Goldrausch (Hg.): Isabelle Heske. Trust Truth. Berlin 2024.

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ISABELLE HESKE TRUST TRUTH

TOO MUCH IS NEVER ENOUGH

1 Die Serie umfasst Leinwände, die an Handtaschen erinnern. Innerhalb dieser Serie arbeitet Isabelle Heske sowohl mit unterschiedlichen Größen als auch mit verschiedenen Stoffen und Applikationen.

Ich erinnere, dass ich als Kind lieber mit Playmobil als mit Lego gespielt habe. Das änderte sich auch später nicht, unüblicherweise. Das Zusammenstellen war mir lieber als das mühselige Bauen. Neben der Türe zum Zimmer, in dem ich wie auch meine kleineren Schwestern spielten, stand ein recht flacher Schrank, auf dem in Stapeln gefaltete Kleidung lag. Beim Verlassen des Zimmers versteckte ich einmal einen kleinen und leuchtend blauen Playmobil-Hut in diesem Haufen. Abgesehen von der strahlenden Farbe war besonders, dass sich zwei silberne Schwerter auf seiner Stirnseite kreuzten. Das war wichtig, denn die Hüte der anderen Figuren waren nicht so, daher war er nicht nur bei mir, sondern auch bei meinen Schwestern begehrt. Derartige Situationen erinnern wir in einer Detailfülle, die dem vordergründigen Gefühl des Moments entgegensteht. Diese Erinnerung und die damit verbundene Empfindung sind für mich ein Zugang zur Arbeit von Isabelle Heske. Mit der Zusammenstellung unterschiedlicher Materialien hält sie ephemere Momente und Stimmungen fest: Stoffe, Bänder, Schleifen, Accessoires vielfältiger Art werden von ihr gefunden, recherchiert, eingelagert, kombiniert und auch verworfen. Isabelle Heske zeigt in ihrer Arbeit Offenheit gegenüber Mode, Musik und Popkultur. Sowohl erprobte als auch obskure Verknüpfungen werden von ihr in einem Flirt zwischen Gattung, Material, Geschichte und Aura generiert.

Dies wird vor allem deutlich in ihrer Serie der „Handtaschen“-Leinwände.1 Durch eine angebrachte Kette werden die mit Stoffen bespannten Keilrahmen zu einem modischen Objekt, mit dem sich die Käufer:innen schmücken können. Dies reflektiert die kapitalistischen Blüten des Kunstmarktes – auch Kulturinstitutionen sind in einer Welt sich ständig ändernder Diskurse, Einflusssphären und nicht zuletzt Likes weder gegen Trends noch gegen Marketing gefeit. Heske spielt hier gekonnt und auf changierende Weise mit diesen Polen des Kunst- und Kulturbetriebs. Außerhalb des Kunstfelds funktionieren ihre Arbeiten als Metapher für Kauffreude, Modebewusstsein und die Suche nach den Erscheinungen einer Zeit. Museen als Orte des Sammelns haben den Auftrag, Objekte zu sichten, zu ordnen, zu bewerten und zu bewahren, um diese kontextualisiert zugänglich zu machen. Heske kokettiert mit diesem Anspruch und konterkariert ihn gleichermaßen. Stellen wir uns zum Vergleich Kollektionen von Arbeiten vor, deren materielle Verarbeitung und Erscheinungsbild nicht nur die Entwicklung der Künstlerin abbilden, sondern auch ein Fenster in Trends und Moden bestimmter Jahre eröffnen. Gleichzeitig befriedigt und persifliert Heske mit ihren Werken auch eine eventuelle Neigung der Institutionen und ihrer Sammlungsleiter:innen, stets den aktuellen Diskursen und Tendenzen mit ihrer Ankaufspolitik zu folgen.

Isabelle Heske arbeitet in abgestimmten Formaten. Gerade diese festen Größen ermöglichen eine interessante Serialität und Vergleichbarkeit ganz unterschiedlicher Arbeiten, sowohl materiell als auch teilweise zeitlich. In Arbeiten, die ähnlich aufgebaut sind, jedoch unterschiedliche Maße haben – das größere Format ist mir zunächst präsenter als ein kleineres –, möchte ich eine verschwindende, immer kleiner werdende Erinnerung sehen, ein Verblassen und Vergessen.

So vereint Summertime Sadness (2020) Erinnerungen an Fransenjacken und Lampenschirme der 1970er-Jahre mit sinkenden, sich wiederholenden Graphen, die uns mit Blick auf das Entstehungsjahr der Arbeit sowohl im Hinblick auf die Wirtschaft als auch auf den Gesundheitssektor noch deutlich bekannt sind. Die Banderole auf mittlerer Höhe, die einem Gürtel ähnelt, könnte mit dem wiederholt aufgedruckten Wort HONESTY auf Schwierigkeiten der Erstellung und Kommunikation von Daten hinweisen oder auf die ehrliche Einschätzung, den Gürtel etwas enger schnallen zu müssen. So erscheint das Bild als ein Sinnbild der damaligen Zeit, aber auch als eigenständige Form und präsenter Körper.2 Eine klare Aussage bleibt offen und schwebt zwischen Melancholie, Traurigkeit und den verblassenden Erinnerungen an einen längst vergangenen Sommer. Die Verknüpfung zur Musik wird hier vor allem über den Titel hergestellt, der einen Song von Lana Del Rey zitiert. Aber auch eine Songzeile von Nina Simone fällt mir sofort dazu ein, und so verschwimmen sich gegenüberstehende Emotionen und Gedanken: „Summertime, and the livin’ is easy …“ Dieser George-Gershwin-Song taucht in der Musikgeschichte, ähnlich einer sich wandelnden Erinnerung, immer wieder anders interpretiert auf, unter anderen in Cover-Versionen von Ella Fitzgerald, Sublime, aber auch von Lana Del Rey. Unfortunately Not Today (2020) erinnert an eine zusammengeknotete, nur noch teilweise in ihrer Farbzusammenstellung erkennbare Fahne, die schlaff herunterhängt – oder ist sie kunstvoll auf diese Weise hergerichtet? Hier kommt die erwähnte Ambivalenz von Heskes Arbeiten zum Tragen und ermöglicht eine nochmalige Erweiterung der Deutungsansätze.

Auf anderen Arbeiten der Serie prangen große, kunstvoll gestaltete und teilweise hochglänzende Schleifen, die die ganze Leinwand in eine Art Geschenk, ein Geheimnis, ein begehrliches Gut, ja, Produkt verwandeln. Das geknotete Band und somit die ganze Arbeit öffnen auf diese Weise einen großen Möglichkeitsraum, der zusätzlich Wechselwirkungen innerhalb der Serien entstehen lässt.

Die durch Risse dunkel im hellen Oberstoff hervortretenden Formen in Smoking in the Boyzone (2020) evozieren zusammen mit dem Titel Bilder von Lagerfeuer, Sternen, Feuerwerk und Funken, die an ein adoleszentes Zusammentreffen denken lassen. So treten die Bedeutung von Mode und der Versuch einer Selbstfindung in jungen Jahren, Gruppenzugehörigkeiten und erste Liebe in Dialog mit den beiden Schriftbändern, die gekreuzt über der Arbeit liegen: Der Jugendtraum des FOREVER LOVE & EVERYDAY HAPPY wird im wahrsten Sinne durchkreuzt von der Erkenntnis IT’S ALL ILLUSION und einem subtilen Humor.

Mit C’est la Vie! erschuf Sylvie Fleury 1990 einen Aufreger, indem sie von ihr erworbene Artikel aus Läden bekannter Luxusmarken, in den Galerieraum gestellt, als Kunstwerk deklarierte.3 Fleurys Arbeit ist seither gekennzeichnet durch eine Marken- und Konsumästhetik und den damit verbundenen gesellschaftlichen Problemstellungen.

In Isabelle Heskes Arbeiten finden sich hierzu ähnliche Ansätze, deren Ausprägung jedoch eine andere, neuartige ist. Durch das Gestalten von Leinwänden, was in diesem Fall durchaus mit Kollektionen zu vergleichen ist, geht sie den genau umgekehrten Weg: Es ist durchaus vorstellbar, dass ihre Arbeiten ‚aus der Mode‘ kommen oder eingelagert werden, um vielleicht irgendwann wieder aufzutauchen und einen neuen Trend zu illustrieren. Die aus der Mode- und Musikindustrie bekannte Volatilität wird analog auf bereits vorhandene Aspekte des Kunstmarkts übertragen. Dadurch werden unangenehme Wahrheiten sichtbar, die neben der oft prekären persönlichen Situation von Künstler:innen auch den musealen und kuratorischen Betrieb betreffen und selbst vor etablierten Positionen nicht haltmachen – die der Vergänglichkeit und Wertigkeit.

Heskes Arbeiten steckt die Frage nach Vergänglichkeit oder Zeitlichkeit buchstäblich in den Nähten. Gerade diese Verknüpfung in einem Werk, das seine Anleihen aus der Malerei mit ihrem Ewigkeitsanspruch zieht, ermöglicht eine differenzierte und erfrischende Betrachtung kulturellen Schaffens über Gattungsgrenzen hinweg und beleuchtet so auch kulturelle, museale und kuratorische Arbeit aus einer eher ungewohnten Perspektive.

In einer Welt, in der Menschen von einem Trend zum nächsten hecheln und dennoch diskursiv und integer ihre Meinung vertreten sollen, sind Isabelle Heskes Arbeiten Chimären, die in sich Aspekte beider Ansprüche vereinen. Sie verleiten zu der irreführenden Annahme, dass ihre Rezeption und mehr noch ihr Kauf – ähnlich dem von Luxusgütern – tiefgreifende Probleme lösen können.

Heske schafft verführerisch verpackte Arbeiten mit changierenden Konstrukten aus Erinnerungen, Emotionen, Mode, Musik und Popkultur. Als Spiegelbilder einer Konsumgesellschaft bleiben sie mit ihren offenen gesellschaftsrelevanten Themen und Denkanstößen ebenso ungewiss wie der Verbleib des eingangs erwähnten blauen und zu gut versteckten Playmobil-Huts.

2 In den Formaten, die Isabelle Heske für ihre Arbeiten wählt, orientiert sie sich, stets skaliert, an der Körperform des Menschen.

3 Vgl.: Elizabeth Janus: „Material Girl: Sylvie Fleury“, in: Artforum, May 1992, https://www.artforum.com/features/ material-girl-sylvia-fleury-203491/

Roger Rohrbach (* in Wanne-Eickel) hat Kunstgeschichte in Bochum, Düsseldorf und Graz studiert. Seine kuratorische Praxis reflektiert über Verantwortung und verschwimmende Einflusssphären zwischen künstlerischem Werk, Kuration, Dokumentation und Rezeption. In seiner Arbeit interessieren ihn Fragestellungen zur Wahrnehmung künstlerischer Positionen und Werke in Wechselwirkung zu Raum und Zeit. Ausstellungen sind dabei in miteinander verwobenen, narrativen Bedeutungsebenen angelegt, bestehend aus verschiedenen thematischen Strängen.

Summertime Sadness

2020

Paillettenband, Seide, bedruckte Baumwolle

240 × 125 cm

2020
Latex, beschichtete
Baumwolle, Gummibänder 240 × 125 cm
2023
Kordeln, Kette, Samt, Spandex, bedruckte Seide 240 × 125 cm
2023
Baumwolle, Gummiband, Quasten
60 × 31 cm
2020
Seide, metallische Ketten
70 × 130 cm
2020
Latex, Gummiband, Reflektorband, Leder, Tusche, Aquarell, Acryl auf Baumwolle
240 × 125 cm
2023
Baumwolle, Spandex, Ledergürtel, Nieten
240 × 125 cm

Impressum Isabelle Heske – TRUST TRUTH

Herausgeber

Goldrausch Künstlerinnenprojekt, ein Professionalisierungsprogramm für bildende Künstlerinnen im Goldrausch Frauennetzwerk

Berlin e. V., Herzbergstraße 40–43, 10365 Berlin

Projektleitung Hannah Kruse

Lehrkoordination Veronika Bartelt

Kursbegleitung & PR Manon Frugier

Verwaltung & Finanzen Klara Hülskamp, Ulrike Riebel

Text Roger Rohrbach

Gestaltung HFS Studio, Berlin

Lektorat Barbara Buchmaier Fotografie Isabelle Heske

Bildbearbeitung Eberle & Eisfeld | Berlin Produktion Red Cape Production, Berlin Druck Druckhaus Sportflieger, Berlin

© 2024 für diese Publikation: Goldrausch Künstlerinnenprojekt, Isabelle Heske

Für die Werke von Isabelle Heske: © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Das Goldrausch Künstlerinnenprojekt wird gefördert aus Mitteln der Europäischen Union (Europäischer Sozialfonds Plus) und des Landes Berlin.

Das Goldrausch Künstlerinnenprojekt wird gefördert aus Mitteln der Europäischen Union (Europäischer Sozialfonds Plus) und des Landes Berlin.

Erscheint anlässlich der Ausstellung I only work with lost and found –Goldrausch 2024 31. August – 03. November 2024 Kunstraum Kreuzberg/Bethanien Mariannenplatz 2 10997 Berlin

www.goldrausch.org

Repurpose Textiles, Ausstellungsansicht mit Arbeiten von Isabelle Heske, MMIII Kunstverein Mönchengladbach, 2020

Isabelle Heske (* 1990 in Düsseldorf) studierte Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf und an der École nationale supérieure des beaux-arts de Paris. Ihre Arbeiten waren in internationalen Ausstellungen zu sehen, zuletzt in der DOD Gallery in Köln, im MMIII Kunstverein Mönchengladbach, im Krefelder Kunstverein, in der Mixer Arts Gallery in Istanbul, im K21, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und im KIT –Kunst im Tunnel in Düsseldorf. Zudem war sie Stipendiatin der Kunststiftung NRW im Atelier Galata in Istanbul.

www.isabelleheske.de

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Goldrausch (Hg.): Isabelle Heske. Trust Truth. Berlin 2024. by Roger Rohrbach - Issuu