OFFENB Mit FRAU SCHMITZ wird erstmals ein Stück des Schweizer Autors Lukas Bärfuss am Schauspiel Köln zu sehen sein. Das Schauspiel spitzt die Frage nach der Geschlechtsidentität und die damit verbundenen Zuschreibungen und Rollenbilder bis ins Groteske zu. In seinem Essay beschreibt Lukas Bärfuss seine Beziehung zum Theater und den Zauber der Verwandlung.
Ein Essay von Lukas Bärfuss
Woher meine Liebe zum Theater kommt, weiß ich nicht, und um ehrlich zu sein, weiß ich nicht einmal, ob es überhaupt Liebe ist. Mein Verhältnis gleicht einer Gewohnheit, einer Lebensroutine, einer gewissen Art und Weise, etwas über das Leben zu erfahren. Es sind selten grundsätzlich neue Erkenntnisse, die ich bei der Arbeit am Theater gewinne. Ich lerne, was ich einmal wusste, aber irgendwann wieder vergessen habe: Dass es im Theater und im Leben keine Abkürzungen gibt. Dass Theater zwar mit erfundenen Elementen arbeitet, aber selbst keine Fiktion ist. Dass vollkommene Stille im Theater ein Geschenk ist und niemals planbar. Oder die immer wieder erschreckende Tatsache, dass im Theater alles zum Zeichen wird und niemand diese Zeichen beherrschen kann. Und auch die schwierigste Lektion, wenigstens für einen Schriftsteller: Man kann im Theater nicht blättern. Nicht nach vorne, nicht nach hinten. Das Verpasste kommt nicht wieder. Durch die Ödnis des Augenblicks führt nur die Zeit. Das alles würde kaum genügen, um mich bei dieser Kunst zu halten, gäbe es nicht dieses Geheimnis, das, so fällt mir jetzt auf, etwas zu tun haben muss mit dem erwähnten Wiedererlernen des einst Bekannten. Jorge Luis Borges hat in seinem Essay über Shih Huang Ti und die chinesische Mauer geschrieben: »Die Musik, die Zustände des Glücks, die Mythologie, die von der Zeit gewirkten Gesichter, gewisse Dämmerungen und gewisse Orte wollen uns etwas sagen oder haben uns etwas gesagt, was wir nicht hätten verlieren dürfen, oder schicken sich an, uns etwas zu sagen; dieses Bevorstehen einer Offenbarung, zu der es nicht kommt, ist vielleicht der ästhetische Vorgang.« »Gewisse Dämmerungen, gewisse Orte«. Ich stamme aus einer Kleinstadt am Fuß der Alpen, einer Garnison, wo die Rüstungsindustrie und die Soldaten den Ton angaben und Kultur kaum eine Rolle spielte. Zwei-, dreimal im Jahr verirrte sich ein deutsches Tourneetheater in unseren Ort und zeigte Minna von Barnhelm oder Das Käthchen von Heilbronn. Jede Schulklasse der Umgebung wurde in die Vorstellung gezerrt, was manch einem den letzten Rest Theaterliebe ausgetrieben haben mag.
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