ChrisCare 2014-2

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HINTERGRUND

Klinikseelsorger mit Leidenschaft Damit Leidenschafft nicht Leiden schafft Leidenschaftlich in der KIinikseelsorge – ein starker Anspruch! Ob ich meine Haltung jemals selbst so beschrieben hätte? Ich erfahre sehr viel Lebendiges in der Begleitung von Patienten und deren Angehörigen – selbst im Leiden und in Sterbeprozessen. Dennoch gab und gibt es Phasen in meiner Arbeit, in denen mich das Leiden auch schafft. Selbst wenn ich erlebe, dass Begleitungen gelingen und Perspektiven eröffnet werden, so sammeln sich in mir unbemerkt Betroffenheitsreste, die Unwiederbringliches und Endgültiges widerspiegeln und meine Leidenschaft auch dämpfen. Damit mich das Leiden nicht schafft, brauche ich einen tieferen Grund und Anker für meine Arbeit. Hinter dem Vielen, was Kirche ausmacht, liegt für mich eine wesentlich tragende Motivation meines Handelns: die Faszination von der versöhnenden, liebenden und Leben stiftenden Zugewandtheit Gottes, die ich in meinem Dienst wirken lassen möchte, so gut ich es kann. Wie weit ich selbst diese Faszination spüre und ausstrahlen kann, wandelt sich stetig: mal ansteckend und lockend, mal kleinlaut und bescheiden, und in Zeiten eigener Krisen bleibt diese Kraft auch schon mal ganz aus. Leidenschaft für diesen Dienst braucht einen guten Nährboden und Pflege: Auszeiten an der frischen Luft, Exerzitien, Hobbies, das Leben in der eigenen Familie, Freundschaf-

ten, Supervision und immer wieder zwischendurch kleine Pausen zum Auftanken im „Raum der Stille“ hier in der Klinik.

Genährt wird meine Leidenschaft auch aus der Arbeit heraus: • wenn ich kranke Menschen in ihrer oft plötzlichen Ohnmacht und ihrer Suche nach Kraftquellen begleiten darf, • wenn ich Unterstützung geben kann und dunkle Täler begehbar werden, • wenn in Krisen der Wert bestehen- der Beziehungen neu erlebt wird, • wenn Angehörige die Kraft auf bringen, Lebensbrüche mit auszu- halten, • wenn die Frage nach Gott sich noch einmal neu stellt und die Erfahrung seiner Nähe oder Ferne existentiell wird. Auch wenn die Begrenztheit unseres Lebens von Anfang an todsicher ist, so realisieren wir die Tragweite dieser Wahrheit erst angesichts eigener existentieller Krisen. Leidenschaft wird in Begegnung konkret, wenn ich mich in das Werden und Wachsen der Patientinnen hineinbegebe, mich in ihr Erleben einfühle und beginne, mit ihnen innere Potentiale zur Krankheitsbewältigung zu entdecken. Im Kern ist es die Suche nach „Lebens-Sinn“, nach einem „Halt“ nach „Gott“, im Letzten die Suche nach geglücktem Leben. Konkret werde ich oft von einer stillen Glaubenstiefe bei Menschen

überrascht, die sich zu Beginn der Begegnungen als kirchenfern beschreiben. Angesichts ihrer Ängste, ihrer Lebensbedrohung oder -einschränkungen stellen sie ihre Fragen nach dem Sinn von Leid, nach dem, was noch vom Leben bleibt oder ob der Tod das letzte Wort hat. Darin scheint die Frage nach Gott durch. Oder ich begegne Menschen, die in ihrer Krankheit vielleicht ihre erste Glaubenskrise erleben. Der bisher so selbstverständlich als nah erfahrene Gott wird plötzlich zu einem Gott, der hinter den Warum-Fragen verborgen bleibt und schweigt. Es sind oft Bilder, die weiterführen: In einem Gespräch mit einer Patientin, einer passionierten Gärtnerin, fiel mir das Bild eines Beetes ein, das im Herbst für die Winterruhe bereitet ist: nichts Blühendes, nur Erde, die das in ihr Ruhende nicht zeigt. In diesem Boden lebt aber all das, was diese Patientin bisher als so nährend und tragend empfunden hat – es ist jetzt verborgen, braucht Zeit für die Verarbeitung der neuen Wahrheit von der Winterseite des Lebens. Dieses Beet braucht Pflege, die ich in den Fragen, Sehnsüchten und Anklagen der Frau entdeckte. Oder die Menschen, die sich in der Kirche nicht zu Hause fühlen oder sich aus Enttäuschung aktiv „ausgemeindet“ haben: Nicht wenige gehen dennoch ihren eigenen, inneren Glaubensweg. Ich spreche dann gern von einer ganz persönlichen


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