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t r a u E r o H n E r u H E Marta und Marijan Živkovic‘ haben ihren beiden gefallenen Söhnen im Wohnzimmer einen Schrein errichtet. das kroatische ehepaar

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gibt die Hoffnung nicht auf, den leichnam ihres Jüngsten noch zu finden. „die Serben sollen endlich sagen, wo unsere Verschollenen sind“

ren Vater nie grüßt, obwohl dieser ihnen beigebracht hat, dass Menschen freundlich zueinander sein sollen. „Hier werde ich immer nur Serbe sein. Für die Kroaten sind wir alle Aggressoren“, sagt der junge Vater. Der „Aggressor“ war damals acht. „Die Kroaten vergessen, dass es auch meine Stadt war, die zerstört wurde. Ich wollte das genauso wenig wie sie.“ Er verschwindet im Haus und holt die Bücher, in denen die Wahrheit steht: Serbische Heimat und Nehmt euch in Acht, dass euch niemand täuscht. Nun steht der Vater im Garten und liest mit röhrender Stimme vor: „Das Leiden des serbischen Volkes im 20. Jahrhundert ist noch nicht genug ans Tageslicht gekommen.“ Er sagt, dass vor Ausbruch des Krieges fast Hundert serbische Vukovarer von Kroaten getötet wurden. „Es gab Massaker, die die kroatischen Nationalisten Ustaša im Zweiten Weltkrieg an Serben verübt haben, die bis heute verschwiegen werden.“ Er tippt immer wieder auf die Seiten. „Daher rührt die tiefsitzende Angst der Serben vor den Kroaten. Sie wollten ihr Volk nur schützen!“ Die Massaker der serbischen Nationalisten Četniks an den Kroaten im Zweiten Weltkrieg

Aus Di A lOge n WeRDen in Di ese R stA Dt iMMeR MOnOlOge

erwähnt der Mann nicht. „Aus Dialogen werden in dieser Stadt immer Monologe“, sagt er, nachdem er zwei Stunden am Stück geredet hat. Der Franziskanerpater Gordan Propadalo, 73, kennt auch „die Wahrheit“. Seine Wahrheit steht in einem Buch, das er gelesen hat: Kroatische Enzyklopädie. Er holt die Wahrheit aus dem Regal des Lesezimmers im Kloster. Sie besagt, dass die Serben nach einem großserbischen Imperium blutdürsteten. Bruder Gordan, Prediger des Friedens, redet viel über den Krieg. „Das serbische Volk ist mit der Lüge infiziert, es hätte unter Kroaten im Zweiten Weltkrieg gelitten“, sagt er. Objektive Wahrheit sei von subjektiver zu trennen, mahnt der Franziskanerpater, die große Gestalt in dunkler Kutte, seiner Uniform. Kriegsverbrechen der Kroaten? Nein. Kroaten wollten ihre Heimat nur schützen. Jedem Besucher des Klosters zeigt Bruder Gordan im Vorführsaal einen Dokumentarfilm über den Krieg in Vukovar, als sei das die Voraussetzung für ein Gespräch. Nach Bildern von Leid und Zerstörung pointiert die Stimme aus dem Off: Die Stadt, das bist du. „Diese paar Naiven in den Vereinen relativieren das Leid der Menschen. Es gibt kein Zusammenleben in dieser Stadt“, sagt


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