N°180 · Die HSG am Scheideweg

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13 dem Ziel, die Lehr- und Forschungsfreiheit zu garantieren. Dies auch, um ihnen unternehmerische Freiheit innerhalb der Institute zu gewährleisten. Zuoberst steht der Universitätsrat mit Vertretern aus der kantonalen Politik und dem Erziehungsdirektor als Präsidenten, darunter kommt der Senat, in dem die Professoren, der Mittelbau, die Studierenden vertreten sind. Bei Wahlen, etwa des Rektors, stellt der Senat einen Antrag an den Universitätsrat, dieser führt die Wahl durch, die St.Galler Regierung genehmigt sie. Die Universität ist sehr demokratisch organisiert, basisdemokratisch. Der Rektor hat zwar den Vorsitz im Senat und leitet die Universität, aber er wird von den Professorinnen und Professoren gewählt.

erneuerbaren Energien und eine für die Förderung von Menschen mit Handicap. Sie sehen: Das Sponsoring an Universitäten dient nicht nur Grossfirmen, sondern auch breiteren gesellschaftlichen Anliegen.

Die HSG hat 34 Institute. Was ist ihre Funktion? Sie sind keine eigene Rechtspersönlichkeit, aber sie haben eine eigene Satzung. Sie sind autonom, verfügen über einen eigenen Haushalt. Sie können selbst Mittel akquirieren und Reserven bilden. Diese Institutslandschaft macht die Universität St.Gallen speziell. Unser Institut, ehemals das Institut für Tourismusund Verkehrswirtschaft, wurde bereits 1942 gegründet. Die Institutslandschaft hat eine sehr lange Tradition und wurde vielfach kopiert, von Universitäten wie von Fachhochschulen. In Cems, dem Verbund führender europäischer Wirtschaftsuniversitäten, beneiden uns viele um dieses Institutsmodell.

Trotzdem: Wird die Forschung durch die Art der Finanzierung beeinflusst? Überhaupt nicht. In vielen Gebieten, in denen wir forschen, Betriebswirtschaftslehre aber auch Volkswirtschaftslehre, gibt es eine grosse Überschneidung der Interessen der Forschung der Universität und der Unternehmen. Wenn wir etwa das Pricing beispielsweise bei Bergbahnen untersuchen, dann wollen wir etwas über das Kundenverhalten erfahren. Und genau das gleiche will die Bergbahn auch. Das macht es interessant, gemeinsam zu forschen. Genau das selbe gilt bei Forschungsprojekten zu gesellschaftlichen Themen. – Synergetische Interessen.

Wie wird die Universität finanziert? 2008 hatte die Universität Gesamtausgaben von 186 Millionen Franken. Nach dem Bundesamt für Statistik hatten wir einen Selbstfinanzierungsgrad von 106 Millionen – das sind 57 Prozent am Gesamtbudget. Darin sind aber auch die Studiengebühren der Studenten enthalten und was wir in der Executive School, also der Weiterbildung, machen. Aus der Privatwirtschaft, in Form von Forschungsbeiträgen oder erbrachten Dienstleistungen, kommen vierzig Millionen. Das sind 21 Prozent am Gesamtbudget. Was bedeutet das am Beispiel Ihres Institutes? Wir haben einen Umsatz von rund fünf Millionen. Die Universität bezahlt nur zwei Professuren, dazu je zwei Assistenten und eine Sekretärin. Wir haben aber rund fünfzig Mitarbeiter. Die sind alle über Drittmittel finanziert. So gesehen, sind etwa achtzig Prozent unseres Institutes über Drittmittel finanziert. Ist das bei allen HSG-Instituten so? Es gibt auch solche, die in Forschungsgebieten tätig sind, in denen es schwieriger ist, an Drittmittel zu gelangen. Und einzelne wiederum, die ganz gesponsert sind, das Gottlieb-DuttweilerInstitut für Handelsmanagement und der Lehrstuhl des Finanzprüfers KPMG für Accounting, Controlling und Auditing. In der Pipeline sind auch eine Professur für das Management von

Die HSG hat sogar gesponserte Vorlesungs­ säle. Das ist heute Standard. Ich kriege das bei meiner europäischen Tätigkeit innerhalb von Cems mit. Alle Universitäten haben heute gesponserte Zimmer, gesponserte Professuren. Wichtig ist, dass es institutionelle Barrieren gibt. Dass beispielsweise nicht Personen, sondern Professuren gesponsert werden, die in einem Wettbewerbsverfahren besetzt werden.

In diesem Moment legte Thomas Bieger seine Hände aufeinander, so dass die Finger ineinander griffen. Mir wurde plötzlich klar, dass die Frage nach der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Universitäten nicht eine Frage ist von ­B ezahlung und Beeinflussung, sondern dass die Wirtschaft und die Wissenschaft organisch funktionieren. Wie diese Lianenlampen. Dass sich, als die ökonomische Sichtweise zur gesellschaftlich prägenden Sichtweise wurde, auch die Universitäten entsprechend strukturiert haben. Dass die Wirtschaft nicht nur Einfluss auf die Wissenschaft nimmt, sondern die Wissenschaft, zumindest im Fall der HSG, auch nur ein Teil der Wirtschaft ist. Herr Bieger, Sie sind seit zwölf Jahren Professor. Wie hat sich in Ihrer Einschätzung die Forschung verändert? Die Wissenschaft hat sich globalisiert. Ein Forscher will nicht mehr nur in seinem Land, sondern weltweit Beachtung finden. Zu diesem Zweck haben sich eigentliche Märkte herausgebildet, die Scientific Communities. Beispielsweise im Marketing, da gibt es die European Marketing Academy, da gehen wir Ende Mai an die Konferenz in Nantes. Oder im Aviation Management, da gibt es im Juli eine Konferenz in Dubai. Diese Gemeinschaften organisieren Marktplätze wissenschaftlicher Erkenntnis. Die Konferenzen sind der einzige Treffpunkt? Nein, am bedeutendsten sind die Journals, wissenschaftliche Zeitschriften. Durch die Publi-

< Für die Teilnehmer des St.Gallen Symposiums sind die Tische gedeckt. SAITEN 06/09 ➔

kation eines Artikels findet man als Forscher Aufmerksamkeit. Als ich hier an der Universität begann, publizierten wir alle zwei, drei Jahre einen solchen Artikel. Allein letztes Jahr brachten wir es in unserem Institut auf neun Aufsätze. Da stecken wir Geld rein. Wenn man einen Publikationserfolg haben will, muss man möglichst anschlussfähig sein, an Themen, an Kollegen. Das treibt den Erkenntnisgewinn voran, verengt aber auch den Blick. Vielleicht wurde in den letzten Jahren in vielen Gebieten der Blick zu eng – auch im Bereich der Finance. Wir versuchen hingegen, an der HSG die Balance zu halten zwischen Praxisbezug und Journalpublikationen. Einer der Leitsätze der «Vision 2010» der HSG lautet: «Unternehmens-, Leistungs-, ­Finanzkraft». Wie entwickelt sich die Universität weiter? Neu gibt es auch Kompetenzzentren zwischen den Instituten. Verschiedenste Kräfte sollen dabei gebündelt werden, damit man die Forschung nach aussen besser sieht. Damit man sie noch besser verkaufen kann? Die Bologna-Reform hat den Wettbewerb um Studierende auch im Universitätsbereich verstärkt. In diesem globalen Universitäts- und Wissensentwicklungssystem spielen ganz andere Mechanismen. Wie verankere ich meine Ideen, wie erhalte ich gute Studenten, gute Dozenten, gute Forschungsprojekte? Die Drittmittel sind dabei nur eine Ausprägung. Insgesamt geht es darum, Aufmerksamkeit zu erlangen. Ansonsten landet man schnell auf dem Niveau einer Provinz-Uni, die für die Region keinen Nutzen in Form von Export­ erlösen generieren kann. Ich bedankte mich für das Gespräch und verliess durch das grasgrüne Treppenhaus das Gebäude. Draussen standen zwei Studenten, der eine sagte zum anderen: «Meine Kernkompetenz ist Marketing.» Kaspar Surber, 1980, ist Redaktor bei der «Woz».


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