Regio aktuell 10/13

Page 67

s67_ra1013_metzger:Layout 1

23.09.2013

19:36 Uhr

Seite 67

Martin Heinzelmann (35) aus Liestal hat seine Berufslehre als Metzger in Bubendorf absolviert. Bereits mit 22 Jahren ging er nach Russland, um dort – vorerst für 3 Monate – junge Fleischer auszubilden. Daraus sind mittlerweile 13 Jahre geworden. Martin Heinzelmann hat jetzt in Moskau eine Familie und denkt nicht mehr an Rückkehr.

AUSGEWANDERT

Als Metzger in Russland stücken zu unterweisen. «Das Kommunizieren ging nur mit Händen und Füssen, was manchmal ziemlich lustig ausgesehen haben mag.» Mit der Einführung der Waadtländer Schweinsbratwurst gelang ihm ein echter Coup. Er sei rasch akzeptiert worden, da er sich bemühte, Russisch zu lernen und zu sprechen. «Mittlerweile bin ich der einzige Expat in der Firma, der sich mit seinen Kollegen auf Russisch unterhalten kann.» Die Expansion der Firma ging rasant vor sich: Inzwischen gibt es in ganz Russland 65 solcher Märkte. So kam er als Instruktor weit herum – von Wolgograd (vormals Stalingrad) bis nach Sibirien. Das Leben in anderen Städten sei erheblich weniger hektisch: «Moskau ist eben nicht Russland.» Früher benötigte er für seinen Arbeitsweg von 35 Kilometern eine halbe Stunde, heute – mit dem wachsenden Wohlstand der Mittelschicht und entsprechendem Verkehr – in den Stosszeiten gegen anderthalb Stunden. «Ich habe für dieselbe Strecke auch schon sechs gebraucht!»

Freizeit und Familie Martin Heinzelmann mit Ehefrau Anastasia und Sohn Alexander-Philipp.

von Peter O. Rentsch

Russland habe er nur aus dem Fernsehen und von Filmen her gekannt – mehrheitlich negativ. «Ich hatte den Eindruck, in Russland sei alles grau, und ständig fänden Bandenkriege der russischen Mafia statt. Auch würden einem tagsüber häufig Bären über den Weg laufen…» Mit ähnlichen Vorstel-

empfangen. «Auf der Fahrt vom Flugplatz zum Hotel wurden meine Klischees von Plattenbauten und grauem Wetter sowie nie lächelnden Russen voll und ganz bestätigt. Ich dachte mir: Zum Glück dauert mein Einsatz bloss drei Monate!»

Ausbeinen nach Schweizer Art In einem Cash & Carry-Markt – zu diesem Zeitpunkt gab es deren zwei in Moskau – hatte er Fleischer in der Kunst des richtigen Ausbeinens und Zuschneidens von Fleisch-

Russland weitgehend unbekannt

Wohnen an der Peripherie Moskaus.

10/2013 www.regioaktuell.com

ie Korrespondenz mit Russland funktioniert, wenn auch in den E-Mails gelegentlich kyrillische Zeichen auftauchen. Wir erfahren, dass Martin Heinzelmann nach einem «Zwischenhalt in Lausanne» von einem deutschen Konzern angefragt wurde, ob er nicht für sie in Russland Metzger ausbilden wolle. «Da ich zu der Zeit schon ein Angebot aus Kanada ausgeschlagen hatte – weil es im Winter dort zu kalt ist –, sagte ich zu», schreibt Martin Heinzelmann. «Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, was auf mich zukommt.» Er habe nicht einmal gewusst – damals noch ohne Internet –, ob es sich um eine Supermarkt-Kette handle oder ob es einfach eine Fleischerei sei, wo er arbeiten sollte.

D

lungen – ohne Russischkenntnisse und mit wenig Englischkenntnissen – nahm er im Frühjahr 2000 das «Abenteuer Russland» auf sich. Bei der Ankunft in Moskau wurde er mit minus 15 Grad Celsius eher kühl

Privat habe er als ehemaliger Schwinger – in Russland gibt es diese traditionelle Schweizer Sportart nicht – Anschluss bei einem Rugby-Club gesucht. Dort habe er viele Expats aus anderen Ländern kennen gelernt und sein Englisch und Russisch verbessert. Seine Frau Anastasia sei Russin, schreibt er lakonisch. «Vor zweieinhalb Jahren haben wir einen gesunden Jungen (AlexanderPhilipp) bekommen, der mich immer in action hält.» Das Alltagsleben sei nicht ganz einfach wegen der steigenden Preise für Wohnen und Essen, da viel importiert wird. Russland könne sich nicht einmal mit genügend Fleisch versorgen, weil viele Bauernbetriebe schliessen mussten. Zu schaffen machen ihm auch die langen Winter bis zu sechs Monaten und Temperaturen bis minus 45 Grad. Ansonsten gefallen ihm das Land und die freundlichen Leute. Unverkennbar sei der Trend zu Wachstum und besseren Lebensbedingungen. Mit seiner Familie wohne er in einer deutschen Siedlung an der Peripherie Moskaus. Für die 1.-August-Feier habe er als Heimweh-Schweizer für Freunde auch schon Kalbsbratwürste produziert. Was er gerne vorantreiben würde, wäre die Idee einer Fleischerschule, da es in Russland keine Betriebsfachschule gibt, die aufs Praktische ausgerichtet ist. Rückblickend bereue er seinen Schritt nach Russland keineswegs, er würde das Abenteuer wieder 67 wagen.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
Regio aktuell 10/13 by BirsForum Medien GmbH - Issuu