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SPECIALS SEPTEMBER & OKTOBER
AB 22. SEPTEMBER MITTAGSSTUNDE
DRAMA | DEUTSCHLAND | 2022
Verfilmung des #1-Bestsellers von Dörte Hansen („Altes Land“), eine große Erzählung über die Menschen im Norden Deutschlands, die nicht viel reden, es aber verstehen, sich zu kümmern, wenn es Not tut.
Ingwer, 47 Jahre alt und Dozent an der Kieler Uni, fragt sich schon länger, wo eigentlich sein Platz im Leben sein könnte. Als seine „Olen“ nicht mehr allein klarkommen, beschließt er, dem auf den Grund zu gehen, seinem Lehrstuhl an der Universität und seinem Leben in der Stadt den Rücken zu kehren, um in seinem Heimatdorf Brinkebüll im nordfriesischen Nirgendwo ein Sabbatical zu verbringen. Doch den Ort seiner Kindheit erkennt er kaum wieder: keine Schule, kein Tante-Emma-Laden, keine Dorfkastanie, keine Störche, auf den Feldern wächst nur noch Mais. Als wäre eine ganze Welt versunken. Wann hat dieser Niedergang begonnen? In den 1970ern, als nach der Flurbereinigung erst die Knicks und dann die Vögel verschwanden? Als die großen Höfe wuchsen und die kleinen starben? Als Ingwer zum Studium nach Kiel ging und seine Eltern mit dem Gasthof sitzen ließ? Wann verschwand die Mittagsruhe mit all ihren Herrlichkeiten und Heimlichkeiten? – Sönke Feddersen, de Ole, hält immer noch stur hinter seinem Tresen im alten Dorfkrug die Stellung, während Ella, seine Frau, mehr und mehr ihren Verstand verliert. Beide lassen Ingwer spüren, dass er sich schon viel zu lange nicht um sie gekümmert hat. Und nur in kleinen Schritten kommen sie sich wieder näher … „Mittagsstunde“ ist die Verfilmung des Bestsellers von Dörte Hansen, eine große Erzählung über die Menschen im Norden Deutschlands, die nicht viel reden, es aber verstehen, sich zu kümmern, wenn es Not tut. Unter der Regie von Lars Jessen („Am Tag als Bobby Ewing starb“, „Dorfpunks“, „Fraktus“), nach einem Drehbuch von Catharina Junk wird voll leiser Melancholie die Geschichte des Verfalls der Dorfkultur erzählt, bei der immer die Frage mitschwingt, wer wir als Individuen und als Gesellschaft in Zukunft sein wollen und wo wir hingehören. Die heimliche Hauptfigur ist das fiktive Dorf Brinkebüll, von Mitte der Sechzigerjahre, als die Landvermesser kamen, um die große Flurbereinigung vorzubereiten, bis in die Jetzt-Zeit, in der sich das Land in eine bequem mit dem Auto zu erreichende Schlafstätte für Zugezogene verwandelt hat.
REGIE Lars Jessen DARSTELLER Charly Hübner, Peter Franke, Hildegard Schmahl LAUFZEIT 93 Minuten

AB 29. SEPTEMBER DER BAUER UND DER BOBO
DOKUMENTATION | ÖSTERREICH | 2022
Doku über die ungewöhnliche Freundschaft eines Bio-Bauern und eines Verlegers, die exemplarisch die Chancen und Schwierigkeiten moderner, nachhaltiger Landwirtschaft von kleinbäuerlichen Betrieben aufzeigt.
Bio-Bergbauer Christian Bachler und Chefredakteur Florian Klenk könnten nicht unterschiedlicher sein: Der eine bewirtschaftet den höchstgelegenen Bauernhof der Steiermark, der andere gibt in Wien die österreichische Wochenzeitung „Falter“ heraus. Als Klenk ein umstrittenes Schadensersatzurteil gutheißt, das gegen einen Bauern gefällt wurde, platzt Christian Bachler der Kragen. Auf Facebook macht er seinem Ärger Luft und fordert den „Oberbobo“ Klenk auf, ein Praktikum auf seinem Hof zu machen. Klenk nimmt die Herausforderung an und der Bauer und der Bobo kommen ins Gespräch: über Klimawandel, Fleischindustrie, Agrarpolitik und Banken – und werden Freunde. Die Freundschaft der beiden zeigt, warum es sich lohnt, mit Leuten zu reden, deren Meinung man nicht teilt. Die beiden kämpfen nun gemeinsam für eine nachhaltige Landwirtschaft. Klenk recherchiert und berichtet über die tier- und menschenverachtende Schweineindustrie und die Agrarpolitik der EU. Und Bachler bemüht sich in Wien um die „Bobos“, die Kunden seiner Produkte werden sollen. Und der Einzelkämpfer sucht und findet Partner unter den Bauern, die wie er kaum wirtschaftliche Grundlagen finden, wenn sie naturnah produzieren. „Der Bauer und der Bobo“ ist ein wichtiger und dabei amüsant erzählter Dokumentarfilm über eine ungewöhnliche Männerfreundschaft, der exemplarisch die Chancen und Schwierigkeiten moderner, nachhaltiger Landwirtschaft von kleinbäuerlichen Betrieben aufzeigt. Während Klimawandel, Fleischindustrie und EU-Vorschriften dem Bio-Bauern zusetzen, öffnen sich durch die Digitalisierung neue Vermarktungschancen. Als Bachlers Hof Ende 2020 vor dem Ruin stand, fanden die beiden Freunde aus zwei Welten binnen zweier Tage 12.000 Menschen, die bereit waren, zu helfen und 420.000 Euro spendeten. Der Hof ist schuldenfrei.
REGIE Kurt Langbein LAUFZEIT 96 Minuten

AB 29. SEPTEMBER REX GILDO – DER LETZTE TANZ
DRAMA, BIOGRAFIE | DEUTSCHLAND | 2022
Der Vater der Schwulenfilme, Rosa von Praunheim, zeichnet ein liebevolles Porträt des einstigen Schlager- und Filmstars, der seine Homosexualität stets abstritt, und stellt die Frage in den Raum, ob das Versteckspiel nicht am Ende die Seele beschädigt.
Ein glücklicher Morgen, die Sonne scheint ins Zimmer: Rex Gildo (Kilian Berger) und sein deutlich älterer Manager Fred Miekley (Ben Becker) liegen noch im Bett. Der Jüngere schmiegt sich in den Arm seines Liebhabers. Doch plötzlich treten drei schwarz gekleidete Frauen auf. Sie zetern wie Furien und wie ein antiker Chor kommentieren sie die Handlung, wollen sie gar beeinflussen. „Stopp“ rufen sie, Rex habe nie mit seinem Manager im Bett gelegen. Und triumphieren gar: „Die Szene ist gestrichen“. Was sie natürlich nicht ist. Der Auftritt der Furien dient lediglich als kluger Schachzug, um Protesten gegen den Film zuvorzukommen, indem man sie von vornherein in ihn einbaut. Einige der Hardcore-Anhänger des 1999 gestorbenen Schlagerstars bestreiten bis heute vehement, dass ihr Idol schwul gewesen sein soll. Ist Regisseur Rosa von Praunheim, Urvater der deutschen Schwulenbewegung, noch immer mit FremdOuting beschäftigt? Natürlich nicht. Gerüchte über Gildos Homosexualität gibt es seit Jahrzehnten, für das bloße Aufdecken seiner Neigung zu Männern hätte es den Film nicht gebraucht. Dem Regisseur geht es um mehr. Er überrascht mit dem Bekenntnis, in jungen Jahren sei Rex ein Idol von ihm gewesen. So ist sein Film auch eine Art verspätetes Geburtstagsgeschenk an den Sänger, der letztes Jahr 85 Jahre alt geworden wäre. Ein Geschenk freilich nicht ohne ironisch-spielerische Verpackung, mit einem knallbunten Bändchen darum. Wie in vielen seiner Filme tobt Rosa von Praunheim seine Lust an der Übertreibung aus. Zudem nimmt er in diesem Fall die Freiheit der Fiktion in Anspruch. Spielszenen (als älterer Rex fungiert Kai Schumann) paaren sich mit dokumentarischem Material: Archivszenen, alte Filme, aktuelle Gespräche unter anderem mit Rex‘ Weggefährtinnen wie Cornelia Froboess, Gitte Hænning, Vera Tschechowa oder Cindy Berger (vom Duo
„Cindy & Bert“). PROGRAMMKINO.DE / PETER GUTTING
REGIE & BUCH Rosa von Praunheim DARSTELLER Kilian Berger, Ben Becker Kai Schumann LAUFZEIT 88 Minuten FSK 12



