Gutshöfe in Lettland

Eine Zeitreise
Poetische, praktische, politische und auch private Reisenotizen
Poetische, praktische, politische und auch private Reisenotizen
© Sandra Leikarte
Stadtführung Riga / Kulturreisen Lettland
www.riga-reisenotizen.lv
Seite 3: Helene v. der Brüggen, Aquarell 1831, Fragment. VGR l/47, CVVM 215469/47. Nationales Geschichtsmuseum Lettlands.
Als wir die lange Gartenmauer entlang fuhren und mit der letzten Biegung in die Allee einbogen, die am Ende unmittelbar die Veranda und das alte Haus erkennen liess, war mir es als stünde mein Herz still. In gespenstischer grüner Stille war alles wie unwirklich unverändert da – und doch nicht mehr wie früher.
Hans von CampenhausenBevor sie eine Museumsnummer bekamen, wurden sie zu Hause fotografiert. Im Hof des Grosselternhauses. Die Stühle aus den Zeiten der Gutshöfe. Sie waren im Besitz einer deutsch- lettisch-russischsprachigen Familie eines Gutshofsschreibers. Als die Urenkelin an der Reihe war, die Stühle zu erben, wollte sie es nicht nehmen. Wohin denn mit den Stühlen aus den Gutshofszeiten? In eine gemietete Wohnung im Plattenbau in Riga? Da reicht ja gerade Platz für den Computer, an dem man eine Werbebroschüre über Gutshöfe schreiben kann –
in Dankbarkeit an Eltern, Grosseltern und Urgrosseltern
Dreht man die Visitenkarte der mondänen Jugendstilmetropole Riga um, erblickt man dieses Postkartenmotiv. Der blaue Gutshof der alten Rigaschen Familie Schwartz in Nachbarschaft mit zwei Hochhäusern aus dem 21. Jahrhundert.
Der Gutshof der Familie Schwartz liegt direkt auf dem Weg vom Flughafen stadteinwärts. Augen auf und Handy
bereit! Aber zur Einstimmung auf eine Lettland Reise nehmen wir Sie in den nächsten Seiten gern mit zu einigen anderen
Gutshöfen ausserhalb von Riga.
Wer weiss, vielleicht gelingt es uns wieder, “den Geist zu entfesseln”, wie die Städter im 18. Jahrhundert sagten, als sie sich zum Ausflug zu einem Gutshof begaben.
Sandra Leikarte“Wir hatten höchst verbotenerweise schon längst die interessantesten Tapetenschichten mit einem Nagel aufgepuhlt
und waren zuletzt unter dem Kalk des Bewurfs staunend auf gemaltes Grün und strahlendes Gold gestossen…”, schreibt
Hans von Campenhausen in seinen Kindheitserinnerungen an Ungurmuiža.
Die Zeit in Ungurmuiža bleibt gleichermaßen stehen, wenn die Besucher dort heute “höchst verbotenerweise” die Verlobungsbriefe des Hauserbauers von 1736 lesen. Die Reiseleiter:innen müssen bei der Abfahrt von Ungurmuiža immer zweimal durchzählen, ob alle Gäste am Bord sind.
Man hat ja gehört, einige haben da gebrummt, dass sie gar nicht wegwollen und am liebsten hier bleiben würden. Da sprach jemand sogar von Paradies im Quadrat.
www.ungurmuiza.lv
Der Gutshof Ungurmuiža der Familie von Campenhausen ist ein Ort, an den viele immer wieder gern zurückkehren. Die Langsamkeit der Zeit im Park des 1732 erbauten Gutshofes lässt niemanden unberührt und lädt zum Innehalten ein.
Es sei denn, man will sofort auf Facebook ein Foto vom Lustpavillion des Gutshofes posten. Die sommerlichen Schubertiade- Konzerte im Park von Ungurmuiža und eine Hochzeit soll man aber am besten live erleben!
P.S. In der Sowjetzeit wurde das Herrenhaus als eine Dorfschule benutzt und der Weg zum Lustpavillion passte perfekt für den 100 Meter Lauf im Sportunterricht. Eine Schule hat es in Ungurmuiža schon im 18. Jahrhundert gegeben. Der Gutshofserbauer Balthasar von Campenhausen war Herrenhuter und liess fast nahtlos am Herrenhaus eine Schule für die Bauernkinder errichten.
Notizen von Helene Juliane von Campenhausen. Staatliches historisches Archiv Lettlands. LVVA 4060-1-1000-26.
Am 1. Juni 1736 schreibt Balthasar von Campenhausen, Erbauer von Ungurmuiža / Orellen, einen Brief an Helene Juliane von Straehlborn mit der Anfrage, ob sie sich vorstellen könnte, seine “Gehülffin” zu werden. Schon die erste Antwort unterschreibt die junge Frau mit “in Liebe verbundene Dienerin”. Sie korrespondieren zwei Monate und dann sehen sie sich zum ersten Mal. Bei ihrer Hochzeit.
Durch die Zeilen der Verlobungsbriefe klingt die Frage der Braut: “Schaffe ich das?” Er ist älter, hat schon 5 Kinder und dann noch die Gutshöfe. Orellen, Lentzenhoff, Kudum. Sie schafft es. Können Sie ihre Schrift entziffern? Die Überschrift lautet: “ Was in den folgenden Jahren ist gebaut und repariert worden”. Soll man all das aufzählen? Kennt man doch. Reparieren, neue Dielen, anstreichen und das Strohdach neu auf Stall. All das kommt viel später. Als sie am 31. August 1736 in Ungurmuiža / Orellen eintrifft, ist der Gutshof gerade gebaut.
In alten Adressbüchern von Riga sieht man öfters Verkaufsannoncen mit der “feinsten Tafelbutter aus der Molkerei Kukschen”. Heute wird in Kukschen immer noch vom Feinsten getafelt – in der Küche regiert ein talentierter Koch, der gleichzeitig ein Kunstkenner und Sammler ist.
Wir nehmen uns Zeit, sowohl zum Bewundern des Gutshofes, als auch zu einem Mittagsessen mit Begleitlektüre von Werner Bergengruen, der auf dem Gutshof Kukschen seine Kindheitssommer verbracht hat. Wenn Sie noch nie von “Sakuska mit Schnaps” und “gastronomischem Aufgalopp” gehört haben, dann wird gleich ein Zitat von Werner Bergengruen diese kleine Bildungslücke füllen.
P.S. Die Deckenmalerei im Teezimmer ist inzwischen restauriert!
www.kuksumuiza.lv
“... Ach, wie vieles gab es da zu rühmen! Den Kaviar, den frischen Dünalachs, die Revaler Kilki, alle die guten Fische – Stör, Skumbria, Sterlett und die kurländischen Herbstneunaugen, die eingemachten Pilze, die Speckkuchen, das Heringspfännchen, die heissen Piroggen, gefüllt mit Fleisch, gehackten Eiern, Kohl, Reis, Fische, die aus Buchweizenmehl gebacknen
Bliny, angerichtet mit saurem Rahm, mit flüssiger Butter, mit Kaviar oder mit einer Paste aus Heringen und gemahlenen Walnüssen! Wir priesen die Wissenschaft der Sakuska, die zugleich eine Wissenschaft der Appetitschärfung und des gesundheitsfördernden gesselligen Tafelns ist.”
Werner BergengruenSchnaps mit Sakuska. Baltisches Lesebuch
Auf Fotos kann man bekannterweise einige Falten wegschminken. Dieses Foto mit dem Korridor im Erdgeschoss des Gutshofs Brinckpedwalen lässt wenig den tatsächlichen Zustand des alten Herrenhauses ahnen. Brinckpedwalen ist das Geburtshaus der deutschbaltischen Schriftstellerin Gertrud v. den Brincken. Von 1790 bis zur Agrarreform Lettlands
1920 war der Gutshof im Besitz der Familie von den Brincken. Nach dem 2. Weltkrieg wird im Gutshof ein Wohnheim für die Mitarbeiter der naheliegenden Fischverarbeitungsfabrik eingerichtet. Im 21. Jahrhundert steht der Gutshof Brinckpedwalen unter Denkmalschutz Lettlands, mit Vermerk “bedroht“.
Foto links: Gutshof Brinckpedwalen 2019
https://blog.aigsia.lv/
Arhitektoniskās izpētes grupa SIA
Deutschbaltische Dichterin Gertrud v. den Brincken (1892-1982) in Tukums 1927. Foto: Ž.Bergs. TMNM 36303. Das Foto stammt aus dem Tukums Museum, dass im naheliegenden restaurierten Schloss Durbe liegt.
www.tukumamuzejs.lv
“Wir hatten weissblaurote, schwarzweissrote, blutrote und rotweissrote Fahnen über uns in Ost-und Westwinden flattern gesehen. Fahnen mochten wechseln, sie waren mit dem Begriff Heimat nicht identisch. Was nicht flatterte und sich nicht auf- und abhissen liess, war die Verbundenheit mit diesem Boden, der unsere alten Kirchen und Wahrzei–chen und Wohnhäuser trug, mit diesen Wäldern und Wiesen und Gärten und Friedhöfen, deren Duft von Harz und Heu und Jasmin wir einatmeten, die Atemzüge dieser Erde, der unsere Liebe gehörte, weil wir ihr gehörten.“
Gertrud v. den Brincken
Land unter
Die Familie von Augusts und Natālija D. lebte mit ihren vier Kindern nah Riga und - ähnlich wie viele anderen - erlebte in der Tat, dass die Flaggen aller möglichen Farben auf- und abgehisst wurden. Die im Vorwort erwähnten grünen Stühle und die Familienbibel nahmen sie im ersten Weltkrieg auf die Flucht mit. Ihre Tochter Līvija, wird noch das Sowjetlettland erleben. Als Līvija schon Grossmutter war, fragte ihre Enkelin sie immer, wo die Stühle denn herkommen. Da winkte Oma nur ab und sagte - Friedenszeiten. Kein Wort mehr. Ihre Enkelin, die tüchtige Sowjetpionierin, hätte sich schon mehr Klarheit gewünscht. Und so stellte sie dieselbe Frage immer wieder. Sie durfte es. Auf dem Hof von Oma verwandelte sich die tüchtige Sowjetpionierin in “unsere Prinzessin”.
Die Tatsache, dass der Gutshof Oleri 140 Kilometer von Riga entfernt liegt, hat Kārlis und Ieva Zemīši nicht abgeschreckt. Inzwischen sind ihre drei Kinder gross geworden, sie selbst etwas älter, aber sie pflegen immer noch ihren Jugendtraum – den Gutshof Oleri. Vor kurzem hat Kārlis im Garten eine gutshofsgerechte Bank aufgestellt, damit sich Ieva über ihren Garten freuen kann. Ein paar Mal im Jahr kommen Musiker aus Riga, um im Oleri Klaviersalon zu musizieren. Für die besten Freunde, aber auch für einige zufällige Gäste, gibt es nach dem Konzert in der Oleri Küche eine Gutshofssuppe. Der Abend wird schon etwas länger und die Haussherren singen zusammen mit ihren Gästen. So wie damals – in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, als sie von Riga nach Oleri umzogen.
www.olerumuiza.lv
Der restaurierte Barockgutshof Pernigel, auf Lettisch Liepupe, liegt nah an der Rigaer Bucht und wird als Hotel und Hochzeitsort betrieben. Im ausgehenden 18. Jahrhundert war Pernigel ein Ort, wo sich beim liberal denkenden Gutshausbesitzer Baron Mekke die Intellektuellen von damals zu Gesprächen und Bohème trafen und in aufklärerischer Geselligkeit von einer gerechteren Zukunft für alle träumten. Auch für die Bauer. Es ging um das Ganze. Um die Aufhebung der Leibeigenschaft. Mit Baron Mekke und dem sog. Prophätenklub war auch der junge Garlieb Merkel befreundet. In Pernigel entstehen die ersten schriftlichen Werke des jungdynamischen Pastoratslehrers, der später ein berühmter Publizist in Berlin und in Riga wird. “Das Klagelied der liefländischen Bauer” ist wohl der Auftakt zu seinem Werk “Die Letten”, das 1796 erscheint und noch 200 Jahre später die Gemüter bewegt.
www.liepupesmuiza.lv
Bedienstete im Gutshof Pernigel / Liepupe Anfang des 20. Jhs.
Archiv von Laima Urdze
Garlieb Merkel erinnerte sich lebenslang an den Abend, bevor er im April 1796 in Riga das Schiff Richtung Deutschland besteigt, um sein Werk „Die Letten“ zu veröffentlichen: „Ich ging im Geiste alle die Opfer durch, die ich zur Ausführung meines Planes bringen musste... Ich brachte den Abend bis Mitternacht mit mir selber kämpfend zu. In der Nacht schlief ich indess ruhig und fest, und als ich am Morgen wieder gestärkt erwachte, war mein erster Gedanke: Was wäre der Mensch, der die erste Möglichkeit seines persönlichen Missgeschicks, in die Waage legte gegen die Wahrscheinlichkeit, das Elend von Millionen zu mildern?“
Nach zehn Jahren kehrt er als erfolgreicher Zeitschriftenherausgeber zurück und wird zum Gutsbesitzer. Ohne Leibeigene. Die Leibeigenschaft in Livland wird 1820 aufgehoben und für seine Unterstützung bei der Aufhebung der Leibeigenschaft bekommt er vom russischen Zaren eine lebenslange Ehrenpension.
P.S. In der Buchhandlung der Nationalbibliothek Lettlands ist ein Ausstellungskatalog auf Deutsch zum 250. Jubiläum von Garlieb Merkel 2019 erhältlich.
Die ehemalige Wäscherei vom Lustschloss Grossplaton / Lielplatone von Baron von Hahn. Die beste Restaurierung 2018 in Lettland.
Laundry house / vešūzis
www.visit.jelgava.lv
Es muss gesagt werden, dass Garlieb Merkel mit seinem Werk „Die Letten“ auch die Konzeption von 700 Jahren Knechtschaft in die Geschichtsschreibung eingeführt hat. Sowohl die Letten auf dem Weg zur eigenen Staatlichkeit, als auch die Sowjetmacht hat das publizistische Werk von Merkel aufgegriffen und entsprechend dem jeweiligen Zeitgeist instrumentalisiert.
Wissen Sie, wie ein Teil der Intelektuellen in der Sowjetzeit überlebten? Sie sind zu den verwahrlosten Kirchen und Gutshäusern gefahren und haben gerettet, was zu retten war – die Türen, die Fenster, die Kronleuchter - und dann zum Schloss Rundale gebracht, weil das ein Museum war.
Links ist ein Foto mit einem besonderen Haus zu sehen, das erst 2018 gerettet / restauriert wurde und früher vom Gutshofsleben nicht wegzudenken war - die Wäscherei. Zur Würdigung der Arbeit der Gesindeleute und zur Aufklärung über diesen alten Arbeitsvorgang führen da Wäscherinnen den Reisegruppen das Waschen aus den Gutshofszeiten vor. Beim Abschied sind alle einig, dass die Erfindung der Waschmaschine goldwert ist.
Karlsruhe, heute Kārļamuiza, ist ein begehrter Ausflugsort schon im 18. Jahrhundert gewesen. Die überwältigende Natur rings um den Gutshof hat von ihrer urwüchsigen Majestät im Laufe der Zeit nichts verloren. Der Gutshof selbst ist während der Revolution 1905 niedergebrannt, aber das alte Gesindehaus steht den heutigen Reisenden als gemütliches Familienhotel zur Verfügung. Karlsruhe ist übrigens als Obstbaumschule berühmt gewesen. Jedes Jahr hat man einen Katalog mit Obstbaumsorten und Blumen verlegt und den treuen Kunden zugeschickt – Gravensteiner oder
Prinzessin Apfel, Weisser Klarapfel, Weissensteiner Rothstraliger! Und die Pfingstrosen aus dem Karlsruhe Katalog
Herbst 1911 / Frühling 1912 – La Coquette, Madame de Montigny, Mademoiselle Rousseaud, Modelle de Perfection, Queen of Perfection. Die Namen allein! Es hört sich beinahe wie aus einem Archiv von Liebesbriefen an. www.karlamuiza.lv
“Wenn der Geist in den Anstrengungen des geschäftigen Lebens verstumpfen will, so ist keine Abänderung der Tätigkeit seinem Wesen angemessener als der Genuss an schönen Gegenständen für Auge und Ohr”, schreibt Hofrat
Gustav Johann von Budenbrock über seine Fahrt nach Karlsruhe im August 1793.
“Zur Gewinnung dieser Vorteile, hatte eine vertraulich frohe Gesellschaft, ihre gewöhnlichen Beschäftigungen verlassen und fand, müde der konvenzionellen Zirkel, ihre Erholung darin, die Natur zu besuchen. Überzeugt, dass von dieser menschenfreundlichen Wirtin überall Freuden der Art bereit sind, hielt sie es für Undankbarkeit, solche nur im Auslande mit Verschwendung von Geld und Zeit anzustaunen, indessen die inländischen Reichtümer
Foto links:
Julia, Carl und Wilhelm am Felsen in Carlsruhe. Den 16ten Junius 1796.
J.W.Krause: Etliche Lichtpunkte meines Lebens,1812.
LUAB R, Ms. 370. Akademische Universitätsbibliothek Lettlands.
vergeblich einer Würdigung für Kenntnis der Schöpfung und Studium des Menschen harren.
So zog der Ruf mit seinem: Ja! Und seinem Aber! die Aufmerksamkeit auf Lieflands Karlsruh.
Selbsterfahrungen, über die Bewärtheit des oft täuschenden Rufes, anzustellen, war daher Zweck einer Spazierfahrt. Diese
Untersuchung fiel sehr belohnend für das Vergnügen aus. Um dieses im geselligen Nachgenusse zu verlängern, und einer tadellosen Anhänglichkeit für das Vaterland ein Opfer zu bringen, wurde beschlossen, eine getreue Beschreibung
unserer unschwärmerischen Gefühle, beim Anschauen dieser einheimischen Naturschönheit, öffentlich bekannt zu machen. So erscheint dieses Tagebuch, als ein fliegendes
Ankündigungsblatt, das jeden Mitbruder zu Gefühlsreisen einladet; ausgehängt zum Ausfüllen für die Meisterhand eines künftigen talentvollern Wallfahrers. Bis dahin, folge, Freund der Musse, geduldig unserem Zuge.
Dieser bestand aus zwei flüchtigen Droschken, auf deren
Blankarden-Polstern wir, sechs Personen an der Zahl uns
eingefuget hatten. Eine muntere Blondine, ihre häuslichere
Unzertrennliche und ein umständlicher Jüngling belebten, selbst mitten im Geraffel der Räder, eine allgemeine Gesprächigkeit. Zu diesem Dreiblatte gruppierten, ein für den stillen Kreis von Freunden und Verwandten sich mitteilender Geschäftsmann und ein jovialischer Neubürger, der voll Biedersinn und Kunstgefühl sich für die grosse Weltbühne gebildet hatte; beide in brüderlichen Bunde mit mir in Tabellen systematisierendem Federführer.
Für die Mahnungen des Magens stand ein gefüllter Speisekorb nach der Weise unserer lieben Alten, aufgebunden; und gegen die unvermuteten Einfälle der Witterung lagen mit grossmütterlicher Vorsicht, in mancherlei Formen Mäntel, Überröcke und Regenschirme zum patriarchalischen Gemeingebrauche, bequemlich auf den Sitzen ausgebreitet. Von diesen Anstalten für den Körper entfesselte sich aber unser Geist…”
Gustav Johann von Budenbrock. Tagesfahrt nach Karlsruhe am 30. Ärntemonats des Jahres 1793
Gutshof Telsen, auf Lettisch Tāšu muiža, liegt im Westen Lettlands, nicht weit von der Hafenstadt Liepāja. Etwas abgelegen, eine Sandstrasse führt zum 1734 erbauten Gutshof, der eine Zeitlang auch der Familie des deutschbaltischen Schriftstellers Eduard fon Keyserling gehörte.
Die heutigen Besitzer von Telsen – der Architekt Juris Zviedrāns mit seiner Frau und drei Kindern – sind Städter. Die vergängliche Schönheit von Telsen war genug stark, um die Hauptstadt zu verlassen. Verlässt man Telsen wieder Richtung Stadt, liegt es auf der Zunge zu sagen – da stimmt ja alles, das Auge ist gesättigt. Und dabei müsste man da noch so viel machen. „Nur“ die Substanz und das Dach sind gerettet. Alt muss alt sein, wir müssen uns dem Haus anpassen und nicht andersrum. Das ist die Profimantra von Juris Zviedrāns, der auch ein gefragter Experte für alte Landschaftsparks ist.
telses_muiza@inbox.lv
Hinter dem Gartensaal in Telsen eröffnet sich der Blick zum künftigen Apfelbaumgarten von Juris Zviedrāns. Mit den Apfelbäumen aus den Gutshofszeiten. Das sei machbar. Da ist er wohl ein Perfektionist. Authentizität wie bei den sprachlichen Garten- und Gesellschaftsbilder in den „Fürstinnen“ von Eduard von Kayserling. Vorstellbar, dass die Inspiration dafür aus einem kurländischen Gutshof kommt.
Vielleicht sogar aus Telsen.
„Die Gesellschaft begab sich in den Gartensaal. Hier verhüllten grüne Spitzenschirme die Lampen, die Glastüren standen weit offen, und die Sommernacht füllte den Saal mit ihrem kühlen, süssen Duft. Die Fürstin liess zwei Sessel an die Tür heranrücken, dort sass sie, neben ihr der Graf. Sie unterhielten sich, der Graf dämpfte seine Stimme, gab ihr einen weichen, singenden Klang, zuweilen hörte man sie beide lachen, oder sie schwiegen und schauten in die Nacht hinein.“
Eduard von Keyserling
„Die Fürstinnen“
Werner Bergengruen. Schnaps mit Sakuska.
• Baltisches Lesebuch.
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Gertrud v. den Brincken. Land unter.
Gustav Johann von Budenbrock. Tagesfahrt nach
Karlsruhe am 30. Ärntemonats des Jahres 1793.
Tilmann Bünz. Wo die Ostsee Westsee heisst. • Baltikum für Anfänger. 2018.
Inta Dišlere, Agrita Ozola. Muižas laikmetu griežos.
• Güter in der Wendezeit 1900-1939.
Eduard von Keyserling. Fürstinnen. •
Garlieb Helwig Merkel. Skizzen aus meinem • Erinnerungsbuch... Hrsg. Uwe Hentschel.
Ruth Slenzka. Die “Murren” des Hans Freiherr von • Campenhausen. Erinnerungen dicht wie Schneegestöber.
Siegfried von Vegesack. Vorfahren und Nachkommen. •
Anja Wilhelmi. Lebenswelten von Frauen der deutschen
• Oberschicht im Baltikum (1800-1939).
Liebe Leser:innen, liebe Mitreisende!
Für die letzte Postkarte aus unserer Zeitreise durch einige Gutshöfe Lettlands, haben wir ein Aquarell von Helene v. der Brüggen aus dem Jahre 1831 auserwählt. Erblickt im Facebook auf der Seite des Nationalen Geschichtsmuseums Lettlands. Mit der Museumsnummer: VGR l/47, CVVM 215469/47.
Helene v. der Brüggen hat ihre Bekannte oder Verwandte –das wissen wir nicht genau – auf einigen Gutshöfen besucht, die wir hier vorgestellt haben. Eine Zeichnung von ihr belegt, dass sie u.a. auch Ungurmuiža besucht hat und die auf der Veranda sitzenden Frauen gezeichnet hat. Dieselbe Veranda, wo heute bei Konzerten in Ungurmuiža das Klavier steht. Wir können hier leider nicht mehr dieses kunsthistorische Detektiv weiter vertiefen und ausserdem wollen wir auch einiges Ihrer Entdeckerfreude überlassen.
Lassen Sie uns gern wissen, wenn Sie eine Reise nach Riga und Lettland vorhaben! Zur Einstimmung auf die Reise blättern Sie gern unsere Webseite:
www.riga-reisenotizen.lv Stadtführung Riga / Kulturreisen Lettland
Zum Schluss noch die Adresse von dieser einladenden Parkbank. Gutshof Marren / Maras muiža im westlichen Teil Lettlands, nicht weit von Kuldīga. Mit Liebe und Geschmack von einer deutsch-lettischen Familie restauriert, und es wird als ein kleines Familienhotel betrieben. Die Umgebung oder wie man es früher zu sagen pflegte “environs“ ist postkartenreif zwölf Monate im Jahr. Unser Vorschlag wäre – nehmen Sie auf die Lettland Reise das Buch mit, das Sie schon immer lesen wollten und setzen Sie sich einfach hin!