEZ und symbolisiert so Aufbruch, Reisen und Ankommen. Grenzund genreüberschreitende künstlerische Produktionen und Aktionen spiegeln die kulturelle Vielfalt der Metropole Ruhr und Europas wider. Der Zug wird zum Atelier, Labor, Studio und zur Plattform für hochkarätige regionale und internationale Kreativität. Es wird musiziert, ausgestellt, getanzt und erschaffen. Ende Oktober 2010 rollt er in Bochum ein, wo sich die künstlerischen Produkte der vierwöchigen Fahrt durch die Metropole Ruhr in der Jahrhunderthalle zum Festivalabschluss konzentrieren. In der Architekturlandschaft der Metropole Ruhr sind Transformationen industrieller Bauwerke und ein neues Selbstverständnis sichtbar. Seit der Internationalen Bauausstellung Emscher Park (1989–1999) werden nicht mehr nur Naturräume, sondern auch von Menschenhand gestaltete Räume als Landschaft wahrgenommen. Der Programmbereich „Metropole gestalten“ ruft lokale, nationale und internationale Gestalter, Planer, Architekten und Künstler zum Querdenken auf. Die Halde Angerpark in Duisburg wird zum „Magic Mountain“; es entstehen weitläufige Landschaftsparks neuen Typs und künstlerisch überhöhte Abraumhalden. Der Blick ins Private bringt uns der gelebten Baukultur ein Stück näher, etwa die Kultur des Wohnens (Route der Wohnkultur). Eine Autobahn wird zur Parkautobahn umgestaltet, eine Brauerei zum Zentrum für Kunst und Kreativität und ein Acker – der Mechtenberg im Städtedreieck Bochum/Essen/Gelsenkirchen – zum Kunstwerk.

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Die Zeitung im Netz

Was kommt nach 2010? Das Kulturhauptstadtjahr 2010 zeigt eindrücklich, wie wichtig die regionale Dimension zur Umsetzung nachhaltiger kultureller Projekte ist. Regionale Kulturpolitik ist weit mehr als Freizeitunterhaltung und Tourismusevent: Die kreative Beschäftigung mit zentralen Fragen des wirtschaftlichen, sozialen und räumlichen Wandels ist essenziell für die sich ausdifferenzierende Gesellschaft. Das Ruhrgebiet kann hier Experimentierfeld sein und modellhafte Lösungen abseits des alltäglichen Verwaltungsund Politikbetriebs entwickeln. Hierzu sind ab 2010 auf vielen Feldern Voraussetzungen zu schaffen: • Die freie Kulturszene, die die öffentlichen Kultureinrichtungen ergänzt und bereichert, braucht weiterhin gesicherte Rahmenbedingungen, vor allem Gebäude

und bestimmte institutionelle Förderungen. • Kulturpolitik ist auch Bildungs- und Sozialpolitik. Erfolgreiche Modellprojekte, z.B. Kooperationen zwischen Kunst und Schule, müssen gesichert und verstetigt werden. • Die prekäre Haushaltssituation der meisten Ruhrgebietskommunen gefährdet die Vielfalt der kulturellen Landschaft. In regionaler Abstimmung ist nach den besten Lösungen gegen kulturellen Kahlschlag zu suchen. • Hierzu ist eine regionale Plattform zu schaffen. Mit dem „Masterplan Kultur Ruhr“ des RVR wurde ein ers­ter Aufschlag gemacht, der nach 2010 diskutiert und mit Leben erfüllt werden muss. Das Kulturhauptstadtjahr 2010 lenkt die internationale Aufmerksamkeit auf eine spannende, manchmal spröde und

sich nicht leicht zu erschließende Region. Viele Projekte stellen wichtige Zukunftsfragen für die europäische Gesellschaft. Manche geben interessante Antworten. Eine große Herausforderung der Metropole Ruhr nach 2010 wird sein, weiter innovative Diskussionsprozesse anzustoßen und mit allen gesellschaftlichen Gruppen im Gespräch zu bleiben. Karl-Heinz Petzinka, künstlerischer Direktor für das Themenfeld „Stadt der Möglichkeiten“, drückt seine Motivation so aus: „Der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs-, zur Wissensund Informationsgesellschaft hat im Ruhrgebiet nur wenige Jahrzehnte gedauert. Ist auch unsere Identität im Wandel? Wer sind wir? Wir wollen Europa unsere Geschichte erzählen, die der Ruhr 2010, eine Geschichte von unkonventionellen Ideen, Mut und kreativer Zukunftsfähigkeit“ (in: WirtschaftsBild, 58. Jg., Okt. 2008, S. 30).

Fragen und Antworten

Masterplan Kultur Ruhr

Die Zeitung im Netz Udo Hötger, Detmold Seit 1988 veröffentlicht der VDSt die Zeitschrift „Stadtforschung und Statistik“. Diese­ Zeitschrift erscheint zwei mal im Jahr. Erst seit dem Jahr 2004 sind die letzten 12 Veröffentlichungen im Internet verfügbar. Daneben ist eine Vielzahl von Tagungsberichten erschienen. Hubert Harfst aus dem Bereich Wahlen und Statistik der Landeshauptstadt Hannover und ich (Statistikstelle des Kreises Lippe) haben es sich zur Aufgabe gemacht, auch die älteren Zeitschriften einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Dadurch sollen nicht nur die Leistungen des VDSt einer breiten Öffentlichkeit dargestellt werden. Auch die Vielzahl der neu hinzugekommenen Mitglieder unseres Verbands werden damit in den Stand versetzt, die vielen Informationen und Anregungen ohne großen Umstand „in Besitz zu nehmen“. Ein Großteil der Artikel hat nicht an Aktualität verloren. Viele Erfahrungen und Hinweise werden dem Einen oder anderem nützlich sein. Bislang galt die Online-Recherche in Zeitschriftenarchiven als umständlich. Dies soll sich nun

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ändern. Die älteren Zeitschriften sollen eingescannt und im Internet zugänglich gemacht werden. Damit wird jede Zeitungsseite originalgetreu und mit allen Fotos angezeigt. Danach sollen die Inhaltsverzeichnisse mit den entsprechenden Artikeln verlinkt/verbunden werden. Ein Knopfdruck/Mausklick wird zum Ziel führen. Mit der Verschlagwortung der Inhaltsverzeichnisse sollen zukünftig dem Rezipienten auch über die allseits bekannten Suchmaschinen einen einfachen und schnellen Zugang zum Inhalt gegeben werden. 73


Fröhliche Wissenschaft, Grenzen der Statistik, Tabelle statt Grafik

Einige Neue stellen sich vor „Mein Lieblingsgebiet in der Statistik ist die wöchentliche Analyse der Bundesligatabelle, wenn der FSV Mainz 05 gewonnen hat.“ Schon wieder ein Statistiker, der gerne die Bundesligatabelle studiert, vorausgesetzt sein Verein hat gewonnen. Natürlich geschieht das mit einem kleinen Augenzwinkern und zeigt den Nicht-ZahlenMenschen: Die Leute haben Humor. Mir ist’s ja recht, wenn die Kolleginnen und Kollegen für ihren Verein schwärmen – solange der nicht Bayern heißt. Die waren schon häufig genug Meister. Die Neumitglieder im VDSt, die sich an der Aktion „Halbsätze ergänzen“ beteiligten, geben wieder einmal interessante Einblicke. Dabei sind Aussagen entstanden, die man getrost als Merksätze verstehen kann; als Leitsätze, die bei der Erstellung von Statistiken beachtet werden sollten. Diese Sätze zu lesen bedeutet also nicht nur, die jüngeren Verbandsmitglieder etwas kennen zu lernen, es bringt einfach Gewinn.

Siegfried Griesheimer, Programmier, Sachbearbeiter in der Statistikstelle, Mannheim, siegfried.griesheimer@mannheim.de

Eine gute Statistik erkennt man daran, im Spiegel der Zahlen für den Beobachtungsbereich einer größeren Stadt die (in Zahlen) erfassbaren Lebensäußerungen und die sozialen u. wirtschaftlichen Erscheinungen in ihrer langfristigen Entwicklung untereinander abzubilden und zu vergleichen. Die Hauptaufgabe der Statistik besteht darin, wissenswertes Zahlenmaterial systematisch geordnet darzustellen, einem größeren Kreis von Interessenten zugänglich zu machen und die Aufmerksamkeit auf die oder jene Besonderheit bevölkerungspolitischer, sozialer oder ökonomischer Art hinzulenken. Statistik ist für mich, einfach den unbestechlichen Spiegel der Zahlen zur Hand zu nehmen.

Andreas Kern, Soziologe, M.A., Stadt Freiburg, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Amt für Bürgerservice und Informationsverarbeitung, andreas.kern@stadt.freiburg.de

Wichtig bei einer Grafik ist, dass die mit ihr transportierte Information beeindruckt und nicht nur die verwendeten Farben. Statistiken liefern wichtige Informationen, wenn man sie richtig zu interpretieren weiß. Eine gute Tabelle vertreibt Kummer und Sorgen. Die Hauptaufgabe der Statistik besteht darin, das zu beweisen, was man eh schon vermutet hat. Der zu einer Statistik gehörende Text ist das Salz in der Suppe. Wenn ich in einer eigenen Tabelle einen Fehler entdecke, schaue ich betreten zu Boden. Mein Lieblingsgebiet in der Statistik ist die Wahlanalyse. An der Statistik gefällt mir, dass sie so herrlich emotionslos ist. Ich hasse Untersuchungen ohne vernünftige Datengrundlage. Die liebste Statistik ist mir die Gehaltsabrechnung.

Dr. Manfred Plagens, Diplom-Volkswirt, Stadt Würzburg, Zentrale Steuerung, Leiter der Statistikabteilung, manfred.plagens@stadt. wuerzburg.de

Eine gute Statistik erkennt man daran, dass sie übersichtlich, selbsterklärend und auf das Wesentliche fokussiert ist. Statistiken liefern wichtige Informationen, aber sie bedürfen einer adäquaten Einordnung und Interpretation. Wichtig bei einer Grafik ist, dass sie sich durch die entsprechende Gestaltung in das Gedächtnis des Betrachters „einbrennen“. Mein „Lieblingsgebiet“ in der Statistik ist die wöchentliche Analyse der Bundesliga­ tabelle, wenn der FSV Mainz 05 gewonnen hat.

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Einige Neue stellen sich vor An der Statistik gefällt mir, dass ich durch sie und mit ihr am Puls des sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschehens bin. Ohne Statistik ist die Welt. Ein Computer ist für mich: Arbeitsmittel und Informationsmedium. Vor allem eines sollte Städtestatistik leisten: Zahlengedächtnis sein, Zusammenhänge aufzeigen und Entscheidungen erarbeiten und fundieren.

Dr. Ansgar Schmitz-Veltin, Diplom-Geograf, Landeshauptstadt Stuttgart, Statistisches Amt, Sachgebietsleiter Bevölkerung und Bildung, ansgar.schmitz-veltin@stuttgart.de

Statistiken liefern wichtige Informationen, aber man muss sich ihren Grenzen stets bewusst sein. Eine gute Tabelle ist mir lieber als viele schlechte Grafiken. Wichtig bei einer Grafik ist, wer sie betrachtet. Mein Lieblingsgebiet in der Statistik ist alles, was mit Menschen zu tun hat. An der Statistik gefällt mir, dass man mit ihrer Hilfe komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge nüchtern und sachlich ergründen kann. Die Statistik steht vor dem Problem, dass viele sie für langweilig halten. Ein Tag ohne Statistik sollte hin und wieder auch mal sein. Statistik und Politik, das ist wie in einer Partnerschaft. Man sollte sich gegenseitig unterstützen und respektieren, aber dem anderen seine Freiheit lassen. Der größte denkbare Fehler eines Statistikers liegt darin zu denken, dass es für alles Relevante eine Statistik gäbe.

Daniela Schüller, Diplom-Sozialwissenschaftlerin, Stadt Koblenz, Amt 10/ Statistikstelle, daniela.schueller@stadt. koblenz.de

Die Hauptaufgabe der Statistik besteht darin, aus einer Vielzahl von Daten die zentralen Erkenntnisse ziehen zu können. Mein Lieblingsgebiet in der Statistik ist die Regression. Im nächsten Jahr möchte ich nach Island reisen. Ein Tag ohne Statistik ist selten. Ein Computer ist für mich ein sehr hilfreiches Arbeits- und Kommunikationsmittel, wenn er so ausgestattet ist, dass u.a. die Datenanalyse unproblematisch funktioniert. Wer ohne Zahlen argumentiert, kann auch recht haben. Korrelations-, Cluster- und Diskriminanzanalyse sind für mich wichtige Hilfsmittel bei der Datenanalyse. Die Stadt, in der ich arbeite, beherbergt gute Freunde und Familie. Statistik und Politik, das ist wie stille Post. Man tut sein Bestes, um klare Aussagen zu machen und weiß doch nie, was hinten rauskommt. Die alljährliche Statistische Woche ist mir noch relativ unbekannt, da ich bisher nur einen Tag letztes Jahr in Köln war.

Dr. Petra Wagner, Stadt Mannheim, Fachbereich Städtebau, Leitung Statistikstelle, petra.wagner@mannheim.de

Eine gute Statistik erkennt man daran, dass sie jede/r versteht. Die Hauptaufgabe der Statistik besteht darin, komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen. Eine gute Tabelle ist Gold wert. Wichtig bei einer Grafik ist die Reduktion auf’s Wesentliche. Wenn ich in einer eigenen Tabelle einen Fehler entdecke, bin ich peinlich berührt. Statistik ist für mich fröhliche Wissenschaft. Ein Tag ohne Statistik ist ein Tag mit Statistik. Die Stadt, in der ich arbeite, hat rund dreihunderttausend Einwohnende. Statistische Jahrbücher haben einen Sinn, wenn man Bücherregale füllen möchte. Statistik und Politik, das ist wie Straßenlaterne und Betrunkener. (Es geht nicht darum, die Dinge zu beleuchten, sondern darum, sich an irgendetwas festhalten zu können.) Vor allem eines sollte Städtestatistik leisten: Gesellschaftlich relevantes Wissen produzieren.

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Frühjahrstagung 2010 – Willkommen in Bonn

Bundesstadt im Herzen Europas Klaus Kosack, Bonn

Beethovenhaus

Universität

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Bonn, die Bundesstadt im Herzen einer dynamischen Region mitten in Europa, UNO-Stadt und ehemaliger Regierungssitz, verbindet internationale Kompetenz mit rheinischer Lebensfreude. Willkommen in der Stadt der Römer, der Kurfürsten, der Stadt Ludwig van Beethovens, August Mackes und Konrad Adenauers. Bonn befindet sich im Aufbruch zu neuen Ufern. Politische Aufgaben für morgen, Wissenschaft und Forschung mit Spitzenniveau, eine Plattform für den internationalen Dialog, auf Zukunft orientierte Wirtschaft: das sind die Perspektiven der über 2000-jährigen Stadt am Rhein; die 316.000- Einwohnerstadt ist 1969 aus dem Zusammenschluss von Bonn, Bad Godesberg und Beuel sowie weiterer acht Gemeinden entstanden. Entdecken Sie diese Stadt. Bummeln Sie durch Straßen des alten und neuen Bonns. Besuchen Sie die Museumsmeile, genießen Sie das herrliche Panorama des Siebenge-

birges und lassen Sie sich von der Gastfreundschaft am Rhein verwöhnen. Geschichte hinterlässt ihre unauslöschlichen Spuren – In Bonn vom ehrwürdigen Matronenstein der alten Römer über romanischen Kirchen bis zum barocken Schloss. Aus fast jeder Epoche zeugen weltliche und geistige Gebäude von einem großen Stück abendländischer Historie: von über 2000 Jahren Bonner Geschichte – festgehalten in Stein. Kaiser Augustus’ Stiefsohn Drusus schlug vor mehr als 2000 Jahren in Bonn eine Brücke über den Rhein; zugleich war es der Grundstein für eine Stadt mit wechselvoller Geschichte. Um das Jahr 9 v. Chr. ist die Garnison angelegt worden. Außerhalb des alten Römerlagers entwickelte sich rund um das Münster im Mittelalter eine schnell wachsende Ansiedlung. Die 1244 errichteten Mauern machten Bonn offiziell zur Stadt. 1314 und 1346 wurden hier deutsche Könige gekrönt. Im 18. Jahrhundert bauten die Kurfürsten, zugleich Erzbischöfe von Köln, die Stadt zur prachtvollen Barockresidenz aus. Im Jahre 1949 wurde die Stadt Sitz von Parlament und Regierung des Bundesrepublik Deutschland, bis im Jahre 1990 im deutschen Einigungvertrag Berlin als Hauptstadt bestimmt wurde. Ein Jahr später beschließt der Bundestag

seinen Umzug nach Berlin; im Bonn-Berlin-Gesetz wird Bonn zur Bundesstadt erklärt und eine „faire Arbeitsteilung“ zwischen beiden Städten festgelegt. Seit 1996 ist Bonn die deutsche UNO-Stadt. Weltbekannt sind die Kompositionen von Ludwig van Beet­ hoven. Mit 12 war er schon Komponist, Schöpfer von Sonaten und Sinfonien, die bis heute Grundlage jeder guten musikalische Erziehung ist. Das Haus, in dem er im Dezember 1770 geboren wurde, ist heute ein Wahrzeichen Bonns: Ludwig van Beethoven, der musikalische Sohn der Stadt prägt immer noch einen guten Teil des Musiklebens. Musikfreunde aus aller Welt kommen jährlich zu den Beethovenfesten. Bonn macht Theater, international beachtetes sogar. Nicht nur bei der Biennale kommen spannende, nachdenkliche Inszenierungen auf die Bühne des Schauspiels oder anderer Bühnen. Von Mai bis September ist auf der Freilicht-Bühne vor dem Rathaus Kultur aus aller Herren Länder zu Hause: Musik, Theater und Tanz zum Nulltarif. Die Museumsmeile: Mit dem Kunstmuseum Bonn, der Kunstund Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, dem Deutschen Museum Bonn, dem Haus der Geschichte und dem zoologischen Forschungsinstitut und Museum Alexander Koenig ist im Herzen der Stadt eine eindrucksvolle Kulturlandschaft entstanden.

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Zum Ruhestand von Hans-Rainer Burisch Eine breite Palette von klassischen und modernen Tagungsstätten stehen Kongressveranstaltern aus dem Aus- und Inland zur Verfügung. Insbesondere das World-Conference-Center Bonn (WCCB) mit dem ehemaligen Plenarsaal des Deutschen Bundestages, aber auch Museen, die Universität und große Hotels eröffnen hervorragende Möglichkeiten für gelungene Veranstaltungen. Bonns Ruf als UNO-Stadt mit internationaler Kompetenz, die Nähe zu Ministerien, zur Universität, zu Dienstleistern und Verbänden überzeugen Kongressveranstalter und Tagungsteilnehmer gleichermaßen. Dass Bonn eine bedeutende Universität hat, zeigt sich schon im Stadtbild. Das Hauptgebäude der 1818 gegründeten Alma Mater prägt die Silhouette der Stadt. Von sich reden machen auch die Botanischen Gärten, das Institut für diskrete Mathematik und die Fraunhofer-Gesellschaft. Für die Zukunft forscht CAESAR,

ein neues Kind der deutschen Forschungslandschaft. Bonn exportiert rund um den Globus. Die Produktpalette „Made in Bonn“ genießt Weltruf. Ob Haribos Gummibärchen, Orgeln von Klais, Solaranlagen von Solarworld oder Elektronik aus dem Hause Moeller – Bonns Wirtschaft ist mit seinen 18.000 Betrieben Spitze. Diese bieten über 200.000 Menschen Lohn und Brot. Ein Meilenstein dabei ist die Entwicklung zu einem Zentrum der Informationstechnik, Telekommunikation und Logis­ tik. Etwa zehn Prozent aller Bonner Beschäftigten sind in dieser Branche tätig. Weltweit operierende Unternehmen, wie die Deutsche Telekom AG und ihre Tochter T-Mobile GmbH sind Spitze in Europa. Die Deutsche Post World Net wird vom Firmensitz Bonn gelenkt. Die Deutsche Welle bietet von hier aus weltweit verbreitete Informationen in Hörfunk, Fernsehen und Internet. Bonn ist zu Recht stolz auf sein Grün. Was im Zentrum mit

dem kurfürstlichen Hofgarten und dem Rheinufer beginnt, setzt sich fort in Parks, Wäldern und dem großen Waldnaturschutzgebiet Kottenforst. Der Freizeitpark Rheinaue, im geographischen Herzen der Stadt, das Gelände der Bundesgartenschau von 1979. Ein wenig davon wird trotz gespicktem Tagungsprogramm auch während der Frühjahrstagung 2010 zu erleben sein. Bonn heißt die Städtestatistiker willkommen.

Gummibärchen, Orgeln, Solaranlagen

Villa Hammerschmidt

Beharrlicher und kompetenter Bohrer dicker Bretter

Zum Ruhestand von Hans-Rainer Burisch Ernst-Joachim Richter, Oberhausen Der folgende Text ist eine Kurzfassung der Würdigung, die Dr. Ernst-Joachim Richter, Oberhausen, anlässlich der Verabschiedung von Hans-Rainer Burisch, Essen, hielt. Mit Hans-Rainer Burisch geht nicht irgendein Amtsleiter in den Ruhestand, sondern ein ganz Besonderer, man kann auch sagen ein „Urgestein“ der Kommunalstatistik. Bei dem Versuch das „Besondere“ an diesem Kollegen zu beschrei-

ben fallen mir spontan einige herausragende Eigenschaften ein: hohe fachliche Kompetenz, Beharrlichkeit, Kollegialität, streitbar ohne verletzend zu sein, knorrig, pointenreich die Dinge auf den Punkt bringend, humorvoll.

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Beginnen will ich mit seiner „fachlichen Kompetenz“ Hannes gehört zu den wenigen Städtestatistikern, denen kaum eine Statistik auch im Detail nicht bekannt ist. Uns alle hat er immer wieder mit seinen Fachkenntnissen zu einzelnen 77


Populäre Statistik zur Bremer Geschichte Statistiken oder zum Wahlrecht beeindruckt. Von Deinem Wissen haben nicht nur der Verband deutscher Städtestatistiker, sondern auch die Landesund Bundesstatistik und der Deutsche Städtetag profitiert Im Namen von Rudolf Schulmeyer, dem Vorsitzenden des Verbandes deutscher Städtestatistiker, darf ich Dir an dieser Stelle sehr herzlich für Dein Engagement danken, mit dem Du die Städtestatistik in all den Jahren bereichert hast und für das, was Du für den Verband und seine Mitglieder geleistet und erreicht hast. Dieser Dank bringt uns direkt zur nächsten Eigenschaft: „Seiner Beharrlichkeit“

Hierfür gibt es wohl kaum ein besseres Beispiel als die „kleinräumige Lohn- und Einkommensteuerstatistik“. Unbeirrbar, es dürften wohl mehr als 10 Jahre gewesen sein, hast Du in vielen Gesprächen mit dem Finanzministerium, dem Städtetag und dem Statistischen Landesamt aus diesem Wunschtraum der Städtestatistiker in NRW eine seit Jahren erfolgreich funktionierende Zusammenarbeit geformt, um die uns Kolleginnen und Kollegen in anderen Bundesländern beneiden. Fast 40 Städte in NRW verwenden diese Informationen heute in Ergänzung der Transferleistungsdaten als eine der aussagekräftigsten

Quellen zur Beschreibung von Einkommensdisparitäten auf Stadtteilebene. Deine besondere Fähigkeit „zum Bohren dicker Bretter“ hast Du an vielen Stellen bewiesen, eine will ich noch herausgreifen: Bundesweit verwenden heute die Kommunalstatistiker Einzeldaten der Bundesagentur für Arbeit für ihre sozialstrukturellen Analysen. Auch diese Datenquelle verdanken wir ganz wesentlich Deinem Einsatz bei den langwierigen Verhandlungen in Nürnberg als Vertreter des Deutschen Städtetages.

Buchbesprechung

Populäre Statistik zur Bremer Geschichte Martin Schlegel, Hagen Der Bremer Verlag „Edition Temmen“ hat kürzlich einen Statistik-Band für den Stadtstaat Bremen herausgegeben, der hinsichtlich seiner Konzeption besondere Beachtung verdient. Dabei haben sich die Bremer für ein anderes Konzept in der Präsentation des Datenmaterials entschieden. So steht weniger die Beschreibung der Gegenwart im Mittelpunkt (die Datenreihen reichen in der Regel bis 2005/2006), als vielmehr eine möglichst lückenlose Darstellung der Entwicklung der Hansestadt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Horst Lange, der Autor des Bandes und bis zu seiner Pensionierung viele Jahre Mitarbeiter des Statistischen Landesamtes 78

Bremen, hat für alle dargestellten Sachgebiete lange Zeitreihen zusammengestellt, die der Leserin/dem Leser ein Bild über die Entwicklung des Landes und der Stadt Bremen vermitteln. Dabei wurde neben der Darstellung in Tabellen auch auf eine Vielzahl von Grafiken Wert gelegt und vor allem auf einen erläuternden Text zu allen Sachgebieten. Damit sollen auch Leserinnen und Leser angesprochen werden, die im Verstehen einer Tabelle weniger geübt sind. Der prächtig ausgestattete und vierfarbig gedruckte Band enthält einen höchst informativen und leicht verständlichen Streifzug durch die bremische Nachkriegsgeschichte. Der Au-

tor hat im Wesentlichen die Ergebnisse von Großzählungen als Quellen herangezogen sowie die Daten laufender Erhebungen der amtlichen Statistik. Für alle an zeitgeschichtlichen Trends Interessierte ist damit ein Werk entstanden, dessen Inhalt bis dahin nur sehr verstreut in zahlreichen und zum Teil schwer zugänglichen Quellen zu finden war. Horst Lange: Geschichte der Freien Hansestadt Bremen von 1945 bis 2005 464 Seiten, 300 Tabellen und Grafiken, 363 Abbildungen, geb./Schutzumschlag, 38 Euro, Edition Temmen, Bremen 2009

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Wuppertaler Splitter

Statistische Woche – Zeit des Lernens Martin Schlegel, Hagen Für den Statistiker, der dazulernen will, ist die Statistische Woche Pflicht. Man muss und kann nicht alles hören, man wird und kann nicht alles verstehen. Man lernt viel, manchmal dann, dass auch die anderen nur mit Wasser kochen. Aber es geht nicht nur um das Lernen, sondern auch um das Sich-Kennenlernen. In der Wuppertaler Universität lernte man zusätzlich das SichZurechtfinden. Denn der Bau ist so angelegt, dass eine hohe Verweildauer garantiert ist. Dem Vernehmen nach haben aber alle wieder rausgefunden. Wir tagten in der „Schumpeter School of Business and Economics“. Nun kennt nicht jeder den Ökonomen Joseph Alois Schumpeter. Ergebnis: Sein Name wurde häufig Englisch ausgesprochen.

Auch das ausgedruckte Fachprogramm bot Nettigkeiten. Die einzelnen Vortragsgruppen hießen „Session“. Nun bin ich kein Kölner, aber ich habe doch gleich an Karneval gedacht. Der Wuppertaler Schwerpunkt lag natürlich auf den Wahlen – und startete gleich mit einem Highlight: Pukelsheims Vortrag über Sitzzuteilungsverfahren. Keine leichte Kost, aber bestens zubereitet. Keine formelstrotzende Vorlesung, sondern eine zuhörerorientierte Vorstellung, bei der die Teilnehmer viel mitnehmen konnten. Ein anderer Vortrag befasste sich mit Wahlentscheidung und sozialen Milieus. Als der Referent mit der ausführlichen Einleitung fertig war und ich dachte, jetzt geht’s los, hörte ich: „Ich will dann mal zum Fazit kommen.“ Beim anschlie-

ßenden Pausenkaffee meinte einer: „Gut, dass ich doch nicht Soziologie studiert habe.“ Aufschlussreich ist auch der Satz eines Politikers in der Podiumsdiskussion: „Die Verzahnung von Politik und Wissenschaft ist in Deutschland nicht ausgeprägt, aber gehört zum Standard dazu.“ Das erinnert mich fatal an einen anderen Politikersatz: „Man muss die Prioritäten gleichmäßig verteilen.“ Die SPD bekam ihr Fett ab – selbstverständlich völlig unabsichtlich. Hartmut Bömermann berichtete, dass die SPDErgebnisse in Berlin wenig streuen und hängte an: „Das ist typisch für eine Partei ohne Profil.“ Auf den Lacher hin korrigierte er: „Ich meine natürlich Raumprofil.“

Sitzzuteilungsverfahren

Gelehrten-Schelte Martin Schlegel, Hagen

„Schon mancher Gelehrte, der unfähig ist, sich mit der atmenden, schwül brütenden Masse der unmittelbaren Welt um sich her zu verbinden, ist langsam verschwunden und hat seinen Geist ausgehaucht, ist abstrahiert worden – hinein in Appendizes und Kataloge, von denen manche geradezu Gräber für Gelehrte sind. Nach dem Dogma

lebend, dass Individualität die fürchterlichste Sünde sei, haben diese Scholaren ihre Intelligenz allmählich ausgetrocknet und das, was an Individualität noch blieb, zerstreut in Unterscheidungen und Klassifizierungen, Qualifizierungen, Widerlegungen, Verifizierungen und dergleichen mehr. Mit den Gedanken anderer als einzigem Umgang und ohne jede

Stadtforschung und Statistik 1/2010

eigene Imagination trocknen sie mehr und mehr aus und verlieren permanent an Substanz.“ Kritische Töne von Philipp Blom in seinem Buch „P – Die Simmons-Papiere“, ein eigenartig handlungsfreies Werk. Ein ruhiges, doch lesenswertes Buch, aber nur, wenn man es hinnehmen kann, stundenlang ohne Zahlen auszukommen. 79


Autorenverzeichnis Baasen, Dr. Geert, Dipl.-Soz., Statistisches Landesamt Berlin, Leiter der Geschäftsstelle des Landeswahlleiters, Geert.Baasen@ statistik-bbb. Baier, Eberhard, Teamleitung Statistik und Steuerungsunterstützung, Hauptamt Stadt Konstanz; baier@stadt.konstanz.de Beuels, Franz-R., Diplom-Sozialwissenschaftler, Essen, Amt für Statistik, Stadtforschung und Wahlen, franz.beuels@amt12.essen.de Böckler, Dr. Stefan, Diplom-Sozialwissenschaftler, Stadt Duisburg, Amt für Statistik, Stadtforschung und Europaangelegenheiten, s.boeckler@stadt-duisburg.de Geldhäuser, Bernd, Diplom-Wirtschaftler, Stadtroda Griesheimer, Siegfried, Programmierer, Statistikstelle Mannheim, siegfried.griesheimer@mannheim.de Harfst, Hubert, Dipl.-Sozialwirt, Städt. Direktor, Fachbereich Zentrale Dienste – Bereich Wahlen und Statistik der Stadt Hannover, hubert.harfst@hannover-stadt.de Horch Claudia, Diplom-Geografin, Raumplanerin ETH NDS, Leiterin des Teams „Strukturanalyse und –entwicklung“ beim Regionalverband Ruhr, Essen, horch@rvr-online.de Hötger, Udo, Diplom-Sozialwissenschaftler, Kreis Lippe, u.hoetger@lippe.de Kern, Andreas, Soziologe, M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter, Freiburg, Amt für Bürgerservice und Informationsverarbeitung, andreas.kern@stadt.freiburg.de Kosack, Klaus-Peter, Diplom-Geograf, Leiter der Statistikstelle im Bürger- und Standesamt Bonn, klaus.kosack@bonn.de Lenz, Alexander, Diplom-Soziologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Dortmund, Fachbereich Statistik, Alexander.Lenz@stadtdo.de Mahnkopf, Wolfgang, Augsburg, wolfgang.mahnkopf@t-online.de Neugebauer, Dr. rer. pol. Gero, Politikwissenschaftler, Forschungsgebiet Parteien und Wahlen, Lehrbeauftragter am Otto-Suhr-Institut für Politikwissesnchaft der FU Berlin,gerosofo@zedat.fu-berlin.de Plagens, Dr. Manfred, Diplom-Volkswirt, Zentrale Steuerung, Leiter der Statistikabteilung in Würzburg, manfred.plagens@stadt. wuerzburg.de Richter, Dr. Ernst-Joachim, Oberhausen, ejochen.richter@arcor.de Schlegel, Martin, Diplom-Kaufmann, Amtsleiter a.D., Hagen, me.schlege@t-online.de Schleich, Sebastian, Student der Volkswirtschaftslehre an der Universität Münster, sebastianschleich@web.de, Schmitz-Veltin, Dr. Ansgar, Diplom-Geograf, Sachgebietsleiter Bevölkerung und Bildung, Statistisches Amt Stuttgart, ansgar.schmitzveltinq@stuttgart.de Schöb, Anke, Diplom-Soziologin, Sachgebietsleiterin, Statistisches Amt, Stuttgart, anke.schoeb@stuttgart.de Schridde, Dr. Henning, Bundesagentur für Arbeit, Statistik-Service Nordost, Hannover, henning.schridde@arbeitsagentur.de, Schüller, Daniela, Diplom-Sozialwissenschaftlerin, Koblenz, Amt 10/Statistikstelle, daniele.schueller@stadt.koblenz.de Schultz, Andrea, Diplom-Geographin, Amt für Statistik und Wahlen, Leipzig, andrea.schultz@leipzig.de Vliegen, Mathieu, Diplom-Soziologe, Noordwijk (NL), pnimvgn@wxs.nl Wagner, Dr. Petra, Leitung Statistikstelle im Fachbereich Städtebau, Mannheim, petra.wagner@mannheim.de Wixforth, Dr. Jürgen, Dipl.-Ing. Raumplanung. Referent bei der Zentralen Datenstelle der Landesfinanzminister in Berlin, wixforth@ gmx.de

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